Yasashikunai Mirai von Harulein (Tsuzuku x Meto) ================================================================================ Kapitel 4: [Tsuzuku] Act 4 -------------------------- Ich hatte es also gewagt. Hatte Koichi gegenüber genügend Andeutungen gemacht, damit er vielleicht von selbst herausfand, was mit mir los war. Ich stellte mir vor, wie er in seiner Wohnung vor dem PC saß, das, worum ich ihn gebeten hatte, recherchierte, und wie er dabei, hoffentlich, oder hoffentlich nicht, von selbst über das Wort stolperte, das mir die Luft abdrückte und mein Herz vor Angst und Schmerz rasen ließ. In gewisser Weise war es feige von mir, ihn sozusagen allein ins offene Messer laufen zu lassen und nicht richtig mit ihm darüber zu sprechen, doch das konnte ich nach wie vor nicht, da ich wahnsinnige Angst davor hatte, dieses Ungeheuer Borderline könnte, wenn ich darüber sprach, noch größer und bedrohlicher werden und mich noch kränker machen. So, als ob es eben ausbrach, wenn ich darüber redete. Zudem befürchtete ich, was das Schneiden anging, rückfällig zu werden, und das wollte ich auf keinen Fall. Ich dachte an Mama, daran, was ich ihrem Geist versprochen hatte. Angezogen auf dem Bett liegend, ließ ich meine Gedanken sich weiter drehen, immer im Kreis darum, dass alles, was ich tat, irgendein Symptom sein konnte, so lange, bis ich schließlich das Gefühl hatte, rein gar nichts Gesundes tun zu können. ‚… haben ihre Affekte nicht unter Kontrolle …‘ ‚… halten sich für stark und mächtig …‘ ‚… Selbstverletzendes Verhalten …‘ ‚… impulsiv …‘ ‚… gute und schlechte Phasen …‘ … Es redete in meinem Kopf auf mich ein, laut, gehässig, kalt. Am liebsten hätte ich das Buch, aus dem all diese Worte und Sätze stammten, auf der Stelle zerrissen und verbrannt, doch es war ja nicht hier, gehörte nicht mir, sondern der Bibliothek. Ich hatte nicht sehr lange darin gelesen, nur ein wenig, und trotzdem hatte sich das, was dort stand, in mein Herz gefressen und ließ mich nicht mehr los. Und jetzt hatte ich, in diesem Wissen, meinem Liebsten wehgetan, hatte mich nicht kontrollieren können und ihm die erste Nacht in unserer neuen Wohnung beinahe kaputtgemacht. Ich liebte ihn doch, so sehr, warum tat ich ihm dann weh, hatte mich ihm zuliebe nicht ein bisschen mehr im Griff? Ich wollte es nicht und wollte es doch, schwankte dazwischen, vorsichtig mit ihm sein zu wollen, und diesem Gefühl von ‚Er ist mein‘, das mich so erregen konnte. Ich wusste, ich war besitzergreifend, doch das fühlte sich viel zu gut an, um es wirklich ändern zu wollen. „Tsuzuku?“, riss mich Metos leise Stimme aus meinen schmerzhaften Gedanken. „Alles okay bei dir?“ Er stand im Türrahmen, kam wohl gerade aus dem Bad, denn er hatte seinen Bademantel an und feuchte Haare. Ich hatte das Wasser der Dusche gar nicht rauschen gehört, zu sehr war ich in Gedanken gewesen. Meto sah mich besorgt an und ich wusste, dass ich traurig aussah, spürte selbst die Tränen in meinen Augen. Ich setzte mich auf und er kam auf mich zu, setzte sich neben mich aufs Bett und sah mich eine Weile wortlos an. Dann griff er nach meiner Hand, ich ließ es zu, und er streichelte über meinen Handrücken. „Machst du dir immer noch Vorwürfe wegen letzter Nacht?“, fragte er irgendwann. Ich wusste, es hatte keinen Sinn, jetzt zu lügen. Und so nickte ich, sagte leise „Ja“ und spürte dabei einen kleinen Stich im Herzen. „Musst du nicht, wirklich nicht. Ehrlich, mir geht’s wieder gut und ich hab dir das nicht eine Sekunde lang vorgeworfen. Ich hab mich ja selbst geärgert, dass ich wieder so verkrampft habe.“ Seine Worte erreichten mich und ich glaubte ihm auch. Doch das änderte nichts daran, dass ich mir sicher war: Wenn ich mich besser unter Kontrolle gehabt hätte, dann wäre es gar nicht dazu gekommen. In einem Versuch, ihm nah zu sein und ihn trotzdem wissen zu lassen, dass ich vorsichtig mit ihm sein wollte, streckte ich die Hand aus und streichelte seine Wange, strich mit den Fingern durch sein kurzes, hellblaues Haar und berührte dabei sein Ohr. Er schmiegte seinen Kopf gegen meine Hand und lächelte leicht. „So etwas wird nicht wieder vorkommen, dass ich dir so wehtue“, sprach ich und ließ meine Hand zu seinem Hals wandern. „Meto, ich liebe dich, über alles, und ich werde alles tun, was ich kann, um mich zu bessern.“ „Tsu, ich geh demnächst mal zum Arzt und lass mich untersuchen, ob man da nicht was machen kann. Du musst dich nicht ändern. Ich liebe dich so, wie du bist“, erwiderte er und sah mir dabei direkt in die Augen. Ich dachte nur: ‚Der Junge ist einfach viel zu gut für mich‘ und fühlte mich auf einmal wieder leicht und glücklich. Meine Hand wanderte weiter abwärts, unter seinen Bademantel, auf seinen Rücken, er löste das Kleidungsstück, sodass es nur noch seinen Schritt und seine Beine bedeckte, und ich umarmte ihn ganz einfach, zog ihn an mich und spürte, wie seine Hände zwischen uns meinen Pullover und das Top darunter hochschoben, meine nackte Haut berührten. Ein Teil von mir wollte sofort mehr, doch ich konnte das geradeso wegschieben, denn der weitaus vernünftigere Teil in mir hatte beschlossen, Meto heute Nacht einfach nur im Arm zu halten. Und als hätte er das gespürt, fragte er leise: „Tsu? Kann ich in deinen Armen schlafen?“ „Na klar“, antwortete ich und hauchte einen kurzen Kuss auf seinen Hals. Ich löste mich von ihm, um mich bis auf die Unterwäsche auszuziehen und legte mich dann hin. Er legte sich zu mir, und ich griff kurzentschlossen rüber auf seine Betthälfte, wo Ruana neben dem Kopfkissen saß, und holte sie dazu. „Damit sie aufpasst, dass ich dich nicht doch so überfalle“, sagte ich lächelnd, als er mich fragend ansah. Er lachte leise und drückte Ruana an sich, was einfach nur wahnsinnig süß aussah, und ich küsste seine Stirn, fühlte die fünf Jahre Altersunterschied zwischen uns und mich irgendwie als sein Beschützer. Ich war der Ältere, er war mir anvertraut, und ich wollte lieb zu ihm sein und auf ihn aufpassen. Und das tat ich, legte meine Arme um Meto und hielt ihn, bis wir beide eingeschlafen waren. Ich wachte davon auf, dass ich zwei warme Hände spürte, die vorsichtig über meinen Körper tasteten, und weiche, gepiercte Lippen an meinem Hals. Noch im Halbschlaf und mit geschlossen Augen, lächelte ich, seufzte angetan und bewegte mich ein wenig der Berührung entgegen. Meto schien jedoch zunächst nicht zu bemerken, dass ich im Aufwachen begriffen war, denn er streichelte mich einfach weiter, küsste meinen Hals und ich hörte ihn leise sprechen: „Tsu, du bist so wunderschön. Weißt du eigentlich, wie süß du bist? Aber du weißt, wie sehr ich dich liebe, oder?“ Ich gab ein leises „Mh…“ von mir und öffnete die Augen. Es war schon hell und wahrscheinlich hatten wir komplett verschlafen, aber das war mir so was von egal, solange Meto nur nicht aufhörte, mich so liebevoll wach zu streicheln. „Ich weiß, dass du mich liebst“, antwortete ich auf seine Frage, meine Stimme klang noch ganz müde. Er stockte kurz, fragte: „Oh, du bist wach? Hab ich dich geweckt?“ Ich nickte, lächelte. „Aber so werde ich doch gern geweckt, mein Süßer.“ Meto lachte leise, dann beugte er sich über mich und küsste mich, lange und lieb und ein bisschen lustvoll. Mein Herz überschlug sich fast vor Glück und innerhalb weniger Sekunden war ich komplett wach, was dazu führte, dass ich ziemlich leidenschaftlich auf den Kuss einging. Ich griff in seinen Nacken, hielt ihn fest und ließ mich von ihm ins Kissen knutschen, bis wir beide kaum noch Luft bekamen und uns schwer atmend wieder ein wenig voneinander lösen mussten. So ein inniger Kuss am Morgen ließ mich auf einen schönen Tag hoffen und stimmte mich entspannt und glücklich. „Und weißt du auch …“, begann Meto, küsste mich wieder und fuhr dann fort: „… dass ich dich will, und wie sehr?“ „Du willst doch jetzt nicht …?“, fragte ich. Er schüttelte den Kopf. „Nein. Aber ich will einfach, dass du weißt, dass ich dich genauso begehre wie du mich. Du musst nicht denken, dass du mich mit deinen Gefühlen bedrängst, hörst du?“ Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Das war genau der Punkt, an dem ich mir Gedanken machte und mein eigenes Verhalten hinterfragte. Ich hatte Angst, zu impulsiv zu sein, meinen Liebsten mit meinen starken Gefühlen und meiner Lust zu bedrängen und ihn am Ende zu verletzen. „Tsuzuku, ich hab es dir schon mal gesagt: Ich mag das, wenn du so weißt, was du willst. Ich fühle mich dann sicher und habe keine Angst mehr um dich. Verstehst du das?“ „Ja, schon“, antwortete ich, denn im Grunde verstand ich sehr gut, was er mir damit sagen wollte. Und damit die schöne Stimmung jetzt nicht zerbrach, der Tag gut und glücklich wurde, lächelte ich und sagte dann: „Ich kann mich auch gar nicht dagegen wehren, dass ich dich so liebe und begehre. Ich glaube, das ist das stärkste, schönste Gefühl, das ich je empfunden habe.“ Meto strahlte mich an, stürzte sich dann geradezu auf mich und küsste mich wieder und wieder und wieder. In diesem Moment fühlte ich mich so wahnsinnig geliebt von ihm und liebte ihn so sehr, dass ich es kaum auszudrücken wusste. Ein ‚Ich liebe dich‘ schien da nicht auszureichen und ich glaubte, dass nicht mal der liebevollste Liebesakt, den ich zustande brachte, dieses überwältigende Gefühl wirklich vollkommen zeigen und ausdrücken konnte. Ich drehte uns beide herum, sodass ich auf ihm lag, und jetzt war ich es, der ihn ins Kissen knutschte. In meinem Kopf herrschte ein emotionsgeladener, liebestrunkener Schwindel und ich glaubte schon wieder, beinahe wahnsinnig zu werden vor Glück. „Meto …!“, keuchte ich und spürte, wie ich heiß wurde. „Ich liebe dich! Ich liebe, liebe, liebe dich!“ Er sah mich an, mit leuchtenden Augen, sah so süß aus und antwortete: „Ich liebe dich auch.“ Es war so schön, so absolut wundervoll, jedenfalls so lange, bis meinem liebeskranken Gehirn wieder einfiel, dass ich jetzt nicht mit meinem Liebsten würde schlafen können. Doch bevor die schwirrenden Glücksgefühle aus meinem Kopf verschwinden konnten, riss ich mich mit aller Kraft zusammen. Vielleicht würde es ja heute Abend gehen. Und ich würde ganz vorsichtig sein, vorsichtig und lieb und so sanft, wie ich nur vermochte. Ich nahm mir fest vor, mich in Zukunft besser unter Kontrolle zu haben, und klammerte mich an die Hoffnung, dass ich das auch konnte. „Tsu … Ich glaube, wir sollten mal aufstehen“, sagte Meto und drehte den Kopf in Richtung der Uhr. „Wie spät ist es denn?“, fragte ich. „Halb neun“, informierte er mich und grinste. „Wir haben total verschlafen.“ Ich ließ mich seufzend neben ihn sinken, stand dann langsam auf und ging zum Kleiderschrank, um mir meine Klamotten für heute auszusuchen. Mein Blick streifte meinen Lackmantel, doch ich sah keinen Anlass, den heute zu tragen, und entschied mich schließlich für Jeans und einen dunkelroten, gestrickten Pullover, dazu einen zweiten Ring zu dem, den ich sowieso immer trug, und eine Halskette mit Pentagramm. Jetzt, wo ich einen richtigen, großen Kleiderschrank hatte, fiel mir auf, wie wenige Sachen ich immer noch besaß. Meine Schrankhälfte war fast leer, während Metos ganz normal voll war. Ich war immer noch daran gewöhnt, dass meine wichtigsten Sachen in eine Reisetasche passen mussten, und der Gedanke, irgendwann richtig groß einkaufen zu gehen und mir, ohne weiter nachzudenken, alle möglichen Sachen kaufen zu können, fühlte sich noch seltsam fremd an. Ebenso, wie diese Wohnung noch nicht ganz zu meinem Zuhause geworden war. Sie fühlte sich ein bisschen an wie die Ferienwohnung, in der ich als Junge mal mit Mama im Urlaub gewesen war. Mit den Klamotten in der Hand begab ich mich ins Bad, wo Meto schon vor dem Spiegel stand und sich anzog. Unser Badezimmer war recht klein, sodass ich mich an ihm vorbeidrängeln musste, um meine Sachen auf der Fensterbank abzulegen, mich auszuziehen und dann erst einmal unter der Dusche zu verschwinden. Mich daran erinnernd, dass er ja gestern Abend geduscht hatte, fragte ich nicht, ob er auch wollte, und sah ihm zu, wie er sich zurechtmachte und mich dann über den Spiegel zurückhaltend beobachtete. Er musste nichts fragen, ich wusste auch so, dass er mich vor allem deshalb so ansah, weil er sehen wollte, ob ich weiter zugenommen hatte. Und anscheinend stellte ihn das, was er sah, zufrieden, denn er lächelte. Ich beeilte mich mit dem Duschen, trocknete mich dann schnell ab und zog mich an. Und als ich dann vor dem Spiegel stand, bekam ich auf einmal Lust, mich so richtig zu schminken, mit Lippenstift und viel dunkler Farbe um die Augen. Ich hatte nur ein Paar Kontaktlinsen, blaue, die setzte ich zuerst ein, und dann tobte ich mich so richtig aus mit allem, was ich an dazu passenden Schminksachen hatte. Meto war längst fertig mit Schminken, er schien heute weniger Lust auf das volle Make-up-Programm zu haben, aber er blieb und beobachtete mich. „Du siehst toll aus“, sagte er, als ich fertig war, beugte sich vor und gab mir einen Kuss auf die Wange. „Weißt du, was wir heute machen, Tsu?“, fragte er, als wir in der Küche saßen und Kaffee tranken. Er frühstückte auch ein wenig, ich dagegen hatte überhaupt keinen Hunger. „Was denn?“, fragte ich zurück. „Wir gehen dir ein Handy kaufen. Du hast ja immer noch keins.“ Ein Handy. Ja, wahrscheinlich brauchte ich jetzt wieder eins. Früher hatte ich mir ein Leben ohne solche Sachen kaum vorstellen können, doch nach meinem Absturz hatte ich mich daran gewöhnen müssen, ohne persönliche technische Geräte zu leben. Der Gedanke, wieder ein Handy zu haben, erreichbar zu sein und mich der Welt wieder auf diesem Wege mitzuteilen, fühlte sich jetzt irgendwie merkwürdig an. So, als sei ich, zumindest aus der Sicht derjenigen, die diese Dinge tagtäglich nutzten, für zwei Jahre aus der Welt gefallen gewesen. „Und wovon bezahlen wir das?“, fragte ich, denn das nötige Geld für eine solche Anschaffung fehlte mir nach wie vor. „Schenk ich dir“, antwortete Meto und lächelte. Seine übliche Antwort, wenn es ums Geld ging. Ich wusste ja, dass er mehr als genug davon hatte, doch ich wollte nicht immer Schulden bei ihm machen. Zwar war morgen das erste Vorstellungsgespräch, das die Sozialarbeiterin vom Tempel mir vermittelt hatte, und falls das passte, würde ich bald eine bezahlte Arbeit haben, aber ich wusste weder, wie gut der mich erwartende Job bezahlt wurde, noch, ob ich überhaupt … ja, ob ich denn arbeitsfähig war. Beim Verlassen des Tempels war ich mir ganz sicher gewesen, dass ich das mit dem Arbeiten hinbekommen würde, doch jetzt zweifelte ich daran. Mein möglicher Arbeitsplatz war ein Bodyart-Shop in der Innenstadt und einerseits freute ich mich darauf, wieder in dem Beruf zu arbeiten, in dem ich früher eine Ausbildung gemacht hatte, aber die Angst, dass ich es nicht schaffte, ließ sich einfach nicht vertreiben. „Tsu?“, riss mich Meto aus meinen Gedanken. „Woran denkst du?“ „An das Vorstellungsgespräch morgen …“, antwortete ich. „Ich hab … ein bisschen Angst davor.“ Meto nahm einen Schluck Kaffee, schluckte und fragte dann: „Aber du hast doch mit der vom Tempel alles abgeklärt, oder? Da kann doch eigentlich nichts mehr schief gehen.“ „Wahrscheinlich bin ich einfach aufgeregt“, sagte ich und betete innerlich, dass ich nicht nur das Gespräch und den Job, sondern auch alles andere irgendwie packte. Vielleicht, so hoffte ich immer noch ein wenig, bildete ich mir die Sache mit Borderline ja auch nur ein, und das, was ich für diese Störung hielt, war möglicherweise doch halbwegs normal. Vielleicht hatte ich ja nur diese Probleme mit dem Essen und würde schon irgendwie wieder gesund werden. „Komm, wir gehen jetzt gleich los“, sagte Meto, stellte seinen Kaffeebecher in die Spüle und ich stellte meinen dazu, obwohl er noch nicht leer war. Als ich meine Jacke und die Schuhe anzog, sah ich anscheinend wieder irgendwie traurig aus, denn Meto sah mich mit diesem lieb besorgten Blick an und sagte: „Lächeln, Tsuzuku.“ Ich tat wie mir geheißen und lächelte kurz leicht, doch es fühlte sich komisch, unecht an. Als würde ich meinen Liebsten anlügen, auch wenn es nur eine ganz kleine Lüge war. Und mit einem Mal verspürte ich den starken Impuls, Meto ganz fest in meine Arme zu schließen, ihn lange nicht mehr los zu lassen und ihm dann die Wahrheit über mein Innenleben zu sagen. Ihm zu gestehen, dass ich furchtbar kaputt war und große Angst hatte. Es zu teilen, damit es mich nicht von innen her noch mehr zerstörte. ‚Nicht jetzt‘, dachte ich und riss mich zusammen. ‚Später, irgendwann, wenn es irgendwie passt.‘ Auf dem Weg durchs Treppenhaus nach unten hielt Meto meine Hand, so als spürte er, dass ich das brauchte. Ich fühlte die Wärme und die Energie, die durch seine Hand in meine floss, und spürte, wie die Berührung mich ein wenig stärkte. Wenn ich daran dachte, dass es vielleicht heute Abend klappte mit ein bisschen Sex, und mir vorstellte, wie er nicht nur meine Hand, sondern meinen ganzen Körper so berührte … Obwohl wir das jetzt schon so oft getan hatten, war der Gedanke daran immer noch wunderschön. Aber dann kam uns diese Frau entgegen, als wir gerade aus dem Haus wollten. Sie war so um die sechzig und wirkte ziemlich streng. Vielleicht war das die Frau, die Koichi gestern vor unserer Wohnungstür getroffen hatte? „Ah, Sie beide“, sagte sie und zog die Augenbrauen hoch. Ich sah Meto an, dem sichtlich die Sprache den Dienst versagte. Also musste ich wohl reden. Die Frau machte mir mit ihrer offensichtlichen Strenge ein wenig Angst, doch ich brachte mit halbwegs fester Stimme ein „Ja?“ heraus. Sie lächelte, doch das sah so falsch aus, dass ich innerlich schauderte, und als sie dann mit deutlicher Missbilligung auf Metos und meine noch immer verschränkten Hände blickte, schwand dieses Lächeln so schnell, wie es gekommen war. Solche Leute hatte Tamotsu gemeint, als er uns davor gewarnt hatte, unsere Beziehung in dem Sinne öffentlich zu machen. Es war das erste Mal, dass ich so ganz direkt mit Homophobie konfrontiert wurde (die abfälligen Blicke fremder Passanten zählte ich nicht), und es tat mehr weh, als ich gedacht hatte. „Heute um achtzehn Uhr ist ein Treffen unserer Hausgemeinschaft“, sagte sie nur, dann ging sie, nach einem weiteren abschätzigen Blick, an uns vorbei, die Treppe rauf. „Ich schätze mal, wir haben ein Problem“, sagte ich leise, als sie verschwunden war und Meto und ich aus dem Haus waren. Er nickte und sah mich fragend an. „Wirst du da hingehen?“ Erst jetzt stellte ich es mir vor, den Leuten, mit denen wir von nun an in einem Haus zusammen wohnten, bei so einem Treffen gegenüberzutreten. Menschen, die mich, wenn sie alle so waren wie diese Frau, unablässig missbilligend anstarren würden und mich höchstwahrscheinlich sowohl für mein Äußeres, als auch für meine Liebe zu einem Mann, der fünf Jahre jünger war als ich, verurteilen würden. Augenblicklich bekam ich Angst davor, und diese Angst wurde mit jeder Sekunde, die ich daran dachte, größer. „Nicht ohne dich. Ich schaff das nicht alleine“, antwortete ich. Meto lächelte. „Als ob ich dich da allein hingehen lassen würde. Nee du, wir stehen das zusammen durch.“ Ich konnte nicht anders, als stehen zu bleiben, Meto an mich zu ziehen und fest in meine Arme zu schließen. Und in einem Anflug von fast schon wahnsinniger Liebe flüsterte ich in sein Ohr: „Weißt du, dass du das Allerbeste bist, was mir je passiert ist?“ Mir war in diesem Moment völlig egal, dass wir uns in der Öffentlichkeit befanden, dass uns die Leute sehen konnten und das alles. Ich dachte an nichts anderes als daran, dass ich Meto wie verrückt liebte und ihn ganz nah bei mir haben wollte. „Tsu …!“, protestierte er, klang dabei jedoch keineswegs so, als ob es ihm nicht gefiel, einfach so öffentlich von mir umarmt zu werden. „Komm, es gefällt dir doch“, erwiderte ich lächelnd, in meinem Kopf schwirrte das Glück. Doch einen Moment später zerplatzte es, einfach so, ohne jede Vorwarnung. ‚… mangelnde Affektkontrolle …‘, flüsterte die Dunkelheit in meinem Kopf, gehässig, mit einem fiesen Grinsen, weil sie mich erwischt hatte. Weil ich meine Gefühle und die daraus folgende Tat tatsächlich nicht unter Kontrolle hatte. Augenblicklich ließ ich Meto los, brachte Abstand zwischen uns. Er sah mich zuerst verwundert, dann besorgt an. „Tsu, was ist los?“ Ich stand einfach nur da, sah ihn an, während die Dunkelheit in meinem Kopf Symptome und so weiter herunter ratterte, die sich wie tausende Nadeln von innen in mein Herz bohrten. ‚… plötzlicher Stimmungsumschwung …‘ war eines davon und ich fühlte mich auf einmal schrecklich hilflos. Was konnte ich denn noch tun, wenn in allem, was ich tat, immer irgendein Merkmal dieser Störung, deren Namen ich in diesem Moment nicht zu denken wagte, steckte? War ich denn wirklich so vollkommen krank und gestört? Meto griff meine Hand, sah mir in die Augen und fragte noch einmal: „Tsuzuku, was hast du?“ „Nichts, geht gleich wieder“, hörte ich mich sagen, meine Stimme klang schwach. „Ist dir schwindlig?“ Ich nickte, schneller als ich denken konnte. Schon wieder gelogen. „Willst du was trinken? Oder vielleicht was essen? Wir haben ja kaum gefrühstückt.“ Essen? Nein, das ging jetzt nicht. Auf einmal war der Druck im Bauch wieder da, die Angst vor dem Brechen, das innere Zittern. Ich schüttelte den Kopf. „Geht gleich wieder, wirklich.“ Meto glaubte mir nicht, machte sich Sorgen, das war ihm deutlich anzusehen. Ich musste mich zusammenreißen, daran denken, was wir jetzt vorhatten, dass wir etwas Wichtiges kaufen wollten und ich mich dafür zu konzentrieren hatte. Wir fuhren mit der Stadtbahn in die Innenstadt, wo wir einen Handyladen zu finden suchten. Diese Stadt war um einiges größer und unübersichtlicher als unsere Heimatstadt und es dauerte ein wenig, bis wir uns halbwegs zurechtgefunden hatten. An einer Straßenecke, in einem Hauseingang, sah ich im Vorbeigehen jemanden sitzen, einen Mann, vielleicht ein paar Jahre älter als ich. Die große Tasche und der zusammengerollte Schlafsack wiesen ihn untrüglich als Obdachlosen aus und ich hatte augenblicklich das Gefühl, in eine Art Spiegel zu blicken. Noch vor ein paar Monaten hätte das auch ich sein können. Ich drehte mich um und trat auf ihn zu, kramte in meiner Jackentasche nach meinem Geldbeutel. Er blickte zu mir hoch und ich sah unsägliche Einsamkeit in seinen Augen. Hatte ich damals genauso ausgesehen, auf dem Stadtfest, als Meto versehentlich mein weniges Geld verstreut und mir dann beim Aufsammeln geholfen hatte? Wahrscheinlich schon. Ich nahm drei Einhundert-Yen-Münzen aus meinem Geldbeutel und legte sie dem Mann in seine vor ihm liegende Mütze. Ob er das Geld für Alkohol und Zigaretten ausgab, war mir egal, ich hatte ja damals mein weniges Geld auch dafür ausgegeben. Er sah mich dankbar an, bedankte sich, und ich hätte mich am liebsten zu ihm gesetzt und ein wenig mit ihm gesprochen. Doch ich ließ es. Stattdessen sagte ich nur: „Bitte. Ich war auch mal so“ und ging weiter. Meto war in einigem Abstand stehen geblieben und fragte mich, als ich wieder neben ihm ging: „Kanntest du ihn?“ „Nein. Aber, weißt du, immer wenn ich so jemanden sehe, fühlt sich das ein bisschen an wie so ein Spiegel, ich sehe dann mich selbst. Deshalb hab ich ihm was gegeben.“ Irgendwie hatte mich diese kurze Begegnung wieder ein wenig zu mir selbst finden lassen. Meine Erfahrung mit den Abgründen des Lebens hatte mich mitfühlend gemacht, und vielleicht sogar zu einem etwas besseren Menschen. Zumindest hoffte ich das. Was ich wusste, war, dass ich nie zu dem geworden wäre, der ich jetzt war, wenn ich mein selbstbezogenes Leben von früher hätte weiterleben können. „Da“, sagte Meto und deutete auf einen kleinen, schick aussehenden Laden, in dessen Schaufenster verschiedene, für mich viel zu teuer aussehende Mobiltelefone, Tablets und Laptops ausgestellt waren. Ich fragte mich, wie lange es wohl dauern würde, bis ich mich wirklich daran gewöhnt haben würde, mir wieder teure Sachen kaufen zu können. Meto drehte sich zu mir um, sah mich fragend an, und ich brauchte einen Augenblick, bis ich verstand, dass er dort drinnen im Laden nicht viel reden würde. Wenn wir so viel zusammen waren wie jetzt und miteinander redeten, vergaß ich manchmal beinahe, dass er Fremden gegenüber immer noch diesen Sprachfehler hatte und dann am liebsten schwieg. Das Problem in diesem Moment war nur, dass ich mich ein wenig unsicher fühlte und es gern gehabt hätte, wenn Meto mich unterstützt hätte. Wir gingen auf den Laden zu, ich sah von draußen schon die Verkäuferin da stehen und auf Kundschaft warten. Ein Handy kaufen, nichts Großartiges, ganz einfach. Und trotzdem hatte ich Angst. Irgendwas in mir war aus dem Gleichgewicht geraten und obwohl es sich eben noch so angefühlt hatte, als hätte ich wieder zu mir selbst gefunden, fürchtete ich jetzt, irgendeinen Fehler zu machen. Dabei hatte der Tag doch so gut angefangen. Ich ging, Meto hinter mir, auf die gläserne Ladentür zu und öffnete sie, was einen elektrisch klingenden Ton auslöste. Sofort sah mich die Verkäuferin an und lächelte automatisch. Sie war noch ziemlich jung, und hübsch, sah aus wie aus der Fernsehwerbung. „Sie wünschen?“, fragte sie und ich konnte nicht erkennen, ob sie mich, mit meinem auffälligen Äußeren, hinter ihrem Lächeln vielleicht irgendwie komisch fand. Irgendwie schaffte ich es, zu funktionieren, mich zu konzentrieren und nach kurzem, unauffälligen Durchatmen zu sagen, was ich wollte: „Ich möchte ein Handy kaufen. Ein Smartphone, aber ein ganz einfaches, muss nicht das Neueste sein.“ ‚Seltsam‘, dachte ich. ‚Wieso fällt mir so was jetzt so schwer?‘ „Mit Vertrag? Oder lieber zum Aufladen?“, fragte die Verkäuferin. Ich versuchte, mich so gut wie möglich an früher zu erinnern, als ich noch stärker gewesen war, mich besser ausgekannt hatte und mir so was wie das hier ganz leicht gefallen war. „Aufladen“, sagte ich. Die junge Frau lächelte wieder und holte dann drei Modelle aus einer Schublade unter dem Tresen. „Das sind die, die wir dafür gerade da haben.“ Die Smartphones waren in durchsichtigen Plastikboxen verpackt, auf denen auch die Preise standen, und ich entschied mich ohne viel Nachdenken für das günstigste Modell, ein ganz schlichtes, schwarzes, viel einfacher als Metos, welches viel bunter und schicker war. Er stand neben mir, sah mich an, seine Augen sagten: ‚Gut gemacht‘ und obwohl das lieb und aufmunternd gemeint war, kam ich mir auf einmal vor wie ein unfähiges Kind. Die Verkäuferin erklärte mir noch ein paar Sachen, die ich bei genauerem Erinnern selbst noch wusste, und informierte mich darüber, dass man die Aufladung sowohl in Banken, als auch in vielen Supermärkten machen konnte. Meto gab mir seinen Geldbeutel und ich bezahlte, wobei mir in dem durchsichtigen Fach des Portmonees ein Foto von mir auffiel, das er irgendwann im Winter gemacht und dann offenbar ausgedruckt hatte. Er hatte ein kleines Herz auf das Bild gemalt, was mich innerlich unheimlich rührte, und ich drückte, als ich ihm den Geldbeutel zurückgab, kurz seine Hand. Als wir wieder aus dem Laden raus waren, sprach ich ihn darauf an: „Du hast ein Foto von mir im Geldbeutel?“ Meto nickte strahlend. „Natürlich. Du bist doch mein Schatz.“ Ich musste lachen. „Dann will ich aber auch eins von dir.“ Heute schienen meine Stimmungen wirklich sehr auf und ab zu fahren, so krass war es eigentlich selten. In einem Moment ging es mir gut, im nächsten bekam ich Angst, dann kamen die Gedanken daran, dass ich offenbar völlig krank war, und dann wieder ging es mir so gut, dass ich mich fragte, wieso ich eigentlich Angst gehabt hatte. Und ich suchte nach einer Erklärung dafür, hoffend, dass es nicht das war, für das ich es hielt. „Und was machen wir jetzt?“, fragte ich. Es war fast Mittag und trotz der Anspannung bekam ich Hunger. Ich wusste, ich musste essen, und es schien auch ein guter Hunger zu sein, ein positiver, der nicht darin enden würde, dass ich zu viel aß. Meto zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht.“ Ich sah mich um, suchte die Einkaufsstraße, in der wir uns befanden, nach einem günstigen Restaurant ab, und da kam mir eine Idee: Eigentlich konnten wir doch jetzt gut zu Koichi ins Café gehen und dort essen. Wenn man schon mal einen besten Freund hatte, der in der Gastronomie arbeitete. Zwar war die Art von Café, wo er arbeitete, nicht so ganz mein Fall, aber ich war ein bisschen neugierig und außerdem wollte ich auch sehen, wo Meto dann, wenn das alles klappte, ja ebenfalls arbeiten würde. „Wir könnten zu Koichi ins Café gehen“, schlug ich vor. „M-hm.“ Mein Liebster schien die Idee gut zu finden, er nickte und griff meine Hand, führte mich durch die Straßen, bis wir die Gegend erreichten, wo sich das Café befand. Schon von außen war deutlich zu erkennen, dass das einer dieser rosapinken Läden war, die ich allein und ohne einen der Mitarbeiter zu kennen, niemals betreten hätte, und dessen Kundschaft wohl vorwiegend jung und weiblich war. Aber zu Koichi passte es und um ihn ging es mir ja, wenn ich hier her kam. Als wir den Laden betraten, schallte uns fröhliche Musik von einer dieser Idol-Gruppen entgegen, von irgendwoher rief jemand „Willkommen zuhause!“ und ich fühlte mich wie eine Art Fremdkörper mit meinen schlichten, dunklen Klamotten und dem finsteren Make-up. Es gab einen kleinen Verkaufstresen, hinter dem sich sichtbar die Küche befand, und dort stand eine junge Frau im Maid-Kleid, die sich in diesem Moment zu uns umdrehte und augenblicklich lächelte. „Meto-chan! Hey, schön dich zu sehen!“, rief sie und winkte, was ganz eindeutig meinem Freund galt. Er lächelte zurück und ich spürte, dass er sich hier wesentlich wohler fühlte als ich. Nach seinen Probetagen hier hatte er mir erzählt, dass es ihm gefallen hatte, und auch, dass er anscheinend recht beliebt bei den Mädchen war. Die im Maid-Kleid kam um den Tresen herum auf uns zu und als sie näher kam, konnte ich ihren Namen auf dem Schildchen an ihrer Schürze sehen: Satchan hieß sie. „Ist das dein Freund, Meto-chan?“, fragte sie. Langsam taute ich auf, sodass ich meinen Arm um Metos Schultern legte und ihn ein wenig an mich zog, um zu zeigen, dass wir zusammen gehörten. Satchan bekam leuchtende Augen, schien sich aber nicht ganz zu trauen, ihrer Begeisterung, die ich auch nicht so ganz verstand, Ausdruck zu verleihen, und fragte mich dann nach meinem Namen. Ich stellte mich kurz vor und fragte dann nach Koichi. „Moment, ich geh ihn holen“, sagte Satchan, strahlte uns noch einmal an und verschwand dann in Richtung der hinteren Räume. Bald darauf kam sie mit Koichi zusammen zurück. Zuerst schien alles ganz normal, wie immer, aber als ich meinen besten Freund genauer ansah, fiel mir auf, dass er müde wirkte, und irgendwie ein bisschen durcheinander. So, als hätte er nachts nicht allzu gut geschlafen. „Hey, ihr Süßen“, sagte er und umarmte erst mich, dann Meto. „Kommt ihr mich besuchen?“ „Wir waren gerade in der Stadt, Handy kaufen, und da dachte ich, wenn wir schon mal unterwegs sind, können wir auch zu dir gehen“, antwortete ich. „Das ist aber lieb von euch.“ Koichi lächelte, das übliche süße Koichi-Lächeln, und deutete auf einen Tisch in einer Ecke des Raumes. „Setzt euch doch da hin. Was wollt ihr denn trinken?“ Ich überlegte einen Moment. Kaffee war zum Mittag wohl nicht das richtige und für etwas Alkoholisches wie Bier war es definitiv noch zu früh. Im Tempel war es üblich gewesen, zum Mittag kalten Tee zu trinken, aber das hatte mir nicht wirklich gut gefallen. Während Meto sich schneller entschieden hatte und einfach eine Cola bestellte, kam ich zu keinem Schluss und fast schon wieder ins Denken. Schließlich beschloss ich, ebenfalls eine Cola zu nehmen, einfach weil mir nichts anderes einfiel. Wir setzten uns an den Tisch und Koichi ging die Cokes holen. Auf einmal war das laute Klirren von zerbrechendem Glas zu hören und ich hörte meinen besten Freund fluchen. „Was ist?“, rief ich. „Mir ist das Glas runtergefallen. Zum Glück war’s noch leer“, antwortete Koichi. „Ich kehr das eben zusammen, dann komm ich wieder zu euch.“ Als er dann mit zwei Gläsern Cola an unseren Tisch kam und sie uns hinstellte, fiel mir auf, dass er seltsam unkonzentriert wirkte. Ich fragte mich, ob er okay war, und kam dann mit den Gedanken auf die Bitte, die ich ihm gestellt hatte, diese eine Sache für mich zu recherchieren. Hatte er dabei vielleicht wirklich herausgefunden, was mit mir los war, und stand deshalb jetzt ein wenig neben sich? Oder war da irgendwas anderes aus seinem Privatleben, etwas, was nichts mit mir zu tun hatte? „Na, Tsu, wie geht’s dir?“, fragte er in diesem Moment. „Okay“, antwortete ich. „Mir geht’s gut.“ „Du, ich hab deine Sache da gesucht. Aber ich hab nicht wirklich was Brauchbares gefunden“, sagte Koichi leise. Sofort sah Meto ihn fragend an und ich erklärte schnell mit abgesenkter Stimme: „Ich hab Koichi gebeten, nachzuschauen, ob mein … Machtding, … ob das ‘nen Namen hat.“ „Tsu …“, sagte Meto leise und sah mich besorgt an. „Wieso willst du so was wissen?“ „Ich will, dass das nicht noch mal vorkommt“, flüsterte ich. „Ko, was hast du denn gefunden?“ „Wie gesagt, nicht viel. Es gibt eine Menge Vermutungen und ratlose Fälle, da war vor allem zu lesen, dass das echt viele, viele Ursachen haben kann. Tsuzuku, ich finde einfach, du solltest dir da nicht so viele Gedanken drum machen. Vielleicht ist das einfach ein Charakterzug von dir, so wie du eben bist, das muss keine Störung sein.“ Beinahe schon lag sie mir auf der Zunge, die Frage, ob er bei diesen Vermutungen auch über das Wort ‚Borderline‘ gestolpert war. Einen Moment lang war ich kurz davor, mein Schweigen zu brechen und zu sagen, was los war, welche große Angst ich hatte und dass dieses Wort mir die Luft zu Atmen nahm. Doch ich konnte es nicht, darüber sprechen. Es ging einfach nicht. Es gab zu viele Dinge, die dann drohten zu zerbrechen. Koichi wechselte das Thema, fragte danach, was wir essen wollten. Meto bestellte ein Omelett und ich nahm, ohne weiter nachzudenken, einfach dasselbe. Und während wir dann darauf warteten, setzte Koichi sich zu uns und fragte nach dem Handy. Ich zeigte es ihm und er meinte, dass es zu mir passte. Und zum ersten Mal hatte ich irgendwie das Gefühl, dass Koichi etwas zu verdrängen versuchte. Irgendwas stimmte bei ihm nicht, er war nicht so offenherzig fröhlich wie sonst. „Kocha?“, sprach ich ihn ohne nachzudenken an, „Hast du gut geschlafen? Du siehst irgendwie … müde aus.“ Er sah mich ertappt an, verwundert darüber, dass mal ich ihn nach seinem Befinden fragte und nicht umgekehrt. „Nein, ehrlich gesagt hab ich … ziemlich schlecht geschlafen. Hab komisches Zeug geträumt und bin mitten in der Nacht aufgewacht.“ Oh, das kam mir bekannt vor. Sehr bekannt. „Hast du das öfter?“, fragte ich. „Nein, eigentlich nicht. Ich weiß auch nicht, was das soll.“ Er wirkte auf einmal sehr nachdenklich und ich dachte zum ersten Mal daran, dass ich ihm bisher in unserer Freundschaft noch so gut wie nichts geholfen hatte, während er doch immer für mich da war. „Koichi, wenn mal irgendwas ist, wenn du mal was hast, dann kannst du auch zu mir kommen“, sagte ich. „Vielleicht kann ich dir auch mal was helfen, nicht immer nur du mir.“ Koichi lächelte, offen und ehrlich. „Danke, Tsu. Bist ein Schatz.“ Dann ging er die Omeletts holen. Beim Essen bekam ich, wie so oft, nicht wirklich viel runter. Etwas schien mir von innen den Hals zuzudrücken und dass ich genau wusste, was es war, machte es nicht besser. Ich wusste, das konnte nicht lange so weiter gehen. Irgendwann würde ich darüber sprechen müssen. Gab es denn nicht irgendeine Möglichkeit, den Schaden, der dabei entstehen würde, so gering wie möglich zu halten? Es ging ja nicht nur um mich, sondern auch um Meto und Koichi, um jeden, der mich kannte, und auch um Mama. Ich wollte das Versprechen, das ich ihr gegeben hatte, auf keinen Fall brechen, doch ich fürchtete, dass genau das passieren würde, wenn ich anfing, über Borderline zu sprechen. Allein, dieses Wort zu denken, löste Druck in mir aus, und dieser Druck war der Anfang. Er war verbunden mit dem Drang, zu erbrechen oder mich zu verletzen, die beiden Dinge, von denen ich unbedingt weg wollte. Ich spürte ein Stechen in der Brust, fuhr unwillkürlich mit der Hand darüber, und das blieb nicht unbemerkt. „Tsuzuku?“ Meto sah mich besorgt an. „Alles okay?“ Ich blinzelte, schluckte und log. „Ja, alles gut.“ Mein Liebster schaute mich eine Weile einfach an, dann sagte er leise: „Heute Abend … versuchen wir’s nochmal.“ Ich brauchte einen Moment, bis ich wieder so weit im Hier und Jetzt war, dass ich wusste, was er meinte. Mein Herz machte einen kleinen Satz vor Freude und ich streckte meine Hand über den Tisch aus, nahm Metos und drückte sie. Sein zufriedenes Lächeln ließ mich verstehen, dass er mich von meinen anscheinend sichtbar dunklen Gedanken ablenken wollte, und da er ziemlich genau wusste, wie mein rettungslos verliebtes Hirn tickte, gelang es ihm auch. Man hätte sagen können, dass ich zurzeit zwischen verzweifelter Angst und verliebter Lust schwankte, das traf es ziemlich genau. Angst davor, unheilbar gestört und krank zu sein, und Lust an meinem Schatz, dem liebsten, süßesten jungen Mann auf der ganzen Welt. Als wir uns von Koichi wieder verabschiedet hatten und das Café verließen, fühlte ich mich einigermaßen ausgeglichen und entspannt. Es war inzwischen halb drei und ich zählte die Stunden bis heute Abend. Jedenfalls so lange, bis mir das Hausgemeinschaftstreffen um sechs wieder einfiel. Aber das verdrängte ich. Der Tag heute war sowieso schon ein erstklassiges Beispiel meiner Stimmungsschwankungen, da musste ich nicht auch noch selbst was dazu beitragen. Zurück in unserer Wohnung blieb, in Ermangelung eines funktionierenden Fernsehprogrammes, nur die Wahl zwischen DVDs und Spielekonsole, wobei wir uns schließlich für ersteres entschieden und einen Actionfilm aus Metos umfangreicher Filmsammlung ansahen. Danach stellten wir zusammen mein Handy ein und Meto gab mir neben seiner eigenen Nummer und Manamis auch gleich die von Koichi. Dann gingen wir noch mal raus, zum Conbini, und ich kaufte die erste Aufladung, bestand darauf, sie selbst zu bezahlen. Es wurde sehr viel schneller sechs Uhr abends, als mir lieb war. Und sobald mir das bewusst wurde, kam die Angst wieder. Die Angst, es zu verbocken, vielleicht die Wohnung wieder zu verlieren oder dass uns die Leute hier das Leben schwer machten. Dass sie mich verurteilten, für mein Äußeres, meine sexuelle Orientierung, meine Vergangenheit. Und auch, dass sie Meto schlecht behandelten. „Komm, Tsu“, sagte Meto, stand auf und hielt mir die Hand hin. „Wir gehen da zusammen hin. Du musst keine Angst haben, ich bin bei dir.“ Ich erhob mich langsam, nahm seine Hand, er zog mich ganz hoch und drückte mir einen kurzen, liebevollen Kuss auf die Lippen. „Wenn die uns rauswerfen wollen, ziehen wir halt zu mir zurück. Meine Eltern hätten da nichts dagegen. Wir sind sicher“, fügte er hinzu, hielt weiter meine Hand und wir gingen so aus der Wohnung in Richtung des Raumes im Keller, von dem wir vermuteten, dass dort das Treffen stattfand. Schon auf der Treppe hörten wir von dort Stimmen reden. Mein Herz klopfte schneller vor Angst und mir wurde zum ersten Mal so richtig klar, dass ich wirklich ein Problem mit Menschen hatte. Wurde mir das nur deshalb so deutlich, weil ich mich jetzt selbst diagnostizierte, oder hätte diese Situation auch normalen, gesunden Menschen Angst gemacht? Ich wusste es nicht, aber dass ich daran dachte, krank zu sein, machte meine Angst schlimmer. Meto bemerkte das irgendwie und drückte meine Hand. Wir waren früh dran, zum Glück, und die Frau von heute Morgen war noch nicht da. Der Raum war relativ groß, mit Fotos von irgendwelchen Feiern an den Wänden und einem großen Tisch mit Stühlen darum. Ich fühlte mich seltsam, hatte einerseits immer noch Angst, doch auf der anderen Seite war ich auch ein bisschen neugierig, wer noch alles hier lebte und wer unsere Nachbarn waren. Schließlich wollte ich die nächsten Jahre hier wohnen, in diesem Haus, da war es doch gut, wenn wir ein bisschen Anschluss fanden. Die Leute, die schon da waren, ein junges Mädchen mit ihrer Mutter und ein älterer Herr, sahen mich und Meto aufmerksam an, als wir uns setzten. Ich grüßte kurz, Meto nickte nur, und ich hoffte, dass wir jetzt nicht schon den ersten Eindruck verbockt hatten. Am liebsten wäre es mir gewesen, wenn wir den Leuten einfach egal gewesen wären. Sie sollten uns in Ruhe in unserer Wohnung leben lassen, egal wie wir waren. Das junge Mädchen lächelte leicht und ich hatte das Gefühl, dass sie mich ein bisschen interessant fand. Vielleicht war sie eine von den Mädchen, die Visual Kei und dergleichen mochten und vielleicht fand sie mein Make-up ja ansprechend. Ich lächelte ein wenig zurück, woraufhin sie sich vorbeugte, mich direkt ansah und dann fragte: „Hey, ihr seid die Neuen im Haus, oder?“ Ich nickte. „Ja.“ „Ich wohne in der Wohnung gegenüber von eurer. Mein Name ist Yamada Akko.“ Ich stellte Meto und mich mit unseren Taufnamen vor und fügte unsere Pseudonyme hinzu. Als Akko Meto fragend ansah, erklärte ich ihr, dass er Probleme mit dem Sprechen hatte, und sie nahm das mit sehr viel mehr Verständnis auf, als ich gedacht hatte. Nach und nach kamen immer mehr Leute, der Raum füllte sich und auch die streng wirkende Frau von heute Morgen war dabei. Sie tuschelte mit einer anderen, jüngeren, die Meto und mich daraufhin abschätzig musterte. Doch es schienen nur diese beiden zu sein, die ein Problem mit uns hatten. Denn als ich die anderen ansah, schienen die uns zwar natürlich als die Neuen zu registrieren, doch in ihren Gesichtern sah ich kaum Ablehnung. Vielleicht waren es ja wirklich nur die beiden, die was gegen uns hatten, und die anderen würden uns ganz normal aufnehmen. Ich hoffte, dass ich mich umsonst verrückt gemacht hatte und alles schon irgendwie gehen würde. Tief durchatmend, versuchte ich, mich zu beruhigen, auch damit ich, falls es Schwierigkeiten gab, richtig reagieren konnte. „Was sagt eigentlich der Hausverwalter dazu?“, hörte ich in dem Moment die eine, jüngere Frau zu der Älteren fragen. „Der scheint ja“, die Ältere warf einen Blick in unsere Richtung, „kein Problem damit zu haben, dass neuerdings jeder hier einziehen darf.“ Ich hatte den Verwalter des Hauses nur einmal gesehen, bei der ersten Besichtigung. Da hatte Koichi aber schon alles ausgehandelt und anscheinend hatte er das irgendwie geregelt. Jedenfalls hatte der Verwalter bei dem Treffen damals kein Wort zum Thema Homosexualität gesagt und uns einwandfrei freundlich behandelt. Ich sah zu Akko, die anscheinend dem Gespräch der beiden Frauen zuhörte, denn sie sah von ihnen zu uns und flüsterte dann über den Tisch zu mir: „Seid ihr zusammen, ihr beiden?“ Ich beschloss, ehrlich zu sein, einfach weil ich nicht anders konnte, und nickte. Akko lächelte. Dann warf sie einen Seitenblick auf die ältere Frau und flüsterte: „Yamaguchi-san stellt sich wegen solcher Sachen immer unheimlich an. Beachte sie nicht weiter, sie spielt sich auf, hat aber im Grunde nichts zu sagen.“ Das Treffen begann kurz darauf damit, dass Frau Yamaguchi aufstand und die, wie sie sagte, Tagesordnung, vorlas. dann wurde darüber gesprochen. Es ging um lauter Kleinigkeiten, Dinge, von denen ich mich nicht angesprochen fühlte. Meto saß stumm und teilnahmslos neben mir, streichelte aber unter dem Tisch meine Hand, und ich spürte, dass er genauso aufgeregt war wie ich. Irgendwann schreckte ich davon auf, dass ich meinen Nachnamen hörte und spürte, wie mich mit einem Mal alle im Raum befindlichen Menschen anstarrten. Ich war froh, einen langärmligen Pullover zu tragen, sodass meine vielen Tätowierungen und das Implantat nicht zu sehen waren. „… und neuerdings haben wir mit ihm und seinem Freund ein homosexuelles Paar in unserem Haus. Ich weiß nicht, wie die Hausverwaltung genau darüber denkt, aber …“, sagte Frau Yamaguchi und sah erwartungsvoll in die Runde, „… ich frage mich, ob das nicht dem Ruf unserer Hausgemeinschaft schadet …“ Das waren die Worte, die ich befürchtet hatte. Dem Ruf schaden. Es tat sehr viel mehr weh, als ich gedacht hatte. Ich fühlte mich verletzt, unter Druck gesetzt, ausgeschlossen. Ich sah Akko mit ihrer Mutter flüstern, hörte die anderen murmeln und wagte nicht, genauer hinzuhören. Meine Hände zitterten und mein Herz raste. Ich stellte mir vor, wie sie uns anwiesen, wieder auszuziehen, nur weil es ihnen nicht passte, dass wir waren, wie wir nun mal waren. Und es kostete mich meine ganze Kraft, nicht aufzuspringen und hinauszurennen, zu verschwinden. „Aoba-san?“, riss mich Akko aus meinen schmerzhaften Gedanken, „Alles okay?“ Verdammt, anscheinend war mir anzusehen, dass ich verletzt war. Ich war einfach überhaupt nicht gut darin, meine Gefühle zu verbergen. Als ich nicht antwortete, wechselte Akko wieder mit ihrer Mutter ein paar Worte, dann standen beide auf, sodass sie Frau Yamaguchi gegenüber standen. „Wir sehen da kein Problem“, sagte Akko laut. „Die beiden sind doch ein Paar wie jedes andere auch.“ „Wo denn bitte? Zwei Männer, dazu noch tätowiert, wo ist das normal?!“, fragte die jüngere Frau, mit der Frau Yamaguchi vorhin gesprochen hatte. Ich spürte ihren abfälligen Blick auf dem Tattoo an meinem Hals, das sich nicht verdecken ließ, und es war das erste Mal seit Mamas Tod, dass ich mich selbst für mein selbstgewähltes Äußeres plötzlich hasste. „Und Sie? Ist das normal, so unhöflich zu neuen Bewohnern eines Hauses zu sein?“, hörte ich Akkos Mutter laut sagen. „Wenn der Verwalter kein Problem damit hat, sollten wir keines daraus machen.“ Ich wusste, entweder würde ich gleich aufspringen und verschwinden, oder ich würde wütend werden, herumschreien, mich aufregen und dann die Tür knallend hinausrennen. In mir baute sich ein unheilvoller Druck auf, der immer weiter stieg, je mehr die Leute über meinen Kopf und den meines Freundes hinweg diskutierten, ob wir nun normal und in Ordnung waren oder nicht. Und irgendwann, da platzte es einfach. Ehe ich mich hätte aufhalten können, stand ich mit einem Ruck auf, hörte meinen Stuhl klappernd nach hinten umfallen, und spürte sofort wieder alle Blicke auf mir. Ich stützte meine Hände auf den Tisch, blickte nach unten, konnte niemanden ansehen. „Lasst uns doch alle einfach in Ruhe!! Ihr habt keine Ahnung! Von gar nichts! Ihr wisst nicht, wie das ist, wenn man von der Straße kommt und dann wieder ein normales Leben will! Ein normales Leben, versteht ihr?! Nein, wahrscheinlich versteht ihr’s nicht! Ich will nichts, gar nichts weiter, als mit meinem Freund in dieser Wohnung zu leben und ein bisschen glücklich zu werden! Nur ein glückliches, normales Leben!!“ Meine Stimme brach zusammen, ich spürte heiße Tränen in meinen Augen, drehte mich um und lief raus, weg, nur weg. Sofort hörte ich Meto aufspringen und mir nachlaufen, weit kam ich nicht, brach auf der Treppe weinend zusammen. „Tsuzuku …“ Meto setzte sich neben mich und zog mich einfach in seine Arme. Er hielt mich, bis ich mich wieder ein wenig beruhigt hatte, dann sagte er leise: „Zumindest haben wir’s klargestellt.“ „Ich hab’s verbockt …“, schluchzte ich. „Jetzt können wir bestimmt gleich wieder ausziehen.“ „Quatsch. Der Verwalter hat gesagt, wir können hier wohnen, also kann uns kein anderer rauswerfen.“ Ich hörte Schritte von unten und einen Moment später kam Akko um die Ecke. Sie sah ziemlich betreten aus, als ob es sie selbst mitnahm, dass ich mich so aufgeregt hatte. „Hey …“, sagte sie. „Tut mir leid, das eben. Die stellen sich halt an, die Leute. Eigentlich ist nur die Yamaguchi so … altmodisch, aber die reißt die anderen immer irgendwie so mit. Ihr müsst euch keine Sorgen machen, da hat der Verwalter das letzte Wort und der ist total okay.“ „… Sie… uns aber… das Leben hier… schwer machen, …oder?“, fragte Meto leise. Akko sah zu Boden und erwiderte, ebenso leise: „Vielleicht. Aber ihr dürft euch von so was nicht unterkriegen lassen. Ihr habt fast alle hier auf eurer Seite, wenn die sich erst mal an euch gewöhnt haben. Den meisten hier müsst ihr einfach nur beweisen, dass ihr eigentlich ein ganz normales Paar seid und keine Schwierigkeiten macht.“ Ich sagte nicht, dass wir das nicht waren, dass ich alles andere als normal war, und dass ich früher dort, wo ich mit Mama gewohnt hatte, öfter mal Schwierigkeiten mit den Nachbarn gehabt hatte. Weil ich irgendwo hoffte, dass ich mich geändert hatte und dass das hier nicht vorkommen würde. „Wollt ihr wieder mit rein, oder geht ihr jetzt in eure Wohnung zurück?“, fragte Akko dann. Meto sah mich fragend an, ich musste einen Moment nachdenken und abwägen, und entschied mich dann dafür, denjenigen Leuten, die sich vielleicht entschuldigen wollten, eine Chance zu geben. Mit einem Ruck stand ich auf und ging die Treppe wieder hinunter. Meto nahm meine Hand, als wir den Raum wieder betraten, und ich versuchte, ganz aufrecht und gefasst zu wirken. Einen Moment lang war es ganz still, diese betretene, unangenehme Stille. „Wir … möchten uns gern entschuldigen“, begann eine etwa vierzig Jahre alte Frau schließlich und sah dabei auch ehrlich betroffen aus. „Selbstverständlich haben wir, wenn der Verwalter entschieden hat, nichts dagegen einzuwenden, dass Sie beide hier leben.“ Ich sah vorsichtig zu Frau Yamaguchi, die ziemlich beleidigt aussah. Da würde noch was nachkommen, das wusste ich, aber ich hatte keine Ahnung, wie ich damit zurechtkommen sollte. „Wir werden uns Mühe geben, nicht schlecht aufzufallen“, sagte ich mit halbwegs fester Stimme zu den anderen. Akko lächelte mich an. „Und falls doch mal irgendwas passieren sollte …“, fügte ich hinzu, „… dann möchte ich mich jetzt schon dafür entschuldigen.“ „Angenommen“, sagte Akko. „Und jetzt noch einen schönen Abend euch beiden.“ Ich verbeugte mich, Meto tat es ebenfalls, dann gingen wir aus dem Raum, die Treppe wieder hoch, zurück in unsere Wohnung. Ich war völlig fertig, doch gleichzeitig so aufgewühlt, dass ich jetzt unmöglich schon schlafen gehen konnte. Und Meto schien ebenfalls noch nicht ans Schlafen gehen zu denken. Stattdessen holte er eine der Tiefkühlpackungen aus dem Eisfach des Kühlschranks, packte sie aus, machte den Backofen an und schob den Inhalt der Packung, zwei Stücke panierten Fisch, hinein. Ich hatte überhaupt keinen Appetit, doch mein knurrender Magen verriet, dass ich sehr wohl hungrig war. Schließlich hatte ich heute nicht mehr als Kaffee, ein bisschen Omelett, Cola und ein paar Kekse beim Film schauen zu mir genommen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass die Besserung meines Essverhaltens in letzter Zeit stagnierte. Ich brach zwar nicht, aber ich aß auch nicht so gut, wie ich sollte und wollte. Ich erinnerte mich daran, wie ich damals auf der kleinen Reise mit Meto zusammen begonnen hatte, mich wirklich mit meiner Essstörung auseinander zu setzen, daran, dass ich richtige Aufbruchsstimmung verspürt und geglaubt hatte, dass es aufwärts ging mit mir. Aber anscheinend war es längst nicht so einfach und dass ich gerade nicht wirklich vorankam, gehörte wohl auch dazu. Während wir darauf warteten, dass der Fisch fertig wurde, holte Meto sich eins seiner Bücher aus dem Wohnzimmer, einen Roman, den ich auch schon mal angelesen, aber nicht die Geduld gehabt hatte, ihn zuende zu lesen. Ab und zu las er mir eine Stelle daraus vor und ich stellte fest, dass die Geschichte, die dort erzählt wurde, Ähnlichkeiten mit unserem Leben hier hatte. Ich hatte meistens nicht die Geduld und Lust, die man zum Lesen brauchte, deshalb kam es selten vor, dass ich selbst ein Buch zur Hand nahm. Ganz im Gegensatz zu meinem Freund, der sich, vielleicht wegen seines Sprachfehlers, gerne mal mit einem Buch in eine ruhige Ecke zurückzog. „Geht die Geschichte gut aus?“, fragte ich irgendwann. „Weiß ich nicht. Ich hab’s noch nie ganz durchgelesen“, antwortete Meto. Als der Fisch fertig war, aßen wir erst einmal und ich schaffte es überraschenderweise sogar, mein Stück ganz aufzuessen. Vielleicht half es, wenn ich mir öfter bewusst machte, dass ich mir ja fest vorgenommen hatte, gesund zu werden und nicht aufzugeben. Ich hatte Mamas Geist versprochen, mir alle Mühe zu geben, glücklich zu werden, und dieses Versprechen war mir heilig, auch, wenn es mir im Moment schwer fiel, es zu halten. Nach dem Essen ging ich ins Bad und schminkte mich ab. Während ich die Kontaktlinsen herausnahm, die leicht verschmierte dunkle Farbe von meinen Augen wegwischte und die Reste des Lippenstiftes entfernte, hatte ich das Gefühl, mich wieder in den Menschen zurück zu verwandeln, der ich heute Morgen, als der Tag so gut angefangen hatte, gewesen war. Eigentlich war heute nicht auffallend viel passiert, doch ich hatte das Gefühl, emotional überdurchschnittlich viel mitgemacht zu haben. Ich kämmte das Haarspray aus meinen Haaren, nahm den Schmuck ab und zog dann den Pullover aus, weil mir irgendwie warm war. Auf einmal stand Meto hinter mir, legte seine Arme um mich und schmiegte sich an meinen Rücken. Seine Hände auf meinem Oberkörper streichelten über den Stoff meines Tanktops, von meinem Bauch über mein Herz zu meiner Brust, wo seine Fingerspitzen, ganz kurz und vorsichtig, meine Nippel berührten. Diese kurze Berührung reichte aus, damit sich meine Atmung ein wenig beschleunigte, und ich seufzte leise. Ich hörte Metos süßes, leises Lachen, fühlte mich fester von ihm umarmt, und dann war da seine warme Hand an meiner Hüfte, die unter mein Top schlüpfte und meine nackte Haut streichelnd berührte, weiterwanderte bis zum Nabel, wo seine Finger mit meinem Piercing spielten. Seine weichen Lippen tasteten über meinen Nacken, während seine Hand unter meinem Top nach oben wanderte, bis zu meinem Herzen, das von dieser liebevollen Behandlung schneller zu klopfen begonnen hatte. „Dein Herz …“, sagte er, seine Stimme klang ganz weich und andächtig. „Weißt du eigentlich, dass es nur für dich schlägt?“, fragte ich, wissend, wie kitschig das klang. Aber das war mir egal, ich sprach einfach das aus, was ich fühlte, und wenn es eben kitschig war. Meto lachte wieder leise, ich drehte mich in seinen Armen zu ihm um und küsste ihn. „Tsuzuku, du bist so süß“, sagte er, legte beide Hände an meine Brust und berührte wieder meine Nippel durch den Stoff, diesmal deutlich machend, welche Absichten er damit hatte. „Darf ich … dich verführen?“ „Du tust es ja schon“, erwiderte ich, denn das, was er mit mir machte, war nichts anderes, als mich langsam und liebevoll zu verführen und heiß zu machen. Meto schob die Hände wieder unter mein Top und zog es mir mit einer einzigen, fließenden Bewegung über den Kopf, sodass ich es nur noch abstreifen und zu Boden fallen lassen musste. Kurz löste er sich von mir, um sein eigenes Oberteil ebenfalls auszuziehen, dann nahm er mich wieder in seine Arme und schmiegte sich an mich, lehnte seinen Kopf an meine Schulter. „Weißt du …“, fragte er leise und seine Lippen streiften meinen Hals, „ …dass ich mich den ganzen Tag darauf gefreut habe?“ Eigentlich sah ich ja mehr mich selbst als jemanden, der so etwas sagte und empfand, aber anscheinend unterschätzte ich meinen Freund da ziemlich und er fühlte genauso wie ich. Es fiel mir seltsamerweise seit einer Weile ein wenig schwer, ihm zu glauben, dass er mich genauso begehrte wie ich ihn. Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Sag’s mir.“ Meto sah mich ganz direkt an, nahm mein Gesicht in seine Hände und atmete einmal tief ein und aus, bevor er sprach: „Ich hab mich den ganzen Tag darauf gefreut, mit dir zu schlafen. Das von heute Morgen, das war so schön, und ich würde es jetzt gern fortsetzen.“ Ein feines, aber deutlich sichtbares Rot breitete sich auf seinen Wangen aus und ich spürte, dass es nicht ganz einfach für ihn war, so offen zu sprechen. Und irgendwie … fand ich das einfach wahnsinnig süß. „Dann verführ mich“, sagte ich, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken. „Mach mich so heiß, dass ich nur noch an dich denke, an nichts anderes mehr.“ Meto ließ mir auch keine Zeit, im Nachhinein über meine Worte nachzudenken. Kaum hatte ich es ausgesprochen, waren da seine Finger an meinen Nippeln, seine Lippen an meinem Hals und seine Hüfte, die gegen meine drückte, wobei ich spürte, dass er schon ziemlich erregt war. Vorsichtig, um mir nicht weh zu tun, spielte er mit den Piercings, was in mir eine erste heiße Lustwelle auslöste und meine Atmung und meinen Herzschlag beschleunigte. Er wusste einfach ganz genau, womit er mich heiß machen konnte, und schien meine Lust auch zu genießen. Ich schloss die Augen und spürte einen Moment später, wie Metos warmen Hände an mir herunter wanderten, bis zum Verschluss meiner Jeans, und diesen öffneten. Seine rechte Hand tauchte unter den Stoff in meine Shorts, berührte mein sich schon langsam härtendes Glied und begann, es zu streicheln, während er seine linke hinten in meine Hose schob und mich dort berührte. Ich konnte nicht anders, als schon leise zu stöhnen, zu gut fühlte sich das an, was er mit mir machte. Dass er offenbar Lust daran fand, die Initiative zu ergreifen, machte mich zusätzlich an und es gab mir Sicherheit, zu spüren, dass er mein Verlangen teilte und es nicht als bedrängend empfand. „Komm, lass dich fallen, Tsu“, sprach Meto leise. „Du musst dir keine Sorgen machen. Es ist alles gut. Tu einfach das, wonach dir ist.“ „Was, wenn es wieder so endet wie vorgestern?“, fragte ich mit leiser Angst in der Stimme. „Das wird es nicht. Ich bin nämlich so heiß auf dich, dass ich komplett entspannt bin.“ Mit diesen Worten ließ er seine Hand von meinem Hintern wieder nach oben und nach vorn wandern und berührte wiederum meine Nippel, diesmal jedoch um einiges mutiger und gezielter. Seine Finger spielten mit dem körperwarmen Metallring und als er schließlich daran zupfte, stöhnte ich laut auf und drängte mein Becken seiner noch immer in meiner Hose befindlichen Hand entgegen. Ich spürte süßesten, erregenden Schmerz an meinen Brustwarzen, ein mich wahnsinnig anmachendes Gefühl, das ich so wohl nur wegen der Piercings empfand. „Darf ich … dich was fragen?“, fragte Meto, streichelte mich dabei weiter. „Ja … klar.“ „Bist du wegen der Piercings da so empfindlich oder bist du deshalb da gepierct, weil du so sensibel bist?“ Ich lachte leise auf. Meto war nicht die erste Person, die mir diese Frage stellte. Eine meiner Freundinnen früher hatte, nachdem ich meine Brustwarzen hatte piercen lassen, genau dasselbe gefragt. „Irgendwie beides“, antwortete ich. „Ich steh da schon immer drauf, aber seit ich die Piercings habe, ist das noch intensiver geworden.“ Meto lächelte, seine Hand in meinem Schritt griff ein wenig fester zu und die andere an meiner Brust rieb mit dem Daumen ganz gezielt über besagte erogene Knospen. Ich stöhnte wiederum, senkte dann leicht den Kopf, küsste seine Schulter, dort, wo das bunte Tattoo endete, legte meinen Arm um seine Taille und zog ihn an mich, was ihn leise seufzen ließ. Wären wir jetzt schon im Schlafzimmer gewesen, hätte ich mich augenblicklich auf ihn gestürzt, doch so musste ich mich noch darauf beschränken, ihn nur anzufassen und von ihm angefasst zu werden. Doch Meto gedachte das offenbar zu ändern. „Ins Bett?“, fragte er und griff meine Hand. Ich nickte, lächelte. „Ist sicher gemütlicher.“ Mein Liebster lachte leise, dann führte er mich über den Flur ins Schlafzimmer, wo er sich aufs Bett setzte und mich zu sich zog. Er ließ meine Hand los, legte beide Hände an meine Hüfte und schob meine Hose runter, mir deutlich zu verstehen gebend, was er wollte. Und ich ließ es ihm, überließ ihm dieses Mal die Führung, auch weil ich mich nach dem, was letztes Mal passiert war, doch nicht so recht an meine eigene Lust und diesen Machtwunsch herantraute. Das hier sollte nicht so enden und ich gab mir alle Mühe, mich zurückzuhalten. Ganz ausgezogen, legte ich mich schließlich aufs Bett und glaubte zuerst, dass Meto sich einfach ebenfalls ausziehen, neben mich legen, und mich weiter anfassen würde. Doch er schien andere Pläne zu haben, denn er setzte sich, nachdem er sich ausgezogen hatte, wieder auf die Bettkante und sah mich erwartungsvoll an. „Jetzt du“, sagte er schließlich. „Ich hab dich verwöhnt, jetzt du mich.“ Und da war sie wieder, meine Unsicherheit. Auf einmal hatte ich wieder Angst, dass meine Leidenschaft zu stark und meine Selbstkontrolle zu schwach war. „Ich weiß nicht, ob ich … ob ich mich genug unter Kontrolle habe, um dich nicht zu überfallen.“ „Ach Tsu …“ Meto drehte sich ganz zu mir um und kam dann über das Bett auf mich zu gekrabbelt. Er kniete sich über meinen Bauch, drückte mich an den Schultern ins Kissen, sah mir in die Augen und sprach: „Warum geht das nicht in deinen Kopf rein, dass ich das will? Oder, besser gesagt, warum hast du dir das selbst ausgeredet? Vor dem Winter warst du da anders.“ „Wie … meinst du das?“ Ich drehte den Kopf zur Seite, wich seinem Blick aus. Meto beugte sich vor, berührte mich am Kinn und drückte dort sanft aber bestimmt, bis ich ihn wieder ansehen musste. „Erinnerst du dich noch, als wir im Love-Hotel waren? Was du da gemacht hast?“ „Ja.“ Natürlich erinnerte ich mich daran. Damals hatte ich mir absolut keine Gedanken darum gemacht, ob ich Meto mit meiner Lust bedrängte oder nicht. Und mein Verhalten hatte sich seitdem eigentlich kaum verändert. Nur dachte ich jetzt anders über mich. Dass er mich jetzt so bestimmend behandelte, machte mich irgendwie an, doch ich wagte nicht, das zu zeigen. Doch anscheinend bemerkte er es irgendwie. „Weißt du, genau das meine ich. Seit vorgestern Abend scheinst du dich nicht mehr so recht zu trauen, mich richtig anzufassen. Du weißt doch eigentlich, dass ich drauf stehe, also, warum hast du Angst? Nur, weil es einmal schief gegangen ist?“ Ich konnte nicht antworten. Denn die Antwort wäre gewesen: ‚Ich hab Angst, dass ich mich nicht unter Kontrolle habe, dir wehtue und mir selbst endgültig beweise, dass ich völlig gestört bin. Mangelnde Selbstkontrolle ist anscheinend noch ein Anzeichen für Borderline.‘ Als ich nicht antwortete, stand Meto wieder auf, stieg vom Bett und holte Dinge aus meiner Nachttischschublade, legte die dann aufs Bett: Das schwarze Tuch, die Gleitmitteltube und die Schachtel mit den Kondomen. Musste er noch deutlicher werden? Nein, eigentlich nicht. Ich wusste, was er wollte, und ich wollte es ja auch. Sehr sogar. Mein ganzer Körper schrie geradezu danach, mein Herz sehnte sich nach der vollkommenen Nähe meines Liebsten, doch etwas in meinem Kopf sagte Nein. In einem Versuch, dieses Etwas zu überwinden, richtete ich mich auf, griff nach Metos Hand und zog ihn zu mir. „Hilf mir. Ich glaube, ich denke einfach zu viel. Verführ mich, mach mich so geil, dass ich nicht mehr denken kann!“ Meto lächelte, küsste mich und antwortete: „Sehr gern. Aber nur, wenn du dasselbe mit mir machst.“ Er legte sich neben mich und zog mich in seine Arme. Sein nackter Körper an meinem, seine Hände auf meiner Haut und seine Lippen, die immer wieder meine streiften, all das fühlte sich so gut an, dass meine Selbstkontrolle, mein Versuch zu beweisen, dass ich nicht gestört war, schmolz wie Schnee in der Sonne, und aufgestauter, heftiger Lust wich. Seltsam, so viel konnte sich da doch eigentlich in zwei Tagen gar nicht aufgestaut haben. Egal. Ich drückte mich an Metos heißen Körper, barg mein Gesicht an seinem Hals, wo ich erst seinen Duft einatmete und dann an seiner Haut saugte, während meine Hände über seine Brust tasteten, bis sie seine noch weichen Nippel gefunden hatten, diese drückten und rieben und ihm so ein lautes Stöhnen entlockten. Überglücklich, dass ich meine Leidenschaft scheinbar bedingungslos wiederhatte, richtete ich mich halb auf, drückte Meto ins Kissen und machte mich mit dem Mund über seine Brust her, schmeckte die süße, zarte Haut seiner Brustwarzen und spürte, wie sie sich unter meinen Lippen härteten. Zu spüren, wie er sich unter mir wand und meine Lust genoss, erregte mich noch mehr. Und als ich mich wieder aufrichtete und ihn ansah, wie er da vor mir lag, die Augen geschlossen, die vollen, weichen Lippen leicht geöffnet, mit diesem absolut süßen Rotschimmer auf den Wangen, lustgeröteten Nippeln, zuckender Bauchdecke und seinem bereits voll erigierten Glied, aus dessen ebenfalls geröteter Spitze schon der Lusttropfen austrat, da wäre von diesem Anblick am liebsten schon gekommen. Anscheinend hatte er sich sehr danach gesehnt, es wieder mit mir zu tun, wenn er jetzt schon so erregt war. Innerlich lachte ich mich aus und nannte mich selbst einen Idioten, weil ich Meto, meinem festen Freund, der offenbar ebenso geil auf mich war, wie ich auf ihn, nicht zugetraut hatte, mich derartig zu begehren. „Tsu…“, stöhnte er und hob sein Becken leicht an, gab mir deutlich zu verstehen, was er wollte. Ich kniete mich über seine Oberschenkel, er setzte sich auf und ich umfasste seine harte, heiße Erregung, was er mir augenblicklich nachmachte, mit dem Daumen meine Vorhaut zurückzog und über meine Eichel rieb. Laut aufstöhnend, drängte ich meine Körpermitte seiner Hand entgegen, spürte einen heißen Schwindel im Kopf und brauchte einen Moment, bis ich mich wieder soweit beisammen hatte, dass ich für ihn dasselbe tun konnte. Eine Weile ging das so weiter, wir heizten uns gegenseitig immer mehr auf, doch auf einmal hielt Meto inne und schob meine Hand von sich weg. „Wenn … du so … weiter machst, … komm ich gleich …“, keuchte er und ließ sich auf den Rücken sinken. „Und was … möchtest du jetzt …?“, fragte ich, in meinem Kopf herrschte immer noch dieser hocherregte Schwindel und ich konnte tatsächlich nicht mehr wirklich denken. Ich fühlte mich wahnsinnig gut und alles, was heute gewesen war, schien ganz weit weg, unwichtig in diesem Moment, in dem es nur Meto, mich, unsere Liebe und unsere Lust aneinander gab. Meto sah mich an, seine Augen schimmerten und seine vollen, gepiercten Lippen verzogen sich zu einem absolut süßen Lächeln. Er bewegte ein wenig seine Beine, um mir zu bedeuten, dass ich von ihnen runtergehen sollte, was ich sofort tat. Augenblicklich spreizte er die Beine, winkelte sie an und hob sein Becken so an, dass ich genau wusste, was er jetzt wollte. Ich kniete mich dazwischen, griff nach der Gleitmitteltube, öffnete sie und tat mir etwas von ihrem Inhalt auf die Finger. Tastete nach seinem Eingang, schob meinen Finger vorsichtig hinein und berührte sein Inneres. Er hatte Recht gehabt, als er gesagt hatte, dass er vollkommen entspannt war, es ging ganz leicht und ich fand schnell die Stelle in ihm, die ihn vor Lust aufschreien ließ. Und auch, als ich langsam dazu überging, ihn zu dehnen, blieb er so, da war keine Spur von Anspannung zu bemerken, stattdessen stöhnte er lauter. Vielleicht war die Verspannung von vorgestern Abend etwas gewesen, das nur ab und zu vorkam. Möglicherweise war Meto wegen des Umzuges noch zu aufgeregt gewesen oder hatte sonst irgendwas gehabt, was nichts mit mir zu tun hatte. In diesem Moment konnte ich das wirklich glauben und einfach genießen, dass es wieder klappte mit uns, dass ich gleich in ihn eindringen und ihm damit nur Lust schenken würde, keinen Schmerz. Mein Blick wanderte über seinen nackten, bebenden Körper, den ich so absolut wunderschön fand, bis zu seinem Gesicht, auf das sich in diesem Moment Lust und beginnende Ekstase malten. Doch etwas fehlte da noch, etwas für meinen eigenen Genuss: Die Augenbinde. „Meto?“, fragte ich, „Magst du dir die Augen selbst verbinden? Ich hab nur eine Hand frei.“ Er hob den Kopf, sah mich an und sagte, wieder mit diesem feinen, süßen Rotschimmer auf den Wangen: „Heute … will ich dich lieber sehen.“ Irgendwie fühlte sich das fast noch besser an, als wenn ich meinen Willen bekommen hätte. Der Gedanke, ihm in die Augen zu sehen, wenn ich in ihn eindrang, machte mich unheimlich an und ich umfasste wieder seine Erregung, um sie zu massieren und so seine und meine Lust weiter zu steigern. Mein Liebster stöhnte laut, drängte sich mir entgegen, schrie, als ich mit dem Finger in ihm wieder über diese heiße Stelle in seinem Innern strich und ihn weiter dehnte, und ich sah zu, wie er begann, sich selbst zu streicheln, seine eigenen Nippel drückte und seine Hand dann abwärts wandern ließ, bis sie die meine an seinem lustzuckenden Glied berührte. Irgendwie löste diese Berührung unserer Hände bei mir wildes Herzklopfen aus und ich spürte, wie meine eigene Körpermitte heißer und heißer wurde, sodass ich mich kaum noch zurückhalten konnte. „Tsu…zuku …! Jetzt mach! Nimm mich …!“ Ich lächelte anzüglich, sah ihm einmal tief in die Augen und fragte, leicht keuchend: „Willst du … mich in dir haben …?“ Metos Antwort war ein tiefes, eindeutiges Stöhnen. Beinahe hätte ich das Kondom vergessen, im letzten Moment dachte ich noch daran und beeilte mich damit. Ich nahm noch etwas Gleitmittel dazu, dachte, soweit mein hocherregt liebeskrankes Hirn dazu imstande war, daran, dass ich dieses Mal so lieb und vorsichtig wie möglich mit Meto sein wollte, dann zog ich sein Becken auf meine Oberschenkel und schob mich langsam in ihn. Sein glühheißes Inneres nahm mein Glied ganz leicht auf, er schrie nicht auf, sondern stöhnte ekstatisch, und ich fühlte mich vollkommen gut und sicher. Mein Herz bebte vor Liebe und Erregung, hämmerte gegen meine Rippen, und ich legte, die Augen schließend, den Kopf in den Nacken, um auf dieses wahnsinnig schöne Gefühl irgendwie klarzukommen. Meine Augen fühlten sich seltsam heiß an, wie von Tränen, und ich verharrte einen Moment so, um sicher zu gehen, dass ich jetzt nicht vor Rührung zu weinen anfing. Als ich mich wieder halbwegs gefangen hatte, beugte ich mich vor, stützte meine Hände links und rechts auf und sprach meinen Liebsten leise an: „Meto?“ Er hob den Kopf, stützte sich auf seine Unterarme, sodass sein Gesicht meinem näher kam und ich ihn küssen konnte. Er öffnete die Lippen und ließ mich ein, seine Zunge spielte mit meiner, fuhr in den Spalt und tauchte dann in meinen Mund, machte mir noch einmal deutlich, dass er mich genauso begehrte wie ich ihn. Einen Moment lang blieben wir so, dann löste ich den Kuss und sah Meto fest in die Augen. Diese wunderschönen, dunkelbraunen Augen, in denen ich hätte versinken können. Ich konnte nicht anders, als ihn wieder zu küssen. „Wir sind eins“, flüsterte ich rau gegen seine Lippen und leckte zärtlich darüber. „Ich liebe dich.“ „Ich dich auch. Sehr …“, antwortete er. „Und jetzt … beweg dich bitte.“ Eine Aufforderung, der ich nur allzu gern nachkam. Meto ließ sich wieder ganz auf den Rücken sinken, krallte die Hände in die Matratze und drängte seinen Körper mir entgegen, wodurch ich mit einem Mal ganz tief in ihm war und fast schon automatisch leicht in ihn stieß. Sofort hielt ich inne. ‚Bewegen‘ hatte er gesagt, nicht ‚stoßen‘. Ich versuchte, mich einerseits zu kontrollieren, um ihm nicht weh zu tun, und andererseits seiner Bitte nachzukommen, ihm wahnsinnige Lust zu bereiten und ihn meine Leidenschaft spüren zu lassen. Der Grat dazwischen war schmal und mein Körper bewegte sich wie von selbst, ließ sich kaum beherrschen. ‚Sanft sein‘, dachte ich, ‚Du willst dir doch nicht nachher wieder Vorwürfe machen. Sei so sanft, lieb und vorsichtig, wie du nur kannst.‘ Und so bewegte ich mich langsamer, genoss jede Sekunde, jede Reaktion meines Liebsten und das überwältigende Gefühl, eins mit ihm zu sein. Ihm schien das sehr zu gefallen, er stöhnte, flüsterte meinen Namen, sah mich ab und zu an und lächelte leicht, bevor er wieder stöhnte und den Kopf zur Seite warf. Eine seiner Hände löste sich wieder von der Matratze, suchte nach meiner und hielt sie fest. Und wieder löste das in mir starkes Herzklopfen aus. „Du … musst nicht … so vorsichtig sein …“, flüsterte er, klang so, als ob die Sprache ihm gleich den Dienst versagen würde. „Halt dich … nicht zurück, … ich halte das … schon aus …“ „Bist du ganz sicher …?“, fragte ich atemlos. Statt einer verbalen Antwort drängte Meto sich mir wieder entgegen, heftig, mit einem Verlangen, dass ich so von ihm kaum kannte (was auch immer mich dazu brachte, ihn da zu unterschätzen …). Und mehr als das brauchte es nicht, um meine Selbstkontrolle wieder einmal aufzulösen, meine Lust zu entfesseln und mich vollkommen verrückt zu machen. Tief einatmend, zog ich mich ein Stück weit aus ihm zurück, verharrte einen Moment so und stieß dann in ihn, wobei mir einen Augenblick lang das Gefühl für oben und unten abhandenkam. Sofort verlangte es mich nach mehr, immer mehr, so sehr, dass ich mein eigenes heftiges Stöhnen nur am Rande mitbekam, während ich wieder und wieder zustieß. Ich hörte ihn aufschreien, doch es klang so viel mehr nach Lust, denn nach Schmerz, und aufhalten konnte mich jetzt sowieso nichts mehr. Meine Selbstkontrolle, ohnehin ja nicht besonders stark, hatte sich binnen Sekunden in Nichts aufgelöst, und darunter spürte ich Gefühle hochkommen, die ich eigentlich einzusperren versucht hatte. Da war dieses Machtgefühl, das erhebende Wissen, dass Meto jetzt zur mir gehörte, dass niemand mehr versuchte, ihn mir wegzunehmen. Dass er es mochte, wenn ich ihn meine Lust so deutlich spüren ließ, und dass mich das wahnsinnig geil machte. Und ein dunkles Verlangen danach, ihn zu erobern, mir zu eigen zu machen und ihm mein Siegel aufzudrücken. Ob das krank war, oder nicht, war mir in diesem Moment vollkommen egal, ich konnte nur noch, wenn man das denn überhaupt ‚denken‘ nennen konnte, daran denken, dass ich es wollte und dass ich absolut wahnsinnig, intensiv und besessen verliebt war. Der Höhepunkt kam schneller, als es mir gefallen hätte, war kurz und heftig, ich spürte nichts als reine Lust und Hitze und verlor für einen kurzen Moment vollkommen die Kontrolle über mich. Als sich mein Bewusstsein wieder zum Dienst meldete, lag ich vornübergebeugt auf Metos Körper und spürte seine Hand zwischen uns, er fasste sich selbst an, und erst, als er einen Moment später erbebte und gegen meinen Bauch kam, spürte ich, dass ich noch in ihm war. Langsam und leicht zitternd, richtete ich mich wieder auf und zog mich vorsichtig aus ihm zurück, schob ihn dann, ebenso vorsichtig, sanft von mir und ließ mich, immer noch schwer atmend, neben ihn sinken, blickte hoch an die weiße Decke, eine ganze Weile blieben wir so liegen. Langsam beruhigten sich meine Atmung und mein Herzschlag, ich kam wieder zu klarem Bewusstsein und damit kehrten auch die Gedanken und leisen Zweifel zurück. Ich selbst fühlte mich wahnsinnig gut, aber ob es Meto genauso ging, wusste ich nicht. Hoffentlich war ich am Schluss nicht doch zu heftig gewesen. Ich hatte so versucht, mich zu beherrschen, doch gegen diese beinahe schon wahnsinnige Lust war meine Selbstbeherrschung machtlos, zu gut, zu geil fühlte es sich an. „Tsu … das war so schön …“, brach Meto schließlich die Stille, ich spürte seine Hand streichelnd an meinem Arm. Ich wandte mich ihm zu, sah ihn an, hob die Hand und strich ihm die verschwitzten türkisblauen Haarsträhnen aus der Stirn. „War’s dir auch nicht zu heftig am Ende?“ Er schüttelte den Kopf und lächelte. „Nein, das war schön. Genau das, was ich wollte.“ Wieder fragte ich mich, wie ich so jemand Süßes wie ihn eigentlich verdient hatte. Wie konnte es sein, dass er so perfekt zu mir passte und mich Gestörten so sehr liebte? Mein Herz zitterte vor Liebe und den Nachwellen dessen, was wir gerade getan hatten, und auf einmal war mir nach Weinen zumute. Ich rückte noch etwas näher zu ihm, nahm ihn in meine Arme und flüsterte mit zitternder Stimme: „Ich liebe dich, Meto. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr.“ Er schmiegte sich an mich, ganz süß und lieb, und ich fügte noch leiser hinzu: „Und wenn ich vielleicht mal ganz furchtbar zu dir bin, dann vergiss bitte nicht, dass du alles für mich bist. Du bist mein Leben.“ Meto lächelte, seine Hand streichelte meine Seite. „Das vergesse ich bestimmt nicht. Ich lieb dich doch auch.“ Und wieder war da so ein Moment, in dem ich über meine Angst und meine dunklen Gedanken hätte sprechen können. Ein paar Sekunden lang fühlte ich mich danach, alles auszupacken und zu sagen, was in mir los war. Doch ich ließ den Moment ungenutzt verstreichen, hatte das Gefühl, dass es nicht der richtige dafür war. Auch, wenn ich nicht wusste, wann denn dann der passende Augenblick war, um darüber zu sprechen, dass ich mich für völlig gestört hielt und Angst hatte, dass es schlimmer werden würde. Meto zog mich eng an sich, seine Lippen streiften meine noch schweißfeuchte Haut, und er sagte ganz leise etwas, das wie „Du bist so schön warm, Tsu“ klang. Seine Stimme hörte sich schon ganz müde an, was angesichts dessen, was wir getan hatten, ja kein Wunder war, und bald darauf hörte ich seine gleichmäßigen, schlafenden Atemzüge. Ich stand auf, warf das Kondom in den Mülleimer, griff dann nach der Taschentücher-Box auf meinem Nachttisch, zog ein paar heraus und befreite damit Meto und mich von den Spuren unserer Leidenschaft. Dann zog ich die Bettdecke hoch, kroch darunter, deckte uns beide zu und blieb noch eine Weile wach liegen, hielt ihn im Arm, während sich in meinem Kopf die Gedanken drehten. Irgendwann würde ich nicht mehr darüber schweigen können, das wusste ich, aber ich hatte Angst, damit dann alles kaputt zu machen. Doch andererseits … würde denn nicht auch dann alles zerbrechen, wenn ich weiter schwieg und mein Leid verheimlichte? Je mehr es sich in meinem Kopf drehte, umso mehr furchtbare Gedanken kamen dazu. Nicht nur, dass ich möglicherweise mein Versprechen an Mama brechen würde, sondern auch, ob Meto denn überhaupt mit jemandem zusammen sein wollen würde, dessen Seele und Persönlichkeit den Stempel ‚Borderline‘ trug. Augenblicklich sprangen mir Tränen in die Augen, heftigste Verzweiflung durchfuhr mich und ich drückte mich enger an meinen tief und fest schlafenden Freund, hoffend, dass seine Nähe diesen unerträglichen Gedanken irgendwie vertreiben konnte. Ich konnte ihm doch vertrauen, oder? Er würde mich nicht allein lassen, liebte mich doch so, wie ich war … oder nicht? Schließlich konnte ich seine Gedanken nicht lesen, wusste nur durch seine Worte und das, was er tat, wie er mich sah. Als ich die ersten schweren Schluchzer spürte, löste ich mich von ihm, um ihn nicht zu wecken, drehte mich auf die andere Seite und vergrub mein Gesicht im Kissen. Schlang meine Arme um meinen Körper, mein Herz tat weh vor Angst, und weinte mich in den Schlaf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)