Der goldene Käfig von MinaSweven ================================================================================ Kapitel 2: Trauerspiel ---------------------- In dem riesigen Gemach war alles still, bis auf das leise Ticken der Uhr, das man erst bei genauem Hinhören vernahm. Der Rhythmus, mit dem der Zeiger von einem kleinen Strich zum nächsten wanderte, war gleichmäßig und wirkte beruhigend. Eine Sekunde, eine Minute und sogar eine Stunde vergingen, bis sich Mina, die zuvor lange Zeit am Fenster gesessen hatte und ihren nachdenklichen Blick in die pechschwarze Nacht richtete, rührte. Sie zuckte bei dem lauten Gong der alten Standuhr zusammen, der mit einem dumpfen Echo durch den Raum hallte, und erschrak, als sie bemerkte, wie spät es mittlerweile geworden war. Sie war so sehr in ihre Gedanken vertieft gewesen, dass sie die Zeit völlig vergessen hatte. Nun war es Mitternacht und der kühle Wind, der durch das offene Fenster zog, übermannte ihren weiblichen Körper mit einem eisigen Schauer, woraufhin sie mit ihren Händen an ihren Armen rieb, um sich zu wärmen. Dann schloss sie schnell das Fenster und drehte sich in Richtung des Bettes. Mit leichten Schritten ging sie darauf zu und legte sich hin. Ihre geheimnisvollen grünen Augen starrten an die Zimmerdecke, doch da die einzige Lichtquelle der trübe Schein des Mondes war, der von dunklen Wolken bedeckt wurde, war es selbst als Vampir schwer, etwas zu erkennen. Sichtwechsel – Mina: Es war Mitte Herbst, die Blätter fielen allmählich zu Boden und schon bald würde die Welt von sanft fallenden, weißen Kristallen geküsst werden, die sie nach und nach in eine glanzvolle weiche Decke hüllt. Jedes Jahr betrachtete ich den ansehnlichen Tanz der Schneeflocken und so zog es mich immer wieder in den selben zauberhaften Bann. Doch so schön dieses Schauspiel anzusehen war, ließ es mich deutlich die eisige Kälte spüren und veranlasste mich dazu, mich noch stärker nach der Wärme zu sehnen, die mir vor langer Zeit genommen wurde. Ich schloss meine Augen und konzentrierte mich auf den Wind, der draußen durch die Bäume jagte und dadurch die Blätter durch die Luft wirbeln ließ. Es war eine stürmische Nacht. Ich verweilte einen Augenblick in dieser Position, richtete mich dann wieder auf und ließ meinen Blick zur Tür wandern. Obwohl diese nicht verschlossen war, hielt sie mich hier gefangen. Wenn mich das Senatsoberhaupt Ichio zu sich rief, war dies die einzige Möglichkeit den Käfig zu verlassen, denn nur dann war es erlaubt, mich außerhalb des Raumes aufzuhalten. Sobald ich aus dem Raum trat, hafteten die Blicke der Senatsmitglieder auf mir, da sie den Auftrag hatten mich zu überwachen. Es machte somit keinen Unterschied, ob ich mich nun in oder außerhalb des Raumes aufhielt, ich wurde Tag und Nacht überwacht. Das einzige was sie nicht überwachen konnten, waren meine Gedanken, denn diese gehörten ganz allein mir. Unweigerlich erinnerte ich mich an die Albträume, die mich seit dem schrecklichen Ereignis von damals verfolgten. An diesen Tagen schlief ich sehr unruhig und wachte letztendlich schweißgebadet auf. Benommen und zitternd saß ich dann im Bett und konnte nicht verhindern, dass mir die Tränen in die Augen schossen. Es handelte immer wieder von dem Tag, an dem ich den schrecklichen Anblick meiner Mutter zu Gesicht bekam, wie sie blutüberstörmt vor mir lag, der blutbefleckte Vampir neben ihr. In mir stiegen dieselben Gefühle wie damals hoch und mein Körper erstarrte. Der verzweifelte Versuch mich zu bewegen, erfasste mich auch dieses Mal und vor meinen Augen spielte sich das grausame Ereignis von vorne ab. Bis zu ihrem letzten Atemzug hatte sie mich mit ihren blauen besorgten Augen angeschaut, als wolle sie mich um Verzeihung bitten, dass sie von nun an nicht mehr an meiner Seite sein konnte... Ich sank bestürzt meinen Kopf und versuchte diesen Gedanken so schnell wie möglich zu verbannen, doch es gelang mir nicht. Die Trauer verwandelte sich in eine ungeheure Wut, die in mir hochstieg, woraufhin ich meine Hände fest in die Bettdecke krallte. Mein Herz hämmerte heftig gegen meine Brust, beinahe bekam ich keine Luft und mein zuvor so kalter Körper wurde schlagartig von einer heißen Welle erfasst, die ihn von Kopf bis Fuß glühen ließ. Meine Hand fasste an die Stelle, wo sich mein Herz befand und ich richtete meinen Blick entschlossen nach vorne. Ich schwor mir, herauszufinden wer diese grausame Tat begangen hatte! Vor Wut hatten meine Augen eine rötliche Farbe angenommen, was ich deutlich spüren konnte, allerdings war das nicht der einzige Grund. Ich bemerkte, wie trocken mein Hals wurde und unersättlich nach Blut dürstete. Es war, als ob sich eine Schlinge um meinen Hals gelegt hätte, die sich immer fester zu zog. Mit meinen Fingern umschlung ich meinen Hals, konnte spüren wie die Halsschlagader unangenehm pochte, und wie meine Atmung lauter und unregelmäßiger wurde. Ich schämte mich für das Verlangen nach Blut, denn schließlich war meine Mutter ein Mensch gewesen und trotzdessen war es genau dieses Blut, das ich tief in mir unglaublich begehrte. Schnell griff ich zu der kleinen Schachtel, die auf dem Nachttisch lag, öffnete sie und entnahm eine kleine weiße Tablette. Diese sogenannten Bluttabletten, die das Verlangen nach menschlichem Blut unterbinden sollen, hatte der Senat vor einiger Zeit anerkannt. Den Geschmack konnte man jedoch keineswegs mit richtigem Blut vergleichen, denn es schmeckte schlichtweg fade, doch die Hauptsache war, dass sie ihren Zweck erfüllten. Ich ließ die Tablette in ein Glas fallen und füllte es mit Wasser, sodass sich die Flüssigkeit darin rot färbte. Dann setzte ich das Glas an meinen Mund an und nahm einen großen Schluck, spürte dabei die wohltuende Wirkung, die die Gier stillte und das unangenehme Gefühl besänftigte. Ich sank zu Boden und wartete einen Augenblick, bis auch meine Augen wieder ihre grüne Farbe angenommen hatten. Die Erschöpfung, die sich langsam in meinem Körper ausbreitete, ließ mich aufstöhnen. Es war nicht das erste Mal, dass ich so reagiert hatte und wusste deshalb genau was ich tun konnte, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Ich stützte meine Hände am Boden ab und richtete mich auf. Meine Beine zitterten noch immer und ich fühlte mich schwach. Bevor ich zur Tür ging, atmete ich ein letztes Mal tief ein und fasste an das silberne Medaillon, in dem ich das Bild meiner Mutter hütete. Vorsichtig öffnete ich die Tür und blickte durch den kleinen Spalt, um nachzusehen, ob sich Vampire in der Nähe befanden. Da ich niemanden sah, setze ich meinen Fuß leise nach draußen und schlich hindurch. Anschließend drehte ich mich um, drückte die Türklinke mit leichten Kraftaufwand nach unten und schloss sie so unbemerkt. Noch einmal ließ ich meinen Blick nach vorne schweifen. Vor mir lag ein schier endlos langer Gang, der ausschließlich durch einige Kerzen, die an der Wand angebracht waren, beleuchtet wurde. Mit leichten, auf Zehenspitzen gehenden, Schritten ging ich auf das goldene Geländer, das am Ende des Ganges zu erkennen war, zu und hoffte dabei inständig nicht bemerkt zu werden. Denn sollte dieser Fall eintreffen, würden sie mich umgehend zurück auf mein Zimmer schicken. Während ich Schritt für Schritt voranging, schlug mein Herz unglaublich schnell und einige Schweißtropfen liefen meine Stirn hinunter. Nach einer mir endlos vorkommenden Zeit, erreichte ich das Geländer und schlich dann weiter nach rechts die Treppe herunter, bis ich endlich vor einer großen schwarzen Tür stand, deren Griffe vergoldet waren. Da ich auch jetzt mein Ziel noch nicht erreicht hatte, wich die Angst entdeckt zu werden, nicht von mir. Stattdessen wurde sie nur noch größer und so öffnete ich mit zittrigen Händen achtsam die große Tür. Dahinter war alles dunkel, nicht ein einziges Licht brannte und die Fenster waren von schweren Vorhängen verdeckt. Allerdings war es für mich kein Problem, mich zu orientieren, denn ich kannte diesen wundervollen kleinen Ort nur zu gut. Schon öfters hatte ich mich heimlich dorthin begeben ohne jemals entdeckt zu werden. Ich wusste, dass die Mitglieder des Senats um diese Uhrzeit arbeiteten und sich somit hinter geschlossenen Türen befanden.Ich ging zu einem der vielen Fenster und zog den schweren Vorhang zur Seite. Draußen konnte man mittlerweile jede Menge Sterne erkennen, die am dunklen Nachthimmel strahlten. Doch am hellsten von allen schien der große leuchtende Vollmond, der mein Gesicht noch blasser werden ließ. Ich liebte diesen Anblick und wäre vermutlich noch eine Weile länger stehen geblieben, wäre ich nicht aus einem anderen Grund dort gewesen und so wandte ich mich der Mitte des Raumes zu, wo ein glänzender schwarzer Flügel stand. Ich begann zu lächeln und mein Blick wirkte leicht verträumt. Dieses Instrument war für mich wie ein kleiner Lichtblick am Ende eines langen Tunnels. Nur dadurch war es möglich, meine Sorgen für einen kurzen Moment zu vergessen. Wenn ich spielte, vergaß ich alles um mich herum. Ich lauschte ausschließlich den wundervollen Tönen, die beim Anschlag der Tasten erklangen und direkt in mein Ohr flogen. Sie waren der Ausdruck meiner Seele. Ich ging freudestrahlend auf das Klavier zu und setze mich auf den ledernen Hocker, der davor stand. Meine Finger legte ich behutsam auf die weißen Tasten und begann zu spielen, sodass eine wunderschöne, doch zugleich traurige Melodie ertönte. Zum Glück war dieses Zimmer schalldicht, wodurch ich meinen Gefühlen freien Lauf ließ und mich voll und ganz auf mein Spiel konzentrierte. http://www.youtube.com/watch?v=vGyHv1GHFKg Das Lächeln auf meinen Lippen verschwand nach einer Weile, meine Augen wurden glasig und mein Blick verschwamm. Ich spürte eine große Leere in mir, die gleichzeitig meinen ganzen Körper ausfüllte. Mir wurde leicht schwindelig und so unterbrach ich die Melodie, vergrub mein Gesicht in meine Hände und fing an zu weinen. Tränen liefen über meine Wangen und suchten sich ihren Weg zum kalten Steinboden. Ich hasste mein Leben so sehr und hielt es einfach nicht mehr aus, noch länger eingesperrt zu sein, aber das schlimmste war, dass meine Familie nicht bei mir war. Mein Vater und Satoshi waren doch das einzige, was mir blieb und selbst das hatte mir der Senat genommen. Weinend sank ich auf die Knie und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Jahrelang hatte ich Ichio angefleht mich gehen zu lassen und ihm bei all seinen Befehlen gehorcht, doch er erfüllte mir meinen Wunsch nicht. Er sagte stets, ich solle ihm mehr Dankbarkeit zeigen, da er es war, der mich damals gerettet hatte, doch so empfand ich nicht für ihn. Er war kein Held, der mich vor dem bösen Vampir beschützte, der zuvor meine Mutter tötete, sondern ein Ungeheuer, dass mir die Freiheit raubte und meine geliebte Familie mit seinen eigenen Händen zerriss. Nun bin ich hier gefangen, weil sie mich schützen wollen – sperren mich wie einen Vogel in einem Käfig ein. Sie sagen, ich sei zu kostbar, um mich in die gefährliche Welt da draußen zu begeben – und das obwohl ich es doch bin, die alles zerstört hat. Wie kann so jemand kostbar sein?! Allein wegen mir musste meine Mutter sterben! Allein wegen dieser unheilvollen Gabe... Plötzlich öffnete sich die Tür und wurde so aus meinen Gedanken gerissen. Ich erschrak und befürchtete, dass mich ein Senatsmitglied bemerkt hatte. Mein Herzschlag wurde schnell und ich weitete meine Augen, starrte in die Leere. Dann drehte ich mich schnell um und blickte in die bernsteinfarbenen Augen eines älteren Mannes, der mich besorgt ansah. Ich konnte kaum glauben, wer dort vor mir stand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)