Bruderliebe von randydavies ================================================================================ Kapitel 42: ------------ ~°~42~°~     Sie war weder aufgestanden noch schrie sie mich an, nur ihr Gesichtsausdruck irritierte mich. Meine Mutter schien mir so verändert. „Willst du noch Kaffee?“, erkundigte sie sich plötzlich und hatte mich aus meiner Starre herausgerissen. Verklärt sah ich erst zu ihr, dann auf den Inhalt meiner Kaffeetasse. Ich hatte nicht gemerkt, dass ich sie in einem Zug geleert hatte. „Was?, fragte ich nach, obwohl ich wusste, was sie mich gefragt hatte, war es nur, um Zeit zu schinden und um mich zu sammeln. „Ich fragte, ob du noch Kaffee möchtest.“ Auch wenn sie nicht tobte, war für mich eine unüberwindbare Kluft zu spüren, in der eine Kälte nach oben drang. Und doch gab ich dem Drang nicht nach, aufzuspringen und die Wohnung fluchtartig zu verlassen, mich ins Auto zu setzen und einfach davon zu fahren. Nein, dieses Mal würde ich nicht abhauen und den Schwanz einziehen. Daher nahm ich, wenn auch widerstrebend, das Angebot, noch eine Tasse Kaffee zu trinken an. „Ja, gerne.“ „So, so, Susan hatte es also gewusst … Ich glaube, ich habe bei dir viele Fehler gemacht“, meinte sie daraufhin, stand vom Tisch auf, um mir ein weiterer Kaffee aus der Senseo aufzubrühen. Erstaunt sah ich ihr hinterher. Mit der Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Die Kluft, die ich dachte, mir eingebildet zu haben, verschwand. Ich schüttelte, von ihr unbemerkt, den Kopf. „Nein, ich habe ebenfalls Fehler gemacht. So hätte ich nicht gehen dürfen, das ist mir klar“, gab ich kleinlaut zu. Ich spürte den eigenen Fehler; ich hätte mich damals wenigstens von meiner Mutter und Susan verabschieden können. Hätte ich es wirklich gekonnt? Abschiednehmen und mich dann hinterher in den Zug zu setzen, so aufgewühlt, wie ich gewesen war? Womöglich nicht. „Nein, das war keine nette Art!“, gab sie ernst von sich, während sie das Pad in die Maschine legte und die Tasse darunter stellte. „Und doch konnte ich nicht anders.“ Damit hatte ich mir eine eigene Gedankenbrücke erschaffen, auf der ich aufbauen konnte. Ich spürte, wie mein Selbstbewusstsein zurückkehrte. „Und damit wären wir bei dem Wort Anders. Ich bin einfach anders, werde es immer sein.“ Bewusst spielte ich auf mein Aussehen, auf meine Klamotten, auf alles eben, an. Dabei dachte ich genau in diesem Augenblick an Carsten, wie er es immer toll gefunden hatte, wie ich mich kleidete. Zugleich kamen Schamgefühle auf, als ich mich erinnerte, dass ich auf der Beerdigung nicht meinen Lieblingsrock angezogen hatte. Ich hatte Carstens letzten Wunsch nicht erfüllt. Trauer kam auf und mein Herz zog sich für einen kurzen Moment schmerzhaft zusammen. Lass dich nicht hängen! Ich atmete tief durch und straffte die Schultern, wollte vor meiner Mutter keinen Durchhänger vorweisen. In der Zwischenzeit kam sie mit der frisch aufgebrühten Tasse Kaffee und ich nahm sie entgegen. „Danke.“ „Jaden …“, fing sie vorsichtig an und setzte sich an ihren Platz zurück. Sie schien in Gedanken, auf ihrer Stirn hatte sich zu den anderen Falten eine ganz dicke gebildet. „… ich habe dir in den letzten Jahren weder zum Geburtstag gratulieren dürfen, noch feierten wir Weihnachten zusammen, noch warst du auf meiner Hochzeit. Helmut und ich …“, sie machte eine Pause und nahm die Hand ihres Mannes, drückte sie kurz. „… haben vor einem halben Jahr geheiratet. Damit ich versorgt bin, wenn ihm mal etwas passieren sollte. Ich wusste nicht, ob ich dich jemals wiedersehen würde.“ Erstaunt, und zugleich traurig sah ich sie kurz an, da alles auf mich einströmte. Dann schaute ich entschlossen auf meine Tasse, fasste mich, rief mir die negativen Dinge ins Gedächtnis. Die vielen Streitereien, das Unverstandene zwischen uns und von meinem Vater. Warum ich mich immer mehr von ihnen zurückgezogen hatte, wie oft sie mich ignoriert hatte, als ich sie hätte gebrauchen können. Erinnerte mich an meine Kindheit zurück und an die Zeit, als Darian in mein Leben getreten war und wie sich schlagartig alles für mich veränderte – wie Darian mein Leben überhaupt verändert und auch beeinflusst hatte. Spürte meine Liebe zu ihm, spürte Carstens Liebe zu mir. Unbewusst wechselte ich dabei wiederum von den negativen Dingen in Schöne, fasste einen Entschluss. „Was sind schon fünf Jahre, ich bin jetzt hier“, erwiderte ich daher trocken. Bewusst hatte ich ihre Hochzeit ausgeklammert, darauf würde ich später zurückkommen. Es gab nun viel Wichtigeres, der Zeitpunkt schien nun perfekt. „Die Frage ist nur: Kannst du damit leben, einen schwulen Sohn zu haben?“ Ich wollte sie nicht vorwurfsvoll anschauen, tat es aber dann doch, weil sie eigentlich auf mein Outing etwas ausgewichen war und sie schenkte mir einen undefinierbaren Blick, den ich nicht richtig deuten konnte, da ihre Miene starr blieb. War sie geschockt, war sie wütend, was dachte sie? Die ganze Unterhaltung war irgendwie … seltsam. „Jaden, ich glaube, du hast mich nie verstanden, wenn du nur was gesagt hättest. Ich wollte dich nur nicht alleine wissen, darum immer diese vielen Mädchengeschichten. Darum fragte ich auch laufend nach, ob du endlich eine Freundin hast.“ Sie schluckte schwer und jetzt konnte ich ihre Gefühle fast von der Stirn ablesen. Sie war nicht wütend, sie war verletzt und traurig. „Ich sah zudem, wie dein Bruder ein Mädchen nach dem anderen bekam, nur mein kleiner Junge nicht.“ Ihre Stimme wurde brüchig und Tränen schimmerten in ihren Augen, was ihre Traurigkeit nun richtig zum Ausdruck brachte. Sie schob ihre Tasse vor sich hin und kämpfte gegen einen Tränenausbruch. Scheiße, mir kamen selbst die Tränen, die ich wie sie nur mühselig zurückhalten konnte. Hatte ich mich so in meiner Mutter getäuscht? Hatte ich ihre Signale all die Jahre völlig missverstanden? Jetzt, wo sie es wusste und für mich total gut reagierte, kam ich mir ihr gegenüber schlecht und ungerecht vor. Daher fasste ich einen Entschluss. Ich stand vom Tisch auf, ignorierte Helmut, der sich erstaunlicherweise die ganze Zeit zurückgehalten hatte, und kam auf meine Mutter zu. Sie sah zu mir auf, stand nun selbst von ihrem Platz auf und da machte ich den ersten Schritt, ich umarmte sie. Sie kam mir in meinen Armen zerbrechlich vor. Wir verharrten eine Weile so miteinander, standen einfach umarmend in der Küche, ließen unsere Tränen freien Lauf, bis sie sich als Erste von uns beiden fasste und mir kurz über die feuchten Wangen streichelte, bevor sie sprach. „War das tatsächlich der einzige Grund, warum du weggelaufen bist?“ Sie löste sich komplett von mir, nahm Abstand und sah mir fest in die Augen. Ab und an wischte sie sich die Augen trocken, da immer mal wieder Tränen nachkamen, und schniefte dabei. Sie nahm ein Taschentuch aus ihrer Hose, putzte sich die Nase, ich verwendete den Handrücken dafür. „Ja, Mama“, antwortete ich ihr und wusste, ich hatte ihr nicht direkt die Wahrheit gesagt. Einige Geheimnisse sollte man für sich behalten und manches konnte man erzählen, diese hier nicht mehr. „Ich hoffe, du bleibst ein paar Tage und erzählst uns, wie es dir in der Zwischenzeit so ergangen ist. Schlecht siehst du nicht aus!“ Sie versuchte sich in einem missglückten Lächeln und ließ sich von ihrem Mann in den Arm nehmen, der die ganze Zeit ruhig geblieben war. Erstaunt schaute ich zu Mamas Mann, als er mich ansprach. „Ich denke, das bist du deiner Mutter schuldig, nicht wahr?“ Ich nickte. „Eine knappe Woche habe ich hier eingeplant. Ich denke, ich muss es auch meinem Vater sagen.“ Ich war mir sicher, dass dies eine größere Hürde für mich werden würde. „Das, glaube ich, wird nicht ganz einfach werden.“ Wieder nickte ich. „Aber jetzt richte ich dir erst einmal das Bett und mache uns Abendbrot. Wo hast du eigentlich die ganze Zeit über gelebt?“ „In der Nähe von Hamburg – Schenefeld“, sagte ich leise und konnte ihre hörbar eingezogene Luft am eigenen Leib spüren. „Heilige Mutter“, donnerte sie los. Ihr Mund klappte auf und zu. „Dann hast du eine lange Fahrt hinter dir … dann war der Kaffee nicht ganz so verkehrt, wobei der keinen Koffein hatte“ Sie lächelte entschuldigend. „Vielleicht können wir morgen reden.“ Der Kaffee hatte kein Koffein? „Gute Idee.“ Ich gähnte, darum hatten mich die beiden Tassen nicht aufgewirbelt. Erstaunt sah ich auf die Uhr. Es war schon weit nach neun Uhr. Ich stimmte ihr zu. Morgen war auch noch Zeit dafür. Und so aß ich zu Abend mit den beiden und wir plauderten über dies und das, selbst Helmut war recht gesprächig. Von Carsten wollte ich ihr aber erst morgen berichten. Das konnte man nicht mit wenigen Worten abhandeln.       ©Randy D. Avies 2012 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)