Babylon-6 - 02 von ulimann644 (Gegner im Dunkel) ================================================================================ Kapitel 1: Der Plan ------------------- Im Licht der roten Riesensonne, welches durch die breite Fensterfront des Raumes herein fiel, ähnelte der Hirolin-Käfer mehr denn je einem grün-blauen glitzernden Stein mit einem feinen Muster von Riefen, das über seinen Panzer lief. Diese eisenharte Panzerung umschloss den empfindlichen Körper des Hirolin-Käfer. Cameron Grant nahm die dünne, aufblitzende Nadel zwischen Zeigefinger und Daumen, ließ sie behutsam über den Panzer des Hirolin-Käfers gleiten und lächelte befriedigt, als er die Stelle gefunden hatte, an der sich der Panzer schloss und öffnete. Grant konnte sich nicht erinnern, wie oft er dieses Spiel schon wiederholt hatte. Das hieß - es war nur für ihn ein Spiel, der Hirolin-Käfer empfand wahrscheinlich Höllenqualen. Cameron Grant trieb die Nadel in die haarfeine Spalte des Panzers. Der Hirolin-Käfer begann auf der polierten Platte des Arbeitstisches zu schwanken. Weißer Schaum quoll hervor. Der Hirolin-Käfer zischte hilflos. Mit einem Ruck bohrte Grant die Nadel in den weichen Körper. Der Hirolin-Käfer gab ein schrilles Pfeifen von sich, das er irgendwo zwischen den kiemenartigen Hautlappen am Kopfansatz seines Körpers erzeugte. Dann sprang der Panzer auf und teilte sich in zwei Hälften, die zur Seite klappten. Frei und ungeschützt lag der Körper des Hirolin-Käfers vor Grant. Mit sicheren Griffen zog der Hüne die beiden Körperhälften des Hirolin-Käfers auseinander. Er nahm eine Pinzette vom Tisch und klemmte damit den murmelgroßen, bläulichen Organfortsatz fest. Mit der anderen Hand nahm Grant eine scharfe, leicht gebogene Schere und durchtrennte die Verbindung zum Körper des Käfers an einer bestimmten Stelle. Der Hirolin-Käfer begann zu zappeln in seiner Vorrichtung, doch ein kurzer Stich mit der Nadel ließ ihn allen Widerstand aufgeben. Gelassen zog Grant den halb durchsichtigen Organklumpen heraus und betrachtete ihn unter dem Licht der Dreieckleuchte. Bereits jetzt begann der Klumpen, sich zu verformen um am Ende einen perfekten Dodekaeder zu bilden. Warum dieser Organklumpen dies tat, sobald man ihn aus dem Körper eines Hirolin-Käfers schnitt wusste Cameron Grant nicht zu sagen, ihm genügte die Tatsache, dass er es tat – und das dieser Organfortsatz, der keinerlei Funktion im Körper des Käfers zu haben schien, permanent nachwuchs. In wenigen Stunden schon würde der abgetrennte Klumpen hart wie Diamant sein und sein natürliches Feuer annehmen, welches ihn unverkennbar zu einem Hirolin-Feuerstein machen würde. Es war natürlich möglich, die Steine synthetisch herzustellen, so dass nur wirkliche Fachleute die Nachbildungen als solche erkennen konnten. Aber es blieben Nachbildungen, deren Schimmer in dunklen Räumen nie den eigenartigen Glanz echter Hirolin-Feuersteine erreichte. Die Hirolin-Käfer besaßen keine Möglichkeit, sich gegen das Entnehmen des Organklumpens zu wehren, waren sie doch viel zu langsam um weglaufen zu können, und noch Niemand hatte einen dieser Käfer fliegen sehen. Cameron Grant wusste nicht, wer zum ersten Mal darauf gekommen war diese Käfer als lebende Schmuckproduzenten zu missbrauchen. Grant nahm an, dass irgend jemand die erstaunliche Fähigkeit der Hirolin-Käfer durch einen Zufall entdeckt hatte. Ein Gesetz, dass auf der Erde galt, verbot die Benutzung eines Hirolin-Käfers für diesen Zweck. Die Gesellschaft zur Erhaltung seltener galaktischer Arten, deren Hauptsitz, auf der Erde war, ermittelte ununterbrochen gegen Personen, die dieses Gesetz brachen. Bei diesem Gedanken verzog sich Grants Gesicht zu einem ironischen Lächeln. Niemals würde er solche kleingeistigen Gesetze achten, wenn sie nicht mit seinen eigenen Zielen und Wünschen im Einklang standen. Solche Vorschriften galten für unbedarfte Narren, die dem Irrglauben nachhingen, dass man aus der Galaxis eine gewaltige Völkervereinigung machen könnte, wie es die Interstellare Allianz tat. Grant ergriff den dreißig Zentimeter langen Hirolin-Käfer, setzte ihn in das große Terrarium zurück, dem er es entnommen hatte, und schloss achtsam den Deckel. Gerade als er die Utensilien der Organklumpen-Entnahme wieder in einem Schubfach seines ausladenden Arbeitstisches verstaut hatte, inklusive des Organklumpens, der in eine Panzerkassette gewandert war, wurde der Meldekontakt am Schott seines geräumigen Arbeitsraumes betätigt. Grant warf einen Blick zur Uhr. Das konnte nur Galen Kilrain sein, denn er hatte ihn für diese Zeit zu sich bestellt, und Kilrain würde es sich nicht erlauben unpünktlich zu sein. Galen Kilrain betrat den Raum, nachdem Grant, der ihn für diese Abendstunde herbestellt hatte, das Schott für ihn öffnete. Er blickte zu Cameron Grant, dessen hünenhafte Gestalt sich vor dem hellen Hintergrund des Fensters für einen Moment nur als Silhouette abzeichnete, bis sich die Augen des Iren an die herrschenden Lichtverhältnisse im Raum gewöhnt hatten. Wie sein Gegenüber trug auch Galen Kilrain eine schwarze Lederkombination auf deren linker Brustseite ein Omega-Logo prangte – das Abzeichen ihrer Geheim-Organisation. Was zuerst an den tiefblauen Augen Grants auffiel, so sinnierte Kilrain, war die unglaubliche Härte und die Brutalität, die darin zu finden waren. Jedes Lebewesen, egal ob Mensch oder Alien, schreckte unwillkürlich zurück, wenn Cameron Grant es mit diesen eiskalten Augen fixierte. Auch Galen Kilrain empfand so, obwohl er Grant seit gut zwei Jahren kannte, und seitdem mit ihm zusammenarbeitete. Wiederholt hatte er sich gefragt, wie viele intelligente Wesen man gequält oder umgebracht haben musste damit das Leben einem Menschen einen solchen Blick verlieh, wie ihn Grant besaß. Vor wenigen Minuten hatte er sich bei Grant angemeldet, um nochmal mit ihm die Details der bevorstehenden Aktion zu besprechen. Noch immer jagte ihm das, was sie zu tun beabsichtigten einen leisen Schauer über den Rücken. Cameron Grant seinerseits schien nicht von solchen Bedenken geplagt zu werden, denn er strahlte, wie immer eine geradezu unglaubliche Ruhe und Selbstsicherheit aus. Cameron Grant personifizierte die Hoffnung aller Mitglieder ihrer Organisation, bald schon einen bedeutenden Faktor im Konzert der galaktischen Großmächte zu spielen. Die bevorstehende, nicht zuletzt von Grant geplante, Aktion stellte so zu sagen den Auftakt dazu dar. Die rote Riesensonne Queralin, die bereits dicht über den fernen Bergen stand, wurde von insgesamt sechzehn Planeten umlaufen, von denen der vierte diesen Stützpunkt beherbergte. Auf dieser öden Wüstenwelt konnten sich die meisten Humanoiden ohne Schutzanzüge bewegen. Die Atmosphäre besaß einen genügend hohen Sauerstoffanteil, um auf Atemgeräte verzichten zu können, obwohl ein längerer Aufenthalt im Freien zu Kurzatmigkeit führen konnte. Die Gravitation entsprach beinahe irdischen Werten, so dass Grant zufrieden war. Er legte Wert auf eine gewisse Bequemlichkeit, obwohl er sich bereits auch unter widrigeren Umständen bewährt hatte. Cameron Grant besaß die seltene Fähigkeit, sich rasch auf eine unerwartete Entwicklung einstellen zu können. Während andere Wesen darauf warteten, bis sich ein Geschehnis nach ihren Vorstellungen entwickelte, konnte sich Grant in kürzester Zeit auf alle Gegebenheiten einstellen und sie umsichtig selbst gestalten. Das, und seine Skrupellosigkeit, machte ihn so gefährlich. Der Mann mit den weißblonden Haaren, der leicht gebogenen Adlernase, und der markanten Narbe unter dem rechten Auge bedeutete Kilrain mit einer knappen Geste, in einem der Sessel Platz zu nehmen, die vor seinem ausladenden Arbeitstisch standen. Während sein Gegenüber sich setzte, warf Grant einen Blick über die Schulter. Durch die große Glasfront konnte er in die Wüste hinaus blicken. In den Strahlen der tiefstehenden Sonne wirkte der Sand dieser Welt, die den Eigennamen Merakan trug, blutrot. Die grauen Betonpisten und Landefelder erinnerten Cameron Grant an Adern, die willkürlich in dieses Land eingefügt waren. Sich von dem grandiosen Anblick des nahenden Sonnenuntergangs losreißend nahm Grant hinter dem Tisch platz und fixierte den dunkelblonden, untersetzten Mann, mit dem er die abschließenden Details seines Plans zu besprechen gedachte. Galen Kilrain war nach der Meinung von Cameron Grant zwar nicht übermäßig intelligent, dafür besaß er drei Eigenschaften, die Grant an ihm schätzte. Unbedingte Loyalität und Zuverlässigkeit – und er war Telepath, so wie er selbst. Cameron Grant grinste kalt, als er bemerkte, dass die grün-grauen Augen Kilrains seinem stechenden Blicken auch diesmal auswichen, wie so oft zuvor. Grant verzichtete im Umgang mit Kilrain darauf per Gedankenübertragung zu kommunizieren. Stattdessen lehnte er sich etwas in seinem Sessel zurück, bevor er mit angenehm tiefer Stimme das Gespräch eröffnete und sagte: „Mein Kontakt auf dem Mars hat vor einer Viertelstunde den Abflug der sieben neuen Kreuzer bestätigt. Niemand weiß, in welchen Teil des Weltalls sie unterwegs sind. Nur der Orientierungspunkt, der sich auf halber Strecke zwischen dem Zielort und dem Sonnensystem befinden soll, konnte mein Kontakt herausfinden. Aber das besagt nicht sehr viel über den Zielsektor, sondern nur über die grobe Richtung – und vielleicht nicht einmal das. Möglicherweise ist das Ganze nur eine Finte, und der wahre Zielsektor liegt genau in der entgegengesetzten Richtung. Wie gefällt Ihnen diese Vermutung, Mister Kilrain?“ Der Ire kratzte sich ungeniert am Hinterkopf und antwortete vage: „Das wäre möglich. Ich frage mich allerdings, warum wir uns nicht gleich die neuen Kreuzer schnappen, Grant. Warum wollen Sie die alten Kästen haben?“ Cameron Grant lächelte ohne dabei Freude zu vermitteln. „Das, mein lieber Kilrain, ist der Grund, warum ich diese Organisation leite, und nicht Sie. Was glauben Sie denn, was passieren würde, wenn wir versuchen würden, die neuen Kreuzer der ALPHA-II-KLASSE zu stehlen? Deren neuartige Abwehrsysteme sind zu stark, um sie schnell genug außer Gefecht zu setzen, damit sie keinen Notruf zum Sonnensystem absetzen können. Da die zusätzlichen Besatzungsmitglieder mit an Bord sind, haben die auch genug Personal an Bord, um die Waffensysteme zu steuern. Wir hätten also nicht nur mit heftigem Widerstand zu rechnen sondern auch umgehend die Flotte der Erd-Allianz, und vermutlich auch die der ISA, am Hals. Die Erdstreitkräfte würden außerdem den Diebstahl, falls er überhaupt glücken würde, an die große Glocke hängen, so dass wir keine Aktion mit diesen Schiffen starten könnten, bevor die halbe Galaxis weiß, dass diese Raumschiffe nicht mehr unter der Kontrolle der Erdstreitkräfte stehen. Verschwinden jedoch sieben alte Kreuzer auf mysteriöse Weise spurlos so werden einige Leute zu spät Zwei und Zwei zusammenzählen.“ Galen Kilrain grinste verschlagen. „Ich verstehe. Vermutlich sind diese alten ALPHA-Kreuzer auch viel weniger auffällig, als diese neuen Schiffstypen, da sie, bei den Erdstreitkräften quasi überall noch im Einsatz sind.“ Grant nickte zufrieden. „Sie haben begriffen worauf es mir ankommt – sehr schön.“ Kilrain wirkte zufrieden. „Was werden wir mit der Besatzung anstellen, wenn der Angriff funktioniert hat? Ich meine, wir sollten auch unseren Spaß dabei haben, Grant.“ Cameron Grant lächelte kalt. „Wie ich Sie kenne spielen Sie vorwiegend auf weibliche Besatzungsmitglieder an. Nun, ich habe nichts gegen etwas Spaß – solange der Spaß für die betreffenden Damen zum Schluss im Weltall endet. Mit Genickschuss aus einer PPG und ohne Raumanzug versteht sich.“ Ein mörderisches Glitzern spiegelte sich für einen kurzen Moment in Kilrains Augen wider. Er beugte sich etwas in seinem Sessel vor und blickte nun ernster drein. „Der Plan birgt dennoch Risiken, Grant. Was passiert, wenn die doch einen Notruf absetzen können. Dann ist unser schöner Plan dahin.“ Die Kälte in Cameron Grants Blick erfuhr noch eine Steigerung. „Das wäre sehr unangenehm für den Leiter der Aktion, fürchte ich. Genauer gesagt für Sie, Mister Kilrain, denn ich gedenke Ihnen die Leitung der gesamten Aktion anzuvertrauen. Denken Sie, dass Sie dieser Aufgabe gewachsen sein werden?“ Diese Eröffnung von Cameron Grant kam unerwartet für Kilrain, denn er hatte angenommen, dass Grant selbst diese Aktion zu leiten gedachte. Halb aus dem Sessel auffahrend verhielt er schließlich und sank dann sacht in die Polster zurück. Mit einer Mischung aus Respekt vor dieser Aufgabe, und Stolz, dass Grant ihm diese Aufgabe zutraute erwiderte er schließlich mit fester Stimme: „Ich werde es schaffen, Mister Grant.“ Der Hüne nickte zufrieden. „Darauf baue ich. Sie werden also in zwei Stunden mit dem Gros unserer Flotte den Orientierungspunkt der Kreuzer anfliegen und sich an den vereinbarten Stelle auf die Lauer legen. Da wir nicht sicher sein können, ob die Überführungscrews davon Gebrauch machen werden, an diesem Punkt den Hyperraum, zu einer Erholung der Maschinenanlagen, zu verlassen oder nicht, werden Sie den Hyperfeld-Destruktor einsetzen.“ Galen Kilrain nickte beklommen. „Ganz ehrlich, Mister Grant, ich habe immer noch nicht richtig begriffen, wie dieses unheimliche Gerät eigentlich funktioniert.“ Grant lächelte versonnen und erwiderte fast amüsiert: „Ich auch nicht, Kilrain. Mir genügt es zu wissen, dass es funktioniert. Alles Andere überlasse ich unseren Wissenschaftlern. Dem Schiff mit dem Destruktor darf bei dieser Aktion nichts passieren, denn wir werden ihn noch brauchen und momentan ist das Gerät nicht zu reproduzieren. Sie wissen warum.“ Ein Frösteln überkam Galen Kilrain, während er stumm nickte. Cameron Grant erhob sich geschmeidig aus seinem Sessel, und Kilrain tat es dem Hünen unaufgefordert nach. Der Blonde blickte durch die Fensterfront hinaus, wo der gewaltig erscheinende Glutball der roten Riesensonne gerade hinter den Bergen verschwand. Dann meinte er zu Kilrain gewandt: „Kommen Sie, wir wollen unseren Verbündeten, vor der Aktion, nochmal einen kurzen Besuch abstatten.“ Kilrain nickte missmutig. „Ich kann diese Typen nicht ausstehen. Ich vertraue übrigens allen beiden Gruppen, und ihren Motiven uns zu unterstützen, nicht.“ Grant nickte verstehend. „Ich auch nicht. Momentan brauchen wir sie noch, das wissen Sie. Doch wenn der Moment kommt – und er wird kommen, Kilrain – dass wir uns ihrer entledigen, so werden Sie dabei an meiner Seite stehen, das versichere ich Ihnen.“ Beide Telepathen grinsten gleichsam verschlagen, als sie den Arbeitsraum verließen. Kapitel 2: Kommando der Verlorenen ---------------------------------- Mit weit ausholenden Schritten eilte Generalmajor Lynden Benjamin Hayes durch die verlassen wirkenden Gänge von Flottenbasis MFB-VI-023, die von der Crew zumeist liebevoll nur BABYLON-6 genannt wurde. Commander Irina Zaizewa, die sich in seiner Begleitung befand, hatte Mühe mit ihm Schritt zu halten, und das obwohl sie um achtzehn Jahre jünger war als der bereits leicht ergraute Dreiundfünfzigjährige. Schmunzelnd beobachtete sie ihn von der Seite. Seit ihn, in ihrer Anwesenheit, der Anruf der Stationszentrale in seinem Büro erreicht hatte, dass die sieben neuen Kreuzer der ALPHA-II-KLASSE in unmittelbarer Umgebung der Station aus dem Hyperraum gefallen waren, benahm er sich wie ein kleiner Junge an Weihnachten. „Sir, ich flehe Sie an, zügeln sie ihr Tempo. Ich bin genauso neugierig auf diese neuen Kreuzer wie Sie aber ich fürchte, dass ich bei diesem Tempo nicht mehr erleben werde wie sie aussehen. Bitte vergessen Sie nicht, dass ich erst vorgestern aus dem Krankenrevier entlassen worden bin.“ Hayes bremste bei den Worten der Stellvertretenden Stationskommandantin sein bisheriges Tempo spürbar ab und blickte die Telepathin beinahe entschuldigend an. In seiner momentanen Begeisterung hatte der Kommandeur der Kampfgruppe-Epsilon und Oberbefehlshaber der Station MFB-VI-023, beinahe vergessen, von welcher schweren Verletzung seine XO der Station erst vor wenigen Tagen genesen war. Sie war bei einem Gefecht in ihrem STARFURY-Raumjäger schwer verwundet worden und hatte die letzten Wochen in der Krankenstation zugebracht. Deutlich langsamer ausschreitend meinte Hayes schließlich: „Verzeihen Sie, Commander. Wie geht es Ihnen heute Morgen?“ Die Frau musterte ihren Begleiter mit ihren grün-braunen, irgendwie fast golden schimmernden, Augen und antwortete zögernd: „Ich muss zugeben, dass ich nicht besonders gut geschlafen habe, seit ich nicht mehr auf der Krankenstation bin. Ich denke, mir fehlen Ihre allabendlichen Besuche am Krankenbett, Sir.“ Hayes erwiderte ihren Blick und er erinnerte sich an die letzten Wochen. Nach der überstandenen Notoperation hatte Hayes die Telepathin an jedem Abend, pünktlich gegen 20:00 Uhr, auf der Krankenstation von BABYLON-6 besucht. Anfangs waren auch andere Kollegen und Freunde der Russin noch um diese Zeit zugegen gewesen. Doch bereits zu Beginn der zweiten Woche hatten diese gefühlt, dass es Irina Zaizewa und Hayes irgendwie lieber war unter sich zu sein, und ihre Besuche hatten fortan geendet, bevor der Generalmajor aufkreuzte. In den darauf folgenden zwei Wochen hatten sie so ihre Abende, oft bis weit nach Mitternacht, verbracht und mit einander geredet, und unmerklich waren sie sich dabei menschlich sehr nahe gekommen. Ein fast melancholischer Zug lag in den braunen Augen des Mannes, als er sich räusperte und erwiderte: „Vielleicht habe Sie recht, denn mir ging es in den letzten Tagen ähnlich.“ Seine Miene hellte sich auf, als ihm etwas einfiel. „Was halten Sie davon, Commander, wenn wir heute Abend gemeinsam essen gehen würden. Ganz zwanglos natürlich. Sagen wir, um 19:30 Uhr?“ Ein Lächeln überflog das hübsche Gesicht der hochgewachsenen Frau. Mit einer fahrigen Bewegung fuhr sie sich mit den Fingern durch ihr langes, braunes Haar bevor sie freudig zustimmend erklärte: „Sehr gerne, Sir.“ Sie wurden abgelenkt, als sie das Schott zum Kommandozentrum erreichten und es ging mit ihnen dieselbe Wandlung vor. Beide strafften sich und setzten eine dienstliche Miene auf bevor sie hinter einander das Kommandozentrum betraten. Während Hayes die runde Grube mit den Konsolen und Sitzen für die Operations-Offiziere auf der rechten Seite umrundete, schritt die Russin auf der linken Seite darum herum, begrüßte den Taktischen Offizier, Steven Falcone mit einem kurzen Nicken und traf am Frontfenster wieder mit Hayes zusammen. Der Generalmajor bekam nur unterbewusst mit, wie ihm gemeldet wurde, dass die sieben neuen Kreuzer in wenigen Augenblicken in Sichtweite sein würden. Nun wieder ganz der Kommandierende Offizier starrte er angestrengt aus dem Panzerfenster hinaus, in die sternengesprenkelte Schwärze des Weltalls, bis er die ersten Konturen erkennen konnte, die sich gegen den dunklen Hintergrund abhoben. Wenig später wurden die sieben Kreuzer der ALPHA-II-KLASSE, die in Formation auf die Station zu flogen, besser erkennbar. Mit einer Länge über alles von mehr als 1000 Metern etwas größer als die alten Kreuzer der ALPHA-KLASSE, verfügten diese Kreuzer über eine Biowaben verstärkte Panzerhülle. Entgegen der früheren Entwürfe einer solchen Panzerung befanden sich die Biowaben in der Panzerschicht und nicht darauf. Wobei die Struktur der Waben sich farblich dunkel vom Panzerungsmaterial, einem exotischen Stahl-Kunststoff-Verbundstoff, absetzte. In ihrer Effizienz übertraf diese neue Panzerung jener der zerstörten IAS VICTORY und der IAS EXCALIBUR um rund 20 Prozent. Anders als bei der Vorgängerklasse wurde beim Grunddesign dieser Schiffsklasse kein Platz durch eine Gitterstruktur verschwendet. Diese Kreuzer waren sehr kompakt, schlank, um nicht zu sagen schnittig und, entgegen der alten ALPHA-KLASSE, nach den modernen Designs der Erdstreitkräfte, wieder sichtbar kantiger konstruiert. Zudem gab es künstliche Schwerkraft an Bord der Schiffe dieser Klasse, wie auf allen Flottenneubauten seit dem Beitritt der Erde zur Interstellaren Allianz - kurz ISA. Jeder dieser neuen Kreuzer besaß eine Masse von 8.720.000 Metrischen Tonnen und wurde von zwei schweren Ionentriebwerken neuester Fertigung, unterstützt durch zwei leichte Hilfstriebwerke, angetrieben. Die Bewaffnung bestand aus zwei schweren Partikelkanonen, vier Schweren Plasmakanonen, acht Mittleren Impulskanonen, und Fusionsraketen mit Gefechtsköpfen von beeindruckender Sprengleistung. An Defensivsystemen verfügten die sieben neuen Kreuzer, neben der beeindruckenden Wabenpanzerung, über MK.III Verteidigungsnetz-Energieprojektoren, die um fast 80% leistungsfähiger waren, als die älteren MK.II Projektoren. Ihre Einsatzdauer, ohne eine Werftüberholung, lag bei achtzehn Monaten. Mit einem beinahe glücklichen Lächeln rieb sich Lynden B. Hayes die Hände und seine Augen leuchteten in einem besonderen Feuer. Irina Zaizewa, die ihren Vorgesetzten dabei ertappte schmunzelte unterdrückt. Sie konnte sich sehr gut vorstellen, was momentan in ihm vorging, denn auch sie spürte Erleichterung und Stolz, beim Anblick der sich nähernden Kreuzer. Erleichterung vor allem deshalb, weil diese Kreuzer eine signifikante Verstärkung der Kampfgruppe-Epsilon darstellten. Generalmajor Hayes ließ den erhabenen Eindruck auf sich wirken, bevor er sich losreißen konnte und die Russin an seiner Seite auffordernd ansah. Auch ohne die Gedanken ihres Vorgesetzten zu lesen verstand ihn Irina Zaizewa und gab von sich aus den Befehl an die Besatzungen der alten ALPHA-Kreuzer, an ihren jeweiligen namentlich identischen Pendants anzudocken. Die Rumpfbesatzungen der neuen Kreuzer würden danach auf die alten Schiffe umsteigen, während die Crews der ALPHA´s im Gegenzug die neuen Schiffe bemannen würde. Das alles war schon vor Tagen festgelegt worden und würde reibungslos vonstatten gehen. Danach würden die Überführungscrews die alten Schiffe der ALPHA-KLASSE zum Sonnensystem fliegen, wo sie über dem Mars, in Orbitaldocks, demontiert werden würden. Mit an Bord der neuen Schiffe würden dabei die benötigten, zusätzlichen Besatzungsmitglieder bleiben, die den Überführungsflug mitgemacht hatten. Ihre erste Aufgabe war es, die Crews der alten Kreuzer einzuweisen und sie mit den wichtigsten Neuerungen an Bord vertraut zu machen. Zwar hatten die Crews in der letzten Zeit reihum immer wieder an theoretischen Kursen, auf der Station, teilgenommen, doch die Praxis sah stets etwas anders aus, als die beste Theorie. Commander Zaizewa blickte zu Hayes, als er meinte: „Ich habe vor, heute Nachmittag einen der neuen Kreuzer besichtigen, Commander. Wollen Sie mich dabei begleiten?“ Die Russin nickte begeistert. „Gerne, Sir. Die neuen Schiffe finde ich sehr beeindruckend und natürlich würde ich eins davon gerne von Innen sehen. Habe Sie schon eine bestimmte Uhrzeit ins Auge gefasst?“ „Ich würde sagen 14:00 Uhr Bordzeit. Das lässt den Crews genug Zeit um sich auf ihren neuen Schiffen häuslich einzurichten, und Ihnen, um sich einen Überblick über Ihre routinemäßigen dienstlichen Obliegenheiten zu verschaffen.“ Die Telepathin nickte zustimmend. „Einverstanden, Sir. Wir treffen uns also dann um 14:00 Uhr in Andockrampe-07. Ich werde es genießen endlich wieder raus zu kommen, wenn auch nur an Bord eines Shuttles, und nicht mit meinem Jäger.“ „Ihr Jäger ist Schrott“, konterte der Generalmajor trocken. „Da werden wir erst einmal einen Neuen für Sie finden müssen.“ Hayes grinste beinahe lausbubenhaft, als er augenzwinkernd hinzufügte: „Aber zuerst bezahlen Sie mal den geschrotteten Jäger ab.“ Die Russin grinste schief und erkundigte sich scheinheilig: „Dann ist meine Forderung nach mehr Sold von Ihnen bewilligt worden, Sir?“ Die Antwort des Dreiundfünfzigjährigen bestand aus einem kurzen Auflachen. Dann erwiderte er das Thema wechselnd: „Falls etwas ungewöhnliches passieren sollte, finden Sie mich in meinem Büro, Commander. Ansonsten sehen wir uns gegen 14:00 Uhr Bordzeit.“ Damit wandte sich Hayes ab und schritt zügig zum Ausgang des Kommandozentrums. Irina Zaizewa blickte dem Generalmajor sinnend nach. Ihr momentanes Arbeitsverhältnis war geradezu beängstigend gut, in Hinsicht darauf, wie heftig sie gleich in den ersten Tagen aneinandergeraten waren, kaum dass Hayes das Kommando der Station offiziell übernommen hatte. Doch diese Anlaufschwierigkeiten schienen nun hinter ihnen zu liegen. Sie räusperte sich, als sie Shinji Okasakis unmerkliches Schmunzeln bemerkte. Für den Zweiten Offizier der Station stellte dies bereits so etwas wie ein Gefühlsausbruch dar. Der japanische Lieutenant-Commander beobachtete amüsiert, wie sich die Russin räusperte, die Hände auf den Rücken legte und langsam zu ihm an das erhöht liegende Hauptkontrollpult schritt. „Ich hoffe, sie werden sich nicht zu Tode schmunzeln, Shinji“, bemerkte Irina Zaizewa, so leise, dass nur der Japaner ihre Worte mitbekam. „Sie sind ein tüchtiger Offizier, und ich würde Sie nur sehr ungern auf diese Weise verlieren.“ Die Haltung des etwas schmächtig gebauten Lieutenant-Commanders straffte sich leicht und seine Miene zeigte gleich darauf wieder die fast unerschütterliche Gleichmut, für die der Zweite Offizier der Station bekannt war. Das Thema wechselnd erwiderte er: „Ich bin erleichtert darüber, dass Sie und der Generalmajor sich momentan so gut verstehen. Zu Beginn seines Kommandos hegte ich schon die Befürchtung, dass es richtig krachen würde, zwischen Ihnen beiden.“ Die Russin nickte in Gedanken. Dann meinte sie grinsend: „Wer sich seinen Kommandierenden Offizier nicht erzieht, der ist selbst Schuld.“ Zufrieden über die Reaktion des Asiaten, dessen Augen sich deutlich weiteten, gab sie zu: „Zu Beginn hegte ich dieselbe Befürchtung, aber im Moment kommen wir gut mit einander aus. Wir haben in den letzten Wochen sehr intensiv mit einander gesprochen und wir konnten die anfänglichen Reibungspunkte aus der Welt schaffen. Aber zurück zum Dienst, Shinji. Wie ist der Status der ALPHA-Kreuzer?“ Der Lieutenant-Commander schaltete augenblicklich um. „Die Kreuzer sind dabei längsseits der neuen Schiffe anzudocken, Commander. Die THALIA und die EIRENE haben das Manöver bereits erfolgreich abgeschlossen und die Mannschaften setzen über.“ Irina Zaizewa nickte dem Mann zu und erwiderte: „Behalten Sie während des gesamten Manövers die Jagdstaffeln in Bereitschaft. Wir haben den Unbekannten, die BABYLON-6 vor einigen Wochen entdecken konnten, zwar eine Schlappe beigebracht, aber vielleicht sind einige der unbekannten Gegner entwischt ohne dass wir es ahnen. Ich möchte nicht, dass sie uns auf dem linken Fuß erwischen falls die plötzlich wieder in diesem Raumsektor auftauchen sollten.“ Shinji Okasaki machte eine zustimmende Geste. Ich habe zwei Staffeln auf Nahpatrouille, zwei weitere können innerhalb weniger Sekunden starten.“ Die Russin quittierte die Worte des Japaners mit einem lächeln und schritt langsam zu Steven Falcone zur Taktischen Station. Der Italo-Amerikaner blickte auf, wobei seine dunklen Augen lebhaft funkelten. Im Dienst zumeist recht beherrscht, legte der Sechsundzwanzigjährige privat gelegentlich ein sehr viel lebhafteres Gebaren an den Tag. Als Commander Zaizewa bei ihm ankam meldete er unaufgefordert: „Das Schutzgitter ist in Bereitschaft, Commander, ebenso die Geschütze der Station. Falls unangemeldeter Besuch auftauchen sollte dann bekommt er so schnell eins übergebraten, dass er das Wiederkommen vergisst.“ „Ich freue mich immer, wenn Leute Spaß an ihrem Dienst haben, Lieutenant“, grinste die Frau amüsiert. „Passen Sie bloß auf, dass ihre Kanonen nicht aus Versehen losgehen und unsere eigenen Schiffe erwischen. Ich garantiere Ihnen, so etwas würde der General nicht lustig finden.“ Der Lieutenant nickte. „Kein Gedanke, Commander. Sie halten mich doch wohl nicht für einen schießwütigen, blöden Draufgänger?“ „Garantieren Sie mir, dass es nicht so ist?“, antwortete die Russin trocken. Damit ließ sie einen etwas verblüfften Lieutenant zurück, als sie wieder zu den Hauptkontrollen schritt. Sie selbst glaubte zwar nicht, dass es ausgerechnet in den nächsten Stunden zu unerwarteten Schwierigkeiten kommen würde, aber tief in sich spürte sie ein Gefühl drohenden Unheils. Aber im Moment hätte sie nicht sagen können warum, oder aus welcher Ecke ihnen Ungemach drohen sollte.   * * *   Pünktlich um 14:00 Uhr war Generalmajor Lynden B. Hayes bei Commander Zaizewa in Andockbucht-07 erschienen, und beide kletterten hinter einander in das Zubringershuttle. Nachdem die Liftplattform zur Hauptschleuse hinauf gefahren war, startete Commander Zaizewa die Systeme des Shuttles und hob das kleine Raumfahrzeug ab, kaum dass die Startfreigabe erfolgt war. Durch die breite Frontscheibe des Shuttles sahen die beiden Offiziere die massiven Wände der Schleuse zur Seite entschwinden und sie blickten schließlich auf die samtene Schwärze des Weltalls, die nur durch die zahllosen Lichtpunkte der Sterne unterbrochen wurde. Auf dem rechten Sitz des Co-Piloten lehnte sich Hayes leicht zurück und meinte sinnierend: „Sterne - Nadelstiche im Mantel der Nacht.“ „Von welchem Dichter ist dieser Satz?“, erkundigte sich Irina Zaizewa, ohne den Blick von den Kontrollen zu nehmen. Der Generalmajor wandte sich nach Links. „Von gar keinem. Ich habe diesen Satz mal in irgendeinem alten Film gehört. Ich finde ihn gar nicht so unpassend. In früherer Zeit haben Menschen das vielleicht wirklich gedacht.“ „Vielleicht waren sie mit diesem Wissen, oder besser Nichtwissen, besser dran, als wir.“ Etwas erstaunt musterte Hayes seine Begleiterin von der Seite und erkundigte sich dann spöttisch: „Ist das russischer Optimismus oder haben Sie doch noch Schmerzen, von denen Sie den Ärzten auf der Station nichts erzählt haben?“ Irina Zaizewa blickte kurz zu Seite. „Nein, das ist es nicht, Sir. Ich will nicht unken, aber ich werde bereits den gesamten Tag schon das Gefühl nicht los, dass etwas unangenehmes passieren wird. Ich hatte das schon früher, und zumeist haben sich diese düsteren Vorahnungen bewahrheitet.“ Verständnis flackerte in den braunen Augen des Mannes, als er erwiderte: „Nach den Vorkommnissen vor einigen Wochen ist ein solches Gefühl durchaus verständlich. Ich bin kein Psychologe, Commander, aber ich denke, dass Sie sich momentan noch verletzlich fühlen, aufgrund des Abschusses ihres Jägers, und der Tatsache, dass Sie momentan nicht aktiv an einem Weltraumgefecht teilnehmen könnten, falls der Gegner sich wieder melden sollte.“ Die Hände der Russin umklammerten das Steuerhorn des Shuttles fester. Ein Teil von ihr ahnte, dass der General bis zu einem gewissen Grad Recht hatte mit seiner Vermutung. Sich langsam wieder entspannend antwortete sie leise: „Das mag auch ein Grund sein, General. Aber da ist auch noch etwas Anderes – etwas, das ich nicht in Worte fassen kann.“ Hayes seufzte schwach. „Man wird uns noch früh genug wieder ans Leder wollen, Commander. Also bitte keine düsteren Vorahnungen mehr, bis wir die Besichtigung der THALIA hinter uns haben und wieder auf der Station sind.“ Der Grauhaarige wechselte abrupt das Thema, indem er sagte: „Captain Naeryn Kalimah ist eine meiner besten Kreuzer-Kommandantinnen. Ich bin gespannt auf ihre Meinung zu dieser neuen Raumschiffsklasse. Sie traf die Entscheidung zu den Erdstreitkräften zu gehen aufgrund des Telepathen-Krieges. Später, während der Ausbildung an der Akademie, wurde sie von der Drakhseuche überrascht, doch sie schloss ihre Ausbildung an der Akademie ab, fest daran glaubend, dass die EXCALIBUR ein Gegenmittel finden wird. Eine sehr beeindruckende Frau, wie Sie feststellen werden.“ Vor dem Shuttle tauchte die brandneue EAS THALIA auf. Der ALPHA-Kreuzer gleichen Namens hatte bereits wieder abgelegt und wurde momentan durchgecheckt für den Rückflug zum Sonnensystem. Irina Zaizewa verzögerte das Shuttle und fragte dabei abwesend: „Sie sagten, dass sich Captain Kalimah aufgrund des Telepathen-Krieges den Streitkräften anschloss. Ich hoffe nur, dass sie keine Vorbehalte gegen Telepathen hat.“ Für einen Moment spürte Generalmajor Hayes die schon überwunden geglaubte Spannung zwischen sich und Commander Zaizewa erneut aufflammen. Etwas verstimmt erwiderte er: „Nein, in dieser Hinsicht bin ich der einzige Extremist der Kampfgruppe, wie mir scheint.“ „General, das wollte ich damit nicht...“ „Schon gut, Commander“, unterbrach Hayes die Russin bestimmt. „Lassen Sie uns nicht davon sprechen.“ „Wie sie wünschen, Generalmajor.“ Die Spannung schien sich zu verstärken und Hayes suchte nach einer Möglichkeit etwas zu sagen um seine vorherigen Worte etwas abzumildern, doch ihm wollte nichts einfallen. Darum schwieg er und blickte starr aus dem Frontfenster. Die THALIA war zu beachtlicher Größe vor dem Shuttle angewachsen. Nur wenige Augenblicke später steuerte Irina Zaizewa das Shuttle geschickt, durch das energetische Sperrfeld in den Hangar des neuen Kreuzers und landete es am dafür vorgesehenen Platz. Die Russin deaktivierte die Aggregate des Shuttles und folgte Hayes dann zum Ausstieg des kleinen Raumfahrzeugs. Captain Naeryn Kalimah hatte neben dem Ausstieg des Shuttles eine Ehrenwache von sechs Crewmitgliedern antreten lassen. Der Dienstältesten von ihnen pfiff Seite auf einer Bootsmannspfeife, als der Generalmajor auf den Boden des Hangars trat, und die Südafrikanerin trat zu ihrem Kommandeur vor und salutierte zackig. „In meinem Namen und im Namen der gesamten Besatzung der THALIA heiße ich Sie, und Commander Zaizewa, an Bord herzlich willkommen, Generalmajor.“ Hayes und Zaizewa erwiderten den Gruß und der Generalmajor antwortete: „Danke, Captain Kalimah. Bitte um Erlaubnis, mit Begleitung, an Bord kommen zu dürfen.“ „Erlaubnis erteilt“, antwortete die Afrikanerin protokollgerecht und deutete einladend zum Ausgang des Hangars. „Ich denke, Sie und der Commander wollen zuerst die Brücke des Schiffes sehen, Sir?“ Hayes nickte der 1,77 Meter großen Frau lächelnd zu. „Sie denken richtig, Captain. Ich bin sehr gespannt darauf, wie die neuen Kontrollorgane aussehen und wie sie auf diesen neuen Kreuzern angeordnet sind.“ Naeryn Kalimah gab ihren Leuten einen Wink abzutreten und führte ihre beiden Gäste dann aus dem Hangar heraus. Die Gänge des Schiffes machten einen nüchternen, funktionellen Eindruck, wie Hayes auch von der SHERIDAN gewohnt war. Mit einem Aufzug fuhren sie die obere, zentral gelegene Finne hinauf, in deren oberen Drittel die etwas vorspringende Brücke lag. Während sie hinauf fuhren fragte Hayes die Kommandantin des Kreuzers: „Irre ich mich, Captain, oder herrscht auf der THALIA eine höhere Schwerkraft, als 1 Gravo?“ Die kräftig gebaute, dunkelhäutige Frau lächelte beinahe verschmitzt. „Sie haben Recht, General. Ich habe einen Wert von 1,1 Gravos einstellen lassen. Einerseits werden die Muskeln dadurch stärker trainiert, andererseits verliert die Crew bei einem möglichen Gefecht nicht so schnell die Bodenhaftung. Die Crew wird sich daran gewöhnen.“ Hayes nickte schmunzelnd. Ihm wäre nie eingefallen Naeryn Kalimah in dieser Sache irgendwelche Vorschriften zu machen – solche Entscheidungen lagen ganz im Kommandobereich eines Schiffscaptains. Nur im Falle, dass eine solche Entscheidung die Gesundheit der Crew oder ihre Gefechtsbereitschaft beeinträchtigte, stand es Hayes zu lenkend einzugreifen. Aber eine solche Gefahr bestand nach seiner Meinung in diesem Fall nicht, also ließ er die Frau gewähren. Sie erreichten das Kommandodeck und betraten kurz darauf die Brücke des Kreuzers. Beeindruckt blieb Lynden B. Hayes stehen und ließ den ersten Eindruck auf sich wirken. Neben ihm blickte sich Irina Zaizewa um, die ähnlich zu empfinden schien, wie der General, bei diesem beeindruckenden Anblick. Die primären Stationen befanden sich im Frontbereich der zwanzig Meter breiten und halb so langen Brücke. Dahinter, leicht erhöht, der Sitz des Kommandanten und, anders als auf älteren Raumschiffen der Erd-Allianz, der seines Ersten Offiziers – umgeben von Status-Displays. Durch die großen Panzerglasscheiben des Frontsektors, und beider Seitenbereiche der Kommandozentrale genossen beide Führungsoffiziere einen fantastischen Rundblick von annähernd 180 Grad. Die Steuerelemente und Arbeitsoberflächen der Konsolen entsprachen den neuesten Standards. Gemeinsam mit Hayes schritt Irina Zaizewa zum Frontbereich, bis sie durch die Frontscheiben der Brücke einen Teil des vorderen Schiffsrumpfes erkennen konnte. Zu ihrer Linken schwebte die gewaltige Station, MFB-VI-023, mit leichter Überhöhung im All. „Das Nervenzentrum dieses Kreuzers ist sehr beeindruckend“, ließ sich Hayes neben der Telepathin vernehmen. Er wandte sich zu Naeryn Kalimah und meinte: „Ich denke wir sollten uns auch den Rest des Kreuzers ansehen, finden Sie nicht?“ „Absolut, General.“ Zusammen mit Hayes und Zaizewa verließ die Südafrikanerin die Kommandozentrale des Schiffes und fuhr mit ihnen im Lift hinunter in den zentralen Bereich des Raumschiffs. Von dort aus schritten sie durch einen der Längsgänge zum Heckbereich. Neugierig erkundigte sich Hayes bei Captain Kalimah: „Was denken Sie? Wie stark sind diese neuen Kreuzer Ihrer Meinung nach?“ Die Afrikanerin blickte den General an und ein Glitzern erfüllte ihre Augen, als sie erwiderte: „Ich habe die Spezifikationen studiert und allein die besagen, dass diese neuen Kreuzer mindestens doppelt so schlagkräftig sein werden, wie die veralteten Schiffe. Aber darauf gebe ich nicht allzu viel, ich schätze mehr die praktischen Werte. Doch allein, was ich bisher gesehen und erlebt habe führt zu der Annahme, dass diese neuen Kreuzer halten werden was sie versprechen.“ Hayes nickte in Gedanken. „Zum Testen der Schiffe werden Sie noch genügend Gelegenheit bekommen, Captain. Auch ich bin bereits auf die Ergebnisse gespannt.“ Unterwegs inspizierten sie die Messe, den Freizeitsektor und einige der Quartiere, bevor sie die gewaltige Maschinenhalle der Hauptenergieerzeugung betraten. Von einer umlaufenden Galerie aus blickten sie auf die riesigen Aggregate, die alle Schiffssysteme mit Strom versorgten. Im Bug gab es ein redundantes System für Notfälle. Sie umrundeten die Maschinenhalle und betraten wenig später den Hauptmaschinenraum, von dem aus die Energieerzeugung und die Leistung der Triebwerke gesteuert und überwacht wurde. Sie sprachen eine Weile mit dem Chefingenieur des Kreuzers, bevor sie sich schließlich in den Bugsektor aufmachten, wo sie abschließend die Projektoren zur Etablierung eines Hyperraum-Fensters inspizierten. Tief beeindruckt standen sie eine Stunde später wieder im Hangar des Kreuzers, den sie zu guter Letzt inspiziert hatten. Hier hatte besonders Commander Zaizewa wieder stärkeres Interesse gezeigt, da sie als Jagdpilotin natürlich mehr über die verbesserten STARFURY-Jäger hatte wissen wollen. Sowohl die Reichweite, wie auch die Bewaffnung waren verbessert worden. Acht der kampfstarken Jagdmaschinen, also eine komplette Staffel, führte der Kreuzer mit sich. Generalmajor Hayes reichte Naeryn Kalimah zum Abschied die Hand und meinte abschließend: „Ich danke Ihnen, Captain, dass Sie sich die Zeit für diese Führung genommen haben. Ich weiß das zu schätzen, denn mir ist bewusst, dass Sie gerade in der nächsten Zeit eine Menge um die Ohren haben werden.“ Naeryn Kalimah erwiderte mit erstaunlich festem Griff den Händedruck des Generals und nickte ihm und Commander Zaizewa zu. „Kein Problem, Sir. Sie sind jederzeit herzlich willkommen auf meinem Schiff.“ Hayes schmunzelte leicht und verzichtete darauf klarzustellen, dass die THALIA grundsätzlich den Steuerzahlern der Erd-Allianz gehörte, denn er wusste, dass jeder Kommandant eines Raumschiffs das Schiff als sein Schiff zu bezeichnen pflegte. Inklusive ihm selbst. Nachdem sie wieder im Shuttle saßen und Irina Zaizewa es aus dem Hangar der THALIA steuerte, blickte Hayes die Frau an seiner Seite fragend an. Sie hatte sich während der gesamten Führung kaum zu Wort gemeldet und der General fragte sich, ob es eine Nachwirkung ihrer Unterhaltung war, die sie auf dem Hinflug geführt hatten. Er zögerte einen Moment, bevor er schließlich mit rauer Stimme sagte: „Es tut mir leid, dass ich auf dem Hinflug etwas harsch auf Ihre Worte reagiert habe, Commander. Ich möchte mich dafür entschuldigen.“ Die Russin blickte ihn kurz an, bevor sie flüchtig lächelnd antwortete: „Schon vergessen, Sir. Ich hatte meine Worte wirklich nicht in diesem Sinne gemeint.“ Hayes nickte unangenehm berührt. „Ja, das hätte mir eigentlich klar sein sollen. Nun, ich bin froh, dass wir dieses kleine Missverständnis ausgeräumt haben. Ich freue mich bereits auf unser Abendessen, Commander. Ich hoffe, sie werden danach auch an meiner Seite sein, wenn wir die ALPHA-Kreuzer verabschieden. Die sieben Kreuzer brechen gegen 22:00 Uhr Standard auf.“ Das Lächeln der Frau vertiefte sich. „Ich freue mich auch darauf, General, und ich bin sehr gerne an Ihrer Seite, wenn die Kreuzer nach Hause starten.“   * * *   Auf der EAS KLOTHO war, ebenso wie auf allen anderen sieben Kreuzern der ALPHA-KLASSE, alles klar für den Rückflug zum Sonnensystem. First-Lieutenant Eireene Connally, die Commander Jason Hrrurfuhruhurr bei diesem Flug als Erster Offizier zur Seite stand, wie bereits beim Hinflug, fuhr sich mit gespreizten Fingern durch ihr blondes schulterlanges Haar und meldete ihrem Vorgesetzen: „Commander Hrrurfuhruhurr, der Kreuzer-Verband ist klar zum Rückflug. Der festgesetzte Starttermin um 22:00 Uhr Standard kann auf jeden Fall eingehalten werden.“ Commander Jason Hrrurfuhruhurr nickte dankend in Richtung der jungen Frau und blickte sich auf der Brücke um, auf der nur die wichtigsten Stationen besetzt waren. Das Schiff wurde normalerweise von einer Crew aus 356 Männern und Frauen bemannt – im Moment waren es gerade mal vierzig. Aber das Raumschiff flog ja auch zur Demontage und nicht ins Gefecht. Jason Hrrurfuhruhurr freute sich bereits darauf, nach diesem Flug einen längeren Urlaub anzutreten. Zeit, die er mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern, im Alter von vier und zwei Jahren, zu verbringen gedachte. Alle drei hatte er bereits seit über einem halben Jahr nicht mehr gesehen. Sie wohnten, seit etwa fünf Jahren, seit er mit Yandra verheiratet war, auf dem Mars. Seine Frau leitete dort ein kleines aber exklusives Touristik-Unternehmen, das vorwiegend von reichen Kunden in Anspruch genommen wurde. Sie hatten sich vor acht Jahren auf der Transferstation IO kennengelernt. Damals war er dort als junger Lieutenant stationiert gewesen, und Yandra hatte sich an ihn gewandt, nachdem sie sich vollkommen auf der Station verirrt hatte. So war seine Yandra: hübsch, intelligent, geschäftstüchtig, aber sie verlief sich selbst in einer Abstellkammer. Jason Hrrurfuhruhurr stellte sich ihre großen rehbraunen Augen vor – wie Yandra ihn damals dankbar angesehen hatte, nachdem er sie gerade noch rechtzeitig zu ihrem Shuttle gebracht hatte, mit dem sie nach einem geschäftlichen Flug nach Proxima-III die Erde zu erreichen gedachte. Das war der Moment gewesen in dem er sich rettungslos in sie verliebt hatte. Ein amüsiertes Lächeln überflog das Gesicht des Commanders bei diesen Gedanken bevor er sich wieder auf seine Aufgabe konzentrierte. Ein kurzer Blick zur Uhr belehrte ihn darüber, dass es weniger als zwanzig Minuten waren bis der Verband planmäßig in den Heimatsektor starten sollte. Die Überführungs-Crews hatten gute Arbeit geleistet. Zusammen mit ihm und Lieutenant Connally weilten noch drei weitere Crewmitglieder im Kommandozentrum des Kreuzers. Für die Überführung reichte diese Minimalbesetzung der Brücke, da die Taktischen Stationen, und die Posten für die Notsysteme nicht besetzt werden mussten. Ansonsten wären hier mindestens zehn Leute erforderlich gewesen. Mit einem Gefühl von Stolz setzte sich der Commander in den Kommandantensessel und nahm die letzten Checks seiner Systeme vor. Unter normalen Umständen saß hier ein Offizier im Rang eines Captains, da ließen die Regeln der Flotte keine Ausnahmen zu. Dass ein Commander während des Rückfluges zum Sonnensystem hier sitzen durfte lag darin begründet, dass der Kreuzer nun quasi bereits als ausgemustert galt, denn offiziell war bereits der neue Kreuzer desselben Namens, um 18:00 Uhr, in Dienst gegangen. Dennoch blieb das erhabene Gefühl in Hrrurfuhruhurr bestehen. Irgendwann würde er als Captain ein Kampfschiff der Erdstreitkräfte führen und dann saß er nicht nur an einem solchen Platz um das Schiff seiner letzten Bestimmung zuzuführen. Letztlich war er deswegen den Erdstreitkräften beigetreten. Captain eines Kriegsschiffes, das war das Ziel aller Kadetten der Akademie, oder besser, das sollte das Ziel sein, nach Hrrurfuhruhurrs Meinung. Während der Commander diesen Gedanken nachhing dachte Eireene Connally über ganz andere Dinge nach. Vor dem Aufbruch aus dem Heimatsektor hatte sie sich von ihrem Freund getrennt. Das war zwar schon seit längerer Zeit absehbar gewesen, aber dennoch hatte es weh getan den endgültigen Schlussstrich zu ziehen. Sie hatten einander versprochen Freunde zu bleiben. Hohle Phrasen, wie Eireene fand. Aber was hätten sie einander sonst sagen sollen, vor dem finalen Abschied. Warum fiel Leuten, nach drei Jahren nichts Gescheiteres ein? Die blonde Frau strich sich nachdenklich eine Strähne ihrer Haare hinter das rechte Ohr und atmete tief durch. Vielleicht war es gescheiter so. Musa war Zivilist und sie sahen sich, bedingt durch ihren Dienst, nur wenige Wochen im Jahr. Sie konnte verstehen, dass Musa eine Andere kennengelernt hatte. Wenigstens war er so anständig gewesen sofort mit ihr zu reden, als ihm klar geworden war, dass er zukünftig lieber mit dieser anderen Frau zusammen sein wollte. Er hatte ihren Namen nicht genannt, und sie selbst hatte ihn nicht danach gefragt. Besser war das. Sie nahm sich vor, sich in der nächsten Zeit voll und ganz auf den Dienst zu konzentrieren, was später kam würde sie dann schon sehen. Positiv denken. Nach ihrer Rückkehr hieß es erst einmal: Urlaub. Zeit sich zu besinnen und neu zu orientieren. Vielleicht würde sie ihre Schwester besuchen. Sie hatten sich schon seit einem Jahr nicht mehr gesehen. Schneller als Eireene Connally gedacht hatte, war die Zeit bis zum Start vergangen. Sie bekam mit, wie Generalmajor Hayes mit den Interimskommandanten der sieben Kreuzer in Verbindung trat und ihnen abschließend eine gute Heimreise wünschte. Nachdem der Kanal geschlossen war, lehnte sich der Commander etwas im Sitz zur Seite und blickte sie an. „Nun denn, Lieutenant. Dann werden wir jetzt aufbrechen. Geben Sie den übrigen Kreuzerkommandanten Bescheid, dass sich die KLOTHO an die Spitze setzt. Der Rest folgt in der abgesprochenen Formation durch den Hypervortex, sobald die Station ihn etabliert hat.“ Kaum hatte Lieutenant Connally die Anweisung des Commanders weitergeleitet, als die Spitzen der Doppelgabel, in Front der Militärbasis grell aufleuchteten und einhundert Kilometer vor der Station eine gelber Energiewirbel entstand der gewaltige Dimensionen annahm. Im Zentrum des Hypervortex erkannte Eireene Connally den Übergang zum Hyperraum. Wenige Augenblicke später nahm der Vortexwirbel bereits das gesamte Sichtfeld ein, das von den Fenstern des Kommandozentrums abgedeckt wurde. Wie immer war nicht das Geringste zu spüren, als die KLOTHO und ihre sechs Begleitschiff signifikant im Vortex beschleunigt wurden. Im nächsten Moment wechselte das leuchtende Gelb einem düsteren Rot. Sie befanden sich im Hyperraum, einer mit menschlichen Sinnen nicht erfassbaren Dimension. Mit Fahrtwerten, wie sie im Einsteinraum niemals möglich gewesen wären, jagten die sieben Kreuzer durch dieses rote Wirbeln und Strömen, ihrem fernen Ziel entgegen. Eireene Connally kontrollierte ihre Instrumente und meldete dann: „Alle Kreuzer befinden sich planmäßig im Hyperraum und folgen in vorgeschriebener Formation, Sir. Wenn nichts dazwischen kommt, dann werden wir in knapp sechseinhalb Tagen über dem Mars ankommen. Es sei denn, wir machen unterwegs einen Zwischenstopp.“ Der Commander erlaubte sich ein verschmitztes Grinsen. „Dazu sehe ich keinerlei Veranlassung. Die Aggregate der Schiffe wiesen keinerlei Unregelmäßigkeiten auf, als wir sie durchgecheckt haben. Ich sehe also keinen Grund dazu unsere Reise unnötig in die Länge zu ziehen, Lieutenant.“ Eireene Connally nickte nur. Die Besatzungen zur Überführung der Schiffe waren bunt zusammengewürfelt, und so hatte sie Commander Hrrurfuhruhurr erst auf dem Flug nach BABYLON-6 kennengelernt. Für einen Moment war sie versucht ihn zu fragen, ob am Ende dieser Reise jemand auf ihn wartete, doch dann befand sie, dass diese Frage zu persönlich sei. Insbesondere da man sich vermutlich nach der Überführung kaum wiedersehen würde, da dann jedes Crewmitglied wieder in seiner angestammten Einheit Dienst tun würde. Die Blondine freute sich schon darauf, einige ihrer Kameraden und Kameradinnen wiederzusehen. Sie würden ihr in der nächsten Zeit dabei helfen, über die momentan nicht so glücklich verlaufende Phase ihres Privatlebens hinweg zu kommen. Beinahe sechs Stunden ereignislosen Fluges lagen nun vor ihr, bevor ihre Ablösung erscheinen würde. Dieser Sechsstundenrhythmus würde die Crew davor bewahren zu glauben, dass die Zeit gar nicht mehr vergehen wollte – schienen einem diese sechs Stunden ohnehin schon fast so lang zu sein, wie ein ganzer Tag. Diese eine Woche würde ihr vorkommen, wie ein Monat. Eireene Connally hätte die Ereignislosigkeit des bevorstehenden Fluges sicherlich weniger schnell verflucht, hätte sie geahnt, was sie in etwas weniger als drei Tagen erwartete.   * * *   Im Kommandozentrum des Raider-Trägerschiffs STORMBRINGER warf Galen Kilrain einen Blick auf den automatischen Kalender. Soeben war der 13. März des Jahres 2291 angebrochen. Ein Freitag – doch das hatte nichts zu besagen. Galen Kilrain war nicht abergläubisch. Vor einem halben Tag bereits hatte sein Verband, der aus fünf beeindruckenden Raider-Trägerschiffen und dem Experimental-Raumschiff DISTORTION-WARRIOR bestand, an dem Punkt Stellung bezogen, wo der Hyperfeld-Destruktor eingesetzt werden sollte. Eins der Schiffe, die APOCALYPTICA, hatte im Hyperraum Position bezogen und ortete mit speziell getunten Scannern nach den sieben Kreuzern, die sich bereits seit etwa drei Tagen auf dem Weg zur Erde befinden mussten. Natürlich, so überlegte Kilrain, konnte es zu Verzögerungen gekommen sein, doch damit würde er zurecht kommen. Nicht zuletzt deswegen weil er nicht zu den nervösen und ungeduldigen Typen gehörte, hatte Cameron Grant ihm die Leitung dieser Aktion anvertraut – und er würde das Vertrauen Grants bestätigen. Er wusste, dass in den Bereitschaftsräumen der Jagdgeschwader seiner fünf Trägerschiffe gleichfalls Männer und Frauen darauf brannten, dass es endlich losging und sie mit ihren deltaförmigen Jagdmaschinen starten durften. Ihre Aufgabe würde es vordringlich sein, die Schildnetzprojektoren und die Funkantennen zu zerstören. Die großen Schiffe würden sich zunächst zurückhalten, da man zu große Schäden an den sieben Kreuzern unbedingt vermeiden wollte. Cameron Grant legte größten Wert darauf, diese Kreuzer bald einsetzen zu können. Grants fünf Trägerschiffe stellten eine verbesserte Variante jenes Prototypen dar, der im Jahr 2258 durch einen noch immer ungeklärten Zwischenfall, zerstört worden war. Es gab Gerüchte, dass die Schatten dahinter gesteckt hatten, doch dafür fehlten bis heute die Beweise. Größer, mit mehr Jägern ausgestattet und besser bewaffnet als diese Prototyp, bildeten diese fünf Schiffe zwar einen beträchtlichen Machtfaktor – aber sie waren den modernen Kriegsschiffen der Großmächte unterlegen. Die sieben ALPHA-KLASSE Kreuzer jedoch waren hoffnungslos unterbesetzt. Außerdem rechneten die Crews dieser Kreuzer nicht mit einem Angriff, noch damit, dass es jemandem gelingen konnte den Hyperraumflug ihrer Kreuzer an einer willkürlich gewählten Stelle zu unterbrechen. Galen Kilrain rechnete damit, dass die Überführungs-Crews für eine Weile verblüfft sein würden, wenn der Hyperfeld-Destruktor zum Einsatz kam. Diesen Schockmoment – den kurzen Moment der Handlungsunfähigkeit - gedachten der Ire und seine Leute zu nutzen. Die ersten Sekunden, nach dem Rücksturz in den Normalraum würden die entscheidenden Momente des Überfalls sein, so viel stand fest. Sekunden reihten sich zu Minuten – Minuten zu einer Stunde. Dann noch eine Stunde, doch von den sieben Erd-Kreuzern noch keine Spur. Als eine weitere Stunde zur Hälfte herum war fiel die APOCALYPTICA plötzlich in den Normalraum zurück und gab des erhoffte Codesignal, welches die baldige Ankunft der ALPHA-Kreuzer in diesem Sektor ankündigte. Galen Kilrain gab Vollalarm. Elektronische Warntöne schrillten durch die Abteilungen der fünf Trägerschiffe. Schwere Stiefel der Fliegermonturen, die von den Jagdpiloten getragen wurden, die nun zu ihren Jägern rannten, erzeugten ein donnerndes Stakkato auf den Böden der Gänge. Keine Zwei Minuten später gab der letzte Pilot das Signal bereit zum Start zu sein und Kilrain befahl umgehend den Start aller Jäger. Gleichzeitig nahm er Verbindung zur DISTORTION-WARRIOR auf und wies den Kommandanten an, das Destruktor-Feld aufzubauen. Unsichtbare Energiewellenbündel schossen nun aus den Emittern des Spezialschiffes und begannen damit auf den Hyperraum einzuwirken. Nur auf den Energie-Scannern konnte der unheimliche Vorgang, der mit den Maschinen an Bord der DISTORTION-WARRIOR in Gang gesetzt wurde, verfolgt werden. Galen Kilrain wusste, dass der Hyperraum nun in einem Radius von einem viertel Lichtjahr beeinflusst, und ein Verbleiben im Hyperraum unmöglich gemacht wurde. Kilrain verstand von dem Vorgang nur so viel, als dass er wusste, dass nun jeden Moment die Raumschiffe der Erd-Allianz aus dem Hyperraum ausgespien werden würden. Kilrain lächelte finster. Er und seine Leute waren bereit zu handeln.   * * *   Der Flug war bisher genau so langweilig verlaufen, wie es sich Eireene Connally vorgestellt hatte. Sie gewann das Gefühl bereits seit Wochen, und nicht erst seit gut drei Tagen unterwegs zu sein, und sie fragte sich wiederholt, ob es etwas Schlimmeres geben konnte, als an Bord eines unterbesetzten Kreuzers sieben Tage am Stück durch den Hyperraum zu gondeln. Während der Freiwachen hatte sie sich mit einigen Leuten der Crew unterhalten, aber wirklich kennengelernt hatte sie dabei keines der Crewmitglieder. Während der letzten Freiwache hatte sie einige Stunden geschlafen und danach etwas gegessen. Einigermaßen ausgeruht und bereit weitere sechs ereignislose Stunden auf der Brücke zu verbringen hatte sie vor einigen Minuten wieder ihren Dienst angetreten. Etwas mürrisch blickte sie zu Commander Jason Hrrurfuhruhurr und murmelte: „Meine ich das nur, oder sieht der Hyperraum an dieser Stelle besonders trostlos aus?“ Der Commander blickte durch die Frontscheiben hinaus auf das Wirbeln sämtlicher Rottöne zwischen Blutrot und beinahe Schwarz und zuckte schmunzelnd die Schultern. „Überall gleich würde ich sagen. Bisher haben unsere Wissenschaftler nicht einmal bestätigt, ob dieses rote Wallen nicht nur die Einbildung überreizter Sehnerven ist.“ „Danke, Commander“, erwiderte die blonde Frau mürrisch und blickte den Mann so anklagend an, als könne er persönlich etwas für dafür, wie der Hyperraum aussah. „Das tröstet mich ungemein. Vielleicht sollte nächstes Mal einer dieser Wissenschaftler hier draußen herumfliegen.“ Commander Hrrurfuhruhurr war versucht etwas darauf zu sagen, doch er kam nicht mehr dazu. Von den Instrumenten des Operations-Offiziers kam ein durchdringendes Schrillen und etwas ratlos blickte der junge Ensign zu seinem Vorgesetzten auf und meldete: „Sir, ich messe einen signifikanten Energieanstieg direkt in Flugrichtung an. Er scheint sich rasend schnell auszuweiten und wird uns in etwa zehn Sekunden erreicht haben.“ Es dauerte einen Moment, bis Commander Hrrurfuhruhurr diese unglaubliche Meldung verdaut hatte. Etwas konsterniert erwiderte er: „Aber das ist doch nicht möglich, Ensign. Woher soll hier im Hyperraum ein Energieanstieg kommen? So etwas gab es noch nie.“ Im selben Moment stieß Eireene Connally einen unartikulierten Laut der Überraschung aus und sie deutete mit zitternder Hand zum Frontfenster. Hrrurfuhruhurr blickte hinaus in den Hyperraum und er erkannte, was Lieutenant Connally aus der Fassung gebracht hatte. Vor dem Schiffsverband wuchs in aberwitziger Geschwindigkeit eine Kugel aus düster-roten, bis grell orangenen Energieblitzen auf, und nur wenige Augenblicke später schien eine Energiewand auf den Verband einzudringen. „Oh mein Gott...!!“, rief der Commander fassungslos aus – unfähig irgendeinen sinnvollen Befehl zu erteilen. Im nächsten Moment prallte die äußere Schicht der gewaltigen, sich weiter ausbreitenden, Energiekugel gegen die Schiffshüllen der sieben ALPHA-Kreuzer. Auf der KLOTHO wurden Commander Hrrurfuhruhurr und Eireene Connally von den Beinen gehoben und wie Puppen durch die Kommandozentrale geschleudert. Unsanft landeten sie auf dem Boden, wobei sich der Commander eine blutende Risswunde an der Stirn zuzog. Auf den Kreuzern HERMES und AGLAIA starben zwei Crewmitglieder durch einen Genickbruch und einer an einem Schädelbruch, als die Raumschiffe erfasst wurden. Bereits im nächsten Augenblick schien alles vorbei zu sein, doch dieser Eindruck hielt nur für eine Schrecksekunde an, bevor ein deutlich spürbares Vibrieren durch die Schiffszellen lief. Einen Moment später wurden die Besatzungen der sieben Kreuzer wild durchgerüttelt. Auf der KLOTHO schaffte es Hrrurfuhruhurr sich in den Sessel des Befehlshabers zu zerren und in schräger Haltung darauf Platz zu nehmen. Neben sich sah er Eireene Connally über den Boden kriechen. Er griff nach ihr um sie irgendwie festzuhalten und erwischte sie an der Schulter. Im nächsten Moment war es vorbei und mit einem Gefühl soeben noch auf einem Rüttelsieb gewesen zu sein blickte sich der Commander verwirrt um. Durch die Scheiben drang die gewohnte Schwärze des normalen Weltalls mit all seinen Myriaden von Sternen. Irgendwer wimmerte leise. Sich besinnend donnerte Hrrurfuhruhurrs Stimme: „Nach Objekten scannen und feststellen, was passiert ist und in welchem Raumsektor wir uns befinden?“ Er half Lieutenant Connally dabei aufzustehen und raunte ihr leise zu: „Was zur Hölle war das? Wir befinden uns nicht mehr im Hyperraum. Ein natürliches Phänomen?“ Eireene Connally, die sich noch sammelte blickte ihren Vorgesetzten an und machte eine hilflose Geste, die nur allzu deutlich besagte, dass sie keinerlei Vorstellung von dem, was soeben passiert war, hatte. Fast im selben Moment meldete sich der Operations-Offizier: „Commander, es kommen Raumschiffe und Jäger auf uns zu. Aus 025.003 und aus 298.007.“ „Identifizieren!“, verlangte der Commander, während er mit dem Ärmel seines Uniformhemdes das Blut von seiner Stirn wischte. Ein unangenehmes Brennen machte sich an seiner linken Schläfe bemerkbar und Hrrurfuhruhurr fluchte leise. Im nächsten Moment meldete der junge Ensign: „Sir, es handelt sich um Schiffe, wie sie früher von den Raiders benutzt wurden, bevor diese Gefahr von unserer Flotte gebannt wurde. Ich scanne sechs kapitale Raumschiffe und zwei Wellen von insgesamt 120 Jägern.“ Hrrurfuhruhurr blickte ungläubig zu Connally. „Lieutenant begeben Sie sich zur Taktischen Station und aktivieren sie das Schutzschildgitter und unsere Waffen.“ Während sich Eireene Connally beeilte die Order auszuführen, befahl Hrrurfuhruhurr: „Alarm für den gesamten Verband. Wir werden von Unbekannten angegriffen. Kommunikation: Einen Notruf absetzen. Das werden wir alleine nicht...!“ Ein Schlag traf das Schiff. Der Ensign schrie dazwischen: „Die Unbekannten eröffnen das Feuer auf unseren Verband. Sie haben die Kommunikation zerstört. Notruf nicht möglich!“ Gleichzeitig meldete Connally: „Waffen und Schildgitter nicht zu aktivieren, Commander.“ Wie versteinert sank Hrrurfuhruhurr in den Kommandosessel und blickte hinaus ins All, wo schemenhaft die fremden Schiffe und ihre Jäger sichtbar wurden. „Dann schütze uns Gott.“ Kapitel 3: Der Überfall ----------------------- Im Kommandoraum seines Trägerraumschiffs beobachtete Galen Kilrain fasziniert die Auswirkungen dessen, was durch ein unfassbares Aggregat auf dem Experimentalschiff im Weltall verursacht wurde. Optisch war die Strahlung, die vom Experimentalschiff abgegeben wurde, nicht zu erkennen. Nur auf den Anzeigen der Energieortung zeichnete sie sich als eng gebündelte Wellenlinie ab, die sich an einem fernen Punkt des Weltalls konzentrierte. Dann geschah es. Zuerst war es nur ein fast unsichtbares Flirren gewesen, doch dann schien sich das Weltall vor dem Verband zu verflüssigen. Für einen Moment fragte sich Kilrain, was wohl mit seinem Verband passieren würde, falls sie in den Bereich der Anomalie geraten würden. Im nächsten Moment konzentrierte er sich wieder auf seine Aufgabe und harrte dem, was den Wissenschaftlern ihrer Organisation zufolge nun passieren sollte. Er musste nicht lange warten, denn schon wenige Momente später begann der Weltraum partiell in einem düsteren Rot aufzuglühen. Wenig später wurde aus dem Rot ein grelles Weiß, um bereits im nächsten Moment wieder zu verblassen. Der Weltraum lag gleich darauf so schwarz wie eh und je vor ihnen. Galen Kilrain rieb sich die gepeinigten Augen und blickte hinaus ins Weltall. Gleichzeitig wurde ihm von der Ortungsstation gemeldet: „Sir, die sieben Kreuzer befinden sich treibend im Normalraum. Unsere wissenschaftlichen Hexenmeister hatten Erfolg!“ „Den Jäger den Angriffsbefehl erteilen“, donnerte Kilrains tragendes Organ durch die Hochstimmung im Kommandozentrum des Trägerschiffes. Der Angriffsbefehl ging umgehend heraus und Kilrain verfolgte mit Hilfe der Ortungsbildschirme, wie die Jäger den Befehl umsetzten. Nur einer der Kreuzer erhielt die Gelegenheit zwei ungezielte Schüsse aus seinen Partikelkanonen abzugeben. Dann hatten die Streitkräfte Kilrains die Lage unter Kontrolle. Der nächste Befehl des Iren ließ nicht lange auf sich warten. „Invasions-Shuttles starten!“ Diese Invasions-Shuttles waren eine Weiterentwicklung der ursprünglichen recht plumpen Invasionskapseln, wie sie noch in den 60er Jahren dieses Jahrhunderts zum Einsatz gekommen waren. Diese Shuttles besaßen Magnet-Landeschoren und einen Teleskop-Tunnel im Bodenbereich. Er wurde an ein Objekt angekoppelt wobei sich eine Ringschweißvorrichtung innerhalb weniger Sekunden selbst durch mehrere Meter Panzerstahl brennen konnte. Diese Vorrichtung benötigte jedoch so viel Energie, dass die Invasions-Shuttles unbewaffnet und ohne Verteidigungskapazität waren, darum konnten sie erst dann zum Einsatz kommen, wenn die Abwehr des Feindschiffes, das erobert werden sollte, niedergekämpft war. Größer als normale Erd-Shuttles konnten diese Invasions-Shuttles, zusätzlich zur Steuerungs-Crew, bis zu fünfzig schwer bewaffnete Soldaten aufnehmen. Kilrain war nicht gewillt unnötige Risiken einzugehen und so hatte er befohlen, dass zwei solcher Shuttles pro Kreuzer eingesetzt werden sollten, die zusammen genügend Söldner absetzen konnten um eine deutliche Überzahl an Bord der überfallenen Schiffe herzustellen. Auf den Bildschirmen beobachtete Kilrain den Verlauf der Aktion. Innerhalb von nur zwei Minuten dockten die Shuttles an den ihnen zugewiesenen Kreuzern an, ohne dass sie daran gehindert wurden. Auf einem der Ortungsschirme nahm der Ire die Energieausbrüche zur Kenntnis, als die Shuttles die Panzerungen der Kreuzer aufschweißten. Kilrain wusste, dass es nun nicht mehr lange dauern würde, bis die sieben Kreuzer unter der Kontrolle seiner Truppen stehen würden. Und keines der Schiffe war dazu in der Lage gewesen noch einen Notruf abzusetzen. Alles lief genau so ab, wie Grant es geplant hatte. Und er, Galen Kilrain hatte diesen Plan exzellent durchgeführt, das würde selbst Cameron Grant einsehen müssen. Sein Ansehen würde zweifellos weiter steigen durch diesen Erfolg, dessen war er sicher. Kilrain konzentrierte sich schnell wieder auf das Hier und Jetzt. Er versuchte, sich vorzustellen wie sich die Übernahme der Kreuzer momentan gestaltete.   * * *   Im Kommandozentrum der KLOTHO fand Commander Hrrurfuhruhurr langsam wieder zu seiner nüchternen Handlungsweise zurück. Nachdem ihm klar geworden war, dass die sieben Kreuzer unweigerlich in die Hände von Fremden fallen würden überfiel ihn eine geradezu unheimlich Sachlichkeit. Sich besinnend gab er den Befehl: „Alle Log-Einträge und Sprung-Koordinaten löschen. Danach werden wir sicherheitshalber die Datenträger unbrauchbar machen.“ Der Kommandant wandte sich zu Lieutenant Connally und sagte heiser: „Irgendwie muss der Generalmajor auf BABYLON-6 erfahren, was hier passiert ist, Lieutenant. Benutzen sie die Lüftungsschächte um sich zu verstecken. Danach versuchen Sie, den Hangar zu erreichen. Dort steht noch ein altes Lande-Shuttle, das mit dem Schiff außer Dienst gestellt werden sollte. Geben Sie Ihr Möglichstes um unbemerkt von Bord zu fliehen.“ Eireene Connally versuchte zu widersprechen, doch in den Augen des Commanders erkannte sie, dass er auf seinem Befehl bestehen würde, da er im Grunde folgerichtig war. Es passte der jungen Frau nur nicht, wie ein Feigling den Rückzug anzutreten. Doch welche Wahl blieb ihr? „Aye, Commander“, murmelte sie darum und sie beeilte sich eines der Lüftungsgitter, das sich etwa auf Schulterhöhe befand, zu lösen. Hrrurfuhruhurr, der ihr half in den engen Schacht der Luftversorgung zu klettern wünschte ihr viel Glück und befestigte das Gitter hinter ihr, kaum dass sie im Schacht verschwunden war. Die blonde Frau hatte trotz ihrer schlanken Gestalt, kaum Platz in dem Lüftungsschacht, um sich bewegen zu können und so robbte sie mehr schlecht als recht vorwärts. Es war warm hier drinnen und sie begann zu schwitzen. Außerdem stieg ihr Staub in die Nase, der ein unangenehmes Kribbeln verursachte. Außen Hui – innen Pfui, schoss es ihr durch den Sinn. Als sie eine Kreuzung erreichte ruhte sie sich für einen Moment mit geschlossenen Augen aus und sie versuchte sich zu orientieren. Sie kam zu dem Schluss, dass sie sich nach links wenden musste und danach – und daran wollte sie jetzt noch gar nicht denken – nach unten. Die Chance beim Abstieg in die Tiefen des Raumschiffes abzuschmieren waren nicht gerade gering, denn innerhalb dieses Schachtsystems gab es so gut wie keine Vorsprünge, die sie würde nutzen können. Hinter sich hörte sie, wie aus weiter Ferne, eine dumpfe Explosion. Offensichtlich hatten die unbekannten Invasoren das Schott zum Kommandozentrum gesprengt. Sie hoffte inständig, dass der Commander und seine Untergebenen dabei nicht zu Schaden gekommen waren. Bei dieser Überlegung kam ihr der fürchterliche Gedanke, dass der Gegner möglicherweise nicht darauf erpicht war, die Besatzungen am Leben zu lassen und ein Gefühl der Übelkeit machte sich in ihr breit, das ihre Handlungsbereitschaft und ihr Denken zu lähmen drohte. „Weiter!“, puschte sie sich selbst und sie spürte dabei wie sich ihre Augen mit Tränen zu füllen begannen, ohne dass sie es hätte verhindern können. Sie wischte sich trotzig über die Augen und schob sich dann mühsam weiter vorwärts. Fetzen von Schreien und herrisch erteilten Kommandos drangen flüchtig an ihr Ohr. Oder bildete sie sich das nur ein? Eireene Connallys Knie und Ellbogen begannen bereits zu schmerzen, als sie vor sich den nach unten führenden Kanal entdeckte. Zu ihrem Glück führte von dort auch ein weiterer Schacht nach rechts. Als sie ankam gönnte sie sich eine kurze Pause und atmete einige Male tief durch. Das beruhigte sie gleichzeitig. Dann schob sie sich vor und blickte in die Tiefe, wobei sie glaubte ihr Herz würde aussetzen, bei der Vorstellung dort hinab zu klettern. Das Ende musste mindestens einhundert Meter unter ihr liegen, eher noch mehr, und sie spürte wie ihre Hände feucht wurden. Sie an den Ärmeln ihrer Uniform abwischend schob sie sich vorsichtig in den linken Schacht, bis ihre Beine soweit frei waren, dass sie sie voran in den nach unten führenden Schacht schieben konnte. Danach schob sie sich langsam zurück. Die Blondine glaubte, ihr Herz würde aussetzen, als sie einige Zentimeter abrutschte. Doch schnell hatten die Sohlen ihrer Schuhe einen Halt gefunden, als sie sich wie ein Bergsteiger im Schacht verkeilte. Erleichtert stieß sie die Luft aus dafür entstand in ihrem Magen ein Grummeln, das sie normalerweise mit Volldampf zur nächsten Toilette rennen ließ, als sie langsam, sich mit Händen und Füßen gegen die Wandung des Vertikalschachtes stemmte, in die Tife rutschte. Sie beruhigte sich wieder etwas, nachdem sie gemerkt hatte, dass sie genügend Halt fand um nicht hilflos im Schacht nach unten abzurutschen. Vorsichtig begann sie damit, sich tiefer gleiten zu lassen, wobei die Gedanken durch ihren Kopf peitschten: Was zur Hölle mache ich hier eigentlich? Das ist doch Selbstmord! Stück für Stück arbeitete sich die Blondine tiefer, und sie war schon beinahe etwas sorglos, als sie sich, nach einer schier endlosen Zeitspanne, nur noch etwa drei Meter über dem Grund des Vertikalschachtes befand. Einen halben Meter tiefer passierte es. Sie rutschte mit beiden Händen weg und panisch bewegte sie ihre Beine, wobei sie endgültig den Halt verlor. Unterwegs schlug sie mit der rechten Schulter und der Schläfe gegen die Wandung des Schachts, bevor sie unsanft unten ankam. Leise aufstöhnend blieb sie einen Augenblick lang liegen und bewegte dann vorsichtig ihre Beine. Ein schmerzhaftes Ziehen durchlief ihren Knöchelbereich, allerdings schien es sich lediglich um eine Prellung zu handeln, da der Schmerz relativ schnell nachließ. Ihr Schädel brummte und ein zyklisches Ziehen kam von ihrer Schulter. Als sie sich an die rechte Stirn packte bemerkte sie mit Erschrecken, dass sie blutete. Es schien jedoch nur ein oberflächlicher Riss in der Haut zu sein. Trotzdem zwiebelte es ganz ordentlich. Vermutlich sah sie momentan geradezu gemeingefährlich aus, dachte sie grimmig. Eireene Connally überlegte sich, in welche Richtung sie sich nun wenden sollte. Es gab zwei Möglichkeiten. Bei dem Sturz hatte sie die Orientierung verloren. Die Chance in die richtige Richtung zu krabbeln stand 50:50. Sie entschied sich für den Schacht in dessen Richtung sie lag und kroch langsam los. Nach einer Weile spürte sie ihre Schmerzen nicht mehr so stark, und mit neu erwachender Hoffnung bewegte sie sich zielstrebig voran. Noch war man ihr offensichtlich nicht auf die Schliche gekommen. Die blonde Frau erreichte das Ende des Schachte und sah vor sich das Gitter, hinter dem hoffentlich der Gang lag, der zum Nottreppen-System führte, über welches sie den Hangar dieses Kreuzers zu erreichen gedachte. Die Lifts waren vermutlich längst deaktiviert worden. Aber selbst wenn nicht wollte sie vermeiden einen so leicht zu überwachenden Weg zu nutzen. Vor dem Gitter wurde der Schacht etwas breiter und mühsam gelang es Eireene Connally, sich in dem engen Schacht zu drehen. Mit den Füßen stieß sie das Gitter auf und sie schob sich langsam aus dem Schacht heraus. Auf dem Boden des sich anschließenden Raumes angekommen wollte sie befreit aufatmen. Im nächsten Moment nahm sie eine schattenhafte Bewegung wahr, und sie war im Begriff sich umdrehen. Doch bereits einen Augenblick später erhielt sie einen fürchterlichen Schlag auf den Kopf, der ihr bewusstes Denken löschte. Über ihr blickte ein Mann in schwarzer Kluft, mit einem Omega-Zeichen auf der linken Brustseite zu ihr hinunter und meinte spöttisch: „Das hättest du einfacher haben können, Baby.“ Dann bückte er sich, warf sich die bewusstlose Frau über die rechte Schulter und marschierte aus dem Raum, in Richtung des Inhaftierungstrakts des Kreuzers, wo er und seine Spießgesellen bereits alle anderen Besatzungsmitglieder dieses Schiffes eingesperrt hatten.   * * *   Gepeinigte Schreie gellten durch die Gefängniszelle und Eireene Connally realisierte erst einen Moment später dass sie es gewesen war, die geschrien hatte. Momentan hing sie mehr im unerbittlichen Griff der beiden kräftigen Männer als dass sie stand, während ein Dritter auf sie einschlug. Direkt, nachdem sie wieder zu sich gekommen war, hatten diese drei Männer ihre Zelle betreten, ihr Uniformjacke und Hemd ausgezogen, und dann den Sport-BH vom Leib gerissen, den sie darunter getragen hatte. Danach war sie an den Armen nach oben gezwungen worden. Einer ihrer Peiniger hatte ihr immer wieder in den Magen geboxt und sie ins Gesicht geschlagen ohne auch nur eine einzige Frage zu stellen. Flehend blickte sie ihr Gegenüber an. Der grobschlächtige Mann musterte sie amüsiert betatschte ihre Brüste und schlug erneut zu. Dann endlich stellte er seine erste Frage. „Sag uns, wo der Sektor liegt, von dem ihr die sieben Raumschiffe abgeholt habt, du Flittchen. Die Navigationslogbücher habt ihr ja gelöscht.“ Eireene Connally hätte es dem Mann nicht sagen können, selbst wenn sie gewollt hätte. Weder Sie noch sonst jemand aus den Überführungscrews kannte die galaktische Position. Jene die sie kannten waren aus Sicherheitsgründen mit an Bord der neuen Kreuzer geblieben. Eine nicht unberechtigte Maßnahme, wie sich nun herausgestellt hatte. Also schwieg sie. Erneut schlug der Mann zu und etwas schien in ihrem Gesicht zu explodieren. „Ich weiß es nicht“, wimmerte sie halb besinnungslos. Ein fürchterlicher Hieb traf sie erneut in der Magengegend, trieb ihr die Luft aus den Lungen, und zusammengekrümmt hing sie im Griff ihrer Peiniger. Im nächsten Moment flog ihr Kopf von einer Seite zur anderen, als der Fragesteller sie wütend mehrmals rechts und links ohrfeigte. Ihre Lippe platzte auf und die Welt begann sich um sie herum zu drehen. Sie merkte kaum, dass die beiden Männer, die sie bisher festgehalten hatten, sie zu Boden fallen ließen. Wie durch Watte hörte sie, wie die Männer zum Schott der Zelle schritten und einer der Männer leise meinte: „Scheint so, als wüsste die Kleine wirklich nichts.“ „Das werden unsere Gedankenakrobaten herausfinden“, erwiderte einer der anderen beiden Männer höhnisch. Die am Boden liegende, leise wimmernde Frau bekam unterbewusst mit, dass die Männer ihre Zelle verließen. Ihre Magengegend und ihr Gesicht schienen in Flammen zu stehen. Zu schwach, um sich zu erheben, blieb Eireene Connally eine ganze Weile auf dem Boden liegen und wartete darauf, dass die Schmerzen abnahmen. Tränen, vor Pein und vor Scham, rannen über ihre Wangen. Die drei Männer waren kaum eine halbe Stunde lang in ihrer Zelle gewesen, doch diese kurze Zeit war ihr wie eine Ewigkeit erschienen. Nach einer Weile stemmte sie sich schließlich schluchzend hoch und tastete sich, auf alle Vieren kriechend, zur Pritsche, auf der ihre Sachen lagen. Mit unbeholfen wirkenden Bewegungen schlüpfte sie in ihr Uniformhemd und schloss es mit mechanischen Handgriffen. Danach kletterte sie auf die Pritsche, rollte die Jacke als Kissen zusammen und ließ sich ächzend zurücksinken. Die Arme zitternd um ihre Magengegend geschlungen atmete sie, mit geschlossenen Augen tief durch und stöhnte leise auf. Dabei tröpfelte die Erinnerung an das, was zwei der drei Männer gesagt hatten wieder in ihr Gedächtnis. Gedankenakrobaten. Ein schrecklicher Verdacht kam der misshandelten, jungen Frau. Konnte es im Bereich des Möglichen liegen, dass Telepathen diese Piratenbande unterstützten? Im ersten Moment erschien ihr dieser Gedanke zu verrückt, doch immer drängender machte sich genau dieser Verdacht in den Gedanken der blonden Frau breit. Was sonst sollten ihre Peiniger mit diesem Wort gemeint haben? Eireene rief sich ins Gedächtnis, was sie über den Telepathen-Krieg wusste, der im Jahr 2265 zur Auflösung des PSI-Corps geführt hatte. Eine Telepathin selbst – Lyta Alexander – hatte diesen Krieg ausgelöst. Nach diesem Krieg waren viele Telepathen in den Militärdienst eingetreten. Von den übrigen wusste man zumindest wohin sie sich gewandt hatten. Das zumindest war bisher angenommen worden, doch die aktuellen Geschehnisse riefen Zweifel in der jungen Frau wach, ob dies wirklich den Tatsachen entsprach. Eine ganze Reihe von ihnen schien untergetaucht zu sein und nun traten deren Kinder auf den Plan, wie es schien, denn Eireene glaubte nicht, dass es jene Telepathen waren, die damals von der Erde flohen, die nun erneut zum Schlag gegen ihre ehemalige Heimat ausholten, wie es den Anschein hatte. Langsam ließ das Zittern ihres Körpers nach und der Schmerz ebbte zu einem dumpfen Druck im Hintergrund ab. Sich die Tränen weg wischend starrte die Frau eine Zeitlang gegen die Zellendecke, wobei sie sich fragte, was aus ihren Kameraden geworden war. Lebten sie noch? Wurden sie genauso brutal misshandelt, wie sie? Die wirren Gedanken in ihrem Kopf bildeten ein buntes Kaleidoskop. Irgendwann gelang es Lieutenant Connally wieder, wie ein Offizier der Erdstreitkräfte zu denken, und eine Frage trat in den Vordergrund: Was war das für eine Organisation, die in der Lage war, sieben Kreuzer der Erd-Allianz zu überfallen? In logischer Konsequenz stellte sich ihr gleich darauf eine weitere Frage: Woher hatten diese Unbekannten überhaupt davon erfahren, wo und wann sie sich der Schiffe bemächtigen konnten, und vor allen Dingen: Wie hatten sie es angestellt, sieben Kreuzer aus dem Hyperraum zu holen? Vor den Augen der jungen Frau entstand ein Bild des Horrors, denn ihr war klar, dass es sich hier keinesfalls um gewöhnliche Piraten handeln konnte, wie es die Raiders gewesen waren, auch wenn man sich Jäger bedient hatte, wie sie einst von den Raiders benutzt worden waren. Nein, hier waren andere, weitaus gefährlichere Mächte am Werk, doch das Bild blieb vorerst noch verschwommen und unfertig. Nur eins wurde Eireene Connally ganz deutlich bewusst: Einer aus den Crews der Kreuzer musste überleben und entkommen, damit diesen Verbrechern rechtzeitig Einhalt geboten werden konnte. Doch wie sollte das gehen. Sie und alle anderen waren gefangen auf diesem Schiff – und auf den übrigen Kreuzern würde es wohl kaum anders aussehen. Die Blondine bewegte sich und erneut brandete Schmerz in ihrem gepeinigten Körper auf. Um sich abzulenken begann sie fieberhaft, eine Möglichkeit zur Flucht zu suchen. Der ursprüngliche Plan mit dem Shuttle war nicht verkehrt gewesen. Die Frage war jetzt: Wie konnte sie aus ihrer Zelle hinaus und in das Shuttle hinein gelangen – möglichst ohne, dass dies zu früh auffiel und man sie wieder einsperrte? Je länger sie sich darüber das Gehirn zermarterte, desto aussichtsloser erschien ihr der Gedanke an Flucht. Vermutlich würde sie schon bald tot sein.   * * *   Galen Kilrain verschloss den Gürtel seiner Hose und blickte kalt auf die hübsche, nackte Frau hinunter, die auf dem weißen Laken lag. Beide Arme zur Seite ausgestreckt, so als würde sie ihn einladend dazu auffordern noch einmal zu ihr zu kommen. Es hätte nicht der Tatsache bedurft, dass sich ihre makellosen Brüste nicht hoben und senkten um zu erkennen, dass sie nicht schlief, sondern tot war, denn ihre gebrochenen Augen starrten, weit aufgerissen und noch immer jenen ungläubigen Ausdruck beinhaltend, der verriet, dass ihr Tod scheinbar unerwartet gekommen war, leblos zur Decke des Raumes. Ein langsam länger werdender Blutfaden, der von ihren Lippen über ihre Wange lief, zeugte davon, dass er sie halb besinnungslos geschlagen hatte. Erst danach hatte er sich an ihr vergangen und daran ergötzt, wie ihre Augen dabei beinahe aus den Höhlen gequollen waren – an dem leeren Blick der dunklen Augen, als er endlich von ihr abließ, und die Ungläubigkeit darin, als er sie gleich danach, langsam und qualvoll, erdrosselte. Noch fast zwei Minuten lang hatte sie apathisch Widerstand geleistet, hatten ihre Arme und Beine gezuckt, bis ihr Körper endlich für immer Entspannung gefunden hatte. Dabei war er geistig bei ihr geblieben – fast zu lange um sich nicht zu verlieren, doch gerade das war der Kick daran gewesen. Ein fast ätherischer Ausdruck lag nicht zuletzt deswegen momentan auf seinem Gesicht. Kaum hatte er sich von der Toten abgewandt, als der Türmelder einen Besucher ankündigte. „Herein!“, rief der Telepath unwirsch und er blickte, etwas ungehalten wegen der Störung dieses Moments, zum Schott. Es war sein Stellvertreter, der den Auftrag von ihm erhalten hatte, den weiblichen Lieutenant zu verhören, der einen Fluchtversuch unternommen hatte. Einer seiner Vertrauten, ein Telepath, hatte sie rechtzeitig aufgespürt und unschädlich gemacht. „Nun, Jarolin, was haben Sie zu berichten? Hat sie geredet?“ Die Miene von Sen Jarolin nahm seinen Worten den Sinn vorweg: „Ich habe die Kleine halbtot geschlagen, Sir – leider ohne an die erforderlichen Informationen zu gelangen. Ich bin sicher, dass sie nichts weiß. Welcher Idiot hat, bei der Erstürmung des Kommandozentrums, eigentlich den Navigator des Schiffes erschossen?“ „Unwichtig“, grollte Kilrain. „Um den Trottel habe ich mich bereits gekümmert.“ Das sadistische Grinsen des Iren sagte Jarolin, was dieser unter gekümmert verstand. Fragend blickte er Kilrain an. „Soll ich vielleicht nochmal...?“ „Nein!“, unterbrach Kilrain sein Gegenüber. „Sagen Sie Laurent Garnier Bescheid, dass er dieses Miststück telepathisch auseinandernehmen soll. Entweder wird er die Informationen erhalten, oder aber er bestätigt uns, dass die kleine Schlampe wirklich nichts weiß.“ Jarolin wollte bereits kehrtmachen, doch die Stimme des Iren hielt ihn zurück. „Wenn Sie gerade auf dem Weg sind, Jarolin: Sorgen Sie dafür, dass ein paar Leute diesen... Abfall... im Schlafraum entfernen, verstanden?“ Jarolin nickte knapp. „Verstanden, Sir.“ Kapitel 4: Auf der Flucht ------------------------- Wieder hielten zwei schwarzgekleidete Schergen Eireene Connally an den Armen fest. Allerdings war sie dieses Mal nicht halbnackt. Außerdem wand sie sich auf einem einfachen Stuhl hin und her, auf den man sie gezwungen hatte. Ihr gegenüber saß ein hagerer, recht harmlos wirkender Mann, dessen Miene einen etwas entrückten Eindruck auf sie machte, gerade so als würde er vor sich hin träumen. Doch schon im nächsten Moment fixierten sie seine durchdringenden grün-grauen Augen und der Eindruck eines harmlosen Träumers verlor sich schnell. Der Hagere hatte bisher kein Wort gesagt und langsam fragte sich die blonde Gefangene, was er von ihr wollte. Erst, als sich ein dumpfer Schmerz ringförmig um ihren Kopf legte begann sie zu ahnen, dass sie einem Telepathen gegenüber saß. Instinktiv versuchte sie anzuwenden, was sie einmal über das Abwehren eines telepathischen Scanns erfahren hatte – nämlich, dass es das einfachste Mittel sei, in Gedanken einen schlichten einfachen Reim aufzusagen um sich daran zu hindern bewusst an etwas anderes zu denken. Der Schmerz wurde übergangslos intensiver und der Mann begann fein zu lächeln. „Das nützt Ihnen nichts, Miss Connally. Reime wirken nur, wenn ein Telepath nicht bewusst scannt, oder aber er unterhalb der Stufe P-11 rangiert. Gegen meinen aktiven Scann richten Sie damit nichts aus, da ich ein P-12 bin, es wird nur mehr weh tun.“ Die Stimme des Telepathen wirkte fast einschmeichelnd sanft, und wenn er nicht für diesen Mordverein gearbeitet hätte, so wäre Eireene Connally niemals auf die Idee gekommen, dieser Mann könne auch nur einer Fliege etwas zuleide tun. Panik begann sich in ihr breit zu machen und wie aus weiter Ferne hörte sie wieder die sanfte Stimme des Telepathen. „Entspannen Sie sich bitte, ich will Ihnen nicht mehr weh tun, als ich muss.“ Etwas verwundert fragte sich Eireene Connally ob dieser Verbrecher tatsächlich so etwas wie ein Gewissen oder Mitgefühl besitzen mochte. So recht glauben konnte sie es nicht. Sie wollte dem Blick der grünen Augen ausweichen, doch irgendetwas hinderte sie daran. Ihr war fast so, als würde sein Blick den ihren festhalten und nicht mehr loslassen. Im nächsten Moment packte der Mann telepathisch zu und Eireene glaubte flüssige Lava würde durch ihren Schädel strömen. Sie schrie gellend auf vor Schmerzen. Dann war es übergangslos vorbei und heftig keuchend starrte sie, voller Wut, in das Gesicht des Telepathen. „Sie verbrecherisches Schwein!“ Erneut griff der Telepath, mit seinen unfassbaren Fähigkeiten an und wieder warf die Frau, schrill schreiend, ihren Kopf nach hinten, als tausende glühender Nadeln in ihren Kopf zu stechen schienen. Diesmal dauerte es länger, bis der Schmerz abebbte. Weitere mentale Zugriffe erfolgten und die blonde Frau wand sich wild in dem festen Griff ihrer Wachen, die Mühe hatten, sie zu bändigen. Ihr Verstand drohte zu zerreißen. Für einen Moment wurde es der Frau schwarz vor Augen. Als sie wieder einigermaßen klar denken konnte wusste sie nicht zu sagen, ob und wie lange sie ohnmächtig gewesen war. Sie wusste nur, dass der Schmerz schnell nachließ. Sie gab jedoch mit keiner Reaktion zu erkennen, dass sie wieder völlig bei sich war. Sie tat so, als könne sie sich nur mühsam auf dem Stuhl halten. Vielleicht gewann sie so etwas mehr Zeit, sich wieder zu erholen. Das Gesicht des Telepathen drückte Bedauern aus, als er leise, aber mit Betonung, zu den beiden Wachen sagte: „Lassen Sie sie die Frau los und gehen Sie. Sie wird ganz bestimmt keinen Unsinn machen – zumindest nicht mehr lange.“ Die beiden Wachen, die das eigenartige Glitzern in den Augen des Telepathen bemerkt hatten grinsten sich verstehend an. Der Hagere wollte seinen Spaß mit der Gefangenen haben, bevor er sie umzubringen gedachte. Wortlos zogen sie sich zurück. Unter fast geschlossenen Augenlidern sah Eireene Connally wie sich der Hagere von seinem Stuhl erhob und langsam zu ihr schritt. Sie stöhnte auf vor Schmerzen, als er in ihr Haar griff und sie auf die Beine zwang. Mit fast heiserer Stimme raunte er ihr zu: „Willst du nicht ein Wenig um dein jämmerliches Leben betteln?“ Eireene wusste, dass dies die beste Gelegenheit sein würde, etwas zu unternehmen. Nur sie und der Telepath in einem Raum. Für großartige Pläne blieb keine Zeit. Sie sammelte alle ihr verbliebene Kraft. Dann rammte sie ihr rechtes Knie, mit aller Macht, in den Unterleib des Mannes. Der Telepath kniff vor Schmerzen die Augen zusammen und öffnete seinen Mund, doch nur ein heiseres Ächzen drang daraus hervor, während er die Frau losließ und sich zusammenkrümmte. Eireene nutzte die entstandene Gelegenheit, ballte ihre Hände zu Fäusten und hieb, so fest sie nur konnte auf seinen Hinterkopf. Der Telepath sackte in die Knie und Eireene Connally trat ihm, ohne darüber nachzudenken, kräftig vor den Kopf. Als er besinnungslos vor ihr lag fiel ihr Blick auf seine rechte Hüfte, an der sie ein Halfter mit einer PPG entdeckte. Sehr unvorsichtig, dachte die blonde Frau mit einer Genugtuung, die von Herzen kam. Sie entwaffnete den Mann und für einen Moment war sie versucht ihn zu erschießen. Doch noch während sie auf ihn anlegte und das leise Zischen der PPG vernahm, als sie die Waffe aktivierte, jagte der Gedanke durch ihren Kopf, dass sie nicht zu einer Mörderin werden, und einen Wehrlosen erschießen wollte, nur weil es diese Verbrecher tun würden ohne mit der Stirn zu runzeln. Mit Tränen der Wut in den Augen versetzte sie dem Bewusstlosen stattdessen einen kräftigen Tritt in die Seite bevor sie auf leisen Sohlen zum Schott eilte. Mit zitternden Fingern legte sie ihre Hand auf den Öffnungskontakt, dazu entschlossen etwaige Wachen davor sofort niederzuschießen. Die waren nicht wehrlos. Sie hatte Glück: Niemand hielt sich auf dem Gang, vor dem Schott, auf. Offensichtlich hatte man damit gerechnet, dass sie tot sein würde, nach dem letzten, speziellen Verhör. „Verbrecherische Misthunde“, zischte sie lautlos und warf einen schnellen Blick auf die Sektorbezeichnung über dem Schott. Sie konzentrierte sich und rief sich die Position dieser Sektion ins Gedächtnis. Einigermaßen sicher, wohin sie sich wenden musste, um den Hangar des Kreuzers zu erreichen, rannte sie taumelnd den Gang hinunter und bog nach Rechts ein. Unterwegs versicherte sie sich, dass sie tatsächlich auf dem richtigen Weg war. Fünf Minuten später war der Hangar bereits so nahe, dass der Gedanke daran jetzt noch scheitern zu können ihr fast körperliche Schmerzen bereitete. Gewaltsam verdrängte sie solche pessimistischen Betrachtungen und umschloss die PPG so fest mit ihrer linken Hand, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Sie hatte die letzte Gangkreuzung, die auf dem Weg zum Hangar des Kreuzers lag, beinahe erreicht, als aus dem linken Seitengang Stimmen aufklangen. Eireenes Herz begann wie wild in ihrer Brust zu trommeln und sich dicht an die Wand drückend brachte sie die PPG in Anschlag – wild entschlossen sich nicht kurz vor dem Ziel erneut einfangen zu lassen. Eher würde sie ab jetzt Alles und Jeden über den Haufen schießen, der sich ihr jetzt noch in den Weg stellte. Die Stimmen kamen näher, und Eireene hörte heraus, dass einige Gefangene bei den Personen sein mussten, die sich ihr näherten. Lautlos kniete sie sich ab und wartete, bereit jederzeit zu handeln. Dennoch erschrak die Frau etwas, als die erste Gestalt in ihrem Blickfeld auftauchte. Fast hätte sie abgedrückt, doch dann erkannte sie, dass es ein gefesseltes Mitglied der Überführungs-Besatzung war. Ein weiteres Mitglied der Crew bog in den Gang der vor ihr lag ein, ohne sie zu bemerken. Dahinter folgten zwei Schwarzgekleidete, die sie mit Waffen vor sich her trieben. Auch sie bogen in den Gang ab ohne sie zu sehen. Eireene wartete mit klopfendem Herzen noch eine Sekunde ab, bevor sie ins Ziel ging und auf die rechte der schwarz gekleideten Gestalten feuerte. Getroffen sackte sie zu Boden. Noch bevor sich die zweite Wache zu ihr wenden konnte, hatte sie auch diese Gestalt erschossen. Eireene erhob sich, warf zwei prüfende Blicke in die abzweigenden Gänge rechts und links, und eilte dann zu den beiden gefangenen Männern. Ohne viel Worte öffnete sie die Fesseln der zwei Gefangenen und flüsterte heiser: „Los, zum Hangar. Wir hauen hier ab.“ „Dazu muss jemand zuerst einmal das Innere Hangarschott öffnen, Lieutenant“, erwiderte einer der beiden mitgenommen aussehenden Männer, während sein Begleiter die PPG´s der Wächter an sich nahm und ihm eine davon zuwarf. „Und danach wieder schließen um das Äußere öffnen zu können. Außerdem müssten wir zwei im Kontrollraum des Hangars bleiben, um zu verhindern, dass die Kontrollzentrale Wind von der Aktion bekommt und von dort aus übersteuert, und die Hangarschotts sperrt.“ Eireene blickte die beiden Männer verzweifelt an. Sie hasste Entscheidungen, die Leben kosteten. Aber es blieb keine Alternative. „Hören Sie zu – unsere Truppen müssen erfahren, was mit den Kreuzern passiert ist, bevor mit denen ein Unglück passiert.“ Beiden Männern war bewusst, was die Worte ihrer Vorgesetzten für sie bedeutete. Dennoch nickten sie stumm und der ältere von ihnen erwiderte: „Wir beide werden gewährleisten, dass Sie mit dem alten Lande-Shuttle fliehen können, Lieutenant. Außer Ihnen kommt dafür ohnehin keiner in Frage, da wir zwei keine Pilotenausbildung haben. Zudem werden wir dafür sorgen, dass Ihre Flucht so lange, wie nur irgend möglich unentdeckt bleibt.“ Die blonde Frau nickte verbittert. „Dann los.“ Sie rannten gemeinsam den Gang hinunter. Nachdem sie den Hangar des Kreuzers betreten hatten, trennten sich die beiden Männer von ihr und eilten in Richtung des Kontrollraumes davon. Eireene blickte den beiden mit brennendem Blick nach, bevor sie sich in Richtung des Shuttles auf den Weg machte. Schnell öffnete sie das Schott und fuhr die Rampe aus, über welche sie ins Innere des Atmosphären tauglichen Shuttles hastete. Sie durfte keine Zeit verlieren, denn die Aggregate würden eine Weile benötigen um hochzufahren. Andererseits würden die Piraten garantiert nicht mehr sehr lange an diesem Ort bleiben. Sie konnte nur hoffen zu entkommen, bevor die Piraten die Kreuzer soweit unter Kontrolle hatten, dass sie mit ihnen im Hyperraum verschwinden konnten, denn dann würde jede Flucht illusorisch werden, da das Shuttle im Hyperraum auf einen Leitstrahl angewiesen war, den es hier, abseits aller Hyperraumsprungtore und kommerziellen Frachterlinien, nicht geben konnte. Kaum im Pilotensessel festgeschnallt entwickelte Eireene Connally eine hektische Betriebsamkeit. Es war schon eine Weile her, dass sie im Cockpit eines solchen Shuttles gesessen hatte und so dauerte es etwas bis sie sich wieder einigermaßen zurechtgefunden hatte. Schließlich war sie soweit, die Aggregate im Stand-By Modus zu starten. Dabei hoffte sie, dass niemand auf die Vorgänge im Hangar aufmerksam werden würde. Die Chancen dazu standen nicht schlecht, denn sollten die Kreuzer tatsächlich vor einem Hyperraum-Sprung stehen, so würde die Notbesatzung der Piraten auf andere Dinge zu achten haben. Die Zeit schien sich ins Endlose zu dehnen. Durch die Cockpitscheibe erkannte Eireene, dass das Innenschott bereits geöffnet worden war. Die beiden befreiten Gefangenen machten bisher einen guten Job. Etwas Wehmut erfasste sie bei dem Gedanken daran, sie nicht retten zu können, vor dem, was ihnen vermutlich bald blühen würde. Sich wieder zusammenreißend beendete sie den Schnellcheck der Aggregate und ließ das Shuttle langsam in den Bereich hinter dem Innenschott rollen. Diese alten Kreuzer verfügten noch nicht über moderne Sperrfelder, die ein Entweichen der Atmosphäre verhinderten, feste Materie aber durch ließen. So wurde hier noch immer eine äußere Schleusenkammer benötigt, die zum Start eines Shuttles oder Jägers hermetisch abgeriegelt werden konnte. Kaum war das Shuttle vollständig in der äußeren Schleusenkammer, da schloss sich hinter ihr das innere Schleusenschott. Eireene wusste, dass nun die beiden Zurückgelassenen die Turbopumpen aktivieren würden, welche die Atmosphäre, innerhalb weniger Sekunden, aus dem Außenhangar absaugten. Wieder schien sich die Zeit endlos zu dehnen, bevor sich endlich das äußere Panzerschott des Hangars öffnete. Wie die Zähne eines riesigen Stahlmonsters schoben sich die gezackten Hälften des Schotts nach oben und unten auseinander und gaben den Blick auf das Weltall frei. Eireene Connally´s Erleichterung verwandelte sich übergangslos in Furcht, als sie draußen vor dem Bug des Kreuzers ein Aufblitzen bemerkte, und sich gleich darauf ein gelber Hyperraum-Vortex vor dem Schiff etablierte. Hastig startete sie den Hauptantrieb – sie musste schnellstens weg von hier. Nun ging es um Sekunden. Der Kreuzer hielt langsam auf das Zentrum des Vortex´ zu. Eireene Connally wusste, dass sie etwas wagen musste. Kaum hatte das Shuttle den Hangar verlassen drehte sie es auf den Rücken und flog eine enge Schleife nach unten – wobei Unten natürlich ein höchst relativer Begriff war. Schrill aufschreiend vor Schreck wich sie knapp einer plötzlich vor dem Shuttle auftauchenden Antenne des Kreuzers aus, wobei eine der Tragflächen kreischend an der Schiffshaut entlang schrammte. Als die blonde Frau bereits glaubte, das Shuttle würde zu Bruch gehen kam sie vom Schiff frei. Keine zweihundert Meter vom Rand des Hyperraum-Vortex´ entfernt beschleunigte das Shuttle um aus dem Erfassungsbereich heraus zu kommen, wobei die überlasteten Aggregate für einige Augenblicke protestierend aufbrüllten. Dann endlich war das Shuttle aus dem Erfassungsbereich heraus. Eireene wendete das Shuttle um 180 Grad ohne dabei die Flugrichtung des Shuttles zu verändern und fuhr die Aggregate auf Stand-By herunter, damit die Energieortung der Piratenschiffe sie nicht erfassen konnte. Dabei starrte sie auf das schaurig schöne Bild, das sich ihr bot. Sieben Kreuzer der ALPHA-KLASSE drangen in den Hyperraum ein, gefolgt von sechs weiteren kapitalen Schiffen, die fraglos den Piraten gehören mussten. Bisher hatte die Blondine keine Gelegenheit gehabt diese Trägerschiffe näher zu betrachten. Die junge Frau schätzte die exotischen Konstruktionen auf etwa siebenhundert bis achthundert Meter Länge. Im nächsten Moment war der Raumsektor leer und für einen kurzen Augenblick glaubte Eireene Connally ihr Blut in den Ohren rauschen zu hören, bevor sie die Aggregate wieder hochfuhr und das Shuttle in Flugrichtung wendete. Dabei entgingen ihr die kleinen Objekte, die hinter ihr langsam durch den ewigen Raum trieben. Eine seltsame Leere erfüllte die Frau, während sie die Raumkarten dieses Sektors studierte. Es gab, weniger als zwei Lichttage entfernt, einen orange-roten Stern der von fünf Planeten umlaufen wurde. Bei einem von ihnen handelte es sich um eine Kolonie der Brakiri. Das Shuttle schaffte halbe Lichtgeschwindigkeit und so konnte sie das System in gut vier Tagen erreichen. Sie konnte nur hoffen, dann noch zu leben. Bevor sie vor Erschöpfung einschlief galten ihre letzten Gedanken ihren zurückgelassenen Kameraden auf der KLOTHO. Sie fragte sich, was die Piraten mit ihnen anstellen würden? Kapitel 5: Ungeklärte Fragen ---------------------------- Etwa zur selben Zeit, als Eireene Connally im Hangar das Shuttle bestieg, stand Galen Kilrain in der geschlossenen Außenkammer der Steuerbord-Mannschleuse und blickte verächtlich auf Commander Hrrurfuhruhurr, der zusammen mit allen anderen Gefangenen, ein Drittel von ihnen bereits getötet, hier herein gebracht worden war, und ihn mit einem mörderischen Blick bedachte. Galen Kilrain hatte die noch lebende Besatzung in Reihe antreten lassen, die Hände hinter dem Rücken gefesselt. Vor jedem Gefangenen stand ein Bewaffneter mit gezogener PPG. Kilrain erwiderte den Blick des Commanders kalt und erklärte leidenschaftslos: „Es tut mir leid für Sie und Ihre Besatzung, Commander, aber ich kann mir nicht leisten Sie alle am Leben zu lassen, das werden Sie doch einsehen müssen. Sehen Sie...“ „Verbrecherischer Schweinehund!“, schrie die Frau neben Hrrurfuhruhurr den Telepathen an. Galen schoss ihr in den Kopf, bevor sie noch etwas hinzufügen konnte. „Ich hasse Unterbrechungen.“ Wieder den Commander ins Visier nehmend fuhr der Ire ungerührt fort: „Sehen Sie, ich denke, dass Sie, Commander, genau dasselbe tun würden, wären Sie an meiner Stelle. Ich muss dafür Sorge tragen, dass unsere Organisation vorerst noch unerkannt operieren kann. Aus diesem Grund darf ich keine Gefangenen machen, nicht wahr?“ „Sie elender Verbrecher“, zischte Hrrurfuhruhurr in ohnmächtigem Zorn. „Ich habe eine Familie – wir alle haben Familie. Das können Sie nicht tun!“ „Provozieren Sie mich ruhig“, erwiderte Galen Kilrain höhnisch. „Sie werden dennoch zuletzt sterben. Vorher sollen Sie noch erleben, dass Ihre Mannschaft getötet wird.“ Der Ire gab den anwesenden Piraten mit einem kurzen Kopfnicken zu verstehen, dass sie handeln sollten. In schneller Folge lösten sich Schüsse aus ihren PPG´s und Commander Hrrurfuhruhurr sah seine Crew, tödlich getroffen zu Boden sacken. Er glaubte sich übergeben zu müssen. Der Commander verspürte ein Zittern, das seinen gesamten Körper zu erfassen schien denn er wusste, dass er keine Möglichkeit hatte seinem schrecklichen Schicksal zu entrinnen. Während er Kilrain dabei beobachtete, wie dieser kalt lächelnd die Waffe auf seinen Kopf richtete, galten seine letzten Gedanken Yandra und seinen beiden, kleinen Töchtern. Ein greller Lichtblitz war das Letzte, das er bewusst wahrnahm. Er war bereits tot, noch bevor sein Körper zu Boden sackte. Galen Kilrain blickte verächtlich auf die Leiche, bevor er sich abwandte und seinen Leuten ein Zeichen gab, ihm zu folgen. Vor dem Schott der Mannschleuse hielt Kilrain neben den Kontrollen inne. Er betätigte die Verriegelung des Innenschotts und öffnete dann das Außenschott. Danach schritt er zusammen mit Garnier in Richtung des Kommandozentrums und wandte sich an den hageren Telepathen: „Nun, wie war die kleine Blondine, die Sie in der Mangel hatten?“ Garnier, der wusste, dass sein Leben verwirkt sein würde, sollte jemals die Wahrheit bekannt werden, grinste schief. „Eine Wildkatze, sage ich Ihnen. Aber letztlich hat es ihr nichts genützt. Leider verfügte sie wirklich nicht über die Information, von wo aus, diese Schiffe gestartet sind.“ Kilrain hakte nicht weiter nach sondern nickte grimmig. „Ich habe die Vollzugsmeldungen der anderen sechs Kommandotrupp-Führer erhalten, Garnier. Auch auf den sechs anderen Kreuzern gab es niemanden, der die Koordinaten hätte verraten können. Sämtliche Logbücher sind gelöscht und die Datenträger anschließend vernichtet worden. Pech für uns.“ Laurent Garnier nickte, während er Galen Kilrain zum Kommandozentrum des Kreuzers folgte. Dabei hielt er sich unauffällig die linke Seite. Schließlich meinte er ablenkend: „Damit war aber doch zu rechen, oder nicht?“ Kilrain nickte knapp. „Das stimmt allerdings.“ Die beiden Telepathen verzichteten auf eine telepathische Unterhaltung. Galen Kilrain tat dies nur bei engen Freunden und Garnier wusste das. Ihm selbst war diese Marotte Kilrains momentan ganz recht, denn telepathisch rutschte einem schneller mal etwas Unbedachtes heraus. „Trotzdem wüsste ich zu gerne, wohin die neuen Kreuzer gingen“, nahm Kilrain den Faden nochmal auf. „Die wurden ganz sicher nicht mitten ins Niemandsland geliefert. Was also befindet sich in dem Sektor, den die Erdstreitkräfte unbedingt geheim halten wollen? Und was ist mit unserem Geheimstützpunkt und seiner Bedeckung passiert. Vor etwas mehr als drei Wochen riss der Kontakt mit der Basis ab und auch von den Schiffen gibt es keinerlei Lebenszeichen.“ „Vielleicht haben die bereits gefunden, wonach wir noch verzweifelt suchen“, orakelte Laurent Garnier wenig überzeugt. Galen Kilrain warf dem Franzosen einen halb zweifelnden, halb spöttischen Blick zu der allzu deutlich besagte, was er von dieser Theorie hielt. Der Ire hätte sicherlich nicht schlecht gestaunt, wenn er gewusst hätte, dass Laurent Garnier die Tatsachen genau getroffen hatte. Statt dessen meinte er: „Fliegen wir zu unserem Stützpunkt und erstatten Cameron Grant Bericht.“   * * *   In bester Laune schritt Lynden Benjamin Hayes, neben Commander Zaizewa, durch die anheimelnde Parklandschaft der Rotationssektion, welche die freundlichen Bungalows für die Stationsbesatzung und die Crews der Kampfgruppe-Epsilon beherbergte. Einmal mehr begrüßte Hayes den Entschluss, die Mannschaften, die sehr lange hier draußen Dienst tun würden, nicht in Standardquartiere zu pferchen, sondern etwa die Hälfte der Rotationssektion zu diesem Zweck einzurichten. Die andere Hälfte diente zum Anbau natürlicher Nahrungsmittel. Hayes hatte sich jedoch noch immer nicht ganz daran gewöhnt, dass hier der Horizont permanent anstieg, bis er sich, hoch über ihren Köpfen, schließlich hinter ihrem Rücken wieder zu ihnen herabsenkte. Ein Anblick der ihn faszinierte, besonders wenn mehr als einen Kilometer über ihren Köpfen Menschen quasi an der Decke der Station herum liefen. Alles eine Sache der Perspektive, denn für diese Leute sind wir es, die an der Decke entlang laufen, überlegte Hayes. Vor etwa einer Woche waren die sieben ALPHA-KLASSE Kreuzer zum Sonnensystem abgeflogen. Seit ihrem gemeinsamen Abendessen an demselben Tag trafen er und Irina Zaizewa sich regelmäßig zu einem Abendspaziergang. Sie hatten bei besagtem Abendessen die meisten Punkte, die zwischen ihnen gestanden hatten seit sie gleich zu Beginn aneinandergeraten waren, besprochen und aufgearbeitet. Eine Entwicklung, die beide Offiziere sehr begrüßten. Hayes war in den letzten Wochen klar geworden, wie engstirnig und ungerecht seine Einstellung gegenüber Telepathen gewesen war, nachdem einer von ihnen, vor vielen Jahren, seine schwangere Frau getötet hatte. Er hatte seitdem geglaubt alle Telepathen dafür hassen zu müssen. Irina Zaizewa, die von diesen Vorkommnissen anfangs nichts gewusst hatte, war deswegen mit ihm heftig in Streit geraten. Eine dumme Wette, die sie mit ihrer besten Freundin, Nurcan Yldirim, der Stationsärztin, vor Hayes Erscheinen auf der Station abschloss, hatte das ihre dazu beigetragen. Erst nachdem Hayes sich ihr gegenüber geöffnet hatte und sie den Hintergrund seines Hasses auf Telepathen erfuhr, hatten sie auf einander zugehen können. Und das waren sie – vielleicht mehr, als es sich beide zuvor hätten träumen lassen. Dennoch fühlte Irina Zaizewa eine gewisse Ambivalenz in der Nähe ihres Vorgesetzten. Zwar waren sie und Hayes sich in den letzten Wochen menschlich sehr nahe gekommen, doch irgendetwas stand immer noch zwischen ihnen, und die Russin konnte nicht sagen, was genau es war. Gerade das machte sie zwischenzeitlich immer wieder kribbelig. Im Moment jedoch war sie ganz und gar gelöst und sie genoss den Spaziergang mit Benjamin Hayes, wie sie ihn in Gedanken nannte. Sein eigentlicher Vorname gefiel ihr nicht sonderlich, anders als der Mann. Trotzdem Hayes achtzehn Jahre älter war als sie selbst, fühlte sie sich auch als Frau von ihm angezogen. Vielleicht war es genau das, was sie verwirrte. Zudem war Hayes ihr direkter Vorgesetzter, auch wenn die Bestimmungen der Erdstreitkräfte, in Hinsicht auf zwischenmenschliche Beziehungen, weitaus liberaler waren, als die militärische Organisationen in der Vergangenheit der Erdgeschichte. Lynden B. Hayes blickte die Russin von der Seite an und er erkundigte sich mit sonorer Stimme: „Woran denken Sie gerade, Commander?“ „An uns“, erwiderte die Frau, noch halb in Gedanken. Im nächsten Augenblick sah sie Hayes fast erschrocken an und korrigierte sich hastig: „Ich meine damit, an unser erstes Zusammentreffen hier auf der Station, Sir. Ich musste daran denken, wie sehr sich seitdem unsere Arbeitsbeziehung, trotz der anfänglichen Missverständnisse, verbessert hat.“ „Arbeitsbeziehung ist ein fürchterliches Wort, finden Sie nicht auch?“, erkundigte sich der Generalmajor launig. Dann meinte er ablenkend: „Merkwürdig, auch ich hatte eben an uns gedacht; rein dienstlich natürlich.“ „Natürlich, Sir.“ Der Generalmajor räusperte sich. „Sehen Sie, es ist mir nie leicht gefallen, mich anderen Menschen gegenüber zu öffnen. Besonders nicht Menschen gegenüber, die ich kaum kenne. Mir mutet es um so erstaunlicher an, wieviel ich Ihnen in den letzten Wochen anvertraut habe – Dinge, die sonst nur sehr gute Freunde von mir wissen, und vielleicht nicht einmal die. Mir ist, als habe ich eine Wandlung durchgemacht, seit ich das Kommando über diese Station übernahm.“ Irina Zaizewas golden erscheinende Augen musterten den Mann an ihrer Seite forschend, während sie mit ihm nach Rechts auf einen Seitenweg einbog. „Sehen Sie diese Wandlung eher positiv oder eher negativ, Sir?“ Der Generalmajor grinste beinahe jungenhaft, als er die Gegenfrage stellte: „Wollen Sie mich jetzt etwa auf die Couch legen, Commander?“ Die Russin suchte in den sanft blickenden, braunen Augen des Generals nach Anzeichen für eine Zweideutigkeit seiner Worte, doch sie fand keinen Anhalt dafür, darum erwiderte sie schließlich: „Kein Gedanke. Die Psychoanalyse überlasse ich den Fachleuten.“ „Gut.“ Erneut erlaubte sich der General ein leichtes Grinsen, bevor er etwas ernster fortfuhr: „Aber um die Frage zu beantworten: Ich sehe diese Wandlung durchwegs positiv. Dabei muss ich mich bei Ihnen dafür bedanken, wie mir scheint, denn ich glaube, ohne Ihr Einwirken wäre diese Wandlung nicht zustande gekommen.“ Etwas verlegen wich die Frau dem Blick des Generals aus und sah hinauf zur zentral durch die Station führende Schwebebahn. Im Grunde waren es drei Trassen, die dort oben im Low-G-Bereich jeweils zwischen zwei der insgesamt drei gewaltigen Streben hindurch führten. Schließlich blickte sie den Mann wieder an und meinte: „Kann man nicht wissen, Sir.“ „Oh doch“, entgegnete Hayes überzeugt. „Ich...“ Der Flaggoffizier wurde abgelenkt, als sein Handkommunikator ansprach. Mit einem entsagungsvollen Blick zu Commander Zaizewa aktivierte er den Empfänger und führte das Gerät auf seinem rechten Handrücken an seinen Mund. „Hier Hayes, was gibt es?“ „Hier Lieutenant Verena Carrington vom Kommandozentrum der Station, General“, drang es aus dem Lautsprecher des Kommunikators. „Sir, eben ging eine etwas seltsame Anfrage der Erd-Zentrale bei uns ein. Man fragt an, warum die sieben ALPHA-KLASSE Kreuzer nicht termingerecht in Marsch gesetzt worden seien.“ Hayes wechselte einen verständnislosen Blick mit Commander Zaizewa und erwiderte: „Haben Sie denen nicht erklärt, dass die Kreuzer rechtzeitig abgeflogen sind? Die Schiffe hätten bereits gestern über dem Mars ankommen müssen.“ „Doch, Sir“, gab die Frau in der Kommandozentrale Auskunft. „Die Kreuzer sind aber anscheinend bis jetzt nicht dort eingetroffen, General.“ Hayes erwiderte ohne zu zögern: „Bereiten Sie eine Verbindung via Goldkanal vor, Lieutenant. Ich bin so schnell es geht bei Ihnen. Hayes, Ende.“ Er unterbrach die Verbindung und blickte zu seiner Begleiterin. „Was kann da passiert sein? Die müssten längst Zuhause sein. Sieben Kreuzer verschwinden doch nicht einfach.“ Die Russin nickte und jenes seltsame Gefühl, das sie nun seit einer Woche nie ganz verlassen hatte, verstärkte sich in ihr. „Ich komme mit Ihnen, Sir.“ Hayes nickte nur und gemeinsam hasteten sie den Weg zurück, den sie gekommen waren.   * * *   Im Kommandozentrum der Station wartete Second-Lieutenant Verena Carrington auf das angekündigte Erscheinen des Generals. Sie hatte alles für eine gesicherte, tachyongestützte Direktverbindung zum Sonnensystem vorbereitet und wippte nervös auf den Zehenspitzen. Sie war während der Nachtschicht der ranghöchste Offizier hier im Nervenzentrum der Station und so lag alles, was den Dienst betraf, während dieser Zeit, in ihrem Verantwortungsbereich. Doch das, was sie eben durch einen Offizier des Generalstabs der Erdstreitkräfte erfahren hatte, überstieg diesen Verantwortungsbereich bei Weitem und bedurfte der Entscheidungsgewalt des Oberbefehlshabers. Die dunkelblonde Frau war froh, als der General, gefolgt von Commander Zaizewa, endlich hereingestürmt kam. Damit lag die Entscheidungsgewalt nun bei ihm. Sie salutierte und meldete nochmals das, was sie ihm schon über Funk durchgegeben hatte. Hayes nickte mit versteinerter Miene und fragte knapp: „Ist die Verbindung bereit?“ „Ja, Sir“, bestätigte die Verena Carrington mit einem unguten Gefühl in der Magengegend. „Sie brauchen nur noch Goldkanal Eins zu aktivieren.“ „Danke, Lieutenant Carrington.“ Die Dunkelblonde starrte grüblerisch vor sich hin, während Hayes die Verbindung herstellte. Sie hatte irgendwie immer gehofft irgendwann einen Stabsoffiziersrang zu erreichen und dass sich der vorgesetzte Offizier, der die Urkunde ausstellte, beim Lesen ihres Namens fragte, um wen es sich dabei eigentlich handelte. Und nun hatte sich Hayes ihren Namen gemerkt. So viel zu den Wünschen von Jungoffizieren. Ein Flaggoffizier der einen beim Namen ansprach, das konnte nach Verena Carringtons Vorstellung nichts Gutes für die Karriere bedeuten. Sie beobachtete den Generalmajor als die Verbindung zustande kam und er bei der Verbindungsstelle der Erd-Zentrale eine Verbindung zum Generalstab verlangte. Erstaunlich schnell wurde Hayes durchgestellt und mit Erstaunen stellte Verena Carrington fest, dass es General Araki Nakamuro, der Chef des Stabes höchst selbst war, der sich meldete. „Hayes, Ihr Lieutenant Carrington hat meinem Verbindungsoffizier bereits gemeldet, dass die sieben Kreuzer vor mehr als einer Woche von ihrer Station aus aufbrachen, ist das korrekt?“, krachte die helle Stimme des Asiaten aus dem Empfangsmodul des Stationssenders. Na, gute Nacht, dachte Verena Carrington, als auch der höchste Militär ihren Namen aussprach. Das war es mit deiner Karriere. Hayes antwortete dessen ungeachtet: „Das stimmt, Sir. Die sieben Kreuzer sind pünktlich zur festgelegten Zeit von hier aus aufgebrochen. Wir empfingen auch keinerlei Notrufe, oder dergleichen, was darauf hätte hinweisen können, dass es Schwierigkeiten gegeben hätte. Die Kreuzer hätten fristgerecht bei Ihnen eintreffen müssen.“ „Das sind sie aber nun einmal nicht!“, erwiderte Nakamuro energisch. „Funkstationen auf Mars, Luna, Io und auf der Erde haben versucht, sie über Funk zu erreichen – ohne Erfolg.“ Hayes zögerte nicht lange. Ernst erklärte er: „General, mit Ihrer Erlaubnis werde ich umgehend mit einigen Einheiten meines Verbandes zum optionalen Unterbrechungspunkt des Fluges der sieben Kreuzer aufbrechen. Wenn es Probleme gegeben hat, so werden wir dort am wahrscheinlichsten auf Hinweise stoßen, sofern es Hinweise gibt.“ „Erlaubnis erteilt, Hayes“, erwiderte der Japaner am anderen Ende der Verbindung. „Sie sind ohnehin am nächsten dran und können innerhalb von knapp drei Tagen da sein. Sollte sich herausstellen, das Jemand dran gedreht hat, dann haben sie meine uneingeschränkte Vollmacht, Nachforschungen anzustellen, und die Schuldigen aufzuspüren und zu bestrafen. Ich erwarte einen ersten Bericht, sobald Sie Resultate haben. Nakamuro, Ende.“ Verstanden, General. Ich melde mich, sobald die Lage klarer ist. Hayes, Ende.“ Der Generalmajor unterbrach die Verbindung und wandte sich mit einem gefährlichen Glitzern in den Augen zum immer noch diensthabenden Second-Lieutenant. „Lieutenant Carrington, alarmieren sie die Besatzungen der SHERIDAN, der POSEIDON, der DEMETER, der ARTEMIS und der ATHENE. Wir starten in spätestens einer halben Stunde.“ Während sich Verena Carrington daran begab die Anweisungen des Generalmajors auszuführen, wandte sich dieser an Irina Zaizewa und sagte unverfänglich: „Wir reden später weiter. Berechnen Sie unsere Minimalflugzeit und seien Sie im Kommandozentrum, wenn wir nach dieser Rechnung im Zielgebiet auftauchen müssten. Halten Sie zu diesem Zeitpunkt auch den Rest der Flotte in Alarmbereitschaft. Möglicherweise werde ich sie umgehend anfordern müssen, sobald wir den fraglichen Sektor erreicht haben. Ich werde an Bord der SHERIDAN mitfliegen und mir ein Bild vor Ort machen. Ich verlasse mich auf Sie, während meiner Abwesenheit, Commander.“ „Ich werde die Stellung halten“, versprach die Russin. „Viel Glück, Sir.“ Hayes blickte bezeichnend zu der Crew des Kommandozentrums und erwiderte: Begleiten Sie mich zu den Landebuchten, Commander, ich habe Ihnen noch etwas zu erklären.“ Irina Zaizewa verstand den Wink und folgte dem Generalmajor. Als sie durch die Gänge zum nächsten Aufzug eilten erklärte Hayes mit bedauerndem Tonfall in der Stimme: „Ich wollte Ihnen eigentlich nur noch sagen, dass es mir sehr leid tut, dass unser kleiner Abendspaziergang ein so abruptes Ende gefunden hat, und dass ich mich schon auf den nächsten freue.“ Er zögerte etwas bevor er hinzufügte: „Vorhin habe ich meinen Satz leider nicht zu Ende bringen können.“ „Das sollten wir besprechen, sobald Sie wieder hier sind, General“, erwiderte die Russin schnell. „Ich denke es hat bis dahin Zeit.“ Ein Lächeln umspielte den Mund des Mannes, als er antwortete: „Das hat es, Commander.“ Die Aufzugtüren öffneten sich und Hayes erklärte bestimmt: „Dann verabschieden wir uns hier, Commander. Halten Sie zur festgelegten Zeit den Rest der Flotte bereit und geben Sie auf sich und die Station acht.“ Irina Zaizewa nickte und erwiderte: „Das werde ich, Sir.“ Die Türen schlossen sich hinter Hayes und mit einem gewissen Bedauern dachte die Russin, dass sie nun vorerst nicht erfahren würde, was der General ihr hatte sagen wollen. Aber vielleicht war es momentan wirklich besser so. Kapitel 6: Ein grausiger Fund ----------------------------- Etwas weniger als drei Tage später verließ das erste und vorerst auch einzige Trägerschlachtschiff der Erdstreitkräfte, die EAS SHERIDAN, gefolgt von zwei Schweren Zerstörern der WARLOCK-KLASSE und zwei schwer bewaffneten Kanonen-Kreuzern der NOVA-KLASSE, den Hyperraum. Die fünf Kriegsschiffe fächerten auf und setzten ihre Eigengeschwindigkeit so weit herab, bis sie nur noch mit wenigen Kilometern pro Minute durch die ewige Schwärze des Weltalls glitten. In den Hangars der fünf Raumschiffe warteten insgesamt 144 Jäger der STARFURY-KLASSE darauf ausgeschleust zu werden. Die 48 Jagdbomber der THUNDERBOLT-KLASSE, an Bord der SHERIDAN, waren zwar bemannt, aber Hayes gedachte, sie vorerst zurück zu halten, nur für den Fall dass es unliebsame Überraschungen geben würde. Im Kommandozentrum der SHERIDAN gab Generalmajor Hayes dem Captain des Trägerschlachtschiffs, Fernando Esposito, ein Zeichen und der Südländer befahl den Start der Jäger. Über Funk stand er mit der Geschwaderkommandantin der SHERIDAN, Commander Melanie Sterling, in direktem Kontakt. Hayes bekam mit, wie Esposito sie anwies: „Commander Sterling, lassen Sie die Jäger in alle Richtungen ausschwärmen. Wenn es hier irgendetwas zu finden gibt, dann sollten die Jäger in der Lage sein es zu entdecken. Gute Jagd. Esposito, Ende.“ Da die Antwort über den Kommunikator erfolgte, den Esposito am linken Ohr trug, bekam Hayes die Antwort der Australierin nicht mit, obwohl er sich denken konnte, wie sie ausfiel. Als Fernando Esposito zu ihm sah, meinte Hayes grimmig: „Was halten Sie davon, Esposito? Keine Spur von den sieben Kreuzern. Ich hatte insgeheim gehofft, dass es Anzeichen für ihren Verbleib geben würde oder das wir sie gleich hier finden, falls es während des Fluges zu irgendeiner Katastrophe gekommen sein sollte. Aber hier ist gar nichts, wie es bis jetzt aussieht.“ Der Spanier nickte ernst. „Geradezu unheimlich ist das, Sir. Wenn ich an Geister glauben würde, dann hätte ich einen Verdächtigen für das Verschwinden der Schiffe. Aber so...“ Der General nickte mit säuerlicher Miene. „Die Erklärung, was den Kreuzern widerfuhr, wird ganz bestimmt am Ende keine Geister beinhalten, sondern sehr greifbar werden, fürchte ich.“ „Haben Sie Vorahnungen, Sir“ Hayes schüttelte den Kopf. „Darauf gebe ich nicht viel. Aber hierbei habe ich ein ziemlich mieses Gefühl, wenn Sie so wollen. Was mich beunruhigt ist, dass es keinen Notruf gegeben hat. Denn falls unseren Kreuzern tatsächlich etwas zugestoßen sein sollte, so würde das bedeuten, dass das – was immer es auch war - was unsere Kreuzer überraschte, schnell und hart zuschlug.“ „Also doch Vorahnungen. Warten wir ab, ob die Jäger etwas finden“, schlug Esposito vor. „Vielleicht sehen wir schon bald sehr bald klarer.“   * * *   Etwa in demselben Moment, in dem Esposito diese Worte sprach, löste sich Lieutenant-Commander Thore Ingersson, der Geschwaderkommandant der Jäger an Bord der DEMETER, von seinem Flügelmann, dem er den Befehl erteilt hatte, einige Grad zur Grün-Koordinate hin abzuschwenken. Das gewohnte Vibrieren der Triebwerke spürend, als er selbst etwas nach Rot korrigierte, starrte er angespannt auf das Multi-Funktions-Display direkt vor sich. Er hatte vor wenigen Momenten umgeschaltet von Energieortung auf Masseortung. Seiner Meinung nach hätten die Mutterschiffe der Jäger längst jede signifikante Energiequelle geortet, die auf ein Raumschiff mit aktiven Systemen hingewiesen hätte. Seine über die Jahre geschärften Instinkte als Jagdpilot sagten ihm, dass er mehr Erfolg haben würde, wenn er sich auf die Masseortung konzentrierte, denn bei dieser Ortungsmethode waren die Jäger ihren Mutterschiffen, denen mitunter kleinere Körper durch die Maschen gingen, leicht im Vorteil. Auch wenn die Reichweite von deren Systemen denen der Jäger wiederum überlegen war. Kein Vorteil ohne Nachteil. Commander Sterling hatte den Befehl gegeben, sich nicht weiter vom Trägerverband zu entfernen, als maximal eine Astronomische Einheit. Das machte Sinn, denn selbst innerhalb dieser Entfernung wurde ihr kugelförmiges Netz bereits so löcherig, dass das Auffinden von Trümmerteilen fast schon zur reinen Glückssache mutierte. Der gebürtige Schwede, der den meisten Menschen sofort durch sein fast weißblondes Haar auffiel, gab den akustischen Befehl: „Computer, Erfassungskegel um drei Grad ausweiten.“ „Kommando ausgeführt“, meldete die einschmeichelnde Stimme des Bordcomputers. „Schwaches Echo auf Rot.“ „Na, bitte!“, rief der Skandinavier aus. Dann befahl er rasch: „Besten Flugvektor zum Echo auf den Bildschirm legen.“ Gleich darauf wurde der einzuschlagende Kurs auf dem MFD eingeblendet und Ingersson korrigierte schnell und sicher die Fluglage des wendigen Jägers, bis das kleine Raumschiff auf das Ziel ausgerichtet war. Laut der Display-Anzeige war das Objekt, auf das er zuhielt, etwas weniger als zwei Meter groß und nur noch etwa zehn Kilometer entfernt, was den Skandinavier nachdenklich stimmte, denn normalerweise wurden massive Trümmer dieser Größe in viel weiterer Entfernung ausgemacht. Näher und näher kam sein Jäger der Stelle im Raum, an der sich das fragliche Objekt befinden sollte. Als es sich nur noch wenige hundert Meter vor dem Jäger befand aktivierte der Pilot die Bordscheinwerfer, verzögerte weiter, und näherte sich nun mit wenigen Metern pro Sekunde. Etwas geriet in den Erfassungsbereich der Scheinwerfer, ein um seine Achsen trudelndes Etwas. Sekunden später erkannte Ingersson, was es war und er glaubte, sein Magen würde sich umdrehen. Einen Moment lang um seine Fassung ringend blickte der Pilot auf das, was er entdeckt hatte und auf sein MFD, auf dem nun weitere Objekte derselben Größe angezeigt wurden. Dann meldete er Commander Sterling über Funk, was er entdeckt hatte.   * * *   Generalmajor Lynden B. Hayes überkam ein ganz und gar ungutes Gefühl, als Fernando Esposito Commander Melanie Sterling dazu aufforderte ihre Meldung an ihn zu wiederholen. Nach einem Moment versteinerte die Miene des zumeist gut gelaunten Südländers förmlich. Mit einer mechanisch wirkenden Geste den Kommunikator abnehmend blickte der Captain seinen Vorgesetzten an und meldete ihm: „Sir, einer unserer Piloten hat eine Wolke aus im Raum treibenden Leichen entdeckt. Ich will nicht vorgreifen, oder wilde Vermutungen anstellen, aber ich denke, es handelt sich um die Überführungscrews der vermissten Kreuzer.“ Mit undurchdringlicher Miene erwiderte der Generalmajor den Blick des Spaniers, ballte seine Hände zu Fäusten und wies den Captain der SHERIDAN mit tonloser Stimme an: „Lassen Sie die Leichen bergen, Esposito. Wir nehmen sie mit nach BABYLON-6. Dort wird Lieutenant-Commander Yldirim und ihr Ärzte-Team Autopsien an ihnen vornehmen. Wir werden schon in Erfahrung bringen, was sich hier ereignet hat.“ Fernando Esposito bestätigte. Er legte den Kommunikator wieder an und fügte hinzu: „Melanie hat ihre Energieortung auf dem gesamten Spektrum laufen lassen, und sie hat, laut ihren eigenen Worten, eine sehr merkwürdige Reststrahlung aufgefangen. Sie wird sie scannen, damit wir auch diese Strahlung analysieren können, um festzustellen ob sie wirklich so merkwürdig ist. Vielleicht kommen wir auch nur zu dem Ergebnis, dass sie nichts zu bedeuten hat.“ „Ich glaube nicht an solche Zufälle, Captain. Lassen Sie Sterling das Gebiet ganz genau scannen, vor allen Dingen nach Waffenenergie- und Triebwerks-Restsignaturen.“ Der General blickte finster vor sich hin, bevor er sich erneut zu Esposito wandte. „Vor meinen Augen entwickelt sich ein sehr düsteres Bild, Esposito. Ein Bild, das mir gar nicht gefällt.“ Fernando Esposito nickte nur und beobachtete Hayes dabei, wie er sich auf dem Geländer, das den Kommandobereich umlief, mit den Händen abstützte, dabei den Handlauf fest umklammernd. Ihm selbst gingen einige Gedanken durch den Kopf aber ein klares Bild kam dabei nicht zustande. Vielleicht gelang es Lieutenant-Commander Nurcan Yldirim und ihrem Team, etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Esposito lächelte unbewusst, als er an die türkische Stationsärztin dachte. Nachdem die Kampfgruppe-Epsilon die Station MFB-VI-023 vor etwa fünf Wochen erreicht hatte, waren er und die Ärztin sich auf der Station gelegentlich über den Weg gelaufen. Einige Male hatten sie sich dabei unterhalten und Esposito hatte diese Unterhaltungen durchaus genossen. Er mochte die kühle, zurückhaltende Frau, und er hätte etwas dafür gegeben zu wissen, ob er ihr ebenfalls sympathisch war. Momentan wusste er nämlich überhaupt nicht, woran er bei ihr war. Normalerweise schloss der Spanier sehr schnell Freundschaften, doch die Ärztin war zu wie eine Auster, wie man so schön sagte. Vielleicht reizte ihn gerade das, mehr über sie erfahren zu wollen. Bei diesen Gedanken verirrte sich sein Blick zu Hayes. Esposito war aufgefallen, dass sich der Generalmajor spürbar verändert hatte in den letzten Wochen. Durchaus zum Positiven, wie es schien. Um dies jedoch zu bemerken musste man den General schon einigermaßen kennen, so wie er zum Beispiel. Fernando Esposito ahnte auch, was, oder besser: wer der Grund für diese Veränderung war. Vielleicht sollte ich Nurcan Yldirim auch einmal zu einem Abendspaziergang überreden, überlegte der Spanier, halb amüsiert, halb nachdenklich. Esposito riss sich schließlich aus diesen Betrachtungen und blickte auf den großen Frontschirm. Auf Steuerbord voraus, mit leichter Überhöhung, war die ARTEMIS, einer der beiden Zerstörer der NOVA-KLASSE, die sie begleiteten, zu sehen. Gelegentlich gewann Esposito den Eindruck, dass die Konstrukteure bei dieser Raumschiffsklasse nach dem Prinzip: Soviel Waffen pro Quadratmeter Schiffsfläche, wie nur möglich vorgegangen waren. Die schwere Bewaffnung machte sie relativ schwerfällig, so dass sie nur selten ohne Flankenschutz durch leichtere und wendigere Kreuzer operierten. Der Captain der SHERIDAN blickte zu Hayes, als dieser in ansprach und meinte: „Schärfen Sie Commander Sterling ein, dass wir keine einzige Leiche zurücklassen wollen. Die Jäger sollen darum sorgfältig das gesamte Gebiet scannen.“ „Natürlich, Sir.“ Während Esposito seinen Befehl an Melanie Sterling weitergab, brütete Hayes düster vor sich hin. Welches Drama, zur Hölle, mochte sich hier abgespielt haben? Kapitel 7: Spuren ----------------- Commander Irina Zaizewa hatte die erste Meldung aus dem Zielgebiet der fünf ausgesandten Kriegsschiffe mit Erschütterung zur Kenntnis genommen. Auf das Geheiß von Hayes hin hatte sie dafür gesorgt, dass die Krankenstation bei seiner Rückkehr bereits darauf vorbereitet war, die geborgenen Leichen umgehend obduzieren zu können. Es hatte sich offensichtlich unterwegs schon herausgestellt, dass ein Mitglied der Überführungscrews fehlte. Trotz intensiver Bemühungen hatte man die Leiche von First-Lieutenant Eireene Connally nicht finden können. Ob dies nun Grund zur Hoffnung gab, oder aber lediglich bedeutete, dass nichts von ihr übrig geblieben war, war nicht zu ermitteln gewesen. Während der ersten Obduktionen an einigen der geborgenen Leichen standen Generalmajor Hayes und Irina Zaizewa jetzt, drei Tage nach dem Fund der Leichen, vor der breiten Frontscheibe, die den Beobachtungsbereich vom Operationssaal trennte. Von Zeit zu Zeit hatte Nurcan Yldirim eine knappe Bemerkung fallen gelassen, doch seit einigen Minuten war kein Wort mehr aus den Lautsprechern der Übertragungsanlage gekommen und der General begann unruhig mit dem rechten Fuß über den Boden zu scharren. Die Russin an seiner Seite, die nicht weniger neugierig war als ihr Begleiter, schmunzelte unmerklich und sagte leise: „Der Lieutenant-Commander arbeitet sicherlich so schnell und so gründlich wie nur möglich.“ Der Grauhaarige lächelte fast entschuldigend. „Ich weiß, dass ich etwas nervös bin, Commander, aber ich brenne darauf zu erfahren was unseren Leuten widerfahren ist. Selbst ich, als Laie, habe die Schussverbrennungen erkannt, und jetzt würde ich gerne wissen, auf wen ich den Kreis der potenziellen Mörder eingrenzen kann.“ Minuten reihten sich zu einer Viertelstunde. Hayes atmete hörbar aus, als sich Nurcan Yldirim unerwartet aufrichtete, nachdem sie die letzten zehn Minuten über ein Mikroskop gebeugt zugebracht hatte. Zu ihnen heraus blickend erklärte sie: „General, es gibt, anhand der ersten untersuchten Gewebeproben keinen Zweifel daran, dass es PPG´s irdischer Fertigung gewesen sind, mit denen unsere Leute getötet wurden. Danach hat man sie ins All gestoßen. Bei der Untersuchung einer der Frauen hat einer meiner Assistenzärzte noch etwas entdeckt, doch dazu, und zu einem weiteren Detail, möchte ich erst etwas sagen, wenn Sie die Führungsoffiziere zusammengerufen haben, Sir.“ Hayes und Zaizewa blickten sich bei den Worten der Ärztin gleichermaßen überrascht an. Wer besaß irdische PPG´s, überfiel sieben irdische Kreuzer und entführte sie so gekonnt, dass es nicht mal zum Absetzen eines Notrufs kam? Momentan waren für beide Offiziere die Fragen eher mehr als weniger geworden. Hayes nickte in Richtung der Ärztin und erwiderte: Ich werde die Offiziere zusammenrufen und ich erwarte Sie, in exakt einer halben Stunde, mit den vorläufigen Ergebnissen ihrer Untersuchungen in Konferenzraum Eins.“ Zusammen mit Irina Zaizewa verließ der Generalmajor den Beobachtungsraum und er sagte, als sie auf dem Gang standen: „Kontaktieren Sie die Kommandanten der Raumschiffe und bestellen Sie sie auf die Station. Ich möchte ebenfalls Ihren Stellvertreter, Lieutenant-Commander Okasaki, und Lieutenant-Commander Melanie Sterling dabei haben. Wir treffen uns dann in einer halben Stunde im Konferenzraum, Commander.“ „Verstanden, Sir“, bestätigte die Frau und führte ihren Kommunikator zum Mund, während sich Hayes bereits mit raschen Schritten entfernte. Die Russin ahnte, dass er der Erd-Zentrale einen vorläufigen Bericht senden wollte. Dort würde man vermutlich ebenfalls schockiert auf die Ermordung von 280 Angehörigen der Erdstreitkräfte reagieren - und man würde Fragen stellen. Fragen, auf die auch sie und Hayes momentan keine Antwort wussten.   * * *   Etwas mehr, als eine halbe Stunde später saß Generalmajor Hayes am Kopf des gewaltigen Konferenztisches, der den Raum beherrschte und blickte in die ernsten Gesichter seiner ihm unterstellten Offiziere. Zu seiner Rechten saß Commander Zaizewa, zu seiner Linken die Stationsärztin. Daran anschließend die Kommandanten der siebzehn Kriegsschiffe seines Verbandes. Am Ende schlossen sich Melanie Sterling und Shinji Okasaki an. Hayes legte seine kräftigen Hände auf die dunkle, gemaserte Platte des Tisches, bevor er sich langsam erhob und mit kräftiger Stimme erklärte: „Ich fasse kurz zusammen, was wir bisher an Informationen haben, bevor unsere Stationsärztin das Wort an Sie richten wird. Vor knapp zwölf Tagen verließ und der Verband unserer alten, ausgemusterten ALPHA-KLASSE Kreuzer, damit sie über dem Mars demontiert werden können. Doch die sieben Kreuzer sind dort nie erschienen darum flog ich an Bord der SHERIDAN, mit einem Geleit von vier weiteren Schiffen, jenen Sektor an, der für eine optionale Unterbrechung vorgesehen war. Dort fanden wir zweihundertneunundsiebzig Leichen. Ein Mitglied der Besatzungen wird, nach wie vor, vermisst. Nach einer kurzen Einsicht in die Unterlagen von Lieutenant-Commander Yldirim bin ich mir jedoch nicht sicher, ob der Kreuzer-Verband von sich aus an diesem Punkt seinen Flug unterbrochen hat.“ Der Generalmajor erkannte dass Captain Piet Monderaan von der DEMETER eine Zwischenfrage stellen wollte, doch er kam ihm zuvor, indem er bestimmt sagte: „Bitte zu diesem Zeitpunkt noch keine Fragen, Captain. Sie und ihre Kameraden bekommen im Anschluss an die Ausführungen unserer Stationsärztin die Gelegenheit, sich zu äußern.“ Als der General Nurcan Yldirim bei diesen Worten auffordernd ansah, erhob sich die Ärztin von ihrem Stuhl und strich sich nervös durch ihr dunkles Haar, bevor sie begann: „Ich möchte voran schicken, dass noch längst nicht alle Leichen untersucht werden konnten, trotz der Unterstützung der Bordärzte aller Kriegsschiffe, wofür ich mich zunächst einmal herzlich bedanke. Bei den ersten Obduktionen wurde bereits ersichtlich, dass zur Tötung der Leichen, sofern sie erschossen wurden, Waffen irdischer Fertigung benutzt wurden, überwiegend PPG´s. Einige der Leichen wurden jedoch erstochen oder erdrosselt. Da es sich dabei durchwegs um weibliche Mitglieder der Überführungscrews handelt, habe ich an diesen Leichen weiterführende Untersuchungen vorgenommen. Das erschreckende Ergebnis ist, dass diese Frauen körperlich misshandelt, und in einigen Fällen vergewaltigt, worden sind, bevor man sie getötet hat.“ Einige der Anwesenden wurden blass und Unruhe entstand unter ihnen, bevor die Ärztin fortfuhr: „Die DNA-Rückstände sind noch nicht vollständig ausgewertet, doch es steht bereits jetzt fest, dass Menschen für die Vergewaltigungen verantwortlich gewesen sind. Hämatome an den Körpern der übrigen Leichen, sowie Frakturen, überwiegend im Rippenbereich lassen zudem vermuten, dass alle Crewmitglieder körperlich gefoltert wurden, den Grund dafür können wir nur erahnen. Was seltsam scheint, ist die Tatsache, dass alle Leichen Strahlungsrückstände aufweisen, wie ich sie noch niemals analysiert habe. Darum habe ich sie mit den Reststrahlungswerten verglichen, die Commander Sterling am Fundort der Leichen angemessen und aufgezeichnet hat. Sie sind identisch.“ Die Ärztin setzte sich wieder und Generalmajor Hayes erhob sich erneut und erklärte: „Die Wissenschaftler der SHERIDAN haben auf dem Rückflug zur Station die von Commander Sterling angemessenen und aufgezeichneten Reststrahlungs-Signaturen ausgewertet. Man sagte mir in sehr komplizierten Worten, dass es sich dabei in einem Fall weder um die normale Hintergrundstrahlung des Weltalls handelt, noch um eine Form von Hyperraum-Reststrahlung. Es soll sich vielmehr um etwas handeln, das irgendwo dazwischen liegen könnte – rein theoretisch, denn diese Form der Strahlung ist unseren Wissenschaftlern bislang unbekannt. Eine Form von Waffen-Reststrahlung glauben unsere Spezialisten hier ausschließen zu können. Darum vermute ich, dass sie künstlichen Ursprungs sein muss. Einer unserer Wissenschaftler stellte die Theorie auf, dass diese Strahlung eine momentan noch unbekannte Auswirkung auf den Hyperraum haben könnte – darum meine Vermutung, dass unsere Kreuzer vielleicht nicht freiwillig den Flug zum Mars unterbrochen haben. Was vielleicht ebenso rätselhaft erscheint ist die Tatsache, dass die SHERIDAN eine Reststrahlung von Triebwerken anmessen konnte, die nicht zu Raumschiffen irdischer Fertigung passt. Ein Vergleich hat eine siebenundneunzigprozentige Übereinstimmung mit einer Raumschiffsklasse ergeben, welche die Raiders in den späten Fünfziger Jahren dieses Jahrhunderts für einen Überfall auf die Station BABYLON-5 genutzt haben. Aufgrund dieser Tatsache habe ich eine Suche nach weiteren Signaturen angeordnet, mit dem Ergebnis, dass auch Antriebssignaturen von Raiders-Raumjägern entdeckt wurden. Wir haben es hier also mit Menschen zu tun, die sich der gleichen Trägerschiffe und Raumjäger bedienen, wie sie seinerzeit von den zerschlagen geglaubten Raiders benutzt worden sind. Was wir nicht wissen ist, wer noch alles in diese verbrecherische Aktion verwickelt ist. Momentan ist die Theorie, dass die Raiders wiedererstarkt sind und erneut nach der Macht greifen, am wahrscheinlichsten.“ Der General blickte zu Piet Monderaan, während er sich wieder setzte und fragte den Kommandanten der DEMETER: „Nun, was wollten Sie vorhin fragen, Captain?“ Piet Monderaan, hochgewachsen und mit seinen 1,94 Metern Körpergröße mitunter etwas schlaksig wirkend, erhob sich. Die blauen Augen des blonden Niederländers blickten in die Runde, bevor sie sich auf den General konzentrierten. Ruhig fragte der in Amsterdam geborene Mann: „Sie denken wirklich, dass es eine Technik geben könnte, die den Hyperraum-Flug von Raumschiffen unterbrechen könnte? Angenommen es wäre so, dann würde nach meiner Einschätzung dazu eine Technik gehören, welche die unsere weit übersteigt. Und nicht nur die unsere, Sir. Keine Organisation von Menschen wäre zu so etwas in der Lage. Wenn ich diese Punkte addiere so bleibt nur eine Schlussfolgerung: Es gibt einen Mitspieler, den wir noch nicht identifiziert haben.“ Monderaan setzte sich gemächlich. Überhaupt erweckte er zumeist den Eindruck, etwas träge, ja behäbig zu sein. Doch dieser Eindruck, das wusste Hayes inzwischen, stimmte mit der Realität nicht überein. Der Generalmajor nickte zustimmend und erhob sich erneut von seinem Platz. „Sie sprechen aus, was ich ebenfalls glaube, Captain Monderaan. Selbst mit den technischen Mitteln der Interstellaren Allianz ließe sich eine Unterbrechung von Hyperraum-Flügen nicht bewerkstelligen. Es gibt jedoch eine Technik, der ich dies zutrauen würde und das wäre die Technik der Drakh.“ Captain Michelle Liu, die sowohl optisch, wie auch von ihrer Mentalität her, das genaue Gegenteil von Monderaan war, sprang bei den letzten Worten des Generals förmlich von ihrem Stuhl auf und blickte ihren Vorgesetzten ungläubig an. Die Asiatin, aus Taiwan stammend, erklärte mit heller Stimme: „Aber wie ist denn so etwas möglich, General? Wurden die Drakh nicht völlig vernichtet, nachdem wir Centauri-Prime, im Jahr 2279, von ihnen befreit haben?“ Der Generalmajor erwiderte den fragenden Blick der Frau, die Monderaan gerade einmal bis zur Schulter reichte, und antwortete überlegt: „Ich bin mir ziemlich sicher, Captain Liu, dass die Drakh sich, nach der Vernichtung von Z´Ha´Dum, auf mehr Planeten breit gemacht haben, als nur auf Centauri-Prime. Diese Strategie hätte zumindest ich verfolgt. Ich bin mir, gerade angesichts der jüngsten Ereignisse, ziemlich sicher, dass es noch welche von ihnen gibt. Über welche Mittel sie verfügen und wie groß ihre Anzahl sein mag, das kann ich nicht sagen. Dass die Schattenschiffe in der Lage waren ohne ersichtlichen Hyperraum-Vortex quasi in den Hyperraum zu phasen bestärkt mich in dieser Annahme, denn nur eine ähnlich geartete Technik könnte das ausgelöst haben, was wir momentan vermuten. Das Gesamtbild, das sich so vor uns aufbaut, ist ziemlich düster, aber wir sollten uns besser mit diesem Bild anfreunden um nicht auf dem linken Fuß erwischt zu werden. Gleichzeitig wird ersichtlich, dass wir dringend etwas unternehmen müssen. Schon die Ereignisse des letzten Monats waren in dieser Hinsicht ziemlich beunruhigend. Ich selbst gehe davon aus, dass beide Ereignisse mit einander in Verbindung stehen. Ich denke, es handelt sich in beiden Fällen um denselben Gegner. Wenn das stimmt dann arbeiten irdische Telepathen, Raiders und Drakh zusammen. Eine gefährliche, aber auch vermutlich eine sehr brüchige, Allianz. Letzteres könnte uns irgendwann zum Vorteil gereichen.“ Bei seinen letzten Worten war Irina Zaizewa im Begriff gewesen, sich zu erheben, doch der Generalmajor legte hemmend seine Hand auf die Schulter der Frau und zwang sie, mit sanfter Gewalt, sitzen zu bleiben. In die Augen der Russin blickend erklärte er, für alle Anwesenden deutlich vernehmbar: „An Ihrer Loyalität zweifele ich nicht im Geringsten, Commander. Sie selbst haben einen Telepathen verhört, der für diese unbekannte, neue Fraktion arbeitete, die mit vermisst geglaubten Erden-Kriegsschiffe diese Station angegriffen hat. Es steht also außer Frage, dass zumindest einige irdische Telepathen für diese verbrecherische Organisation arbeiten.“ Irina Zaizewa nickte zustimmend und ein Hauch von Dankbarkeit lag in ihren Augen, weil sich Hayes ganz offen, vor den hier versammelten Offizieren, auf ihre Seite gestellt hatte. Sich schnell wieder fassend erhob sie sich und erklärte: „Sie haben Recht, Sir. Ich schlage vor, die Jagdstaffeln der Station, zumindest für die nächsten zwei Wochen, in erhöhter Alarmbereitschaft zu versetzen und rund um die Uhr Nahpatrouille fliegen zu lassen. Mindestens drei Schiffe der Kampfgruppe sollten dabei zusätzlich permanent gefechtsbereit sein.“ Der General nickte ernst. „Ihre Vorschläge klingen vernünftig, Commander. Erstellen sie einen Rotationsplan, bei dem Sie die SHERIDAN und die THALIA außen vor lassen werden – diese beiden Schiffe will ich zusätzlich permanent einsatzbereit wissen.“ Captain Espositos Gesicht besagte deutlich, was er von der letzten Anweisung des Generals hielt. Damit fielen Abendspaziergänge mit einer ganz bestimmten Ärztin zunächst einmal flach. Hayes blickte fragend in die Runde: „Wenn niemand von Ihnen weitere Fragen dazu hat, so ist diese Besprechung beendet.“ Unterdrücktes Gemurmel brandete auf, während die versammelten Offiziere zum Ausgang drängten. Hayes blieb allein zurück und starrte mürrisch vor sich hin. Zorn über die Entwürdigung, Folterung und Ermordung von 279 Menschen machte sich in ihm breit und er ballte seine auf der Tischplatte liegenden Hände zu Fäusten. Er schwor sich aufzuklären, was passiert war, und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, egal um wen auch immer es sich handeln mochte. Gleichzeitig wurde er sich darüber klar, dass er die Spur der vermissten Kreuzer so schnell wie nur irgend möglich aufnehmen musste, denn wer auch immer die Kreuzer nun besaß, er würde nichts Gutes mit ihnen anstellen, so viel stand fest. Er schloss seine Augen und flüsterte fast lautlos: „Ich werde euch kriegen, ihr Bastarde. Mir mit den zweihundertneunundsiebzig Leichen den Fehdehandschuh hinzuwerfen war vielleicht euer schlimmster Fehler.“   * * *   Fast in demselben Moment blickte Galen Kilrain von den beiden Drakh und dem Anführer der Raiders, die im Begriff waren den Raum zu verlassen, zu Cameron Grant, in dessen Arbeitszimmer er und Grant sich mit den Dreien zu einer Besprechung ihrer folgenden Schritte getroffen hatten, und meinte: „Mister Grant, ich verstehe immer noch nicht so recht, warum wir die Leichen der Crews zurücklassen sollten. Denken Sie nicht, dass deren Zurücklassen ein Fehler gewesen sein könnte?“ Cameron Grants kalte Augen funkelten beinahe belustigt, als er ruhig und betont antwortete: „Nein, Galen, dabei habe ich mir durchaus etwas gedacht. Es existiert von keinem der Männer, die bei diesem Unternehmen dabei waren, irgendeine genetische Datei, in den Unterlagen der Erd-Allianz. Die werden zwar versuchen, anhand der DNA-Rückstände, die Sie, und einige andere Männer, bei einigen der getöteten Frauen hinterlassen haben, zu ermitteln, welche Personen dahinterstecken, aber damit werden sie, wegen der nicht vorhandenen Daten, keinen Erfolg haben. Darüber hinaus lenken sie zunächst einmal von unseren speziellen Verbündeten ab – so hoffe ich zumindest. Aber selbst wenn nicht, werden sie erst einmal Zeit und Ressourcen vergeuden. Außerdem sollten sie die Macht der Psychologischen Kriegsführung nicht unterschätzen. Diese sauberen Soldaten der Erd-Allianz werden sicherlich geschockt auf das reagiert haben, was sie vorgefunden haben. Sie wissen nun, mit was für einer Art Gegner sie es zu tun haben. Das wird ihnen für eine ganze Weile im Kopf herumgehen. Inzwischen werden wir unseren nächsten Coup planen und ausführen. Außerdem vermute ich, dass die Erd-Allianz dafür verantwortlich zeichnet, dass sich einer unserer Stützpunkte seit über einem Monat nicht mehr gemeldet hat. Die wissen also ohnehin, in welche Richtung sie ungefähr zu ermitteln haben. Um so wichtiger war es, ihnen zu verstehen zu geben, dass wir nicht beeindruckt sind. Das wird sie verunsichern.“ Einmal mehr bewunderte Galen Kilrain die Kaltschnäuzigkeit seines Gegenübers. Und die verbrecherische Energie, die in ihm steckte. Zum breiten Panoramafenster hinaus, in die Wüste des Planeten blickend erkundigte sich Kilrain: „Weiß ihr Kontakt auf dem Mars übrigens, wen man damit beauftragen wird, sich auf unsere Fersen zu heften?“ Grant schüttelte den Kopf. „Leider nicht. Ich wäre wirklich neugierig darauf zu erfahren, wer uns jagen wird. Aber man kann nicht Alles haben, nicht wahr?“ Kilrains grün-graue Augen drückten Zustimmung aus. „Nein, das wohl nicht. Noch nicht.“ Grant lächelte humorlos und fasste zufrieden zusammen: „Kein Notruf, keine Augenzeugen, und die von der Erd-Allianz haben nicht die leiseste Ahnung, wohin ihre Kreuzer verschwunden sind. Das wird denen mächtig stinken, Galen.“ Der Blonde ahnte nicht, dass er sich in einem der Punkte irrte, denn es gab eine Augenzeugin, die noch am leben war. Wenn auch nur so gerade eben noch...     ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)