Tokyo Bay von Ruka_S_Orion (Neustart) ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Etwas erschöpft von der langen Fahrt, in erster Linie aber wegen der vielen Gedanken, die ihr währenddessen durch den Kopf geschossen waren, öffnete Haruka die Tür zu ihrem Hotelzimmer und ließ kurz ihren Blick durch den Flur schweifen. >Naja, nicht gerade sehr vielversprechend…< Seufzend schritt sie auf die gegenüberliegende Tür zu und betrat das kleine Schlafzimmer. Wie sie erwartet hatte, war es nichts Besonders. Ein relativ großes Bett mit zwei Nachtschränken, wobei sich noch ein kleiner Sessel neben dem einen befand. Gegenüber des Bettes hing über einem Schreibtisch, an dem ein kleiner Holzstuhl stand, ein kleiner Flachbildfernseher an der Wand. Vorsichtig setzte sie ihren Rucksack auf dem Bett ab und legte ihren Helm daneben, damit sie nun die Hände frei hatte, um das Fenster zu öffnen. Die Aussicht war nicht atemberaubend, aber immerhin konnte sie einen schwachen aber beständigen Windzug spüren, der ihr durchs Haar strich. Ruhig atmend schloss sie die Augen und lehnte sich ein Stück weit hinaus. Nach einigen Minuten fühlte sie, wie ihr Gesicht allmählich vom frischen Januarwind fror. Erneut seufzend schloss sie das Fenster und setzte sich in den Sessel. Langsam zog sie ihre Tasche zu sich und holte zwei kleine gerahmte Bilder heraus. Auf dem einen war sie zu sehen. Ein zwölfjähriges Mädchen, das stolz vor seinem ersten Motorrad stand und einen Arm um die Schultern eines etwas größeren, brünetten Jugendlichen legte, der breit in die Kamera grinste. Neben den beiden Kindern stand ein stattlicher schwarzhaariger Herr, der, mit den Händen in den Hosentaschen, offensichtlich zufrieden zu den beiden hinüber lächelte. >Ich hoffe, du bist nicht zu enttäuscht von mir…Nur gut, dass dieser Widerling doch lieber hinter der Kamera geblieben ist...< Harukas Blick verfinsterte sich. Sie schloss die Augen, um kurz danach wieder in die ihrer Eltern sehen zu können. Einige Zeit lang saß sie nur da und träumte von längst vergangenen Tagen, die so viel schöner waren, als die letzten Monate im Hause ihres Onkels. Schnell wischte sie sich eine Träne von der Wange, stellte das Bild zu dem anderen auf den Nachtschrank und begab sich kurz ins Bad, um sich die gereizten Augen aus zu waschen. Anschließend legte sie sich aufs Bett und schlief nach nur wenigen Augenblicken ein. Nur Sekunden später, wie es Haruka vor kam, drang ein Klopfen, das die Blondine hochschrecken ließ, vom Flur her an ihr Ohr. Stöhnend schleppte sie sich zur Tür und öffnete sie dem mittlerweile einundzwanzigjährigen, brünetten jungen Mann, der auf dem ersten Foto zu sehen war. „Na, gut geschlafen?“ Schwach lächelte Sanji seine jüngere Freundin an. „Was? Woher…“, doch noch ehe sie die Frage vollenden konnte, bemerkte Haruka die kribbelnde Druckstelle an ihrer Wange, die offensichtlich durch ihren Unterarm entstanden war. „Hm… Ja, atemberaubend gut… Komm rein. Das Wohn-…. oder Schlafzimmer ist direkt geradezu“. Sie trat zur Seite, um dem jungen Mann mit großer Reisetasche Einlass zu gewähren. Dieser ging zielstrebig in den nächsten Raum, um sein Gepäck auf das Bett zu hieven. „Du meine Güte, dafür dass du so gar nicht mädchenlike bist, ist deine Tasche mit dem Nötigsten doch ganz schön schwer geworden!“ „Was hast du erwartet? Ich hatte und habe nicht vor, mich in der nächsten Zeit noch einmal bei ihm sehen zu lassen. Da gehört zum Nötigsten eben alles, was man nicht zurück lassen möchte.“ „Ja, ja. Du hast ja recht. Und das hast du dir auch gut überlegt, ja?“ Besorgt sah Sanji in die ihm vertrauten grünen Augen. „Ja. Mein Entschluss steht fest. Obwohl ich zu gerne sein Gesicht sehen würde, wenn er am Samstag nach Hause kommt und meine Abschiedsnachricht auf dem Küchentisch findet.“, lächelte die Blondine finster zum Boden blickend vor sich hin. „Was für eine Abschiedsnachricht?“. Skeptisch sah der junge Mann in das ihm abgewandte Gesicht. „Ich fand es unhöflich, einfach nur meinen Kram zu nehmen und zu verschwinden. Darum habe ich ihm einen Zettel hingelegt. >Danke für Nichts.<“. Zufrieden grinsend sah sie wieder zu ihrem Vertrauten auf. Doch kurz darauf wandelte sich ihr Gesichtsausdruck zum Traurigen. „Yamada-sama habe ich auch eine Botschaft hinterlassen. Aber einen richtigen Brief, nicht nur einen Zettel oder so… Guck nicht so! Du weißt, dass mir Abschiede nicht liegen.“, antwortete Haruka auf Sanjis enttäuschten Blick. „Darin steht alles, was er wissen muss. Auch, dass er mich hier nicht unter dem Namen Touma finden wird. Allerdings habe ich nicht geschrieben, dass du mir bei meiner kleinen Flucht geholfen hast. Erzähl es ihm ruhig, wenn du willst. Das geht mich nichts an.“ Langsam ließ sich Sanji in den Sessel sinken. „Ohne dich wird sich wohl so einiges ändern, in unserem kleinen Rennstall. Und du wirst auch sicher nicht mehr zurück kommen?“ Haruka schüttelte nur langsam den Kopf. Nachdem beide eine Zeit lang schweigend aneinander vorbei gesehen hatten, durchbrach Sanji die Stille: „Wo soll eigentlich dein ganzes Zeug hin? Ich will ja nicht drängeln, aber von Nagoya aus bis hier her hab ich gut vier Stunden gebraucht und eigentlich hatte ich nicht vor, erst morgen früh wieder zu Hause anzukommen.“ Daraufhin löste sich Haruka aus ihrer Starre, schnappte sich ihren Helm, zog einen Schlüsselbund aus ihrem Rucksack und machte sich auf den Weg zur Tür. „Na dann... Ich habe mir so etwas wie einen Lagerraum gemietet. Da kann erst mal alles unterkommen und ab nächsten Monat habe ich sicher meine eigene Wohnung hier.“. Dieses langsame Fahren war Haruka überhaupt nicht gewöhnt. Dennoch bemühte sie sich, Sanji in seinem Transporter nicht abzuhängen. Nach gut einer halben Stunde erreichten sie eine Straßensperre, an der sich Haruka ausweisen musste, woraufhin sich der Schlagbaum vor ihnen erhob, sodass sie zu mehreren Reihen kleiner Garagen gelangen konnten. Vor einer dieser Garagen stellte Haruka ihre rote Yamaha ab und schloss den kleinen Lagerraum auf. Nach einer weiteren halben Stunde hatten sie den Transporter entladen und Haruka konnte ihren Freund noch zu einem schnellen Abendbrot überreden. Nachdem sie die Rechnung übernommen hatte, verabschiedete sich Sanji von seiner besten Freundin mit einer Umarmung. Diese hatte schwer zu schlucken, um den Kloß wieder los zu werden, der ihr im Hals steckte. Sie beschloss nicht gleich in das enge und einsame Hotelzimmer zurückzufahren und machte noch einen ausgedehnten Abstecher zur Bucht von Tokio. Haruka genoss den eisigen Wind, der ihr vom Wasser her unbarmherzig ins Gesicht blies. Sie setzte ihren Helm ab und lehnte sich über das Geländer der Brücke, auf der sie stand. Ihren Blick in die Ferne gerichtet, erinnerte sie sich an die letzten Monate. Nicht für einen Augenblick hatte sie ihre Entscheidung, Nagoya zu verlassen und in Tokio ein neues Leben zu beginnen, in Frage gestellt. Egal, was sie hier erwarten würde. Alles wäre besser, als ihr bisheriges Leben. Dieses Mal wollte sich Haruka keine Vorschriften machen lassen, sich nicht von Medien zerreißen lassen. Ohne die Regeln und Erziehungsmaßahmen – wie er es nannte – ihres Onkels würde sie jetzt das Leben weiterführen, das ihre Eltern für sie vorgesehen hatten. Das Leben, das auch sie selbst führen wollte. Am nächsten Morgen, oder eher Mittag, wurde Haruka von einem nervenden Ton geweckt. Sie war in der letzten Nacht noch lange auf der Brücke geblieben. Erst als ihr Körper vollständig durchgefroren war, fuhr sie über einige Umwege zu ihrem Hotel zurück und wärmte sich anschließend unter einer heißen Dusche wieder auf. Nun war sie irgendwie übermüdet. Sie hatte nicht mehr auf die Uhr gesehen, aber ihrem jetzigen Befinden zufolge muss sie erst spät in der Nacht wieder in ihrem Zimmer angekommen sein. Mühsam setzte sie sich auf und bereitete dem Gepiepe ihres Handys ein Ende. Nach einem kurzen Aufenthalt im Bad suchte sie sich eine schlichte Jeans und ein weißes Hemd, sowie ein Jackett aus der Tasche, die ihr Sanji gestern Abend gebracht hatte, und striegelte sich für das Treffen mit ihrem neuen Direktor zurecht. Nach einer rasanten Fahrt durch die Straßen Tokios erreichte sie schließlich den Parkplatz der Mugen-Privatschule. Gerade, als Haruka ihren Helm abgesetzt hatte und sich überlegte, wo es wohl zum Büro des Direktors gehe, bog ein schwarzer Nissan in die Einfahrt des Geländes. Nachdem der Wagen neben dem Motorrad der Blondine geparkt hatte, stieg ein kräftig gebauter, freundlich blickender, älterer Mann mit schwarzem Haar, das bereits von einzelnen weißen Strähnen durchzogen wurde, aus und ging zielstrebig auf Haruka zu. „Guten Tag, Sie müssen Tenoh Haruka sein. Mein Name ist Ikuso Keiru, ich bin der Direktor der Mugen. Sagen Sie bloß, das ist Ihre Yamaha?!“, staunte der Mann und streckte ihr seine Hand entgegen, wobei er jedoch mehr das Motorrad, als den Besitzer begutachtete. Leicht überrascht nahm Haruka den Handschlag an und nickte: „Es freut mich, Sie kennen zu lernen. Und ja, allerdings, das ist meine Maschine.“ Ungläubig blickte der Direktor ihr nun in die Augen. „Aber ich dachte, Sie wären erst 17? Sie dürften doch noch gar nicht fahren, Tenoh-kun.“ Leicht schmunzelnd entspannten sich Harukas Gesichtszüge. „In der Tat, ich bin erst 17. Allerdings fahre ich seit meinem zwölften Lebensjahr Motorrad und mein Trainer in Nagoya hat da ein bisschen was gedreht, damit ich schon mit 16 meinen Führerschein machen konnte. Und bitte lassen Sie das ‚-kun‘ weg.“, lächelte die Blondine nun leicht verlegen, was den erfahrenen Lehrer kurz grübeln ließ. Abschätzend sah er der neuen Schülerin ins Gesicht und wurde nun seinerseits etwas rot. „Oh, das tut mir leid! Wie konnte ich das übersehen?! Bitte verzeihen Sie mir, aber Ihr Motorrad hat mich wohl etwas zu sehr abgelenkt…“, entschuldigte er sich verlegen. „Halb so wild, das passiert vielen. Ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt. Normalerweise ist es mir auch relativ egal, wofür mich meine Mitmenschen halten, aber ich dachte mir, wenigstens meinen Direktor sollte ich darauf hinweisen.“ Grinsend kratzte sich Haruka am Hinterkopf, woraufhin sich auch die Miene ihres Gesprächspartners wieder erhellte. „Na da bin ich aber beruhigt. Jetzt, wo Sie es sagen, fallen mir natürlich auch wieder Ihre Bewerbungsunterlagen ein. Womit wir wohl beim Thema wären. Bitte begleiten Sie mich in mein Büro. Und auf dem Weg dorthin können Sie mir ja mal etwas über diese fantastische Maschine erzählen, die Sie dabei haben.“ Mit diesem Einstieg hatte sie zwar nicht gerechnet, dennoch war Haruka sehr glücklich, dass sie von ihrem neuen Direktor offenbar nicht nur so akzeptiert wurde, wie sie war, sondern dass dieser auch noch Interesse an ihrer größten Leidenschaft hatte. Das Gerede über ihr Hobby hatte sie so sehr abgelenkt, dass die Blondine fast vergessen hätte, weshalb sie überhaupt da war. Doch bald erreichten sie eine Tür mit der Aufschrift ‚Direktor Ikuso‘ und der ältere Mann bat seine neue Schülerin hinein. Sie setzten sich an den großen Schreibtisch, der nun eine gewisse Distanz zwischen ihnen schaffte und nach einem kurzen Blick in seine Unterlagen sah ihr Ikuso nun wieder ins Gesicht. „So, Tenoh-san. Das Anmeldeformular mit der Unterschrift Ihres Vormundes haben Sie uns ja bereits zu geschickt, wie ich sehe…“, bei diesen Worten schluckte Haruka >Bleib ruhig, Haruka. Woran sollte er jetzt noch merken, dass du die Unterschrift gefälscht hast?<, dachte sich die noch Minderjährige und nickte freundlich. „Ich hoffe, es ist alles vollständig. Eine Reise nach Nagoya bringt mir immerhin einen Aufwand von mehr als acht Stunden.“ „Keine Sorge, Tenoh-san, wie es aussieht, sind die Unterlagen soweit in Ordnung. Sie müssten nur noch dafür unterschreiben, dass Sie unsere Hausordnung zur Kenntnis genommen haben. Die haben Sie sich doch durchgelesen, oder?“ „Ja, natürlich!“, antwortete Haruka, zog den Bogen des Dokuments zu sich und unterschrieb. „Sehr schön. Dann erhalten Sie noch Ihren Stundenplan und Ihre Uniform und dann hätten wir auch schon alles erledigt.“, lächelte der ältere Mann freundlich. Etwas zögernd stand er vor einem Schrank, in dem wohl die Uniformen für neue Schüler, die innerhalb des Schuljahres aufgenommen wurden, lagerten. Die Blondine ging grinsend auf Ikuso zu und unterstütze ihn in seinen Gedanken. „Wenn Sie gestatten, würde ich die Uniform der Jungen bevorzugen. Ich fühle mich äußerst unwohl in…. naja, in Mädchenkleidern eben.“ Bei diesen Worten bildete sich eine ungewollte leichte Röte auf den Wangen der Schülerin, aber der erfahrene Lehrer lächelte nur wissend und reichte ihr die gewünschte Kleidung. „Wir machen mal eine kleine Ausnahme. Ist ja auch nur für drei Monate.“, zwinkerte er. Auf dem Weg zum Parkplatz schwärmte Ikuso von seiner Schule und plauderte, wie gut die neue Schülerin wohl hineinpassen würde. Erst bei dem Lob für den neuen Sportplatz schaltete sie sich wieder aktiv in das Gespräch mit ein. Neben dem Motorsport war Leichtathletik eine ihrer großen Leidenschaften. „Na wenn das so ist, wird Ihnen unsere neue Laufbahn gefallen! Sie wurde erst im letzten Sommer angelegt und entspricht Olympiavorgaben. Wenn Sie mich fragen, ist sie sogar noch besser als die üblichen Laufbahnen für Olympia. Es ist ein ganz neuer Belag, der beim Laufen leicht federt. Man könnte fast meinen, man würde jeden Moment abheben. Natürlich nur, wenn man genügend Tempo drauf hat…“, lächelte der Direktor. Ihm war der glückliche aber irgendwie sehnsüchtige Blick der Blondine aufgefallen. „Wenn Sie wollen, rede ich nächste Woche mal mit Fukami-sensei, Ihrem Lehrer in Leichtathletik. Meinetwegen kann er Ihnen einen Schlüssel für das Sportgelände geben. Wer sich so offensichtlich nach sportlicher Ertüchtigung sehnt, wird sicherlich sorgsam mit dem neuen Sportplatz umgehen.“ „Wirklich? Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll, Ikuso-sensei!?“ „Ach was, bemühen Sie sich einfach um gute Noten, machen Sie keinen Blödsinn und bringen Sie meine Lehrkräfte nicht auf die Palme. Dann sind wir Quitt.“, zwinkerte Ikuso der Sportlerin zu und reichte ihr die Hand zum Abschied. Glücklich lächelte Haruka zurück und wünschte ihrem Direktor noch ein schönes Wochenende. Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Dieser Einstieg versprach wirklich ein paar sehr angenehme Monate bis zum Schulabschluss. Als der schwarze Nissan aus der Einfahrt verschwunden war, sah Haruka auf die Uhr ihres Handys. Die Zeit war schneller vergangen, als sie gedacht hatte... Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Michiru wurde heute ausnahmsweise nicht von ihrem Wecker aus dem Schlaf gerissen. Stattdessen ging ihre Zimmertür schon zehn Minuten früher auf, als nötig gewesen wäre, und ein dunkelhaariges, kleines Mädchen schlich an das Bett ihrer großen Schwester. „Michiru-chan? Chiru-chan? Bist du wach?“, flüsterte die kleine Hotaru zunächst, erreichte zum Ende hin jedoch schon fast ihre normale Zimmerlautstärke. Verschlafen drehte sich Michiru auf die andere Seite und zog sich die Decke übers Gesicht. „Michiru-chan, ich weiß, dass du wach bist! Du brauchst jetzt sowieso nicht mehr schlafen!“ diskutierte die Kleine energisch und schlüpfte zu der Türkishaarigen unter die Decke. Nun konnte Michiru sie wohl wirklich nicht mehr ignorieren. Langsam drehte sie sich um und zog ihre kleine Schwester in ihre Arme. „Alles Gute zum neunten Geburtstag, mein kleiner Quälgeist!“, flötete sie der Dunkelhaarigen entgegen, „Warum bist du denn schon auf? Konntest du nicht mehr schlafen?“ „Blöde Frage,“, antwortete die Kleine, „natürlich nicht! Man hat ja schließlich nicht jeden Tag Geburtstag. Und ich wusste, dass du mich heute bestimmt nicht wieder aus deinem Bett schubst, wenn ich dich wecke.“ Michiru lächelte und öffnete langsam die Augen. „Da hast du aber Glück gehabt. Weißt du, wer dir bestimmt auch so schnell wie möglich gratulieren will? Ich wette, deine Mama wird sich noch viel mehr freuen, von ihrem Geburtstagskind geweckt zu werden.“ Hotaru sah abschätzend in das Gesicht ihrer großen Schwester, grinste frech, gab ihr einen kurzen Kuss auf die Wange und kroch dann aus dem Bett, um nun auch ihre Eltern vorzeitig wecken zu gehen. Zufrieden schmunzelte Michiru, drehte sich wieder um und versuchte, für die nächsten acht Minuten noch einmal Schlaf zu finden. Nach dem gemeinsamen Geburtstagsfrühstück mit ihren Eltern machten sich Michiru und Hotaru auf den Weg zu Schule. Kaum hatten sie das Hochhaus, in dem ihre Wohnung lag, verlassen, kamen auch schon zwei Klassenkameradinnen von Hotaru auf sie zu gestürmt, überrumpelten das Geburtstagskind und dirigierten sie zügig weiter in Richtung der Bushaltestelle. Kurz blickte die Dunkelhaarige noch einmal zurück zu ihrer Schwester, erhielt aber ein Lächeln und ein aufmunterndes Nicken und ließ sich nun widerstandlos weiter ziehen. Michiru ging den Kindern langsam nach und war erleichtert, dass ihr kleiner Schützling nun, nachdem sie noch vor ein paar Monaten immer so zurückhaltend gewesen war, endlich Anschluss gefunden hatte. In der Schule angekommen wurde Michiru schnell von Narumi ausfindig gemacht. Ihre hochnäsige und geschwätzige Freundin mit den hellbraunen Haaren hakte sich sofort bei ihrer Mitschülerin ein und zog sie munter in Richtung der Klassenräume, wobei sie es sich nicht entgehen ließ, über den neusten Tratsch, von dem sie in den Ferien erfahren hatte, zu plappern. Auch als sie sich gesetzt hatten, fand Narumi kein Ende. Nicht einmal, als ihr Klassenlehrer, bei dem sie jetzt Japanisch haben würden, Herr Hisakawa eintrat, kam sie zur Ruhe. Nachdem alle Schüler an ihren Plätzen standen und die Lehrkraft die erste Unterrichtsstunde nach den Ferien einläuten wollte, ging noch einmal die Tür auf. Haruka hatte sich wohl etwas in der Zeit vertan und auf ihren ausgedehnten Umwegen durch die Stadt nicht bedacht, dass sie ja noch ihren Unterrichtsraum finden müsse. Verlegen trat sie ein und reichte dem Lehrer einen Zettel, den sie am Freitag noch von Direktor Ikuso erhalten hatte. Herr Hisakawa schaute sie erst skeptisch an, überflog dann das ihm vorgehaltene Pergament und richtete sich nun wieder an seine Klasse. „Guten Morgen.“, begrüßte er zunächst seine Schüler, wartete auf ein einstimmiges Echo und nickte ihnen dann zu, sich zu setzen. „Wie ich soeben erfahren habe, wird es nun noch bis zum Schuljahresende einen neuen Schüler in Ihrer Klasse geben. Tenoh-kun, wenn Sie sich bitte kurz vorstellen würden.“, richtete sich Hisakawa nun an den Neuling. Bereits als Haruka die Klasse betreten hatte, begann Narumi erneut, ihrer Freundin etwas herüber zu flüstern. „Wow, jetzt guck dir den mal an! Na der sieht doch mal gut aus. Der dürfte meine Konkurrentinnen um Hiro ja wohl ablenken. Obwohl, wenn der auch noch was vom Finanzwesen versteht, sollte ich mich lieber an den ran schmeißen und Hiro den anderen überlassen. Was meinst du, Michiru-chan? Sag doch auch mal was!“, doch Michiru schloss nur kurz die Augen. Sie atmete einmal tief durch, um ihre Nerven zu beruhigen. Fast hatte sie in den Ferien vergessen, wie gesprächig und eitel ihre sogenannte beste Freundin war. Als sie die Lider nun wieder hob, sah sie zu dem Neuen. Er sah wirklich sehr gut aus, da musste sie Narumi recht geben. >Aber Moment mal…. Er?!< Michiru legte den Kopf schief und sah nun genauer in das Gesicht des Unbekannten. Diese Gesichtszüge, die Wangenknochen und die Lippen waren viel zu fein… Auch die Statur und die Körperhaltung waren für einen so gut aussehenden Mann irgendwie zu elegant. Irgendetwas stimmte mit diesem Jungen nicht. Und was war das? Die Reaktion des Blonden auf die Aufforderung seines Lehrers, sich vor zustellen, war ungewöhnlich. Als wollte er nur für Millisekunden Widerspruch einlegen. >Was sollte das?< Haruka hatte tatsächlich kurz überlegt, ob sie Hisakawa nicht verbessern sollte, der machte allerdings einen sehr strengen Eindruck und sie wollte nicht, dass er sich schon in der ersten Stunde von ihr vor den Kopf gestoßen fühlte. „Ich bin Tenoh Haruka, komme aus Nagoya, bin siebzehn Jahre alt und freue mich darüber, mit euch die letzten Monate bis zu meinem Schulabschluss verbringen zu dürfen.“, stellte sich die Sportlerin kurz vor, verbeugte sich knapp aber elegant und ließ den Blick durch die Klasse schweifen. Dabei fiel ihr sofort die unglaubliche Schönheit in der dritten Reihe ins Auge, die ihr nachdenklich direkt ins Gesicht sah. Fasziniert von den türkisblauen Augen der Hübschen vergaß sie einen kurzen Moment lang, wo sie war. Michiru musterte immer noch das Gesicht des Blonden und traf plötzlich genau dessen Blick. Wie hypnotisiert sah sie in die strahlendgrünen Augen und traute sich nicht, zu blinzeln, weil sie Angst hatte, diese wunderschönen Augen sonst zu verlieren. Ein lautes, genervtes Stöhnen holte die beiden wieder ins Hier und Jetzt zurück. Da Narumi die ganze Zeit über zu Michiru herüber gequasselt hatte, hatte Hisakawa beschlossen, sie in die erste Reihe zu setzen. Leicht abwesend sah Michiru ihr nach, während der Störenfried seine Unterlagen nach vorne trug. „Tenoh-kun, jetzt, da neben unserer besten Schülerin ein Platz frei geworden ist, setzen Sie sich doch bitte zu ihr. Dann haben Sie auch gleich den perfekten Ansprechpartner, sollten Fragen aufkommen.“ Haruka schluckte kurz. Ob es so eine gute Idee war, sich direkt neben diese wunderschöne Ablenkung zu setzen…? Auch Michiru wurde bei dem Gedanken irgendwie warm in der Brust, wodurch sie auch eine leichte Rosafärbung ihrer Wangen nicht unterdrücken konnte. Haruka nickte und bewegte sich langsam auf die Türkishaarige zu. Vorsichtig setzte sie ihre Tasche auf dem Tisch ab und sah ihr erneut in die Augen. Gedankenverloren streckte sie ihr die Hand entgegen und sprach kaum hörbar: „Wenn du nichts dagegen hast? Tenoh Haruka.“ Ohne den Blick von dem strahlenden Grün abzuwenden nahm Michiru den Handschlag an und flüsterte fast: „Kaioh Michiru.“ Bei der kurzen Berührung beschleunigten sich beide Herzen und jede hatte das Gefühl, es würde sich ein Kribbeln von den Fingerspitzen aus, über den Arm, bis hin zum Herzen ausbreiten. Dieser Moment hätte für beide eine Ewigkeit andauern können, doch Hisakawa räusperte sich unüberhörbar und forderte die Blondine dazu auf, sich zu setzen. In der gesamten Doppelstunde konnte sich weder die eine noch die andere wirklich auf den Unterricht konzentrieren. Und jedes Mal, wenn es Haruka doch mal schaffte, dem Lehrer für ein paar Minuten zu zuhören, fiel ihr wieder ein kleines Defizit auf. Japanisch war einfach nicht ihre Stärke. Daraufhin fiel ihr ein, was ihr der Klassenlehrer vorgeschlagen hatte und schon war es mit ihrer Konzentration wieder vorbei und ihr Blick huschte erneut zu der Schönheit herüber. Auch Michiru erging es nicht wirklich anders. Zum ersten Mal während ihrer gesamten Schulzeit über konnte sie dem Lehrer irgendwie nicht richtig folgen. Selbst wenn sie nicht zu ihrem neuen Mitschüler sah und selbst, wenn ihr mal ein Blick entgangen war, der auf sie gerichtet wurde, musste sie über den Menschen am Nachbartisch nachdenken. So anmutig und elegant… Und dann dieses wunderschöne Gesicht mit diesen atemberaubenden Augen. >Und diese angenehme, sanfte Stimme erst!< Das alles passte irgendwie nicht in das Bild eines siebzehnjährigen Jungen. War er vielleicht doch ein Mädchen? Das würde auch diese merkwürdige Reaktion von vorhin erklären. Aber warum hatte sie Hisakawa dann nicht korrigiert? Und überhaupt, was sollte die Schuluniform der Jungen? War das alles Absicht? Wollte sie ihr Umfeld verwirren oder sogar täuschen? Oder bildete sich Michiru das alles nur ein und der Blonde neben ihr war einfach etwas femininer als die anderen Jungs in seinem Alter? Und attraktiver…. Kurz schüttelte die türkishaarige Schülerin ihren Kopf. Je mehr sie darüber nachdachte, desto unsicherer wurde sie sich. Vielleicht könnte sie ja in der Pause etwas mehr über ihn (oder sie) erfahren. Nach dem Klingeln am Ende der Doppelstunde packte Haruka ihre Japanischunterlagen zusammen und Michiru stand auf, um zu ihr zu gehen. Doch noch ehe sie richtig aufrecht stand, war auch schon Narumi neben ihr aufgetaucht und machte kein Geheimnis um ihre Gedanken. Sie zog ihre Freundin mit sich und machte sich auf den Weg zum Neuling. „Hallo, Tenoh-kun! Ich bin Narumi. Ich muss ja sagen, dass du die anderen Jungs in der Klasse ganz schön in den Schatten stellst. Erzähl mal, wieso kommst du so kurz vor dem Schuljahresende noch an eine neue Schule? Bist du von deiner alten runter geflogen, weil du Blödsinn gemacht hast? Oder sind deine Eltern jetzt erst nach Tokio gezogen? Vielleicht aus geschäftlichen Gründen?“, zwinkerte die Brünette und beugte sich Haruka leicht entgegen. Diese war von der ganzen Fragerei überfordert und lehnte sich weiter zurück in ihren Stuhl. „Narumi-san, kannst du dich nicht ein Mal zusammen reißen?!“, mischte sich Michiru ein, zog unsanft ihren Arm, der von Narumi umklammert wurde, wieder zurück und funkelte ihre Freundin genervt an. Haruka war von dem energischen Vorgehen der Schönheit kurz überrascht und noch bevor sie auf die beiden Schülerinnen richtig reagieren konnte, trat ein kräftig aber athletisch gebauter, schwarzhaariger Junge neben die Geschwätzige. Geradezu verfolgt wurde er von einer Blondine und drei weiteren Jungen. „Tenoh-kun, du versuchst dich doch wohl nicht etwa an Narumi und Michiru ran zu machen, oder? Ich wollte dich nur darüber informieren, dass ich hier das Sagen habe, verstanden?“ , grinste Hiro schief. Haruka wurde die ganze Situation nun doch etwas zu überfordernd. Sie stand auf, schwang sich ihren Rucksack über die Schulter und nahm sich ihren Helm. Ruhig trat sie an den Schwarzhaarigen heran und war nun mit ihm auf Augenhöhe. „Keine Sorge, du Zuchthängst. Ich habe keinerlei Interesse an deinen Stuten.“, lächelte sie ihm gelangweilt ins Gesicht und bahnte sich einen Weg durch die kleine Menschenmenge, die sich zuvor gebildet hatte. Michiru hob überrascht die Augenbrauen. >Stuten?!< Hatte der Neuling etwa auch sie damit gemeint? Empörung wollte in ihr aufsteigen, doch dann erhaschte sie einen Blick auf Hiros entrüsteten Gesichtsausdruck. Michiru konnte sich ein leises Kichern nicht verkneifen. Die anderen hingegen sahen dem Blonden verdutzt nach. So ruhig blieben die wenigsten, die von Hiro belehrt worden. Die Gruppe verließ daraufhin etwas zögerlich ebenfalls den Klassenraum und machte sich auf den Weg in die Cafeteria. Haruka hatte, nachdem sie außer Sichtweite war, ihre Schritte beschleunigt. Zwar hatte sie keinerlei Angst vor Hiro, im Gegenteil. Sie hatte ihn sofort durchschaut und erkannt, dass sie spielend mit ihm fertig werden würde, aber sie wollte nicht schon am ersten Tag in Ärger verwickelt werden. Vor allem nicht, nachdem sie sich mit dem Direktor so gut verstanden hatte. Etwas planlos ging sie über das Schulgelände und fand schließlich ein etwas ruhigeres Plätzchen unter einem Baum. Seufzend setzte sie sich auf die dortige kleine Bank, legte den Kopf in den Nacken und schloss kurz die Augen. >Na, das geht ja schon gut los. Erst diese elfengleiche Schönheit, die mich mehr als nur ein wenig ablenkt, und dann auch noch so ein arroganter Spinner, der meint, er müsse sich mit mir anlegen. Und was sollte überhaupt dieser Auftritt mit seinen Bodyguards? Der scheint´s ja echt nötig zu haben.< Mit hinter ihrem Kopf verschränkten Armen ließ sich Haruka gegen die Lehne fallen und versuchte den kalten Januarwind zu genießen. Doch noch bevor sie sich richtig entspannen konnte, hörte sie aufgeregtes Geplapper, öffnete die Augen und entdeckte eine Horde jüngerer Mädchen, die tuschelnd auf sie zu kam. >Bitte nicht!<, dachte sich die Sportlerin und erhob sich, bevor sie die Gruppe erreichte. Sie griff nach ihren Sachen und machte sich schnellen Schrittes wieder auf den Weg zum Klassenraum. Dort angekommen hatte sie immer noch gut zehn Minuten bis zur nächsten Unterrichtsstunde zu überbrücken. Also legte sie ihre Tasche und ihren Helm auf dem Fensterbrett ab, lehnte sich gegen einen Tisch und sah verträumt nach draußen. Nach einiger Zeit bemerkte sie ein leises, zierliches Hüsteln hinter sich. Als sie sich umdrehte, standen ihr ein brünettes und ein schwarzhaariges Mädchen gegenüber. Beide sahen sie mit freundlichen, braunen Augen an. „Entschuldige, bitte,“, sprach die Brünette ruhig, „aber du belegst da gerade meinen Tisch.“ Haruka blinzelte kurz überrascht, machte dann aber einen kleinen Schritt zurück und entschuldigte sich. „Kein Problem. Ich bin übrigens Kikyo, die Klassensprecherin. Und das hier ist Junko.“, stellte sich die Schülerin vor und reichte Haruka die Hand. „Es freut mich, euch kennen zu lernen, Kikyo-san und Junko-san.“, nahm die Blondine freundlich den Handschlag an. „Du hast dich vorhin von Kawashima-kun wohl nicht einschüchtern lassen, was?“, lächelte die Klassensprecherin. „Endlich haben wir mal jemanden in der Klasse, der sich nicht von ihm herum schubsen lässt.“ „Ich muss zugeben, dass ich nicht sonderlich viel von ihm halte.“, grinste die Sportlerin ihre Klassenkameradinnen an. „Ja, sein großes Mundwerk ist tatsächlich etwas stärker ausgeprägt als sein Verstand.“, lachte Junko, „Aber du solltest ihn vielleicht trotzdem nicht unnötig provozieren. Er geht keiner Schlägerei aus dem Weg und seinen kräftigen Anhang zieht er natürlich auch immer hinter sich her. Allerdings glaube ich, dass du mit ihm allein spielend fertig werden könntest.“ Haruka wurde leicht verlegen und kratzte sich am Hinterkopf. „Ach was! Wenn es nach mir ginge, muss ich das gar nicht herausfinden. Ich will ja nicht meinen guten Ruf bei Ikuso aufs Spiel setzen.“ „Ja, in der Tat, mit diesem Direktor haben wir wirklich das große Los gezogen. Er setzt sich immer für seine Schüler ein und zieht nie voreilige Schlüsse.“, lächelte Kikyo. Während die drei in Ruhe ihr Gespräch führten, füllte sich nach und nach der Raum. Auch Hiro kam mit seinem Anhang wieder in das Klassenzimmer. Aber erst, als Michiru eintraf, sah Haruka von ihren Gesprächspartnerinnen auf. Diese folgten ihrem Blick und lächelten, als sie ihre Mitschülerin erkannten und Kikyo wandte sich wieder an die Blondine. „Ja, Michiru-san ist schon eine Schönheit. Lass dich nicht von ihrer harten Schale ablenken. Ich bin überzeugt, sie ist ein wunderbarer, warmherziger Mensch, der sich durch diese Prolls in ihrer Umgebung nur zu schützen versucht, Haruka-san.“ Bei dem Anblick hätte Haruka ihren Namen fast überhört. Erst langsam wurde ihr bewusst, wie sie gerade auffallend leise angesprochen wurde. Verwirrt und überrascht sah sie zu den beiden Mädchen. Diese grinsten sie breit an und Kikyo zwinkerte der Sportlerin zu. „Keine Sorge. Wir sagen es auch nicht weiter. Aber wir möchten dabei sein, wenn Kawashima-kun erfährt, dass seine größte Konkurrenz in der Klasse kein Junge ist.“, kicherte die Klassensprecherin leise und machte sich daran, ihre Geographieunterlagen auszupacken. Verdutzt schnappte sich Haruka wieder ihre Tasche - ihren Helm konnte sie wohl im Fensterbrett, in der Obhut ihrer neuen Freundin, zurücklassen- und wollte sich auf den Weg zu ihrem Platz neben Michiru machen. Etwas enttäuscht stellte sie fest, dass dieser schon von Narumi besetzt wurde. Nachdem sie einmal tief ein- und wieder ausgeatmet hatte, schlug sie die Richtung der ersten Reihe ein. In diesem Moment betrat Herr Fukami den Raum und suchte sofort nach dem Störenfried der Klasse. „Hara-san, Hisakawa-sensei hat mich und auch alle anderen Kollegen darüber informiert, dass er es für besser halte, die Noten unserer besten Schülerin vor Ihnen und Ihren so wichtigen Informationsgesprächen zu schützen. Nehmen Sie bitte Ihre Sachen und kommen in die erste Reihe. Und diesen Platz sollten Sie sich auch einprägen.“, sprach der Lehrer bestimmt und unter erneut genervtem Stöhnen wanderte Narumi nach vorne zu ihrem neuen Platz. Haruka konnte ein leises Lächeln nicht verbergen und machte kehrt, um sich wieder zu ihrer engelsgleichen Schönheit zu setzen, wobei ihr nicht entging, dass Kikyo ihr von der Fensterreihe aus zu zwinkerte. In der kommenden Doppelstunde schafften es sowohl Haruka als auch Michiru, sich wieder halbwegs zu konzentrieren und Michiru konnte sogar wieder zum Unterrichtsgeschehen beitragen. Herr Fukami lächelte zufrieden darüber, dass die Umsetzung von Narumi offenbar Früchte trage, und entdeckte mehr zufällig den neuen Schüler neben der Klassenbesten. Währenddessen die jungen Erwachsenen selbstständig etwas aus dem Lehrbuch herausarbeiten sollten, machte sich der Lehrer auf den Weg zu dem neugebildeten Paar. Da Haruka in einigen Fächern wohl nicht die richtigen Bücher hatte, bat ihr Michiru an, mit ihr gemeinsam die gesuchten Daten heraus zu lesen. Herr Hisakawa hatte ja immerhin auch gesagt, Haruka solle sie ruhig um Hilfe bitten, wenn sie Fragen hätte. Mit Herzklopfen rutschte die Blondine ein Stück weiter an die Schönheit heran. Auch deren Herz schlug kräftiger und ein Lächeln bildete sich auf den Lippen der jüngeren Schülerin. Als die Sportlerin endlich weit genug heran gerutscht war, um ebenfalls im Buch lesen zu können, trat auf beide Gesichter eine leichte Röte. Schüchtern sahen sie sich für einen kurzen Moment in die Augen und bemerkten gar nicht, wie ihr Lehrer plötzlich vor ihnen stand. „Sie müssen unser neuer Schüler sein, richtig?“, sprach Fukami zwar ruhig und leise, um die anderen Schüler nicht zu stören, trotzdem schraken die beiden Schülerinnen ein wenig zusammen. „In der Tat, ich bin Tenoh Haruka.“, stellte sich die Blondine vor, stand auf und reichte ihrem Lehrer die Hand. Dieser nahm den Handschlag an und lächelte freundlich zurück. „Ikuso-sensei hat mir erzählt, die Leichtathletik wäre eine Ihrer Leidenschaften?!“ „Ja, ich laufe für mein Leben gern.“, antwortete die Sportlerin selbstbewusst. „Na gut, am Donnerstag haben wir unsere erste gemeinsame Stunde. Ich werde gerne überprüfen, wie weit ihre Leidenschaft reicht.“, zwinkerte Fukami und begab sich dann wieder an seinen Platz. Mit einem breiten Grinsen setzte sich Haruka und sah zufrieden zu ihrer Sitznachbarin. Dieser wurde ganz warm ums Herz, als sie in das glückliche Gesicht ihres Gegenübers sah, sodass auch ihr Lächeln noch breiter wurde. Nachdem Fukami die Doppelstunde beendet hatte, packten die Schüler ihre Sachen zusammen und holten die Geschichtsbücher raus. Fast enttäuscht musste Haruka feststellen, dass sie anscheinend das richtige Buch dabei hatte und sich so wohl keine weitere Gelegenheit ergeben würde, der türkishaarigen Schönheit näher zu kommen. Diese schien den Blick der Blondine verstanden zu haben. Es bildete sich ein rosafarbener Schimmer auf ihren Wangen, trotzdem sah sie zu der Blondine herüber und grinste verschmitzt: „Keine Sorge, in Chemie bekommen wir Bücher, die Schuleigentum sind. Und da wir nicht genug haben, müssen wir uns da immer zu zweit eins teilen. Du könntest mich ja fragen, ob ich mit dir zusammen arbeiten würde. Vielleicht sage ich auch ‚ja‘.“ Nun war es Haruka, die ihre Röte im Gesicht nicht mehr verbergen konnte. Bevor sie dazu kam, etwas zu sagen, betrat Herr Hisakawa den Raum und eröffnete seine Geschichtsstunde. In der Mittagspause eilte Narumi zügig zu ihrer besten Freundin und zog sie aus dem Raum. Hiro folgte den beiden. Natürlich hatte er wieder seine Bodyguards und das blonde Mädchen im Schlepptau. Enttäusch sah die Blondine der Gruppe nach. Sie schrak leicht zusammen, als sie die Hand von Kikyo auf ihrer Schulter spürte. „Keine Sorge, das wird schon noch.“, versuchte die Klassensprecherin ihre neue Freundin aufzumuntern. Gemeinsam mit Junko machten auch sie sich auf den Weg in die Cafeteria. Lange konnte sich Haruka nicht zurück halten. Dann fragte sie die beiden über Michiru aus. Sie erfuhr, dass sie Psychologie anstelle von Astronomie und Kunst statt Physik hatte. Außerdem hatte sie nicht Leichtathletik sondern Schwimmen. Und in der ersten Stunde am morgigen Tag hätte sie wohl nicht Ethik, wie Haruka, sondern Gesellschaftskunde. Die übrigen Fächer hatten sie gleich belegt. Sie erfuhr auch, dass Michiru eine begnadete Violinistin sei und beim Gerede über die Kunst ihrer Mitschülerin kamen die beiden Mädchen gegenüber der Sportlerin regelrecht ins Schwärmen. Über ihre Familie konnten die beiden nicht viel sagen. Sie wussten, dass sie noch eine jüngere Schwester hatte und Junko meinte, sie hätte mal etwas von einem Bruder gehört, aber das war´s dann auch schon. „Naja, Michiru gibt nicht viel über sich Preis. Aber ich bin mir sicher, wenn sie erst den richtigen Menschen kennen gelernt hat, wird sie auftauen.“, mutmaßte Kikyo. Nach der Politikstunde bei Frau Araki beeilte sich die Blondine und trat schnell neben die jüngere Schülerin. „Michiru, ich würde dein Angebot gerne annehmen. Also… Ich dachte, du hattest in Chemie sicher immer neben Narumi gesessen. Und da das ja ab heute anscheinend von den Lehrern unterbunden wird, würde ich mich freuen, wenn ich ihren Platz einnehmen dürfte.“, erklärte die Sportlerin selbstbewusst. Der überraschte Gesichtsausdruck der Künstlerin wandelte sich. Lächelnd nickte sie. „Na dann komm. Ich nehme an, du weißt noch gar nicht, wo der Chemieraum ist?!“ Mit einem breiten Grinsen warf sich Haruka ihren Rucksack über die Schulter und bekam im Gehen noch ihren Helm von Junko überreicht. Den hätte sie vor Vorfreude tatsächlich fast vergessen. Leider befassten sie sich in Chemie fast ausschließlich mit der Wiederholung des Stoffs, der vor den Ferien durchgenommen wurden war. Deshalb blieben die Bücher heute im Schrank. Aber Haruka freute sich trotzdem, neben ihrer Schönheit sitzen zu dürfen. Anders als in den anderen Räumen, in denen Einzeltische standen, teilten sich im Chemieraum je zwei Schüler eine Sitzbank, weshalb sie der Violinistin hier näher war, als zuvor in Politik. Natürlich wurde Michiru nach dem Unterricht wieder viel zu schnell von Narumi, gefolgt von den anderen, davon gezogen und so konnte sich Haruka nicht einmal richtig verabschieden. Stattdessen verließ sie mit Junko und Kikyo den Raum und machte sich nach einigen Gesprächsthemen wieder auf den Weg in ihr Hotel. In ihrem Zimmer stellte sie fest, dass sie noch viel zu energiegeladen war. Ein Blick aus dem Fenster versprach ihr jedoch nichts Gutes. Nachdem sie ihr Schuljackett ausgezogen und über ihren Stuhl gehängt hatte, hatte ein Eisregen eingesetzt. Bei diesem Wetter konnte sie weder joggen gehen, noch mit dem Motorrad irgendwohin fahren, also zog sie sich um, holte ihren iPod aus ihrer Reisetasche, die sie immer noch nicht ausgepackt hatte, und machte sich auf den Weg, das Hotel nach einem Fitnessraum abzusuchen. Beim Laufen auf einem Laufband würde ihr zwar kein Wind durchs Haar wehen, aber immerhin konnte sie sich auspowern und nebenbei auch noch ihren Gedanken freien Lauf lassen. Michiru wurde zu Hause gleich stürmisch von ihrer kleinen Schwester begrüßt, die, wie jeden Tag, schon lange vor ihr Schluss gehabt hatte. Sie wurde direkt ins Wohnzimmer gezogen, wo sich längst der Rest der Familie versammelt hatte. Zu ihrer Linken hatte Hotaru extra einen Platz für ihr großes Vorbild frei gehalten. Zu ihrer Rechten saß bereits ihre Mutter und daneben ihr Vater. Lächelnd nahm Michiru Platz und setzte sich somit rechts neben ihren großen Bruder, den sie noch kurz mit einer warmen Umarmung begrüßte. „Hotaru-chan, sag bloß, du hast noch nicht mal die Kerzen ausgeblasen?“, fragte Michiru, woraufhin ihre Schwester energisch den Kopf schüttelte. „Natürlich nicht! Ich wollte lieber warten, bis alle da sind.“ Kapitel 3: Kapitel 3 -------------------- An ihrem zweiten Schultag war Haruka nicht so früh auf den Beinen. Sie hatte am Vorabend noch lange trainiert und hatte sich anschließend in der Hotelbar niedergelassen. Sie bekam die schöne Violinistin einfach nicht aus dem Kopf. Diese unglaubliche Anziehung hatte sie noch nie gespürt. In Nagoya war sie ein regelrechter Frauenschwarm. Und irgendwann konnte sie nicht mehr widerstehen. Sie hatte oft mit hübschen Mädchen geflirtet, die, als Haruka älter wurde, immer mehr von ihr wollten. Sie war wie ein Magnet; zunächst ungewollt… Aber später machte es ihr sichtlich Spaß. Bis sie durch ihre Kariere immer häufiger mit den Medien zutun hatte und sie wegen ihrer Affären als Frauenheldin und Draufgängerin abgestempelt wurde. Ihr Onkel war über diesen Ruf alles andere als erfreut. Daher kam es immer häufiger zu Auseinandersetzungen. Auch ihr Team wandte sich mehr und mehr gegen sie. Dabei wollte sie das alles nicht mal. Sie war noch zu jung, um den Umfang ihrer Spielchen zu verstehen und als sie älter und vernünftiger wurde, schaffte sie es nicht, diesen Ruf wieder abzulegen und die Frauen warfen sich ihr nur noch mehr an den Hals. In Tokio sollte nun alles anders werden. Ein Glas Rotwein nach dem anderen sollte sie die Erinnerungen vergessen lassen. Doch je nebliger ihre Gedanken wurden, desto deutlicher sah sie das Bild einer jungen Künstlerin vor Augen. Irgendetwas war anders. Auch wenn sie sich mit diesen Idioten abgab und so hart mit Narumi umsprang, hatten ihre Augen etwas Magisches. Sie waren unglaublich tief und warm. Auch wie sie sich Haruka gegenüber verhielt… So schüchtern und doch irgendwie herausfordernd… Nun konnte die Blondine das schrille Piepen ihres Handyweckers kaum noch ertragen. Sie drückte sich ein Kissen ins Gesicht und tastete mit ihrer freien Hand nach der Quelle des Nerv tötenden Signals. Das letzte Glas Wein hätte sie sich lieber sparen sollen. Sie schleppte sich ins Bad, machte sich fertig für die Schule und verließ, ihren Rucksack mit dem daran befestigten Helm geschultert, ihr Hotelzimmer. Michiru hatte an diesem Tag weniger Probleme, aus dem Bett zu kommen. Da ihre kleine Schwester erst ihren neunten Geburtstag hatte, musste diese trotz Ehrentags frühzeitig schlafen gehen. Und nachdem die Violinistin noch eine Zeit lang mit ihrem Bruder und ihren Eltern erzählt hatte, war auch sie in ihrem Schlafzimmer verschwunden. Allerdings konnte sie nicht wirklich schnell einschlafen. Ihre Gedanken drehten sich um ihren Mitschüler. Was war das für ein Junge? Oder Mädchen? Und was war so faszinierend an ihm? War es nur sein androgynes Auftreten? Das konnte sich Michiru nicht vorstellen. Sie war in keinster Weise oberflächlich, auch wenn das einige ihrer Klassenkameraden von ihr dachten. Sie machte sich nichts daraus, wie sich ein Mensch gab. Ihr kam es nur auf den Charakter und die Einstellung an. Aussehen, Vorurteile und Gerüchte fielen für sie nie ins Gewicht. Darum war es ihr auch eigentlich nicht recht, wie Narumi, Hiro und die anderen mit ihren Mitschülern umsprangen. Umso mehr hatte sie sich über die Schlagfertigkeit Harukas gefreut. Egal, wer dieser Mensch ist, er ist anders. Und Michiru nahm sich fest vor, mehr über den Unbekannten mit den fesselnden, tiefen und irgendwie vertrauten grünen Augen herauszufinden. Kurz vor dem Klingeln erreichte Haruka das Klassenzimmer. Fast automatisch sah sie sich um. Natürlich war von Michiru keine Spur. Obwohl Kikyo und Junko ihr erzählt hatten, dass die Geigerin, ebenso wie die neuen Freundinnen der Sportlerin, nicht am Ethikunterricht teilnehmen würde, war die Blondine enttäuscht. Sie setzte sich in die zweite Reihe und bemerkte weiter hinten im Raum Hiro, der sie nachdenklich anfunkelte. >Ach nein. Na hoffentlich hat er sich nicht wieder eine tolle Rede für mich einfallen lassen.< Aber der Draufgänger beließ es bei herablassenden Blicken und widmete sich lieber dem blonden Mädchen, welches gestern schon nicht von seiner Seite gewichen war. Nach dem Ethikunterricht schmiss Haruka ihre Unterlagen nur so in die Tasche. Wie durch Magie wurde sie zum Biounterricht gezogen. Der fand nicht nur beim selben Lehrer, Herrn Katsuki, wie Chemie statt, sondern auch noch im selben Raum. Gerade nach dem kleinen Rausch am Vorabend sehnte sich die Blondine nach der jungen Künstlerin, und so war sie eiligen Schritts bald an ihrem Platz. Nur kurze Zeit später traf auch Michiru ein. Ihr Blick wanderte direkt zu der Sportlerin und irgendwie war sie darüber erleichtert, dass der Platz neben ihr noch frei war. Mit einem warmen „Guten Morgen!“ setzte sie sich und holte ihre Unterlagen aus der Tasche. „Guten Morgen,“, antwortete Haruka, „gut geschlafen?“ „Danke, ich kann mich nicht beschweren. Und selbst? Du siehst müde aus.“, stellte die Violinistin bei einem kurzen Blick in das Gesicht ihres Gegenübers fest. „Bin ich auch. Ich war wohl zu lange wach und habe… trainiert.“, zwinkerte die Blondine. „Trainiert?“, entgegnete die Musikerin, erhielt jedoch keine weitere Auskunft mehr, da Herr Katsuki seinen Unterricht begann. Nach dem Läuten der Schulglocke packten die Schüler zusammen und Michiru wandte sich wieder ihrer Sitznachbarin zu. „Hast du schon Pläne für die Pause?“, fragte sie grade heraus. Harukas Lächeln wurde breiter. „Naja, nicht wirklich. Wieso? Was hast du denn jetzt vor?“ „Sie geht mit uns in die Cafeteria. Aber du kannst gerne mitkommen, Tenoh-kun. Bei der Gelegenheit könntest du mir endlich erzählen, was dich hierher verschlagen hat.“, ertönte plötzlich Narumis Stimme, was das Grinsen im Gesicht der Blondine etwas verblassen ließ. „Nein, kann er nicht. Wieso sollte er?“, mischte sich nun auch Hiro ein. Michiru wurde bei seiner Stimmlage ganz anders. Sie würde die Pause lieber mit dem Neuen verbringen und mehr über ihn heraus finden. Aber mit Narumi im Schlepptau wollte sie das auch nicht. Und dass Hiro Haruka schon wieder so herablassend behandelte, passte ihr ebenfalls nicht. Diese stand nur ruhig auf, sah dem Unruhestifter direkt in die Augen und sprach bestimmt: „Keine Sorge, ich sagte bereits, ich hätte keinerlei Interesse an deinem Anhang.“, dabei sah sie kurz zu Narumi und dem blonden Mädchen, das wie immer an Hiros Rockzipfel hing, herüber. Dann sah sie wieder zu ihm. „Und deinen Thron will ich dir auch nicht streitig machen. Obwohl ich das sicherlich könnte, wenn ich wollte.“ Ein arrogantes Lächeln trat auf Harukas Gesicht und nachdem sie ihre Sachen genommen hatte, bewegte sie sich auf Kikyo und Junko zu, die wenige Meter weiter aufmerksam alles verfolgt hatten. Michiru sah ihr ungläubig nach und wurde dann wieder von Narumi umklammert. „Komm schon, wir gehen lieber, bevor das noch ausartet. Na los, Hiro! Oder willst du, dass sich diese Knirpse wieder unseren Tisch krallen?“ , fragte die Brünette den mittlerweile finster funkelnden Schwarzhaarigen. Langsam verließ die Gruppe den Raum und Kikyo klopfte Haruka auf die Schulter. „Alle Achtung. Ich bin überrascht, dass er gar nicht ausgerastet ist. Aber vermutlich war er von deiner Schlagfertigkeit geplättet.“ „Trotzdem würde ich aufpassen, Haruka-san. Wir sagten doch schon, dass er keiner Schlägerei aus dem Weg geht. Erst recht nicht, wenn er seine Jungs dabei hat.“, stellte Junko noch einmal klar. In der Cafeteria angekommen, musste Hiro feststellen, dass wie üblich alle Tische besetzt waren. Routiniert machten sich zwei von seinen Bodyguards daran, ein paar jüngere Schüler von ihren Plätzen zu vertreiben, was Michiru wie immer Unwohlsein bereitete. Sie verabscheute Gewalt. Und dieser respektlose Umgang mit Schwächeren versetzte ihr immer einen kleinen Stich ins Herz. Schließlich wollte sie auch nicht, dass Hotaru von irgendwem herum geschubst wurde, aber was konnte sie schon ausrichten? Nach der Pause stand eine Doppelstunde Mathematik auf dem Plan und die Violinistin setzte sich zu Haruka, die sie kurz zuvor wieder bei der Klassensprecherin hatte stehen sehen. „Du bist oft bei Junko-san und Kikyo-san.“, stellte die Türkishaarige fest. Verblüfft sah Haruka sie an. „Naja, sie sind mir eben sympathisch. Auf jeden Fall um einiges sympathischer als Kawashima. Und von Narumi-san habe ich bisher auch keinen unbedingt sehr positiven Eindruck erhalten. Versteh mich bitte nicht falsch, sie kann bestimmt ganz nett sein, aber irgendwie kommt sie mir eitel und eingebildet vor. Aber vielleicht irre ich mich ja.“ >Wenn du dich mit ihr abgibst, muss sie ja auch eine gute Seite haben<, dachte die Sportlerin lächelnd. „Vielleicht irrst du dich auch nicht.“, gab die Streicherin leise zurück. Dann sah sie plötzlich wieder auf. „Hältst du mich für eingebildet oder eitel?“ „Nein.“, antwortete die Blondine kurz. Dass sie den Eindruck hatte, Michiru wäre ein warmherziger aber verletzlicher Mensch, behielt sie lieber noch für sich. Gerade als die Künstlerin nachhaken wollte, betrat die Lehrerin den Raum und eröffnete ihren Unterricht. Mittlerweile fiel es auch Haruka wieder leichter, sich auf die Lehrkraft zu konzentrieren. Sie sah zwar immer noch häufig zu ihrer schönen Mitschülerin, aber die Gewissheit, sie bis zum Schuljahresende neben sich zu haben, beruhigte sie und ließ sie klarer denken. Michiru hingegen war wieder unkonzentrierter. Warum hatte Haruka nur so kurz geantwortet? Wollte er sie neugierig machen? Oder hatte er gelogen? Was dachte der Neue wirklich von ihr? Und wieso machte sich Michiru überhaupt solche Gedanken über ihn? Bisher hatte es sie nicht sonderlich interessiert, welche Meinungen sich ihre Mitschüler über sie gebildet hatten… Auf dem Weg zum Englischunterricht wurde Michiru abermals von Hiros Gruppe geradezu umzingelt, sodass Haruka kaum eine Chance hatte, sich ihr zu nähern. Auch nachdem die Mittagspause eingeläutet wurde, fand sich kaum eine Gelegenheit für ein Gespräch. Enttäuscht wanderte die Leichtathletin mit Junko und Kikyo in die Cafeteria. Eine Doppelstunde Astronomie stand noch an und da Michiru stattdessen Psychologie belegt hatte, konnte sich Haruka von der Schönheit nicht einmal verabschieden. Am nächsten Tag standen Mathe und Chemie als erstes auf dem Plan. Herr Katsuki wollte nun auch offenbar weiter in seinem Unterricht voran schreiten, wodurch Haruka die Gelegenheit bekam, Michiru etwas näher zu kommen. Diese hatte konzentriert schon mal nach der richtigen Seite im Lehrbuch gesucht und bemerkte erst gar nicht, wie nah die Blondine in der Zwischenzeit an sie heran gerutscht war. Als sie das Buch ablegte, erschrak sie kurz und blickte dann mit leicht geröteten Wangen in ihren Hefter. Der Sportlerin war nicht entgangen, wie schüchtern die Schönheit in ihrer Gegenwart wurde. „Wenn ich dir zu nahe gekommen bin, kannst du es mir ruhig sagen.“, flüsterte sie mit einem frechen Grinsen im Gesicht. „Du solltest dich lieber auf den Unterricht konzentrieren, als auf mich zu achten.“, entgegnete Michiru nun wieder selbstbewusster, wodurch Harukas Grinsen noch größer wurde. Ihr gefiel diese Schlagfertigkeit und dieses Selbstbewusstsein, obwohl die Geigerin ihre eigene Röte bemerkt haben musste. Sie nutzte die Gunst der Stunde und fragte die Künstlerin etwas zum Periodensystem der Elemente. Beim Erklären beugte sich Michiru weiter über das Buch und Haruka konnte einen unglaublichen Duft wahrnehmen, der in ihr eine eigentlich vergessene Erinnerung wach rief. Sie musste an den letzten Urlaub denken, den sie mit ihren Eltern und ihrer Schwester unternommen hatte. Damals hatten sie zusammen einen riesigen Japanischen Garten besucht, in dem es viele Blumenbeete, einen großen Springbrunnen und einige blühende Kirschbäume gegeben hatte. Das war es! Die junge Violinistin duftete nach kräftig blühenden Kirschblüten. Betört durch den Geruch und die Erinnerung hörte Haruka der Schönheit gar nicht mehr zu und sah sie nur verträumt von der Seite her an. Auch Michiru nahm den Geruch ihrer Sitznachbarin wahr. Ihr Duft erinnerte sie irgendwie an eine Mischung aus schweren Holzmöbeln und Rosen. Als hätte man einen frischen Rosenstrauß in einen Raum gestellt, in dem ein großer, alter Flügel steht. Augenblicklich fühlte sich die Streicherin wohl und irgendwie geborgen. Glücklicherweise hatte Haruka ihr nur eine Frage gestellt, deren Antwort sie im Grunde schon selber wusste. Die Schülerinnen waren so stark von der jeweils anderen abgelenkt, dass Michiru alles falsch erklärte und Haruka ihr sowieso nicht zuhören konnte. Und das schienen auch beide zu bemerken. Als sie ihre Ausführung beendet hatte, sah die Künstlerin schüchtern wieder auf und blickte in die Augen der Sportlerin. Für einen Moment schien die Zeit anzuhalten. Doch dann durchbrach die Schulglocke die Stille und holte die beiden Verträumten wieder in die Realität zurück. „Entschuldige bitte, aber Chemie ist nicht gerade mein bestes Fach.“, log Michiru, um zu überspielen, wie sehr sie von Haruka aus dem Konzept gebracht worden war. „Kein Problem.“, lächelte die Blondine. Noch bevor sie sich wieder richtig gefasst hatten, stand plötzlich Narumi neben ihrer Freundin. Um einer Diskussion wie der gestrigen aus dem Wege zu gehen, sagte sie lieber nichts und zog Michiru einfach aus dem Raum, dicht gefolgt von Hiro und seinem Anhang. „Mein Gott, ihr seid ja sowas von süß!“, ertönte Junkos Stimme kurz darauf. Haruka schrak unweigerlich zusammen. „Ja! Unglaublich. Na wenn Michiru-san mal nicht voll neben der Spur stand. Eigentlich liegt ihr Chemie genauso gut, wie jedes andere Fach auch. “, stellte Kikyo fest. Verblüfft guckend drehte sich Haruka zu den beiden um. In der Pause musste sie sich darüber aufklären lassen, wie offensichtlich Michiru und sie einander verfallen waren und, obwohl sie anfangs alles leise, schüchtern und fast schon verwirrt abstritt, musste sie sich eingestehen, dass die beiden Mädchen sie selbst auf jeden Fall durchschaut hatten. Kurz vor Beginn des Geschichtsunterrichts erreichte Michiru mit ihrer Gruppe den Klassenraum, in dem Haruka bereits an ihrem Platz saß. Sie vermied den Blickkontakt mit ihr, da sie in der Pause nicht so angenehme Gespräche geführt hatte. Es war Hiro nicht entgangen, wie die beiden miteinander umgingen. Deshalb hatte er auf die Violinistin eingeredet, sie solle sich nicht mit diesem arroganten Angeber abgeben, der wahrscheinlich sowieso nur ein großes Mundwerk hatte. Die Blondine sah vorsichtig zu der Schönheit herüber, die irgendwie eingeschüchtert wirkte. „Ist alles in Ordnung?“ , fragte sie besorgt. „Ja, natürlich. Alles bestens.“, antwortete die Künstlerin kühl, wobei sie starr auf ihren Tisch blickte. Zufrieden war Haruka mit dieser Antwort ganz und gar nicht. Da ihr Klassenlehrer aber gerade den Raum betreten hatte, konnte sie der Sache nicht weiter nachgehen. Währenddessen sie grübelte, biss sich Michiru auf die Unterlippe. Was bildete sich Hiro überhaupt ein? Hielt er sie auch nur für eine seiner ‚Stuten‘, wie Haruka Narumi und Sanae betitelt hatte? Mittlerweile war sie sich sicher, dass der Blonde nicht sie damit gemeint hatte. Das hoffte sie zumindest… Doch an Hiros Meinung über sie zweifelte die Künstlerin. Sie war nicht so! Sie wollte nicht zu seinen wehrlosen kleinen Mädchen gehören, die sich von ihm beschützen ließen und ihn im Gegenzug dafür anhimmelten. Im Grunde wollte sie nicht mal mehr Teil dieser Gruppe sein. Nachdem die Stunde vorüber war, packten die Schüler ihre Japanischunterlagen aus und Haruka lehnte sich wieder zu Michiru herüber. „Michiru-san, ich sehe doch, dass irgendetwas nicht stimmt. Du kannst dich mir ruhig anvertrauen! Ich sage es auch nicht weiter.“, doch die Streicherin schüttelte nur still und langsam ihren Kopf und versuchte den Kloß runter zu schlucken, der ihr mittlerweile im Hals steckte. Haruka war so anders. Die Violinistin erkannte die Sorge, die in der Stimme des Blonden steckte. Wieso war der Neue so fürsorglich, obwohl sie sich erst seit drei Tagen kannten? Unzufrieden ließ sich die Sportlerin wieder in ihren Stuhl zurück sinken. Sie hatte in der folgenden Stunde noch mehr Probleme als sowieso schon, dem Stoff zu folgen. Japanisch war für sie schon schwierig genug, auch ohne, dass sie pausenlos darüber grübeln musste, was ihrer Schönheit auf dem Herzen lag. Nachdem nun auch die vierte Unterrichtsstunde geschafft war, streckte sich Haruka und wanderte zu Kikyo herüber. Mit Michiru zu reden, brachte offensichtlich ohnehin keinen Erfolg. „Das liegt bestimmt an Kawashima. Er vergisst gerne mal, dass sie ihm nicht verfallen ist. So wie Narumi-san oder Sanae-san. Deshalb behandelt er sie gerne wie die anderen Mädchen. Aber das hat sie nicht verdient. Und ich glaube, das weiß sie auch.“, erklärte die Klassensprecherin Haruka. „Es ist schade, dass sie sich immer noch mit diesem Idioten abgibt.“ Der Englischlehrer betrat den Raum und die Schüler fanden wieder zu ihren Plätzen. Nachdem Herr Nanba die Stunde eröffnet hatte, bat er die Schüler, die Hausaufgaben zur Auswertung auszupacken. >Verdammt!<, biss sich Haruka auf die Zunge. >Gut aufgepasst, du Genie. Irgendwie ist dir das wohl gestern entgangen…< Ehrlich hob sie die Hand, um Herrn Nanba mitzuteilen, dass sie ihre Aufgaben nicht erledigt hatte. Michiru hingegen war vorbildlich vorbereitet und wurde vom Lehrer sogleich aufgefordert, ihre Hausaufgaben vorzutragen. „Tenoh-kun, Kaioh-san, Sie werden bitte am Ende der Stunde zu mir kommen.“, legte die Lehrkraft fest und fuhr mit seinem Unterricht fort. >Na super. Jetzt gibt´s auch noch eine Extraaufgabe. Aber was will er von Michiru?<, dachte sich Haruka und versuchte heute keine Hausaufgaben zu überhören. Am Ende der Stunde warteten die beiden Schülerinnen, wie von Herrn Nanba angeordnet, bis die restliche Klasse den Raum verlassen hatte. „Tenoh-kun, Sie sind erst seit drei Tagen hier und haben schon ihre ersten Hausaufgaben nicht erledigt.“ „Ja, aber das war nur-“ „Das will ich alles gar nicht hören!“, wurde sie von dem Lehrer unterbrochen. „Kaioh-san, Sie sind die beste Schülerin dieser Klasse. Ich hoffe, Sie können Ihrem Mitschüler etwas unter die Arme greifen und ihm helfen seine Aufgaben zukünftig ordnungsgemäß zu erledigen.“, damit war das Thema für Herrn Nanba erledigt. Zügig nahm er sich seine Tasche, verließ ohne ein weiteres Wort den Raum und ließ die beiden verdutzt schauenden Schülerinnen allein zurück. „Tut mir leid, Michiru-san. Ich wollte nicht, dass du wegen mir eine Extraanweisung bekommst. Normalerweise habe ich auch keine Probleme in Englisch, aber irgendwie habe ich gestern wohl verpasst, dass er uns was aufgegeben hat.“, entschuldigte sich Haruka bei ihrer Mitschülerin. „Ist schon in Ordnung. Es war ja nicht deine Schuld, dass er mir den Nachhilfeunterricht aufgebrummt hat.“ „Warte mal! Von Nachhilfeunterricht war keine Rede! Nur von Hausaufgaben. Ich komme mit dem Unterrichtsstoff bestens klar. Nur überhöre ich hin und wieder die ein oder andere Anweisung…“, rechtfertigte sich die Blondine, was die Künstlerin zum Kichern brachte. Augenblicklich entspannte sich die Sportlerin wieder. Nach einer kurzen Überlegung stellte sie sich Michiru gegenüber und sah ihr sanft in die Augen. „Schön, dass du wieder lachen kannst. Was war vorhin mit dir los? Es steht dir überhaupt nicht, wenn du so traurig bist.“, fragte sie vorsichtig. „Es war Nichts. Jedenfalls nichts von Bedeutung.“, antwortete Michiru gezwungen lächelnd. „Wenn es irgendetwas mit mir zu tun hatte, kannst du es mir ruhig sagen. Ich möchte nicht, dass du dich wegen mir unwohl fühlst. Aber auch alles andere kannst du mir erzählen. Und wenn Kawashima irgendetwas getan hat, dann möchte ich nur, dass du weißt, dass ich keine Angst vor ihm habe. Wenn er dir also zu nahe gekommen ist, oder er etwas Verletzendes zu dir gesagt hat, werde ich ihn gerne für dich in die Schranken weisen.“, versprach Haruka. Michirus Gesichtszüge wurden weicher. Sie fühlte, dass der Neue ihr die Wahrheit sagte. Dieser hob langsam die Hand, um der Violinistin eine Strähne aus dem Gesicht zu wischen. Bei der zärtlichen Berührung bekam die Streicherin eine Gänsehaut und ohne es verhindern zu können, schloss sie die Augen. Diese Nähe und Fürsorge kannte sie nur in einer anderen Form von ihrer Familie. Ein Außenstehender konnte noch nie so dieses Gefühl von Geborgenheit in ihr auslösen. Haruka vernahm die Reaktion der Künstlerin mit einem Lächeln und zog sie daraufhin sanft aber bestimmt in ihre Arme. Wie in Trance ließ Michiru sich gegen den Blonden fallen und nach einem kurzen Moment legte sie ihre Hände auf dessen Rücken und schmiegte sich weiter an ihn. >Moment mal…< ohne es wirklich bewusst zu tun, versuchte sie den Körper des Neuen besser wahrzunehmen. Er fühlte sich anders an, als erwartet. Sie hatte schon öfter ihren Vater oder auch ihren Bruder umarmt – einen richtigen Freund hatte Michiru noch nie, dafür war sie zu misstrauisch und alle Jungs in ihrem Alter kamen ihr irgendwie nicht reif genug oder aber langweilig vor – aber dieser Körper fühlte sich anders an. Zwar war auch er muskulös, aber viel sanfter. Und wenn sich die Violinistin nicht irrte, fühlte sie an der Stelle, an der sie eigentlich starke Brustmuskeln erwartet hätte, etwas viel Weicheres… >Also habe ich es mir doch nicht nur eingebildet!< Vorsichtig drückte Haruka die Schönheit leicht von sich, nur so weit, dass sie ihr wieder in die Augen sehen konnte „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie leise. Michiru nickte und das glückliche Lächeln auf ihren Lippen verriet der Sportlerin, dass sie die Wahrheit sagte. „Wenn wir noch etwas zum Mittag wollen, müssen wir jetzt los.“, erkannte die Blondine und reichte ihrer Mitschülerin ihre Tasche. In der Cafeteria spürte Michiru den Blick Hiros. Trotzig hob sie ihr Kinn noch etwas weiter an, holte sich ihr Essen und setzte sich mit Haruka an einen langen Tisch, an dem bereits ein paar jüngere Schüler saßen. Einer von ihnen sah sie eingeschüchtert an, aber die Künstlerin versicherte ihm, dass sie ihm nichts tue und er ruhig sitzen bleiben könne. Verdutzt sah ihr die Sportlerin ins Gesicht. „Kawashima-kun hat die Angewohnheit andere Schüler zu verjagen, wenn sie an ‚seinem‘ Tisch saßen.“, erklärte die Violinistin knapp. Darüber konnte die Blondine nur den Kopf schütteln. Während der restlichen Pause erkundigte sich Michiru nach Harukas Schwächen in den einzelnen Fächern und nachdem sie feststellte, dass die Blondine wohl wirklich nicht so viele Defizite hatte, beschlossen sie sich einfach donnerstags nach der Schule zusammen zu setzen, um die bis dahin aufgegebenen Hausaufgaben zu erledigen und in den Fächern zu lernen, in denen künftig ein Test anfallen könnte. Auf die Frage hin, warum es nicht schon heute ginge, erklärte Michiru, sie hätte ihrer kleinen Schwester versprochen, gleich nach der Schule mit ihr zu spielen. Regelmäßig spielten die Schwestern im Violinen- und Klarinetten-Duett. Haruka war hellauf begeistert. „Weißt du, welches Instrument dazu am besten passen würde?“, fragte sie grinsend. „Naja, Taru-chan sagt immer, uns fehle ein Flügel, um vollkommen zu klingen.“ „Und rate mal, wer zufällig schon seit gut zehn Jahren Klavier spielen kann.“, zwinkerte die Blondine. Überrascht hoben sich Michirus Brauen. Die Sportlerin nickte stolz und sprach weiter: „Vielleicht ergibt sich ja mal eine Möglichkeit. Dann begleite ich euch.“ Nach dem Essen schlenderten die beiden Schülerinnen zurück zum Klassenraum. Es stand noch eine weitere Stunde Englisch an und nach dieser Pause konnten sich sowohl Michiru, als auch Haruka wieder besser konzentrieren, was auch Herrn Nanba auffiel. Der jedoch bildete sich ein, seine Schüler hätten sich einfach in der Pause schon einmal zum Lernen zusammen gesetzt. Als es zum Unterrichtsende läutete, erschien Narumi sofort wieder an der Seite ihrer Freundin und zerrte sie mit den Worten „Mensch, was sollte das denn?“ und „Willst du ihn noch total auf die Palme bringen?“ davon. Hiro ging den beiden schweigend nach und warf noch einmal einen finsteren Blick auf Haruka, bevor er verschwand. Junko und Kikyo gesellten sich indes zu ihrer neuen Freundin. „Naa, schöne Pause gehabt?“, flötete die Schwarzhaarige und Haruka musste unweigerlich wieder anfangen, zu grinsen. Kapitel 4: Kapitel 4 -------------------- Zuhause angekommen wurde Michiru stürmisch von ihrer Schwester begrüßt. Sie hatte bereits vor über einer Stunde Schluss gehabt und wartete ungeduldig auf das ihr versprochene Spiel mit ihrem Vorbild. „Taru-chan, ich habe dir doch gesagt, ihr sollt erst eure Hausaufgaben erledigen.“, ertönte die Stimme ihrer Mutter aus der Küche. „Aber ich habe zu morgen doch gar nichts auf!“, schmollte die Kleine vor sich hin. „Ich gehe aber davon aus, dass Chiru-chan noch etwas zu erledigen hat.“ Hotaru sah enttäuscht zu der Violinistin auf. „Tut mir leid, kleiner Quälgeist. Aber du hast Mama gehört.“ Also verschwand die Künstlerin in ihrem Zimmer, natürlich begleitet von dem aufgeregten Energiebündel, das sie zum schnelleren Arbeiten anhielt. Als endlich alles erledigt war, nahmen sich die Mädchen ihre Instrumente und spielten ihren Eltern im Wohnzimmer ein klassisches Stück nach dem anderen vor. Michiru verlor sich in den Melodien regelrecht und ihre Gedanken wanderten wieder zu Haruka. Mittlerweile war sie sich sicher, dass ihr Klassenlehrer sie nur mit einem Jungen verwechselt hatte. Sie dachte an die heutige Mittagspause zurück und an die unglaublich warme Umarmung. Sie bemerkte gar nicht, wie sie immer mehr in ihrer Musik und den Erinnerungen an die Blondine versank. Nach etlichen Stücken, wobei Hotaru einige Titel auslassen musste, weil ihr die Luft ausgegangen war, spielte die Violinistin schließlich ihre letzten Takte und sah verträumt aus dem Fenster. Ihr Vater spendierte seinen Töchtern einen begeisterten Applaus. Obwohl er selbst kein Instrument spielte, konnte er sich von dieser Art von Musik geradezu berauschen lassen. Seine Frau lächelte nur zu Michiru herüber. Sie sah ihr an, dass sie nicht nur wegen der Melodien so vor sich hin träumte, und beschloss, der Ursache bald nachzugehen. Am nächsten Morgen konnte nicht einmal das Geschwätz Narumis Michirus Laune trüben. Lächelnd trat sie neben Haruka, die bereits an ihrem Platz saß und ungeduldig mit dem Fuß wippte. „Guten Morgen! Du siehst heute viel besser aus, als gestern.“, begrüßte die Künstlerin ihre Sitznachbarin. „Dir auch einen guten Morgen, Michiru-san.“, grinste die Blondine zurück. In der Tat hatte sie gestern nach einer ausgedehnten Trainingseinheit ihre Hausaufgaben erledigt und anschließend nur noch ein ausgiebiges Bad genommen. Nach dem Geschichtsunterricht begannen die beiden zu plaudern. Zwar hatte Narumi versucht, ihre Freundin in Gespräche zu verwickeln, die eher nach ihrem Geschmack waren, jedoch traf sie bei ihr auf taube Ohren. So blieb ihr nichts anderes übrig, als wieder an ihren eigenen Platz zurückzukehren und auf die Mathelehrerin, Frau Ogata, zu warten. Auch in der Frühstückspause gelang es ihr nicht, Michiru von Haruka zu trennen. Nach einigem Gezeter mischte sich Hiro ein. „Was ist denn, Narumi? Beeilt euch. Ich habe keinen Bock auf irgendwelche Knirpse, die vergessen haben, wo ihr Platz ist.“ Narumi sah ihre Freundin auffordernd an. „Du hast doch gehört, die ‚Gang‘ wartet auf dich.“, betonte Michiru mit einer übertriebenen Geste. „Wie jetzt? Du kommst echt nicht mit?“ Narumi zog ungläubig ihre Brauen zusammen. Die Violinistin schüttelte nur den Kopf, was Hiro ein leises Knurren entlockte. „Komm jetzt, Narumi.“, befahl er knapp, um dann mit seiner Gruppe den Raum zu verlassen. Verblüfft sah Haruka zu Michiru herüber. Diese lächelte nur und fragte: „Was ist? Wollen wir heute nicht mal draußen frühstücken? Die Wolken haben sich verzogen und geschneit hat es heute auch noch nicht.“ Die Blondine grinste breit und schulterte ihre Tasche. Zusammen schlenderten sie zu dem Baum, unter dem Haruka schon am Montag Ruhe gesucht hatte. „Und? Hat sich deine Schwester über das Spiel mit dir gefreut?“ „Ja, das hat sie. Es ist unglaublich, wie gut sie schon spielen kann, obwohl sie erst neun ist. Allerdings übt sie auch wie wild. Malen will sie auch. Es ist manchmal schon ein bisschen unangenehm wie sie mir nacheifert.“, lachte Michiru. Fast die gesamte Pause über erzählte sie über sich und ihren ‚kleinen Quälgeist‘, wobei die Sportlerin ihr aufmerksam zuhörte. Nach dem Biounterricht mussten sich die beiden vorerst voneinander verabschieden und Haruka machte sich auf den Weg zum Physikraum, während Michiru in Richtung des Kunstateliers verschwand. In der heutigen Doppelstunde Kunst sollten die Schüler ein Stillleben aus dem Kopf heraus malen. Die Violinistin wusste sofort, welches Motiv sie wählen würde und so war die exzentrische Frau Amano am Ende der Zeiteinheit hellauf begeistert. „Kaioh-san, ich muss ja sagen, Ihr Talent ist wirklich bemerkenswert! Was für eine Ausstrahlung! Diese dunklen Grautöne bis hin zum Schwarz… Man spürt förmlich, mit wie viel Gefühl Sie den Pinsel führten. Und diese Klarheit und diese Detailliertheit… Man könnte meinen, Sie hätten diesen wundervollen Flügel abfotografiert und gekonnt geradezu zärtlich übermalt. Und dann diese Rosen… Man kann ihren Duft fast riechen! Sie strahlen mit ihren kräftigen Rottönen eine unglaubliche Wärme aus. Wahrlich ein Meisterwerk. Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich es gern dem Ausschuss vorstellen und für die neue Galerie am Tokyo Tower vorschlagen?!“ „Es wäre mir eine Ehre, mein eigenes Gemälde in einer öffentlichen Galerie sehen zu können, Amano-sensei.“, verbeugte sich Michiru schüchtern und leicht errötet. Sie stand glatt eins in Kunst (wie auch in fast jedem anderen Fach), aber so viel Lob hatte sie noch nie ernten können. „Oh, das ist nicht nur eine öffentliche Galerie, Kaioh-san! Es ist DIE Galerie. Sie glauben ja nicht, was da für Kunstexperten und -sammler auftauchen werden. Ich drücke Ihnen die Daumen, vielleicht wird Ihr Talent den richtigen Leuten auffallen.“, zwinkerte die Lehrerin ihr zu. Freudestrahlend traf die Violinistin in der Pause wieder auf Haruka und erzählte ihr gleich von den Neuigkeiten. „Wie kamst du denn auf das Motiv? Ich meine, es ist ja nicht unbedingt eins, das einem einfach so einfällt.“, wollte die Blondine wissen. Die Künstlerin sah leicht errötend auf ihren Fisch. „Ich weiß auch nicht. Es kam mir einfach in den Sinn.“, lächelte Michiru und lenkte schnell vom Thema ab, indem sie ihre Gesprächspartnerin darauf hinwies, dass sie mit einem Steak im Bauch wohl nicht gerade gut und schnell laufen könne. Diese grinste nur und stellte klar, dass Leichtathletik und Motorsport zu ihren größten Leidenschaften gehörten und dass sie so ein kleines Mittagessen nicht aus der Bahn werfen könne. Nach dem Essen beschloss Haruka ihre Mitschülerin bis zur Schwimmhalle zu begleiten. Dass sie dafür einen doch ziemlich großen Umweg machen musste, fiel ihr erst auf, als sie einige Minuten zu spät auf dem Sportplatz ankam. Reumütig sprintete sie zu Herrn Fukami, der sie überrascht ansah. „Tenoh-kun? Sie sind ja noch nicht umgezogen! Was trödeln Sie denn so lange? Ihre Mitschüler sind schon längst bei der Erwärmung.“, beschwerte sich der Lehrer, drückte Haruka den Schlüssel für die Umkleidekabine in die Hand und rief ihr gleich darauf nach, sie würde dafür noch ein paar Runden extra drehen müssen. Natürlich musste Haruka feststellen, dass sie nicht den Schlüssel für die Mädchen-, sondern für die Jungenumkleide erhalten hatte. Auf der Laufbahn konnte sie merken, dass der Direktor nicht übertrieben hatte. Bei diesem Laufgefühl machten ihr die zusätzlichen Runden nach Unterrichtsschluss nun wirklich nichts aus. Herr Fukami staunte nicht schlecht, als Haruka auch nach der Doppelstunde noch Bestzeiten lief. Zufrieden rief er seinen neuen Lieblingsschüler zu sich und erklärte, dass er ihm wohl ohne Bedenken den Schlüssel für das neue Sportgelände anvertrauen konnte. Bevor die Blondine grinsend die Sportbahn verließ, drehte sie sich noch einmal zu ihrem Lehrer um. „Ach, Fukami-sensei. Es wäre beim nächsten Mal vielleicht besser, wenn ich den Schlüssel für die Mädchenumkleide bekäme. Es macht mir ja nichts aus, aber ich könnte vielleicht einige Klassenkameraden in Verlegenheit bringen.“, grinste die Sportlerin noch breiter und ließ die Lehrkraft staunend und vor Verlegenheit errötend zurück. Nachdem sie schnell geduscht hatte, sprintete sie wieder zur Schwimmhalle, wo Michiru schon wartete. „Tut mir leid, aber ich musste noch ein paar Extrarunden drehen.“ „Ich habe dir doch gesagt, du brauchst zu lange, wenn du mich noch her bringst.“, stellte die Schwimmerin überlegen klar. Gemeinsam machten sich die Schülerinnen auf den Weg zur Schule, wo sie in der Bibliothek ihre Hausaufgaben erledigen wollten. Michiru fiel das Defizit ihrer Freundin in Japanisch auf, weshalb sie gezielt ein wenig mehr auf dieses Fach einging. Doch schon nach einer viertel Stunde bekam Haruka schlechte Laune. Schmollend schlug sie ihre Bücher zu. „Ich brauche keine Nachhilfe… Ich kann sprechen, lesen, schreiben… Hatte nie Probleme damit, mich jemandem mitzuteilen. Unnützes Fach…“ Mit verschränkten Armen lehnte sich Haruka zurück und starrte auf die Tischplatte. Michiru blinzelte überrascht. Dass die selbstbewusste Blondine plötzlich so bockig sein könnte, hatte sie nicht erwartet. Der Anblick der eingeschnappten Leichtathletin brachte sie erst zum schmunzeln und schließlich zum Lachen, als Haruka fragend aufsah. Für einen kurzen Moment wollte die Rennsportlerin protestieren. Doch bei Michirus melodischem Gelächter hatten ihre Gesichtszüge gar keine andere Wahl, als wieder weich zu werden. Am nächsten Tag wurde Michiru noch vor dem Erreichen des Schulhofs von Narumi abgefangen. Die beschwerte sich wortreich über die Abweisung, die sie am Vortag von ihrer Freundin erhalten hatte. Sie erzählte ihr, Hiro wäre eingeschnappt. Michiru war das nur recht so. Sie hasste es, wie er sie als Mitglied seiner Gruppe behandelte. Mit seinem übergroßen Ego erweckte er immer den Eindruck, sie und die anderen Mädchen wären verdientermaßen seine hübschen Trophäen. Seine Auszeichnungen für sein Dasein. Dass Michiru ihn, anders als Sanae und Narumi, dafür nicht anhimmelte, ignorierte er schlichtweg. Nur dass sie sich jetzt von ihm abwandte und lieber Harukas Gesellschaft suchte, konnte und wollte er nicht mehr tolerieren. Als die beiden Schülerinnen den Schulparkplatz erreichten, bog ein rotes Motorrad in die Einfahrt und sie blieben verdutzt stehen. Die meisten Schüler der Mugen waren zu jung für einen Führerschein. Zudem gehörte der heutige Januartag zwar nicht unbedingt zu den kältesten, trotzdem waren es noch ein paar Grad unter null und die Straßen waren spiegelglatt. Keine optimalen Bedingungen zum Motorradfahren. Lässig stellte Haruka ihre Yamaha ab, befreite sich von ihrem Helm und schritt grinsend auf ihre überrascht blickenden Mitschülerinnen zu. „Du hast dein eigenes Motorrad?“, fragte die Künstlerin. „Ich wünsche dir auch einen guten Morgen, mein Sonnenschein.“ Die Blondine ging ohne anzuhalten weiter in Richtung Schulgebäude. „Wenn ihr nicht zu spät kommen wollt, solltet ihr da nicht so herum stehen.“, rief sie über ihre Schulter und die verunsicherten Mädchen folgten ihr nach einem weiteren kurzen Blick auf die Maschine. In den ersten beiden Stunden hatten Haruka und Michiru Musik. Hiro hielt nicht viel von Kultur, und so war der Kurs ohne ihn und seinen Anhang recht überschaubar. Bis auf Kikyo und Junko befanden sich nur wenige weitere Schüler im Raum, als Herr Nanba eintraf und die Stunde eröffnete. Skeptisch sah er Haruka ins Gesicht, als die ihm sagte, sie könne sowohl Noten lesen, als auch Klavier spielen. Also bat er sie, dem Kurs eine Kostprobe zu geben. Ohne zu zögern setzte sich die Sportlerin an den Flügel. Bei dem Anblick der sich ihr bot, begann Michirus Herz unweigerlich schneller zu schlagen. Nachdem Haruka noch einmal Blickkontakt zu der Geigerin gesucht hatte, begann sie langsam zuspielen. Sie entschied sich für eines der ersten Lieder, das sie gelernt hatte. Es war nicht sehr kompliziert, aber Haruka legte so viel Gefühl in die Melodie, berührte die Tasten fast zärtlich und versank förmlich in der Musik, sodass ihre Mitschüler und auch Herr Nanba nur verträumt die Augen schließen konnten. Nach einigen Minuten spielte Haruka die letzten Töne, aber es dauerte noch einen Moment, bis ihr Lehrer schließlich die Stille durchbrach und gestand, dass er so viel musikalisches Talent nicht erwartet hätte. Die Pianistin sah zu Michiru herüber und fragte, ob sie nicht noch Zeit hätten für ein kleines Duett. Begeistert stimmte Herr Nanba zu. Immerhin war das Schuljahr bald zu Ende und allzu viel Unterrichtsstoff hatten sie auch nicht mehr durchzunehmen. Die Streicherin errötete zwar, als sich ihre Mitschüler fragend zu ihr umdrehten, nickte aber trotzdem und schritt dann lächelnd auf Haruka zu. Auf der kleinen Bühne angekommen, packte sie ihre Violine aus und schlug vor, die Blondine solle einfach drauflos spielen. Verstehend nickend folgte die der Anweisung. Sie wählte ein komplizierteres aber auch gefühlvolleres Stück. Bereits nach den ersten Tönen legte sich Michiru ihr Instrument ans Kinn und stieg in das Spiel der Pianistin mit ein. Aus einem nur kurz geplanten Auftritt wurde bald ein längerer. Die Schülerinnen spielten zusammen, als hätten sie es schon unzählige Male getan, ein Stück nach dem anderen. Verloren in den Melodien fühlten sie sich einander so nah… So vertraut war ihnen das Zusammenspiel… Und wenn es die Violinistin einmal schaffte, ihre Augen zu öffnen, sah sie gleich zu ihrer Partnerin, deren Blick wiederum an der Künstlerin zu kleben schien. Erst am Ende der Doppelstunde, als das Paar ein weiteres Stück beendet hatte, ertönte Herr Nanbas Stimme. „So gerne ich Ihnen beiden auch zuhöre, aber der Unterricht ist für heute damit leider beendet. Aber nächste Woche müssen wir uns wieder der Theorie zuwenden. Trotzdem möchte ich noch einmal betonen, dass Sie beide ein unglaubliches Paar abgeben! Ich kann Ihnen nur ans Herz legen dieses Talent weiter auszubauen, Tenoh-kun. Und dass Sie einfach meisterhaft spielen, habe ich Ihnen ja schon mehrmals gesagt, Kaioh-san. Machen Sie etwas daraus! Im Duett hätten Sie beide sogar noch bessere Chancen in der Welt der Musik.“ Kikyo klopfte ihrer blonden Freundin beim Verlassen des Raumes noch zwinkernd auf die Schulter und wie berauscht von den sanften Klängen von Geige und Flügel verließ nun auch diese mit Michiru gemeinsam den Raum. Am Ende der Pause trennten sich die Wege der beiden und nach einer endlosscheinenden Stunde Astronomie (beziehungsweise Psychologie) trafen sie sich wieder zu einer Doppelstunde im Hauswirtschaftsraum. Die Schüler sollten sich heute ihr eigenes Mittagessen kochen und Haruka war heilfroh, dass sie offenbar eine talentierte Partnerin gefunden hatte. Routiniert gab Michiru der Blondine Anweisungen, was sie wann zutun hatte und so konnte sich das Ergebnis, trotz mangelnder Kenntnisse seitens der Sportlerin, sehen lassen. In der Mittagspause schlenderten die beiden Schülerinnen nach draußen und suchten ihren neuen Lieblingsplatz auf. Es war wohl durch seine Abgelegenheit einer der ruhigeren Plätze auf dem Schulhof und so schloss Haruka die Augen, reckte ihr Gesicht der Sonne entgegen und atmete tief die frische Luft ein. Bei diesem Anblick musste Michiru unweigerlich schmunzeln. „Es wird langsam wärmer.“, stellte sie fest. Nach einem erneuten tiefen Atemzug hob die Blondine ihre Lider und lächelte zu der jungen Künstlerin. Die lehnte sich nun nachdenklich zurück. „Sag mal, du bist doch noch nicht achtzehn, oder?“, fragte sie die Sportlerin, die überrascht ihre Augenbrauen hob. „Noch nicht ganz. Aber in zweieinhalb Wochen habe ich Geburtstag. Am 27.. Wieso fragst du?“ „Also fährst du schwarz? Hast du keine Angst, dass du erwischt wirst?“ Auf dem Gesicht der Rennfahrerin bildete sich ein schiefes Grinsen. „Ach so. Nein, ich fahre nicht schwarz. Ich habe schon einen Führerschein. In Nagoya bin ich Rennen gefahren. Schon seit meinem zwölften Lebensjahr. Und mit sechstzehn habe ich meinem Trainer erklärt, dass es Blödsinn wäre, würde ich zwar auf der Bahn meine Runden drehen und einen Titel nach dem anderen nach Hause bringen, aber draußen nicht mal mit dem Motorrad fahren dürfen. Also hat er seine Beziehungen spielen lassen. Ich musste zwar noch eine Prüfung ablegen, aber ich habe meine Fahrerlaubnis bekommen. Momentan darf ich zwar nur mit dem Motorrad fahren, aber sobald ich volljährig bin, darf ich auch endlich in zivil ins Auto steigen.“, erklärte die Rennfahrerin triumphierend. „Ich kann dich ja mal mit nehmen?!“, bat sie Michiru an. Die Geigerin sah sie verdutzt an. „Also eigentlich bin ich ja gar nicht für die Geschwindigkeit gemacht...“ „Keine Sorge, ich fahre auch ganz langsam.“, versuchte sie Haruka umzustimmen. „Ich kann dich ja heute nach Hause bringen, wenn du willst.“ „Was denn, heute? Nein! Doch nicht bei dem Wetter! Ich habe zwar keinen Führerschein, aber ich merke auch so, wie glatt es wird, wenn es beginnt zu tauen. Nein, tut mir leid, aber heute wird das nichts.“ „Na schön, dann eben nächste Woche.“, zwinkerte die Blondine. Fast schon wehmütig machten sich die beiden auf den Weg zur letzten Unterrichtsstunde der Woche. Zwar saßen sie in Mathe wieder an Einzeltischen und konnten auch nicht zusammen arbeiten, trotzdem war die Tatsache, den jeweils anderen nur eine Armlänge neben sich zu haben, irgendwie beruhigend. Und so mussten sie sich wohl oder übel nach der Stunde voneinander ins Wochenende verabschieden. Zuhause angekommen schlich sich Michiru am Zimmer ihrer kleinen Schwester vorbei in ihr eigenes. Dem Blick ihrer Eltern entging das jedoch nicht. Nachdem sie stundenlang verschwunden war, ohne sich zu zeigen, machte sich ihr Vater langsam Sorgen und wandte sich an seine Frau. „Sag mal, findest du das nicht auch merkwürdig? Es ist schon fast Neun und Chiru-chan kam weder zum Abendbrot, noch hat sie sich bei Taru-chan bemerkbar gemacht. Ob sie Probleme in der Schule hat? Vielleicht wurde sie ja geärgert oder hat eine schlechte Note bekommen! Hoffentlich liegt es nicht an diesem Kawashima. Sie kann sagen, was sie will, aber dieser Junge ist mir unsympathisch. Der hat doch nur Blödsinn im Kopf und macht nichts als Ärger. Vielleicht hat er meine kleine Chiru-chan verletzt! Wenn er das getan hat, dann kann er was erleben!“ Der schwarzhaarige Mann mit der weißen Strähne redete sich selbst in Rage. Seine Frau tätschelte ihm dabei nur sanft den Handrücken. „Keine Sorge, Liebling. Ich glaube nicht, dass es so etwas ist. Aber wenn du möchtest, sehe ich mal nach. Vielleicht will sie ja mit jemandem reden.“, beruhigte sie Kaioh Toshio und stand auf, um kurz darauf vorsichtig an Michirus Zimmertür zu klopfen. Nachdem sie keine Antwort erhielt, drückte sie leise die Klinke und fand die Künstlerin schlafend mit dem Kopf auf den verschränkten Armen am Schreibtisch sitzend. Langsam schloss sie die Tür wieder. Sie holte aus der Küche einen kleinen Teller voll Abendbrot, den sie dann leise in das Zimmer der Schülerin brachte. Vorsichtig zog sie eine Zeichnung unter der schlafenden jungen Frau hervor. Sie zeigte die verschwommene Silhouette eines Pianisten, der an einem schwarzen Flügel saß, auf dem ein Strauß Rosen stand. Neben ihm auf der Sitzbank lag eine Violine. Ganz deuten konnte sie es nicht, aber Setsuna war sich sicher, dass Michiru keinen Ärger in der Schule hatte. Am nächsten Morgen schleppte sich Michiru an den Frühstückstisch. Erst spät in der Nacht war sie wieder wach geworden, hatte sich lächelnd noch etwas von dem ihr gebrachten Abendbrot genommen und sich dann ins Bett gelegt. „Guten Morgen.“, wünschte sie nun in die Runde. „Und Dankeschön.“, lächelte sie Setsuna zu. „Chiru-chan, was war denn gestern los? Ich dachte, du wolltest dir noch meine neuen Bilder angucken, aber du bist einfach nicht gekommen.“, schmollte Hotaru vor sich hin. „Tut mir leid, Taru-chan, aber ich war einfach wahnsinnig müde. Das holen wir heute nach.“, entschuldigte sich ihre große Schwester. „Ich fürchte, das wird noch bis heute Nachmittag warten müssen.“, mischte sich ihr Vater ein. „Taru-chan und ich müssen noch etwas erledigen. Und außerdem hast du doch noch Klarinettenunterricht, meine Kleine.“ „Aber Papa!“ „Ach was, du Quälgeist. Dann sehe ich mir deine Bilder eben später an. Versprochen! Und jetzt hör auf zu bocken, sonst bekommst du noch Hörner.“, grinste Michiru und brachte die Kleine damit zum Schmunzeln. „Gar nicht wahr.“ Nach dem Frühstück brachen das jüngste und das älteste Familienmitglied auf und ließen die beiden Frauen in der Wohnung zurück. Nachdem sie gemeinsam die Küche aufgeräumt und abgewaschen hatten, wollte Michiru sich wieder in ihr Zimmer verabschieden, wurde aber von Setsuna aufgehalten. „Willst du weiter zeichnen?“, fragte sie die Jüngere. Verdutzt sah diese auf und nickte. „Weißt du schon, welches Motiv du nehmen wirst?“, fragte sie weiter. Jetzt wirkte die Künstlerin fast verwirrt. „Michiru, möchtest du vielleicht reden? Auch wenn sie dabei ganz andere Gedanken hatte, hatte Hotaru recht. Du bist gestern wirklich schnell verschwunden. Dein Vater fürchtete sofort, du hättest Ärger in der Schule. Aber ich glaube ja, dass das Gegenteil der Fall ist…“, erklärte die Ältere. Die Violinistin senkte nachdenklich ihren Blick. >Das Gegenteil…< Jetzt sah sie verblüfft wieder auf, woraufhin sich ein Lächeln auf den Lippen Setsunas bildete. Sie hatte in der Zwischenzeit Tee aufgebrüht und zusammen mit zwei Tassen auf ein kleines Tablett gestellt. Dann nickte sie langsam in Richtung Wohnzimmer und setzte sich kurz darauf zu Michiru aufs Sofa. Nun nahm sie ihre Tasse, lehnte sich zurück und drehte sich dabei zu der Streicherin, die mit einem leichten Rotschimmer auf den Wangen ihre eigene Tasse anstarrte. „Liebling, wenn du nicht darüber reden willst, dann ist das auch kein Problem. Aber wenn doch, dann höre ich dir gerne zu. Und ich sage auch nichts deinem Vater, wenn du es nicht möchtest.“ Doch die Jüngere begann daraufhin zu lächeln. „Das ist es nicht.“, Endlich sah sie wieder auf. „Ich weiß nur nicht richtig, wo ich anfangen soll.“ Zaghaft nahm sie einen Schluck von ihrem Tee und lehnte sich dann ebenfalls zurück. „Es gibt da seit Montag schon einen neuen Schüler in unserer Klasse, Haruka.“ „Haruka-?“, unterbrach Setsuna, doch Michiru sprach unbeirrt weiter. „Schon als Haruka in unsere Klasse gekommen ist, haben sich unsere Blicke getroffen und mir ist gleich ganz anders geworden. Irgendwie ganz warm… Kawashima-kun kann Haruka natürlich überhaupt nicht leiden, und die beiden hatten gleich in der ersten Pause eine kleine Auseinandersetzung. Aber Haruka ist ganz cool geblieben, hat ihm die Meinung gesagt und ist einfach gegangen. Du hättest mal sehen sollen, wie der geguckt hat! Sowas ist dem bestimmt noch nicht passiert. Und das, obwohl Takato-kun, Tosei-kun und Han-kun mal wieder direkt hinter ihm standen. Und am nächsten Tag gleich noch mal! Am Mittwoch dann kam Kawashima-kun zu mir und meinte, ich solle mich auf Haruka nicht einlassen, aber Herr Nanba hat in der Mittagspause gesagt, ich solle Haruka bei den Hausaufgaben helfen. Also waren wir dann auch zusammen beim Mittagessen und gestern und am Donnerstag waren wir auch fast den ganzen Tag über zusammen. Und dass wir vorgestern zusammen gelernt haben, hab ich euch ja erzählt. Und gestern Morgen hatten wir dann Musik und Herr Nanba wollte, dass Haruka ihm etwas am Flügel vorspielt. Letztendlich haben wir die ganze Doppelstunde über im Duett gespielt.“ Michiru sah die ganze Zeit über auf ihre Teetasse. Als sie zum Ende kam, träumte sie verlegen vor sich hin und vergaß fast vollkommen, dass sie das alles hier jemanden erzählte und nicht nur für sich dachte. Setsuna lächelte die Jüngere, währenddessen sie erzählte, leise an und hörte aufmerksam zu. „Für mich hört es sich so an, als wäre Haruka eine ganz besondere Person, richtig?“, fragte sie, als die junge Schülerin einige Zeit lang schweigend vor sich hin geträumt hatte. Daraufhin wurde die Röte auf deren Wangen kräftiger. „Das kann schon sein…“, gab sie leise von sich. Setsuna stellte ihre Tasse ab und nahm die Hand der Violinistin. „Kann es sein, dass du gerade dabei bist, dich zu verlieben?“, fragte sie grinsend. Michiru sah erschrocken in das Gesicht der Älteren. „Was?!“ „Ich glaube sogar, du bist nicht nur dabei. Ich vermute, du bist schon bis über beide Ohren verknallt.“ Jetzt wurde die Gesichtsfarbe der Künstlerin noch deutlicher. „Das braucht dir nicht unangenehm sein. Im Gegenteil! Ich habe mich schon gefragt, wann es endlich soweit ist. Immerhin bist du fast achtzehn. Und als du uns so verträumt etwas vorgespielt hast, habe ich mich wirklich für dich gefreut. Und dieser Haruka scheint mir ein vernünftiger junger Mann zu sein. Wie könnte es auch anders sein, bei deinem Dickkopf?“ Jetzt sah Michiru schüchtern auf ihre Hand, die immer noch von ihrer Gesprächspartnerin gehalten wurde. „Also eigentlich… Weißt du… Wie soll ich sagen? Setsuna…“, stammelte sie, „Wenn ich ehrlich bin… ist Haruka gar kein Junge…“ Nervös spielten ihre Finger mit denen der Dunkelhaarigen. Diese dachte kurz nach. „Aber das wird doch wohl kein Problem für dich sein, oder etwa doch? Du weißt hoffentlich, dass dein Vater und ich immer hinter dir stehen und dir nur alles Glück der Welt wünschen. Und wenn dazu gehört, dass du eine Frau liebst und keinen Mann, dann ist das für uns auch in Ordnung.“ Auf Michirus Lippen bildete sich ein Lächeln. Langsam sah sie wieder auf. „Danke, Setsuna. Ich weiß ja, dass ich mich dafür vor allem in eurer Gegenwart nicht zu schämen brauche, aber irgendwie ist es schon ein bisschen seltsam… Ich habe mir darüber noch nie wirklich Gedanken gemacht und immer angenommen, mir wären die Jungs in meinem Alter einfach zu unreif. Und wenn ich darüber nachdenke, hatte ich auch nie irgendwie Interesse an den Mädchen… Eigentlich hatte ich an niemandem Interesse…“ Nachdenklich sah die Künstlerin auf die beiden Teetassen. „Naja, manche Menschen haben das Glück und finden den einzig richtigen Partner. Und dann haben sie das Gefühl, sie bräuchten nur ihn und wollen bis ans Lebensende mit ihm zusammen sein. Da stellt sich gar nicht erst die Frage nach der Herkunft oder eben dem Geschlecht. So etwas passiert unglaublich selten, Michiru. Und solltest du zu den wenigen Glücklichen zählen, dann solltest du die Gelegenheit nutzen und dein Glück zu schätzen wissen.“, versuchte Setsuna zu erklären. „Mein Papa hatte dieses Glück gleich zweimal.“ Michiru hob langsam den Blick und sah traurig lächelnd in das Gesicht ihrer Stiefmutter. Die zog ihren Schützling in ihre Arme, streichelte ihm sanft über eine Wange, küsste seinen türkisfarbenen Scheitel und flüsterte: „Auch sie wäre stolz auf dich, mein Kind. Und auch sie würde voll und ganz hinter dir stehen.“ Michiru schmiegte sich an Setsunas Oberkörper und versuchte gar nicht erst, ihre stillen Tränen zu unterdrücken. Kapitel 5: Kapitel 5 -------------------- Haruka wartete ungeduldig auf ihre Mitschülerin. Gut zehn Minuten vor Unterrichtsbeginn trafen Kikyo und Junko ein. Nachdem sie ihre Unterlagen ausgepackt hatten, setzten sie sich auf die freien Stühle der Nachbartische der Sportlerin. Beide grinsten sie an und die Blondine konnte nur verwundert zurück blicken. „Guten Morgen.“, wünschte sie skeptisch und Junkos Grinsen wurde noch größer. „Jetzt erzähl schon! Wie läuft´s?“, bohrte sie neugierig nach. Haruka hob die Brauen. „Was?“ „Ach, tu nicht so! Michiru-san! Wie läuft es zwischen euch?“ Haruka rollte mit den Augen, lächelte aber. „Was soll da schon laufen? Wir haben letzte Woche nun mal die Pausen miteinander verbracht und zusammen gelernt. Mehr nicht.“ Kikyo schnaubte. „Ach, erzähl doch nicht! Was ist mit eurem Duett?! Hast du ihr schon vorher erzählt, dass du Klavier spielst? Sie hat in Kunst nämlich ein wundervolles Bild von einem Flügel gemalt, das sogar in einer Galerie ausgehängt werden soll.“ „Ja, das hat sie mir erzählt.“, nickte Haruka. „Also wenn du mich fragst, ist das bestimmt kein Zufall, Haruka-san.“, meinte die Klassensprecherin. „Genau. Und ich finde, ihr gebt ein wirklich tolles Paar ab!“, fügte ihre Freundin hinzu. Haruka zuckte ungläubig mit den Mundwinkeln. „Was soll das denn bitte heißen? Ihr glaubt doch nicht allen Ernstes, sie würde mit mir etwas anfangen wollen?! Ich meine, seht sie euch doch mal an. So unglaublich hübsch und talentiert sie ist, könnte sie doch jeden Mann der Welt kriegen. Warum sollte sie sich mit mir zufrieden geben? Wie ich das sehe, hält sie mich auch noch für einen Jungen. Das tun ja alle hier. Fukami-sensei hat mich sogar in die Jungenumkleide geschickt! Wenn sie herausbekommt, dass ich gelogen habe, will sie bestimmt nichts mehr mit mir zu tun haben. Und sie macht auch überhaupt nicht den Eindruck, als wollte sie etwas mit einem Mädchen anfangen.“ „Ach was!“, meinte Junko, „Das ist doch alles Quatsch! Also erst mal hatte Michiru zwar noch nie eine Freundin, aber sie hatte auch noch nie einen Freund, soweit ich weiß. Offensichtlich hatte sie sich noch nie für irgendjemanden interessiert. Und jetzt überleg mal, wie sie mit dir umgeht! Sie ist dir gegenüber ganz anders als sonst. So wie ich das sehe, hatte sie nur auf jemanden wie dich gewartet.“ Kikyo seufzte. „Richtig. Und wenn ich mich recht erinnere, hast du nie behauptet ein Junge zu sein. Hisakawa-sensei hat das einfach angenommen und die anderen haben das nicht hinterfragt. Ich glaube übrigens, dass Michiru es weiß. Sie ist nicht so oberflächlich wie Narumi-san oder Kawashima. Und selbst, wenn sie sich nicht sicher ist, schöpft sie ganz gewiss schon Verdacht.“, ergänzte die Klassensprecherin. In der Zwischenzeit hatte sich der Raum etwas gefüllt und als Michiru eintrat, stahlen sich Kikyo und Junko wieder an ihre eigenen Plätze. Den ganzen Tag über versuchte Haruka die Violinistin zu durchschauen, konnte jedoch nicht feststellen, ob ihre beiden Mitschülerinnen recht hatten oder nicht. Michiru indes bemerkte die durchdringenden Blicke der Blonden, bekam aber auf ihr Nachfragen immer nur ein „Es ist nichts.“, oder „Ich guck doch gar nicht!“ zurück. Wieder in ihrem Hotelzimmer angekommen, legte sich Haruka auf ihr Bett und starrte an die Decke. Am Wochenende war sie jeden Tag auf der Laufbahn und anschließend in der Bucht gewesen, hatte sich dem Wind hingegeben und über die elfengleiche Schönheit nachgedacht. Doch heute regnete es fast den ganzen Tag über, also verzog sie sich nach einigen tiefen Seufzern ins Fitnessstudio. Nach einem gut zweistündigen Dauerlauf ging sie duschen und zum Abendbrot ins Hotelrestaurant, um sich hinterher noch ein Glas Wein an der Bar zu bestellen. Schon nach kurzer Zeit bemerkte sie die ihr zugeworfenen Blicke einer attraktiven Brünetten, die allein auf einem kleinen Sofa in einer Ecke saß. Automatisch lächelte Haruka ihr entgegen, kam aber schnell wieder zu sich und starrte weiter auf ihr Glas. Sie wollte nicht wieder so anfangen wie in Nagoya. Sie wollte nicht mehr mit den Frauen spielen und wie es im Moment aussah, hatte sie sich sowieso an eine ganz andere Frau verloren. Bei dem Gedanken an Michiru begann sie wieder verträumt zu lächeln. Sie war so in der Erinnerung an die hübsche Künstlerin versunken, dass sie gar nicht mitbekam, wie sich die Brünette aus der Ecke neben sie setzte und sie anlächelte. Nachdem sie ein leises Räuspern vernommen hatte, sah die Blondine erschrocken auf. „Hallo. Ich bin Sarah und komme aus den Staaten.“, stellte sich die junge Frau vor. „Tut mir leid, habe ich dich aus einem Traum gerissen?“, fragte sie lächelnd. „Weniger ein Traum, mehr eine traumhafte Erinnerung…“, antwortete Haruka noch immer ein wenig abwesend. „Ich bin heute zum ersten Mal in Tokio, aus geschäftlichen Gründen… Ich kenne hier niemanden, also dachte ich, du könntest mir vielleicht ein bisschen was über diese Stadt erzählen.“, erklärte die Amerikanerin mit einem starken Akzent, nachdem die Blondine nur schweigend auf ihr Weinglas gesehen hätte. Diese grinste jetzt. „Du sprichst überraschend gut Japanisch, dafür, dass du zum ersten Mal hier bist.“ „In Japan war ich schon öfter, nur noch nie in Tokio.“, stellte Sarah bestimmt klar. Haruka nickte verstehend. „Mein Name ist Haruka. Es freut mich, dich kennen zu lernen. Wie ich sehe, ist dein Drink leer. Darf ich dich auf ein Glas einladen? Ich kann dir diesen Rotwein hier empfehlen.“ Sarah lächelte vielsagend zurück. Schon nach einem Glas wurde die Gestik der Amerikanerin eindeutiger. Haruka war klar, dass sie ihre erste Nacht in Tokio nicht allein verbringen wollte. Für sie war es ein Leichtes, die Brünette neugierig zu machen und schon nach dem zweiten Glas Wein wusste sie ihre Zimmernummer. Sie erzählte, ohne weiter auf ihr Privatleben einzugehen, von ihrer Rennfahrervergangenheit und dass sie jetzt in Tokio nach ihrem Abschluss durchstarten wolle. Sarah erklärte, sie wäre im Auftrag eines reichen Kunstsammlers unterwegs und solle sich nach jungen, talentierten Künstlern umsehen. Unweigerlich musste Haruka wieder an Michiru denken. Der Wein trug noch zusätzlich dazu bei, dass ihre Gedanken immer mehr abschweiften und sie der Amerikanerin bald gar nicht mehr zuhörte. Als diese den Körperkontakt zu ihr suchte und ihr eine Hand auf die Schulter legte, kehrte die Blondine ins Hier und Jetzt zurück. „Weißt du Sarah, eigentlich habe ich morgen wieder Schule. Und ich will nicht wieder zu spät kommen. Also sollte ich jetzt ins Bett gehen.“ Die Brünette blickte etwas überrascht, verstand diese Aussage allerdings als Einladung. Bereitwillig stand sie auf und grinste der Sportlerin mit einem „Okay.“ ins Gesicht. Diese holte ihr Portemonnaie heraus und drückte ihrer Bekanntschaft einige Scheine in die Hand. „Sei doch bitte so gut, und bezahl für mich, wenn der Kellner sich wieder blicken lässt, ja? Hat mich gefreut, Sarah. Und viel Erfolg noch auf deiner Kunstreise.“, verabschiedete sie sich, bevor die ihr verwirrt hinterher sehende Amerikanerin noch etwas sagen konnte. Unruhig ging Haruka in ihrem Zimmer auf und ab. >Was sollte das denn werden?! Du wolltest hier neuanfangen und hättest beinahe gerade mal eine Woche durch gehalten! Reiß dich zusammen! Die wolltest du sowieso nicht!<, fluchte sie tonlos über sich selbst. Es stimmte. Sie wollte Sarah nicht. Sie wollte niemanden. Nur Michiru. Trotzdem. Lange hätte sie nicht mehr gebraucht. In spätestens einer Stunde wäre sie bei der Amerikanerin im Bett gelandet und hätte mit ihr das selbe getan, wie schon mit so vielen Mädchen. Die meisten bekamen erst im Schlafzimmer mit, dass Haruka kein Mann war. Aber sie wusste, wie sie trotzdem bekam, was sie wollte. Und wie damals in Nagoya wäre sie am nächsten Morgen wieder leise aus dem Zimmer geschlichen, ohne sich zu verabschieden. Denn all diese Mädchen und junge Frauen hatten ihr rein gar nichts bedeutet. Eine Handvoll kalten Wassers im Gesicht sollte ihre Gedanken wieder ordnen. Sie schmiss sich auf ihr Bett und drückte ihr Gesicht in ein Kopfkissen, um einen kurzen Wutschrei zu dämpfen. Dann drehte sie ihren Kopf und sah die Bilder auf ihrem Nachttisch. Augenblicklich beruhigte sie sich. Was wohl ihre Eltern zu ihrem Lebensstil gesagt hätten? Ihre Mutter hatte ja einige Male Andeutungen gemacht… Sie hatte sich sicher gedacht, dass Haruka kein typisches Mädchen werden würde. So war sie auch nie. Ihre große Schwester hatte schon mit dreizehn so etwas wie einen ‚Freund‘. Doch sie selbst hatte sich nie für Jungs interessiert. Ihr Vater hatte ein paar wenige Male beim Einkaufen oder auf der Rennbahn gefragt, ob sie diesen oder jenen Jungen nicht süß fände, aber das fand die Blondine immer nur lächerlich. Ganz anders reagierte sie, wenn ihre Mutter sie nach ihrer Meinung über ein Mädchen fragte. >Selbst wenn Vater das nicht ganz verstanden hat, Mutter wusste es bestimmt.< Langsam drehte sich Haruka auf den Rücken und starrte an die Decke. Ob ihre Eltern von Michiru auch so begeistert gewesen wären? Vermutlich schon. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass irgendjemand schlecht über die Künstlerin denken konnte. >Was soll denn dieser Blödsinn wieder? Sie will doch garantiert eh nichts von dir! Spätestens dann nicht mehr, wenn sie weiß, wer du bist.<, tadelte sie sich selbst. Allerdings würde sie das auch spätestens am Freitag heraus finden. Immerhin hatten sie am Donnerstag wieder Sport und nachdem sie Fukami aufgeklärt hatte, würde sie sich jetzt bei den Mädchen mit umziehen und das würde sich spätestens am nächsten Morgen herum sprechen. Ob Michiru dann sauer sein wird? Auf jeden Fall würde sie enttäuscht sein, wenn sie die Wahrheit von den anderen erfahren würde und nicht von Haruka selbst. Das wollte die Blondine auf gar keinen Fall. >Morgen muss ich sie aufklären. Irgendwie.< „Hast du dich verlaufen?“ Haruka setzte ihren Rucksack auf ihrem Tisch ab. Hiro saß kippelnd auf dem dazugehörigen Stuhl und grinste sie breit an. „Ich wollte dich eben mal besuchen. Oder empfängst du nur hübsche Mädchen?“ „Jedenfalls empfange ich keine arroganten Möchtegernmachos. Also räum meinen Platz.“ Das Grinsen verschwand aus Hiros Gesicht. Als er aufstand, fiel sein Stuhl scheppernd zu Boden. „Wer ist hier der arrogante Macho?“ Kein halber Meter lag zwischen den beiden, als er ihr drohend in die Augen funkelte. „Gerade eine Woche hier und schon so ein großes Maul? Pass lieber auf, was du sagst, Tenoh-kun! Und mit wem du dich abgibst! Narumi heult ständig rum, weil du dir Michiru unter den Nagel gerissen hast. Wie ich mit ihr umgehe, hat dich überhaupt nicht zu interessieren und trotzdem mischst du dich andauernd ein.“ Bei den letzten Worten stieß er Haruka gegen die Schulter. Unbeeindruckt hielt die Rennsportlerin seinem Blick stand. „Es interessiert mich nicht, was du davon hältst. Du wirst Michiru nicht gerecht. Sie verdient es nicht, unter deiner Fuchtel zu stehen. Und das scheint sie jetzt zu begreifen. Ich habe sie mir nicht unter den Nagel gerissen, sie wendet sich nur von dir ab. Nimm es hin.“ Jetzt reichte es Hiro. Beidhändig stieß er Haruka erneut gegen die Schultern. „Wofür hältst du dich eigentlich? Spar dir deine blöden Sprüche, oder ich prügle sie dir aus!“ Haruka hatte sich mühelos abgefangen und trat energisch direkt auf ihren Kontrahenten zu. Zentimeter von seinem Gesicht entfernt knurrte sie: „Du willst dich mit mir anlegen? Von mir aus! Du wirst im Dreck landen, noch bevor ich mich überhaupt aufgewärmt habe. Und deine Bodyguards“, sie nickte in die Richtung der drei Jungs, die sich bereits hinter Hiro aufgebaut hatten, „schaffe ich auch noch.“ Hiros Augen folgten flüchtig ihrem Blick. Dann fletschte er die Zähne, als Haruka hinzufügte: „Von mir aus jederzeit. Nach der Schule. Ich will meine gute Beziehung zum Direktor nicht wegen eines vorlauten, verzogenen Bengels aufs Spiel setzen.“ Ohne Vorwarnung rammte Hiro ihr plötzlich die Faust in den Magen. Haruka schluckte kurz. Doch anstatt zurückzuschlagen, fauchte sie nur: „Bist du fertig? Ich sagte, nach der Schule.“ Hiro knurrte kaum hörbar, doch in diesem Augenblick erschien Frau Amano in der Tür. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und stratzte in Richtung der letzten Reihe davon. Nach dem Ethikunterricht warf Haruka ihre Unterlagen in ihre Tasche, um so schnell wie möglich zum Biologieraum zu gelangen. Hiro beobachtete sie und fasste ihre Eile als Zeichen für ihren Rückzug auf. Daraufhin stolzierte er ihr breit grinsend nach. Michiru wartete bereits an ihrem Platz und merkte nichts von der frühen Auseinandersetzung. Haruka hatte auch nicht das Verlangen daran etwas zu ändern, doch Hiro schritt, nachdem er eingetroffen war, erst auf Narumi zu, mit der er kurz ein paar Worte wechselte, und sah dann mit einem triumphierenden Grinsen zu der Blondine. „Was hat der denn?“, fragte Michiru skeptisch und sah mit einem durchdringenden Blick in die Augen der Sportlerin. „Nichts von Bedeutung. Mach dir keine Sorgen.“, zwinkerte diese und setzte sich zu ihr. Nachdem es zum Stundenende geklingelt hatte, trat Narumi an den Tisch der beiden. „Kommst du, Michiru-chan?“, fragte sie auffordernd. Die Künstlerin sah überrascht auf. „Was? Wohin denn? Oh, entschuldige bitte, Narumi-san. Ich habe wohl vergessen, dir zu sagen, dass ich nicht mehr mit euch in den Pausen jüngeren Schülern Angst einjagen und anschließend über Nichtigkeiten lästern möchte. Tut mir leid, aber daran hatte ich noch nie Gefallen. Und Kawashima-kuns arrogante Art und sein Umgang mit… Naja, einfach mit allen hat mich schon immer genervt.“, erklärte sie, währenddessen sich Empörung in Narumis Gesicht ausbreitete. „Wer soll hier arrogant sein? Wenn hier jemand arrogant ist, dann ist es wohl der hier!“, mischte sich jetzt Hiro ein. „Ich dachte, ich hätte mich heute früh deutlich ausgedrückt, Tenoh-kun! Michiru kommt wieder mit uns und du lässt sie artig in Ruhe.“ Provokant tätschelte er der Sportlerin den Scheitel. Diese stand jetzt auf und funkelte den Schwarzhaarigen finster an. „Und ich sagte, du bist es nicht wert, ihre Gegenwart zu genießen. Du hast es zu akzeptieren, wenn sich Michiru nicht mit dir abgeben will!“ >Michiru-?!< Die Künstlerin blinzelte Haruka überrascht an. Nach und nach verstand sie auch die anderen Worte. >… meine Gegenwart zu genießen?< Auf ihre Wangen schlich sich ein leichter Rotschimmer. Hiro zog die Augenbrauen zusammen. Haruka hatte sich vor ihrer Mitschülerin aufgebaut und ihre Hände zu Fäusten geballt. Kurzerhand holte der Streitsüchtige erneut aus, wobei er diesmal ihr Gesicht anvisierte. Haruka reagierte aber sofort und fing seine Faust ab, bevor sie ihr Ziel erreichen konnte. Sie sah sich noch einmal suchend um und als sie sich sicher war, dass Herr Katsuki den Raum bereits verlassen hatte, drehte sie mühelos den Arm ihres Angreifers, sodass der keine andere Wahl hatte, als ihr den Rücken zu zuwenden. „Ich habe gesagt, Michiru hat sich entschieden. Du lässt sie zukünftig in Ruhe, hast du mich verstanden? Und dein Temperament solltest du in Zukunft auch lieber zügeln. Sonst breche ich dir noch versehentlich die Knochen.“, erklärte sie ruhig und zog noch einmal Hiros Arm nach hinten, bevor sie ihn losließ. >Schon wieder…< Michiru schüttelte die verlegene Röte von ihren Wangen und die schüchternen Gedanken aus ihrem Kopf. Hiro sah sich wütend aber eingeschüchtert um. Dann stürmte er davon. Gefolgt von seinem verunsicherten Anhang, wobei Narumi noch einmal entsetzt zu Haruka und Michiru sah, bevor auch sie verschwand. „Du meine Güte, Haruka! Wo hast du das denn gelernt?“, fragte Michiru verblüfft. Doch die Blondine drehte sich nur grinsend um und sagte knapp: „In Nagoya.“ Anschließend schulterte sie ihren Rucksack und nickte in Richtung Ausgang. „Wollen wir?“ Zunächst war Michiru neugierig, woher die Sportlerin diese Reaktionsfähigkeit und die Technik hatte, denn es sah nun wirklich nicht so aus, als hätte Haruka sie heute zum ersten Mal angewandt. Als sie aber spürte, dass die es ihr nicht wirklich verraten wollte, hörte sie bald auf zu fragen. „Sag mal, Michiru, hättest du heute Nachmittag noch kurz Zeit? Ich habe da nur ein kleines Problem mit der Hausaufgabe in Japanisch.“, fragte die Leichtathletin stattdessen. Michiru hatte ihrer Schwester zwar versprochen, gleich nach der Schule mit ihr zu spielen, aber eine Stunde könne sie sich wohl trotzdem Zeit nehmen. Wie könnte sie ihr auch jetzt noch einen Gefallen ausschlagen? Also trafen sich die beiden nach ihrer letzten Stunde Astronomie, beziehungsweise Psychologie, vor der Bibliothek. Schneller als erwartet waren Harukas Fragen beantwortet. Darum erledigten sie auch noch die Matheaufgaben, wobei sie allerdingt immer mehr plauderten und ihren eigentlichen Grund für ihr Zusammensitzen schon fast vergessen hatten. Nachdem sich Michiru über Narumis lästige Angewohnheit, sich über jeden lustig zu machen, der nicht über genügend Kapital oder Schönheit verfüge, ausgelassen hatte, sah Haruka nachdenklich auf ihren Hefter. Es war nicht gerade der beste Übergang, aber sicherlich besser als gar keiner. Also atmete sie noch einmal tief durch und sah dann wieder auf. „Narumi kriegt wohl allerhand mit, was?“, fragte sie schließlich. „Naja, kann man so sagen. Allerdings bekommt sie nur das mit, was sie interessiert. Geld, Aussehen, wer mit wem zusammen ist oder wer ein Geheimnis hat, das aufzufliegen droht.“, antwortete die Künstlerin im genervten Tonfall. „Wie stehst du denn dazu? Ich meine… zu den Geheimnissen und so…“ „Wie meinst du das?“, fragte die Streicherin, bekam jedoch keine Antwort. „Naja, jeder hat seine Geheimnisse. Das ist doch auch normal, oder nicht? Ich meine… Ich habe ja auch welche. Aber wieso fragst du das überhaupt?“ Michiru sah Haruka nachdenklich an. „Willst du mir vielleicht etwas sagen?“ „Naja, ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich das anstellen soll, ohne dass du sauer wirst. Oder zumindest enttäuscht von mir bist.“, gab die Blondine leise zurück. „Warum sollte ich denn enttäuscht von dir sein? Du kannst mir eigentlich alles sagen. Ich werde schon nicht sauer oder so.“ Haruka holte noch einmal tief Luft und sah dann auf. „Michiru, Hisakawa-sensei hat da einen kleinen Fehler gemacht. Und dieser Fehler hat mich auch gar nicht überrascht oder so, weil er schon so vielen Menschen passiert ist. Er hat sich diesen Zettel vom Direktor wohl nicht ganz durchgelesen und deshalb angenommen, ich wäre ein neuer Schüler. Naja, und eben keine… Schülerin.“ Die Blondine sah Michiru an und versuchte die Gedanken hinter deren Mimik zu lesen. Einen Moment lang zweifelte sie noch, wie ihre Erklärung wohl angekommen war, aber dann verzog sich das Gesicht der Geigerin zu einem breiten Grinsen. „Was? Das ist dein Geheimnis? Deswegen sollte ich wütend oder enttäuscht sein? Mein Gott, Haruka! Für wie oberflächlich hältst du mich denn?“, lachte sie jetzt fast, was Haruka erröten ließ. „Also wusstest du es?“, fragte sie zögernd. „Natürlich wusste ich es! Schon als Hisakawa dich ‚-kun‘ genannt hatte, hast du so komisch reagiert. Da habe ich schon vermutet, dass irgendetwas nicht stimmt. Und als du mich dann letzte Woche so umarmt hast…“, jetzt errötete die Violinistin leicht. Sie lächelte die Sportlerin immer noch an. Allerdings hatte sich ihr Lächeln gewandelt, was die Blondine dazu veranlasste, sich wieder aufrechtzusetzten. „Und du verbringst trotzdem so viel Zeit mit mir.“, grinste sie jetzt und verstärkte dadurch noch das Rot auf Michirus Wangen. Ihre Blicke verschmolzen miteinander und Haruka hatte das Gefühl, in den türkisfarbenen Augen der Künstlerin zu versinken. Langsam streckte sie ihre Hand aus, um nach der der Violinistin zu greifen. Diese war so von den strahlendgrünen Augen ihres Gegenübers gefesselt, dass sie sich nicht wehren konnte. Es hätten Stunden vergehen können, in denen sie einfach nur den anderen wahrnahmen. Zögerlich regte sich jetzt auch Michiru und verschränkte ihre Finger mit denen der Blonden, was diese dazu veranlasste, mit der freien Hand eine türkisene Strähne aus dem Gesicht der Schönheit zu streichen und dann zärtlich auf deren Wange zu verbleiben. Verträumt schloss die Künstlerin ihre Augen und schmiegte sich der Geste Harukas entgegen. Die Sportlerin lehnte sich noch ein Stück weit vor und zögerte noch einen Moment. Dann flüsterte sie: „Du bist schöner als jeder Engel, weißt du das?“, schloss ebenfalls die Augen und lehnte ihre Stirn gegen die Michirus. Ruhig atmeten sie im gleichen Rhythmus und hörten fast den Herzschlag des anderen. Sie wussten nicht, wie lange sie dasaßen, aber als die Schulglocke zum Ende der letzten Stunde läutete, öffneten sie enttäuscht ihre Augen. Beiden legte sich ein Rotschimmer auf die Wangen und so langsam es ging, lösten sie wieder ihre Hände. „Ich muss jetzt leider los, Hotaru wartet sicher schon auf mich.“, fand die Violinistin als erste ihre Stimme wieder. „Schade.“ Haruka warf sich ihren Rucksack über die Schulter. Auf dem Schulhof verabschiedeten sich die beiden schüchtern voneinander und machten sich dann in unterschiedliche Richtungen davon. Mit rasendem Herzschlag machte sich Haruka gleich auf den Weg in die Bucht von Tokio. Sie konnte es nicht fassen. Obwohl Michiru wusste, wer sie war, ließ sie so viel Nähe zu. Hatten Kikyo und Junko also recht? Vielleicht war es ja doch denkbar, dass die Künstlerin ähnlich empfand wie sie. Michiru kam in der Zwischenzeit zuhause an. Wie zu erwarten war, sprang ihr Hotaru in die Arme, sobald sie den kleinen Flur betreten hatte. Nur eine halbe Stunde später standen die beiden Mädchen im Wohnzimmer und gaben sich dem musikalischen Spiel hin. Setsuna bemerkte sofort, dass ihre Stieftochter mindestens genauso tief in der Musik unter ging wie vor einer Woche, und konnte nicht anders, als still zu lächeln. Sie war sich sicher, dass es etwas mit der neuen Schülerin zu tun haben musste. Am nächsten Morgen wartete Haruka bereits vor dem Schulgebäude auf ihre Mitschülerin. Noch bevor Michiru bei ihr angekommen war, stolzierte Narumi an der Blondine vorbei und warf ihr noch einen verachtenden Blick zu. „Ich glaube, so kühl habe ich sie noch nie erlebt.“, begrüßte Michiru die Sportlerin, die sich ihr daraufhin freudestrahlend zuwandte. „Guten Morgen. Ich hoffe, Hotaru war nicht allzu enttäuscht, weil du gestern später nachhause gekommen bist?“, gab diese zurück, ohne weiter auf das Verhalten der Brünetten einzugehen. Noch bevor es überhaupt zur Pause klingelte, bemerkten Haruka und Michiru das Getuschel von Hiro und seinen Freunden. Leise nahm die Violinistin der Pianistin das Versprechen ab, sich nicht auf Handgreiflichkeiten einzulassen. Sobald Herr Katsuki also den Unterricht beendet hatte, machten sie sich zügig auf den Weg nach draußen. Auf dem Schulhof angekommen, schlugen sie gleich die Richtung ihres Lieblingsplatzes ein. Selbst wenn Hiro und die anderen heute mal nicht in die Cafeteria gehen sollten, würden sie sie dort wenigstens nicht sofort sehen. Doch zu Beginn der Mittagspause stand plötzlich Narumi vor Michiru. „Ich will mit dir reden, Michiru-san.“, erklärte sie bestimmend und duldete keine Widerrede. Haruka stellte sich neben ihre Freundin und sah starr zu Hiro. „Wenn er dabei ist, will ich auch dabei sein. Das wirst du doch sicher verstehen, oder nicht, Hara-san?“ Die Brünette und der Schwarzhaarige sahen sich kurz an. Dann nickte sie und er sagte kurz: „Wir gehen schon mal vor.“, bevor er mit seinem Anhang verschwand. Jetzt drehte sich Haruka zu Michiru um, die ebenfalls nur kurz vielsagend nickte und dann mit Narumi den Raum verließ. „Na das sieht doch vielversprechend aus.“, ertönte Kikyos Stimme hinter der Sportlerin. Lächelnd sah diese sich um. „Guten Morgen, ihr zwei.“, grinste sie breit. „Haruka-san, so fröhlich, obwohl unsere Künstlerin gerade den Raum mit ihrer besten Freundin verlassen hat?!“, zwinkerte ihr Junko zu. Gemeinsam gingen auch die Drei jetzt nach draußen und die dunkelhaarigen Mädchen schmeichelten der Blondine wegen ihres Sieges am gestrigen Tag über Hiro. „Ach Quatsch. Ich sagte doch, dem ist nichts zuzuschreiben. Er hat bloß ein großes Mundwerk und sonst nichts.“, gab sie selbstbewusst zurück. Als sie Michiru im Eingangsbereich erscheinen sahen, hielt Kikyo die Pianistin am Handgelenk fest. „Jetzt warte doch mal! Du musst uns noch erzählen, was da genau läuft! Immerhin haben wir dir ja wohl den Rücken gestärkt. Als Gegenleistung müssen wir doch von dir auf dem Laufenden gehalten werden.“, zwinkerte die Brünette. Haruka sah fast sehnsüchtig zu Michiru. Dann drehte sie sich noch einmal um und zog ihr Handy aus der Tasche. „Okay, ich erzähle es euch am Wochenende, einverstanden? Ich lade euch auf ein Eis ein. Gib mir deine Nummer, dann machen wir uns später eine Zeit aus.“ Mit einem breiten Grinsen diktierte Kikyo ihre Handynummer und ließ die Blondine dann wieder zu ihrer Freundin. Da die Pause fast vorbei war, entschied Michiru, ihrer Mitschülerin nach dem Unterricht alles über das Gespräch mit Narumi zu erzählen. Daher bemühten sie sich nach der Englischstunde, ihre Sachen nur langsam zusammen zu packen und als die meisten Schüler verschwunden waren, hakte Haruka nach. „Ach, Narumi-san ist eingeschnappt, weil ich sie in letzter Zeit immer links liegen gelassen habe. Sie hat sich beschwert, dass sie mich schon viel länger kennt und sie immer für mich da war. Totaler Blödsinn… Ich hab ihr erklärt, dass sie sich nie wirklich für meine Probleme oder so interessiert hat und dass sie immer nur neugierig war, wenn ich mal was erzählt habe. Dann hat sie angefangen, über Kawashima zu erzählen. Dass er mich ja angeblich auch schon in Schutz genommen habe. Aber das stimmt überhaupt nicht! Ich hatte noch nie mit irgendjemandem Probleme. Und wenn doch, dann hat Hiro Probleme ausgelöst und sie von seinen Jungs wieder beseitigen lassen. Ich habe Narumi-san gesagt, dass ich mit dieser Lästerei und diesem Machtgehabe nichts mehr zu tun haben will und wenn sie irgendwann anders darüber denkt, soll sie mir Bescheid sagen.“ Anerkennend lächelte Haruka Michiru zu. Dann wandelte sich ihre Mimik. „Wieso hast du dich überhaupt mit ihnen abgegeben, wenn dir ihr Verhalten so zuwider war?“, fragte sie skeptisch. Doch die Künstlerin winkte ab „Haruka, ich erkläre dir das später mal. Mein Vater wartet, ich habe noch einen Termin und er holt mich deswegen heute ab. Aber morgen haben wir wieder mehr Zeit.“ Haruka sah auf. Toshio war bereits im Eingang des Schulhofs zu sehen. Kurz sah Michiru noch einmal zurück und tauchte schließlich in einem blauen Coupé ab. Haruka stand immer noch auf dem Schulhof und starrte an die Stelle, an der die Streicherin verschwunden war. Kapitel 6: ----------- Kapitel 6 Keine fünf Minuten vor Unterrichtsbeginn stellte Haruka ihr Motorrad auf dem Parkplatz ab. Nur ein paar einstudierte Handgriffe waren nötig, um ihren Helm trotz Dauerlaufs zum Schulgebäude sicher an ihrem Rucksack zu befestigen. Wenige Schritte vor dem Eingang wurde sie langsamer und kam schließlich ganz zum Stillstand. „Guten Morgen. Wartest du auf jemanden Bestimmtes?“ „Du bist spät dran. Ich dachte fast, du wärst doch schon vorgegangen.“, antwortete ihr Michiru lächelnd. In der Frühstückspause schlenderte die Violinistin langsam neben der Blondine her. „Du solltest heute lieber nicht so spät ins Bett gehen. Nicht, dass du doch noch zu spät kommst und du nachsitzen musst.“ „Das brauchst du mir nicht sagen. Ich kann nichts dafür, dass Ogata-sensei uns so viel aufgibt.“ Michiru legte die Stirn in Falten. „So viel hatten wir in Mathe nun auch wieder nicht auf.“ Haruka begann zu grinsen. „Wenn man sich auf seiner Erkundungstour durch Tokio mehrmals verfährt, reichen die Aufgaben trotzdem aus, um bis in die Nacht daran zu sitzen.“ „Ach was. Oder brauchst du etwa doch Nachhilfe in Mathe?“, neckte die Künstlerin. „Eigentlich nicht. Aber wenn mir Ogata-sensei auch so eine bezaubernde Nachhilfelehrerin zuweist, würde ich mich fügen.“ Michiru schluckte. Dass der Rennprofi dieses Kompliment ernst meinte, war deutlich herauszuhören. Mit einem leichten Kopfschütteln fand sie zu ihrer Kontenance zurück. „Ich weiß nicht, wen du damit meinen könntest, aber mich würde sie dafür sicher nicht ansprechen. Ich denke, wir werden bald wieder mit meinem Training für den nächsten Schwimmwettbewerb anfangen.“ Haruka ließ sich seufzend auf ihre Bank fallen. „Du nimmst an Wettbewerben teil?“ Michiru nickte, bevor sie sich ebenfalls setzte. „Neben Kunst und Musik ist das Schwimmen meine größte Leidenschaft. Mein Bruder hat es mir beigebracht, als ich kaum laufen konnte. Seitdem komm ich kaum noch raus aus dem Wasser.“ Neugierig hörte sich Haruka alles über Michirus Karriere als Schwimmerin an. So wunderte es sie wenig, dass sich die Streicherin in der Mittagspause Fisch bestellte, um sich auf ihr Element einzustellen, in welches sie in einer knappen halben Stunde eintauchen würde. In dieser Woche war die Blondine auf den Umweg vorbereitet. Daher überzeugte sie Michiru davon, dass sie die kurze Strecke zur Schwimmhalle ruhig mit ihr auf ihrem Motorrad zurück legen könnten. Sie brauchte einen Moment, bis die Künstlerin schließlich einwilligte. Also stieg die Sportlerin schon mal auf ihre Yamaha. Dann hielt sie der Geigerin ihren Helm entgegen. „Nimm schon. Man sollte immer mit den Fehlern anderer rechnen. Ich verspreche dir zwar, dass ich ganz vorsichtig fahre, aber ich könnte es mir nicht verzeihen, wenn uns irgendjemand von der Straße abdrängt und dein hübsches Gesicht auch nur einen Kratzer abbekommt.“, erklärte sie auf Michirus fragenden Blick hin. >Mein hübsches Gesicht?< Die Künstlerin errötete. Warum sagte Haruka so etwas immer wieder? Wollte sie ihre Mitschülerin damit nur in Verlegenheit bringen, oder meinte sie das ernst? Bis auf ihre Familie hatte ihr noch nie jemand solche Komplimente gemacht… „Michiru?“ Die Stimme der Blondine holte sie wieder in die Realität zurück. Schnell nahm sie den Helm an und versuchte sich hinein zu zwängen. Die Sportlerin beobachtete sie schmunzelnd dabei. Dann bat sie ihr ihre Hilfe an und schob den Helm vorsichtig über den Kopf der Schwimmerin. „Er muss eng sitzen. Nur so kann er dich schützen.“, erklärte sie und zog langsam den Gurt an Michirus Kinn enger. Michiru musste bei der zärtlichen Berührung schwer schlucken, was Haruka natürlich nicht entging. Liebevoll lächelte sie die Schönheit an. „Ist alles in Ordnung?“ Zur Antwort bekam sie ein zögerliches Nicken. Grinsend drehte sie sich auf ihrer Maschine in Fahrtrichtung und wartete auf ihren Engel. Dieser stand jedoch grübelnd vor dem Motorrad. Wie sollte sie sich denn da drauf setzen? Mit ihrem Rock konnte sie ja wohl schlecht ein Bein über den Sitz schwingen. Haruka reichte ihr, ohne sich umzudrehen, ihre Hand. „Am besten, du nimmst deine Beine nach links. Dann kommst du nicht versehentlich an den Auspuff.“ Michiru nahm den Ratschlag und die Hilfe gerne an und stieg vorsichtig auf die Maschine. Dann stand sie vor einem neuen Problem. Wo sollte sie sich jetzt fest halten? Einen momentlang überlegte sie, ob sie sich einfach an der Sportlerin fest klammern sollte, doch dann bekam sie schon ihre Antwort. Haruka streckte ihre Hände nach hinten, strich dabei >zufällig?< die Oberschenkel der Violinistin und griff dann nach ihren Armen, um sie zärtlich aber bestimmt an sich zu ziehen. „Du musst dich schon festhalten.“, erklärte sie leise, denn Michiru war jetzt mit ihrem Gesicht fast neben dem der Blondine. Einen Augenblick zögerte die Streicherin noch. Dann legte sie ihre Hände auf dem Bauch der Fahrerin ab, die daraufhin den Motor anstellte und langsam losfuhr. Erst jetzt bemerkte Michiru den Rosenduft, der sie in Harukas Helm umgab. Ohne es steuern zu können, rückte sie noch ein Stück weiter an die Blondine heran. Am liebsten wäre Haruka noch etliche Meilen mit ihrem Engel gefahren. Der Wind peitschte ihr ins Gesicht und der warme Körper der Violinistin rutschte beim Halt an der nächsten Ampel noch ein Stück näher an sie heran. >Konzentrier dich, Tenoh! Fahr einfach zur Schwimmhalle. Du darfst nicht schon wieder zu spät kommen!< Auf dem Parkplatz der Schwimmhalle angekommen stieg Michiru zögerlich vom Motorrad und noch langsamer setzte sie den Helm ab. Sie vermisste den Duft und die Nähe zu der Rennfahrerin schon jetzt. „Bis nachher.“, lächelte die Blondine. Michiru konnte nicht reagieren. Mit roten Wangen und verklartem Blick beobachtete sie, wie ihr Haruka den Helm abnahm, ihn sich selbst aufsetzte und kurze Zeit später auf der Straße verschwand. Haruka bemerkte augenblicklich den dezenten Kirschblütenduft, den Michiru in ihrem Helm hinterlassen hatte, was dazu führte, dass sich die Sportlerin kaum aufs Fahren konzentrieren konnte. Kurz bevor ihre Klassenkameradin Aiko die Tür abschloss, erreichte Haruka die Umkleiden. Mit einem breiten Grinsen schob sie sich an der Schülerin vorbei und sagte noch: „Ich bin gleich da und bring den Schlüssel mit.“, bevor sie die Tür hinter sich schloss. Verwirrt blickte Aiko auf die Klinke, drehte sich dann aber langsam um und begab sich auf die Laufbahn. Nach dem Unterricht wollte Herr Fukami noch wissen, wie der Läuferin der Platz gefiel und ob sie schon die Gelegenheit zum selbstständigen Training ergriffen habe. „Natürlich habe ich das! So eine gute Bahn hatten wir in Nagoya nirgends. Vielen Dank noch mal, dass ich den Platz einfach so nutzen darf.“, grinste die Sportlerin und verabschiedete sich dann von ihrem Lehrer. Als sie die Umkleide erreichte, schrie Aiko kurz spitz auf und auch die anderen Mädchen schnappten sich schnell verschiedenste Kleidungsstücke, um ihre Körper abzuschirmen. „Ich werde euch schon nichts weggucken.“, schmunzelte Haruka und zog ein Handtuch aus ihrer Tasche, um sich dann auf den Weg in die Mädchendusche zu machen. Verwirrte Blicke folgten ihr bis zur Tür. Als sie verschwunden war, tuschelten ihre Mitschülerinnen aufgeregt und zogen sich hektisch ihre Schuluniformen an. Aiko konnte ihrer Neugierde nicht widerstehen. Sie wartete mit zwei Freundinnen im Flur, um ‚diesen dreisten Kerl‘ zur Rede zu stellen, der kurz darauf wieder in seiner Uniform vor ihnen stand und breit grinste. „Tenoh-kun! Wie kannst du dir nur so etwas erlauben? Für wen hältst du dich überhaupt? Du kannst doch nicht einfach so in unsere Umkleide herein spazieren und dann auch noch bei uns duschen gehen!“, stellte Aiko mit lauter Stimme klar. Das Grinsen im Gesicht der Blondine wurde noch breiter. „Ich kann ja mal mit Fukami-sensei reden, aber ich glaube nicht, dass er besonders viel davon hält, wenn sich eine seiner Schülerinnen bei den Jungs duschen und umziehen will. Er scheint mir ja ein toleranter Lehrer zu sein, aber ich denke, das wäre auch für ihn zu viel des Guten.“ Nachdem sie ihnen charmant zugezwinkert hatte, ließ sie die drei offensichtlich verwirrten Mädchen zurück. Mit fast doppelter Geschwindigkeit wie vor dem Sportunterricht raste Haruka zur Schwimmhalle. Sie konnte es kaum erwarten, wieder Michirus warmen Körper hinter sich zu spüren. Daher erreichte sie ihr Ziel, noch bevor die Schwimmerin überhaupt ihr Haar getrocknet hatte. Ungeduldig lehnte die Blondine an ihrem Motorrad und tippte mit ihren Fingern auf dem Tank herum. Als ihr Engel endlich im Eingang auftauchte, lächelte sie ihm freudestrahlend entgegen. „Wartest du schon lange?“, fragte Michiru und blieb dichter vor der Sportlerin stehen, als sie eigentlich geplant hatte. Haruka stieß sich leicht von ihrer Maschine ab und war jetzt nur noch wenige Zentimeter von der Schönheit entfernt. „Auf dich hätte ich auch tagelang gewartet.“, antwortete sie leise. Wieder zauberte sie der Künstlerin damit eine leichte Röte auf die Wangen. Vorsichtshalber senkte Michiru ihren Blick. „Warum sagst du so etwas immer? Du machst mich verlegen, mit deinen ganzen Komplimenten…“, erklärte sie schüchtern. Als sie aufsah, wurde sie sofort von dem strahlenden Grün Harukas Augen gefesselt. „Es tut mir leid, wenn es dir unangenehm ist. Aber ich kann nun mal nicht für mich behalten, wie wunderschön du bist.“, flüsterte die Sportlerin zurück. Zärtlich legte sie eine Hand auf die Wange der Violinistin, die daraufhin verträumt ihre Augen schloss. „Bis morgen, Kaioh-san!“, ertönte plötzlich die Stimme von Frau Ogata und ließ die beiden aufschrecken. „Ja, bis morgen, Ogata-sensei.“, antwortete Michiru, als sie sich wieder gefangen hatte. Flüchtig sah sie ihrer Lehrerin, die in ihr Auto stieg und dann verschwand, nach und nutzte die Gelegenheit, um einmal tief Luft zu holen. Dann lächelte sie wieder zu Haruka. „Wollen wir los?“, überspielte sie ihre Nervosität und nahm den Helm vom Motorrad der Rennfahrerin. Die Blondine half sofort beim Aufsetzen und diesmal rückte die Violinistin gleich dichter an die Fahrerin heran. Die Streicherin machte noch einen tiefen Atemzug und ließ sich von dem Rosenduft augenblicklich benebeln. Haruka wählte einige Umwege und fuhr außergewöhnlich vorbildlich, um die kurze Fahrt zur Schule voll auszukosten. Sie wollte nicht, dass ihr Engel wieder abstieg, auch wenn sie danach noch zusammen ihre Hausaufgaben machen würden. Diese hitzige Nähe würde sie dabei nicht spüren können. Auf dem Schulparkplatz angekommen, half sie ihrer Mitschülerin vom Motorrad und bat ihr an, sie anschließend auch nach Hause zu fahren. „Danke, aber ich wohne doch einige Straßen weiter… Meine Wohnung liegt nicht gleich um die Ecke, so wie die Schwimmhalle.“, erklärte Michiru. „Ach, das macht mir nichts aus. Ich fahre gerne durch die Gegend und was hätte ich für einen triftigeren Grund dafür, als dich nach Hause zu bringen?“ „Aber du hast nur einen Helm dabei! Und wir müssten nicht nur durch irgendwelche kleinen Gassen, sondern über den Highway und ohne Helm lasse ich dich da nicht fahren!“, bestimmte die Geigerin. „Okay, dann bringe ich morgen einen zweiten mit und fahre dich dann.“, grinste die Blondine und erntete von ihrem Gegenüber zwar ein resignierendes Seufzen, aber auch ein dankbares Lächeln. Als Haruka am nächsten Morgen vor dem Schuleingang auf Michiru wartete, registrierte sie zahlreiche Blicke von Mitschülern, sogar von Schülern aus anderen Klassenstufen. Wissend begann sie zu grinsen und als die Künstlerin eintraf, machten sie sich auf den Weg zum Musikraum. „So früh schon so gut gelaunt? Habe ich was verpasst?“, fragte die Violinistin. „Du nicht. Aber alle anderen, wie es scheint.“, grinste die Pianistin noch breiter. Sie erreichten den Raum nur wenige Augenblicke vor Unterrichtsbeginn, weshalb ihren Mitschülern keine Zeit mehr blieb, die Sportlerin auf ihren gestrigen Auftritt in der Umkleide anzusprechen. Erst als Herr Nanba den Unterricht beendet hatte, kamen Junko und Kikyo auf die Blondine zu. „Das war ja eine interessante Methode für dein Outing, Haruka-san.“, flötete die Klassensprecherin und verließ mit ihrer Freundin lieber den Raum, bevor der Ansturm los ging. Überraschenderweise fiel dieser relativ klein aus. Die meisten Schüler tuschelten nur. Irgendwie traute sich niemand so wirklich, die Sportlerin anzusprechen. Fragend sah Michiru zu ihrer Freundin. „Seit gestern ist mein kleines ‚Geheimnis‘ wohl gar kein Geheimnis mehr.“, lachte die schulterzuckend. Es schien, als hätte der ganze Schulhof kein anderes Thema mehr. Verfolgt von neugierigen Blicken steuerten Haruka und Michiru ihren Lieblingsplatz an. „Wie hältst du das nur aus? Mir reicht es ja schon, wenn ich auf der Bühne stehe und beobachtet werde. Da lästert allerdings niemand über mich. Glaube ich zumindest…“ „Ich habe mich daran gewöhnt, in der Öffentlichkeit zu stehen. Und glaub mir, die Medien können viel bissiger als jeder Schüler sein.“, seufzte die Blondine, woraufhin sie fragend angesehen wurde. „In Nagoya war ich bekannt wie ein bunter Hund. Das hatte nicht nur Vorteile. Ein richtiges Privatleben war gar nicht möglich. Das ist auch ein Grund, weshalb ich jetzt hier bin.“ „Du hast bisher nicht viel über deine Zeit in Nagoya erzählt. Eigentlich… weiß ich so gut wie nichts über dich, Haruka.“, stellte Michiru enttäuscht fest. „Naja, es fällt mir nicht leicht, darüber zu reden. Aber allein die Tatsache, dass ich lieber in einem Hotel lebe, als in einem großen Haus mit Garten und allem Drum und Dran, beweist ja schon, dass ich wohl gute Gründe hatte, von da abzuhauen.“, antwortete die Sportlerin und biss in ihren Apfel. Schweigend beobachtete die Violinistin die Blondine. >Haruka wohnt in einem Hotel? Wieso? Und hat sie gesagt, sie wäre von zuhause abgehauen?< Bevor sie weiter nachfragen konnte, stellte die Pianistin fest, dass die Pause fast vorüber war, also machte sie sich auf den Weg zum Astronomieunterricht, währenddessen Michiru die Richtung zu ihrem Psychologiekurs einschlug. Im Raum für Hauswirtschaftskunde ergriff Hiro die Gelegenheit, da die Lehrerin, Frau Amano, noch nicht zu sehen war. Er stützte sich mit den Händen auf Harukas Tisch ab und musterte auffällig ihr Gesicht. „Hab ich da was?“, grinste Haruka und rieb sich die Wange. „Was? Nein! Wieso?“ „Ganz offensichtlich kannst du den Blick nicht von mir wenden. Ich hatte gehofft, das läge an einem Fleck oder so. Ich wollte nicht gleich davon ausgehen, mein gutes Aussehen hätte dich in seinen Bann gezogen.“ „Was?“ Hiro war sichtlich verwirrt. Immer wieder blickte er ungläubig zu seiner Kontrahentin zurück, währenddessen er an seinen Platz zurück trottete. Als er saß, meinte Haruka die Worte: „Das macht überhaupt keinen Unterschied!“ von seinen Lippen ablesen zu können. Grinsend suchte sie Blickkontakt zu Kikyo und Junko, die auf der anderen Seite des Raumes lautlos applaudierten, woraufhin sich die Sportlerin übertrieben tief verbeugte. Michiru hatte Hiro und Haruka lächelnd beobachtet, doch als sie sah, wie sich Haruka mit der Klassensprecherin und deren Freundin wortlos verstand, legte sie die Stirn in Falten. In der Mittagspause wurde Haruka auf ihrem Weg in die Mensa abermals von allen Seiten beobachtet. Fast schon entsetzt stellte ihre musikalische Freundin fest, dass ihr das offenbar auch noch Spaß machte. Als sie dann jedoch Hiro entdeckte, der regelrecht geschockt mit seinem Anhang ein paar Tische weiter saß, musste auch die Streicherin schmunzeln. „Das muss ein ganz schöner Schock für ihn gewesen sein. Erst legt er sich mit einer Frau an und dann muss er sich auch noch eingestehen, dass er wohl keine Chance gegen sie hat. Er ist einem Mädchen gegenüber noch nie handgreiflich geworden. Offenbar gab es für ihn doch eine Grenze… Auch Narumi-san sieht irgendwie geschockt aus. Sie war eigentlich vom ersten Tag an scharf auf dich, wusstest du das?“, zwinkerte sie Haruka zu. „Was soll ich sagen? Sie wäre damit nicht die Erste. Bei meinem guten Aussehen kann man das ja auch verstehen.“, grinste die frech und warf ihren Kopf zur Seite, um eine imaginäre Strähne aus ihrem Gesicht zu wirbeln. Bei dieser Geste musste Michiru anfangen zu lachen. Die Blondine lächelte sie daraufhin verträumt an >Zum ersten Mal, seit wir uns kennen, lacht sie so richtig< Sie beugte sich ein Stück weit über den Tisch, um ihr leise zu erklären: „Narumi hatte aber nie eine Chance bei mir. Ich habe mich von Anfang an nur für ihre Freundin interessiert.“ Augenblicklich stellte sich das Gelächter der Violinistin ein. Erneut konnte sie den aufsteigenden Rotschimmer auf ihren Wangen nicht verbergen und sah verlegend auf ihr Tablett. >Schon wieder. Will sie mich in Verlegenheit bringen? Das hat sie jedenfalls geschafft. Ich verstehe nicht ganz, warum… aber irgendwie könnte ich ihr dabei stundenlang zuhören. Diese Aufmerksamkeit... gerade von ihr. Sie erfüllt mich mit so einer Wärme... Was ist das nur? Hatte Setsuna recht?<, überlegte die Geigerin. Schüchtern sah sie in das Gesicht ihres Gegenübers. Auch wenn sie es nur aus Spaß gesagt hatte, Haruka war wirklich schön. >Geradezu atemberaubend<, dachte die Künstlerin und ließ ihren Blick wandern. Diese feinen Gesichtszüge… Die sanften Lippen, auf denen sich ein Lächeln abzeichnete… Diese strahlendgrünen Augen, in denen sie sich verlieren konnte und die sie… direkt anstarrten! Michiru schrak kurz auf und die Röte kehrte augenblicklich wieder in ihr Gesicht zurück, woraufhin die Blondine schmunzeln musste. „Du warst wohl gerade etwas abwesend.“, lächelte sie und stand dann auf. Nachdem sie sich wieder gefangen hatte, erhob sich auch die Violinistin und folgte Haruka zum Mathematikunterricht. Die letzte Stunde vor dem Wochenende ging schnell vorbei und so verabschiedeten sich Junko und Kikyo mit einem „Bis später dann!“ von ihrer sportlichen Freundin, die von Michiru daraufhin überrascht angesehen wurde. „Nichts von Bedeutung.“, wehrte die Blondine den fragenden Blick ab und schulterte grinsend ihren Rucksack. „Wollen wir los?“ Lächelnd nickte die Streicherin. Auf dem Parkplatz half Haruka Michiru ohne Aufforderung beim Aufsetzen des Helmes und sicherte sich anschließend selbst. Michiru gab ihr noch eine kurze Wegbeschreibung und setzte sich danach wieder so dicht wie möglich hinter die Rennfahrerin, der sofort auffiel, dass ihr die Schönheit von Mal zu Mal näher kam. Um diese Uhrzeit war die Straße nicht sehr dicht befahren, also gab die Blondine nach und nach mehr Gas. Die Wärme, die Michirus Körper, der sich bei steigender Geschwindigkeit immer enger an ihren presste, ausstrahlte, machte es ihr schwer, sich aufs Fahren zu konzentrieren. Trotzdem hätte sie am liebsten die Zeit angehalten, um den Moment nicht vergehen zu lassen. Langsam bog die Rennsportlerin in die Straße ein, in der das Hochhaus stand, in dem Michirus Wohnung lag. Und noch langsamer lockerte die Schwimmerin den Griff um Harukas Taille. Etwas geknickt befreite sie sich von ihrem Helm und sah an dem Gebäude vor ihr hinauf. „Hast du heute noch etwas vor?“, fragte Haruka plötzlich. Michiru dachte kurz nach, schüttelte dann aber den Kopf: „Nicht, dass ich wüsste.“ „Na wenn das so ist, schlage ich vor, du bringst deine Sachen nach oben und ich lade dich auf einen Kaffee ein. Oder Tee, wenn dir das lieber ist.“ Es dauerte noch einen Moment. Dann begann die Geigerin zu lächeln und nickte. Zügig lief sie die Treppen hinauf, an Setsuna und Hotaru vorbei, warf ihre Tasche auf ihr Bett und stolperte zurück in die Küche zu ihrer Schwester und deren Mutter. Verwundert schaute die Erwachsene in das strahlende Gesicht ihrer Stieftochter. „Ich bin dann mal weg, keine Ahnung, wann ich wieder zurück bin. Ich geh mit Haruka einen Kaffee trinken.“, grinste sie und wollte sich gerade wieder auf den Weg machen. „Warte, Michiru!“, ertönte es hinter ihr. Nach nur wenigen Schritten stand Setsuna vor ihrem Schützling und nahm deren Gesicht in ihre Hände. „Du meine Güte, du glühst ja geradezu vor Vorfreude. Dich muss es ja ganz schön erwischt haben, was?“, lächelte sie sanft. Michiru rollte mit den Augen, grinste aber verlegen. „Vergiss nicht, dass du morgen ein wichtiges Vorspiel hast. Sei also bitte bis zum Abendessen wieder hier. Ich wünsche dir viel Spaß!“ Lässig an ihrer Yamaha lehnend wartete Haruka vor der Tür. Gedankenverloren musterte sie das Haus, in dem ihr Engel verschwunden war. Es machte keinen schlechten Eindruck. Es war ein modernes Hochhaus, das vermutlich erst vor ein paar Jahren errichtet worden war. Auch die Autos, die am Straßenrand standen, sprachen nicht gerade für schlechtverdienende Besitzer. Das war auch nicht weiter verwunderlich. Immerhin stand das Gebäude in einem der teureren Bezirke Tokios. Es war nicht ganz so edel wie Minato, trotzdem konnte sich hier sicher nicht jedermann eine Wohnung leisten. Nach wenigen Minuten erschien Michiru prustend wieder im Eingang. „Bist du etwa gerannt? Ich habe doch gesagt, du kannst dir zeitlassen.“, schmunzelte Haruka. „Bevor du doch abhaust, weil ich dir zu lange brauche…“ Die Sportlerin machte einige Schritte auf die schnell atmende Schönheit zu und blieb dicht vor ihr stehen. „Willst du es nochmal hören? Ich würde auf dich tagelang warten. Oder auch länger, wenn es sein muss.“ Wieder konnte sie die kräftiger werdende Röte auf Michirus Wangen erkennen. Diese hielt dem Blick diesmal jedoch stand. >Mal sehen, ob ich das auch kann, Tenoh Haruka<, dachte sie sich und sah der Blondine verführerisch in die Augen. Sie musste sich zwar darauf konzentrieren, nicht selbst in dem strahlenden Grün unterzugehen, erkannte jedoch bald, wie sich die Pupillen ihres Gegenübers weiteten. Es dauerte nicht lange und Haruka versank förmlich in dem Türkis, das ihren Blick festzunageln schien. Irgendwie hatte sie das Gefühl, sie würde in den verschiedenen Blau- und Grüntönen ertrinken. Trotzdem war es ein unbeschreiblich schönes Gefühl, nach dem die Blondine augenblicklich süchtig wurde. Michiru begann triumphierend zu lächeln. „Wollen wir los, oder willst du mich lieber weiter anstarren?“, fragte sie und ließ ihre Mitschülerin damit aufschrecken. „Ähm, ja. Klar. Also nein. Ich meine,… wir können los.“ „Was gibt’s denn da zu sehen, Mama? Hat Chiru-chan ein Date?“, fragte Hotaru neugierig und zerrte an dem Arm ihrer Mutter. Setsunas Neugierde war einfach zu stark und so hatte sie, nachdem Michiru verschwunden war, das Fenster geöffnet und vorsichtig hinaus gespäht. Unten erkannte sie einen Blondschopf, der sich an ein Motorrad lehnte, an dessen Lenker zwei Helme hingen. >Das muss sie wohl sein<, dachte sie sich und zog sich schnell wieder zurück, als die Blondine aufsah. Einen momentlang wartete sie noch. Dann sah sie wieder vorsichtig nach draußen. Sie erkannte Michiru und beobachtete, wie die Blondine auf ihre Stieftochter zuging. „Was ist denn nun? Lass mich auch mal gucken!“, bettelte Hotaru. Setsuna legte sich einen Finger auf die Lippen. „Du darfst aber nicht nach unten rufen, Taru-chan.“, erklärte sie und machte ein wenig Platz am Fenster. Gemeinsam sahen sie wieder hinaus. Sie erkannten, wie die beiden nur Zentimeter voneinander entfernt standen. „Was machen die denn? Da passiert ja gar nichts.“, stellte die Kleine enttäuscht fest. Die Erwachsene erkannte hingegen sofort, was für eine Spannung zwischen den beiden Jugendlichen lag. Sie lächelte still und als Haruka dann plötzlich nach einem der Helme griff und ihn Michiru aufsetzte, musste sie kichern. „Okay, viel zu erkennen war ja nicht, aber von hier oben sah der ja echt nicht schlecht aus.“, stellte Hotaru fest, als die beiden aufs Motorrad gestiegen und davon gefahren waren. Setsuna überlegte kurz. „Sie.“, stellte sie knapp klar und erntete dafür einen verwirrten Blick. „Haruka ist ein Mädchen.“, erklärte sie nun ausführlicher. Hotaru legte ihre Stirn in Falten. „Ein Mädchen? Aber die beiden haben sich doch so verliebt angesehen…“ „Ja, manchmal ist das so. Viele Mädchen verlieren ihre Herzen an einen Jungen, aber deine große Schwester hat sich offensichtlich Hals über Kopf in eine junge Frau verliebt.“ Kapitel 7: ----------- Kapitel 7 Irgendwie fühlte sich Michiru von den ganzen Sinneseindrücken überfordert. Der Rosenduft benebelte sie und Harukas warmer Körper so dicht vor ihrem eigenen verursachte ein Kribbeln, das sich von ihren Fingerspitzen aus bis hin zu ihrem Herzen auszubreiten schien. Sie bekam eine Gänsehaut, schloss ihre Augen und schmiegte sich noch dichter an die Fahrerin. Ohne die Welt um sich herum zu sehen, hatte sie bei der für den Highway üblichen hohen Geschwindigkeit das Gefühl, gleich abzuheben. Auch Haruka genoss die Fahrt in vollen Zügen. Sie konnte spüren, wie sich ihr Engel förmlich fallen ließ und der Blondine ihr vollstes Vertrauen schenkte. Ihre Sinne schienen bei dieser Gewissheit zu verschwimmen, doch die Verantwortung, der sie sich angenommen hatte, zwang sie zur Konzentration. Als sie von der Schnellstraße wieder abgefahren war, bemerkte sie, wie sich der Griff ihres Schützlings an jeder roten Ampel leicht lockerte, um bei jedem Anfahren nur noch stärker zu werden. Als sie ihr Ziel erreicht hatten, bekam die Sportlerin durch die feste Umklammerung kaum noch Luft und drehte langsam ihr Gesicht zur Seite. „Du musst ja nicht los lassen, aber wir sind da.“, sprach sie leise. Michiru hatte gar nicht bemerkt, dass sie angehalten hatten und öffnete etwas erschrocken ihre Augen. Kurz sah sie sich um und löste dann ihren Griff. Auffallend langsam zog sie ihre Arme an sich, wobei sie neugierig über die Taille der Rennfahrerin strich. Vorsichtig rutschte sie vom Motorrad und wandte sich der anderen Straßenseite zu. Weniger, um sich zu orientieren, als um ihre erröteten Wangen zu verbergen. Auch Haruka stieg jetzt von ihrer Maschine, befreite sich von ihrem Kopfschutz und trat an die Streicherin heran. Sanft aber bestimmt griff sie nach Michirus Arm. Sie drehte sie zu sich herum und legte ihre linke Hand auf deren Taille ab, um mit der anderen den Gurt unter dem Kinn der Schönheit zu lösen. Langsam ließ sie ihre Linke über den Körper der Violinistin nach oben streichen und befreite sie schließlich von ihrem Helm. Bei der liebevollen Geste blieb der Künstlerin fast die Luft weg. Erneut schloss sie die Augen. War das alles real? Vorsichtig sah sie wieder auf und ließ sich sofort von dem strahlenden Grün fesseln. Ohne von ihrem Engel abzusehen, hängte Haruka auch den zweiten Helm an den Lenker ihrer Yamaha. Dann hob sie erneut ihre Hand um Michiru sanft über ihre Wange zu streichen. „Schön, dass du dir Zeit für mich nimmst.“, flüsterte sie und verschränkte anschließend ihre Finger mit denen der Geigerin. Lächelnd nickte sie in Richtung eines kleinen Cafés und gab der Violinistin, die sich immer noch nicht regte, einen liebevollen Stupser. In einer ruhigen Ecke bat Haruka ihrer Schönheit hilfsbereit einen Platz an und setzte sich ihr anschließend gegenüber. Beide bestellten sich einen Tee und warfen einander verstohlene Blicke zu. „Ich dachte, du kennst dich hier noch nicht richtig aus. Und doch hast du mich hierher bringen können.“, fand Michiru als erste ihre Stimme wieder. „Mein Hotel liegt hier ganz in der Nähe. Und ein paar Runden habe ich hier ja nun auch schon gedreht. Ich war zwar noch nie hier zu Gast, aber von außen ist mir das Café schon aufgefallen…“, erklärte die Sportlerin. Michiru nickte verstehend und nahm den ihr gebrachten Tee entgegen. „Haruka, du warst neulich so verschlossen… Darf ich dich etwas fragen?“, sprach die Violinistin zögerlich. Die Pianistin überlegte kurz. Dann lächelte sie. „Natürlich. Was möchtest du wissen?“ „Naja… du hast gesagt, in Nagoya lebtest du in einem großen Haus mit allem Drum und Dran… Aber jetzt wohnst du hier in einem Hotel… Und das, wie es scheint, auch noch allein… Wieso?“, fragte die Geigerin vorsichtig. Haruka atmete einmal tief durch. Sie hatte geahnt, dass diese oder eine ähnliche Frage auf sie zukommen würde, und jetzt konnte sie sie nicht mehr abwehren. „Eigentlich war ich auch in Nagoya schon allein. Bis auf Obaa-san, die ich vielleicht ein Mal im Monat sah, meinen Trainer und Sanji, einem Teammitglied, hatte ich eigentlich niemanden… Ich habe nicht viel auf Freundschaften gegeben. Sie kamen mir irgendwie kompliziert vor. Ich denke, die meisten Menschen hatten eh nur aus Prestigegründen Interesse an mir.“ Die Blondine starrte auf ihren Tee und rieb zur eigenen Beruhigung die Hände ineinander. „Was ist mit deinen Eltern?“, fragte Michiru sanft. Haruka sah auf. Sie sprach nicht gerne über ihr Privatleben. Und diese Frage gehörte zu einem Thema, das sie lieber totschwieg. Einen Moment lang sah sie noch schweigend in die türkisblauen Augen ihres Gegenübers. „Weißt du, eigentlich rede ich nicht gern über meine Vergangenheit… Es ist nicht so, als würde ich dir nicht vertrauen oder so… Aber diese Gefühle… So etwas fällt mir nicht leicht.“, erklärte sie verlegen und starrte auf ihr Getränk. „Es tut mir leid, Haruka. Ich wollte dich nicht bedrängen, also-“ „Das hast du nicht!“, schnitt ihr die Sportlerin das Wort ab. „Ehrlich. Ich musste mich nur kurz sammeln.“, fügte sie hinzu. „Meine Eltern leben nicht mehr. Sie sind vor fast sechs Jahren gestorben. Sie waren Leiter einer Mikrochipfirma… Eines Tages, brach irgendwie ein Feuer aus, in einem Fabrikabschnitt. Normalerweise haben ja solche Leiter irgendwo abgeschieden ihr Büro und betreten so gut wie nie den Betrieb. Aber meine Eltern waren da ganz anders. Obwohl das Unternehmen sehr erfolgreich war und permanent wuchs, waren meine Eltern viel in den Hallen unterwegs. Sie behandelten jeden gleich, ob Abschnittsleiter oder Hausmeister. Sie kannten auch so gut wie jeden Mitarbeiter persönlich. Trotz ihrer Größe, sollte die Firma ein Familienunternehmen bleiben. Jeder, der ein Problem hatte, konnte zu ihnen kommen, egal wann. Mein Vater hat mich hin und wieder mal mitgenommen. Mir alles gezeigt, mich jedem ganz stolz vorgestellt. Und auch ich war stolz! Es schafft nicht jeder, so erfolgreich zu sein und doch auf dem Boden zu bleiben.“ Ein verträumtes Lächeln trat auf das Gesicht der Leichtathletin, das langsam wieder verblasste, als sie schwer einatmete, um weiter zu erzählen. „Wir wollten in den Urlaub fahren. Die Sachen waren schon gepackt und verstaut. Meine Schwester und ich stiegen gerade ein, als der Anruf kam. Irgendwas stimmte wohl mit einer Lieferung nicht. Also entschieden meine Eltern, dass sie auf dem Weg zum Flughafen nur kurz vorbeisehen wollten. Im Betrieb angekommen wollte ich mit aussteigen, aber meine Mutter sagte, das wäre für mich eh zu langweilig. Dabei fand ich das alles immer ganz interessant. Mein Vater sagte nur, es wäre ein kleines logistisches Problem, grinste mich an und ging dann voraus. Mutter kam noch einmal zum Fenster und sagte, ich solle nicht bocken, weil mir dann Hörner wüchsen.“, schmunzelnd stockte Haruka erneut. „Dann gab sie mir einen Kuss auf die Stirn, sah zu meiner Schwester und sagte, sie solle auf mich aufpassen, dass ich keinen Blödsinn anstelle, und lief ihm dann nach… Ich versuchte gerade aus meiner Schwester herauszubekommen, wo unser Flug hingehen würde. Unsere Eltern überraschten uns gerne mit den verschiedensten Urlaubszielen, aber mit fast sechszehn wollte meine Schwester nicht mehr überrascht werden. Sie ärgerte mich immer damit, dass sie mehr wusste als ich.“ Die Blondine brach in ihrer Erzählung ab. Sie starrte mit verklartem Blick auf ihr Teeglas. Plötzlich spürte sie eine beruhigende Wärme. Michiru hatte ihre Hände zärtlich auf die der Sportlerin gelegt und sah ihr nun sanft in die Augen. „Ich werde diesen Knall niemals vergessen können, Michiru. Ich habe sie genau gesehen. Die Explosion. Sie war nicht rot oder gelb oder orange, wie das Feuer, das aus ihr entstand. Es war ein weißes Licht. Ich glaube, ich werde mir nie den Namen von dem Stoff merken können, der sich da entzündet hatte. Ich stieg aus dem Auto, aber meine Schwester stand sofort vor mir und drängte mich zurück. Ich weiß nicht, was sie gerufen hat. Ich war taub von dem lauten Knall. Wir kauerten Arm in Arm auf dem Rücksitz. Wir beide wussten, dass unsere Eltern den Unfall unmöglich überlebt haben konnten. Irgendwann kamen Feuerwehrleute und Ärzte, aber meine Schwester hat mich nicht losgelassen. Sie hatte ja versprochen, auf mich aufzupassen.“ Harukas Blick war leer und abwesend und Michiru verschränkte jetzt ihre Finger mit denen der Pianistin. Die Blondine sah erst auf die Hände der Künstlerin und schließlich wieder in ihre Augen. „Irgendwann haben sie uns dann doch aus dem Wagen bekommen, aber meine Hand ließ sie nicht los. Wir wurden im Krankenhaus untersucht, bekamen Blutverdünner, damit der Tinnitus aufhörte zu pfeifen. Sie brachten uns zu unserem Onkel, dem Bruder meines Vaters. Meine Schwester zog nach ihrem Abschluss aus und ich jetzt. Ich habe es da einfach nicht mehr ausgehalten. Er konnte mir einfach kein Zuhause geben…“ Wieder machte sie eine kurze Pause, bevor sie weiter sprach. „Auch von meinem Team bekam ich keinen Rückhalt. Mein Trainer war zwar immer sehr besorgt um mich, aber trotzdem wahrten wir eine gewisse Distanz. Immerhin war er ja nun mal mein Trainer. Und Sanji war der einzige, dem ich mich anvertrauen konnte. Aber er war eben nur ein Teammitglied. Die anderen waren gegen mich. Diese ständigen Lästereien… Manchmal hinter meinem Rücken, manchmal ganz offen. Ich musste da einfach raus. So schnell wie möglich. Also bin ich jetzt hier. Und da ich noch nicht achtzehn bin, kann ich noch keinen Mietvertrag unterzeichnen oder über mein Erbe verfügen. Also lebe ich von meinen Preisgeldern in einem Hotel.“ Einen Moment lang herrschte Stille. Michiru hatte ihre Mitschülerin die ganze Zeit über schweigend angesehen. Leise seufzte sie. „Das alles tut mir sehr leid, Haruka. Und ich danke dir, dass du dich mir anvertraut hast. Ich verstehe, dass es nicht leicht für dich ist, über deine Vergangenheit zu reden…“, sprach sie leise und die Blondine hob ihren Blick. „Ich habe noch nie so mit jemandem darüber gesprochen. Obaa-san wollte mich zwar immer trösten, aber wenn ich bei ihr war, wollte ich nicht daran erinnert werden. Meiner Schwester tut es vermutlich genauso sehr weh wie mir, also spricht auch sie so gut wie nie darüber. Und meinen Onkel hat es sowieso nie interessiert, wie es mir ging.“ Bei den letzten Worten verfinsterte sich ihr Blick. Sanft streichelte Michiru Harukas Hand und holte sie damit wieder aus ihrer Erinnerung zurück. Harukas Miene erhellte sich, als sie in das Gesicht der Künstlerin sah. „Aber jetzt habe ich ja dich. Irgendwie tut es mir gut, nach all den Jahren doch mal darüber sprechen zu können. Ich danke dir.“, sprach sie leise lächelnd. Die Worte der Sportlerin erfüllten Michiru mit Stolz. Dieses Vertrauen konnte sie bisher immer nur innerhalb ihrer Familie spüren. Vielleicht stimmte Setsunas Vermutung. Vielleicht hatte sie tatsächlich den einen für sie bestimmten Menschen gefunden. Bei diesem Gedanken errötete die Schönheit leicht und erschrak fast bei der Erkenntnis, dass sie immer noch die Hand der Pianistin hielt. Schnell zog sie ihre eigene wieder zurück und ihre Gesichtsfarbe wurde noch kräftiger. „Du siehst bezaubernd aus, mit diesem Rotschimmer auf den Wangen. Woran hast du gedacht?“, bemerkte Haruka schmunzelnd. Schnell schnappte sich Michiru die Eis-Karte. Eigentlich war es ja noch zu kalt für Eis, aber ihr fiel kein besserer Themenwechsel ein. „Ich habe Hunger und habe gedacht, du hättest vielleicht gehört, wie mein Magen knurrt.“, log sie und war selbst ein wenig überrascht über diesen plausiblen Einfall. „Wenn du wirklich Hunger hast, würde ich dir eher die Crêpe-Karte empfehlen.“, grinste die Blondine breit. „Aber wir können auch gerne noch woanders hingehen und ich lade dich auf ein Abendessen ein.“ „Danke, aber ich soll zum Abendbrot wieder zuhause sein. Ich muss morgen noch zu einem Vorspiel. So ein Crêpe hört sich allerdings gar nicht mal so schlecht an.“, stellte die Streicherin fest. Nachdem jede einen französischen Eierkuchen verspeist und Haruka erzählt hatte, wie sie über ihren Vater zum Motorsport gekommen war, bemerkte Michiru, dass sie beobachtet wurden. Zuerst hielt sie es für einen Zufall, dass die Brünette ein paar Tische weiter hin und wieder ihren Blick traf, aber als sie erkannte, wie diese junge Frau auch immer wieder zu ihrer Mitschülerin sah, wurde sie stutzig. „Ich glaube, wir werden beobachtet. Dreh dich aber nicht um!“, murmelte sie in ihr Teeglas. „Ach ja?“, Haruka sah neugierig auf. „Von wem?“ „Da sitzt so eine junge Brünette. Sieht nicht sehr japanisch aus. Und die guckt andauernd zu uns rüber.“ Die Blondine versuchte in einer Glasscheibe hinter Michiru die Frau zu erkennen. >Sarah?<, grübelte sie kurz und versuchte zu verbergen, wie unwohl sie sich jetzt fühlte. Was jetzt? Sollten sie einfach warten, bis die Amerikanerin wieder verschwand oder sollten sie lieber selbst gehen. Was, wenn Sarah sie ansprach und den Abend an der Hotelbar erwähnte? Michiru würde ihr doch nie im Leben glauben, dass die Sportlerin kein Interesse an der attraktiven Ausländerin gezeigt hätte! „Darf es noch etwas sein?“, fragte ein Kellner, der plötzlich hinter der Sportlerin stand. Kurz überlegte sie und bestellte dann die Rechnung. Michiru konnte ihre Enttäuschung für einen Moment nicht verbergen, was Haruka erneut zum Schmunzeln brachte. „Keine Sorge, ich wollte dich noch nicht nach Hause bringen.“ Als die Rennfahrerin bezahlt hatte, stand sie auf, um Michiru die Hand zu reichen. Kurz ließ sie den Blick schweifen, erkannte aber gleich, dass nur der Weg direkt an Sarahs Tisch vorbei nach draußen führte. Als sie fast auf deren Höhe waren, passierte, was die Blondine befürchtet hatte. „Hallo Haruka.“, wurde sie von der Brünetten mit einem ganz offensichtlich aufgesetzten Grinsen begrüßt. „Guten Abend Sarah. Was für ein Zufall. Ähm, ich kann dir den Bancha hier empfehlen.“, versuchte die Leichtathletin abzulenken. „Tee? Ich dachte, du wärst eher ein Weintrinker.“ Die Amerikanerin musterte abwertend den Körper der türkishaarige Begleitung ihrer Bekanntschaft. Haruka entging dieser Blick nicht. Sie legte einen Arm um Michirus Taille und schob ihre Mitschülerin sanft aber bestimmt vorwärts. „Nur wenn ich nicht mehr fahre. Schönes Wochenende.“, gab sie grimmig zurück, um mit ihrem Engel kurz darauf das Café zu verlassen. Draußen angekommen sah die Violinistin zu Haruka auf. „Wer war das denn?“, fragte sie im skeptischen Tonfall. „Sarah ist eine Kunstsammlerin aus den Staaten. Sie wohnt im selben Hotel wie ich und hat mich neulich angesprochen, ob ich mich hier auskenne. Ich hab ihr aber erklärt, dass ich erst hergezogen bin.“, antwortete die Sportlerin und ließ den Rest der Wahrheit lieber weg. Ganz kaufte ihr das die Künstlerin nicht ab, aber sie ließ sich weiter zu der Maschine führen und setzte diesmal selbst ihren Helm auf. Hatte sie sich in Haruka getäuscht? Sie war plötzlich so komisch. Als versuchte sie, etwas zu verbergen. Und das, nachdem der Nachmittag so gut angefangen hatte. Als die Blondine den Motor startete, stieg Michiru auf. Ihr Griff nicht war diesmal nicht mehr so stark wie vorher. Michiru war verunsichert. Erst als die Rennfahrerin ihre Maschine beschleunigte, rutschte die Violinistin wieder näher an sie heran. >Du bist so ein Idiot, Tenoh! Du interessierst dich einzig und allein für diesen Engel und trotzdem riskierst du so etwas! Das darf nie wieder passieren!<, fluchte die Läuferin in sich hinein. Der Wind half ihr, ihre Gedanken zu ordnen und als sie schneller fuhr, konnte sie endlich wieder die Wärme ihres Schützlings hinter sich spüren. Sie richtete sich etwas auf und nahm eine Hand kurz vom Lenker, um sie auf Michirus zu legen. Augenblicklich merkte sie, wie sich die Künstlerin endlich wieder stärker an ihr festhielt. Harukas Gedanken beruhigten sich allmählich und sie schlug einen ihr vertrauten Weg ein. Nach einigen Minuten drosselte sie das Tempo der Maschine. Sie fuhr langsam über eine lange Brücke in der Bucht von Tokio. Am anderen Ufer angekommen, nahm sie Kurs auf eine zweite Brücke, auf der sie schließlich zum stehen kam. Die Blondine setzte sich ihren Helm ab und legte dann beide Hände auf die ihres Engels, der sich immer noch an ihr festhielt. Neugierig sah sich die Künstlerin um. Sie rutschte noch ein Stück weiter vor, um sich mit ihrer Rechten von dem Kopfschutz befreien zu können, ohne vom Motorrad zu rutschen. Als ihr der Wind durchs Haar fuhr, schloss sie die Augen. Fast sehnsüchtig atmete sie die salzige Meeresluft ein und lauschte dem Meer unter ihnen. Nachdem sie ein paarmal tief Luft geholt hatte, stieg sie ab, hängte ihren Helm zu dem anderen am Lenker und schritt zum Brückengeländer. Die Sonne stand bereits tief am Himmel und im Wasser brach sich das Licht in verschiedenen Farbtönen. Ein starker Windzug fuhr um ihren Körper und sie begann zu frieren. Sie hob ihre Schultern und umklammerte sich. Sanft legten sich ihr zwei weitere Arme um ihren Körper und sie spürte, wie Haruka langsam an sie heran trat. Als sie ihr gerade nahe genug war, ließ sich Michiru nach hinten fallen, woraufhin sich die Umarmung der Blondine festigte. Verträumt legte die Violinistin ihren Kopf schief und wandte ihr Gesicht halb dem Oberkörper der Sportlerin zu. Der vertraute Rosenduft umnebelte sie wieder und sie schmiegte sich in das Hemd der Leichtathletin. Diese legte sanft ihre Wange auf Michirus Scheitel ab und umklammerte sie noch mehr. Schweigend standen sie da und sahen dem Sonnenuntergang entgegen. Haruka genoss den Augenblick in vollen Zügen. Der Wind spielte in ihrem Haar, die Sonne strahlte ihr wärmend ins Gesicht, der Kirschblütenduft Michirus schaltete ihren Verstand endgültig aus. Sie dachte an nichts mehr, spürte nur noch das Hier und Jetzt. Auch als die Sonne mit einem letzten grünen Leuchten hinter dem Horizont verschwunden war, blieben die beiden jungen Frauen regungslos stehen. Sie wollten sich nicht mehr voneinander lösen. Nie mehr. Das Licht der Dämmerung wurde schwächer und ohne die wärmende Sonne erhob sich vom Meer aus ein kalter Wind, der Michiru eine Gänsehaut bescherte. Obwohl sie sich dagegen wehrte, begann sie zu zittern. Sie wollte diesen Moment nicht vergehen lassen, doch Haruka spürte, wie sehr die Künstlerin fror. „Ich schätze, ich muss dich jetzt nach Hause bringen.“, flüsterte ihr die Blondine entgegen. Noch einmal schmiegte sich die Streicherin an ihre Mitschülerin und schloss die Augen. „Ich danke dir.“, mehr konnte sie in diesem Augenblick nicht sagen. Ohne zurückzuweichen zog sich die Sportlerin ihr Jackett aus und legte es um ihren Engel. Überrascht blickte Michiru auf und wurde von den grünen Augen Harukas gefesselt, die sie liebevoll ansahen. Die Blondine konnte nicht anders, schloss ihre Augen und lehnte ihre Stirn an die der Schönheit. Verträumt standen sie noch einen Moment lang still da, bis ein erneuter Windzug die Violinistin zittern ließ. Traurig lächelte Haruka. „Okay, wir müssen jetzt wohl wirklich los. Sonst erkältest du dich noch.“ Langsam löste sie sich von Michiru, legte dann aber einen Arm um ihre Taille und schob sie sanft zurück zu ihrer Yamaha. Michiru hatte das Gefühl, sie konnte Haruka gar nicht nahe genug kommen. Gleich, als sie saß, klammerte sie sich fest und rutschte, so dicht es ging, an sie heran. Sie schloss ihre Augen und hoffte nur, die Fahrt würde einfach ewig dauern. Noch einige Augenblicke lang, regte sich Michiru nicht, als Haruka vor dem Haus der Streicherin zum Stehen kam. Auch die Sportlerin hatte die Augen geschlossen und ihre Hände still auf die ihres Schützlings gelegt. Doch irgendwann wurde es so kalt, dass selbst Haruka zu zittern begann. Also rutschte die Künstlerin vorsichtig vom Motorrad und ließ sich von der Fahrerin von ihrem Helm befreien. „Danke.“, flüsterte sie daraufhin und legte langsam das Jackett ab, um es der Pianistin zurückzugeben. „Bis Montag dann.“, verabschiedete sie sich schüchtern und drehte sich Richtung Eingang. Nachdem sie ihn fast erreicht hatte, sprang Haruka von ihrer Maschine und war gleich darauf hinter ihrer Schönheit. Schnell griff sie nach ihrer Hand, drehte sie zu sich herum, griff mit ihrer freien Hand in das wellige, türkisblaue Haar ihres Engels und gab der überraschten Künstlerin einen Kuss auf die Stirn. „Bis Montag.“, flüsterte sie, bevor sie zurück zu ihrer Maschine sprintete. Ohne sich noch einmal umzusehen, zog sie ihr Jackett über, setzte sich einen der Helme auf und fuhr davon. Verträumt sah ihr Michiru nach. Erst ein erneuter Windzug ließ sie aus ihrer Starre erwachen, sodass sie sich langsam umdrehte und den Weg zu ihrer Wohnung antrat. Oben angekommen hörte sie Geklapper aus der Küche. Abwesend ging sie dem Geräusch nach und fand Setsuna, die allein das Abendessen vorbereitete. Ohne ein Wort setzte sich die Künstlerin. Obwohl sie sie nicht ansah, begann die Dunkelhaarige zu lächeln. „So verzaubert du wirkst, muss das ja ein ausgesprochen schöner Nachmittag gewesen sein.“, stellte sie schmunzelnd fest und drehte sich nun endlich zu ihrer Stieftochter um. Es dauerte einen Moment, bis die sanfte Stimme Michiru erreichte und die Schülein endlich aufsah. „Das war er wohl…“, gab Michiru leise zurück. „Hotaru findet Haruka übrigens sehr gutaussehend, auch wenn sie ein Mädchen ist.“, zwinkerte die Ältere und ein verlegener Rotschimmer schlich sich in das Gesicht der Geigerin. „Deinem Vater habe ich gesagt, du wärst mit einer Freundin unterwegs. Was ja auch stimmte… Ich dachte mir, du erzählst ihm besser selbst von deiner ersten großen Liebe.“ Das Rot auf den Wangen der Violinistin wurde noch kräftiger. „…Liebe?“, flüsterte sie und sah nachdenklich auf die dunkelrote Blumenvase, die auf dem Küchentisch stand. Dann wurde sie von der Kälte eingeholt und begann zu zittern. Sofort war Setsuna bei ihr und streichelte ihr über die Unterarme. „Du meine Güte, Michiru! Hattest du gar keine Jacke dabei? Und das im Januar, du erkältest dich noch.“, sagte sie besorgt. „Haruka hat mir ihr Jackett gegeben.“ Weniger vor Kälte, als vor Sehnsucht umklammerte Michiru ihren Oberkörper. Sie vermisste einfach die Geborgenheit, die ihr die Blondine gegeben hatte. „Ich schlage vor, du gehst erst mal heiß duschen, ziehst dir etwas Warmes an und ich mache in der Zwischenzeit das Essen fertig.“, erklärte Setsuna leise lächelnd. Kapitel 8: ----------- Kapitel 8 Michiru spürte, wie sich zwei starke Arme um ihren Oberkörper legten. Die Wellen vor ihr hatten sie so sehr in ihren Bann gezogen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie sich ihr Haruka von hinten genähert hatte. „Warst du wieder in deiner eigenen Welt?“, flüsterte die Blondine und legte ihr Kinn auf der Schulter der Künstlerin ab. Lächelnd schloss Michiru die Augen und schmiegte sich an den Körper ihrer Freundin. „Meine eigene Welt ist ohne dich längst nicht so schön, wie diese hier mit dir.“ Die Streicherin ließ ihre Hände nach hinten in den Nacken der Sportlerin wandern. Die untergehende Sommersonne strahlte ihnen warm ins Gesicht und Haruka küsste sanft den Hals ihres Engels. Bestimmt aber zärtlich fasste die Pianistin die Hände der Schönheit und drehte sie zu sich um. Mit einer Hand auf deren Rücken und ihre Wange mit der anderen Hand liebevoll streichelnd sah sie Michiru tief in die Augen. Langsam beugte sie sich vor, bis ihre Gesichter nur noch Zentimeter voneinander entfernt waren. „Ich liebe dich, mein wunderbarer Engel.“, flüsterte die Leichtathletin und küsste sanft Michirus Lippen. Die Violinistin fühlte sich, als würde sie davon schweben. Das Meer, der Sonnenuntergang, Harukas Rosenduft, ihre Berührungen, die zärtlichen Worte… Der Augenblick sollte nie enden. Doch dann löste sich die Blondine plötzlich von der Künstlerin und sprach in einer merkwürdigen Tonlage: „Chiru-chan? Hörst du mich? Chiru-chan? Ich soll dich wecken, es ist schon fast neun.“ Mit einem unüberhörbaren Knurren zog sich Michiru ihre Decke über den Kopf. Warum musste Hotaru gerade jetzt reinplatzen? „Mi-chi-ru-chan! Du sollst jetzt aufstehen! Sonst kommst du zu spät!“, sprach die Neunjährige jetzt lauter. „Ist ja gut, du Quälgeist. Ich bin ja schon wach.“ Nach einigen tiefen Atemzügen schlug Michiru genervt ihre Decke auf. Sie setzte sich an die Bettkante und rieb sich seufzend die Stirn. „Hast du Kopfschmerzen?“, fragte ihre kleine Schwester besorgt und setzte sich neben die Ältere. „Nein, ich bin nur ein bisschen müde. Na los, geh schon mal vor. Ich ziehe mich nur schnell an und komme gleich nach.“, zwinkerte Michiru und bekam dafür einen Kuss auf die Wange, bevor Hotaru verschwand. Haruka lag noch Stunden später in ihrem Bett und schlief, bis plötzlich ihr Handy klingelte. Mit nur einem geöffneten Auge überflog sie die SMS von ihrer Klassensprecherin. Junko konnte dieses Wochenende nicht, aber Kikyo wollte jetzt unbedingt aus erster Hand erfahren, was zwischen den beiden talentierten Musikerinnen lief. Die Blondine verabredete sich knapp mit ihrer Mitschülerin zum Eis essen und wanderte gähnend in das Hotelrestaurant, um zumindest nicht auch noch das Mittagsbuffet zu verpassen. Am Nachmittag machte sie sich mit ihrem Motorrad auf den Weg zur Wohnung der Brünetten. Stürmisch wurde sie begrüßt. „Haruka-san! Schön, dass du es so schnell einrichten konntest.“ Kikyo schenkte ihr eine warme Umarmung. Dankend nahm sie dann den Helm entgegen und setzte ihn sich auf. Fast traurig sah ihr die Leichtathletin dabei zu. Eigentlich war das Michirus Helm... Sie wollte nicht, dass er von einer anderen getragen wurde. Als sie den fragenden Gesichtsausdruck ihrer Klassensprecherin erkannte, schüttelte sie kurz ihren Kopf, zwang sich zu einem Lächeln und setzte sich auf ihre Maschine. Es war ein merkwürdiges Gefühl, dieses andere Mädchen so dicht hinter ihr zu spüren. Es fühlte sich fremd und irgendwie falsch an. Also war sie fast erleichtert, als sie endlich ein kleines, italienisches Café erreichten und Haruka wieder eine gewisse Distanz aufbauen konnte. Sie setzten sich an einem kleinen Tisch einander gegenüber und Kikyo studierte sogleich die Karte. Als der Kellner an die Schülerinnen heran trat, bestellten sie sich Tee und Cappuccino. Selbst in diesen simplen Situationen wie einer Getränkebestellung kam sich Haruka jetzt komisch vor. „So. Dann leg mal los.“, kommandierte Kikyo bald. „Wie soll ich denn bitte loslegen?“, fragte Haruka eingeschüchtert und beobachtete lieber ihre Finger, wie sie fast selbstständig nervös auf dem Tisch herum tippten. „Frag doch nicht so blöd. Wie läuft´s? Bist du schon bis über beide Ohren verliebt? Und was ist mit Michiru-san? Habt ihr euch schon geküsst?“ „Also jetzt mach mal halblang! Wir kennen uns doch erst seit zwei Wochen. Wir sind nicht zusammen oder so. Und wie es um Michiru steht, kann ich dir auch nicht so genau sagen…“ Haruka fühlte sich überfahren und kämpfte mit einem Rotschimmer auf ihren Wangen. „Und geküsst haben wir uns auch nicht. Jedenfalls nicht richtig.“ „Was meinst du denn mit ‚nicht richtig‘? Habt ihr oder habt ihr nicht?“, wollte Kikyo wissen. Auf Harukas Gesicht bildete sich ein Grinsen. „Naja, ich habe ihr gestern Abend einen kurzen Abschiedskuss gegeben. Aber nur einen kleinen auf die Stirn… Ich bin mir ja nicht sicher, wie sie zu der ganzen Sache steht, also wollte ich sie nicht… verschrecken oder so.“ Die Klassensprecherin bekam große Augen. „Also wart ihr gestern nach der Schule noch unterwegs?“ „Ja, wir waren in einem Café, haben miteinander erzählt, Crêpes gegessen… Und anschließend waren wir in Tokyo Bay und haben uns den Sonnenuntergang angesehen.“ Kikyo konnte einen Seufzer nicht unterdrücken. „So viel Romantik hätte ich dir gar nicht zugetraut.“ Verträumt stützte sie ihr Kinn auf dem Handgelenk ab. „Und dann?“ „Naja, danach habe ich sie nach Hause gebracht. Ich glaube, so langsam bin ich noch nie gefahren…“, grinste die Pianistin. „Also wart ihr mit deinem Motorrad unterwegs? Na wenn das mal keine gute Chance ist, Distanz abzubauen.“, zwinkerte die Brünette und nahm dankend ihren Eisbecher entgegen, den der Kellner in diesem Moment brachte. „Ja, ich schätze, wir sind uns wirklich ein bisschen näher gekommen.“, wertete die Blondine. Gut gelaunt verputzte Kikyo fast die Hälfte ihrer italienischen Spezialität. Dann sah sie fragend auf. „Wie hat Michiru-san eigentlich auf deinen Kuss reagiert?“ Auf Harukas Wangen legte sich erneut ein Rotschimmer. „Naja, eigentlich… hab ich keine Ahnung. Sie war schon auf dem Weg zu ihrer Haustür. Und dann konnte ich nicht anders. Ich bin ihr nach, habe sie abgefangen, ihr den Kuss gegeben und bin lieber abgehauen, bevor sie etwas sagen konnte.“, erklärte die Sportlerin und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Wie, du bist abgehauen? Warum das denn? Man könnte ja meinen, du hättest Angst vor der Kleinen!“, lachte die Klassensprecherin, woraufhin auch die Leichtathletin ein Grinsen nicht mehr unterdrücken konnte. „Ich weiß auch nicht, vielleicht wollte sie es gar nicht. Und bevor ich noch eine Ohrfeige bekomme…“ „Ach, die hätte sie dir bestimmt nicht gegeben! Ich denke, du hast dir eine Chance entgehen lassen. So wie sie dich immer anlächelt, hat ihr der Kuss bestimmt nichts ausgemacht. Ich glaube, unsere kleine Künstlerin ist total in dich verknallt. Seitdem du da bist, ist sie ganz anders. Sie zeigt selbst Hara-san die kalte Schulter. Und das will schon was heißen! Die beiden sind seit Jahren befreundet – was ich eigentlich gar nicht verstehen kann, wenn ich mal darüber nachdenke, was für ein zickiges Biest die ist – und plötzlich will Michiru-san nichts mehr mit ihr zu tun haben. Und das liegt wohl eindeutig an dir! Ach, übrigens… Danke für die kleine Show gestern. Junko-chan und ich hatten gehofft, dass Kawashima so reagieren würde. Ich wette, das war ihm richtig peinlich, dass er kurz vorher noch von dir so abgefertigt wurde.“ Lachend biss Kikyo von ihrer Eiswaffel ab. „Narumi-san hat aber auch nicht schlecht geguckt.“, fügte Haruka grinsend hinzu. „Michiru hat mir erzählt, sie hätte Interesse an mir gehabt.“, erklärte sie selbstbewusst. Die Klassensprecherin aß unbeeindruckt weiter. „Na das war mir klar. Die steht auf jeden, der gut aussieht. Wenn er dann auch noch wohlhabend ist, findet sie das noch besser. Und dass du Kawashima die Stirn bieten kannst, muss für sie wie die Sahne auf diesem Eisbecher hier gewirkt haben.“ Ein Löffel voll Erdbeereis und Sahne verschwand in Kikyos Mund. „Aber… das musst du doch gewöhnt sein, oder nicht? Ich meine, ich kann mir nicht vorstellen, dass es in Nagoya keine Frauen gab, die sich in dich verguckt haben.“, nuschelte sie und nahm einen Schluck von ihrem Cappuccino. „Also… ja, eigentlich schon… Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich da nicht eine kleine… Fangemeinde gehabt hätte…“, sprach die Rennfahrerin leise. Kikyo legte den Kopf schief. „Was denn für eine Fangemeinde?“ Haruka seufzte leise. „Ich bin in Nagoya Autorennen gefahren. Erfolgreich. Erste Nachwuchsliga. Ich war richtig gut und habe einen Sieg nach dem anderen nach Hause gebracht. Dafür gab es ganz ordentliche Preisgelder, einen gewissen Ruhm und Privilegien - wie meinen vorzeitigen Führerschein - und natürlich viele Fans.“ „Du warst Rennprofi?“, fragte Kikyo mit großen Augen. „Genau. Aber dieser ganze Medienrummel und ein paar andere Dinge waren nicht nach meinem Geschmack. Also bin ich jetzt hier in Tokio, wo man mich nicht kennt.“Die Blondine schwenkte ihr Glas und beobachtete abwesend, wie der Teesatz zurück auf den Boden ihres Glases sank. „Wieso kennt dich hier niemand? Die erste Nachwuchsliga ist doch in ganz Japan ein Thema. Du bist doch sicher auch schon mal hier gefahren, oder nicht?“ „Das schon, aber als Touma Haruka und nicht unter dem Namen Tenoh. Tenoh ist der Geburtsname meiner Mutter, den ich im Dezember angenommen habe.“, erklärte Haruka, ging nicht weiter auf den fragenden Blick ihres Gegenübers ein und bestellte sich noch ein Glas Tee bei dem vorbei laufenden Kellner. Kikyo merkte, dass die Blondine das Thema nicht weiter vertiefen wollte und schob ihren leeren Eisbecher zur Seite, um mehr Platz für ihren Cappuccino zu haben. „Hattest du eigentlich schon viele Freundinnen?“ Überrascht sah die Blondine in Kikyos Gesicht. Sie überlegte, ob sie bei der ganzen Wahrheit bleiben solle, oder ob es besser wäre zu untertreiben. „Naja… Eine richtige Beziehung hatte ich eigentlich noch nie… Also… nicht so richtig. Meine erste Freundin hatte ich mit Vierzehn oder so. Aber das war nichts Ernstes. Sie wollte gesehen werden und war neugierig und ich wollte… Sagen wir mal, ich wollte einfach mal eine Freundin.“, gestand sie verlegen. „Mit ihr war ich ein paar Wochen zusammen. Das war dann auch schon die längste… Beziehung – oder so – die ich je hatte. Es gab schon noch ein paar andere, aber die wollten nie wirklich was Richtiges mit mir anfangen. Und wenn ich ehrlich bin, wollte ich das auch nie.“ Für einen Moment herrschte Stille und Kikyo legte die Stirn in Falten. Dann überlegte sie: „Warte mal, ich glaube, ich hab von dir schon mal was gehört… Touma Haruka aus Nagoya… Na klar! Die Frauenheldin Touma Haruka! Du hattest etlichen Frauen! Da waren doch auch Models mit bei, wenn ich mich richtig erinnere… Nun untertreib mal nicht!“ Um sicher zu gehen, dass sie nicht belauscht wurden, hatte sich Kikyo weit über den Tisch gebeugt und die Stimme gesenkt. Haruka schluckte hart und nickte dann langsam, woraufhin die Brünette ihr nachdenklich schweigend ins Gesicht sah. Nach einer gefühlten Ewigkeit begann sie zu grinsen. „Du hast so viele Frauen aufgerissen und bist bei Michiru-san so prüde? Das glaubt man ja nicht! Dann muss es dich tatsächlich erwischt haben. Aber… bitte tu mir den Gefallen und spiel nicht mit ihr. Auch wenn wir nicht wirklich viel miteinander zu tun haben, halte ich viel von ihr. Verletz sie bitte nicht. Ich glaube, sie ist ein wundervoller Mensch, der nur das Beste verdient. Ein gebrochenes Herz würde sie sicher in ein tiefes Loch stürzen lassen.“ Kikyo ruhig sah der Sportlerin durchdringend in die Augen. Lächelnd schüttelte Haruka den Kopf. „Nein, du kannst mir glauben, mit Michiru spiele ich nicht. Sie bedeutet mir wahnsinnig viel und ich könnte ihr niemals wehtun. Ich bin noch nie jemandem wie ihr begegnet. Um ehrlich zu sein, habe ich letzte Woche mit einer Amerikanerin gesprochen. Abends, an der Hotelbar. Und die wollte auch mit mir aufs Zimmer. Aber ich konnte nicht. Ich musste an Michiru denken und habe ihr den Laufpass gegeben. Das hört sich für dich vielleicht nicht so überzeugend an, aber so eine Gelegenheit habe ich mir vorher noch nie entgehen lassen!“ Haruka strahle die Klassensprecherin an. „Echt jetzt? Also dass du einer Frau, nachdem du mit ihr geflirtet hast, einen Korb gibst, ist nicht unbedingt eine romantische Liebeserklärung.“, stellte die Brünette nüchtern klar. „Wie du dich ihr gegenüber verhältst, wie du in ihrer Gegenwart strahlst, wie du über sie sprichst. Das alles sind viel eindeutigere Zeichen deiner Liebe.“, fügte sie lächelnd hinzu. „Ich glaube, aus euch kann echt ein schönes Paar werden. Vermassel es nicht!“, drohte sie und bestellte sich schnell noch einen Cappuccino bei dem Kellner, der Harukas Tee brachte. Nachdem Haruka am frühen Abend die Rechnung übernommen hatte, hakte sich Kikyo bei ihrer Klassenkameradin ein und ließ sich zum Motorrad führen. Gut gelaunt stieg sie zu der Blondine auf die Maschine. An einer Kreuzung lehnte sie sich weit vor, um der Fahrerin den Weg um eine Baustelle herum zu erklären. Nach einer rasanten Fahrt bogen sie schließlich in die Straße, in der sich Kikyos Wohnung befand. Mit einer warmen Umarmung und den Worten „Bis Montag dann! Und danke, für das Eis!“ verabschiedete sich die Klassensprecherin und die Blondine machte sich auf den Weg in ihr Hotel. Ob Kikyo Recht hatte? Vielleicht wollte Michiru tatsächlich mehr von ihr, als die Leichtathletin gedacht hätte. Spontan wechselte sie die Spur und schlug die Richtung zur Bucht von Tokio ein. Nach dem durchweg positiven Feedback für ihr Vorspiel stieg Michiru lächelnd ins Auto. Ihre Familie tat es ihr gleich und Kaioh Toshio drehte sich strahlend zu seiner Tochter um. „Wo darf es denn hingehen, mein kleiner Star?“, fragte er und bekam von ihr die Antwort, mit der er fest gerechnet hatte. Nach einer längeren Fahrt kamen sie an einem kleinen Restaurant außerhalb der Stadt an. Michiru stieg aus und lauschte zufrieden seufzend den Wellen des nur wenige Meter entfernten Meeres. Tief atmete sie die frische, salzige Meeresluft ein und schloss die Augen. Hotaru nahm glücklich die Hand ihrer großen Schwester und zog sie energisch in Richtung des Lokals. Da sich ihr Vater sicher gewesen war, welchen Wunsch seine Tochter äußern würde, hatte er bereits im Vorhinein einen Tisch am Fenster reserviert, damit seine kleine Künstlerin den Wellen zusehen konnte. „Du hast heute wirklich noch schöner gespielt als sonst.“, lobte sie Setsuna. „Das stimmt! Ich hatte das Gefühl, du wärst gar nicht wirklich anwesend gewesen. Wo warst du eigentlich mit deinen Gedanken, dass deine Melodien so… davon schwebten?“, wollte Toshio wissen. Verunsichert sah Michiru zu ihrer Stiefmutter. „Wo ich war? Naja, also ich…“ „Du hast bestimmt an Haruka gedacht, stimmt´s?“, grinste Hotaru frech, woraufhin sie einen tadelnden Blick ihrer Mutter bekam. Toshio sah verdutzt abwechselnd zwischen seinen Kindern hin und her sah. >Na super, du Quälgeist. Ab, ins kalte Wasser.<, dachte sich Michiru und sah ebenfalls zu der Kleineren. „Haruka? Wer ist denn das? Der Name sagt mir nichts… Woher kennst du ihn denn?“, fragte Toshio neugierig. „Sie. Haruka-san ist ein Mädchen, Papa. Aber Mama sagt, das macht nichts.“, erklärte Hotaru, die Blicke der beiden Frauen ignorierend. Michiru fischte unter dem Tisch nach der Hand ihrer Schwester, um sie kräftig zu umklammern. Die Dunkelhaarige erkannte das Signal sofort und sah beschämt auf die Tischdecke. Offenbar hatte sie zu viel gesagt. „Chiru-chan, würdest du mich bitte aufklären?“, lächelte das Familienoberhaupt liebevoll sein mittleres Kind an. „Also… Haruka-san ist neu in meiner Klasse. Du weißt schon, wir haben uns ein paarmal zum Lernen getroffen. Und gestern waren wir noch eine Weile unterwegs.“, erklärte sie und sah dabei lieber in die ruhigen Augen Setsunas, die ihr aufmunternd zulächelte. „Ah, also eine Freundin von dir? Na wunderbar! Hoffentlich ist sie nicht so verzogen wie Hara-san, diese kleine Zicke.“ „Liebling!“, herrschte seine Frau ihn an. „Was denn? Stimmt doch, oder Taru-chan?“ „Stimmt.“, grinste die Jüngste, als sie von ihrer Schwester losgelassen wurde. Nach dem Essen entschloss sich die Familie zu einem Spaziergang am Strand, wobei Toshio mit seiner jüngsten Tochter voraustobte und ihnen Setsuna Seite an Seite mit Michiru nachschlenderte. „Das war doch schon mal ein guter Anfang.“, lächelte sie ihrer Stieftochter zu, die schon wieder voll und ganz in das Rauschen der Wellen vertieft war. Kurz schüttelte Michiru ihren Kopf und sah zu der Älteren auf. „Naja, wenn du meinst. Ich dachte schon, Taru-chan plaudert gleich alles aus.“ „Ja, sie ist eindeutig etwas stürmischer als der Rest der Familie.“, lachte die Dunkelhaarige. „Aber irgendwann wird dein Vater mitbekommen, was dir Haruka bedeutet. Und da kann es nicht schaden, wenn er jetzt schon ein wenig darauf vorbereitet wird.“ Die Künstlerin wandte sich wieder dem Meer zu. >Was mir Haruka bedeutet? Ich bin mir ja selbst nicht sicher, was es ist… Auf der Brücke beim Sonnenuntergang… Das war alles so atemberaubend! Sie war so zuvorkommend und charmant… Dass sie mir von ihren Eltern erzählt hat, macht mich richtig stolz! Aber nachdem sie diese Sarah gesehen hatte… Warum war sie plötzlich so anders…? Hat sie mir etwas verschwiegen? Was, wenn ich mich in ihr irre? Was, wenn da noch mehr zwischen ihr und dieser Ausländerin lief? Was, wenn ich mich an sie verliere und sie es gar nicht so ernst mit mir meint?< Betrübt blieb Michiru stehen und starrte in die Ferne. „Michiru? Was ist mit dir?“, fragte Setsuna besorgt. „Stimmt etwas nicht?“ Die Violinistin sah sich um und als sie sich sicher war, dass die anderen Familienmitglieder außer Hörweite waren, drehte sie sich zu ihrer Stiefmutter. „Was ist, wenn mir Haruka mehr bedeutet, als ich ihr? Was, wenn ich mich da in etwas rein steigere und sie gar nichts von mir will?“ Zweifelnd sah sie in die granatroten Augen. Liebevoll lächelte die Ältere in das Gesicht ihres Schützlings. „Dieses Risiko wirst du eingehen müssen. Sich einem Menschen voll und ganz anzuvertrauen ist natürlich ein Wagnis, aber wenn dich Haruka genauso liebt, wie du sie, lohnt es sich auf alle Fälle. Was habt ihr gestern eigentlich gemacht?“ Die Violinistin seufzte, bevor sie begann, ihr verträumt von der Fahrt zum Café bis hin zum Sonnenuntergang und dem überraschenden Abschiedskuss zu erzählen. Nachdenklich ging sie dann auf die Begegnung mit Sarah ein. „Nachdem sie mit ihr gesprochen hatte, war sie ganz anders. Irgendwie zurückhaltend und kühl. Erst nachdem wir ein ganzes Stück gefahren waren, wurde sie wieder… normal. Meinst du, da lief noch mehr zwischen den beiden?“, fragte sie vorsichtig. „Das kann ich dir leider nicht sagen. Allerdings denke ich, dass du ihr sehr wichtig bist. Egal, was zwischen den beiden steht, sie hat das Café mit dir verlassen und Sarah damit wohl deutlich gezeigt, dass sie sich nur für dich interessiert.“ Nachdem sich die beiden einen Moment lang schweigend angesehen hatten, schloss Setsuna ihre Stieftochter in ihre Arme und gab ihr einen Kuss auf den Scheitel. „Ich kann dir nicht versprechen, dass sie sich auch an dich verloren hat. Natürlich kann es schmerzhaft sein, wenn man sich in den falschen Menschen verliebt. Aber ich rate dir, es zu riskieren. Riskiere verletzt zu werden, und wenn du und Haruka für einander bestimmt seid, wird sie es dir danken.“ Erst als Toshio und Hotaru zurück kamen, lösten sich die beiden voneinander und wanderten zurück zum Auto. Mittlerweile war es schon später Nachmittag und alle Vier waren vom Januarwind durchgefroren. Michiru sah die ganze Fahrt über verträumt aus dem Fenster. An einer Kreuzung klarte ihr Blick plötzlich auf. Dieses Motorrad kam ihr auffallend bekannt vor. Ein breites Lächeln bildete sich in ihrem Gesicht, als sie ihre Pianistin erkannte. >Aber Moment mal… Wer ist das denn?<, die Frau hinter Haruka war ihr erst gar nicht aufgefallen. Unter ihrem Helm, der doch eigentlich der jungen Künstlerin gehören sollte, floss langes, braunes Haar hervor. Für Sarah war es zu dunkel und zu lang. Hatte die Rennfahrerin noch eine weitere weibliche Bekanntschaft, von der die Violinistin nichts wusste? Jetzt beugte sich die Unbekannte auch noch weiter vor und kam der Blondine so noch näher. Gebannt beobachtete Michiru die beiden, bis Toshio seine Familie über die Kreuzung gefahren hatte und sie das Paar nicht mehr sehen konnte. Ihre Gedanken überschlugen sich. Wer war das? Was wollte sie von ihrer Freundin? War es nur eine Bekannte, oder hatte Michiru doch recht, was ihre Befürchtungen betraf? In ihrer Wohnung angekommen, verabschiedete sich die Streicherin wortkarg und flüchtete in ihr Zimmer. Fast den gesamten Sonntag über blieb sie darin allein. Sie wollte mit Hotaru weder malen noch musizieren und so gab ihre Schwester bald auf und beschäftigte sich etwas betrübt mit ihrem Vater. Setsuna setzte sich am Nachmittag zu ihrem Schützling und nach einer gefühlten Ewigkeit, in der beide Frauen nur schweigend dasaßen, erzählte ihr Michiru von ihrer Beobachtung. Ihre Stieftochter umarmend gab die Dunkelhaarige der Jüngeren den Rat, Haruka direkt darauf anzusprechen, bevor sie sich unnötig in etwas hineinsteigere. Gut gelaunt machte sich Haruka am Montagmorgen auf den Weg zur Schule. Nachdem sie den halben gestrigen Tag auf der Laufbahn verbracht und sich anschließend ehrgeizig dem Schulstoff gewidmet hatte, in der Hoffnung, sie könnte die Zeit für Hausaufgaben mit Michiru verkürzen und sich mit ihr eher anderweitig beschäftigen, hatte sie das Wochenende mit einem heißen Bad und einem Glas Wein ausklingen lassen. Vor dem Eingang des Schulgebäudes begegnete sie Kikyo und Junko, die sie breit angrinsten. „Guten Morgen, Haruka-san“, strahlte die Klassensprecherin. „Guten Morgen.“, erwiderte die Sportlerin. „Kikyo-chan hat mir alles erzählt, du Romantikerin. Was hast du für heute mit ihr geplant? Einen Strandspaziergang? Ein Picknick im Stadtpark? Erzähl schon!“, drängte Junko. Haruka kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Eigentlich hatte ich noch gar nichts weiter geplant. Das kommt dann ganz spontan.“ Immer noch in Gedanken versunken lief Michiru über den Schulhof. Fast wäre sie gegen einen jüngeren aber größeren Schüler gelaufen. Also hob sie den Blick und erkannte die Rennfahrerin vor der Treppe zum Eingang des Hauptgebäudes. Abrupt blieb sie stehen. Abwechselnd sah sie zwischen ihr und den beiden anderen Mädchen hin und her. Dieses leicht wellige, braune, lange Haar… Wie konnte sie das übersehen haben? Immer, wenn Haruka nicht bei ihr selbst war, gab sie sich mit der Klassensprecherin ab. Und offensichtlich war sie für die Blondine mehr als nur eine Klassenkameradin. Ganz sicher war sie es, die sie am Wochenende mit auf dem Motorrad gesehen hatte. War die Künstlerin für Haruka nur eine Art Zeitvertreib gewesen? Hatte sie mehr Interesse an Kikyo, als an ihr? Ihre Gedanken kreisten immer weiter und solange sie sich noch ihre Tränen unterdrücken konnte, stürmte Michiru los, über den Schulhof und an ihren wartenden Mitschülerinnen vorbei. Sie vernahm ein verdutztes „Guten Morgen!“ der Pianistin, lief aber weiter zur Mädchentoilette, wo sie sich bis kurz vor Unterrichtsbeginn einschloss. Verwirrt sah Haruka zu ihren beiden Freundinnen. „Was sollte das denn?“, brachte eine genauso irritierte Junko hervor. „Hast du irgendetwas angestellt?“, fragte Kikyo skeptisch. „Nicht, dass ich wüsste.“, überlegte Haruka und starrte in den Schulkorridor. Zögerlich setzte sie sich in Bewegung. Erst wenige Augenblicke, bevor Herr Hisakawa die Stunde eröffnete, tauchte Michiru wieder auf. Wortlos setzte sie sich an ihren Platz und starrte nach vorn. „Ist etwas passiert? Was ist denn mit dir?“, fragte ihre blonde Sitznachbarin vorsichtig nach, wurde jedoch kühl ignoriert. Sofort, als es zum Beginn der Frühstückspause klingelte, schob die Geigerin ihre Unterlagen in ihre Tasche und eilte davon. Enttäuscht sah Haruka wieder zu Kikyo und Junko, die nur fragend zurück blickten und mit den Schultern zuckten. Michiru konnte nicht mehr klar denken. Wie hatte sie nur so blind sein können? Mit Kikyo hatte sich der Rennprofi schon am ersten Tag abgegeben. Immer wieder hatte sie die beiden miteinander gesehen, wie sie so aufgeschlossen und offen miteinander umgingen. >Und dann diese Blicke, die sie sich immer wieder zuwarfen…< Mittlerweile war die Violinistin bei den Kunsträumen angekommen. An den Wänden hingen Kunstwerke, einige davon von ihr selbst. Abwesend sah sie sich um, setzte sich dann auf die Treppe, umschlang ihren Körper mit ihren Armen und lehnte sich gegen die Wand des Treppenhauses. „Das ist doch total bescheuert!“, verfluchte sich Michiru selbst. >Was interessiert es dich überhaupt?! Du bist weder mit ihr zusammen, noch hat sie irgendwas in die Richtung angedeutet. Du kennst sie doch überhaupt nicht! Wir sind nur Freunde. Was geht es mich an, mit wem sie sich trifft?!< Und doch ließ der Schmerz nicht nach. Die Umarmung, der Sonnenuntergang… Michiru war sich sicher, auch Haruka hätte ihre Nähe bewusst gesucht. Tat sie das vielleicht bei jeder Frau? Vielleicht hatte ihr Michirus verhaltene Zuneigung einfach nicht gereicht… Vielleicht hatte sie mehr gewollt, es nicht bekommen und holte sich jetzt von anderen Mädchen, was sie brauchte? Michiru begann zu zittern und weitere heiße Tränen fanden ihren Weg. Sie wollte sich nicht vorstellen, wie nahe Kikyo ihrer Haruka noch gekommen war. Unruhig suchte Haruka den Schulhof nach ihrem Engel ab. Am Pausenende kehrte sie niedergeschlagen zum Unterrichtsraum zurück und wartete, bis die Künstlerin endlich eintraf. Wieder wurden ihre Fragen ignoriert und während des Lehrerwechsels zwischen Geographie und Geschichte zog Michiru ihr Handy hervor und tat so, als würde sie eine ellenlange SMS tippen. Auch in der Mittagspause verschwand Michiru ohne ein weiteres Wort eilig aus dem Raum. „Das verstehe ich nicht.“, murmelte die Blondine, als sie merkte, dass Junko und Kikyo neben ihr aufgetaucht waren. Seufzend legte die Klassensprecherin ihrer Freundin eine Hand auf die Schulter. „Hast du heute früh ihre Augen gesehen? Sie sah aus, als hätte sie geweint…“, stellte sie fest. Haruka nickte leise. „Na los, vielleicht ist sie ja in der Cafeteria.“, schlug Junko vor. Doch auch dort war die talentierte Musikerin nicht zu finden. In ihren Gedanken versunken stocherte Haruka in ihrem Mittagsessen herum. Was hatte sie denn falsch gemacht? Den restlichen Tag über lief es für die Sportlerin nicht besser. Soweit es ihr möglich war, ging ihr Michiru aus dem Weg. Gesprochen hatte die Künstlerin mit ihr nicht ein Wort und so verschwand sie auch nach der Chemiestunde schweigend. Aufgebracht flog Haruka förmlich über den Highway. Sie konnte sich nicht erklären, warum sie von der Schönheit plötzlich so abgewiesen wurde. Am Freitag lief noch alles so gut. Bis auf den Zwischenfall mit Sarah, aber deswegen konnte sie doch nicht sauer sein, oder etwa doch? Spätestens bei dem Sonnenuntergang am Meer war doch alles wieder vergessen, >Oder etwa nicht?< Oder war es der Abschiedskuss? War Haruka ihrem Engel zu nahe getreten? Wollte sie eigentlich nichts von ihr, und wies sie deshalb jetzt so zurück? Ruhelos gab die Rennfahrerin noch mehr Gas und brauste dem passenderweise eisigen Nachtwind entgegen. Kapitel 9: ----------- Kapitel 9 Nervös tippten Harukas Finger auf ihrem Biologiebuch herum. Wie sie erwartet hatte, tauchte Michiru erst nach Herrn Katsuki auf, als dieser schon seine Stunde eröffnen wollte. Leise flüsterte die Blondine zu ihrer Sitznachbarin: „Was ist los? Habe ich etwas falsch gemacht?“ Doch sie bekam keine Antwort. Etwas energischer sprach sie weiter: „Michiru, bitte rede mit mir! Ich verstehe das nicht!“ „Tenoh-san! Wenn sie nichts zum Unterrichtsgeschehen beitragen können, sollten sie lieber schweigen!“ „Jawohl, Katsuki-sensei.“, gab die Blondine von sich und sah betrübt zur Tafel auf. Nachdem es zur Pause geklingelt hatte, wollte die Violinistin wieder davon stürmen, aber Haruka versperrte ihr den Weg. „Michiru, ich weiß nicht, was los ist, aber es tut mir leid! Egal, was ich getan habe, ich wollte dich nicht verletzten! Bitte sag mir, was los ist! Ich ertrage es nicht, wenn du mich so kalt ignorierst. Liegt es an dem Kuss? Ich wollte dir damit nicht zu nahe treten. Es tut mir ehrlich leid!“ Die Künstlerin sah schweigend auf und betrachtete das enttäuschte Gesicht der Pianistin. >Der Kuss?< Michiru merkte, wie sich ihre Augen erneut mit Tränen füllten. Sie sah wieder von der Blondine ab und eilte in den Korridor. Ihre Gedanken rasten. Fast hätte sie sich wieder von diesen strahlendgrünen Augen fesseln lassen. Ob es Kikyo auch so ergangen war? Ob auch sie sich in Harukas Augen verloren hatte? Und Sarah? Offenbar hatte sie recht. Der Kuss tat der Leichtathletin leid. Also kann sie es nicht ernst mit ihr gemeint haben. Hatte sie noch andere Frauen in den letzten Wochen getroffen und geküsst? Immerhin wusste Michiru nicht sehr viel über die außerschulischen Beschäftigungen der Läuferin. Wie oft kam sie übermüdet zur Schule? Wie oft hatte sie gesagt, sie wäre noch lange unterwegs gewesen? Ohne weitere Erläuterungen… Hatte sie wirklich trainiert oder war sie tatsächlich nur in der Gegend herum gefahren? War es nicht viel wahrscheinlicher, dass sich die attraktive, junge Athletin mit anderen Frauen getroffen und vergnügt hatte? Haruka machte nicht gerade einen unschuldigen Eindruck… Ihre Komplimente kamen immer so gezielt, so geschickt formuliert… Wie oft hatte sie in den letzten Wochen anderen Frauen gesagt, wie schön sie waren? Und wie vielen Frauen hatte sie überhaupt solche Komplimente gemacht? Diese zärtlichen und liebevollen Worte… Waren sie nur einstudiert? ‚Engel‘… Wie viele Frauen hatte die Rennfahrerin schon als ‚Engel‘ bezeichnet? Eine Träne rollte ihr übers Gesicht, als sich die Musikerin wieder auf ihrer Treppe zum Kunstflur niederließ. Rastlos wanderte Haruka über den Schulhof. Die türkishaarige Schönheit zu finden, versuchte sie nicht mehr. Sie lief nur aufgebracht und ziellos über den Platz, um sich dann frühzeitig in den Matheraum zu begeben. Dort legte sie ihre Sachen auf ihrem Tisch ab und starrte dann aus dem Fenster. „Schlechter Tag, was?“, ertönte plötzlich eine Jungenstimme hinter ihr. Sie drehte sich um und entdeckte einen schmächtigen, brünetten Schüler in der hintersten Reihe. „Kusaka Katashi.“, stellte sich der Junge auf den fragenden Blick der Blondine hin vor. „Tenoh Haruka.“ „Ja, ich weiß. Wer könnte es nicht wissen?“, schmunzelte er. „Wieso bist du jetzt schon hier? Ich meine, allein. Lange, bevor die Pause um ist. Wo ist Kaioh-san? Ich dachte, ihr wärt zusammen?“, fragte er neugierig, woraufhin die Sportlerin wieder betrübt aus dem Fenster sah. „Nein. Das sind wir nicht. Und offenbar hat Michiru genug von mir.“ „Was ist passiert?“ Haruka schrak zusammen. Katashi hatte sich so leise an sie heran geschlichen, dass ihr sein Spiegelbild in der Fensterscheibe gar nicht aufgefallen war. „Wenn ich das nur wüsste. Seit gestern ist sie so abweisend… Ich weiß nicht, was los ist. Mir tut es nur leid. Egal, was ich getan habe. Sie bedeutet mir wirklich viel…“ Flüchtig sah sie in das Gesicht ihres Klassenkameraden. Wieso erzählte sie ihm das eigentlich? Sie war doch Fremden gegenüber sonst nicht so offen. „Das sieht man dir an.“, gestand der Junge und blickte ihr besorgt in ihr Gesicht. Nachdenklich starrte Haruka ihn an. Diese gütigen, ruhigen, braunen Augen kamen ihr bekannt vor… Lächelnd stellte sie fest, dass Katashi ihrem alten Teamkameraden Sanji sehr ähnelte. „Was?“, fragte er verwirrt. „Ach, nichts. Du erinnerst mich nur an einen Freund aus Nagoya.“ Wieder sah sie aus dem Fenster. „Dann sollte ich mich geschmeichelt fühlen, oder?“, grinste er nach einem Moment des Schweigens. Fragend hob die Rennfahrerin die Augenbrauen „Naja, ich habe gehört, der große Nachwuchsstar des Rennsports, Touma Haruka, schließt nicht mit jedem Freundschaft.“ Verblüfft fuhr die Blondine herum. „Woher weißt du, wer ich bin?“ „Für wie unaufmerksam hältst du mich denn? Ich kenne dich aus etlichen Sportzeitschriften. Zugegeben, ich war etwas skeptisch, als du dich unter einem anderen Namen vorgestellt hast, aber spätestens, als ich dich auf deiner Yamaha gesehen habe, war für mich klar, dass du aus dem Rennsport kommst. Und seinen Nachnamen kann schließlich jeder ändern lassen, oder nicht?“ Resignierend begann die Sportlerin zu lächeln. „Ich gratuliere. Bis jetzt bin ich hier noch niemandem so aufgefallen. Du interessierst dich also für den Motorsport?“, forschte sie nach und vergaß für den Rest der Pause fast ihre Sorgen um die schöne Künstlerin. Erst als Michiru kurz vor Stundenbeginn den Raum betrat, brach Haruka das Gespräch mit ihrem neuen Freund ab. Besorgt seufzend beobachtete sie die Streicherin und begab sich nach einem „Das wird schon wieder.“ seitens Katashi an ihren Platz. Als Michiru das Klassenzimmer erreicht hatte, ließ sie unauffällig ihren Blick wandern. Etwas überrascht stellte sie fest, dass Kikyo und Junko bereits an ihren Plätzen saßen und Haruka mit dem wohl unscheinbarsten Schüler der ganzen Klasse weiter abseits erzählte. Langsam setzte sie sich an ihren Tisch und beobachtete die Blondine aus den Augenwinkeln heraus. In den kurzen Pausen zwischen den Stunden tat die Violinistin so, als würde sie wissbegierig etwas nachschlagen, woraufhin Haruka wieder zu dem brünetten Jungen ging und sich mit ihm unterhielt. Was war jetzt los? Hatte sie das Interesse an der Klassensprecherin verloren? Nach der fünften Stunde packte Michiru ihre Sachen zusammen und verließ den Raum, um sich hinter der nächsten Ecke des Korridors zu verstecken. Neugierig lugte sie hervor und beobachtete, wie die Leichtathletin mit Katashi aus dem Klassenzimmer kam und in Richtung des Schulhofes verschwand. Kikyo und Junko waren erst später zu sehen und schienen den Weg zur Cafeteria einzuschlagen. Hatte sie sich doch geirrt? Am liebsten wäre sie in die nächste Schwimmhalle gefahren, um ihre Gedanken fort zu spülen. Im Wasser konnte sie immer ihre Sorgen vergessen und all ihre Probleme ordneten sich von selbst, um sich danach manchmal sogar aufzulösen. Nachdenklich wanderte die Geigerin zu ihrem nächsten Unterrichtsraum. In den nächsten beiden Stunden stand Psychologie auf ihrem Plan, also würde sie Haruka erst morgen wiedersehen. Ungeduldig wartete sie auf den Unterrichtsschluss. Als es endlich zum Ende der Doppelstunde klingelte, packte Michiru ihre Sachen in ihre Tasche und rannte förmlich auf den Schulhof. Unauffällig sah sie sich um und stellte fest, dass das Harukas Motorrad schon verschwunden war, also stellte sie sich auf den Parkplatz und wartete. Einige Minuten vergingen, bis endlich ein roter Alfa Romeo in der Einfahrt erschien und neben ihr zum Stehen kam. Mit einem breiten Lächeln stieg ein schwarzhaariger, blauäugiger junger Mann aus und begrüßte seine kleine Schwester, die auf ihn zu lief, um ihn zu umarmen. „Hallo, Mamo-chan! Du glaubst nicht, wie froh ich bin, dich zu sehen!“, strahlte die Schülerin. „So stürmisch hast du mich ja schon seit Ewigkeiten nicht mehr empfangen! Ist alles in Ordnung, Michi?“ Die junge Frau schüttelte den Kopf. „Lass uns erst mal von hier verschwinden. Im Moment bin ich nur froh, dass die Schule für heute vorbei ist.“, lächelte sie und stieg ins Auto. Verdutzt sah ihr Mamoru nach und setzte sich schließlich wieder hinters Steuer. Nachdem Michiru ein Magenknurren nicht unterdrücken konnte, schlug er vor, sie zum Mittagessen einzuladen, was der Künstlerin nach der Mittagspause ohne ihr Essen gerade recht kam. In einem um diese Uhrzeit ruhigen Restaurant bestellten sie Tee und ein Nudelgericht für Michiru, sowie einen Eisbecher für Mamoru. „Also. Was gibt´s Neues?“, wollte der Schwarzhaarige wissen. „Naja, Hotaru geht es gut… Sie fragt mich fast jeden Tag, ob wir nicht zusammen spielen könnten. Ich frage mich, wo ihr Talent her kommt.“, schmunzelte die Streicherin. „Setsuna geht es wie immer und Papa siehst du beim Verlag ja fast noch häufiger als ich ihn zuhause…“ „Eigentlich wollte ich wissen, was es bei dir Neues gibt.“, stellte Mamoru klar und sah seine Schwester, die seinem Blick auszuweichen schien, durchdringend an. „Was soll schon sein? Alles wie immer.“ Michiru fand die Tasche, die an dem Stuhl eines Gastes am Nachbartisch hing, viel zu interessant, weshalb ihr Bruder wissend lächelte. „Vater sagte, du wärst in letzter Zeit auffallend gut drauf.“, sagte er, währenddessen er dankend den soeben gebrachten Tee entgegen nahm. „Erzählst du mir, warum das so ist? Ich würde mich gerne mit dir freuen.“ Betrübt sah die Künstlerin jetzt auf ihr Teeglas. „Das muss er dir wohl letzte Woche erzählt haben, oder? Seit Samstagabend ist das nämlich nicht mehr der Fall.“, murmelte sie. Der Blick des jungen Verlegers änderte sich. „Michi, auch wenn ich nicht mehr bei euch wohne, kannst du jeder Zeit zu mir kommen, wenn du jemanden zum reden brauchst, das weißt du doch, oder?“ Die Violinistin seufzte leise und sah ihrem Bruder dann in die Augen. „Ok, also… Es gibt da eine neue Schülerin in meiner Klasse, Haruka. Und ich glaube, ich habe mich ein wenig in sie verguckt…“, gab sie leise von sich. Zu Mamoru hatte sie so viel Vertrauen, wie zu keinem anderen Menschen. Egal worum es ging, ihm konnte sie wirklich alles anvertrauen. Deshalb versuchte Michiru gar nicht erst, um irgendwelche Details drum herum zu reden. „Aber das ist doch ein Grund zur Freude, oder nicht?“, überlegte er vorsichtig. „Ja, eigentlich schon. Bis Freitag war ja auch alles in bester Ordnung. Aber ich glaube, sie… hat nicht so viel Interesse an mir, wie ich an ihr.“, fuhr die Schülerin fort. Nach einem Moment der Stille sah sie in das fragende Gesicht ihres Bruders auf. „Sie hat anscheinend eine andere. Denke ich zumindest…“, erklärte sie und seufzte erneut, bevor sie weiter sprach: „Wir waren am Freitag in einem Café und ich glaube, da haben wir eine Ex-Freundin oder so getroffen. Jedenfalls war sie so komisch Haruka gegenüber. Und sie hat mich so abwertend angesehen… Und am Samstag habe ich Haruka gesehen, wie sie mit Kikyo-san, unserer Klassensprecherin, unterwegs war. Kannst du dir das vorstellen? Sie ist noch nicht mal einen Monat hier in Tokio und macht sich gleich an drei Frauen ran. Und ich bin auch noch so blöd und verliebe mich gleich in sie.“ Beschämt stützte sie ihre Stirn an ihrer Handfläche ab. Nach einer kleinen Denkpause holte Mamoru tief Luft. „Weißt du denn, dass es eine Ex-Freundin war? Und wenn sie erst seit ein paar Wochen hier lebt, hat sie sich von Kikyo-san vielleicht nur die Stadt zeigen lassen, meinst du nicht? Ich kenne sie ja nicht, aber wenn sich meine kleine Schwester zum ersten Mal überhaupt verliebt, kann sie kein allzu schlechter Mensch sein, oder? Erzähl doch mal was über sie. Wie hat sie es geschafft, ausgerechnet dir den Kopf zu verdrehen?“ Langsam begann Michiru zu reden. Sie ließ nichts aus, nicht das Kribbeln bei ihrer ersten Begegnung mit der Pianistin, nicht die Umarmung nach dem Streit mit Hiro und nicht die Motorradfahrt zur Schwimmhalle. Schließlich berichtete sie von dem gemeinsamen Freitagnachmittag und träumte nur noch abwesend vor sich hin. Still lächelte ihr Mamoru zu und ließ sie in ihren Gedanken, bis der Kellner mit ihrem Essen und seinem Eisbecher kam. „Also ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich nicht für dich interessiert.“, meinte er, als die Violinistin offenbar wieder in die Realität gefunden hatte. „Ich bin mir nicht sicher, was die Sache mit dieser Amerikanerin zu bedeuten hat, aber ich glaube nicht, dass Haruka etwas von Kikyo-san will. Michi, du hast endlich jemanden gefunden, der dir etwas bedeutet. Und es hört sich für mich danach an, als würdest du auch ihr etwas bedeuten! Ich weiß nicht, ob sie in dir nur ihren Schützling sieht, oder vielleicht doch mehr. Aber tu mir bitte den Gefallen und gib nicht einfach auf! Sprich mit ihr! Hör dir an, was sie zu sagen hat und vielleicht ist das alles nur ein dummes Missverständnis.“ Sein Blick duldete keine Widerrede „Okay.“, nickte Michiru langsam. „Ich rede morgen mit ihr.“ Nachdem sie einen Moment lang abwesend auf das Eis ihres Gegenübers gestarrt hatte, trat plötzlich ein Grinsen in ihr Gesicht. „Schokoeis mit Sahne, Schokosoße und Schokosplitter. Das kann nicht gesund sein, Mamo-chan.“ „Natürlich ist es das! Schokolade macht glücklich und glücklich macht gesund.“ Egal, wie schnell sie auch fuhr, der Wind schaffte es nicht, Harukas Gedanken zu ordnen. Nach Stunden des Umherirrens gab sie schließlich auf und machte sich auf den Weg zurück zum Hotel. Unkonzentriert versuchte sie ihre Hausaufgaben zu erledigen. Schließlich legte sie sich mit rasenden Kopfschmerzen ins Bett. Erst spät in der Nacht fand die Blondine endlich in einen unruhigen Schlaf und so fühlte sie sich am nächsten Morgen ganz und gar nicht fit. Stöhnend schleppte sie sich ins Bad und anschließend zum Bäcker, um sich ein Brötchen für die Fahrt zur Schule zu kaufen. Sie war spät dran, also hievte sie sich direkt ins Klassenzimmer und setzte sich neben die bereits anwesende Michiru. Schweigend warteten sie darauf, dass Frau Ogata endlich die Stunde eröffnete. Als es zum Stundenwechsel klingelte, nahm die Geigerin ihre Tasche und erreichte zügig den Korridor, wo sie plötzlich stehen blieb. Mit gesenktem Blick drehte sie sich um und lehnte sich gegen die Wand. Nach etlichen Schülern erschienen schließlich Haruka und Katashi in der Tür. Schweigend sah die Violinistin die Blondine an, woraufhin Katashi dieser einen aufmunternden Klaps auf die Schulter gab und mit den Worten „Ich geh schon mal vor.“ verschwand. „Guten Morgen.“, sagte die Pianistin leise und setzte sich langsam in Bewegung. Erst wenige Meter vor dem Chemieraum fand Michiru ihre Stimme wieder. „Wenn du nichts anderes geplant hast, würde ich in der Pause gerne mit dir über etwas reden.“, sprach sie leise und setzte sich schnell an ihren Platz, ohne auf die Antwort der Sportlerin zu warten. Mit einem mulmigen Gefühl setzte sich auch die Leichtathletin. Auffallend langsam packte Michiru ihre Unterlagen zusammen, sodass Haruka bereits vor der Tür auf sie wartete. Als letzte verließ die Malerin den Raum und starrte verlegen auf den Boden vor ihrer Mitschülerin, die sie betrübt ansah. Nach einer gefühlten Ewigkeit seufzte die Blondine und schlug ihrem Schützling vor, ihr Gespräch an der frischen Luft zu führen. Schweigend liefen sie zu dem ruhigsten und entlegensten Platz des Schulhofes, wo sich die beiden Schülerinnen auf ihre Bank setzten. Wieder vergingen Minuten, bis Haruka die Stille durchbrach. „Michiru, ich weiß nicht, was ich getan habe. Ich kann nur immer wieder sagen, dass es mir leid tut, sollte ich dich irgendwie verletzt haben. Aber bitte hilf mir, dich zu verstehen!“ Sie wandte sich ihrem Engel zu und versuchte ihren Blick zu treffen. „Ich bin am Verzweifeln. Ich dachte, Freitagnachmittag hätte dir genauso viel bedeutet, wie mir. Ich wollte dir mit meinem Abschiedskuss nicht zu nahe treten. Bitte vergib mir.“, flehte sie und die Violinistin sah endlich auf. „Das ist es nicht. Ich… habe dich am Wochenende mit Kikyo-san gesehen.“, sprach sie endlich. Nachdenklich legte die Blondine ihre Stirn in Falten. Nachdem sie tief Luft geholt hatte, redete Michiru schließlich weiter: „Was ist da zwischen euch? Ich meine, ich dachte… Ich dachte, ich wäre dir wichtig. Und da treffen wir erst eine offensichtliche Ex-Freundin von dir, die du noch nicht länger als zwei Wochen kennen kannst und gleich am nächsten Tag sehe ich dich mit der Nächsten. Ich dachte nur,… ich kenne dich… Aber im Prinzip bist du nicht anders als Kawashima. Schmeißt dich an jede attraktive Frau, die dir über den Weg läuft und nutzt es aus, wenn sie deiner charmanten Art und deinen grünen Augen verfallen…“ Wieder sah die Künstlerin von Haruka ab. >Tenoh, du bist so ein Idiot! Ich wusste, das mit Sarah war ein Fehler.< Die Leichtathletin stand auf. Langsam stellte sie sich ihrem Engel gegenüber und kniete sich direkt vor ihr auf den Boden. Vorsichtig nahm sie die Hände ihres Schützling in ihre eigenen und sah ihr in die niedergeschlagenen Augen. „Es tut mir leid, dass ich dich nicht gleich richtig aufgeklärt habe. Ich sagte ja bereits, dass Sarah zur Zeit im gleichen Hotel wie ich untergebracht ist, aber ich habe dir verschwiegen, dass ich sie an der Hotelbar kennen gelernt habe. Wir haben zusammen Wein getrunken und ganz sicher hatte sie noch die Absicht, mich auf mein Zimmer zu begleiten. Aber das hat sie nicht! Ich habe sie abgewiesen, ganz ehrlich! Ich gebe zu, ich habe mit ihr geflirtet und in Nagoya hätte ich sie auch mit genommen, aber als ich an dich gedacht habe, taten mir meine Gedanken leid! Also habe ich die Rechnung bezahlt und bin gegangen. Allein. Als sie uns am Freitag gesehen hat, war sie wohl eingeschnappt und hat vermutlich angenommen, ich wäre mit dir zusammen und hätte sie wegen dir versetzt – was ich im Prinzip ja auch getan habe – und ich denke, deshalb hat sie dich auch so abwertend angesehen. Am liebsten hätte ich ihr diesen abfälligen Blick ausgetrieben, aber ich habe befürchtet, dann würdest du von dem Abend an der Hotelbar erfahren und nichts mehr mit mir zu tun haben wollen, weil du mir nicht glauben würdest. Es lief nichts zwischen uns. Das verspreche ich dir! Sie hat mir überhaupt nichts bedeutet! Es war nur der Wein, der mich überhaupt dazu gebracht hatte, mit ihr zu sprechen.“ Nachdenklich sah Michiru in die Augen ihres Gegenübers. „Und was ist mit Kikyo-san?“ Lächelnd seufzte die Blondine. „Mit ihr ist überhaupt nichts. Sie ist einfach eine Freundin. Nicht mehr und nicht weniger. Sie und Junko-san waren die ersten, die auf mich zu kamen. Und sie haben mich darin unterstützt, Kawashima die Stirn zu bieten. Eigentlich wollten sich die beiden mit mir am Wochenende treffen, aber da Junko-san keine Zeit hatte, habe ich Kikyo-san eben abgeholt und war mit ihr allein unterwegs. Du kannst mir glauben, dass mir dieser eine Nachmittag mit ihr nicht annähernd so viel bedeutet hat, wie jede einzelne Sekunde mit dir.“ Nach einem langen Moment des Schweigens trat schließlich ein Lächeln auf Michirus Gesicht. „Tut mir leid. Ich weiß auch nicht, was mich so aufgeregt hat.“, gestand sie leise und eine Träne rann ihr über ihre Wange. Erleichtert stand Haruka auf und zog Michiru in eine Umarmung. „Mir tut es leid. Ich hätte dir nichts verheimlichen sollen.“, flüsterte sie in die gewellte, türkisfarbene Mähne ihres Schützlings. „Du findest mich also charmant?“, grinste die Blondine frech am Pausenende auf dem Weg zum Geschichtsraum, woraufhin sie leicht von der jüngeren Schülerin in die Seite geboxt wurde. „Ich sagte, die anderen verfallen deiner charmanten Art. Von mir habe ich nichts gesagt.“, schmunzelte die Violinistin und begegnete plötzlich Kikyos besorgtem Blick, als sie das Klassenzimmer betraten. Eine leichte Röte legte sich auf ihre Wangen. Verlegen sah sie auf den Boden und zog Haruka hinter sich her zu ihrem Patz. Verwundert schaute sich die Rennfahrerin um und erkannte schließlich die Klassensprecherin. Grinsend zwinkerte sie ihr zu, woraufhin sich die Brünette erleichtert von ihr abwandte und ihrer besten Freundin etwas zu tuschelte. In der Mittagspause schlenderten Haruka und Michiru in die Cafeteria, wo sie Katashi allein an einem abseitsgelegenen Tisch erkannten. Nachdem sie sich ihr Essen geholt hatten, setzten sie sich zu ihm und ernteten einen überraschten aber erleichterten Blick. „Wie ich sehe, ist zwischen euch alles wieder in Ordnung?!“, grinste er breit und reichte der Künstlerin daraufhin die Hand. „Kusaka Katashi.“ „Ich weiß. Immerhin gehen wir seit Jahren in dieselbe Klasse.“, zwinkerte sie. „Das schon. Ich war mir aber nicht sicher, ob du mich überhaupt kennst. Schließlich gehe ich davon aus, dass Hara-san und Kawashima auch nicht wissen, wer ich bin.“ „Die beiden sind auch sehr oberflächlich und nicht wirklich aufmerksam, wenn es nicht gerade um Geld geht.“, bemerkte die Violinistin und begann ihren Salat zu zerpflücken. Ohne zu fragen nahm ihr Haruka die lästigen Pilze ab und sortierte dafür die Sojabohnen aus ihrem eigenen Gemüse, um sie der Jüngeren zu geben. Schmunzelnd beobachtete Katashi den Tausch. „Ihr versteht euch ja blendend.“, erwähnte er unschuldig, weshalb sich auf den Wangen der Schülerinnen eine leichte Röte bildete und sie sich verlegen ihrem Essen widmeten. Nach der letzten Unterrichtsstunde schlenderten Haruka und Michiru als letzte aus dem Raum und wanderten langsam nach draußen. Ein starker Regen hatte eingesetzt, also holte die begabte Künstlerin einen Schirm aus ihrem Spint und hakte sich auf dem Weg zum Parkplatz bei der Blondine ein. „Bei dem Wetter willst du doch nicht allen Ernstes mit dem Motorrad fahren?!“, stellte sie fest, als sie die Maschine erreicht hatten. „Warum denn nicht?“, zuckte die Blondine mit den Schultern und streckte ihren freien Arm unter dem Schirm hervor. „Ich bin schon bei schlechterem Wetter gefahren. Willst du mitkommen?“ Die Violinistin schüttelte energisch den Kopf. „Nein danke, ich bevorzuge den Bus. Das Wasser ist zwar mein Element, aber nur, wenn es nicht von oben kommt.“ Zügig nahm sie der Leichtathletin den Schirm ab, als sie feststellte, dass sie sich immer noch an ihrer Mitschülerin festhielt. „Hey! Wie unhöflich…“, beschwerte sich die Blondine, als sie plötzlich im Regen stand und machte noch einen Schritt auf Michiru zu. „Entschuldige bitte. Aber ich dachte, dir macht das Wetter nichts aus?!“, schmunzelte die Künstlerin und sah unschuldig in die Augen ihres Gegenübers. >Dieser Blick…< Haruka konnte ihrem Engel nichts entgegen bringen. Viel zu sehr wurde sie von dem strahlenden Türkis gefesselt, das sich bei genauerem Hinsehen in verschiedene tiefe Blau- und Grüntöne aufspaltete. Langsam hob sie ihre Hand, um der Künstlerin sanft über ihre Wange zu streichen. Verloren in den grünen Augen der Pianistin schmiegte sich die Violinistin der liebevollen Berührung entgegen. Schließlich gab sie ihrem Verlangen nach und ließ sich in die Arme der Blondine fallen. Sofort umklammerte die Leichtathletin ihren Schützling und legte ihre Wange auf deren Scheitel ab. „Es tut mir leid, dass ich dich in den letzten Tagen so kalt ignoriert habe.“, entschuldigte sich die Schönheit. Sie merkte, wie sie Haruka noch enger an ihren Körper drückte. Unhörbar seufzend schloss sie die Augen und atmete ruhig den Rosenduft ihrer Mitschülerin ein. Schweigend standen die beiden jungen Frauen auf dem Parkplatz, bis der Regen nachließ und ein kräftiger Windzug an Michirus Schirm zerrte. Enttäuscht sah die Künstlerin auf. „Ich schätze, wenn du dir keine Erkältung einfangen willst, solltest du jetzt fahren. Bevor es wieder regnet, meine ich…“, erklärte sie leise und löste sich langsam aus der Umarmung. „Okay.“ Harukas Hand ruhte immer noch in der Taille ihres Engels. Einen Momentlang lächelte sie noch still in das Gesicht der Schönheit und setzte sich dann schließlich ihren Helm auf. „Dann bis morgen.“, verabschiedete sie sich etwas niedergeschlagen und startete ihre Maschine. Verträumt sah ihr die Violinistin nach, bis die Rennfahrerin aus der Einfahrt verschwunden war. „Bis morgen…“, flüsterte sie abwesend zu sich selbst und machte sich gedankenverloren auf den Weg zur nächsten Bushaltestelle. Kapitel 10: ------------ Kapitel 10 Endlich konnte Haruka wieder die Zeit mit ihrem Engel genießen. Nur zwei Tage lang wurde sie von der Künstlerin kalt ignoriert, aber ihr kam es so vor, als hätte sie ein ganzes Jahr nicht mit ihr gesprochen. In Katashi hatte sie einen Freund gefunden, für den der Rennsport eine ähnliche Leidenschaft wie für sie selbst darstellte und die immer noch auftretende Röte in Michirus Gesicht, wenn sie Kikyos Blick begegnete, brachte sie jedes Mal wieder zum schmunzeln. Außerdem war Donnerstag und die Rennfahrerin hatte extra ihren zweiten Helm mit gebracht, damit sie ihren Engel nach dem gemeinsamen Lernen auch nach Hause fahren konnte. In der Mittagspause traf sie mit Katashi wieder auf die Violinistin. Unbewusst aßen die beiden jungen Frauen schneller als sonst, also sah der Brünette bald verblüfft von seinem noch halbvollen auf die leeren Teller seiner Mitschülerinnen. „´enn ihr ´ollt, könnt ihr schon losch. Isch muss schowiescho zu einer anderen Schporthalle alsch ihr, weil isch Baschketball ´abe.“, nuschelte er mit vollem Mund. Fragend sah die Leichtathletin zu Michiru. „Macht es dir denn nichts aus, hier allein sitzen zu bleiben?“, fragte die Schwimmerin. „Ach was, ich habe Jahre lang allein gegessen. Ihr könnt ruhig los fahren. Haruka-sans Weg ist doch sowieso schon lang genug, mit diesem Umweg jede Woche.“, grinste er frech, nachdem er einen großen Bissen herunter gewürgt hatte, und erntete dafür einen tadelnden Blick von seiner blonden Freundin. Die stand jetzt auf und stellte Michirus Tablett auf ihr eigenes. „Na dann. Bis morgen.“, sagte sie knapp und verließ, nachdem sich die Künstlerin ebenfalls verabschiedet hatte, die Cafeteria. Auf dem Weg über den Schulhof kam die Violinistin ihrer Mitschülerin immer näher und schließlich griff sie nach der Hand der Sportlerin. Lächelnd sah Haruka zu ihr herüber, aber die Streicherin richtete ihren Blick lieber auf ein Schulgebäude und verbarg so ihre erröteten Wangen vor der Läuferin. Als sie den Parkplatz erreicht hatten, trat Haruka ihrem Schützling gegenüber. Ohne ihre Hand los zu lassen, hob sie einen der Helme. Michiru überlegte und sah der Pianistin dann verführerisch in die Augen. Diese verstand sofort. Grinsend löste sie sich von dem Griff der Künstlerin und setzte ihr vorsichtig den Helm auf. „Eigentlich kannst du das doch auch allein, oder nicht?“, fragte sie, als sie den Gurt am Kinn der Schönheit straff gezogen hatte. „Vielleicht… Aber ich fühle mich sicherer, wenn du es tust.“, zwinkerte Michiru und trat schon mal dichter an das Motorrad heran. „Worauf wartest du? Du willst doch nicht schon wieder zu spät kommen, oder?“, mahnte sie auffordernd, als sie feststellte, dass ihre Fahrerin immer noch grinsend hinter ihr stand. Haruka schüttelte kurz ihren Kopf, setzte dann ihren eigenen Helm auf und schwang ein Bein über ihre Yamaha. Hilfsbereit reichte sie der Geigerin ihre Hand. Als diese sie ergriff, wurde sie sofort zu der Maschine heran gezogen. Überrascht taumelte sie kurz gegen ihre Mitschülerin die sie zwinkernd auffing. „Wenn ich bitten darf…“ Verblüfft stellte die Künstlerin fest, dass es die Blondine in einer fließenden Bewegung geschafft hatte, ihr, während sie taumelte, den Arm um die Taille zu legen und ihr mit der Hand unter den Oberschenkel zu greifen. Gerade, als sich Michiru über diese dreiste Annäherung beschweren wollte, wurde sie gekonnt auf den Sitz gehoben. Erschrocken hielt sie sich an dem Arm der Leichtathletin fest. Noch immer grinsend zog die Rennfahrerin diesen wieder zu sich und startete den Motor, woraufhin Michiru kurz tief durchatmete und dann ein Stück nach vorn rutschte, um sich an der Fahrerin festzuklammern. Selbstbewusst wurde Haruka allmählich schneller, sodass sich ihr Schützling noch dichter an sie schmiegte. Nach einer kurzen Fahrt hatten sie ihr Ziel erreicht und Michiru rutschte von ihrem Sitz. Diesmal nahm sie sich ihren Helm selbst ab und sah strafend zu der Läuferin. „Darüber sprechen wir später noch.“, tadelte sie mit ernstem Blick, begann dann jedoch zu lächeln und verschwand nach einem kurzen „Bis nachher.“ in der Eingangstür der Schwimmhalle. In der Mädchenumkleide angekommen, richteten sich gleich alle Blicke auf Haruka. Ein paar der jungen Damen beobachteten sie neugierig, andere hingegen beeilten sich noch mehr, um dem Raum so schnell wie möglich entfliehen zu können. Grinsend befreite sich die Blondine von ihrem Hemd und sah zu Aiko, die ihren Blick immer noch nicht von ihrer Mitschülerin lösen konnte. „Es macht mir ja nichts aus, so von euch gemustert zu werden, aber ich denke, ihr solltet euch jetzt doch mal beeilen. Fukami-sensei wird euer Interesse am weiblichen Körper bestimmt nicht als Ausrede durchgehen lassen.“ Als sie fertig umgezogen war, verließ sie den Raum, wo neben Aiko auch ein paar weitere Schülerinnen mit erröteten Wangen zurück blieben. Die Doppelstunde verging für die Rennfahrerin wie im Flug und nachdem sie ihre Klassenkameradinnen durch weitere Sprüche erneut in Verlegenheit gebracht hatte, sprintete sie wieder zu ihrem Motorrad, um schnellstmöglich zu ihrem Engel zurück zu kehren. Michiru wartete bereits vor der Schwimmhalle. Der Schwimmunterricht wurde heute früher beendet, weil Frau Ogata noch einen dringenden Termin hatte, also setzte sich die Streicherin auf eine Bank und wartete. Nachdenklich betrachtete sie den Helm in ihren Händen. Sie drehte und wendete ihn und schließlich sah sie sich kurz um, um sicher zu gehen, dass niemand in der Nähe war. Dann beugte sie sich ein wenig vor und schnupperte an dem Kopfschutz. Enttäuscht musste sie feststellen, dass der Rosenduft fast völlig verzogen war. Seufzend platzierte sie das Stück Kunststoff links neben sich auf der Bank, zog ihre Tasche auf ihren Schoß und legte ihren Kopf darauf ab. Verträumt schloss sie die Augen und döste bald vor sich hin. Die heutige Doppelstunde war besonders anstrengend gewesen, weil die Lehrerin mit der Vorbereitung für den Schwimmwettkampf beginnen wollte. Also merkte die Violinistin nicht, wie die rote Yamaha auf den Parkplatz fuhr und abgestellt wurde. Haruka war ihr Schützling sofort aufgefallen. Nachdem sie ihren Helm auf ihrer Maschine abgelegt hatte, machte sie sich leise auf den Weg zu ihr. Still nahm sie den Kopfschutz von der Bank und legte ihn auf den Boden. Schweigend setzte sie sich zu der jungen Künstlerin und beobachtete sie. Nachdem sie kurz darüber nachgedacht hatte, ließ sie ihre Finger sanft von den Schultern der Schönheit aus über deren Rücken und wieder zurück streichen. Ein Lächeln bildete sich auf Michirus Lippen. Ohne die Augen zu öffnen ließ sie ihre Tasche zu Boden gleiten, legte ihren Kopf auf dem Schoß der Pianistin ab und zog ihre Beine mit auf die Bank. Träumend legte sie ihre Rechte auf dem Oberschenkel der Blondine ab und seufzte leise. Schmunzelnd sah ihr Haruka zu und legte ihre eigene Hand auf der Taille ihres Engels ab, als dieser endlich seine Liegeposition eingenommen hatte. Wie in Trance kuschelte sich Michiru noch weiter an ihre Mitschülerin und verschränkte die Finger ihrer Linken mit denen, die sie so zärtlich berührten. Sanft strich Haruka durch die türkisfarbene Mähne und entlockte der Violinistin einen weiteren zufriedenen Seufzer. Vorsichtig hob sie den hübschen Kopf an, um auf der Bank ein Stück herunter zu rutschen, sodass auch sie jetzt mehr lag als saß. Dann legte sie das Haupt der Künstlerin auf ihrem Bauch ab. In dieser Position konnte sie ihren eigenen Kopf gedankenverloren gegen die Rückenlehne stützen und den ruhig atmenden Körper ihres Engels beobachten. Michiru hatte sehr wohl die liebevollen Gesten ihrer Mitschülerin bemerkt, jedoch entschied sie sich dafür, noch einen Moment zu verharren. Nach einigen Minuten hielt sie es nicht mehr aus. Sie öffnete ihre Augen und drehte sich auf den Rücken, wobei sie die Hand der Blondine nicht los ließ und sie stattdessen auf ihren Bauch zog. Dann legte sie ihren Kopf auf die Seite und blickte endlich in das hübsche Gesicht der Pianistin, die sie fürsorglich anlächelte. Noch immer kraulte Haruka mit ihrer Linken das Haar der Jüngeren. Als sich ihre Blicke trafen, hatte sie wieder das Gefühl in dem tiefen Türkis zu versinken. Verloren sahen sich die beiden gegenseitig an, bis der Januarwind Michiru abermals frösteln lies. „Wir haben wohl doch noch Winter.“, lächelte Haruka, richtete sich vorsichtig ein wenig auf, um sich ihr Jackett aus zu ziehen, legte es liebevoll um den zierlichen Körper der Schönheit und fand schließlich wieder in ihre alten Position. Die Künstlerin konnte nicht anders, als sich auf die rechte Seite zu drehen, ihre Beine noch mehr an zu ziehen und sich noch dichter an ihre Mitschülerin zu schmiegen. Der zarte Rosenduft, der von ihrer neuen Decke ausging, ließ sie in eine andere Welt abtauchen. Zufrieden beobachtete die Sportlerin, wie ihr Schützling seine Augen schloss und offensichtlich an dem Jackett schnupperte. Erst als die Abenddämmerung einsetzte, durchbrach die Violinistin die Stille. „Ich fürchte, ich muss jetzt nach Hause. Ich habe Hotaru versprochen ihr heute bei den Hausaufgaben zu helfen…“, flüsterte sie traurig und sah wieder in Harukas sanftes Gesicht. Diese hauchte nur „Okay.“ und strich noch ein paarmal durch die gewellte Mähne ihres Engels, bevor sich die Geigerin langsam erhob. Mit einem letzten, tiefen Atemzug sog die Schwimmerin den Duft des Jacketts ein und gab das Kleidungsstück dann seinem Besitzer zurück. Grinsend nahm es die Blondine entgegen. Als Michiru registrierte, dass ihr Verhalten nicht unentdeckt geblieben war, lief sie rot an. Ihr Körper hatte sich den ganzen Nachmittag über von ihren Instinkten führen lassen. Verlegen hob sie ihre Sachen auf und schritt langsam und mit gesenktem Blick neben Haruka her zum Parkplatz. Hilfsbereit setzte ihr die Pianistin ihren Helm auf, sicherte sich selbst, setzte sich auf ihre Maschine und half ihr – diesmal charmanter – auf das Motorrad. Schüchtern versuchte sich die Malerin zu beherrschen, doch schon, als sie den Motor aufheulen hörte, rutschte sie näher an die Fahrerin heran und umklammerte sie. Auf der rasanten Fahrt zu ihrer Wohnung hatte ihr Verstand abermals nichts zu sagen. Sie genoss einfach die Nähe zu der Läuferin und hatte das Gefühl, ihr gar nicht nahe genug kommen zu können. Haruka fühlte ihrerseits den wieder fester werdenden Griff ihres Engels und wäre nur zu gern mit ihm an einen abgelegenen, warmen und romantischen Ort gefahren, doch ihr Verantwortungsbewusstsein ließ sie wenigstens halbwegs klar denken, weshalb sie bald in die Straße bog, in der Michirus Wohnung lag, und vor einem weiten Eingang zum stehen kam. Grinsend stellte sie fest, dass sich die Violinistin wohl nicht von ihr lösen wollte, also wartete sie noch einen Moment, bis sie schließlich ihren Kopf zur Seite drehte und ruhig über ihre Schultern sprach: „Ich will ja auch nicht, dass du gehst, aber deine Schwester wartet sicher schon.“ Erschrocken öffnete die Künstlerin ihre Augen und rutschte etwas ungeschickt vom Motorrad, weshalb sie sich erneut an der Leichtathletin fest halten musste. Lächelnd stieg diese nun ebenfalls von der Maschine und nahm erst sich selbst und dann ihrer Mitschülerin, die sich immer noch an ihr festhielt, den Helm ab. „Danke.“, brachte die Schwimmerin nur leise hervor und wandte sich schon dem Hauseingang zu, wurde jedoch fest gehalten. Sanft aber bestimmt wurde sie zurück gezogen und zärtlich auf die Wange geküsst. „Bis morgen, mein Engel.“, flüsterte Haruka, lächelte ihr noch einmal entgegen und schwang sich zurück auf ihre Yamaha, um kurz darauf davon zu rasen. Michirus Herz schlug so kräftig wie noch nie, weshalb sie sich einen Moment lang sammeln musste, bevor sie den Weg nach oben antreten konnte. Immer noch rauschte das Blut in ihren Ohren, als sie einige Minuten später die Tür zu ihrer Wohnung öffnete und ihr die kleine Hotaru entgegen sprang. Abwesend lächelte die Ältere und ließ sich von ihrer Schwester in die Küche führen. „Du kommst ganz schön spät, Chiru-chan. Mama hat schon das Essen fertig, also müssen wir uns hinterher an meine Hausaugaben setzten,“, erklärte die Dunkelhaarige und nahm an dem gedeckten Abendbrottisch Platz, an dem ihre Eltern bereits saßen und warteten. Setsuna erkannte den Blick ihres Schützlings sofort und wusste ohne jegliche Erklärung, dass sich das Problem mit Haruka gelöst haben musste. Erleichtert füllte sie den Teller der Violinistin und reichte ihn zwinkernd an ihre Stieftochter weiter, die das Signal augenblicklich verstand und etwas rot anlief. Ungeduldig wartete Haruka auf ihren Engel. „Guten Morgen“, wurde sie einstimmig von Kikyo und Junko begrüßt und antwortete ihrerseits mit einem charmanten Lächeln. „Sieht so aus, als wäre zwischen euch alles wieder bestens?!“, stellte Junko fest. „Ja, das ist es. Zum Glück! Für mich war es die reinste Qual, als sie nicht mit mir gesprochen hat.“ „Was war eigentlich los?“, wollte Kikyo wissen und wurde von ihrer älteren Freundin breit angegrinst. „Ganz ehrlich? Sie hat uns gesehen.“, erklärte diese knapp und schmunzelte über die Verwirrung im Gesicht ihrer Mitschülerinnen. Nachdem sie sich daran sattgesehen hatte erklärte sie schließlich weiter: „Als ich dich am Wochenende nach Hause gefahren habe, hat sie uns gesehen. Und am Tag vorher haben wir ja unglücklicherweise auch noch Sarah getroffen. Also dachte sie, ich wäre eine Aufreißerin und hätte mich mittlerweile schon an euch beide ran geworfen. Sie hielt mich für einen Macho, sagte sogar, ich wäre nicht besser als Kawashima. Darum wollte sie nichts mehr mit mir zu tun haben.“ „Sie war eifersüchtig?“, schlussfolgerte die Brünette entgeistert. „Wieso eifersüchtig? Nein, sie war sauer, weil ich offensichtlich in zwei Wochen zwei Frauen aufgerissen habe…“ „Also war sie eifersüchtig.“, klärte Kikyo trocken. „Haruka-san, das ist doch ein gutes Zeichen! Überleg doch mal! Sie will nicht, dass du dich mit anderen Frauen triffst. Das heißt doch wohl, das sie dich für sich will. Guck nicht so skeptisch! Das ist doch eindeutig.“ „Darf ich mal kurz fragen, wer Sarah ist?“, warf Junko neugierig ein. Als die Klassensprecherin jedoch das breite Strahlen im Gesicht der Leichtathletin deutete, als diese ihren türkishaarigen Engel entdeckt hatte, zog sie ihre Freundin davon. „Das erklär ich dir besser drinnen. Wir wollen doch nicht wieder etwas hoch wühlen.“, erklärte Kikyo und zerrte die Dunkelhaarige in Richtung des Musikraums davon. „Guten Morgen!“, grinste Haruka breit, als ihr Schützling auf sie zu kam. „Guten Morgen.“, lächelte die Violinistin zurück und strich sich verlegen eine Strähne aus dem Gesicht. Wieder hatte sie von der Rennfahrerin geträumt und so konnte sie es kaum erwarten, endlich aus dem Bus und zu ihrer Pianistin zu eilen. „Wollen wir?“, fragte die Blondine, nachdem sich die Künstlerin abermals kurz in ihrem Traum verfangen hatte. Die Streicherin schüttelte kurz ihren Kopf und lächelte ihr Gegenüber erneut an. Im Musikraum angekommen traf sie den Blick ihrer Klassensprecherin und schrak kurz hoch, als diese ihr zu zuzwinkern schien. Hatte ihr Haruka etwa von ihrer Eifersucht erzählt? Michiru konnte das Aufsteigen von Röte in ihrem Gesicht nicht verhindern, also suchten ihre Augen die Violine, die zur Dekoration an einer Wand hing, und beruhigte sich durch Gedanken an klassische Musik. Der letzte Tag der Schulwoche verging wie im Flug und nachdem die Künstlerin festgestellt hatte, dass ihre Mitschülerin heute ohne zweiten Helm gekommen war, packte sie ihre Unterlagen nach dem Unterrichtsende langsam und irgendwie enttäuscht zusammen. Wie gewohnt wartete die Sportlerin geduldig auf ihren Schützling. Auf dem Weg nach draußen bemerkte sie dessen traurigen Blick. „Ist alles in Ordnung?“, wollte die Blondine wissen. „Ja, natürlich. Warum fragst du?“ „Naja, du wirkst irgendwie niedergeschlagen…“ Wieder brachte Haruka die Schönheit in Verlegenheit. „Es ist alles in bester Ordnung.“ Michiru hakte sich mit leicht geröteten Wangen bei der Größeren ein. „Wenn du nichts dagegen hast, bringe ich dich noch zum Parkplatz.“, fügte sie hinzu und drosselte bewusst das Tempo. Haruka dachte kurz nach und lächelte sanft: „Tut mir leid, ich kann dich heute leider nicht nach Hause bringen. Ich treffe mich gleich mit einem Makler und werde mir einige Wohnungen ansehen. Aber nächste Woche fahre ich dich wieder.“ Die Röte im Gesicht der Violinistin wurde kräftiger. War sie so leicht zu durchschauen? Sich rauszureden war wohl nicht mehr möglich. „Na gut. Dann eben nächste Woche wieder.“, antwortete sie resignierend und löste sich von der Pianistin, um gleich danach ihre Hand zu ergreifen. Bei ihrem Motorrad angekommen löste Haruka linkshändig geschickt den Helm, der an ihrem Rucksack befestigt war, und sah dann liebevoll in das ihr abgewandte Gesicht. „Meine Hand muss ich leider mitnehmen.“ Michiru löste etwas erschrocken ihren Griff. „Ich wünsche dir ein schönes Wochenende, meine Engel.“, lächelte die Rennfahrerin, bekam jedoch keine Antwort. Nachdem sie noch kurz gewartet hatte, schwang sie schließlich ein Bein über ihre Maschine und fügte etwas enttäuscht „Bis Montag…“ hinzu. Gerade, als sie ihren Helm aufsetzten wollte, sah die Künstlerin auf, zögerte noch einen Moment und schnellte plötzlich vor, um der Leichtathletin einen kurzen Kuss auf die Wange zu geben. „Bis Montag.“, flüsterte sie und drehte sich danach schnell um, um zügig in Richtung Bushaltestelle zu verschwinden. Überrascht sah ihr die Läuferin nach. Der Makler zeigte Haruka viele große, teure Wohnungen, aber keine konnte den Anforderungen der Rennfahrerin gerecht werden. Die Objekte lagen alle in den verschiedensten Stadtteilen, sodass sie auch noch den halben Samstag über durch Tokio zogen. Erst am späten Samstagnachmittag besichtigten sie ein Penthouse im Bezirk Minato, das das Interesse der Sportlerin wecken konnte. Sie erreichten die Wohnung mit einem gesicherten Fahrstuhl, dessen Türen sich nach einer etwas längeren Fahrt öffneten und den Blick auf einen breiten Flur freigaben. Nach wenigen Schritten erreichte die Pianistin einen Art Korridor, der nach links und rechts führte. „Wenn Sie mir bitte folgen würden…“, sprach der mittlerweile etwas entnervte Makler und wählte zunächst den linken Weg, der einerseits zu einer hellen und geräumigen Küche, andererseits in ein ebenso großes Bad mit Dusche und Badewanne führte. Haruka wollte einen Blick aus dem Fenster im Bad werfen, wurde jedoch von dem Geschäftsmann abgehalten und zurück über den Korridor geführt. Rechts erkannte die Athletin nun den Weg zum Fahrstuhl, links ließ sie eine Tür liegen und auch der Tür neben dem Fahrstuhlflur schenkte der Mann keine weitere Beachtung. Geradezu öffnete er zielstrebig die Tür zum nächsten Raum. Die Blondine trat ein und fand sich in einem weiten Zimmer wieder. „Das wäre dann das Wohn- und Esszimmer. Damit sie es sich besser vorstellen können, haben wir ein paar Möbelstücke hiergelassen.“, erklärte der Geschäftsmann. Haruka sah sich neugierig um. Auf der rechten Seite erkannte sie den Wohnbereich, links stand ein Tisch, der wohl den Essbereich kennzeichnen sollte. Im Hintergrund fand sie eine große Glastür, die auf einen Balkon zu führen schien. Wieder wurde sie von dem Makler von ihrem Weg abgebracht und in einen Raum geführt, der an den Essbereich angrenzte. Auch von diesem Schlafzimmer aus, gab es einen Weg nach draußen. Fragend sah die Leichtathletin den nicht mehr so gestresst wirkenden Mann an, der ihr endlich zunickte, und betrat den geradezu gewaltigen Balkon. Jetzt verstand sie, warum er ihr so lange vorenthalten wurde. Er war ausgesprochen breit und erstreckte sich nicht nur über die volle Breite des Schlafzimmers, sondern ging noch weiter und um die Ecke. Forschend sah sich die Blondine um und stellte fest, dass er Schlaf- und Wohnzimmer verband. >Was für ein Anbau!< Neugierig widmete sich die junge Frau der Aussicht. Ein Lächeln bildete sich auf ihren Lippen, als sie in der Ferne die Bucht von Tokio erkannte und ihr ein kalter Luftzug durchs Haar strich. Nachdem sie ein paarmal tief ein- und ausgeatmet hatte, wandte sie sich dem Makler zu. „Ich glaube, wir sind doch noch fündig geworden.“, grinste sie breit und der Mann schlug freudig die Hände zusammen. „Das habe ich gehofft! Aber den besten Raum habe ich Ihnen noch vorenthalten.“, lächelte er und führte die Rennfahrerin wieder in den Korridor. Fragend fasste sie an die Klinke der Tür gegenüber des Fahrstuhls. „Oh, nein. Das ist nur die kleine Vorratskammer.“, erklärte der Makler und öffnete den Raum auf der gegenüberliegenden Seite. Als Haruka diesen betrat, sah sie sich verblüfft um. Es gab keine Fenster und trotzdem war es taghell. Ihr Blick fiel auf eine Wendeltreppe in einer Ecke des Zimmers. Neugierig ging sie darauf zu und sah in gleißendes Sonnenlicht. Fasziniert erklomm sie die Stufen. Nachdem der Geschäftsmann unten einen Schalter neben dem Zimmereingang betätigt hatte, schob sich eine gläserne Tür auf und die Blondine konnte das Dach des Gebäudes betreten, von dem aus sie eine 360-Grad-Aussicht über Tokio genießen konnte. Nach wenigen Augenblicken erklärte der Makler: „Das hier ist zweifelsohne das Highlight dieser Wohnung. Das gesamte Dach würde Ihnen gehören. Ist einem der Balkon nicht romantisch genug, könnte man sich hier das ein oder andere Glas Wein schmecken lassen. Man könnte hier auch Partys geben. Platz wäre ja genug.“ Langsam ging Haruka auf das Geländer zu und ließ ihren Blick über Tokio schweifen. Der Geschäftsmann hatte sich genau den richtigen Zeitpunkt für diese Wohnung ausgesucht, denn am Horizont konnte die Sportlerin dem nahenden Sonnenuntergang entgegen sehen. „Ich nehme sie.“, legte sie fest. Sie drehte sich wieder dem Makler entgegen, der jetzt breit grinste und die Hände rieb. Das Wichtigste wurde noch unten im Wohnbereich geklärt - da Haruka noch nicht volljährig war, sollte sie in der nächsten Woche noch zum Unterschreiben des Kaufvertrages vorbei kommen - und glücklich konnten sich Makler und Käuferin voneinander ins Wochenende verabschieden. Der Hunger trieb die junge Sportlerin in ein nahes Restaurant und nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatte, lehnte sie sich zurück und schloss erschöpft die Augen. Ein Lächeln schlich sich in ihr Gesicht, als sie an den Abschiedskuss von gestern zurück dachte. Sie stellte sich das Bild ihres wunderbaren Engels vor, der sie liebevoll anlächelte. Dieses unbeschreiblich tiefe Türkis… Der sanfte Duft nach Kirschblüte… Die gefühlvolle Melodie der Violine… >Moment mal!< Haruka schrak hoch. Sie hörte tatsächlich die Klänge einer Violine. Suchend sah sie sich um und entdeckte eine etwas abgelegene Tür, vor der ein Portier stand. Neugierig stand sie auf und ging auf die Tür zu. Zweifelsohne kam die Musik aus dem Nebenraum. „Tut mir leid. Geschlossene Gesellschaft.“, sagte der Portier und blätterte weiter in seinen Unterlagen. „Kann es sein, dass Kaioh Michiru da drinnen ein Konzert gibt?“, fragte die Blondine leise und bekam ein desinteressiertes „Glaub schon.“ zur Antwort. Die Leichtathletin ging zurück an ihren Platz, um ihren Helm zu holen und sich an einen Tisch zu setzen, der dem Nachbarraum näher war. Still lehnte sie sich zurück, schloss wieder die Augen und verlor sich in den traumhaften Klängen ihrer Mitschülerin, bis der Kellner kam, um ihr den bestellten Tee und Salat zu bringen. Des Öfteren dachte Haruka, das Konzert wäre vorbei. Offenbar gab die begabte Künstlerin kein normales Konzert. Es gab häufig Pausen, die mal nur wenige Minuten, mal eine halbe Stunde andauerten. Doch irgendwann verstummte die Violine wohl endgültig. Nachdem die Pianistin fast eine Stunde lang der Stille gelauscht hatte, sah sie auf die Uhr ihres Handys, leerte erneut ihr Teeglas und bestellte die Rechnung. Es war weit nach Mitternacht und offensichtlich hatte ihr Engel das Konzert endgültig beendet. Kapitel 11: ------------ Kapitel 11 Dieser Duft… Dieser Duft kräftig blühender Kirschblüten… Haruka zog sich die Decke weiter über den Kopf. Ihr Handywecker hatte sie unbarmherzig aus ihren Träumen gerissen. Fast jede Nacht der letzten Woche war sie gedanklich bei ihrem Engel gewesen. Und fast jeden Morgen sehnte sie sich zurück zu der türkishaarigen Schönheit. Doch wie immer blieb ihr keine andere Wahl, als unter genervtem Gestöhne ihr Handy auszustellen und sich aus dem Bett zu quälen. Sie schleppte sich ins Bad und je wacher sie von der Morgendusche wurde, desto weiter entfernte sich die Erinnerung an ihren Traum. In der Schule angekommen lief sie langsam auf den Eingang des Schulgebäudes zu. Auch wenn sie dem Original nicht so nahe kommen würde, wie der Violinistin in ihrem Traum, war ihr die reale Michiru mit den realen türkisblauen Augen und dem realen Kirschblütenduft am liebsten. Zu Boden blickend atmete Haruka tief durch und begann gedankenverloren zu lächeln. Erst als sie die Stufen zum Schuleingang erreicht hatte, sah sie auf und erkannte zu ihrer Überraschung eben dieses Türkis, an das sie schon das ganze Wochenende über gedacht hatte. „Guten Morgen, Geburtstagskind.“, grinste Michiru und gab der Blondine einen Kuss auf die Wange. „Michiru?!“ „Ich wollte dich überraschen, und damit deinem Geburtstagsgeschenk nichts passiert, hat mich meine Mutter heute mal zur Schule gebracht.“, erklärte die Künstlerin und hielt ihrer Mitschülerin eine kleine Torte entgegen. Verblüfft hob die Leichtathletin die Brauen. Die junge Violinistin konnte offensichtlich nicht nur ausgezeichnet kochen, sondern auch noch backen. Das von ihr präsentierte Gebäck hatte sie offenbar mit Marzipan verkleidet und so erkannte Haruka auf den ersten Blick die Miniaturausgabe eines Flügels, um den filigran ein paar dünne Marzipan-Rosenblüten drapiert worden waren. Mit einem „Wow!“ nahm ihr die Rennfahrerin den Teller mit der Leckerei ab, um das Kunstwerk von allen Seiten betrachten zu können. Sie drehte und wendete es und aus jedem Blickwinkel schien es ein Meisterwerk zu sein. Erst nach einigen Momenten des Staunens sah die Blondine wieder zu ihrer Freundin. „Und den hast du gebacken? Für mich?“, fragte sie skeptisch und bekam ein verlegenes Nicken zur Antwort. Mit einem breiten Grinsen beugte sich Haruka vor und gab ihrer Mitschülerin ihrerseits einen Kuss auf die Wange. „Vielen Dank, mein Engel. So viel Mühe hat sich seit Jahren niemand mehr wegen meines Geburtstages gemacht. Um ehrlich zu sein, hätte ich nicht geglaubt, dass dieses Jahr überhaupt jemand daran denkt. Ich hätte es ja selbst fast vergessen.“, lachte die Athletin schließlich. Michiru legte sich zunächst ein Rotschimmer auf die Wangen, doch als sie die letzten Worte der Läuferin verarbeitet hatte, sah sie betroffen zu ihr auf. „Aber es ist doch dein Geburtstag…“, dachte sie laut nach. „Wie könnte dich jemand vergessen?“ „Ist egal. Ich hab ja dich. Und dass du an mich gedacht hast, ist alles, was für mich zählt.“, stellte die Blondine mit bedrückter, aber sich aufhellender Miene klar. Nach einem weiteren kurzen Kuss auf die Wange ihrer Schönheit machte sich Haruka auf den Weg in das Klassenzimmer. Dort angekommen, stellte sie ihr Geschenk auf ihrem Tisch ab und sah wieder zu der Violinistin. „Woher hast du nur so viel Talent?“, fragte sie kopfschüttelnd. Dann hockte sie sich hin, um das Kunstwerk weiter zu bestaunen. „Ach was, das ist doch nicht der Rede wert. Meine Mutter hatte früher oft gebacken. Von ihr habe ich meine künstlerische Ader…“, erklärte Michiru verlegen und spielte gedankenverloren mit einer türkisfarbenen Haarsträhne, die ihr ins Gesicht gefallen war. >Und noch ein paar Dinge mehr…< Sie schrak kurz auf, als Kikyo und Junko den Raum betraten und neugierig auf Haruka zueilten. „Was ist das denn für eine Skulptur, Haruka-san? Sag bloß, die hast du selbst gemacht?“, wollte die Klassensprecherin wissen. „Nein, diese wunderbare kleine Torte hat mir Michiru geschenkt.“ Die beiden dunkelhaarigen Schülerinnen sahen staunend zu der Künstlerin. „Wie bitte? Das ist eine Torte? Womit hast du dir die denn verdient?“, fragte Junko und beugte sich bewundernd weiter vor, um die Rosenblüten genauer zu betrachten. „Michiru hatte wohl gemeint, mein Geburtstag wäre ausschlaggebend genug.“ Wieder errötete die Streicherin. Plötzlich wurde Haruka gleich von vier Armen umschlossen. „Du hast Geburtstag?! Das wussten wir doch gar nicht!“, jubelte Kikyo. Dann wandte sie sich an Michiru. „Und du hast es gewusst und uns nichts gesagt?“, tadelte sie ihre junge Mitschülerin gespielt empört, stellte sich gleich darauf jedoch neben sie und legte ihr einen Arm auf die Schulter. „Wann feiern wir das Ganze?“ Die Geigerin wurde abermals ganz verlegen. Mit Kikyo hatte sie nie viel zu tun gehabt und sie war sich sicher, dass ihr Haruka von ihrer sinnlosen Eifersucht erzählt hatte. Also atmete sie langsam ein und aus und versuchte ihren Herzschlag zu beruhigen. „Naja, eine Feier war eigentlich gar nicht geplant… Aber wenn ihr nichts vor habt, würde ich euch Drei heute gern auf ein Eis nach der Schule einladen?!“, schlug Haruka vor. „Eis essen? Hört sich gut an!“, meinte Junko und Kikyo zwinkerte vielsagend Michiru zu: „Oder lieber einen Crêpe. Für Eis ist es ja eigentlich noch zu kalt.“, woraufhin die gerade erst blasser gewordene Gesichtsfarbe auf den Wangen der Streicherin wieder kräftiger wurde. „Na gut. Ihr sucht das Café aus und wir treffen uns dann da. Ich würde euch ja gern alle mit nehmen, aber ich habe nur einen zweiten Helm.“, stellte Haruka fest und die Klassensprecherin grinste wieder zu Michiru, um deren Schultern sie immer noch ihren Arm gelegt hatte. „Und wir wissen alle, wem dieser Helm gehört.“ Haruka erkannte, wie unangenehm ihrem Schützling diese Anmerkungen waren und überlegte, wie sie vom Thema ablenken könnte. „Haruka-san, wann schneidest du endlich den Kuchen an?“, unterbrach sie Junko in ihren Gedanken. Auch ihr war die Verlegenheit der Malerin aufgefallen. Anders als ihre beste Freundin fand sie diese kleinen Sticheleien gar nicht lustig. „Eigentlich ist dieses Kunstwerk ja viel zu schön, um es einfach so zu verschlingen… Allerdings läuft mir von dem Duft schon das Wasser im Mund zusammen. Wenn du nichts dagegen hast, werden wir dein Meisterwerk in der Frühstückspause verputzen?!“, grinste die Sportlerin mit angehobenen Brauen ihrem Engel zu, der zwar immer noch verlegen aber längst nicht mehr so errötet dastand und lächelnd nickte. In der Pause wanderte die kleine Gruppe, zu der sich auch Katashi gesellt hatte, also in die Cafeteria und Haruka lieh sich aus der Küche ein Messer, mit dem sie vorfreudig ihr Geburtstagsgeschenk anschnitt. Kikyo hatte darauf bestanden, alles mit ihrem Handy auf Bild festzuhalten und ließ dementsprechend auch von einem jüngeren Schüler ein Gruppenfoto schießen. Gezielt schubste sie Haruka auf Michiru zu und forderte sie auf, ihr dankbar einen Arm um die Taille zulegen. Man solle schließlich auch noch in Jahren den Sinn des Bildes erkennen können. Dann drehte sie sich um und hockte sich neben Junko und Katashi, der schon seit einer gefühlten Ewigkeit den Kuchen freudestrahlend in die Kamera hielt. Auch die Blondine ging nun etwas in die Hocke, winkelte ein Bein an, zog die Künstlerin zu sich hinunter und setzte sie darauf ab. In dieser Position war die Violinistin nun ein wenig größer, sodass Haruka aufsah und ihr mit den Worten „Vielen Dank, mein Engel!“ einen weiteren Kuss auf die Wange hauchte. Verträumt lehnte Michiru ihren Kopf gegen den der Pianistin, die gedankenverloren mit geschlossenen Augen den Duft ihres Schützlings einatmete. Augenblicklich vergaß das Paar, wo es sich befand. So fiel den beiden nicht auf, wie sich Junko, Katashi und Kikyo erhoben und die Klassensprecherin heimlich noch ein weiteres Bild schoss. Seufzend lehnte sie anschließend ihren Kopf gegen Junkos Schulter, die ihrerseits, nachdem sie die Blicke der anderen Schüler bemerkt hatte, ihre Mitschülerinnen aus ihrer Welt zurück holte. „Vielleicht sollten wir noch ein richtiges Gruppenfoto machen.“, wisperte sie in ihre Richtung und die Leichtathletin sah fragend auf. „Foto?“, überlegte sie abwesend. Nur nach und nach registrierte sie, dass sie sich mit ihrem Engel immer noch in der Schule befand. Michiru sah verlegen zu ihr rüber und flüsterte nur „Foto…“, um sich dann schleunigst wieder zu erheben und ihrer Haruka auf die Beine zu helfen. „Ja, natürlich… ein Foto…“ Den restlichen Tag über erwischten Junko und Kikyo ihre Freundinnen immer wieder dabei, wie sie einander verstohlene Blicke zuwarfen. Schließlich machten sie sich aus, sich in einem kleinen Café in der Innenstadt zu treffen. Auf dem Schulhof verabschiedeten sie sich voneinander und die beiden dunkelhaarigen Mädchen machten sich auf den Weg zur Bushaltestelle. Katashis Bedauern, seinen beiden hübschen Mitschülerinnen nicht Gesellschaft leisten zu können, weil er noch einen Termin hatte, stand ihm ins Gesicht geschireben. Nach einer halbstündigen Fahrt erreichten Haruka und Michiru die Innenstadt und der Rennprofi schob sein Visier nach oben. Als Haruka zaghaft ihre Hände auf denen der Violinistin ablegte, öffnete die Künstlerin ihre Augen. Langsam richtete sie sich auf und legte nun ihrerseits ihr Kinn auf der Schulter der Läuferin ab. Ein Weilchen genossen sie nur die Nähe der jeweils Anderen, bevor sich Haruka vorsichtig löste. Sie hängte ihre Helme über den Lenker ihrer Yamaha. Dann griff sie wieder nach den Händen ihrer Schönheit. Ihren Kopf lehnte an den ihres Engels, der sich daraufhin noch dichter an die Leichtathletin kuschelte. „Ich dachte, ihr wolltet schon mal vorgehen? Oder seid ihr jetzt erst angekommen? Ganz schön lahm für einen Rennprofi.“, ertönte Kikyos Stimme und riss Michiru aus ihren Gedanken. Abermals errötend wollte sie vom Motorrad rutschen, wurde jedoch immer noch fest gehalten. Haruka rührte sich kein Stück. Sie grinste nur: „Mit diesem wundervollen Beifahrer hinter mir kann ich doch nichts riskieren! Rennprofi hin oder her.“ Sanft schob sie ihre Hand unter Michirus Linke und half ihr elegant von der Maschine, um dann selbst abzusteigen, umzufassen und ihre Finger mit denen der Künstlerin zu verschränken. Noch einmal lächelte sie ihr in die türkisfarbenen Augen, bevor sie sie charmant in das naheliegende Café führte. Bei Gesprächen über Musik, Lob für Michirus Backkünste, Auswertungen über Hiros und Narumis neuste Dreistigkeiten und viel Schwärmerei über das fantastische italienische Eis ging die Zeit schnell um, sodass sich Kikyo und Junko bald von ihren Mitschülerinnen verabschiedeten. Etwas verwirrt nahm die Violinistin ein Zwinkern der Klassensprecherin zur Kenntnis, als diese sie zum Abschied umarmte. Als Haruka jedoch endlich bezahlt hatte und wieder die Hand ihrer Schönheit nahm, vergaß sie ihre Gedanken und schlenderte lächelnd zurück zum Motorrad der Rennfahrerin. „Hast du es eilig oder würdest du mir noch ein wenig von deiner Zeit schenken?“, säuselte die Blondine in einer verführerischen Stimmlage. „Was hast du denn noch vor?“ Michiru bekam nur ein Zwinkern zur Antwort und sprach schließlich weiter: „Ich denke, Hotaru wird sicher nicht allzu enttäuscht sein, wenn ich noch nicht gleich nachhause komme.“ Auf einer Brücke in der Bucht von Tokio angekommen drosselte Haruka ihre Maschine und kam schließlich an der Stelle zum stehen, die sie ihrem Schützling schon vor über einer Woche gezeigt hatte. Michiru wartete nicht länger, nahm sich ihren Helm ab, hängte ihn an den Lenker, an dem die Blondine gerade ihren eigenen befestigt hatte, nahm lächelnd die Hand ihrer Mitschülerin und zog sie sanft aber bestimmt hinter sich her zur Brüstung. Dort angekommen sah Haruka zu ihr herüber. Sie erkannte den ihr vertrauten Rotschimmer auf den Wangen der Schönheit. Kurz schrak die Künstlerin auf, als sie spürte, wie sich Haruka von ihr löste, doch dann schloss sie leise seufzend die Augen, als sich ihr zwei starke Arme um Taille und Bauch legten. Versunken in dem zarten Duft nach Kirschblüten vergrub die Blondine ihr Gesicht in dem türkisfarbenen, gewellten Haar ihres Engels. Michiru drückte sich ihrerseits weiter in die Umarmung hinein. Lächelnd bemerkte sie die kräftigen und schnellen Herzschläge der jungen Rennfahrerin. „Fühlt sich an, als würde mir dein Herz gleich entgegen springen. Mache ich dich nervös?“ Sanft strich Michiru Haruka über den Arm, woraufhin sich die Umklammerung um ihren Bauch noch fester zog. „Als ob du das nicht wüsstest. Aber dein Herz rast mindestens genauso schnell.“ Gemeinsam sahen sie dem Sonnenuntergang entgegen. Langsam wanderten Michirus Hände nach oben und legten sich in den Nacken der Athletin. Ihre Finger kraulten zaghaft durch das kurze, blonde Haar ihrer Mitschülerin. Verträumt reckte sich die Blondine der Berührung entgegen, was die Künstlerin schmunzeln ließ. Zufrieden mit dem Resultat ließ sie ihre Arme sinken und legte sie auf denen der Sportlerin ab. „Hey! Nicht aufhören.“, bettelte Haruka leise und drückte sich wieder dichter an ihren Schützling. „Pscht, du verpasst es noch.“, säuselte die Schönheit über ihre Schulterhinweg. Sie wartete auf den grünen Schimmer, der immer aufleuchtete, wenn die Sonne hinter dem Horizont verschwand. Schweigend standen die beiden noch einen Moment ruhig da, bis sich Michiru langsam in der Umarmung umdrehte und der Pianistin in die Augen sah. Ein eisiger, vom Meer stammender Windzug erinnerte sie abermals an die Jahreszeit. Grinsend legte ihr Haruka erneut ihr Jackett um. „Vielleicht sollte ich mir langsam mal eine zweite Jacke einpacken.“, flüsterte die Blondine und schloss ihre Mitschülerin wieder in ihre Arme. „Das solltest du.“ „Ich danke dir, mein Engel.“, wisperte die Leichtathletin und gab ihr einen Kuss auf den Scheitel. Nachdenklich legte Michiru ihre Stirn in Falten und sah ihr, ohne sich weiter als nötig von ihr wegzudrücken, in die strahlendgrünen Augen. Sie erkannte eine gewisse Traurigkeit in dem Blick ihres Gegenübers, die sie dazu veranlasste, ihre Arme in Harukas Nacken zu legen und sie weiter zu sich herunter zu ziehen. Ihr wollten nicht die richtigen Worte einfallen, also versuchte sie, all ihre Wärme in diese Umarmung zu legen. Nach einer Weile ließ die Rennfahrerin ihre Arme weiter nach unten wandern und noch ehe sie sich dagegen wehren konnte, wurde die Künstlerin von ihr hochgehoben. Überrascht sah Michiru hinab in ein breites Grinsen. „Ich schätze, ich muss dich jetzt mal langsam nach Hause bringen. Sonst bekomme ich noch Ärger mit deiner Schwester.“, zwinkerte die Blondine und trug die Geigerin zu ihrem Motorrad. Michiru klammerte sich, noch immer perplex, an der Fahrerin fest und war schon ein bisschen enttäuscht, als sie nach gut einer viertel Stunde Fahrtzeit ihre Straße erreichten. Mit einem „Bis morgen, Engel.“ und einem Kuss auf die Wange, der ihre Lippen nur auffallend knapp verfehlte, verabschiedete sich die Sportlerin und rauschte nach einem letzten Zwinkern davon. „Naa, hast du dein Herzblatt gestern noch heil nach Hause gebracht?“, grinste Kikyo breit ihre Mitschülerin an, die schon vor dem Schuleingang wartete. „Herzblatt?“, schmunzelte Katashi, der fast zeitgleich mit den beiden dunkelhaarigen Mädchen eintraf. „Hab ich was verpasst?“ Die Blondine seufzte resignierend. „Nicht mehr als die anderen beiden.“ Die nächsten Tage waren für Haruka stressig. Erst musste sie durch die halbe Stadt fahren, um ihren Mietvertrag zu unterschreiben und dann musste sie auch noch eine komplette Wohnungseinrichtung zusammenstellen. Zum Glück war sie nun volljährig und konnte über ihr ererbtes Vermögen verfügen. Also hatte sie keine Schwierigkeiten damit, ein großes und ausgesprochen teures Möbelhaus damit zu beauftragen, das von ihr gewünschte Mobiliar bis zum Wochenende in ihr Penthouse liefern zu lassen. Erschöpft ließ sie sich am Mittwochabend auf ihr Bett in ihrem Hotelzimmer fallen und schloss ihre Augen. Irgendwie konnte sie den morgigen Tag kaum erwarten. Sie würde endlich auch wieder nach der Schule Zeit mit ihrem Engel verbringen. Als sie an ihre letzte Lernstunde mit der schönen Künstlerin dachte, schlich sich ein Lächeln auf Harukas Lippen. Bis zum Abend mit Michiru nur auf einer Bank sitzen und die Zweisamkeit genießen… Sie seufzte zufrieden und drehte sich auf die Seite. Wenn sie sich konzentrierte, konnte sie noch immer die sanften Lippen spüren, die am Montagmorgen ihre Wange berührt hatten. So nahe waren sie sich auf der Brücke gekommen… Noch ehe sie einschlief, verlor sich Haruka in ihren Träumen und schaffte es gerade noch, ihre Schuhe abzustreifen, bevor sie weiter ins Bett kroch und ihrer Müdigkeit erlag. Wie jeden Morgen eilte Michiru über den Schulhof und wie nicht anders zu erwarten war, stand Haruka bereits vor dem Eingang des Schulgebäudes und lächelte ihr mit einem sanften „Guten Morgen.“ entgegen. „Guten Morgen.“, erwiderte die Violinistin ihrerseits. „Was macht die Wohnung?“ „Alles bestens. Am Samstag komme ich endlich aus diesem Hotel raus und ziehe in mein eigenes Reich.“ Höflich hielt ihr Haruka die Tür des Geschichtsraumes auf. Die ersten beiden Stunden vergingen schnell, obwohl Frau Ogata nicht sehr erfreut war, zu hören, dass Haruka ihre Hausaufgaben vergessen hatte. Glücklicherweise war Michiru ihre Lieblingsschülerin und konnte die gereizte Lehrerin schnell wieder besänftigen. „Danke.“, zischte ihr die Blondine nur leise zu und bekam dafür ein Zwinkern zurück. Eigentlich war die Rennfahrerin ja froh, endlich einen festen Freundeskreis gefunden zu haben. Jedoch musste sie feststellen, dass Katashi nicht gerade sehr aufmerksam war und deshalb gerne mal versehentlich die romantische Stimmung zwischen ihr und ihrem Engel verdrängte. Und obwohl sie von Junko für ihre Sticheleien des Öfteren tadelnde Blicke bekam, konnte es sich Kikyo nicht verkneifen, Michiru hin und wieder zweideutige Bemerkungen zu zuwerfen und sie damit in Verlegenheit zu bringen. Insgesamt war Haruka also erleichtert, als sich ihre Freunde in der Pause von ihr und ihrer jüngeren Mitschülerin verabschiedeten. Hand in Hand schlenderten sie zum Parkplatz und begaben sich schließlich zum Sportunterricht. Einige Mädchen hatten sich immer noch nicht an die Anwesenheit der androgynen Blondine in der Umkleide gewöhnt, weshalb diese auch bei der Erwärmung auf der Laufbahn ihr Grinsen nicht aus dem Gesicht bekam. Am Ende der Doppelstunde klopfte ihr der Sportlehrer anerkennend auf die Schulter. „Alle Achtung, Tenoh-san. Bestzeiten. Schade, dass sie nur noch bis März hier sein werden. Sie könnten unserer Schule bei den Leichtathletik-Wettbewerben im Sommer viel Ruhm einbringen…“ „Tut mir leid, Fukami-Sensei. Ich habe nicht vor, länger als nötig die Schulbank zu drücken.“, zwinkerte die Athletin und verabschiedete sich in die Umkleide. Bevor sie diese, frisch geduscht und umgezogen, wieder verließ, warf sie den wenigen Mädchen, die ihre Blicke immer noch nicht von ihr lösen konnten, noch ein paar Spitzen zu. Michiru war völlig geschafft. Frau Ogata hatte ihr heute so einiges abverlangt, um zu testen, wie ihre Chancen beim nächsten Schwimmwettbewerb stehen würden. Erschöpft legte sie ihre Sachen auf einer Bank ab und streckte sich. In diesem Moment fuhr die rote Yamaha auf den Parkplatz, von der eine viel zu energiegeladene Haruka abstieg und ihr entgegen stolzierte. „Wie kannst du nur nach zwei Stunden Sport immer noch so wach aussehen?“, wunderte sich die Violinistin, machte sich Platz und setzte sich auf die Bank. Grinsend ließ sich auch die Läuferin nieder. Nachdem die Künstlerin kurz gezögert hatte, ließ sie sich sanft gegen die Größere kippen, die sofort einen Arm um sie legte. „Macht es dir was aus, wenn wir heute nicht lernen?“ Haruka schüttelte seufzend den Kopf. „Ganz wie du willst. Von mir aus können wir einfach hier sitzen bleiben.“ Erschöpft schloss die Schwimmerin ihre Augen. Nach einigen Minuten sah sie wieder auf und legte nachdenklich die Stirn in Falten. „Sag mal, Haruka…“, begann sie zögerlich, „du hast gesagt, du bist nach Tokio gezogen, weil du mit deinem Team nicht zurecht bekommen bist…“ Haruka sah ihr fragend in die Augen und vorsichtig sprach die Streicherin weiter: „Warum noch? Ich meine, du hättest doch einfach austreten können. Ich verstehe nicht, warum du es vorgezogen hast, ganz allein in eine fremde Stadt zu ziehen. Noch dazu in ein Hotel.“ Haruka atmete tief ein und zog ihre Mitschülerin wieder sanft in die Lehne und unter ihren Arm zurück. „Es ist nicht so leicht für mich…“, sprach sie langsam. „Ich habe dir doch erzählt, dass meine Eltern bei einem Unfall gestorben sind und meine Schwester und ich zu unserem Onkel Hikaru gesteckt wurden…“ Sie richtete sich auf und sah der Geigerin durchdringend in die Augen. „Michiru, was ich dir jetzt erzähle, weiß außer dir, mir und Hikaru niemand. Und ich möchte auch, dass es so bleibt, okay?“ Sie wartete auf Michirus zaghaftes Nicken. „Hikaru hat mich nie akzeptiert. Er wollte nie verstehen, warum ich so bin, wie ich nun mal bin. Wir haben uns vom ersten Augenblick an nur gestritten. Schon als meine Eltern noch lebten, hat er versucht, mich zu verändern. Während er meine Schwester wie eine Tochter geliebt hat, hat er mich dafür gehasst, dass ich nicht in seine Welt gepasst habe.“ Michiru schüttelte nachdenklich den Kopf. „Wie meinst du das? Er hat versucht, dich zu verändern?“ Haruka blickte zu Boden. „Weißt du… Eigentlich… Es wird dir ja sicher schon aufgefallen sein, dass ich… Ich war nie ein typisches Mädchen, okay? Meine Eltern haben das voll und ganz akzeptiert. Auch wenn mein Vater mich hin und wieder mal auf den ein oder anderen Jungen aufmerksam gemacht hat… Ich bin mir sicher, sie wussten, dass ich mich schon immer nur für Mädchen interessiert habe. Für sie war es nie ein Problem, dass ich lieber auf der Rennbahn war, anstatt shoppen zu gehen und eher anderen Mädchen als irgendwelchen Jungs nachgesehen habe. Aber Hikaru konnte das nicht verstehen. Er hat mich nur angebrüllt. Und als meine Schwester nach ihrem Abschluss auszog… Als er mich mit einem Mädchen in meinem Zimmer erwischt hatte, schmiss er sie raus. Ich hätte eigentlich damit gerechnet, dass sie ihn anzeigt, aber er hatte sie wohl zu sehr eingeschüchtert. Und dann kam er zurück in mein Zimmer und wollte mir diesen ‚Unsinn‘ austreiben. Es war nicht das einzige Mal. Er hat mich oft verprügelt, aber mit der Zeit habe ich dazu gelernt und mittlerweile kann ich ihm wohl fast die Stirn bieten… Darum bin ich abgehauen. Nach Neujahr ging er auf eine Geschäftsreise. Also habe ich meine Sachen gepackt und bin hierhergekommen. Meinen Namen habe ich auch geändert, damit er mich nicht finden kann. Und weil ich es nicht ertrage, den gleichen Namen zu tragen wie er.“ Haruka schrak kurz zusammen, als Michiru nach einem Moment der Stille ihre Hand nahm und sie sanft auf ihren Schoß zog. „Warum hast du ihn nicht angezeigt? Warum bist du nicht zur Polizei gegangen?“ Haruka schüttelte energisch den Kopf. „Ich konnte nicht. Ich wollte nicht… Wieso hätte man mir glauben sollen? Was wäre passieren, wenn sie mir geglaubt hätten?! … Vielleicht war es auch nur Trotz… Trotz und Stolz, nicht einzugestehen, dass ich mit ihm nicht fertig wurde, dass ich Hilfe brauchte…“ Michiru wollte protestieren, doch sie sah in die betrübten grünen Augen und spürte, dass Haruka einfach nur zufrieden war, dass der Alptraum ein Ende gefunden hatte. „Es tut mir unendlich leid, was du in deinem Leben schon alles durchmachen musstest…“, sprach sie sanft. Haruka drehte sich auf der Bank, um ihr nun gegenüberzusitzen. „Es tut gut, jemanden zu haben, der einfach zuhört.“, erklärte sie ruhig, gab ihrer Mitschülerin einen Kuss auf die Stirn, lehnte sich zurück und zog Michiru in eine Umarmung. Bis zur einsetzenden Dämmerung lagen sie, jede in ihren eigenen Gedanken versunken, schweigend beieinander. Schließlich setzte sich Haruka vorsichtig wieder auf und kündigte langsam die Heimreise an. Irgendetwas war anders. Die Sportlerin war immer noch hilfsbereit und rücksichtsvoll, doch Michiru erkannte Trauer, Wut und Enttäuschung, die das Stahlen ihrer Augen zu unterdrücken schienen. Vor ihrer Wohnung trat sie auf die Fahrerin zu, legte ihr zärtlich eine Hand auf die Wange und sah sie durchdringend an. „Ich kann mir wohl kaum vorstellen, wie es für jemanden sein muss, nicht in einer Familie aufzuwachsen, die einen liebt und für alles Verständnis hat, aber es war richtig, dich jemandem anzuvertrauen. Ich danke dir dafür. Und ab morgen arbeiten wir daran, das Grün in deinen Augen wieder zum Strahlen zu bringen.“, lächelte sie sanft und entlockte damit der Blondine ebenfalls ein zaghaftes Lächeln. „Gute Nacht, Haruka.“, flüsterte sie und gab der Athletin einen zarten Kuss auf die Wange. Kapitel 12: ------------ Kapitel 12 „… und dann noch diese blöde Hausarbeit in Psychologie! Nur weil ich ein Mal die Hausaufgaben nicht hatte. Toll, das Wochenende kann ich wohl vergessen. Morgen Haruka-san…“, beschwerte sich Kikyo, als sie gemeinsam mit Junko und Katashi den Eingang des Schulgebäudes erreichte. Erst als Michiru zu der kleinen Gruppe stieß, hellte sich Harukas Miene etwas auf. Ihre Vergangenheit, von der sie jetzt so viel freigegeben hatte, nagte an ihr. Also kam ihr die für sie fast schon entspannende Doppelstunde Musik gerade gelegen. Michiru versuchte ihr gelegentlich aufmunternde Blicke zu zuwerfen, doch so richtig schien sich ihre Mitschülerin nicht von ihren Gedanken befreien zu können. Deshalb schlug die Violinistin vor, sich von dem Rest der Gruppe zu trennen und so verbrachten sie sowohl die Frühstücks- als auch die Mittagspause allein. „Ich habe eine Idee.“, grinste Michiru kurz vor Beginn der letzten Unterrichtsstunde, nachdem sie die ganze Pause über vergebens versucht hatte, die Rennfahrerin auf andere Gedanken zu bringen. Diese sah nun fragend auf und warf den Rest ihres Apfels zielsicher über ihre Schulter hinweg in einen Mülleimer. „Ich zeige dir Tokio. Also nicht ganz Tokio, dafür bräuchten wir ja ewig… Aber einen Teil. Was hältst du davon?“, schlug die Streicherin vor. Haruka überlegte kurz, begann dann jedoch zu lächeln und nickte „Klar. Wieso nicht. Allerdings werde ich morgen in meine Wohnung ziehen… Aber Sonntag wäre gut.“, antwortete sie und bei dem Gedanken an einen ganzen Tag mit Michiru wurden ihre Gesichtszüge endlich wieder weicher. Glücklich über die Reaktion stand Michiru auf und reichte der Athletin die Hand. „Sehr gut. Also Sonntag. Hol mich gegen zehn ab. Dann haben wir den ganzen Tag. Jetzt komm aber. Wir sollten langsam zu Mathe. Ich kann dich nicht jedes Mal bei Ogata-sensei raus hauen.“ >Sehr zuverlässig. Aber bei dem Preis…<, dachte Haruka, als sie ihre neue Wohnung betrat. Die meisten Möbel waren bereits geliefert worden und standen an ihren Plätzen. Ihren Helm legte sie auf einer Kommode direkt vor dem Fahrstuhl ab, um sich dann einen Überblick über ihre Zimmer zu verschaffen. Küche und Bad hatte sie von dem Vormieter übernommen, also führte ihr erster Weg in den Raum mit der Wendeltreppe zum Dach. Regale für Bücher und Vitrinen für ihre Pokale. Irgendwie wirkte alles recht leer. >Was soll´s?...< mit einem Schulterzucken machte Haruka Kehrt und schlenderte ins Wohnzimmer. Hier war schon mehr zu sehen. Die dunkle Sofalandschaft hätte für eine ganze Großfamilie Platz geboten. Davor stand ein breiter Sofatisch und an der Wand gegenüber befand sich ein dunkles Medienregal mit breitem Flachbildfernseher und einer Surround-Anlage, bei deren Anblick sich ein Grinsen in Harukas Gesicht schlich. In der anderen Raumhälfte war der Essbereich mit einem schweren Holztisch und dazu passenden aber moderneren Stühlen. Im Schlafzimmer fand Haruka ein französisches Bett mit zwei Nachtschränken - >Vielleicht bekomme ich ja doch mal Besuch…< – und einen für Haruka eigentlich viel zu großen Kleiderschrank. Auf dem Balkon standen bis jetzt nur zwei Liegen, aber um hier zu essen oder sich auf ein Glas Wein am Abend raus zu setzten, war es sowieso noch zu kalt. Haruka stütze sich auf dem Geländer ab, sog tief die kalte Luft ein und schloss die Augen. Eine Zeit lang stand sie still da und genoss den Wind, der ihr ins Gesicht blies. Mit einem leisen Seufzer sah sie noch einmal in die Ferne. Wieder im Wohnzimmer leerte sie ihren Rucksack, zog sich ihre Jacke über und schlug den Weg zum Fahrstuhl ein. Für dieses Wochenende würde sie sich ein Auto leihen müssen. Also mietete sie sich die weiße Sportausführung eines Honda Civic, holte ihr Gepäck aus dem Hotel und checkte aus. Am nächsten Morgen traf sie die bestellten Möbelpacker vor ihrem gemieteten Lagerraum. Sie verstaute ihre wichtigsten Sachen (hauptsächlich Spielkonsolen und DVDs) in ihrem Auto und begann kurze Zeit später mit dem Einrichten der Wohnung. Erschöpft fiel sie abends ins Bett und schaffte es noch gerade so, ihren Wecker für den nächsten Tag zu stellen. Aufgeregt tippelte Michiru vor ihrem Schrank von einem Fuß auf den anderen. Es war das erste Mal, dass sie Haruka nicht in Schuluniform treffen würde. Skeptisch warf sie noch einen Blick nach draußen. Für Anfang Februar war es schon ziemlich warm, aber sie wollte auch nicht wieder frühzeitig nach Hause müssen, weil ihr kalt wurde. Zögerlich griff sie nach einem hellen Sommerkleid, einem breiten, beigefarbenen Gürtel, einer schwarzen Leggins und ihrer braunen Kunstlederjacke und legte alles auf ihr Bett. Auf ein leises Klopfen antwortete sie mit einem nachdenklichen Brummen, woraufhin Setsuna das Zimmer ihrer Stieftochter betrat. „Guten Morgen, Michiru. Du bist schon auf? Ich dachte, Haruka würde erst in zwei Stunden kommen.“ „Was hältst du davon?“, fragte Michiru mit hochgezogenen Brauen und in Richtung ihres Outfits nickend. Setsuna verschränkte die Arme vor ihrer Brust und sah abwechselnd zwischen dem Bett und der Künstlerin hin und her. Schließlich lächelte sie: „Ich denke, das passt. Ich leihe dir meine braunen Booties. Die sollten zur Jacke passen.“ Nervös lehnte Haruka an ihrem Auto und trommelte mit ihren Fingern gegen den Lack. Sie war viel zu früh dran. Abermals ließ sie ihren Blick am Gebäude vor ihr nach oben wandern. Schließlich stieß sie sich schwungvoll vom Wagen ab. Ein Blick auf die zahlreichen Klingelschilder verriet ihr die richtige Etage. Im vierten Stock angekommen zögerte sie. Sie sah noch mal auf die Uhr ihres Handys. >Ob sie schon fertig ist? … Was würde sie in zehn Minuten noch großartig machen müssen?<, dachte sie sich, atmete noch einmal tief durch und betätigte entschlossen die Klingel. Hinter der Tür war aufgeregtes Getrappel und ein leises „Verdammt… Sag ihr, ich bin gleich da!“ zu hören. Haruka lauschte einen Moment, bis plötzlich die Tür aufgerissen wurde und ein Mädchen mit dunklen Haaren aus der Wohnung lugte. „Guten Morgen, Haruka-san. Chiru-chan ist gleich fertig. Sie ist nur noch mal im Bad.“, begrüßte die Kleine die ihr fremde Blondine. Dann wurde sie von ihrem Vater zurückgedrängt. „Taru-chan, das war unhöflich. Guten Tag, mein Name ist Kaioh Toshio. Ich bin Michiru-chans Vater.“, stellte sich der Mann mit dunkelbraunem Haar vor und reichte der Schülerin die Hand. „Tenoh Haruka.“, stellte sie sich vor, nahm den Handschlag an und verbeugte sich knapp, „Freut mich, Sie kennenzulernen. Und du musst Michirus kleine Schwester sein, Hotaru-chan. Richtig?“ Grinsend beugte sich Haruka zu der Jüngeren herunter. „So klein bin ich gar nicht mehr.“, schmollte diese, grinste dann aber frech zurück und griff nach Harukas Hand. „Komm ruhig rein, Haruka-san. Mama und ich backen gerade und Chiru-chan braucht garantiert wieder ewig.“ „Übertreib nicht immer so, Taru-chan! Ich bin ja schon fertig.“, ertönte plötzlich Michirus Stimme. Harukas Augen weiteten sich, als sie die Schönheit in ihrem Sommerkleid im Flur herum stolpern sah. Schwankend schlüpfte die Violinistin in die bereitgestellten Schuhe, schnappte sich ihre Jacke und Handtasche, bevor sie sich grinsend mit einem „Guten Morgen! Du bist zu früh.“ Haruka zuwandte. Die Sportlerin stand reglos in der Tür. Langsam ließ sie ihren Blick am Körper der Streicherin nach unten und wieder nach oben wandern. Bevor Toshio die Starre der Blondine bemerken konnte, boxte ihr Hotaru leicht in die Seite. Verwirrt räusperte sich die Läuferin und fand ihre Stimme wieder „Ja, guten Morgen. Ich weiß. Ich hoffe, das macht dir nichts aus…“, stammelte sie und bedankte sich bei Hotaru mit einem kaum sichtbaren Nicken. Die grinste daraufhin: „Na dann, viel Spaß ihr Zwei.“ und verschwand in der Küche. „Danke. Bis später. Bis heute Abend, Mama!“, rief ihr Michiru nach. Dann drückte sie sich an ihrem Vater vorbei in den Hausflur. „Pass auf dich auf, mein Schatz.“, seufzte Toshio, bevor ihm seine Tochter die Tür vor der Nase verschloss. Erleichtert atmete Michiru aus. Dann grinste sie in das Gesicht ihrer Mitschülerin und schlenderte mit einem „Können wir?“ zum Fahrstuhl. Einen kleinen Moment brauchte Haruka noch, um die Worte zu verstehen. Schließlich folgte sie der Geigerin. „Ich dachte, du nimmst immer die Treppe. Ich mein, so außer Atem, wie du neulich warst.“, meinte sie, als sie auf den Lift warteten. „Ja, eigentlich tue ich das auch. Das Ding braucht eine halbe Ewigkeit und in den vierten Stock kommt man über die Treppe viel schneller. Aber wir haben ja Zeit.“, lächelte die Malerin und betrat den kleinen Raum, dessen Tür sich mit einem leisen 'Ping' geöffnet hatte. Haruka musste hart schlucken, als sie Michiru dabei zusah, wie sie sich die Jacke überzog und elegant ihr Haar auflockerte, das ihr nun in Wellen über ihre Schultern viel. Auf der Straße angekommen sah sich Michiru suchend um. „Ich habe ein Auto gemietet. Wenn ich bitten darf.“, antwortete die Rennfahrerin, ohne gefragt zu werden, und öffnete ihrem Engel hilfsbereit die Wagentür des Civics. Dankend stieg Michiru ein. „Und? Wo soll´s hin gehen?“, fragte Haruka, als sie sich hinters Steuer gesetzt hatte. „Ich schlage vor, wir verschaffen uns erst mal einen Überblick. Also zum Tokyo Sky Tree. Fahr einfach los, ich sag dann schon, wo wir lang müssen.“ Elegant drehte Haruka das Lenkrad mit einer Hand, um den Wagen geschmeidig in eine Tiefgarage zu lenken. Mit dem Fahrstuhl gelangten die beiden Schülerinnen wieder an die Erdoberfläche. Kurz darauf sah die Rennfahrerin staunend an Tokios höchstem Gebäude empor. Michiru hingegen hatte nur Augen für die vielen Schaufensterläden des Plaza-Einkaufszentrums. Neugierig eilte sie von einem Fenster zum nächsten. „Willst du doch lieber Shoppen gehen?“, grinste Haruka breit und trat mit einem skeptischen Blick an ihren Schützling heran, der grade die neuste Sommermode begutachtete. „Ja, äh, was? Ich meine, willst du denn?“ „Naja, vielleicht solltest du dich erst mal auspowern, bevor wir uns irgendwelche Sehenswürdigkeiten ansehen. Also klar. Wieso nicht?“, zuckte die Leichtathletin und grinste noch mehr, als sie das Funkeln in den Augen der Malerin erkannte. Zum ersten Mal in ihrem Leben schlenderte Haruka freiwillig durch ein Einkaufszentrum. Die verschiedenen Läden interessierten sie zwar kaum und die Klamotten noch viel weniger, aber die Begeisterung ihrer Mitschülerin brachte auch sie zum Lächeln. Mittlerweile betraten sie den zweiten Laden und als Michiru in einer Umkleide verschwunden war, sah sich die Blondine genauer um. Die Marken sagten ihr überhaupt nichts. Normalerweise war sie auch andere Preisklassen gewöhnt, und was die Qualität betraf, erkannte sie große Unterschiede zu ihren eigenen Sachen. Sie ließ ihren Blick zu den Umkleidekabinen schweifen. Vor jeder einzelnen Tür warteten mindestens vier Kunden und auch sonst war offensichtlich das ganze Einkaufszentrum überfüllt. Nachdem sie kurz überlegt hatte, zog sie ihr Handy aus der Tasche und suchte im Internet nach einer Adresse. „Irgendwie ist das nicht so das Wahre…“, bemerkte eine etwas enttäuschte Michiru plötzlich hinter ihr. „Ich weiß auch nicht… Vielleicht finde ich oben eher was. Wie sieht´s bei dir aus?“ „Mir ist noch was Besseres eingefallen.“, grinste Haruka und griff nach der Hand ihres Schützlings. Schnellen Schritts erreichten sie wieder die Tiefgarage. Überrascht sah die Künstlerin kurze Zeit später an einem großen Gebäude empor. „Das Takashimaya? Haruka, das ist viel zu teuer! Hier kostet ein Oberteil mindestens genau so viel wie ein ganzes Outfit im Plaza. Das kann ich mir nicht leisten.“, erklärte sie enttäuscht, doch Haruka lächelte nur kopfschüttelnd. „Mach dir darum mal keine Gedanken. Ich lade dich ein. Ich hab mehr als genug Geld auf der hohen Kante, also kann ich dir ruhig mal was Gutes tun. Und wehe, du widersprichst jetzt! Lass uns erst mal nachsehen, ob dir überhaupt etwas gefällt.“ Die Sportlerin fest und unterband damit jede Widerrede. Das Edeleinkaufszentrum Tokios war in der Tat nicht so überfüllt, wie der Touristenmagnet am Tokyo Sky Tree und schon im ersten Geschäft erkannte Michiru die Unterschiede zu den Sachen, die sie sich sonst aussuchte. Fast schon eingeschüchtert schlich sie -Hand in Hand mit Haruka- durch die Gänge und traute sich nicht, sich etwas genauer umzusehen. „Was hältst du davon?“, fragte die Blondine und nickte in Richtung einiger Sommerkleider. Sie bemerkte den verträumten Blick ihrer Begleiterin, der offensichtlich einem hellblauen, leichten Kleid mit zarten, dunkelblauen Verzierungen und einem dunkelblauen Band in der Taille galt. Also nahm sie das Kleidungsstück vom Haken und hielt es der Violinistin vor. Michiru zögerte noch kurz, nahm es dann jedoch in die Hand und verschwand mit einem Lächeln in der nächsten Umkleidekabine. Sprachlos stand ihr Haruka gegenüber, als die Künstlerin wieder heraustrat. „Es ist fantastisch… Meinst du nicht auch?“, äußerte die Malerin glücklich Sie drehte sich ein Mal um die eigene Achse und begutachtete sich selbst in einem großen Spiegel. „Wie viel kostet es? Siehst du das Preisschild?“, fragte sie vorsichtig, woraufhin Haruka an sie heran trat. Gezielt griff sie nach dem Schild und riss es vorsichtig ab. „Darum kümmere ich mich schon. Ich schenke es dir.“, flüsterte sie, umschloss Michirus Taille und legte ihr Kinn auf deren Schulter ab. „Das kann ich nicht annehmen, Haruka!“, seufzte die Geigerin und sah in dem Spiegelbild der Rennfahrerin durchdringend in die Augen. Doch die erklärte schlicht: „Das wirst du müssen. Ich kaufe es und mir selbst wird es nicht passen.“ Dann ließ sie ihren Blick durch das Geschäft wandern. „Wir müssen dir noch die passenden Schuhe suchen.“ Breit grinsend nickte Haruka etwas später in Richtung eines Cafés in der Mitte des Centers: „Wie sieht´s aus? Das Mittagessen haben wir verpasst, aber für ein Eis ist es noch nicht zu spät. Ich könnte mich auch wirklich mal irgendwo hinsetzen. Shoppen gehen bin ich echt nicht gewöhnt.“ „Bist du nicht? Das hätte ich nicht gedacht. So gezielt, wie du mich durch die Läden rangiert hast…“, lächelte Michiru und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und hinter ihr Ohr. >Gott, was sieht sie umwerfend aus…<, dachte sich Haruka und bemerkte zunächst nicht, wie sich die Schönheit langsam von ihr entfernte. „Woran denkst du eigentlich, wenn du so vor dich hin träumst? Wolltest du nicht mitkommen?“, fragte die Violinistin und kam noch mal ein paar Schritte zurück, um ihre Mitschülerin, der sich mittlerweile ein Rotschimmer auf die Wangen geschlichen hatte, an die Hand zu nehmen. „Ach, das erzähle ich dir irgendwann mal. Warst du hier schon mal?“, wich ihr die Sportlerin aus und rückte ihr hilfsbereit einen Stuhl zurecht. „Als ich klein war, sind meine Eltern hier schon mal mit mir einkaufen gegangen. Aber das ist lange her und eigentlich ist mir das ganze Center auch zu teuer. Und wo wir schon beim Thema sind… Ich fühle mich nicht ganz wohl bei dem Gedanken, dass du so viel Geld für mich ausgegeben hast. Das muss ich irgendwie wiedergutmachen können. Wenn ich irgendwas für dich tun kann, dann sag es mir bitte!“ „Na gut, ich merke es mir vor. Einverstanden?“, schmunzelte Haruka und zog eine Eiskarte aus ihrer Halterung. Michiru nickte lächelnd. Eigentlich verlief der Tag etwas anders als geplant, wirkliche Sehenswürdigkeiten hatte Haruka noch nicht zugesicht bekommen und als sie das Einkaufszentrum gemeinsam mit Michiru und beladen mit drei Einkaufstüten verließ, setzte bereits die Dämmerung ein. Trotzdem hätte sie sich den Ausflug mit ihrem Engel kaum schöner vorstellen können. „Hm, wenn wir noch auf den Sky Tree wollen, müssen wir jetzt Karten holen. Hoffentlich ist es nicht mehr so überfüllt…“, sprach Michiru mehr zu sich selbst und sah der Rennfahrerin dabei zu, wie sie ihren Einkauf im Kofferraum verstaute. „Dann sollten wir uns beeilen.“, grinste diese breit und hielt Michiru die Beifahrertür auf. Die Eingangshalle Tokios höchsten Gebäudes war immer noch sehr voll, aber die wenigsten Besucher standen noch für Karten an. Die Mehrheit stand schon in langen Schlangen vor den Fahrstühlen. Die beiden Schülerinnen ergatterten noch Tickets für die letzte Fahrt des Tages um kurz vor acht. „Bis dahin haben wir noch über zwei Stunden… Was kann man hier noch machen? Ich meine, außer shoppen?“, fragte Haruka. Michiru begann zu lächeln. „Es gibt hier noch ein Aquarium. Wenn du möchtest, können wir uns da die Wartezeit verkürzen.“ Zu Harukas Überraschung zückte die Malerin schon eine Jahreskarte für das Sumida Aquarium aus ihrem Portemonnaie. Verträumt beobachtete die Künstlerin kurze Zeit später die exotischen Fische in ihrem Lieblingselement und wurde ihrerseits von Haruka beobachtet. „Du bist wohl öfter hier?!“, unterbrach die Sportlerin sie in ihren Gedanken. „Ja, das Wasser ist eben mein Element. Manchmal bin ich ein bisschen neidisch, wenn ich sehe, wie diese wundervollen Wesen durch ihre ganz eigene Welt schweben.“, antwortete Michiru fast flüsternd. Die Leichtathletin erkannte sofort die Sehnsucht im Blick ihres Schützlings. „Das kann ich gut verstehen. Mir geht es ähnlich, wenn ich sehe, wie ein Vogel nur seine Flügel ausbreitet und einfach so in den Himmel fliegt.“, erklärte sie fast ebenso leise und sah wieder auf das große Becken, in dem gerade langsam und elegant ein großer Channa vorbeischwamm. „Eigentlich sind sich Fische und Vögel gar nicht so unähnlich. Sie lassen sich einfach von ihrem Element tragen. Du hast recht, sie sind wirklich zu beneiden…“ Nachdem jede eine Zeit lang in ihrer eigenen Welt versunken war, nahm Michiru wieder die Hand ihrer Mitschülerin. „Na los. Ich will dir noch die anderen Becken zeigen.“, lächelte sie und schlenderte mit Haruka vorbei an unzähligen kleineren Aquarien mit bunten Süßwasserfischen, an großen Becken, in denen unterschiedliche Quallen ihre Bahnen zogen, bis hin zum großen Pool der Pinguine. Begeistert beobachtete Haruka, wie die an Land tollpatschigen Vögel ins Wasser tauchten und zu perfekten Schwimmern wurden. „Sie sind ein bisschen wie ich. Findest du nicht?“, bemerkte Michiru und sah erwartungsvoll auf. „Was ihren Schwimmstil betrifft, kann ich dir vermutlich recht geben. Ich meine, ich habe dich noch nicht im Wasser gesehen, aber du schwimmst sicher genauso elegant. Aber was ihre Tollpatschigkeit an Land betrifft, muss ich dir widersprechen. Da bewegst du dich doch viel graziler. Selbst wenn du ins Stolpern kommst, wie heute Morgen beim Schuhe Anziehen.“ Die Künstlerin hielt Harukas Blick schmunzelnd stand. „Und egal wie süß Pinguine auch sind, an dich reichen sie bei Weitem nicht heran.“, fügte die Athletin zwinkernd hinzu. Noch breiter grinste sie, als Michiru verlegen zurück zu den Tieren sah. Abrupt sah die Malerin wieder auf und zog die Blondine in Richtung des größten Aquariums. „Das ist mein Lieblingsbecken.“, erklärte sie knapp, als ein großer Hai friedlich vorüber schwebte. „Da kann ich mich nur anschließen.“, antwortete Haruka, deren Blick einem Manta folgte. „Rochen sind im Meer meine Lieblinge. Sie scheinen zu fliegen und mit ihren Flügeln zu schlagen. Meinst du nicht auch?“, bemerkte sie, woraufhin sich Michiru nur schweigend gegen sie lehnte. Um kurz vor acht war die Eingangshalle des Sky Tree war nur noch halb so voll. Haruka und Michiru betraten einen der vier Fahrstühle, dessen Wände mit kupferfarbenen Kirschblüten verziert war. Nach kurzer Zeit hielt der Aufzug in 350 Metern Höhe. Langsam schritt die Blondine auf die große Glasscheibe zu. Sanft ergriff Michiru wieder die Hand der Rennfahrerin und zog sie mit den Worten „Von oben hat man noch einen viel schöneren Ausblick.“ wieder zurück. Mit einem weiteren Fahrstuhl, der in blaues Licht getaucht war, fuhren sie weitere 100 Meter nach oben, wo Michiru ihre Mitschülerin dann endlich zur Glaswand führte. Die Sonne war längst unter gegangen, und so erleuchtete Tokio in unzähligen Lichtern. „Wahnsinn!“, brachte Haruka hervor. Sie versuchte zu begreifen, wie weit sich die Stadt erstreckte. „Beeindruckend, was?“, grinste Michiru, lehnte sich gegen das Geländer und deutete in die Richtung vor ihr: „Da hinten liegt Tokyo Bay.“ Haruka lächelte. Sie trat hinter ihren Schützling, legte ihre Arme um dessen Taille und flüsterte: „Schade, dass man nicht so weit sehen kann.“ Die Violinistin schmiegte sich wortlos in die Umarmung und merkte, wie ihr Herz wieder kräftiger schlug, als sie den Atem der Blondine an ihrem Hals spürte. Sie atmete tief ein und aus und nach einem kurzen, leisen Seufzer drehte sie sich in der Umarmung um. Augenblicklich ließ sie sich von dem strahlenden Grün fesseln, das ihr zunächst überrascht, doch dann irgendwie warm aber durchdringend entgegenblickte. Haruka versank sofort in leuchtendem Türkis und drückte sich langsam und sanft gegen die junge Künstlerin, die nun mit dem Rücken an das Geländer lehnte. „Unglaublich, wie deine Augen in diesem violetten Licht hier oben noch mehr zu funkeln scheinen… Du hast mich vorhin gefragt, woran ich immer denke, wenn ich vor mich hin träume… Ich denke nur an dich.“, flüsterte die Sportlerin. Vorsichtig kam sie dem Gesicht der Schönheit noch näher. Zärtlich legte ihr Michiru eine Hand auf die Wange. Haruka tat es ihr gleich und grinste leise: „Da ist sie wieder. Die bezaubernde Röte auf deinen Wangen. Ich glaube, daran werde ich mich nie satt sehen können.“ „Haruka- … Ich… Du machst mir immer solche Komplimente… Ich meine…“, stammelte die Künstlerin. Nachdem sie erneut tief eingeatmet hatte, sprach sie weiter: „Und ich kann mich nicht an diesem strahlenden Grün sattsehen. Lass das Leuchten in deinen Augen nie mehr verschwinden, okay?“ „Solange ich meinen Engel so ansehen kann, wird das Leuchten bleiben.“, flüsterte die Blondine und lehnte ihre Stirn gegen Michirus. Langsam reckte die Malerin ihr Kinn nach oben und schloss ihre Augen. Sie bekam eine Gänsehaut, als sie Harukas warmen Atem auf ihrem Gesicht spürte und lächelte noch mehr, als sich ihre Nasenspitzen berührten. Schließlich fühlte sie eine zärtliche Berührung ihrer Lippen, sanft wie ein warmer Sommerwind. Endlich wollte sie dem Verlangen nachgeben, doch plötzlich wurden sie und Haruka aus ihrer Zweisamkeit gerissen. „So viel Romantik hätte ich dir gar nicht zugetraut, Touma.“ Michiru sah fragend auf. Harukas Miene hatte sie verfinstert. „Super Timing, Kawashima!“, knurrte die Blondine, als sie sich langsam umdrehte, um Hiro in seine fast schwarzen Augen blicken zu können. „Tut mir leid, Touma. Wollte dich nicht bei dem Versuch stören, Michiru-san klarzumachen.“ „Ich versuche gar nichts.“, zischte Haruka zurück. „Nicht? Ach, hast du aufgegeben? Ist nicht so leicht rumzukriegen, wie die Möchtegernmodells aus Nagoya, was?“ Haruka ballte ihre Fäuste. „Wovon zur Hölle sprichst du?“ Hiro bekam nicht die Zeit, selbst zu antworten. Erst als sie sich zu Wort meldete, bemerkte Haruka, dass Hiro nicht allein war. „Das weißt du ganz genau, du Heuchlerin! Du hast gesagt, Hiro wäre nicht gut genug für Michiru-san. Du hast gesagt, sie ist zu gut für uns. Dabei bist du selbst die arroganteste und draufgängerischste Aufreißerin überhaupt! Du hast keinerlei Respekt vor Frauen!“ Narumi schritt auf Haruka zeigend an Hiro vorbei. „Wie viele Herzen hast du gebrochen, Touma Haruka?“ Die Brünette ließ einen verachtenden Blick an der Blondine hinauf wandern. Haruka schnaubte. „Was ist eigentlich euer Problem?! Was soll das?! Ich habe meinen Namen nicht grundlos geändert!“ Mit einem kleinen Schritt überwandte Haruka den Abstand, der zwischen ihr und Narumi lag. Die wurde augenblicklich von Hiro zurückgezogen, der die Schultern straffte. Seine dunkelbraunen Augen starrten direkt in Harukas grüne. Die Athletin atmete tief ein, bevor sie leise fortfuhr: „Höre ich diesen Namen nur noch ein einziges Mal, wirst du im Dreck landen, Kawashima!“ „Das würde ich zu gerne sehen.“, fauchte Hiro zurück. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, stieß er Haruka gegen ihre Schultern. Sofort waren zwei Sicherheitsleute des Sky Tree zur Stelle und stellten sich zwischen die jungen Erwachsenen. Unverzüglich mussten die Schüler in getrennten Fahrstühlen zurück in die Eingangshalle fahren. Immer wieder spähte Haruka über ihre Schulter zurück. Hiros Stimme hallte ihr nach. Aber Michiru dirigierte sie sicher in Richtung der Tiefgarage. „Reg dich bitte nicht auf, Haruka. Ist doch alles nur Schwachsinn, und das weißt du auch. Lass dieses Geschwafel nicht an dich heran. Ich weiß, dass du anders bist und dass die Medien alles hoch gepusht haben. Ignorier sie einfach, okay?“ Die Leichtathletin setzte sich schnaubend ins Auto und starrte betrübt aufs Lenkrad. „Sie hat recht, Michiru. Ich war früher wirklich so. Keine war vor mir sicher und die Medien haben nur geschrieben, was wirklich passiert ist. Ich war arrogant und eitel. Keine hat es lange mit mir ausgehalten. Und weißt du, was das Schlimmste daran ist? Das kam mir gerade gelegen. Ich selbst wollte sie ja nie für eine zweite Nacht. Ich wusste jedes Mal, dass ich das Mädchen am nächsten Morgen allein zurücklassen würde. Ich bin jedes Mal ohne ein weiteres Wort verschwunden. Hara-san hat recht. Ich bildete mir ein, ich wäre zu gut, um eine Frau länger zu halten. Selbst im Vergleich zu Kawashima bin ich ein Ekel, selbstverliebt und verachtenswert.“, fluchte sie vor sich hin. Erneut schnaubte die Blondine. Vorsichtig nahm Michiru Harukas Hand und sah sie durchdringend an. „Mir ist egal, was sie sagen. Mir ist egal, was alle sagen. Ich weiß, wie du wirklich bist. Du bist mir gegenüber immer so höflich und charmant. Du nimmst mich in Schutz und sorgst dich um mich. Du bist kein Ekel! Haruka, du bist ein liebenswerter Mensch. Jeder trägt etwas in seiner Vergangenheit, auf das er nicht stolz ist, aber du hast dich doch geändert! Du bist nicht mehr so wie früher in Nagoya. Dass du jetzt anders bist und deine Fehler bereust, zeigt deinen wahren Charakter.“ Endlich sah Haruka sie an. „Ich glaube, ich sollte dich langsam nach Hause bringen.“ Kapitel 13: ------------ Kapitel 13 „Guten Morgen, Haruka.“, wünschte Michiru sanft, als sie ihre Mitschüler wie üblich vor dem Eingang des Schulgebäudes traf. Besorgt wurde sie von Kikyo und Junko angesehen. Die beiden schienen bemerkt zu haben, dass mit ihrer blonden Freundin etwas nicht stimmte. Die stand still in der kleinen Gruppe und sah betrübt zu Boden. „Morgen. Dann können wir ja reingehen...“, gab sie teilnahmslos von sich und machte sich auf den Weg zum Japanischunterricht. Die anderen folgten ihr zögerlich und auf Junkos Frage, was mit der Rennfahrerin nicht stimmen würde, schüttelte Michiru nur mit ernster Miene den Kopf. Nur wenige Augenblicke, bevor Herr Hisakawa seine Stunde eröffnete, erschien Hiro mit seinem Anhang im Raum. Um den Klassenlehrer nicht auf sich aufmerksam zu machen, trat er direkt an Harukas Tisch und beugte sich mit einem „Guten Morgen, Touma-san.“ zu ihr herunter. Die Hände der Pianistin ballten sich zu Fäusten und mit einem geknurrten „Spar dir deine gespielten Höflichkeiten!“ funkelte sie angriffslustig in seine dunklen Augen zurück. Zufrieden grinsend wanderte Hiro zu seinem Platz. „Versuch, ihn zu ignorieren. Er will doch nur, dass du dich aufregst und du Ärger bekommst.“, versuchte Michiru ihre Mitschülerin zu beruhigen und legte ihre Hand vorsichtig auf Harukas Arm, zog sie jedoch wieder zurück, als Herr Hisakawa seine Stimme erhob und damit seinen Unterricht eröffnete. Bei jeder Gelegenheit versuchte der Unruhestifter seine Konkurrentin aus der Räson zu locken. Vor der Ethikstunde am Dienstag nutzte er die Gelegenheit, dass Michiru nicht da war und die Athletin so nicht beruhigen konnte. Lässig lehnte er sich gegen ihren Nachbartisch. An diesem Tag war er extra früh in der Schule erschienen, um mehr Zeit für seine Sticheleien zu haben. Unschuldig beugte er sich vor und tippte mit einem Finger auf ihrem Tisch herum. „Hey, Touma… Wollte nur Sorry sagen. Für Sonntag. Hast dich bestimmt geärgert, dass wir ausgerechnet in dem Moment aufgetaucht waren, als du sie endlich rumgekriegt hattest. Kann verstehen, wie nervig das sein muss.“ „Mach, dass du Land gewinnst! Verschwinde, bevor ich mich doch noch vergesse!“, knurrte Haruka zurück. Hiro begann zu grinsen. „Warum so aggressiv? Ich dachte, du könntest mir ein paar Tipps geben.“ Hiros Grinsen wich angriffslustig gefletschten Zähnen. „Ich meine, wie hast du es hingekriegt, sie trotz deiner Vergangenheit davon zu überzeugen, dass du besser bist als ich, Touma?“ Das reichte Haruka. Reflexartig sprang sie auf und griff in Hiros Kragen. „Halt’s Maul, du Ratte! Halt einfach dein vorlautes Maul!“ Energisch stieß sie ihn von sich. „Und mein Name ist nicht Touma.“ Hiro war kurz rückwärts getaumelt, hatte sich aber schnell abgefangen. Bevor er Antworten konnte, erspähte er im Augenwinkel Frau Amano, die gerade den Klassenraum betrat. Murrend richtete er sein Hemd, bevor er sich zu seinem eigenen Platz aufmachte. Katashi saß wenige Tische weiter hinten im Raum. Beunruhigt hatte er den Konflikt mit gehobenen Augenbrauen beobachtet. Nachdem die Stunde vorüber war, machte er sich auf den Weg zu seiner Freundin. „Mensch Haruka-san, was sollte das denn? Schlägereien werden hier gar nicht gerne gesehen. Ich weiß ja nicht, was da zwischen euch los ist, aber lass dich nicht so von ihm provozieren! Sonst fliegst du noch von der Schule!“, versuchte er auf sie einzureden, doch die Läuferin warf ihm bloß einen flüchtigen Blick zu, warf sich ihren Rucksack über die Schulter, schnappte ihren Helm und wanderte Richtung Biologieraum. Ungeduldig wartete dort schon Michiru. An Hiros abwertenden Blick erkannte sie sofort, dass etwas vorgefallen sein musste. Da jedoch Herr Katsuki augenblicklich mit seiner Stunde begann, konnte sie erst in der Frühstückspause nachhaken. Schweigend lief Haruka den Korridor in Richtung Cafeteria entlang. Nachdem Michiru vergebens versucht hatte, herauszufinden, was passiert war, ließ sie sich mit Katashi zurückfallen und horchte ihn aus. „Klär mich mal auf. Was hat Kawashima an Haruka gefressen? Wieso reagiert sie überhaupt auf sein Gelaber? Sie hat sich doch sonst nicht so aus der Fassung bringen lassen. “, fragte er nach seinem Bericht. Michiru seufzte und blieb stehen. Dann sah sie dem jungen Mann durchdringend in die Augen. „Ok, ich sag dir was los ist, wenn du versprichst, dass du es für dich behältst.“ Katashi nickte und Michiru setzte ihren Weg langsam fort. „Wir waren am Sonntag zusammen unterwegs. Sie hat mich morgens abgeholt. Wir waren shoppen und im Sumida, und auf dem Sky Tree.“ Die Künstlerin stoppte kurz und nachdem sie tief eingeatmet hatte, sprach sie weiter: „Ich glaube, ich muss nicht betonen, dass wir uns in den letzten Wochen sehr nahe gekommen sind. Nicht nur auf freundschaftlicher Ebene.“ Katashi hob überrascht die Augenbrauen. „Warte mal. Du meinst doch nicht…? Ich meine… Also von Haruka ist ja allgemein bekannt, dass sie… Aber du…? Ich meine, ich habe echt nichts dagegen! Aber dass du auch… Naja, dir merkt man das eben nicht so an…“, versuchte er zu erklären. Michiru rieb sich genervt die Stirn. „Mensch, Kusaka! Ist doch egal, ob man mir das anmerkt oder nicht. Es ist eben so. Okay? Gut. Also wir waren oben auf dem Sky Tree und alles lief bestens und… gerade als wir… Also kurz bevor wir… tauchten Kawashima und Narumi-san auf. Ich glaube, die haben im Internet nach Harukas Vergangenheit gesucht. Vielleicht hat Kawashima auch Verwandtschaft da unten. Keine Ahnung… Jedenfalls haben sie alles über ihren… leichten Lebensstil in Nagoya rausgefunden. Ich interessiere mich nicht für ihre Vergangenheit! Mir ist egal, wer sie mal war. Ich… Ich mag sie nun mal so, wie sie jetzt ist. Ich weiß, dass sie sich nicht mehr jeder hübschen Frau an den Hals wirft, dass sie sich geändert hat. Aber Kawashima und Narumi sehen das anders. Sie meinten, sie wäre kein Stück besser als er. Und sie glaubt das anscheinend auch. Kawashima war schon immer ein Arsch. Und Narumi ist eingeschnappt, weil ich mich nicht mehr mit ihr abgebe.“ Jetzt blieb Michiru ganz stehen und suchte den direkten Blickkontakt zu Katashi. „Ich glaube, Haruka hat an Kawashimas Ego gekratzt. Er sieht sie als Konkurrentin und wird sie immer wieder herausfordern. Wenn ich dabei bin, kann ich sie zurückhalten. Aber ich bin nicht immer bei ihr. Also tu mir bitte den Gefallen, und pass auf sie auf, wenn ich es nicht kann. Ich schätze, irgendwann wird sie die Nase voll haben. Und ich will nicht, dass sie wegen dieses Vollidioten von der Schule fliegt.“ Katashi atmete tief durch und begann dann zu lächeln. „Klar. Kein Problem.“ Wie üblich beendete Herr Kanai seine Astronomiestunde schon vor dem Klingeln und verschwand als Erster aus dem Raum. Harukas Laune war immer noch am Tiefpunkt. Zu ihrem Bedauern wartete vor dem Klassenzimmer schon das Gesicht auf sie, das an ihrer Stimmung schuld war. „Hey, Touma!“ Haruka wandte sich sofort ab und setzte ihren Weg fort, doch Hiro passte sich ihrem Tempo an und lief mit den Händen in den Hosentaschen neben ihr her. „Ich hab das vorhin ernst gemeint. Ich dachte, ich könnte von Nagoyas Herzensbrecherin noch was lernen. Ich weiß, du nimmst nicht jeden unter deine Fittiche, aber da wir ja offensichtlich gleichgroße Schweine sind, hab ich doch sicher gute Chancen, oder?“ Haruka reagierte nicht. Sie richtete ihren Blick stur geradeaus und lief weiter. Hiro begann zu grinsen. „Okay, meine erste Frage, Sensei… An Michi kann man sich echt die Zähne ausbeißen. Wie hast du sie rumgekriegt?“ Plötzlich blieb er stehen. „Hast du es mit ihr eigentlich schon ins Bett geschafft?“ Jetzt hielt auch Haruka inne. Hiros Mundwinkel zuckten. Er machte zwei Schritte vor und stand nun wieder neben der Blondine. „Und? Wie ist sie? Ich glaube, sie ist ein richtig verruchtes Bie-“ Weiter kam er nicht mehr. Haruka hatte ihm mit voller Wucht ihren Helm in die Magenkuhle gerammt. Der Schüler beugte sich keuchend vornüber und musste sich an der Athletin festhalten. Haruka griff mit ihrer freien Hand in seinen Nacken und zog ihn wieder in eine aufrechte Position. „Noch ein Wort, und ich breche dir die Knochen.“ „Bin neugierig, wie du das anstellen willst.“, knurrte Hiro zurück. Mit einem Schlag gegen Harukas angespannten Bizeps hatte er sich befreit und schon im nächsten Augenblick hatte er der Blondine seinerseits einen Hieb unter die Rippen versetzt. Haruka machte einen Schritt zurück, warf ihren Rucksack zu Boden und drückte Katashi, der zu der Gruppe aufgeschlossen hatte, ihren Helm in die Hand. Sie holte aus. Doch bevor ihre Faust Hiros arrogantes Gesicht treffen konnte, wurde ihr Arm festgehalten. „Halt dich da raus, Kusaka!“, schrie Haruka ihren Freund an. Der dachte aber gar nicht daran, den aufgebrachten Rennprofi loszulassen. „Reiß sich zusammen, Haruka!“ Für einen kurzen Moment konnte sie ihn zurück stoßen und die Gelegenheit dazu nutzen, auf Hiro zuzustürmen, jedoch war Katashi sofort wieder hinter ihr und umklammerte sie. Er fixierte sie im Doppelnelson und ließ der Sportlerin gar keine andere Wahl, als ihm zuzuhören. „Mann, Haruka! Sei doch nicht so blöd und lass dich auf ihn ein! Was glaubst du wohl, würde Michiru-san davon halten, wenn du wegen einer Schlägerei mit diesem Idioten von der Schule fliegst?“ Endlich entspannte sich der Körper der Athletin. Ihr Blick fixierte noch immer ihren Kontrahenten. Der wurde seinerseits von Sanae und einem stämmigen Mitschüler, Han Kosaru, der ihm so gut wie nie von der Seite wich, zurückgehalten. Die zierliche Blonde sprach leise auf Hiro ein, bis dieser mit gerümpfter Nase nickte und Kosaru abschüttelte. Haruka hatte sich mittlerweile wieder beruhigt und Katashi löste langsam seinen Ringergriff. „Woher weißt du so viel über meine Vergangenheit, Kawashima?“, fragte sie knurrend und leise, für Hiro gerade laut genug. Der atmete ruhig durch. Dann teilte er seinem Anhang durch ein leichtes Nicken mit, dass es Zeit wäre zu gehen. Als er auf Harukas Höhe war, hielt er inne und sah ihr verachtend ins Gesicht. „Narumis größtes Talent wird in der Schule nur selten gemessen. Sie findet jedes Geheimnis. Und die Schlagzeilen, die der Rennprofi Touma überall im Netz hinterlassen hat, sprangen ihr ja förmlich ins Gesicht. Hättest dir selbst einen Namen ausdenken sollen, statt nur den deiner verrottenden Mutter anzunehmen.“ Katashi reagierte noch schneller als seine Freundin. Er nahm sie in den Polizeigriff und legte ihr zusätzlich seinen Arm um die Kehle, noch bevor Haruka versuchen konnte, abermals auf Hiro loszugehen. „Hör ihm nicht zu, Haruka! Michiru würde das nicht wollen!“ Die blonde Läuferin fletschte die Zähne. „Ist gut, Kusaka. Jetzt lass mich los!“ Als ihr Mitschüler seinen Griff lockerte, riss sie sich los und warf ihm einen wütenden Blick und ein zischendes Knurren zu. Dann sah sie wieder zu Hiro. „Das ist noch nicht vorbei.“ „Der Meinung bin ich auch, Touma.“, erwiderte Hiro kühl, bevor er sich abwandte und seine Jungs davon führte. Sanae verweilte noch einen kurzen Moment. Sie schien noch etwas loswerden zu wollen, folgte dann jedoch schweigend ihrer Clique. Haruka sah ihr nach. In den blauen Augen hatte sie etwas wie Mitleid erkennen können. Kopfschüttelnd befreite sie sich aus ihrer Starre. Schweigend lief Haruka neben Katashi her in Richtung Schulhof. Immer wieder warf sie ihm skeptische Blicke zu. „Was?“, fragte er bald genervt. Haruka blieb stehen. „Wo hast du das gelernt?“ Katashi hielt inne und sah sie fragend an. „Du bist nicht gerade kräftig gebaut. Um jemanden wie mich so festzuhalten, musst du die Techniken wirklich gut beherrschen.“ Der Schüler grinste kurz, bevor er mit den Schultern zuckte und seinen Weg fortsetzte. „Hab ein paar Kurse mitgemacht. Zum Glück! Ich schätze mal, Michiru-san hätte mir in den Hintern getreten, hätte ich dich nicht zurückhalten können.“ Nach einigen Schritten blieb er erneut stehen und drehte sich um. Haruka hatte sich kein Stück weiter bewegt. „Was meinst du damit?“, fragte sie verwirrt. Katashi lief wieder auf die Sportlerin zu. Er zögerte kurz. Dann begann er vorsichtig: „Michiru-san hat mir erzählt, was vorgestern passiert ist. Dass ihr Hara-san und Kawashima getroffen habt. Sie sagte, er würde dich sicher noch weiter provozieren. Und sie will, dass ich dich im Auge behalte, wenn sie nicht da ist. Sie scheint sich wirklich um dich zu sorgen.“ Haruka sah betreten zu Boden. „Das hab ich nicht verdient. Ich bin es nicht wert, dass sie sich den Kopf wegen mir zerbricht.“ Katashi seufzte. „Das sieht sie anders. Sie sagt, ihr wäre deine Vergangenheit vollkommen egal. Sie sagte, sie würde dich mögen.“ Haruka schluckte. „Wirklich? Was hat sie noch gesagt?“, fragte sie in seine treuen braunen Augen starrend. Er begann zu grinsen, wandte sich ab und lief weiter. „Ich glaube, das fragst du sie lieber selbst.“ Haruka durchlief die restliche Schulwoche wie in Trance. Sie kämpfte innerlich mit sich selbst. Sie wollte mit Michiru zusammen sein, mehr als alles andere. Aber sie war sich sicher, dass die Violinistin jemand Besseren verdiente. Hiros spitze Bemerkungen, die er bei jeder Gelegenheit äußerte, verstärkten noch ihre Zweifel. Er war zwar ein Idiot, aber irgendwie hatte er auch recht. Ihr voriger Lebensstil hatte gezeigt, dass sie es nicht lange mit ein und derselben Frau aushielt. Was, wenn sie auch Michiru verletzen würde? Sie war Hals über Kopf in die junge Künstlerin verliebt, doch was, wenn ihre Vergangenheit sie wieder einholen würde? Kopfschüttelnd sah sie auf ihren Mathetest. Sie versuchte ihre letzten freien Gehirnzellen auf die Aufgaben zu konzentrieren, doch nach der Abgabe war sie sich sicher, bestenfalls eine Vier bekommen zu können. Und das auch nur, wenn Frau Ogata vor der Kontrolle mindestens eine große Flasche Wein leeren würde. In der Sportstunde lief es für sie bedeutend besser. Nach einer kurzen Erwärmung wollte Herr Fukami die Ausdauer seiner Schüler trainieren, also konnte Haruka fast die gesamte Doppelstunde über ihre Runden drehen. Sie war so sehr in ihre Gedanken versunken, dass sie nicht mitbekam, wie der Unterricht beendet wurde. Erst als sich ihr der Lehrer in den Weg stellte, wurde sie langsamer und kam schließlich etwas keuchend zum Stehen. „Ihren Ehrgeiz in allen Ehren, aber die Stunde ist vorbei.“, grinste er und klopfte seiner Schülerin anerkennend auf die Schulter. „Ist alles in Ordnung?“, fragte er dann besorgt, als er die außergewöhnlich hohe Atemfrequenz der Läuferin bemerkte. „Ja, klar. Alles in Ordnung. Ich hab heute nur nicht so richtig meinen Rhythmus gefunden.“, erklärte sich Haruka und versuchte, den Blickkontakt zu ihrem Trainer zu vermeiden. „Tenoh-san, wenn Sie Probleme haben, können Sie sich gern an mich wenden.“, antwortete er besorgt. „Ich glaube, ich hab einfach zu viel im Kopf. Aber ich komme schon klar, danke Sansei.“, gestand sie. Nachdem Herr Fukami ihr geraten hatte, sich dieses Wochenende vielleicht einfach mal frei zu nehmen, joggte sie nachdenklich zurück in die Umkleide. Das heiße Wasser prasselte rauschend auf ihre Schultern. Haruka war längst die Letzte in der Umkleide, aber ihre Kopfschmerzen, die ihr die Grübelei eingebracht hatte, konnte sie einfach nicht wegspülen. Als sie endlich den Parkplatz der Schwimmhalle erreichte, wurde sie fast sehnsüchtig von Michiru erwartet. „Haruka, wo warst du so lange? Ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht!“, warf ihr die Künstlerin vor, doch die Blondine reichte ihr nur mit einem leisen „Tut mir leid.“ ihren Helm. Schweigend saßen sich die beiden in der Bibliothek gegenüber. Die meisten Hausaufgaben waren bereits erledigt, also zog Michiru zum Abschluss noch ihr Mathematikbuch aus ihrer Tasche. Im Grunde hatte sie heute die Aufgaben allein erledigt, währenddessen ihr Haruka fast die ganze Zeit über teilnahmslos zugesehen hatte. Immer wieder versuchte die Schwimmerin, ihre Mitschülerin zu motivieren, doch die konnte sich einfach nicht konzentrieren. Nachdem sie ihre Sachen wieder zusammen gepackt hatten, nahm Michiru Harukas Hand. „Was hat er nur mit dir angestellt? So kenne ich dich gar nicht! Warum hörst du dir dieses dumme Gerede überhaupt an? Ich ertrage es nicht, dich so niedergeschlagen zu sehen, also rede doch wenigstens mit mir! Wenn du möchtest, können wir dieses Wochenende auch einen Ausflug machen. Weg fahren und deine Gedanken hier zurück lassen… Was sagst du dazu?“, fragte sie hoffnungsvoll. Nach einem Seufzer sah die Athletin auf. „Michiru, ich glaube, ich brauche mal etwas Zeit für mich. Versteh mich bitte nicht falsch, aber ich muss meinen Kopf wieder freikriegen. Vielleicht werde ich Obaa-san besuchen. Oder ich fahre woanders hin, keine Ahnung…“, erklärte sie, woraufhin die Streicherin schwer schluckte. „Schon in Ordnung. Vielleicht wird dir ein bisschen Abstand mal ganz gut tun. Aber wehe, du kommst nicht mehr wieder!“, lächelte sie traurig und bekam dafür ein gezwinkertes „Ich kann meinen Engel doch nicht allein lassen.“ von Haruka zurück. Nach der letzten Stunde vor dem Wochenende begleitete Michiru Haruka zum Parkplatz. Wenigstens hatte die Blondine versprochen, ihre Mitschülerin noch nach Hause zu fahren, bevor sie nach Nagoya aufbrechen wollte. Hilfsbereit wie immer half sie der Geigerin beim Aufsteigen und raste durch die Straßen Tokios. Vor Michirus Wohnung angekommen stieg auch die Leichtathletin ab und lächelte Michiru niedergeschlagen an. „Tut mir leid, dass ich dir die ganze Woche über die Laune vermiest habe.“, sprach sie leise, doch die Schwimmerin zog Haruka in eine Umarmung. „Merkst du gar nicht, was du da für einen Blödsinn von dir gibst? Kawashima hat dich die ganze Zeit über so belagert, dass ich nur froh bin, dass du dich nicht mit ihm geprügelt hast.“, gab sie zurück und kraulte dabei mit einer Hand Harukas kurzes Haar. Katashi hatte seine Freundin nicht verraten, also wusste Michiru nichts von der kleinen körperlichen Auseinandersetzung. Seufzend schlang die Rennfahrerin ihre Arme um ihren Engel und vergrub ihr Gesicht in dem duftenden, türkisfarbenen Haar. „Es tut mir trotzdem leid. Auch, dass der wundervolle Tag mit dir am letzten Wochenende so enden musste.“ Sofort spürte sie, wie Michiru die Umarmung noch enger zog. Nach einigen Augenblicken löste sich die Künstlerin sanft von Haruka und sah ihr in die Augen. „Pass auf dich auf. Und fahr vorsichtig, ja?“, forderte sie eindringlich und gab der Blonden einen liebevollen und nicht ganz kurzen Kuss auf die Wange, um sich dann abzuwenden und im Eingang des modernen Hochhauses zu verschwinden. Haruka stieg wieder auf ihre Maschine und fuhr direkt zu einem Autohaus, bei dem sie noch von Nagoya aus eine Bestellung aufgegeben hatte. Schon von der Straße aus erblickte sie den Nachbau eines Ferrari F512 M in Dunkelblau. Also trat sie mit einem süffisanten Grinsen ein und stellte sich vor, um kurz darauf vom Geschäftsführer persönlich bedient zu werden. Er zeigte ihr voller Stolz den bestellten Wagen, der auf Harukas Wunsch hin mit einer hinteren Sitzbank und einigen anderen kleinen Veränderungen im Gegensatz zum Original ausgestattet worden war. Nachdem der Papierkram erledigt war, reichten die Geschäftspartner einander die Hand und Haruka machte sich auf den Weg zu ihrer Wohnung, währenddessen ihr der Chefmechaniker ihr neues Auto nachbrachte. Ihre Tasche hatte sie bereits in der letzten Nacht gepackt, also konnte sie bald die Reise zu ihrer Großmutter antreten. Auf der Autobahn spürte sie die Kraft des Motors und nur durch Michirus Worte, die immer wieder durch ihren Kopf hallten, schaffte sie es, sich zu zügeln. Ohne sie weiter zu beachten, flog sie an den Abfahrtsschildern Nagoyas vorbei, um die nächste Ausfahrt südlich der Metropole zu nehmen. Die Straßen wurden schmaler und der Verkehr ruhiger, bis sie eine kleine Landstraße erreichte. Nach einigen Kilometern erkannte sie das Ortseingangsschild eines kleinen Dorfes und fuhr schließlich in die Einfahrt eines viel zu großen Hauses. Auf der Veranda vor der Eingangstür drehte sie sich um und ließ ihren Blick über den Hof schweifen. Mit einem zufriedenen Seufzen wandte sie sich wieder der Tür zu und klopfte an. Es dauerte einen Moment, bis ein leises Klicken ertönte und eine ältere Dame erschien. Die strahlendgrünen Augen der weißhaarigen Frau weiteten sich, als sie ihre Enkelin erkannte. Lächelnd stellte Haruka ihre Tasche ab. „Hallo, Obaa-san.“ Die Ältere sah an der jungen Frau einmal herunter und wieder zurück zum Gesicht. Dann zog sie die Blondine, die gut anderthalb Köpfe größer als sie selbst war, in eine Umarmung. „Oh, du Bengel! Kannst du dir überhaupt vorstellen, was du mir für einen Schrecken eingejagt hast? Touma-kun sagte, du wärst abgehauen!“ „Tut mir leid, Obaa-san, ich musste einfach weg.“ „Das ist aber eine schwache Entschuldigung! Komm erst mal rein. Wie ich sehe, hast du eine Reisetasche dabei. Ich nehme an, du wirst nicht sofort wieder verschwinden?“, fragte die Großmutter mit eindringlichem Blick. Lächelnd schüttelte Haruka den Kopf. „Nein, wenn du nichts dagegen hast, würde ich gerne erst Sonntag zurück nach Tokio fahren.“ „Tokio?! Du lebst jetzt in Tokio?! Meine Güte, Kind! Nichts erzählst du deiner alten Obaa-san… Verschwindet einfach und taucht hier nach Wochen wieder auf… Tokio, sagt sie! Der nächste Weg… Dieses Kind, irgendwas hab ich wohl doch falsch gemacht…“ Vor sich hin meckernd wandte sich die alte Dame ab und lief durch den Korridor. Ihre Enkelin folgte ihr grinsend. „Ich sagte doch, es tut mir leid, Obaa-san. Wenn du nichts dagegen hast, bringe ich erst mal meine Sachen hoch.“, entschuldigte sich die Blondine ungehört, also drehte sie sich um und sprintete die Treppe hoch. In ihrem alten Zimmer angekommen atmete sie den vertrauten Duft alter Möbel ein. Lächelnd warf sie ihre Tasche aufs Bett und öffnete die Tür zu dem kleinen Balkon. Sie trat heraus und atmete tief die frische Luft ein. >Diese Ruhe…< Genießend schloss sie ihre Augen. Sie hatte fast vergessen, wie es war, einfach den Vögeln und dem Wind zu lauschen, der sanft durch Bäume und Sträucher strich. Kaum etwas anderes war zu hören. Sie sah wieder auf und ließ ihre Augen den großen Garten untersuchen. Die Sonne verschwand gerade am Horizont und Haruka vermisste die vielen Sommertage, die sie hier mit ihrer Schwester verbracht hatte. Zweifelsohne gefiel ihr dieser Ort besser als Tokio oder Nagoya, aber ohne das kräftige Grün und die warmen Sonnenstrahlen, war er nur halb so schön. Haruka seufzte und löste sich von dem Anblick. Sie zog sich endlich ihre Schuluniform aus, um in ihre Lieblingsklamotten zu schlüpfen, eine fast zu große schwarze Jogginghose und ein weites weißes Muskelshirt. Auf dem Weg nach unten blieb sie vor dem Garderobenspiegel stehen. Sie sah hinein und grinste ihrem Spiegelbild breit entgegen. „So gefällst du mir am besten, Tenoh.“, schmeichelte sie sich selbst. „Hast du was gesagt, Ruka-chan?“, hörte sie ihre Großmutter aus dem Wohnzimmer rufen. Gut gelaunt war die junge Leichtathletin mit schnellen Schritten bei ihr. „Nein, nichts.“ Sie legte eine Hand auf der Rückenlehne des Sofas ab, sprang über das kleine Hindernis und setzte sich schwankend neben die alte Dame. „Aber sonst geht es dir gut?!“, tadelnd wurde sie von Tenoh Aya angesehen, doch Haruka grinste nur frech zurück und schenkte Tee in zwei Gläser, die bereits auf dem Sofatisch bereit standen. „Ach, Ruka-chan.“, seufzte die Weißhaarige und griff nach ihrem Glas. Besorgt sah sie ihren kleinen Wirbelwind an. Sie brauchte keine weiteren Worte. Haruka verstand sofort, dass sie ihrer Großmutter eine Erklärung schuldig war. Betreten nahm sie einen Schluck von ihrem Tee und stellte ihr Glas wieder ab. „Ich musste einfach von ihm weg. Ich hab es nicht länger bei ihm ausgehalten.“, erklärte sie leise. „Und darum verschwindest du einfach ohne ein einziges Wort? Ich habe mir Sorgen gemacht! Dir hätte sonst was passiert sein können! Dein Trainer konnte mir auch nicht weiterhelfen. Ich weiß, dass er nicht dein Vater ist und dass ihr hin und wieder unterschiedlicher Meinung wart, aber er hat dich und deine Schwester bei sich aufgenommen. Ich habe dich nicht zur Undankbarkeit erzogen, Touma Haruka!“ „Tenoh.“, unterbrach die Läuferin die alte Dame. Fragend wurde sie von deren grünen Augen angesehen. „Ich habe Mutters Geburtsnamen angenommen. Deinen Namen.“, fügte sie hinzu. Aya schüttelte den Kopf und seufzte. „Ach, Kind. Du tust so, als hätte dich Touma-kun wer weiß wie schlecht behandelt…“ Betrübt starrte Haruka auf ihr Teeglas. „Können wir nicht das Thema wechseln, Obaa-san? Ich will nicht über ihn reden.“, gab sie leise von sich. Die alte Dame atmete tief ein und fragte: „Also schön. Was hat dich nach Tokio verschlagen?“ „Naja, ich wollte von Nagoya weg und neu anfangen. Wo könnte man besser neu anfangen, als in Tokio? Meine Schwester hat es ja immerhin vorgemacht.“, lächelte sie, doch ihre Großmutter winkte ab. „Fang nur nicht mit der an! Hat sich seit Monaten nicht gemeldet. Ihr Kinder macht euch wohl überhaupt keine Gedanken. Unsereins wird ganz krank vor Sorge und ihr jungen Spunte treibt euch in der Weltgeschichte umher. Du hast doch hoffentlich trotzdem noch vor, deinen Abschluss zu machen?!“, bemerkte sie plötzlich entgeistert. Haruka lachte. „Natürlich hab ich das. Ich besuche sogar eine der besten Privatschulen Japans.“, lobte sich die Blondine selbst. „Na wenigstens das… Wo wohnst du überhaupt? Ich hoffe, du schleppst dich nicht von Schlafzimmer zu Schlafzimmer!?“ Abermals lachte Haruka. „Nein, das mache ich nicht mehr. Ich habe bis zu meinem 18. in einem Hotel gelebt und jetzt habe ich meine eigene Wohnung. Um ehrlich zu sein, will ich auch nicht mehr von einem Schlafzimmer ins nächste wandern.“, antwortete die junge Frau leise und mit leicht geröteten Wangen. Langsam schlich sich der Großmutter wieder ein Lächeln auf die Lippen. „Sag nur, du hast endlich das eine besondere Mädchen gefunden, das dich zähmen konnte?“, fragte sie grinsend und die Röte auf Harukas Wangen wurde kräftiger. „Ihr Name ist Michiru. Und seitdem ich sie kenne, will ich keine andere mehr. Sie geht in meine Klasse. Und sie ist einfach umwerfend. Sie ist Künstlerin und Schwimmerin, spielt Violine und ist einfach der warmherzigste Mensch, der mir je begegnet ist.“ Bei der Beschreibung ihres Engels begann die Rennfahrerin zu träumen. Glücklich beobachtete Aya ihren Wirbelwind und sprach nach einem Augenblick des Schweigens weiter: „Du wirst sie mir irgendwann vorstellen müssen. Ich würde mich gerne bei der Frau bedanken, die meinen kleinen Quälgeist endlich zur Ruhe brachte. Wie lange seid ihr denn schon zusammen?“ Haruka schüttelte den Kopf. „Wir sind nicht zusammen. Ich hätte sie gerne schon mitgebracht, aber…“, nachdenklich sah die Blondine auf. „Ich glaube, ich bin nicht gut genug für sie.“ Ayas Gesichtsausdruck wandelte sich. Sie legte ihrer Enkelin eine Hand unters Kinn und wischte ihr mit der anderen eine Strähne aus dem Gesicht. „Haruka, lass dir eins gesagt sein. Deine Vergangenheit und dein bisheriger Lebensstil sind völlig egal. Du sagst, du willst keine andere mehr, als sie? Behalte dieses Versprechen in deinem Herzen und alles, was vorher war, ist nebensächlich. Liebst du sie? Dann zeig es ihr. Und wenn sie tatsächlich so ein fantastischer Mensch ist, wird sie deine Liebe zu schätzen wissen. Solange du sie liebst und ihr das in jedem einzelnen Moment zeigst, verdienst du sie. Und solange sie dein Ein und Alles ist, bist du auch gut genug für sie!“ Eine Zeit lang sah die alte Dame in die Augen ihres Schützlings. „Ich wünschte, sie könnten dich heute sehen, mein Liebling. Sie wären ganz sicher stolz auf dich.“ Betrübt ließ sie ihre Hände sinken und Haruka nahm ihre Großmutter in den Arm. Ein paar Seufzer später erhob sich Aya. „Du bist sicher hungrig. Ich werde mal sehen, was ich dir heute Abend noch zaubern kann. Wenn du das nächste Mal her kommst, erwarte ich, dass du vorher anrufst! Ich werde sicher noch etwas finden, aber die besten Sachen sind natürlich eingefroren.“, beschwerte sich die Dame auf dem Weg in die Küche und ihre Enkelin ließ sich grinsend und kopfschüttelnd zurück fallen. „Natürlich, Obaa-san.“ Ein leises Klicken holte Haruka sanft aus ihren Träumen. Seufzend streckte sie sich und nahm sofort den unwiderstehlichen Duft von Kakao wahr. Lächelnd öffnete sie die Augen. Aya hatte ihrer Enkelin aufgebackene Brötchen mit selbstgemachter Marmelade und Honig bestrichen, ihr heißen Kakao gemacht und alles leise auf ihren Nachtschrank gestellt. Ihr Frühstück im Bett genoss die Blondine in vollen Zügen. Als sie fertig war, seufzte sie zufrieden und zog sich an. Sie fand ihre Großmutter kurze Zeit später in der Küche. „Guten Morgen, Obaa-san.“, begrüßte sie die alte Dame und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Ich hatte schon befürchtet, ich werde langsam zu alt für unser kleines Ritual.“, bemerkte sie, währenddessen sie sich ein Handtuch schnappte und damit begann, einen Stapel Geschirr abzutrocknen. „Um sich von seiner Obaa-san verwöhnen zu lassen, wird man nie zu alt.“, antwortete die Weißhaarige. Es war schon später Vormittag und die Rentnerin hatte einen kleinen Braten aufgetaut, den sie jetzt in seiner Pfanne wendete. Die Kochkünste ihrer Großmutter hatte Haruka wirklich vermisst. Nachdem sie einen Teil der Hausarbeit erledigt und den Tisch gedeckt hatte, setzte sie sich zu Aya, die sie lächelnd beim Auffüllen der Teller beobachtete. „Ruka-chan, ich muss sagen, bei deinen letzten Besuchen fürchtete ich, du hättest deine Manieren ganz und gar vergessen, aber wie ich sehe, war das wohl nur eine Phase.“ Mit errötenden Wangen ließ Haruka ihren Teller sinken. „Tut mir leid, ich war in den letzten Jahren wohl nicht ganz ich selbst. Ich habe deine Erziehung nicht vergessen, Obaa-san. Ich hatte nur andere Dinge im Kopf.“ „Hauptsache, du bist jetzt wieder du selbst.“ Nach dem Essen räumte Haruka den Tisch ab und zog sich um. Aya hatte vorgeschlagen, die warme Frühlingsluft bei einem Spaziergang zu genießen, also beeilte sie sich, um der alten Dame noch in die Jacke helfen zu können. Die Leichtathletin genoss jeden Atemzug, jeden Windhauch und lauschte den Geschichten ihrer Großmutter über längst vergangene Tage. Lächelnd berichtete die alte Frau über die Dummheiten ihrer Tochter und über die ihrer Enkeltöchter, die Haruka entweder verdrängt oder schlicht vergessen hatte. Der noch warme Kirschkuchen und der heiße Tee versetzten Haruka in eine nostalgische Stimmung. „Es tut mir leid, dass ich in den letzten Jahren so ein Ekel war. Und noch mehr tut es mir leid, dass ich mich so lange nicht bei dir gemeldet hab.“, gab sie ehrlich zu, als die Sonne den Horizont berührte. „Von jetzt an wird alles wieder anders. Das verspreche ich dir. Und irgendwann werde ich dich mit Michiru besuchen.“, erklärte sie und sah ihrer Großmutter in ihre fürsorglichen Augen. „Ist schon gut, Ruka. Jetzt weiß ich ja, wo du bist. Kümmere du dich erst mal um deine Michiru. So lange genügt mir auch ein gelegentlicher Anruf.“ Aya fröstelte. „So schön der Sonnenuntergang auch ist, aber ich hatte noch nie so ein dickes Fell wie du. Ich ziehe lieber schon mal vor den Kamin.“, gestand sie lächelnd. Gleich darauf stand sie auf, um die Terrasse zu verlassen und sich in das warme Wohnzimmer zurück zuziehen. Seufzend wandte sich Haruka der untergehenden Sonne entgegen. Sie wünschte sich, ihren Engel jetzt schon bei sich zu haben. >Ab Montag wird alles anders.<, versprach sie sich selbst. Dass es an der Tür geklingelt hatte, hatte sie gar nicht bemerkt. Also stellte Haruka verwundert ihre Tasse im verlassenen Wohnzimmer ab und holte das restliche Geschirr herein. Auf dem Weg in die Küche hörte sie Aya im Flur. Neugierig folgte sie der warmen Stimme, erstarrte aber, als sie eine weitere hörte. „Wo ist sie? Ich weiß, dass sie hier ist, also verlange ich auch sie zu sehen!“ „Bitte beruhige dich und tob hier nicht herum! Vergiss nicht, in wessen Haus du dich hier befindest!“ „Verzeih mir Tenoh-sama. Aber du wirst verstehen, dass ich sie sehen will. Sofort! Sie ist einfach abgehauen und ganz plötzlich stattet sie dir einen Wochenendbesuch ab?! Und meldet sich nicht mal bei mir!?“ Harukas Hände ballten sich zu Fäusten. >Er. Warum ausgerechnet Er?!< Ihr Puls beschleunigte sich und mit wenigen schnellen Schritten erreichte sie den Flur und stand ihrem Onkel gegenüber. Kapitel 14: ------------ Kapitel 14 „Was hast du hier zu suchen?“ „So begrüßt du deinen Vormund, du undankbares Gör?“ Hikaru musterte seine Nichte abfällig aus den Augenwinkeln heraus. Harukas Körper verkrampfte sich. >Vormund?< „Mir ist zu Ohren gekommen, du wärst wieder in Nagoya. Was ist passiert? Haben die Huren Tokios dein Vermögen aufgezehrt?“ „Touma!“ Ayas Augen weiteten sich vor Empörung und Entsetzen. „Wie kannst du es wagen in meinem Haus so mit meiner Enkelin zu sprechen?!“ Vor Anspannung presste Haruka ihre Zähne aufeinander. „So etwas will ich hier nicht hören!“ Die alte Dame machte einen Schritt auf Hikaru zu und straffte die Schultern. Dieser wandte nun den Blick von der Blondine ab und musterte das Gesicht der Schwiegermutter seines Bruders. „Dann sollten wir unser Gespräch lieber vor die Tür verlegen.“, schloss er und griff bereits nach der Türklinke. „Ich habe dir nichts zu sagen.“, zischte Haruka. Doch ihr Onkel sah sie nur durchdringend an. „Ich denke schon, dass wir noch etwas zu besprechen haben.“ Auffordernd öffnete er die Tür zur Veranda. „Ich habe nichts dagegen, wenn ihr eure Diskussion hier führen wollt. Aber ich verlange, dass ihr dabei auf eure Ausdrucksweise-“, doch Ayas Worte wurden ignoriert. Überrascht brach sie in ihrer Rede ab und beobachtete Haruka auf ihrem Weg nach draußen. Ohne der Weißhaarigen noch eines Blickes zu würdigen, folgte Hikaru der Rennfahrerin und schloss hinter sich die Tür. „Woher weißt du, dass ich hier bin? Und woher weißt du, dass ich in Tokio lebe?“ Haruka lief ein Schauer über den Rücken, als ihr bewusst wurde, wie viel ihr Onkel wusste. „Das hat dich nicht zu interessieren. Dir ist klar, dass dein Handeln noch Folgen haben wird, nehme ich an? Du wirst wieder nach Hause kommen. Noch in dieser Woche.“ Hikaru sprach mit ruhiger Stimme, doch die Drohung schwang unverkennbar in ihr mit. „Du kannst nicht glauben, dass ich jemals wieder zu dir zurückkehre!“ Jetzt sah Haruka vom hölzernen Boden der Veranda auf und schon im nächsten Moment bereute sie ihr Handeln. Hikaru nagelte sie mit seinem herablassenden, kalten Blick fest. Seine fast schwarzen Augen schienen ihr direkt in ihre Seele zu stechen. „Ich glaube es nicht nur, ich verlange es. Und du wirst gehorchen.“ Der Leichtathletin schien sich die Kehle zu zuschnüren, als ihr der gestandene Mann langsam näher kam. „Ich habe keine Angst mehr vor dir. Ich bin jetzt volljährig. Ich brauche dich nicht mehr. Und ich werde in Tokio bleiben.“ Haruka versuchte selbstbewusst zu klingen, doch Hikaru entging der verängstigte Unterton in ihrer Stimme nicht. „Du glaubst, du hättest eine Wahl? Du glaubst, du könntest mir widersprechen? Ich habe dich bei mir aufgenommen! Und solange du meinen Namen trägst, hast du zu gehorchen!“ Den Blick immer noch stur auf sie gerichtet, packte er die Kehle der Blondine und drückte sie gewaltsam gegen einen Stützbalken der Veranda. Automatisch griff Haruka nach seinem angespannten Unterarm. Hikaru machte einen weiteren Schritt auf sie zu. Nur noch Zentimeter trennten die beiden Gesichter voneinander und als sie seinen heißen Atem auf ihren Wangen spürte, konnte Haruka die aufsteigende Gänsehaut nicht mehr unterdrücken. Noch immer fühlte sie sich von seinem Blick gelähmt, doch als sie ihre Augen schloss, schaffte sie hervor zu pressen: „Den trage ich schon seit Monaten nicht mehr! Ich habe den Namen meiner Mutter angenommen. Ich habe nichts mehr mit dir zu tun.“ Sofort spürte sie, wie der Druck an ihrer Kehle stärker wurde. Doch schon im nächsten Moment löste sich der Bänker von seiner Nichte. Leicht keuchend stützte sich die Blondine am Geländer ab, rieb sich den Hals und starrte den kräftig gebauten und einige Zentimeter größeren Mann zu gleicher Maßen angst- und hasserfüllt an. Hikaru musterte sie von Kopf bis Fuß und blickte ihr schließlich wieder direkt ins Gesicht. Haruka kannte diesen Gesichtsausdruck. Angst schlich in ihr hoch und ihr Herz begann unweigerlich noch kräftiger zu schlagen, als sie sich zurückweichend weiter gegen den Holzbalken in ihrem Rücken drückte. Ohne Vorwarnung holte er aus und streckte sie mit nur einem Schlag nieder. Das Pfeifen in ihrem Ohr hallte schon durch ihren Kopf, bevor der Schmerz ihr Bewusstsein erreichte und schon im nächsten Augenblick spürte sie den Tritt in ihre Magenkuhle, der ihr die Luft abschnürte und sie von der Veranda stieß. Schweratmend versuchte sie sich aufzustützen. „Sieh dich doch an! Sieh, was sie aus dir gemacht hat! Zu schwach, für einen Mann. Zu stark, für eine Frau. Nichts Ganzes und nichts Halbes.“ Sein nächster Tritt traf die Leichtathletin in der Seite. Haruka versuchte zurückzuweichen und der Stoß ließ sie zwei seitliche Rollen über den Hof machen. Stöhnend kam sie auf alle Viere. Schon stand wieder Hikaru vor ihr, packte sein Opfer am Arm und hob sie mühelos auf die Beine. Ein erstickendes Keuchen entglitt der Blondine, als sich sein Griff festigte. Langsam schloss er erneut seine Finger um die Kehle der jungen Frau. „Undankbar. Verzogen. Arrogant. Zu nichts nütze. Wäre dieses Miststück doch nur schon viel eher draufgegangen. Dann hätte ich vielleicht noch eine Chance gehabt aus dir etwas Vernünftiges zu machen. Aber wahrscheinlich hätten sich doch nur ihre Gene durchgesetzt.“ Mit angewidertem Gesichtsausdruck verstärkte er den Druck auf Harukas Arm und Hals. Die vernahm nur noch dumpf seine Stimme, doch als die Worte in ihrem Kopf ankamen, bleckte sie ihre Zähne. „Wag es nicht, so über meine Mutter zu reden!“Mit letzter Kraft holte sie aus und schlug Hikaru ihre Faust ins Gesicht. Mehr vor Überraschung als vor Schmerz ließ der Bänker von der Athletin ab und schwankte zurück. Voller Abscheu starrte er seine Nichte an, die sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Sie versuchte fast nach Luft ringend seinem Blick stand zu halten. „Du undankbares…“ Hikaru wischte sich über die leicht blutende Lippe. Vor Wut und Verachtung verzogen sich seine Gesichtszüge, doch bevor er Haruka erneut angreifen konnte, holte diese abermals zum Schlag aus. Mit aller Kraft rammte sie ihre Faust in seinen Bauch und der schwarzhaarige Mann taumelte nochmals rückwärts. Ein kurzer Schwall der Genugtuung keimte in Haruka auf, doch noch bevor sie ihren Arm wieder zurück gezogen hatte, blieb ihr von Neuem die Luft weg. Hikaru brauchte keine Zeit, um sich zu erholen. Sofort hatte er zum Gegenschlag ausgeholt. Der Hieb in ihre Rippen ließ die Rennfahrerin zusammen sacken. „Das war´s schon? Ich dachte, wenigstens das hätte ich dir beibringen können!“ Seine Stimme wurde jetzt lauter. Fast lustlos stieß Hikaru seinen Fuß gegen die Schulter seiner Nichte, die daraufhin kraftlos auf die Seite kippte. „Eine derbe Enttäuschung. Auf ganzer Linie.“ Vor Ekel rümpfte er die Nase, als er das schmerzverzerrte Gesicht der Blondine sah. Kopfschüttelnd ging er in die Hocke und strich ihr eine Strähne aus der Stirn. „Wie konnte er nur zulassen, dass sie dich so versaut? Ich hätte viel eher Einfluss auf deine Erziehung nehmen sollen. Damit hätte ich so vielen Eltern verwirrter Huren einen Gefallen tun können…“ Haruka versuchte sich aufzurichten, sich zu wehren, zu widersprechen, doch außer einem Keuchen entglitt ihr kein Laut. „Du leistest nicht mehr Widerstand als dieses arme Kind, das ich damals aus deinem Zimmer warf.“ Harukas Körper reagierte. Die Emotionslosigkeit in Hikarus nun wieder ruhiger und leiser Stimme ließ sie zittern. Die Erinnerungen an die unzähligen Schläge, an die Mädchen, die er aus ihrem Zimmer geprügelt hatte, holten sie ein. Beinahe begann sie zu schluchzen und Tränen in ihren Augen ließen das Bild verschwimmen. Und endlich hörte sie die erlösende Stimme… „Touma! Was zur Hölle ist in dich gefahren?!“ Aya hatte nicht länger warten können. Besorgt hatte sie aus dem Küchenfenster gesehen und Hikaru hockend vor der regungslos am Boden liegenden Haruka entdeckt. Nun eilte sie über die Veranda. „Einen Tee wirst du mir heute wohl nicht mehr anbieten, was?“, fragte Hikaru die alte Dame nüchtern. Gelangweilt erhob er sich. „Ich muss jetzt auch leider los.“ Mit wenigen Schritten war er an seinem Auto angekommen und schon im nächsten Augenblick war er aus der Einfahrt verschwunden. Entsetzt kniete Aya vor ihrer Enkelin nieder. Eine einzelne Träne rann ihr über die Wange und tropfte schließlich auf Harukas Gesicht. „Was hat er nur mit dir angestellt?!“, flüsterte sie und strich zärtlich durch das sandblonde Haar der immer noch schweratmenden jungen Frau. Erschöpft schloss die ihre Augen, als sie sie die fürsorgliche Stimme und die sanfte Berührung wahrnahm. „Ich sah sicher schon schlimmer aus.“, brachte sie leise hervor. Vor Enttäuschung und Mitleid legte Aya die Stirn in Falten. „Soll das heißen, das war nicht das erste Mal?!“ Stöhnend richtete sich die Leichtathletin auf und wurde sofort von ihrer Großmutter gestützt. „Du musst ins Krankenhaus.“, stellte diese knapp fest, doch Haruka schüttelte nur den Kopf. „Ich musste noch nie ins Krankenhaus. Das ist doch gar nichts. Kühlen wird reichen.“, erklärte sie heiser. Aya protestierte, doch gegen diesen Dickschädel konnte sie nicht ankommen. Langsam setzte sich Haruka auf das Sofa und Aya lief in die Küche, um Eis zu holen. Mit sanftem Nachdruck brachte sie ihre Enkelin in eine Liegeposition und begutachtete ihre Rippen. „Sind wohl nicht gebrochen… Nur geprellt…“, murmelte sie vor sich hin und widmete sich dem roten Ring an Harukas Arm, der bereits blauanlief. Sie wickelte ein kaltes Handtuch darum und sah ihrem Schützling ins Gesicht. „Du meine Güte!“, brachte sie hervor, als sie das Veilchen um Harukas Auge entdeckte. Erneut lief sie in die Küche und kam mit einer Tüte gefrorenem Gemüse wieder. „Es ist lange her, dass sich hier jemand geprügelt hat. Dementsprechend bin ich darauf nicht gut vorbereitet, aber tiefgekühlte Erbsen werden sicher genauso helfen können.“, erklärte sie und behandelte vorsichtig das blaue Auge. „Tut mir leid, Obaa-san.“, flüsterte Haruka mit heiserer Stimme. „Ich wollte mich nicht mehr mit ihm prügeln.“ „Was soll das denn bitte heißen?“, fragte Aya schockiert. Besorgt betrachtete sie den geröteten Hals ihrer Enkelin. „Deshalb bist du abgehauen, richtig?“, fragte sie durchdringend weiter. „Ich wollte nicht, dass du es erfährst. Ich wollte nicht, dass irgendjemand etwas davon erfährt.“, antwortete Haruka leise. „Ach, Kind… Warum bist du nicht zu mir gekommen? Ich war doch hier! Ich hätte dich von ihm weggeholt! Warum nur habe ich das nicht bemerkt…?“ Fürsorglich legte Aya ihre Hand auf die Wange der jungen Erwachsenen. „…Warst du deshalb in den letzten Jahren so komisch?“, fragte sie vorsichtig. Das Schweigen ihrer Enkelin deutete sie als Geständnis, also seufzte sie leise. Am nächsten Morgen brachte Aya ihrer Enkeltochter wieder das Frühstück ans Bett. Doch diesmal setzte sie sich an die Bettkannte und strich ihr sanft über die Stirn, anstatt sich gleich wieder leise hinaus zu schleichen. Durch das sofortige Kühlen war vom Veilchen nicht mehr viel übrig. Nur der blaue Ring am Arm war noch deutlich sichtbar. Verschlafen blinzelte Haruka und brachte ein leises und sehr heiseres „Guten Morgen“ hervor. „Vielleicht solltest du heute lieber nicht reden.“, lächelte die alte Dame sanft und streichelte der Blondine zaghaft über den schmerzenden und noch immer dunkelrotgefärbten Hals. Haruka nickte verstehend und richtete sich langsam auf. Als sie nach ihrem Kakao greifen wollte, wurde sie von Aya zurück gehalten, die vorsichtig das Shirt der Rennfahrerin nach oben schob, um ihre Rippen zu untersuchen. „Du wirst diese Woche keinen Sport machen. Vielleicht sind sie geprellt. Wie fühlt sich das an?“, fragte sie und brachte Haruka durch leichten Druck auf die blauen Stellen zum Zischen. „Ja, kein Sport.“, verordnete die Weißhaarige und drückte ihrer Enkelin ihr Frühstück in die Hand. „Ich warte dann unten.“, lächelte sie und verschwand aus dem Zimmer. Nach dem Frühstück hatte sich Haruka angezogen und fand sie in der Küche wieder. „Zum Mittag wirst du doch noch bleiben?“, fragte Aya. Die Blondine nickte wortlos und sah in einen großen Topf voll Gemüsesuppe. „Spar dir deinen skeptischen Blick. Aufgetautes Gemüse kann ich nicht wieder einfrieren.“, rechtfertigte sich die Großmutter und brachte ihre Enkeltochter zum Schmunzeln. Während des Essens fühlte sich die Rennfahrerin beobachtet. Sie spürte die durchdringenden Blicke Ayas und sah fragend auf. „Ich habe nachgedacht, Ruka-chan. Du solltest ihn anzeigen.“ Haruka ließ empört ihren Löffel sinken. „Was hast du denn? Deine Blessuren kannst du nicht leugnen. Und wenn er das mit dir über Jahre hinweg angestellt hat, gehört er ins Gefängnis.“ Die Leichtathletin schüttelte energisch den Kopf. Sie mimte, sie sei mit ihm fertig und formte mit den Lippen ein „Ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben.“ und widmete sich wieder ihrer Suppe. Aya seufzte hörbar. Sie starrte den Blondschopf noch eine Zeit lang an, wurde jedoch erbarmungslos ignoriert. „Na gut. Wenn du meinst… Aber solltest du es dir anders überlegen, kommst du erst zu mir. Damit ich dich unterstützen kann.“ Haruka lächelte sie dankbar an und nickte zaghaft. Nach dem Essen machte Haruka sich wieder daran, den Tisch abzuräumen und nahm danach ihre Großmutter an die Hand. „Was hast du denn jetzt? Ruka, es ist kalt und windig. Tut mir leid, aber bei dem Wetter gehe ich nicht raus.“, stritt die alte Dame sofort ab. Doch ihre Enkelin schüttelte den Kopf, gab ihr einen Kuss auf die Wange und führte sie in ein Nebenzimmer. Schon auf dem Weg dorthin begann Aya zu lächeln. Mit einem breiten Grinsen nahm Haruka hinter ihrem alten Flügel Platz und klopfte auffordernd neben sich auf die kleine Sitzbank. „Du hast ewig nicht mehr für mich gespielt, mein Bengel.“, bemerkte die alte Frau fast wehleidig und setzte sich neben die Pianistin. Zärtlich ließ Haruka ihre Finger über die Tasten gleiten, bevor sie langsam zu spielen begann. Nach einigen Stücken nahm sie die Hand ihrer Großmutter und legte sie neben ihre eigene. „Das letzte Mal habe ich mit dir zusammen gespielt, Ruka-chan. Ich weiß gar nicht, ob ich das noch kann.“, seufzte Aya. Aber ihre Enkeltochter begann ganz zaghaft und die alte Dame stieg bald darauf mit ein. Erst am späten Nachmittag beendeten sie ihr Duett und Haruka machte sich schweren Herzens daran, ihre Tasche zu packen. Nach einem letzten Stück Kirschkuchen und einer letzten Tasse Tee brachte sie ihre Tasche zum Auto und sprang danach noch einmal die kleine Treppe zur Haustür hoch. Kurz spürte sie ein Stechen und hielt sich die Rippen. „Kein Sport, Ruka-chan!“, mahnte Aya nachdrücklich, bevor sie zu lächeln begann. „Oder muss ich erst deine Michiru anrufen und ihr sagen, dass sie auf dich aufpassen soll?“ Breit grinsend schüttelte Haruka den Kopf und umarmte die alte Dame. „Mach dir keine Sorgen, Obaa-san. Ich komme dich bald wieder besuchen. Mit ihr.“, versprach sie leise. Ihre Stimme schien sich den Tag über gut erholt zu haben. Also sah sie überrascht zu der weißhaarigen Frau. „Reden ist Silber,… mein Bengel.“, zwinkerte sie und gab ihrem Wirbelwind zum Abschied einen Kuss auf die Wange. Michiru hatte am Wochenende fast die ganze Zeit über vor sich hin gegrübelt. Weder das Malen, noch das Spielen mit Hotaru konnte sie ablenken. Am Samstagabend war sie sogar in solch schlechter Stimmung gewesen, dass sie ihrer Violine nur melancholische Melodien in Moll abverlangte, weshalb ihrer kleinen Schwester bald die Lust am Spiel vergangen war. „Ich bin in meinem Zimmer.“, gab Michiru abwesend von sich, nachdem sie am Sonntag den Mittagstisch abgeräumt hatte. Setsuna folgte ihr nach einer Weile und trat vorsichtig in das Zimmer der Violinistin, die sich mit ihrem Geschichtsbuch auf ihr Bett gelegt hatte. „Störe ich? Lernst du für eine Arbeit?“, fragte die Ältere behutsam. Die junge Künstlerin schüttelte ihren Kopf. „Nein, eigentlich lerne ich auch nicht richtig. Mir fällt nur nichts Anderes ein…“, antwortete Michiru betrübt. Setsuna setzte sich neben ihre Stieftochter und strich ihr sanft durchs Haar. „Was ist los mit dir? Du warst schon die ganze Woche über so nachdenklich.“ Die Schülerin sah verlegen auf. „War das so offensichtlich?“ „Ein Schild auf deiner Stirn hätte es nicht offensichtlicher machen können.“ Michiru seufzte, schob ihr Buch zur Seite, drehte sich auf den Rücken und starrte an die Zimmerdecke. Nachdem beide Frauen eine Weile geschwiegen hatten, legte sich Setsuna neben die Jüngere und betrachtete deren hübsches Gesicht im Profil. „Hat es etwas mit Haruka zu tun?“, fragte sie vorsichtig, woraufhin sich der Violinistin ein leichter Rotschimmer auf die Wangen legte. „Erzähl schon.“, forderte sie sanft und stützte ihren Kopf auf ihrem Arm ab. Michiru atmete tief ein und sah dann in die granatroten Augen ihrer Stiefmutter. Lächelnd wandte sie den Blick nach einem Moment des Schweigens wieder ab, lehnte sich zurück und schloss ihre Augen. „Ich glaube, ich war noch nie so verliebt.“, flüsterte sie schließlich und ein Grinsen legte sich auf ihre Lippen. Sie schüttelte leicht ihren Kopf. „Ich habe keine Ahnung, was sie mit mir angestellt hat, aber es ist für mich fast unerträglich, nicht in ihrer Nähe zu sein.“, fügte sie leise hinzu. Setsuna lächelte und strich erneut durch eine türkisfarbene Locke. „Das hört sich für mich eher so an, als solltest du dich freuen…“, überlegte sie. Plötzlich weiteten sich entgeistert ihre Augen. „Sie hat doch keine Andere, oder?“ Michiru sah erschrocken auf. „Nein! Ich weiß nicht, was ich dann gemacht hätte. Auf jeden Fall würde ich dann nicht still hier im Bett liegen.“, stellte die Künstlerin klar. >Gott, ich würde dem Flittchen den Hals umdrehen!<, dachte sie still für sich. „Nein… es ist nur… Wir waren doch letztes Wochenende unterwegs. Sie war so charmant und zuvorkommend… Das Outfit, das ich dir gezeigt habe, war ja längst nicht alles. Sie hat mich förmlich auf Händen getragen, hat mich andauernd als Engel bezeichnet… Und dann auf dem Sky Tree… Es war alles so romantisch…“ Verträumt lächelnd schloss Michiru abermals die Augen. „Habt ihr euch geküsst?“, fragte Setsuna leise aber gerade heraus. Ihre Stieftochter lief rot an und grinste breit, jedoch sehnsüchtig. „Fast… Ich wollte es und ich bin mir ganz sicher, dass sie es auch wollte.“ Seufzend drehte sich Michiru auf den Bauch und stützte sich auf den Ellenbogen ab. „Wir waren ganz knapp davor… Das waren echt die längsten Sekunden meines Lebens! Und dann kam Kawashima. Und Narumi. Dieser Idiot hat Haruka die ganze Woche über fertig gemacht, weil sie in Nagoya so eine Draufgängerin war. Und Narumi hat sie oben auf dem Sky Tree angepöbelt. Glaub mir, Setsuna, sie ist nicht mehr so! Ich weiß es! Sie ist einfach der wundervollste Mensch, den ich kenne…“ Betrübt starrte die Schülerin auf ihr Geschichtsbuch. „Du kannst dir ja vorstellen, dass da keine romantische Stimmung mehr aufkommen konnte. Und Haruka ist nur noch mies drauf. Das lässt sie natürlich nicht an mir aus. Aber sie scheint sich irgendwie von mir zu entfernen… Ich weiß nicht, was ich machen soll… Ich habe ihr schon gesagt, dass es mir egal ist, was in Nagoya passiert ist. Ich liebe sie wirklich, und ich ertrage es nicht, wenn sie sich so zurückzieht.“ Seufzend legte Michiru ihren Kopf ab und schloss wieder ihre Augen. Setsuna strich sanft über den Rücken ihres Schützlings. „Dann lass sie sich nicht zurückziehen.“ Michiru schnaubte. „Und wie soll ich das bitte anfangen?“, fragte sie und drehte ihr Gesicht zur anderen Seite. „Lass sie einfach nicht allein. Such den Kontakt zu ihr. Ich meine, zeig es auch Kawashima, dass du zu ihr hältst. Und sollte Narumi-san je etwas an eurer Freundschaft gelegen haben, wird sie ihn sicher zurückhalten. Sie mag oberflächlich sein… und lästert zu viel… und achtet vielleicht zu sehr auf gewisse materielle Werte, aber ich glaube nicht, dass sie nach all den Jahren zulässt, dass Kawashima auch dich verletzt.“ Michiru dachte nach. Schließlich sah sie skeptisch zu ihrer Stiefmutter und begann kurz darauf leicht zu lächeln. Akribisch betrachtete sich Haruka im Spiegel. Ihr Hals sah fast normal aus und die blassen Überbleibsel ihres Veilchens sollten nicht weiter auffallen. Nur an ihrem Arm war noch immer ein blauer Ring zu erkennen. Auch ihre Rippen waren noch grüngefleckt und schmerzten bei jeder kleinen Erschütterung, aber sie hatte heute ja sowieso nicht vor, ihr Hemd auszuziehen. Auf dem Schulparkplatz traf sie auf Katashi, der begeistert den neuen Wagen seiner Freundin bewunderte und auf dem Weg zum Schuleingang auch kein anderes Thema mehr fand. „Guten Morgen.“ Die Stimme ihres Engels ließ Haruka aufhorchen. Lächelnd drehte sie sich um und sah in die forschenden türkisfarbenen Augen. „Guten Morgen!“, antwortete sie und brachte durch ein leichtes Zwinkern auch Michiru zum Lächeln. Katashi sah abschätzend zwischen den beiden Frauen, die offensichtlich wortlos in ihre eigene Welt getaucht waren, hin und her und war irgendwie erleichtert, als Junko und Kikyo die kleine Gruppe erreichten und ihre Mitschülerinnen aus ihren Gedanken holten. Ihre Klassenkameraden machten sich langsam auf den Weg zum Unterrichtsraum, also griff Michiru entschlossen nach Harukas Hand und verschränkte, immer noch Blickkontakt zu ihr haltend, ihre Finger mit denen der Blondine. „Wie war dein Wochenende?“ Michiru hatte sich gerade neben Haruka, die in ihren Apfel biss, auf ihre Bank auf dem Schulhof gesetzt und lehnte sich entspannt zurück. Der Rest ihrer Gruppe wollte die Frühstückspause lieber in der Cafeteria verbringen, also blieben die beiden jungen Frauen unter sich. Haruka schluckte ihren Bissen herunter und lächelte sanft: „Ich war bei Obaa-san. Und dieser Besuch hat mir wirklich gut getan. Ich soll dich übrigens von ihr grüßen.“ Michiru blinzelte überrascht. „Was? Aber sie kennt mich doch gar nicht…“ „Noch nicht. Aber ich habe von dir erzählt.“, gab ihre Mitschülerin grinsend zurück. „Du hast…? Was hast du ihr denn erzählt?“ Fragend legte die Violinistin ihre Stirn in Falten. „Nur das Beste.“, zwinkerte Haruka und beschwor eine leichte Röte auf den Wangen ihrer Freundin herauf. „Das will ich auch hoffen.“, entgegnete Michiru bestimmt, wandte sich aber verlegen ab. Im Geographieraum spürte Michiru die skeptischen Blicke von Hiro, also trat sie noch dichter an Haruka heran, um sie zu ihrem Platz zu begleiten. Auch nach der Doppelstunde wich sie der Rennfahrerin nicht von der Seite und hob nur selbstbewusst ihr Kinn an, wenn Hiro ihren Weg kreuzte. Doch in der Mittagspause schritt der Unruhestifter plötzlich neben dem Paar her in Richtung Cafeteria. „Ihr löst euch wohl gar nicht mehr voneinander.“, bemerkte er und wollte nach Michirus Hand greifen, doch die Violinistin wich ihm aus und warf ihm einen verachtenden Blick zu. Abrupt blieb Haruka stehen und musterte ihren Kontrahenten. „Hast echt das Ufer gewechselt, was?“, fragte Hiro kopfschüttelnd das ehemalige Mitglied seiner Gruppe. Für einen kurzen Moment wollte erneut Wut in Haruka aufkeimen, doch sie schluckte sie sofort wieder herunter und wandte sich an Michiru. „Ignorier ihn einfach.“, sprach sie sanft und löste sich von der Hand ihrer Freundin, um ihren Arm stattdessen um deren Taille zu legen und sie weiter zuführen. Katashi stand nur wenige Schritte vor den beiden und hob nun überrascht die Augenbrauen. „Woher plötzlich diese Selbstbeherrschung?“, fragte er endlich, als sich die kleine Gruppe in der Cafeteria an einen Tisch zu Junko und Kikyo setzte. „Ich will doch wegen dem nicht von der Schule fliegen.“, zwinkerte Haruka ihm zu und sah dann grinsend wieder zu Michiru, die ihr gegenüber saß. Das Lächeln der Violinistin wich einem nachdenklichen Blick, als sie ihrer Mitschülerin in die Augen sah. Lag es nur an dem grellen Licht der Lampen oder sah das Gesicht ihrer blonden Freundin tatsächlich irgendwie anders aus? Am Ende der Pause machte sich die Gruppe auf den Weg zum nächsten Unterrichtsraum und Michiru verlangsamte ihren Schritt und ließ sich mit Haruka leicht zurück fallen. Die Rennfahrerin sah fragend zu der Künstlerin, die noch immer ihr Gesicht musterte. Schließlich blieb die Schönheit ganz stehen und hob eine Hand, um vorsichtig unter Harukas Auge entlang zu streichen. „Was ist passiert?“, fragte sie leise. Die Blondine schluckte hart. „Was meinst du?“, fragte sie ihrerseits. Die Violinistin schüttelte den Kopf. „Du kannst mich nicht belügen, Haruka. Es ist nur ganz blass und ich hab es eben erst gesehen, aber jetzt kannst du es nicht mehr verstecken. Woher kommt dieses Veilchen?“ Durchdringend sah sie in Harukas strahlendgrüne Augen. Katashis Stimme hallte durch den Korridor und die beiden jungen Frauen sahen auf. „Hallo?! Keine Lust mehr, oder was? Ihr kommt noch zu spät!“, tadelte er und seine Mitschülerinnen setzten sich endlich wieder in Bewegung. „Ich erzähle es dir nach der Schule, okay?“, antwortete Haruka noch, bevor sie ihre Klassenkameraden wieder eingeholt hatten. In den letzten beiden Unterrichtsstunden des Tages konnte sich Michiru nur schlecht konzentrieren. Immer wieder sah sie zu Haruka und überlegte, was passiert sein könnte, trotzdem die Blondine heute eindeutig besser gelaunt war. Vielleicht war ja auch nichts Bedeutendes vorgefallen… Aber warum sollte die Pianistin dann lügen? Endlich klingelte es zum Unterrichtsende und Haruka führte ihre Mitschülerin aus dem Raum. „Ich habe meinen Onkel getroffen.“, erklärte sie knapp, als sie den Schulhof erreicht hatten. Michiru blieb sofort stehen. „Du hast ihn getroffen? Und er hat dir ein blaues Auge verpasst?“, fragte sie leise und sah Haruka entsetzt an. „Um ehrlich zu sein… nicht nur das… Er wollte, dass ich zurückkomme. Dass ich Tokio wieder verlasse. Aber das werde ich nicht. Ich habe mich von ihm losgesagt.“ „Und er wollte das nicht hören, richtig?“ „Natürlich nicht. Er hat uns damals aufgenommen. Das Bild des fürsorglichen Onkels, der seine verwaisten Nichten adoptiert und sich liebevoll um sie kümmert und immer voll und ganz hinter ihnen steht, hat ihm viele Vorteile eingebracht. Ehre. Ruhm. Den Ruf eines absoluten Menschenfreundes. Attribute, die einem korrupten Bänker wie ihm nur gelegen kommen. Dass ich ohne jede Vorwarnung praktisch spurlos verschwinde, passt natürlich ganz und gar nicht in dieses heile Bild.“ Unweigerlich ballte Haruka wieder ihre Hände zu Fäusten. Michiru entging nicht, wie sich der ganze Körper ihrer Freundin anspannte. Vorsichtig legte sie ihre Hand auf die Wange des hassverzerrten Gesichts. Haruka schloss ihre Augen und ihre Muskeln begannen langsam, sich zu entspannen. Schließlich fand Michiru ihre Sprache wieder. „Warst du schon bei der Polizei?“, fragte sie leise, was die Pianistin aufschrecken ließ. „Nein. Ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben. Ich will ihn nie wieder sehen. Die Sache ist abgehakt.“, stellte sie klar, doch die Künstlerin schüttelte verständnislos den Kopf. „Wie kannst du das nur sagen? Dieser Mann ist gemeingefährlich! Haruka, der gehört ins Gefängnis.“ „Es ist mir egal, was er ist. Ich will ihn nicht mehr sehen. Nie mehr. Und ich würde es eh nicht schaffen, ihn hinter Gitter zu bringen. Ich sagte doch schon, dass er in Nagoya hohes Ansehen genießt.“ Die Blondine war zwei Schritte zurück gewichen und hatte somit auch Michirus liebevolle Geste unterbunden. Die Streicherin sah ihr durchdringend in die Augen. Sie erkannte Verzweiflung und Erschütterung in dem sonst so fürsorglichen Blick. >Sie hat Angst vor ihm…< Schnell trat sie wieder an ihre Mitschülerin heran und zog sie in eine Umarmung. „Er wird dir nichts mehr tun.“, flüsterte sie leise, doch die Athletin schien sich durch diese Worte ganz und gar nicht zu beruhigen. Stattdessen begann sie am ganzen Leib zu zittern. „Er beobachtet mich, Michiru. Er wusste, dass ich nach Tokio abgehauen bin. Und er wusste es, als ich zu Obaa-san gefahren bin.“, hauchte sie, woraufhin Michiru die Umarmung festigte. „Er beobachtet dich ganz sicher nicht. Tokio ist Japans größte Metropole. Wenn jemand von zuhause abhaut, dann ist Tokio als Zufluchtsort doch wohl am naheliegendsten, oder nicht?“ Sie versuchte zuversichtlich zu klingen, doch bei dem Gedanken, an einen brutalen Psychopathen, der ihre geliebte Haruka verfolgte, drückte sie sich noch enger an deren warmen Körper. Ein leises Keuchen ließ sie zurück schrecken. „Oh Gott, tut mir leid! Habe ich dir wehgetan?“, fragte sie besorgt und zog ihre Arme vor ihren eigenen Körper. „Schon gut. Das wird schon wieder.“, lächelte Haruka aufmunternd, bevor sie wieder dichter an die Violinistin heran trat. „Er hat dir nicht nur ein Veilchen verpasst, habe ich recht? Warst du schon bei einem Arzt?“ Michiru legte nun vorsichtig eine Hand auf die offenbar schmerzenden Rippen ihrer Mitschülerin und spürte, wie sich deren Herzschlag beschleunigte. Mit erröteten Wangen zog sie ihre Hand wieder zurück und flüsterte leise: „Entschuldige, bitte…“, als sie verlegen zu Boden blickte. „Nein, ist schon in Ordnung. Ich gehe nicht zum Arzt. Obaa-san hat mich versorgt. Ich werde diese Woche einfach ein bisschen kürzertreten und dann wird das schon wieder.“ Haruka hob sanft das Gesicht der Violinistin an, indem sie ihr ihren Zeigefinger unter ihr Kinn legte, währenddessen sie ihre andere Hand in der Taille der Geigerin platzierte. Sie sah der Schönheit tief in die türkisblauen Augen und Michiru hob abermals ihre Hand, um sie diesmal auf die Wange der Blondine zu legen. Langsam strich sie an dem Wangenknochen entlang und wechselte dann die Richtung, um Harukas leichtgeröteten Hals zu erreichen. „Dein Herz rast schon wieder.“, flüsterte sie lächelnd, als sie die Schlagader erreicht hatte, und lehnte sich vorsichtig gegen den Körper der Läuferin. „Daran bist nur du schuld.“, antwortete Haruka leise und gab ihrem Engel einen Kuss auf die Stirn. Michiru schloss genießend die Augen, als sie spürte, wie sich die Lippen der Athletin auf ihre Haut und die starken Arme um ihren Körper legten. Da war es wieder. Das unbeschreibliche Herzklopfen. Als sich Haruka plötzlich wenige Zentimeter von ihr entfernte, sah die Schwimmerin auf. „Haruka, ich-“ „Siehst du das? Erklär´s mir!“, wurde das Paar erneut von Hiros Stimme unterbrochen. „Lass sie in Ruhe, Hiro. Komm schon, wenn sie es so will…“ Narumi versuchte ihren Freund in eine andere Richtung zu lenken, doch der sah immer noch zu dem jungen Paar herüber. „Ganz ehrlich, kannst du das nachvollziehen? Was ist an der so viel besser?“ „Hast du keine anderen Sorgen?“, rief ihm jetzt Haruka genervt entgegen, löste sich aber nur wenig von Michiru. „Sie hat recht, Hiro. Komm jetzt.“, redete Narumi weiter auf den Unruhestifter ein und schaffte es endlich, dass Hiro sie ansah. Für einen kurzen Moment hielt er inne. Dann blickte er noch einmal zu Haruka. Die Blondine spürte eine Gänsehaut aufkommen. >Fast schwarz…< Erst jetzt erkannte sie, dass Hiro die gleiche Augenfarbe wie Hikaru hatte. Konnte sie ihm deshalb nicht aus dem Weg gehen, wie sie es wollte? Wurde sie deswegen immer so wütend, wenn sie ihn nur ansah? Langsam ließ sie ihre Hände sinken und löste sich somit ganz von Michiru. „Ich werde wohl nie verstehen, was diese hübschen Dinger an der finden.“ Mit einem letzten verachtendem Schnauben wandte sich Hiro ab und schritt mit Narumi im Schlepptau davon. „Das der auch immer im unpassendstem Augenblick aufkreuzen muss…“, murmelte Michiru genervt, wonach sie zurück zu Haruka sah. „Alles in Ordnung?“, fragte sie besorgt, denn Harukas Blick war immer noch in die Ferne gerichtet. „Haruka?“ „Ich sollte dich lieber nach Hause bringen. Wir haben morgen Mathe und da ich den Test letzte Woche garantiert versaut habe, sollte ich mich vielleicht lieber darauf vorbereiten.“, antwortete die Blondine, rührte sich jedoch noch immer nicht. „Okay, wenn du meinst…“ Enttäuscht sah Michiru von ihrer Mitschülerin ab und nahm wieder deren Hand, um den Weg zum Parkplatz einzuschlagen. Dort angekommen musterte sie neugierig Harukas neuen Wagen. Aber der Rennprofi öffnete ihr nur wortkarg die Beifahrertür und schwieg weitestgehend auch auf der Fahrt zu Michirus Wohnung. „Ich will nicht, dass es wieder so weitergeht, wie in der letzten Woche. Du warst den ganzen Tag über wieder so…“ Seufzend sah Michiru zu ihrer Freundin. „Du warst endlich wieder du selbst. Ich will nicht, dass du dich wieder verschließt!“ Kapitel 15: ------------ Kapitel 15 >Na super… Fünf plus…< Haruka sank seufzend auf ihrem Stuhl zurück. Niedergeschlagen sah sie zu Michiru herüber, die sich über ihre Zweiminus nicht weniger zu ärgern schien. Haruka legte die Stirn in Falten und schreckte leicht zurück, als sie ihren Blick nach vorn richten wollte. Frau Ogata stand mit verschränkten Armen direkt vor ihr und sah sie durchdringend an. „Tenoh-san, ich würde Sie und Kaioh-san gerne nach der Stunde sprechen.“ Erschrocken sah nun auch Michiru auf und nickte der Lehrerin stumm zu. Nachdem die anderen Schüler den Raum verlassen hatten, traten Haruka und Michiru vor den Lehrertisch, wo ihre Mathelehrerin bereits wartete. „Tenoh-san, ich erwarte von Ihnen, dass Sie sich intensiver um Ihren Abschluss kümmern. Sie besuchen hier eine hochangesehene Privatschule mit äußerst gutem Ruf. Wir können nicht riskieren, dass einige Schüler ihr letztes Schuljahr mit solchen Noten beenden. Hisakawa-sensei sagte mir, er habe Ihnen empfohlen, sich von Kaioh-san unter die Arme greifen zu lassen. Allerdings haben Sie in dem letzten Test nicht annähernd so gut abgeschnitten, wie ich es von Ihnen erwartet hätte.“ Mit den letzten Worten richtete sich die Lehrerin an die Violinistin. „Ich habe in den letzten Wochen beobachtet, dass Sie viel Zeit miteinander verbracht haben. Ich hoffe, Ihre nachlassenden Leistungen haben nichts damit zu tun?!“ Energisch schüttelte Michiru den Kopf. „Nein, Sensei! Natürlich nicht! Haru- ich meine… Tenoh-san und ich lernen sogar zusammen. Jeden Donnerstag. Ich stand letzte Woche… nur etwas neben mir. Das ist alles. Es wird nicht wieder vorkommen.“, versprach sie und hielt dem Blick der Lehrerin stand, die nun abschätzend zwischen den Schülerinnen hin und her sah. „In Ordnung.“, lächelte Frau Ogata schließlich und entließ die jungen Frauen zu ihrer nächsten Stunde. „Tut mir leid, dass du wegen mir Stress hast…“, beteuerte Haruka leise auf dem Weg zum Englischraum. Außergewöhnlich gut gelaunt nahm Michiru die Hand der Blondine. „Ach was. Ogata-sensei kann mich eigentlich sehr gut leiden. Sie wird schon nicht nachtragend sein. Und die Note kriege ich schon wieder ausgebessert.“ Mit schnellen Schritten betrat Haruka ein kleines Café und sah sich suchend um. „Tenoh-san!“, ertönte eine vertraute Stimme rechts von ihr, die sie breit grinsen ließ. „Ich dachte, wir hätten diese Höflichkeitsfloskeln bereits abgelegt, Sanji!“, wandte sie sich lächelnd um und blickte in die treuen braunen Augen ihres besten Freundes, der sich gerade von seinem Platz erhob, auf Haruka zu schritt und sie umarmte. Zweimal klopfte er ihr auf den Rücken, bevor er sich wieder von ihr löste und ihr Gesicht musterte. „Stimmt schon. Aber ich war mir nicht sicher, ob du es wirklich bist. Du siehst so anders aus. Irgendwie erholt…“ Als er zur Seite trat, gab er den Blick auf einen älteren Herrn mit schwarzem Haar. „Tenoh… Daran muss ich mich erst gewöhnen.“, lächelte er sanft und erhob sich ebenfalls. Haruka zögerte noch einen kurzen Moment, schritt dann jedoch auf ihren Trainer zu, um auch ihn mit einer Umarmung zu begrüßen. „Es tut mir leid, Yamada-sama! Ich konnte mich einfach nicht verabschieden.“, beteuerte sie leise Der Trainer schüttelte nur den Kopf. „Ist schon in Ordnung. Kameda-kun hat mir alles erklärt.“, antwortete er. Nachdem sie sich gesetzt, eine kleine Bestellung aufgegeben und sich ausgewogen über vergangene Zeiten unterhalten hatten, forschte Haruka endlich nach. „Versteht mich bitte nicht falsch. Ich freue mich wirklich, euch wiederzusehen, aber was macht ihr hier eigentlich?“ Sanji begann breit zu grinsen. Auffordernd sah er zu seinem Chef und Yamada Takuzo begann endlich zu erklären: „Wir suchen nach einem neuen Team. Als du weg warst, haben sich deine werten Kollegen ihre Mäuler über dich zerrissen. Nachdem ich jeden Einzelnen zusammengestaucht hatte, war der Zusammenhalt des Teams nicht mehr derselbe. Im Grunde gibt es gar kein richtiges Team mehr. Nur Mechaniker, Fahrer, Trainer… Jeder steht nur noch für sich selbst…“ In seiner Erzählung wurde der erfahrene Trainer immer leiser, doch jetzt sah er grinsend auf und klopfte Sanji kräftig auf die Schulter. „Und da haben Kameda-kun und ich entschieden, dir nach Tokio zu folgen und mit dir zusammen einen anderen Rennstall zu erobern. Also, wenn du immer noch fahren willst, meine ich…“ Haruka schüttelte ungläubig ihren Kopf. „Ist das euer Ernst? Natürlich will ich das noch! Ich wusste nur nicht, wo ich anfangen soll und wollte mich erst mal um meinen Abschluss kümmern. Aber danach will ich nur noch hinterm Steuer sitzen!“ Erleichtert schlug Takuzo auf den Tisch. „Das wollte ich von dir hören! Überlass das ruhig mir. Die wichtigsten Leute kenne ich schon seit Langem. Das wird schon. Und mit dir als Ass in unseren Ärmeln haben wir beide gleich viel bessere Chancen.“, zwinkerte er aufmunternd Sanji zu, der sich triumphierend zurück gelehnt hatte. Zunächst wurde Sanji von Haruka noch angelächelt, doch dann kniff sie die Brauen zusammen. „Was ist mit Yusako? Seid ihr gar nicht mehr zusammen? Oder hast du vor, ohne sie nach Tokio zu ziehen?!“ Kurz seufzte der junge Mann. „Doch, wir sind noch zusammen. Sie kommt mit. Oder nach… Sie wird erst ihren Abschluss machen und folgt mir dann im März oder April. Vorausgesetzt, ich habe bis dahin schon eine Wohnung… Was ist mit dir? Von dir war nichts mehr zu hören… Keine Skandale, keine News. Erzähl mir nicht, du wurdest noch nicht enttarnt?“ Haruka hob ihr Teeglas an, um es nachdenklich zu schwenken. „Es gibt auch keine Skandale, von denen du gehört haben könntest. Ein paar Mitschüler wissen zwar mittlerweile, wer ich bin, aber einen Nährboden für Gerüchte gibt es nicht.“ Skeptisch musterte Sanji das Gesicht seiner Teamkollegin. „Sag bloß, du bist endlich erwachsen geworden?! Muss ja ein Wahnsinnsmädchen sein, das dich von deinen Affären abhält.“ Haruka schnaubte und beobachtete den sich zum Glasboden sinkenden Teesatz. „Das ist sie auch…“ Währenddessen die Teamkollegen noch bis in die Abendstunden zusammensaßen, traf sich Michiru mit ihrem Bruder. Nach einem großen Schokoladeneisbecher für Mamoru, fuhren die beiden jungen Erwachsenen in die Wohnung der Familie Kaioh-Meioh, wo sie bereits sehnsüchtig von Hotaru erwartet wurden. Erst als die Neunjährige von ihrem Vater ins Bett gebracht wurde, wagte es Mamoru, seine kleine Schwester auszufragen. „Genug von mir und Usagi. Jetzt erzähl schon endlich!“, forderte er. Michiru lehnte sich lächelnd zurück. „Was soll ich schon groß erzählen…?“ Verlegen spielte die Violinistin mit dem Teeglas in ihrer Hand. „Ich nehme an, es hat sich zwischen dir und… Haruka-san? Alles wieder eingerenkt, oder?“ Michiru nickte energisch und ein leichter Rotschimmer legte sich auf ihre Wangen. „Aber zusammen seid ihr noch nicht, oder? Ich hätte doch sonst bestimmt schon davon gehört?!“, fragte der Dunkelhaarige weiter und Michirus Gesichtsfarbe wurde noch kräftiger. Irgendwie war es ihr unangenehm, dass sie noch nichts anderes berichten konnte. Immerhin hatte sie ihm schon vor drei Wochen von Haruka erzählt. Abwartend hatte Setsuna das Geschwisterpaar beobachtet. Doch jetzt legte sie aufmunternd ihre Hand auf Michirus Arm, die daraufhin langsam ihren Kopf schüttelte. „Noch nicht wirklich…“ „Ähm, habe ich was verpasst?“ Toshio hatte sein jüngstes Kind endlich dazu überreden können, im Bett zu bleiben und war schweigend wieder ins Wohnzimmer zurück gekehrt, wo er unbemerkt hinter der Couch stehen geblieben war, auf der der Rest seiner Familie saß. Nun wurde er von einer erschrockenen Michiru mit großen Augen angesehen. Nach einer viel zu langen Pause erhob Setsuna endlich die Stimme. „Ich geh dann mal abwaschen… Mamoru, hilfst du mir bitte?“, entschuldigte sie sich und stahl sich gemeinsam mit ihrem Stiefsohn aus dem Zimmer. „Aber-“, wollte Michiru einwerfen, doch die beiden waren bereits verschwunden und sie spürte den fragenden Blick ihres Vaters auf sich ruhen. Nach einem tiefen Atemzug drehte sie sich um und lehnte sich zurück, um darauf zu warten, dass sich Toshio seufzend neben sie setzte. Schweigend saßen Vater und Tochter eine Weile nebeneinander, bis Toshio erneut seufzte. „Willst du es mir nicht erzählen?“, fragte er leise und suchte Michirus Blick. „Doch schon… Aber ich weiß nicht, wie ich anfangen soll…“, antwortete sie ehrlich und starrte auf ihr Teeglas. „Du hast doch nicht etwa Angst, oder? Ich meine, du bist fast achtzehn. Und Setsuna wollte mich offensichtlich schon darauf vorbereiten, dass du irgendwann mal jemanden mitbringen wirst. Mir ist schon aufgefallen, dass du seit einigen Wochen irgendwie anders bist… Aber ich wollte dich nicht bedrängen.“ Toshio sprach langsam und ruhig, doch seine Tochter wollte ihm noch immer nicht antworten. Also strich er ihr eine Strähne aus dem Gesicht und versuchte sie aufmunternd anzulächeln. „Verrätst du mir wenigstens, wie er heißt?“ Endlich sah ihm Michiru in seine grün-braunen Augen. Nach einigen schweren Atemzügen hatte sie schließlich genug Mut gesammelt. „Haruka.“, flüsterte sie fast. Toshio hob die Brauen. „Haruka?“, wiederholte er und dachte nach. „Ich dachte… Warst du nicht letzte Woche mit einer Haruka unterwegs? … Hast du noch einen anderen Mitschüler, der Haruka heißt?“, fragte er nachdenklich. Michiru schüttelte leicht den Kopf. „Ich kenne nur die eine.“, gab sie leise zurück und starrte lieber wieder auf das Glas in ihren Händen. Toshio schwieg einen Moment, bis er schmunzelnd fortfuhr: „Und du hast dich nicht getraut, mir das zu sagen? Denkst du so schlecht von mir?“ Aufmunternd lächelte er die junge Erwachsene an, die bei seinen Worten errötete und endlich ihr Glas abstellte. „Tut mir leid, aber ich wusste nicht, wie ich es dir sagen sollte.“, erklärte sie und sah vorsichtig in seine Augen. Fürsorglich legte ihr Toshio seine Hand auf ihre Schulter. „So langsam solltest du doch wissen, dass du über alles mit mir sprechen kannst. Egal, in wen du dich verliebst. Du bleibst immer noch mein kleines Mädchen.“ Erst nach einer ausgedehnten Pause sprach er weiter: „Du bist ihr so ähnlich, mein Schatz. Immer, wenn Siren dachte, sie hätte etwas falsch gemacht, war sie so verlegen und schüchtern, wie du es gerade bist… Ihr habt den gleichen warmen Blick.“ Von Wort zu Wort wurde Toshio leiser und schließlich seufzte er nur noch und lehnte sich zurück. Michiru musterte traurig lächelnd das Gesicht ihres Vaters. Ihr Blick blieb an der kleinen weißen Strähne in seinem kurzen Pony hängen, die nach dem Unfall ihrer Mutter aufgetaucht war. Einen Augenblick lang sahen sich Vater und Tochter in die Augen, bis ihm Michiru einen Kuss auf die Wange gab und sich ankuschelte. „Mich wirst du nicht verlieren.“, versprach sie und schloss die Augen. >Gut Tenoh, das kriegst du hin…< Nervös tippte Harukas Zeigefinger auf den Mathetest, den ihr Frau Ogata gerade zugeschoben hatte. Ein letztes Mal sah sie zu Michiru, die ihr aufmunternd zuzwinkerte, und sich dann wieder ihrem eigenen Aufgabenblatt widmete. „Der zweite Test in sieben Tagen. Womit haben wir das denn verdient?!“, stöhnte Junko auf dem Weg zur Cafeteria. „Ich denke, der letzte Test ist so schlecht ausgefallen, dass sie uns jetzt die Möglichkeit geben wollte, uns zu verbessern.“, erklärte Katashi, wofür er sogleich mit finsteren Blicken seiner dunkelhaarigen Mitschülerinnen gestraft wurde. „War nur ´ne Idee…“, fügte er kleinlaut hinzu und senkte mit errötenden Wangen seinen Blick. Haruka spürte, wie sie fragend von Michiru angesehen wurde und antwortete darauf so leise, dass die anderen sie nicht hören konnten: „Ja, dieses Mal lief es besser…“, woraufhin Michiru wieder zufrieden lächelnd nach vorn sah. Überrascht vernahm sie eine Stimme neben sich. „Michiru-san, könnte ich dich mal bitte sprechen?“ Narumi hatte sich unbemerkt zu der kleinen Gruppe gesellt, die jetzt stehen blieb und sie verdutzt musterte. „Unter vier Augen, wenn es dir nichts ausmacht.“, ergänzte sie und nickte leicht in Richtung Haruka. Die Blondine ließ ihren Blick skeptisch durch den Korridor schweifen, doch Michiru hatte sich schon von ihrer Hand gelöst und trat auf Narumi zu. „Unter VIER Augen.“, betonte die Künstlerin und folgte ihrer ehemals besten Freundin auf den Schulhof. Dort angekommen trat die sonst so vorlaute Brünette verlegen auf der Stelle. „Ich wollte mich nur entschuldigen.“, gestand sie und sah Michiru in die überrascht blickenden Augen. „Ich wusste, dass es Hiro schon von Anfang an auf Tenoh-san abgesehen hatte. Ich wusste, dass er alles tun würde, um sie herauszufordern. Aber als ich - wirklich fast zufällig! - ein wenig im Internet gestöbert habe, sind mir diese Artikel aufgefallen. Du warst mal meine beste Freundin, Michi! Ich wollte dich nur beschützen. Und darum habe ich Hiro von Tenoh-sans Vergangenheit erzählt. Ich dachte, sie würde dich nur ausnutzen! Ich dachte, sie würde dich verletzen und genauso kalt fallen lassen, wie sie es mit den ganzen anderen Mädchen getan hatte…“ Michiru atmete tief durch. „Und wieso bist du damit nicht zu mir gekommen? Ist dir eigentlich klar, dass du mit den Anschuldigungen gegen sie auch mich verletzt hast? Haruka trägt mich auf Händen. Sie gibt mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Aber was glaubst du, war es für ein Gefühl, als du plötzlich auftauchtest und uns ihre Dummheiten von früher vorgehalten hast? Es fühlte sich so an, als wärt ihr der Meinung, dass sie mich für nicht mehr wert als ihre Verflossenen halten würde. Als würdet IHR meinen, ICH wäre es nicht wert, dass sie sich ändert. Greift ihr Haruka an, greift ihr auch mich an.“ Narumi schluckte. „Es tut mir leid, Michi! Ich wollte dich nie beleidigen! Und ich wollte auch nicht, dass Hiro Tenoh-san gegenüber so verletzend wird. Den Spruch über ihre Mutter hätte er sich echt kneifen sollen. Das war selbst für seine Verhältnisse unfair…“ Michiru hatte die ganze Zeit über mit vor der Brust verschränkten Armen dagestanden, doch jetzt ließ sie ihre Deckung sinken. „Was für ein Spruch über ihre Mutter?“ Narumi sah ihr mitleidig in die Augen. „Sie hat es dir nicht erzählt? Dann ist sie vielleicht doch besser als Hiro... Sanae sagte, er habe eine abfällige Bemerkung über Tenoh-sans verstorbene Mutter gemacht. Sie wollte sich für ihn entschuldigen, dachte aber, er würde dann sauer werden.“ Verständnislos schüttelte Michiru den Kopf. Sie schnaufte und wandte sich schließlich von Narumi ab. Als sie die Treppe zum Schulgebäude halb erklommen hatte, drehte sie sich noch einmal um. „Merk dir eins, Hara-san: Harukas Vergangenheit geht euch überhaupt nichts an! Höre ich nur noch einen einzigen Kommentar über ihre Eltern oder aber über ihren jugendlichen Leichtsinn, den sie längst abgelegt hat, versaue ich den Ruf eines jeden Einzelnen von euch! Ich weiß, was du und Kawashima und auch seine unterbelichteten Prolls für Dreck am Stecken haben!“ Energisch machte sie noch ein paar Schritte auf Narumi zu. „Wenn ihr sie nicht in Ruhe lasst, werde ich singen. Und den Ruf werdet ihr auch nach dem Abschluss nicht so schnell los.“ Michirus entschlossener Blick verlieh ihren Worten den Nachdruck eines Versprechens. Sie hatte schon die Türklinke in der Hand, als sie sich abermals Narumi zuwandte, die wie versteinert noch immer am Fuße der Treppe stand. „Und richte Kawashima aus, dass ihr Name Tenoh lautet. Ein für allemal.“ „Was sie wohl will?“, fragte Haruka mehr sich selbst als ihre Mitschüler. Noch immer suchte sie nach ihrem Rivalen. „Jetzt komm doch endlich! Der ist bestimmt schon in der Cafeteria.“, nörgelte Katashi. Junko nickte ihm auffordernd zu, woraufhin sich die beiden Schüler wieder in Bewegung setzten. Nur Kikyo blieb zurück, um Haruka Gesellschaft zu leisten. „Es ist zu süß, wie sehr du dich um sie sorgst.“, stellte sie leise fest. Der Blondine legte sich ein Rotschimmer auf die Wangen und sie senkte ihren Blick. „Ich will nur nicht, dass ihr etwas passiert…“, rechtfertigte sie sich gerade laut genug, dass die Klassensprecherin sie verstehen konnte. Die Brünette lächelte sanft und legte kurz darauf nachdenklich ihre Stirn in Falten. „Hast du am Samstag schon was vor?“ Haruka sah verdutzt auf. „Den Fehler mache ich nicht nochmal! Bevor ich mich mit dir verabrede, spreche ich das mit ihr ab! Ich halte es nicht aus, wenn sie da wieder etwas falschversteht und mir auch nur einen Tag lang die kalte Schulter zeigt!“ Kikyo begann zu lachen, was die Rennfahrerin nur noch mehr verwirrte. „Ich will mich nicht mit dir verabreden.“, erklärte die Klassensprecherin immer noch kichernd. Kurz kramte sie in ihrer Tasche, um ein gefaltetes Dokument heraus zu ziehen. „Michiru-san gibt ein kleines Konzert für den Verlag ihres Vaters. Eigentlich bekommen nur Mitarbeiter wie meine Mutter eine Karte, aber sie kann nicht und hat sie an mich weiter gegeben. Ich glaube, dir würde es sicher noch besser gefallen.“, erklärte sie und reichte das Stück Papier weiter. Überrascht blinzelte Haruka auf die Eintrittskarte herab. Noch bevor sie sich bedanken konnte, legte Kikyo ihre Hand darauf und drückte sie nach unten. Michiru war wieder in Sichtweite. Also nickte Haruka ihrer brünetten Mitschülerin dankend zu und ließ den Zettel in ihrer Hosentasche verschwinden. „Was machst du eigentlich zwei Stunden lang?“, fragte Michiru, als sie sich neben Haruka an den neuen Ferrari lehnte. Die Blondine hatte bereits in der Frühstückspause mit ihrem Trainer gesprochen, der seine beste Schülerin sofort vom Sportunterricht befreite, als diese ihm sagte, es würde ihr nicht gut gehen. Jetzt hatte sie ihre Mitschülerin zur Schwimmhalle gefahren und spielte mit ihrem Schlüsselbund. „Keine Ahnung. Ich schätze, ich warte hier einfach.“ In diesem Moment fuhr ein weiterer Wagen auf den kleinen Parkplatz, aus dem kurz darauf Frau Ogata ausstieg. Schnell sah Michiru zwischen ihrer Lehrerin und Haruka hin und her, bevor sie sich einen Ruck gab und auf die ältere Frau zu lief. Noch bevor ihre Mitschülerin etwas einwenden konnte, hatte sie Frau Ogata auch schon überredet. „Also gut, Tenoh-san. Ihr Glück, dass Sie sich im gestrigen Test behaupten konnten! Nach der Vornote hätte ich es Ihnen nicht gestattet.“, klärte sie im Vorbeigehen streng, gefolgt von ihrer Lieblingsschülerin, die Haruka auffordernd ihre Hand entgegenstreckte. Nachdem ihr die Lehrerin den Weg gezeigt hatte, trat Haruka durch den Personaleingang an das große Schwimmbecken heran. Sie sah sich kurz um und entdeckte die Besuchertribüne an der Stirnseite des Beckens. Als sie sich gesetzt hatte, ließ sie gelangweilt ihren Blick durch die Halle wandern. Nach wenigen Minuten wurde ihr Interesse wieder geweckt. Michiru trat aus den Duschen heraus, schloss die Tür hinter sich und stellte im nächsten Moment schon Blickkontakt zu ihrer Mitschülerin her. Sie begann breit zu grinsen und richtete noch einmal ihren Zopf, währenddessen sie sich elegant auf Haruka zu bewegte. Fast wäre der Rennfahrerin beim Anblick ihres Engels im knappen, schwarzen Badeanzug der Mund aufgeklappt. Je näher ihr die Schwimmerin kam, desto schneller schlug ihr Herz. Ohne zu blinzeln versuchte sie jede noch so kleine Bewegung der Schönheit aufzufangen. „Haruka? Ich hab dich was gefragt!?“ Nur langsam kam Michirus melodische Stimme in Harukas Kopf an. Erst nachdem sie ein paarmal geblinzelt hatte, erkannte die Leichtathletin, dass ihre Mitschülerin direkt vor ihr stand und an ihrem Handtuch zupfte. Langsam nickte sie, woraufhin die Schwimmerin das weiße Stück Stoff von ihren Schultern gleiten ließ. Haruka schluckte. Sie fühlte sich wie gelähmt, bis ihr das Handtuch plötzlich ins Gesicht geworfen wurde. „Der primitive Gesichtsausdruck steht dir!“, grinste Michiru frech und wandte sich ab und nach wenigen eleganten Schritten tauchte sie in ihr Element. Haruka kam es so vor, als würde sie erst jetzt, wo die Violinistin im Wasser verschwunden war, wieder atmen können. Wie hypnotisiert lehnte sie sich vor, um in das kühle Nass zu spähen. Michiru fühlte sich von den Blicken ihrer blonden Mitschülerin angefeuert. Tatsächlich schaffte sie es, ihre eigenen Rekorde zu brechen und Frau Ogata damit zu verblüffen. Als sie die Stunde beendet hatte, kam die Lehrerin nicht umhin Michiru zu loben und zu betonen, dass sie in diesem Jahr mehr als realistische Chancen auf den Sieg beim Schwimmturnier habe. Selbstgefällig lächelnd setzte sich die Violinistin neben Haruka. „Beeindruckt?“, fragte sie zwinkernd und nahm ihr das Handtuch ab. „Zutiefst. Du musst in deinem vorigen Leben Meerjungfrau oder sowas gewesen sein…“, antwortete die Athletin ehrlich. Ihre Augen folgten wie in Trance den schlanken Armen der Schwimmerin, deren Wangen sich leicht röteten, als sie ihr Haar aus wrang. Michiru spürte den durchdringenden Blick und legte sich langsam ihr Handtuch über die Schultern. „Hör auf zu sabbern.“, flüsterte sie fast. Sie spürte, wie ihr noch mehr Röte ins Gesicht schoss. >Mund zu!<, ermahnte sich Haruka und versuchte vergebens den Blick von ihrem Engel abzuwenden. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich die erste Frau bin, die du im Badeanzug siehst.“, mutmaßte Michiru und zwinkerte Haruka unschuldig zu. „Da hast du recht. Aber keine war auch nur annähernd so schön wie du…“ Die Künstlerin wollte sich verlegen abwenden, doch wie schon so oft ließ sie sich in strahlendes Grün ziehen und drohte, darin zu versinken. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit schaffte sie es, den Blick abzuwenden und noch näher an die Blondine heran zu rutschen, um sich an sie zu lehnen. Sofort legte Haruka ihren Arm um Michiru und zog sie noch dichter an sich. „Das Chlor scheint dir die Sinne zu vernebeln. Du redest wirr.“, flüsterte die Schwimmerin, als sie genießend ihre Augen schloss. Haruka schmunzelte. „Vielleicht bringt es mich auch nur dazu, das auszusprechen, was ich schon seit Wochen denke.“ >Worauf wartest du noch?!< Michiru sah langsam wieder auf und suchte erneut den Blickkontakt zu ihrer Mitschülerin. Als sie die Wasserflecken, die sie selbst hinterlassen hatte, auf Harukas Hemd entdeckte, schüttelte sie lächelnd ihren Kopf. „Tut mir leid. Ich glaube, ich sollte mich lieber mal umziehen gehen.“ Sie gab der verdutzt blinzelnden Blondine einen schüchternen Kuss auf die Wange und richtete ihr Handtuch, bevor sie aufstand und nach wenigen schnellen Schritten in den Duschräumen verschwand. Mit einem letzten Blick in den Spiegel strich Haruka ihre schwarze Krawatte glatt und knöpfte ihre ebenfalls schwarze Weste darüber zu. Zuletzt schlüpfte sie in ihr weißes Smokingjackett und begutachtete das Gesamtbild. Mit dem Ergebnis zufrieden nickte die Blondine ihrem Spiegelbild zu und prüfte noch einmal, ob die Eintrittskarte sicher in ihrem Portemonnaie verstaut war, bevor sie schließlich die Wohnung verließ und zu Michirus Konzert fuhr. Keines der Gesichter in dem verstecktem Saal des Edelrestaurants kam ihr bekannt vor. Also suchte sie zunächst einen ruhigen Winkel, von dem aus sie sich einen Überblick verschaffen wollte. Die Zeiger der großen Standuhr neben ihr deuteten auf kurz vor acht. Haruka war überpünktlich. Dementsprechend konnte sie von ihrem Platz aus beobachten, wie immer mehr Mitarbeiter des erfolgreichen Verlags in Abendgarderobe gekleidet in den Raum fluteten. >Ob sie schon da ist?< Prüfend wanderte ihr Blick zu der kleinen Bühne auf der anderen Seite des Saals. „Ich wusste gar nicht, dass wir einen neuen Praktikanten haben.“ Eine raue aber sanfte Stimme riss die Rennfahrerin aus ihren Gedanken. Erschrocken sah sie in die grün-braunen Augen eines dunkelhaarigen Mannes. „Kaioh-sama!“, entglitt es Haruka, woraufhin der ältere Herr lachen musste. „So förmlich? San reicht vollkommen aus. Sie sind Tenoh-san, oder? Chiru-chans Mitschülerin? Woher haben Sie denn eine Karte?“ Haruka kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Ja, die bin ich. Meine Karte habe ich von Tamagawa-san. Sie sagte, ihre Mutter arbeite für Ihren Verlag, habe aber keine Zeit, heute zu kommen. Also hat sie sie weiter gegeben. Ich hoffe, das war in Ordnung?“, fügte sie vorsichtig hinzu, doch Toshio legte ihr seinen Arm über die Schulter. „Natürlich war es das. So habe ich wenigstens mal die Gelegenheit, Sie persönlich kennen zu lernen. Setzten Sie sich doch zu uns!?“ Widerstandslos ließ sich Haruka zu einem Tisch in vorderster Reihe führen, an dem bereits ein junger, dunkelhaariger Mann und eine kleine Blondine mit Zöpfen saß. „Meine Frau konnte für heute Abend leider kein Kindermädchen für unsere Tochter finden, also ist bei uns sowieso noch ein Platz frei. Von meinem Sohn Mamoru haben Sie vielleicht schon gehört. Und das daneben ist seine bezaubernde Frau Usagi-san.“ Etwas überrascht blinzelte die Blauäugige den gutaussehenden jungen Mann an der Seite ihres zukünftigen Schwiegervaters an, doch Mamoru erhob sich sofort, um Haruka die Hand zu reichen. „Kaioh Mamoru. Und ‚Verlobte' wäre wohl zutreffender.“ Mit einer klappen Verbeugung nahm Haruka den Handschlag an. „Tenoh Haruka. Ich bin eine Mitschülerin von Michiru-san.“ >Eine Mitschülerin?!< Usagi musterte überrascht den eleganten weißen Smoking ihres Gegenübers, um kurz zu schlucken und ein wenig rot anzulaufen, als ihr Blick auf die Weste mit ihrem auffälligen Schnitt fiel. „Haruka? Freut mich, Sie endlich mal persönlich kennen zu lernen!“, lächelte Mamoru. Dann sah er zu seiner Freundin. „Sei nicht so unhöflich!“, flüsterte er ihr zu und riss sie damit aus ihrer Starre. „Was? Oh, ja. Tsukino Usagi. Tut mir leid, Haruka-san, ich war in Gedanken…“ Mit ihrer wenig formellen Begrüßung brachte sie Toshio zum Lachen, doch Mamoru zischte ihr ein leises: „Usako!“ zu und wandte sich an Haruka. „Tut mir leid, sie ist manchmal ein bisschen übereifrig.“ Doch die Rennfahrerin nahm schmunzelnd die Hand der kleineren Blondine und gab ihr einen Handkuss. „Kein Problem. Freut mich auch, dich kennen zu lernen, Usagi-san.“ Wieder legte sich Usagi ein Rotschimmer auf die Wangen, was Toshio erneut zum Lachen brachte. Sein Sohn hob stattdessen seine Augenbrauen und beobachtete misstrauisch den Flirtangriff seiner neuen Bekanntschaft, die sich, seiner Freundin zu zwinkernd, wieder aufrichtete. „Nun… Michiru hat mir schon einiges von Ihnen erzählt. Sie fahren Rennen?“, fragte er schließlich, bevor er sich wieder an seinen Platz setzte. „Ich bin gefahren. In Nagoya. Hier in Tokio hatte ich leider noch keine Gelegenheit dazu, mich nach einem neuen Rennstall umzusehen. Mein Abschluss geht erst mal vor.“, erklärte Haruka, nachdem auch sie und die anderen sich gesetzt hatten. „Gute Einstellung. Das gefällt mir.“, nickte Toshio zustimmend. Dann lehnte er sich zurück, um bei einem vorbeigehenden Kellner Wein für seinen Tisch zu bestellen. In der Zwischenzeit hatte sich der Saal mehr und mehr gefüllt und der Geräuschpegel im Raum stieg an. Nachdem Haruka ihren Tischnachbarn von ihrer Laufbahn als Rennprofi erzählt hatte und Mamoru und Usagi über ihr Kennenlernen gesprochen hatten, zeigte die Standuhr auf neun Uhr und die Leichtathletin fragte sich, wann endlich das Konzert anfangen würde. Automatisch wanderte ihr Blick wieder zur Bühne. „Michiru-chan bereitet sich übrigens gerade vor. Das war es doch, worüber Sie nachdachten, oder?“, fragte Toshio leise und lehnte sich zu Haruka. Wortlos nickte die Blondine an ihrem Weinglas nippend. Der ältere Herr klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter, bevor er aufstand und mit erhobenen Händen um Ruhe im Raum bat. Haruka folgte ein wenig abwesend seiner Rede und stellte schmunzelnd fest, dass sich auch Usagi nicht sonderlich für seine Worte zu interessieren schien. Die kleine Blondine schwenkte, offenbar in ihre eigene Welt vertieft, ihr Weinglas. Sie schreckte erst hoch, als sich Haruka grinsend in ihr Blickfeld schob. Abermals verfärbten sich ihre Wangen und sie stellte verlegen ihr Glas ab. Dass ihr die attraktive Blondine nun auch noch zu zwinkerte, machte die Situation für sie nicht angenehmer. Hilfesuchend sah sie zu Mamoru, doch der schien aufmerksam den Ausführungen seines Vaters zu folgen. Also sah sie betreten zurück auf ihr Glas. Haruka lehnte sich weit zu ihr herüber. Sie wollte weder unhöflich erscheinen und die Rede unterbrechen, noch wollte sie Mamorus Aufmerksamkeit erregen. Aber widerstehen konnte sie auch nicht. Also flüsterte sie nur Zentimeter von Usagis Ohr entfernt: „Mache ich dich nervös?“ Die junge Frau spürte, wie ihre Wangen regelrecht zu glühen begannen, also nickte sie zaghaft, konnte ein Lächeln aber nicht unterdrücken. „Keine Sorge. Ich spiele nur.“, wisperte Haruka weiter. Etwas abwesend fügte sie hinzu: „Vor zwei Monaten hätte ich das sicher noch ausgenutzt.“ Die Athletin lehnte sich zurück und blickte gedankenverloren in ihren Rotwein. Jetzt war es Usagi, die sich vorbeugte und Haruka, die ihre leicht errötende Wangen zu verbergen versuchte, als die kleinere der Blondinen flüsterte: „Also hast du vor zwei Monaten Chiru-chan kennengelernt?“ Die Sportlerin schluckte, sah auf in die blauen, gütigen Augen und nickte schließlich zaghaft. „Und seit wann seid ihr zusammen?“, fragte Usagi leise weiter. Leichte Niedergeschlagenheit legte sich auf Harukas Lächeln und sie antwortete: „Wir sind nicht zusammen.“ Der Applaus, der plötzlich durch den Saal hallte, unterbrach die Unterhaltung der beiden Blondinen. Toshio hatte seine Rede beendet und deutete nun stolz auf die Bühne. Sofort wandte sich Haruka um. Sie spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte, als sie ihren Engel erblickte, der bereits die Violine angelegt hatte und in das Publikum lächelte. Zunächst sah Michiru direkt zu ihrem Vater und nickte ihm dankend zu. Doch dann wanderte ihr Blick zu dem kleinen Tisch, an den er sich im nächsten Augenblick setzte. Ungläubig musterte die Künstlerin ihre Mitschülerin. Erst durch mehrfaches Blinzeln konnte sie sich aus ihrer Trance lösen. Sie lächelte der Blondine ein letztes Mal zu und setzte schließlich den Bogen an die Saiten ihrer Violine. „Sie ist unglaublich…“, seufzte Usagi. Doch um von ihr beachtet zu werden, musste sie ihre Sitznachbarin, die vollkommen in den Melodien verloren schien, anstoßen und selbst dann wollte sich Haruka nicht von dem Anblick ihres Engels losreißen. „Und sie sieht einfach umwerfend aus! Wo sie das Kleid wohl her hat…?“, ergänzte Usagi nachdenklich. „Takashimaya.“, antwortete Haruka abwesend. Nur am Rande registrierte sie, wie sie von der kleineren Blondine überrascht angeblinzelt wurde. „Hab es ihr geschenkt…“, sprach sie leise und achtete nicht weiter auf Usagis Schwärmerei. Viel zu sehr ließ sie sich von Michirus Spiel fesseln. Immer wieder trafen sich ihre Blicke und jedes Mal, wenn sie in das tiefe Türkis sah, hatte sie das Gefühl, die Schönheit würde sie immer näher zu sich ziehen. So wohl hatte sich Michiru seit Ewigkeiten nicht mehr gefühlt. Haruka schien geradezu hypnotisiert zu sein. Also legte sie immer mehr Gefühl in ihr Spiel. Egal, wie viele Menschen in dem großen Saal waren, für sie zählte nur ein einziger Zuhörer. Die Konturen um sie herum schienen zu verschwimmen, jedes Mal, wenn sie zu der athletischen Blondine sah. Mit jedem Blick und jedem Takt fühlte sich Haruka eingeladen. Sie wollte jede einzelne Note in sich aufnehmen und verschließen. Usagi und alle anderen hatte sie längst vergessen. Ihr Blick wurde trüber, als Michiru ihr letztes Lied anstimmte. Schon nach den ersten Tönen hatte sie es erkannt. Wie vor zwei Monaten schon wollte die Pianistin nichts mehr, als Michiru zu begleiten. Sie wollte sich mit ihr in die sanfte Melodie legen und gemeinsam mit ihr darin versinken. In dem Moment, als sie sich völlig in den Klängen zu verlieren drohte, sah ihr die Violinistin erneut in die Augen. „Das letzte Lied kannte ich noch gar nicht… Darf ich den Anlass dafür erfahren?“ „Mir war einfach danach.“ Wie nach jedem Konzert wartete Toshio neben der Bühne auf seine talentierte Tochter. Doch dieses Mal wäre sie fast an ihm vorbeigelaufen. Jetzt konnte er ihre Ungeduld deutlich an ihrem Blick ablesen. „Geh schon zu ihr. Mich wirst du auch später noch sehen.“, lächelte er sanft. Ohne zu zögern lief Michiru los. Fast wäre sie mit einem gestressten Kellner zusammen gestoßen, also drosselte sie lieber ihr Tempo. Auf halber Strecke war ihr Haruka bereits entgegen gekommen. Beiden waren die Blicke der übrigen Anwesenden vollkommen egal, als sie sich in die Arme fielen und Haruka ihr Gesicht in dem duftenden, türkisfarbenen Haar vergrub. „Du warst atemberaubend.“, flüsterte sie leise, als sich die Künstlerin noch enger an sie schmiegte. Erst nachdem sie ein tiefes Räuspern vernahmen, lösten sich die beiden wieder voneinander. Mit geröteten Wangen zupfte Michiru Harukas Jackett zurecht, bevor sie sich an Usagi und Mamoru wandte, um auch sie zu begrüßen. „Das war umwerfend, Michiru-chan! Ich wünschte, ich könnte auch so spielen…“, schwärmte Usagi. Mamoru hingegen hatte mehr Interesse an einem anderen Thema. „Hast wohl keine Augen mehr für deinen großen Bruder, was?!“, grinste er breit, doch Michiru verdrehte nur lächelnd die Augen. Nachdem sich die jungen Paare an ihren Tisch gesetzt hatten, beobachtete Michiru ungläubig, wie Haruka an ihrem Rotwein nippte. „Du willst doch nicht noch fahren?!“ Haruka hob überrascht die Brauen. „Machst du dir Sorgen um meinen Führerschein?“ „An deinen Führerschein habe ich eigentlich nicht gedacht, wenn ich ehrlich bin…“, antwortete die Künstlerin verärgert, was die Rennfahrerin breit grinsen ließ. „Ich bin zu Fuß hier.“ Weit nach Mitternacht hatte sich der Saal weitestgehend geleert. Bis auf den Tisch, an dem die Kaiohs und ihre Begleiter saßen, waren die meisten bereits abgeräumt und auch Usagi gähnte nicht zum ersten Mal. Also lehnte sie sich mit geschlossenen Augen an ihren Verlobten und unterbrach so die beiden Männer und Haruka in ihrem offensichtlich wahnsinnig spannendem Gespräch. Michiru kicherte, als Mamoru ihr einen verdutzten Blick zuwarf. Toshio lächelte sanft über seine zukünftige Schwiegertochter. „Usagi-san hat recht. Es ist schon spät. Vielleicht sollten wir auch langsam gehen.“ Michiru sah ihren Vater enttäuscht an. „Ihr seht euch doch Montag schon wieder!“, rechtfertigte er sich daraufhin. Seine Tochter senkte dennoch betrübt den Blick. „Wir wollten euch nicht rauswerfen! Ihr könnt doch gerne noch bleiben. Das Restaurant hat zwar schon geschlossen, aber die Bar hat noch offen.“, mischte sich Mamoru ein, den tadelnden Blick seines Vaters ignorierend. Hoffnungsvoll sah Michiru zu Haruka. „Wenn dein Vater nichts dagegen hat…“ Gleich drei Augenpaare wurden erwartungsvoll auf Toshio gerichtet. Zunächst suchte der ältere Herr nach den richtigen Worten, doch dann sah er Haruka schließlich durchdringend an. „Ich erwarte, dass du mir meine Tochter heile nach Hause bringst! Du wirst sie nicht aus den Augen lassen und sie bis vor unsere Tür begleiten!“, sprach er ruhig aber mit Nachdruck, wobei er mit dem Zeigefinger fast drohend auf die Blondine zeigte. „Machen Sie sich keine Sorgen, Kaioh-san. Sie ist bei mir sicher aufgehoben.“, versprach sie, ohne den Blickkontakt zu ihm zu unterbrechen. Toshio begann wieder zu lächeln. Dann wandte er sich seiner Tochter zu. „Eine Stunde!“, versuchte er festzulegen, aber Mamoru trat sogleich für seine Schwester ein. „Lass sie doch. Ich glaube nicht, dass du ausgerechnet Michiru eine Frist setzen musst. Es ist Wochenende!“, warf er ein und wurde nun seinerseits von drei überrascht blickenden Augenpaaren gemustert. „Also gut…“, seufzte Toshio nach einer längeren Pause und erhob sich von seinem Platz. „Aber übertreibt es nicht…“, fügte er hinzu, bevor er sich sein Jackett überzog. Mamoru musste Usagi erst sanft wachrütteln, damit auch er aufstehen konnte. Gemeinsam verließen sie den Saal. Vor der Tür verabschiedeten sich zunächst Mamoru und Usagi von den anderen, bevor Toshio Haruka ein letztes Mal ins Gewissen redete und die beiden dann schweren Herzens zurück ließ. „Macht er sich immer solche Sorgen, wenn du ausgehst?“, fragte Haruka, nachdem sie sich mit Michiru auf eine ruhige Sofaecke im hintersten Winkel der Bar gesetzt hatte. „Das hatte er bis jetzt noch nicht nötig. Ich gehe nicht sehr oft aus. Eigentlich… ist es das erste Mal, dass ich ohne ihn so spät noch unterwegs bin.“, antwortete Michiru leise. Zur Ablenkung zückte sie die Cocktailkarte. „Was empfiehlst du mir?“, fragte sie jetzt lauter. „Wenn ich so an deinen Vater denke, lieber etwas mit wenig Alkohol.“ Grinsend linste Haruka über Michirus Schulter hinweg ebenfalls in die Karte. Nachdem der Kellner ihre Bestellung gebracht hatte, nippte die Künstlerin begeistert an ihrem Brasilianischen Cocktail und lehnte sich zurück. Mit geröteten Wangen bemerkte sie erst jetzt, dass Haruka ihren Arm auf die Lehne hinter ihr gelegt hatte. Einen kurzen Moment lang zögerte sie noch, doch dann rutschte sie dichter an die Blondine heran und ließ zu, dass ihr die Rennfahrerin den Arm um die Schultern legte. „Hast du dir den Smoking extra für heute Abend gekauft?“, fragte sie und spielte unschuldig mit den Knöpfen an Harukas Hemdärmel. „Ich habe ihn mir extra für dich gekauft.“ „Steht dir gut…“, stellte die Streicherin mit geröteten Wangen fest und nippte erneut an ihrem Getränk. „Ich dachte, so hätte ich vielleicht den Hauch einer Chance, wahrgenommen zu werden, wenn ich neben einem Engel wie dir stehe.“, erklärte Haruka und brachte ihre Mitschülerin damit noch mehr in Verlegenheit. „Und wurdest du wahrgenommen?“, fragte diese trotzdem in frecher Tonlage. „Ich glaube, bei deiner Schwägerin hätte ich keine schlechten Chancen.“ Empört sah Michiru von den Knöpfen auf und in Harukas Gesicht. „Es kann aber auch durchaus sein, dass ich sie mir verbaut habe, weil ich sie und jeden anderen im Raum vergessen hatte, als du endlich auf die Bühne kamst.“, fuhr die Athletin leise fort. Sie genoss es, wie sich die Violinistin nun wieder entspannter in die Umarmung legte. „Das will ich dir auch raten. Mamoru die Verlobte auszuspannen und dabei auch noch seiner kleinen Schwester das Herz zu brechen, könnte unangenehme Folgen nach sich ziehen.“ Noch bevor sie ihren Satz beendet hatte, errötete Michiru abermals. Haruka schmunzelte. >Ich würde ihr das Herz brechen?< „Niemals würde ich dein Herz brechen wollen. Schon bei dem Gedanken daran würde mein eigenes zerspringen.“, versprach sie und küsste die Schläfe der Schönheit. Wie in Trance schloss Michiru die Augen und lehnte sich der zärtlichen Berührung entgegen. Ruhig atmete Haruka den sanften Kirschblütenduft der Künstlerin ein. Verloren darin vergrub sie ihr Gesicht in dem türkisfarbenen Haar, ohne zu bemerken, dass auch Michirus Sinne allmählich zu schwinden schienen. Bevor ihr das leere Glas herunterzufallen drohte, schob sie es auf den Tisch, um gleich darauf nach Harukas Hand zu greifen, die ihr sanft über den Arm strich. Ohne sich dagegen wehren zu können, ohne sich dagegen wehren zu wollen, schmiegte sie sich an die Schulter der Blondine. Da war er endlich wieder. Der Geruch, den sie so sehr liebte. Der Duft, der ihr die Sinne vernebelte. Unbemerkt brachte der Kellner zwei neue Drinks und stellte sie auf den Tisch. Keine der beiden jungen Erwachsenen konnte schätzen, wie lange sie in der Nähe und dem Duft der jeweils Anderen versunken waren. Doch als Michirus Sinne langsam wieder zurückkehrten, war von den Eiswürfeln in ihrem Cocktail nur noch ein kläglicher Rest zu sehen. „Am liebsten würde ich ja noch ewig hier sitzen bleiben… Neben dir… Mit dir… Aber ich fürchte, mein Vater wird erst schlafen können, wenn ich wieder zuhause bin…“, flüsterte sie. Lächelnd vernahm sie Harukas leises Seufzen. „Da hast du wahrscheinlich recht. Aber austrinken werden wir noch können, oder?“, fragte diese und hob ihr Glas. „Es wäre auch unhöflich, ein unangetastetes Getränk zurückgehen zu lassen.“, stimmte ihr Michiru zu und erhob ebenfalls ihren Drink. Beide sahen sich tief in die Augen, bevor sie ihre Cocktails je zur Hälfte leerten. Nachdem Haruka ihr Glas wieder abgesetzt hatte, ließ sie unschuldig den letzten Rest der Eiswürfel darin kreisen. „Weißt du… in Nagoya gibt es so einen Brauch. Ich weiß nicht, ob dir das was sagt, aber da, wo ich her komme, ist es nicht unüblich, wenn besonders gute Freunde auf ihre tiefe Verbundenheit miteinander anstoßen.“ Michiru beobachtete lächelnd Harukas Glas, bevor sie ihr eigenes erneut anhob. „Na gut. Ich fühle mich mit dir unbeschreiblich tief verbunden.“, zwinkerte sie und wollte mit ihrem gegen Harukas Drink stoßen, doch diese wich ihr aus. „Jetzt warte doch.“, schmunzelte Haruka. Sie wartete darauf, dass sie wieder direkt von den türkisfarbenen Augen angesehen wurde. „Bei uns heißt das, auf die Brüderschaft zu trinken. Und dafür stößt man nicht einfach nur an.“ Für Michirus Geschmack ein wenig zu schnell zog die Athletin ihren Arm zurück und drehte sich, um ihr direkter gegenüber zu sitzen. In einer fließenden Bewegung hakte sie sich in Michirus Arm ein, in dessen Hand die Violinistin noch immer ihr Glas hielt. „Erst verschränkt man die Arme miteinander…“, erklärte Haruka und rutschte dabei näher an die Künstlerin heran. Michiru hatte das Gefühl, Haruka würde gleich ihren schneller werdenden Herzschlag hören können, so dicht vor ihrem eigenen war plötzlich das Gesicht ihrer Mitschülerin. „Dann trinken beide in einem Zug aus…“, sprach die Blondine mit gedämpfter Stimme weiter und sah ihr durchdringend in die Augen. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis Michiru endlich verstehend nickte, um ihr Glas anzusetzen und es zu leeren. Schmunzelnd stellte die Rennfahrerin ihr Glas auf den Tisch. „Und dann wird die Brüderschaft besiegelt.“ „Wie?“, fragte Michiru neugierig und schob ihr eigenes Glas zu Harukas. „Mit einem Kuss.“ Die Blondine hatte die Worte nur geflüstert, doch Michiru hörte sie so klar und deutlich wie die Melodie ihrer eigenen Violine. Sie spürte, wie ihre Wangen zu glühen begannen und wie ihr Herz immer schneller und kräftiger schlug, doch sie konnte sich zu einem zaghaften Nicken bringen. Die Sportlerin ahmte ihre Geste fragend nach, also antwortete sie: „Besiegeln wir unsere Brüderschaft und… Verbundenheit.“ „Okay.“, flüsterte Haruka und drehte sich ihr noch weiter entgegen. Ganz langsam näherte sie sich dem hübschen Gesicht. Zaghaft legte sie ihre Finger unter das Kinn ihres Engels, um es sanft anzuheben. Ruhig atmend sah sie durchdringend in die tiefen Blau- und Grüntöne in Michirus Augen. Michiru spürte, wie ihr Puls immer schneller raste. Sie fühlte Harukas warmen Atem auf ihrer Haut, verlor sich erneut in dem strahlenden Grün. Diesmal würde Hiro garantiert nicht dazwischenfunken. Keine Schulglocke würde sie auseinander bringen. Keine Wasserflecken würden sie aus ihrer Welt reißen. Harukas Duft vernebelte der Künstlerin abermals die Sinne, also schloss sie ergeben die Augen. Es fühlte sich an, als würde sie zum ersten Mal einatmen. Ihr Puls verlangsamte sich plötzlich von einem kräftigen Herzschlag zum nächsten. Sie genoss das warme Gefühl in ihrem Körper, das von ihrem Herzen, das anscheinend aus ihrem Brustkorb springen wollte, auszustrahlen schien. Haruka machte einen letzten Atemzug, bevor auch sie ihre Augen schloss und nach einer schier unendlichen Ewigkeit endlich ihre Lippen auf Michirus legte. Endlich konnte sie die Wärme ihres Engels spüren, ihre Lippen schienen zu brennen, doch Haruka presste sie nur noch weiter auf die der Streicherin. So oft hatte Michiru von diesem Augenblick geträumt. Ihr Herz schien stehen zu bleiben, als sie Harukas Lippen erlösend auf ihren eigenen spürte, sanft wie ein Windhauch. Für einen kurzen Moment spürte die Künstlerin eine unbeschreibliche Sehnsucht in sich aufsteigen, doch im gleichen Augenblick lehnte sich die Blondine weiter zu ihr. Ein Seufzer wollte Michiru entgleiten, als sie zärtlich begann den Kuss zu erwidern, doch kein Laut entwich ihr. Als wollte sie sicher gehen, dass der Moment nicht zu schnell verstreicht, legte sie ihre Hände in den Nacken der Sportlerin und zog sich selbst dichter an sie heran. Haruka registrierte Michirus Berührung sofort. Vorsichtig legte sie ihren Arm um sie und strich über ihren schlanken Rücken. Ihre Hand ließ sie langsam vom Kinn der Violinistin aus an ihrem Unterkiefer entlang bis zu ihrem Nacken wandern, wo ihre Finger zärtlich in die türkisfarbene Mähne griffen. Nie hätte sich Michiru ihren ersten Kuss so vorstellen können. Wie fremdgesteuert ließ sie sich auf Harukas Bewegungen ein. Sie spürte, wie die Blondine sich ihr anpasste. Als hätte sie nur darauf gewartet, öffnete sie ihren Mund, als sie Haruka zärtlich gegen ihre Lippen stupsen fühlte. Bereitwillig ließ sie sich auf das zunächst zaghafte, doch dann immer leidenschaftlicher werdende Zungenspiel ein. Erst als sie sich der Blondine entgegen reckte, entglitt ihr ein leiser und erstickender Seufzer. Haruka zog ihren Engel noch dichter an sich, als sie den zaghaften aber zustimmenden Laut vernahm. Immer fordernder schien die Künstlerin in ihrem Kuss zu werden. Sämtliche Gedanken, jeder Sinn fiel von dem jungen Paar ab. Nichts und niemand interessierte sie mehr. Michiru schien völlig vergessen zu haben, wo sie war, als sie Haruka fordernd zu sich zog. Bestimmt drückte sie in den Nacken der Blondine und lehnte sich weiter zurück. Als die Athletin spürte, was ihr Engel vorhatte, entglitt auch ihr ein leiser Seufzer. Noch näher kam sie der Violinistin, indem sie ein Knie auf der weichen Sitzfläche neben Michiru platzierte und sich langsam weiter zu ihr beugte. Michiru fühlte sich so sicher wie noch nie, als sie ihren Schwerpunkt verlagerte und schließlich ganz von Haruka gehalten wurde. Haruka legte ihren Engel behutsam auf dem Sofa ab und ließ ihre Hand zärtlich von Michirus Nacken aus über deren Seite bis zu ihrem Oberschenkel wandern. Abermals entglitt der Künstlerin ein leises Seufzen. Erst als sie spürte, wie ihr Michiru verlangend ihr Becken entgegen reckte, schaltete sich Harukas Verstand wieder ein. Nach und nach fiel ihr ein, wo sie war. So zärtlich wie nur irgend möglich löste sie den Kuss auf. Noch immer war sie dicht über Michiru gebeugt. Nur kurz atmete Haruka durch, bevor sie die sanften Lippen noch ein letztes Mal zärtlich berührte, um sich dann endgültig von ihnen zu lösen. Um wenige Zentimeter entfernte sie sich von der Violinistin, sodass sie ihr hübsches Gesicht betrachten konnte. Es dauerte noch einen Moment, bis Michiru leicht benommen ihre Lider hob und der Sportlerin verwirrt entgegen blinzelte. „Es tut mir leid, mein Engel. Es ist spät, wir haben getrunken… Und das habe ich ausgenutzt… Bitte sei deswegen nicht böse auf mich!“, flüsterte Haruka kopfschüttelnd und schob ihren Arm unter den grazilen Körper der Schwimmerin, um sie behutsam mit sich zu ziehen, als sie sich selbst aufsetzte. Michiru fühlte sich wie betäubt. Widerstandslos folgte sie der Rennfahrerin, um sich sofort wieder an sie zu schmiegen. „Ich habe keinen Grund, böse auf dich zu sein.“, flüsterte sie zurück, wobei sie immer noch benommen die Hand der Athletin suchte, um ihre Finger miteinander zu verschränken. Wieder schloss sie ihre Augen und atmete den beruhigenden Duft nach Rosenblüten ein. Ein leises Gähnen konnte sie vor ihrer Mitschülerin nicht verstecken. Also gab ihr die Läuferin noch einen Kuss auf die Stirn, bevor sie langsam aufstand, um sich ihr Jackett und Michiru ihren Mantel zu holen. Als sie am Tresen gezahlt hatte, legte sie ihrem Engel fürsorglich einen Arm um die Taille und führte sie hinaus in die Nacht. Im Taxi lehnte sich Michiru erneut an ihre Freundin und fiel schon nach kurzer Zeit in einen ruhigen Schlaf. Nach der langen Fahrt zu ihrer Wohnung konnte die Geigerin vor Müdigkeit kaum stehen, also legte sie Haruka ihre Arme um den Hals, sodass die Rennfahrerin sie behutsam hochheben konnte. Von der kurzen Fahrstuhlfahrt bekam die Künstlerin schon nichts mehr mit. Auch ihrem besorgten Vater musste sich Haruka mehr oder minder allein stellen. „Tut mir leid, Kaioh-san, aber die Fahrt hier her war ihr wohl zu lang.“, entschuldigte sie sich, nachdem Toshio die Tür gehöffnet und schockiert seine schlafende Tochter gemustert hatte. „Wenn sie morgen einen Kater hat, werde ich Ihnen persönlich die Hölle heißmachen!“, drohte er flüsternd, trat jedoch zur Seite und machte der jungen Blondine Platz. Wortlos deutete er auf eine Tür am Ende des Flures. Haruka nickte kurz und trug die Schlafende sicher in ihr Zimmer. Da sie sich immer noch an ihrem Hals festklammerte, fiel es der Athletin nicht ganz leicht, ihrem Engel die Jacke auszuziehen. Doch als sie es geschafft hatte, hob sie Michiru weiter auf ihr Bett und strich ihr die Strähnen aus ihrem Gesicht. Verschlafen begann die Künstlerin zu blinzeln. „Gute Nacht, mein Engel.“, flüsterte Haruka und nutzte die Gelegenheit, ihr einen letzten Abschiedskuss zu geben. „Träum ich?“, lächelte Michiru leise zurück und Haruka schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Noch nicht.“ „Gute Nacht, Haruka.“, grinste die Violinistin und warf ihr noch einen liebevollen Blick zu, bevor sie endgültig ins Reich der Träume tauchte. Kapitel 16: ------------ Kapitel 16 Endlich konnte sie sie fühlen… Sie spüren… Sie schmecken… Mit rasendem Herzen und geröteten Wangen erwachte Michiru nach einer Nacht voller verschwommener Träume. Verwirrt sah sie sich um. Sie war in ihrem eigenen Zimmer… Lag in ihrem eigenen Bett… Dieser Teil ihres Traumes war wohl doch nicht Realität… Aber als sie an sich herab sah, erkannte sie, dass sie noch immer ihr himmelblaues Sommerkleid trug. Also hatte sie sich die letzte Nacht doch nicht nur eingebildet? Mit einem Seufzen ließ sich Michiru zurück in die Kissen sinken. Ihr Blick wanderte durch ihr Zimmer. Ein paar Schritte weiter lag ihre Jacke auf ihrem Schreibtisch. Ein Grinsen schlich sich auf ihre Lippen. Haruka hatte sie wohl tatsächlich nach Hause gebracht. Getragen. Bis in ihr Bett. Glücklich umklammerte die Künstlerin ihre Bettdecke und schloss die Augen. >Also doch…< „Guten Morgen.“ Toshios Stimme hallte schon vom Wohnzimmer her durch den Flur, als Michiru ihre Zimmertür öffnete. Zögerlich trat sie zu den beiden Erwachsenen ans Sofa. Setsuna lächelte vielsagend hinter ihrem Roman hervor, doch ihr Mann verbarg sein Gesicht hinter der Tageszeitung. „Guten Morgen.“, antwortete Michiru nun, was ihren Vater dazu veranlasste, seine Lektüre sinken zu lassen. „Kopfschmerzen?“, fragte er skeptisch. Michiru legte die Stirn in Falten. „Wieso sollte ich Kopfschmerzen haben?“ „Glücklich?“, entgegnete jetzt Setsuna, woraufhin sich die Wangen ihrer Stieftochter röteten und beide Frauen ein Grinsen nicht mehr unterdrücken konnten. Knurrend versuchte Haruka, wenigstens ein Auge zu öffnen. Wie lebensmüde musste man sein, um die Rennfahrerin schon vor sieben Uhr morgens aus dem Bett zu klingeln? Auch wenn heute Montag war und die Schule um Acht begann… „Was?“, fauchte sie genervt in ihr Handy. „…Sanji?! Hast du keine anderen Hobbys?! Ich hätte noch mindestens ´ne halbe Stunde schlafen können! Wehe, es ist nicht wichtig!“ Gähnend rieb sie sich den Schlaf aus den Augen. „…Wie, in zwei Wochen schon? Na klasse.“ Die Blondine versuchte aufgeregt zu klingen, doch ein weiteres Gähnen machte ihr einen Strich durch die Rechnung. „…Moment mal… Heute?“ Jetzt setzte sie sich auf. „Genial! Natürlich hab ich Zeit!“ Die gesamte Busfahrt über zur Schule hatte Michiru versucht, ihre Aufregung zu unterdrücken und ihren Puls zu beruhigen, doch schon als sie die Blondine wartend vor dem Schuleingang erkannte, begann ihr Herz erneut zu rasen. Schon Harukas gesäuselte Begrüßung ließ der Schwimmerin abermals Röte ins Gesicht steigen. Die Stille zwischen ihr und der Pianistin ließ Michiru in der Frühstückspause fast durchdrehen. >Sag doch endlich was!< „Übrigens… Sanji hat mich heute früh angerufen.“ >Na besser als nichts…< Erleichtert atmete die Künstlerin aus. „Dein alter Teamkollege?“, fragte sie, bevor sie von ihrem Sandwich abbiss. „Ja. Er und mein Trainer werden schon in zwei Wochen nach Tokio ziehen.“ Nachdem sich die Blondine vergewissert hatte, dass ihr Apfel vollständig abgenagt war, warf sie den Rest gekonnt in den ein paar Schritte entfernten Mülleimer. „Und heute Nachmittag treffen wir uns mit einem neuen Rennteam.“ Nun sah Michiru auf und konnte ihren leicht enttäuschten Gesichtsausdruck nicht verbergen. Sie hatte eigentlich gehofft, auch nach der Schule noch Zeit mit Haruka verbringen zu können. „Was ist los?“, fragte die daraufhin besorgt. Michirus Wangen begannen sich erneut zu verfärben, also wandte sie sich verlegen ab. „Nichts…“ „Wir treffen uns erst um Fünf. Also kann ich dich noch in aller Ruhe nach Hause bringen.“ Michiru erschrak. Haruka hatte sich lautlos zu ihr herüber gebeugt und ihr fast ins Ohr geflüstert. Nun löste ihr warmer Atem im Nacken der Violinistin eine Gänsehaut aus. Am liebsten hätte sich Michiru einfach zu ihr umgedreht und endlich wieder die sanften Lippen gesucht, die sie alles um sich herum vergessen ließen. Stattdessen saß sie regungslos und schwer atmend da und schloss ihre Augen. Haruka verharrte noch einen Moment in ihrer Position, ließ sich dann jedoch enttäuscht zurück sinken. Langsam beruhigte sich Michirus Herz wieder. „Ja, das wäre… Ich meine… Wenn es dir nichts ausmacht…“ Haruka startete noch einige weitere Annäherungsversuche, doch Michiru wies diese jedes Mal unbeholfen und verlegen zurück. >Was ist nur los mit dir?! Reiß dich zusammen! Du willst sie doch! Und sie will dich garantiert auch… Also worauf wartest du noch?!< Abwesend dankte Michiru der Rennfahrerin, als diese ihr nach Schulschluss die Wagentür aufhielt. Haruka sah der Schönheit nachdenklich nach. >Du bist eindeutig zu weit gegangen, Tenoh!< Dann setzte sie sich selbst hinters Steuer. „Willst du noch irgendwohin? Ich muss zwar bald los, aber eine Stunde hätte ich noch Zeit…“ >Jetzt mach was!< Die Violinistin sah von dem ach so interessanten Auto auf dem benachbarten Stellplatz ab und traute sich endlich, wieder den Blickkontakt mit der Athletin zu suchen. „Keine Ahnung, hast du keine Idee?“ Haruka unterdrückte ein verschmitztes Grinsen >Und was für Ideen ich hätte!< „Keine Ahnung…“ Lächelnd startete sie den Motor. Als sie den Highway erreicht hatten, stellte Haruka innerlich seufzend das Radio an. Sofort grinste sie zu ihrer Beifahrerin. Michiru sah noch immer schweigend aus dem Fenster. Also begann sie leise mit zu summen. „Did dshu have to go to jail, Put shor house on up for shale, Did dshu get a good lawye-e-e-er?” Michiru begann zu grinsen. „Hope you didn't cat a tan, Hope you find the right man, Who'll fix it for yo-hou!” Jetzt konnte sich die Violinistin ihr Lachen endgültig nicht mehr verkneifen. „Haruka, nicht nur dein Englisch ist miserabel, du singst auch noch krumm und schief!“ Die Blondine straffte siegessicher die Schultern >Geht doch!< „Kannst du es besser?“ Michiru schmunzelte, doch sie wollte die durch Harukas Sangeskünste aufgelockerte Stimmung nicht gleich wieder zerstören. Also wartete sie auf den nächsten Einsatz, bevor sie engelsgleich und im reinsten Englisch begann: „Well, sometimes I go out by myself And I look across the water; And I think of all the things, what you're doing; And in my head I paint a picture“ Harukas Grinsen wich einem verträumten Lächeln. Bald hatten sie ihr Ziel erreicht und Haruka parkte in einer kleinen Haltebucht. Geduldig wartete Michiru darauf, dass ihr die Rennfahrerin die Tür aufhielt und ihr zum Aussteigen die Hand reichte. Mit geschlossenen Augen ließ sich die Blondine rückwärts gegen das Brückengeländer fallen. Ihre Mitschülerin stellte sich auf eine Strebe und beugte sich über das unruhige Wasser. „Gute Idee.“, seufzte sie, als ihr der frische Meereswind ins Gesicht blies. Langsam hob Haruka ihre Lider. Sie ließ bewusst einen Schritt zwischen sich und der Künstlerin frei, als sie sich umdrehte und sich mit den Armen auf dem kalten Stahl abstützte. Michiru gefiel diese neue Distanz, die die Leichtathletin damit schuf, überhaupt nicht. >Du machst noch alles kaputt mit deiner blöden Schüchternheit!< Seufzend legte sie ihre Stirn auf ihren verschränkten Armen ab. „Ist alles in Ordnung?“ Harukas ruhige Stimme erklang dicht an ihrem Ohr. >Wehe, du lässt sie wieder gehen!< Vorsichtig sah Michiru auf. Harukas besorgter Blick sprach Bände. Natürlich wollte auch sie ihrem Engel wieder nahe sein, doch dessen abweisendes Verhalten hatte sie abgeschreckt. Eine Freundschaft mit Abstand wäre ihr allemal lieber, als dass sich die Schönheit gänzlich von ihr abwenden würde, weil sie ihr zu nahe trat. Michiru spürte, wie sich erneut ihr Herzschlag beschleunigte, als sie den Rücken durchstreckte. Sie wandte den Blick von Haruka ab, dem strahlenden Grün konnte sie nicht standhalten. Ihre Augen suchten nach einem Punkt in der Ferne, als sie die Distanz zu der Pianistin überwand und sich an ihren warmen Oberkörper schmiegte. Sofort legte Haruka ihre Arme um den zierlichen Körper. „Jep, alles in Ordnung.“, seufzte die Violinistin, als sie den vertrauten Duft einatmete. Fast eine halbe Stunde lang stand das Paar regungslos auf der Brücke. Dann beugte sich Haruka langsam vor, um der Künstlerin einen sanften Kuss auf die Wange zu hauchen. „Ich muss los. Ich darf nicht schon zum ersten Treffen mit dem neuen Sponsor zu spät kommen.“ Michiru seufzte, drehte sich aber lächelnd um und zwinkerte der Blondine zu. „Schon okay.“ Nachdem sie sich aus der Umarmung gelöst hatte, stolzierte sie auffällig mit den Hüften schwingend zurück zum Wagen. Haruka sah ihr überrascht nach. „Kommst du?“, fragte ihr Engel unschuldig, als er das Auto erreicht hatte. „Ähm…“ Nach einem kurzen Kopfschütteln folgte ihr die Athletin und hielt ihr mit einer künstlichen und viel zu tiefen Verbeugung die Beifahrertür auf. „Gott, wo hast du denn gesteckt?! Yamada ist mit unserem hoffentlich zukünftigen Chef schon vorgegangen. Hast du mal auf die Uhr gesehen?!“ Sanji wartete bereits ungeduldig auf dem Hauptparkplatz der Rennbahn. „Reg dich ab! Wir haben doch noch fünf Minuten.“ Genervt befreite sich Haruka von ihrem Helm. Nachdem sie Michiru nachhause gebracht hatte, war sie in ihre Wohnung gefahren, um ihr Auto gegen ihr Motorrad zu tauschen, in der Hoffnung nach dem Gespräch mit dem Sponsor noch ein paar Runden drehen zu können. In einem Büro trafen die beiden auf die älteren Herren, die bereits in geschäftlichen Gesprächen versunken zu sein schienen. Es dauerte einige Stunden, bis die Details geklärt waren, also setzte bereits die Dämmerung ein, als Haruka mit den anderen wieder den Parkplatz betrat. Dem neuen Sponsor, Herrn Asai, fiel das Motorrad der Sportlerin sofort ins Auge. Lange musste Haruka nicht versuchen, den Mann mit Schnauzer zu überreden. Fast schon forderte er selbst die Blondine dazu auf, ihm ihr Können auf der Rennbahn zu zeigen. Für Haruka war es ein unbeschreibliches Gefühl, endlich wieder auf ihrer Maschine sitzen und Vollgas geben zu können. Der Wind umschloss ihren Körper und gefühlvoll legte sie sich in die Kurven. Dass sie dabei wie gebannt von drei Augenpaaren beobachtet wurde, vergaß sie vollkommen. „Ihre Yamaha scheint sie zu beherrschen. Mich würde allerdings interessieren, wie sie mit unseren Maschinen klar kommt.“ Herr Asais misstrauischer Blick folgte der jungen Fahrerin. „Keine Sorge. Haruka-san kann jede Maschine fahren.“, versicherte Yamada Takuzo und verschränkte die Arme vor seiner Brust. „Das wird sie Ihnen bei ihrer offiziellen Testfahrt zeigen können.“ Sanjis Augen schienen förmlich an seiner Teamkollegin zu kleben. „Als würde sie gleich abheben… Wie ein Kranich fliegt sie über die Bahn, meint ihr nicht?“, murmelte er vor sich hin und wurde dafür von dem Sponsor skeptisch angesehen, von dem Trainer jedoch leise belächelt. „Wie war es bei deinem neuen Sponsor?“ Michiru schlenderte langsam neben Haruka her in Richtung des Schulgebäudes. „Hätte gar nicht besser laufen können! Hatte gestern schon eine kleine Testfahrt mit meiner eigenen Maschine, dann kommt noch eine offizielle und vermutlich kann ich nach meinem Abschluss da anfangen.“ Katashi bekam bei den Worten der Rennsportlerin spitze Ohren. Ohne sie vorher zu begrüßen, fing er gleich an, sie auszufragen. Ein wenig genervt ließ sich Haruka auf ihren Platz im Ethikraum fallen. Ihr Mitschüler war für ihren Geschmack ein wenig zu neugierig. Erst als Frau Amano die Stunde eröffnen wollte, gab Katashi Ruhe. Nach der Biologiestunde hielt Haruka Michiru deshalb an, sich zu beeilen, um vor dem neugierigen Schüler den Raum verlassen und unauffällig verschwinden zu können. Etwas verwundert setzte Michiru ihre Tasche kurze Zeit später auf einer Bank ab. „Ich dachte, du freust dich über den neuen Job…“ „Tu ich ja auch! Aber ich will lieber Zeit mit dir verbringen, als Kusakas Neugierde zu stillen.“, antwortete Haruka und bemerkte nicht die Röte, die sich daraufhin auf Michirus Wangen bildete. „Und außerdem“, jetzt streckte sich die Blondine genüsslich in alle Richtungen, „muss es noch nicht jeder mitkriegen, dass ich bald wieder Rennen fahre. Apropos Zeit verbringen…“, fügte sie gähnend hinzu, „hast du heute noch was vor? Ich dachte, wir könnten auf dem Weg zu dir noch irgendwo auf ein Eis oder so anhalten.“ Michiru hatte es geschafft, die verräterische Farbe aus ihrem Gesicht zu vertreiben und sah nun entschuldigend auf. Wegen eines Termins würde sie heute von ihrem Vater abgeholt werden, aber immerhin konnte sie ihre Mitschülerin auf morgen vertrösten. Harukas Rucksack wurde wütend in den Kofferraum geworfen. Nach einem kurzen Zögern trat Michiru auf die Blondine zu und legte ihr sanft ihre Hand auf die Schulter. „Komm schon Haruka. War doch nur ein Test. Japanisch ist eben nicht deine Welt. Was soll´s? Mach dir nichts draus.“ Die Leichtathletin seufzte resignierend. Michiru hatte recht. Bis zum Schuljahresende waren es nur noch vier Wochen und die Fünf in ihrem letzten Japanischtest hatte sie nicht völlig abrutschen lassen. Eine Drei war ihr immer noch sicher, dafür könnte sie sogar noch zwei Fünfen kassieren. Es war aber auch vielmehr die arrogante Art ihres Klassenlehrers, die sie zur Weißglut trieb. „Es ist nur… Ach, ich komme mit solchen Idioten einfach nicht klar.“, rechtfertigte sie sich leise. Michiru schüttelte lächelnd den Kopf. „Musst du auch nicht. Nur noch ein Monat, Haruka. Dann bist du ihn los. Und dann…“, die Violinistin stockte. Was dann? Sie hatte sich noch keine weiteren Gedanken darüber gemacht, wie es nach ihrem Abschluss weiter gehen würde. Sie hatte gehofft, bis dahin halbwegs berühmt zu sein, um mit ihren Auftritten sicher ihren Unterhalt verdienen zu können, aber der erhoffte große Durchbruch war bisher ausgeblieben. >Ich kann doch nicht ewig nur für den Verlag meines Vaters auftreten…< Haruka entging nicht, wie sich ihre Freundin in ihren Gedanken verlor. Also hauchte sie ihr einen sanften Kuss auf die Wange und nahm ihr ihre Schultasche ab, um auch die in ihrem Kofferraum zu verstauen. „Und dann sind erst mal Ferien.“, beendete sie für Michiru den Satz. Dankbar sah ihr die Künstlerin nach. Auf dem Weg in die Stadt setzte ein starker Platzregen ein. Haruka ließ sich davon nicht beirren und hielt auf den Highway zu. Doch schon nach kurzer Zeit wurde der Regen noch stärker und aus den Augenwinkeln heraus konnte sie erkennen, wie sich Michirus Körper anspannte. „Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin schon oft bei solchem Wetter gefahren. Ganze Rennen. Und ich habe nie einen Unfall gebaut.“, versuchte sie die schöne Streicherin aufzumuntern. Doch deren Körper verkrampfte sich nur noch mehr. Die Künstlerin sprach kein Wort und starrte ernst aus dem Fenster. Besorgt schaltete Haruka das Warnlicht an und brachte ihren Wagen auf dem Standstreifen zum Stehen. Erst als sie ihre Hand nahm, sah Michiru überrascht zu ihr herüber. Ihr war gar nicht aufgefallen, dass die Athletin links rangefahren war. Jetzt blickte sie in besorgte grüne Augen. „Hast du was gesagt? Wieso stehen wir hier?“, fragte sie leise und bekam einen verwirrten Blick zur Antwort. Ein einzelner Donnerschlag ließ die Schwimmerin zusammen zucken. „Hast du Angst vor Gewittern?“, fragte Haruka überrascht aber ruhig. „Nein, nicht vor Gewittern. Nur vor Platzregen… Haruka, können wir bitte weiter fahren? Ich fühle mich nicht wohl…“ Die Rennfahrerin erkannte sofort die leichte Panik in der Stimme ihres Schützlings. Also startete sie den Motor und ordnete sich wieder auf dem Highway ein. Als sie beschleunigt hatte, griff sie nach Michirus im Schoß zu einer Faust geballten Hand und verschränkte ihre Finger mit denen ihres Engels. Dankbar beobachtete dieser die fürsorgliche Geste und überwandte sich zu einem Lächeln. Nach einigen Minuten parkte Haruka und führte Michiru in das Café, in dem sie schon vor einigen Wochen gesessen hatten. Der Kellner brachte bald die bestellten Getränke und für einen Moment herrschte Stille zwischen den Schülerinnen. „Ich glaube, ich sollte dir mal was erklären.“, begann Michiru schließlich leise. Doch Haruka lehnte sich kopfschüttelnd zurück. „Du musst nicht, wenn du nicht willst.“ Michiru lächelte ihren Gegenüber traurig an. „Ich will aber. Du hast mir von deinen Eltern erzählt, jetzt erzähle ich dir von meinen.“ Jetzt lehnte sich Haruka verwirrt wieder vor. Sie dachte, sie hätte Michirus Vater bereits kennen gelernt. Und sprach der nicht von ‚seiner Frau‘? War einer der beiden vielleicht krank? „Also ist Kaioh-san gar nicht dein Vater?“, überlegte sie leise grübelnd, woraufhin Michiru schmunzelte. „Doch, das ist er. Aber seine Frau ist nicht meine Mutter. Meine Mutter starb, als ich fünf war, vor nicht ganz zwölfeinhalb Jahren. Meine Mutter war immer ganz vorsichtig und hasste es, im Regen zu fahren. Aber irgendein wichtiger Termin ließ sich nicht verschieben, also musste sie los, obwohl gerade ein typischer Novemberregen eingesetzt hatte. Ich erinnere mich noch daran, wie das Telefon klingelte und mein Vater mich und Mamo schnappte, um mit uns ins Krankenhaus zu fahren. Meine Mutter lag zwei Wochen lang im Koma, bevor ihr Herz aufhörte zu schlagen. Ein junger Mann, der gerade erst seinen Führerschein gemacht hatte, hatte ihr die Vorfahrt genommen. Bei dem Platzregen hatte er sie nicht kommen sehen…“ Haruka hatte Michirus Worte aufmerksam verfolgt und senkte nun den Blick. Sie fuhr schon seit Jahren Rennen. Bei jedem Wetter. Nie hatte sie einen Gedanken daran verloren, dass auch andere die Kontrolle verlieren und sie in einen Unfall verwickeln könnten. „Aber ich hab ja noch Setsuna.“, ergänzte Michiru traurig lächelnd. „Sie ist zwar ein ganzes Stück jünger als er, aber irgendwie passt sie ganz gut zu meinem Vater. Und sie ist meine beste Freundin. Nur schade, dass sie kein Instrument spielt, wie es meine Mutter tat. Sie hatte mich übrigens zur Kunst und Musik gebracht.“ Als Michiru über die positiven Erinnerungen an Siren und deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Setsuna erzählte, besserte sich ihre Laune. Nach einigen Stunden schlug Haruka eine Spazierfahrt vor. Es hatte zu regnen aufgehört und die warme Frühlingssonne verdrängte langsam die Wolken. Auf dem Weg zum Auto legte sie ihre Hand in Michirus Taille und führte sie auf die andere Straßenseite. Michiru genoss die dadurch geschaffene Nähe in vollen Zügen. Sie warf der Blondine verstohlene Blicke zu, doch diese schien abgelenkt zu sein. Jetzt erst bemerkte auch Michiru das Rufen. Die Rufe einer Frau. Eine Frau rief den von ihr geliebten Namen. Verwirrt stoppte auch die Künstlerin, als Haruka stehen blieb, um sich umzusehen. Auf der anderen Straßenseite schien sie fündig zu werden. Selten hatte Michiru beobachten können, wie sich die Miene der Rennsportlerin so aufhellte. Sie folgte dem Blick und erkannte eine junge Blondine mit langem Haar, die vor Aufregung fast vor ein Auto gerannt wäre, sich aber im letzten Moment doch noch dazu entschied, den nächsten Fußgängerüberweg zu nehmen. „Mina!“, keuchte Haruka aufgeregt und sprintete zu der Ampel, die von der anderen Blondine angesteuert wurde. Überrascht sah Michiru zu, wie sich die beiden Frauen in die Arme fielen. Für einen kurzen Moment wollte Eifersucht in ihr aufsteigen, doch dann sah sich Haruka erneut suchend um. Mit einem breiten Grinsen zog sie die Unbekannte hinter sich her in Richtung Michiru. „Michiru, das ist-… Also Mina, darf ich-…“, begann sie aufgeregt von einer schönen Frau zur anderen blickend. Dann atmete sie erst mal tief durch. „Michiru, das ist meine Schwester Minako. Minako, das ist Michiru.“ „Michiru-?“, fragte Minako zwinkernd und bekam ein Augenrollen seitens Haruka zur Antwort. Michiru reichte ihr erleichtert die Hand. >Du bist so doof Michiru! Wie kannst du nur auf ihre Schwester eifersüchtig sein?! Wie kannst du überhaupt eifersüchtig sein?! Du bist nicht mit ihr zusammen, schon vergessen?< „Bist du Ruka-chans Freundin?“, wollte Minako geradeheraus wissen. Sofort schoss Röte in das Gesicht der Künstlerin und sie sah hilfesuchend zu ihrer Mitschülerin, die sich räuspernd ihre Krawatte richtete. „Wir haben uns seit einer halben Ewigkeit nicht gesehen und das ist das Erste, was dir einfällt?“ Minako grinste wissend. >Kein Ja, aber auch kein Nein.< „Stimmt. Andere Frage: Was machst du in Tokio?“, fiel ihr ein, doch dann weiteten sich ihre Augen. „Verdammt! Ich war doch nicht grundlos unterwegs! Tut mir leid, Ruka-chan, aber ich muss los.“ Aufgeregt kramte sie in ihrer Handtasche. „Hier. Ich hab ´ne neue Nummer. Ruf an. Ich hab dieses Wochenende frei. Und wehe, du meldest dich nicht!“ Mit einem warnenden Blick steckte sie ihrer Schwester eine Visitenkarte in die Brusttasche und umarmte sie, bevor sie nach einem „Hat mich gefreut, Michiru-san!“ davon eilte. „Ruka-chan?“ Michiru konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. Haruka rollte erneut mit den Augen, lächelte dann aber sanft: „Ja, den Spitznamen gab mir Obaa-san.“ Sie zog die kleine Karte aus ihrer Brusttasche und betrachtete sie genauer. „Touma Minako – Journalistin und Moderatorin“ Auf der Rückseite stand eine Handynummer. „Hatten wir nicht noch was vor, Ruka-chan?“ Michiru nahm zwinkernd die freie Hand der Läuferin. In der Bucht von Tokio angekommen, bat Haruka Michiru hilfsbereit ihren Arm an und stellte in sich hinein grinsend fest, dass diese sie auch nach dem Aussteigen nicht los ließ. „Deine Schwester ist süß.“, stellte die Violinistin beiläufig fest. Haruka, die bis eben noch mit geschlossenen Augen den Wind genossen hatte, der ihr ins Gesicht blies, sah sie nun skeptisch an. „Willst du mich eifersüchtig machen?“ >Vielleicht…<, dachte sich Michiru und lehnte sich an die Blondine. „Sowas würde ich doch nie tun.“, erklärte sie ruhig. Haruka zog die Schönheit noch dichter an sich. Sie legte die Arme um sie und schmiegte sich in ihr Haar, bevor sie flüsterte: „Du wärst die einzige, die mich nicht nur eifersüchtig machen könnte, sondern auch dürfte.“ Michiru seufzte leise, aber unüberhörbar. Die Sonne war schon halb hinter dem Horizont versunken, als sie sich langsam zu Haruka umdrehte, um ihr in die Augen zu sehen. Diesmal wollte sie sich verlieren. Diesmal wollte sie in dem vertrauten Grün untergehen. Haruka erwiderte den liebevollen Blick und ließ sich widerstandslos in das strahlende Türkis fallen. Fast automatisch ließ sie ihre Hand an dem zierlichen Körper empor wandern, bis sie schließlich die Wange ihres Engels erreichte. Michiru widerstand dem Verlangen, ihre Augen zu schließen. Stattdessen streichelte sie zärtlich an Harukas Arm entlang. Als sie ihre eigene Hand auf die der Blondine gelegt hatte, lächelte sie der Athletin verliebt zu, bevor sie ihre Lider schloss und sich Harukas Berührung entgegen lehnte. Mit einem kleinen Schritt überwandte Haruka die letzte Distanz, die zwischen ihr und der Schönheit lag. Nachdem sie den schlanken Körper sanft weiter an sich gedrückt hatte, machte sie einen weiteren Schritt nach vorn, um Michiru zu drehen, die daraufhin das Brückengeländer in ihrem Rücken fühlte. Lächelnd öffnete sie ihre Augen und stellte fest, dass Harukas Gesicht nur noch Zentimeter von ihrem eigenen entfernt waren. Ihr Herz schien tausendmal in der Minute zu schlagen, doch ihre Atemzüge waren ruhig und tief. „Worauf wartest du noch?“, flüsterte sie und reckte ihr Kinn leicht empor, um Haruka ein eindeutiges Zeichen zu geben. Kapitel 17: ------------ Kapitel 17 „Ich hatte Angst, ich würde dich verschrecken… Oder einschüchtern…“, rechtfertigte sich die Läuferin leise. Nach einem fast lautlosen Schnauben schüttelte Michiru ihren Kopf. „Das könntest du nie.“ Ganz langsam reckte sie sich der Blondine weiter entgegen. Ihre Augen schloss sie erst im letzten Moment, bevor sie endlich wieder die süßen Lippen auf ihren eigenen spürte. Haruka bekam eine Gänsehaut. Sie hatte nicht gewagt, ihrem Engel entgegen zukommen. Jetzt konnte sie nicht fassen, dass sie ihn endlich wieder spüren konnte. Ihr Verstand hatte sich augenblicklich verabschiedet. Getrieben von einer unendlichen Sehnsucht umschloss sie nun das bildhübsche Gesicht mit beiden Händen. Noch immer hatte sie Angst, ihren Schützling verlieren zu können. Michiru konnte nicht glauben, dass sie es endlich getan hatte. Erneut strich sie über Harukas Arm. Diesmal wanderten ihre Finger an ihm bis zur Schulter entlang. Energisch griff sie in das sandblonde Haar im Nacken ihrer Geliebten. Ihre andere Hand schob sie über deren Taille in ihren Rücken, wo sie sanften aber bestimmten Druck ausübte. Michiru war nicht länger sie selbst. Sie spürte nur noch das Verlangen nach der androgynen Blondine. Haruka war etwas überrascht über Michirus fordernde Körpersprache. Doch sie ergab sich ihr und ließ sich fast gegen ihren warmen Körper fallen. Sie ließ ihre Hände sinken und fasste sicher unter die Oberschenkel der Violinistin. Für einen kurzen Moment wollte Michiru protestieren, doch dann verstand sie, was die Rennsportlerin vor hatte. Mit einem erstickenden Seufzer ließ sie sich hochheben und umklammerte Harukas Hüften mit ihren Beinen. Dass sie nun etwas größer war, kam der Künstlerin gerade recht. Sie löste sich für ein kurzes ununterdrückbares Grinsen um Millimeter von den sanften Lippen, um sie gleich darauf wiederzufinden. Harukas feste Umarmung voller Liebe und Geborgenheit gaben ihr Sicherheit. Der von ihr so stürmisch angeführte Kuss wurde ruhiger. Ganz sanft stieß sie mit ihrer Zungenspitzte gegen die geliebten Lippen. Haruka reagierte sofort. Sie ließ sich auf das zärtliche Zungenspiel ein, doch als sie spürte, wie Michirus Leidenschaft wieder die Oberhand zu gewinnen drohte, legte sie mehr Ruhe in den innigen und nie enden wollenden Kuss. Das Licht der Abenddämmerung schimmerte nur noch spärlich auf das Paar, als die Schülerinnen schwer atmend ihre Lippen voneinander lösten. Michiru zog sich mit ihren Beinen noch näher an Haruka heran und schmiegte ihr Gesicht abwesend an das der Leichtathletin. Fest umklammerte sie mit einem Arm deren Nacken, währenddessen ihre andere Hand sanft und langsam über die weiche Wange strich. Haruka hielt ihren Engel sicher im Arm und nahm jede noch so kleine liebevolle Berührung in sich auf. „Ich will dich nicht nachhause bringen. Ich will dich nie mehr her geben, Michiru.“, flüsterte sie nach einer Weile. Michiru öffnete betrübt ihre Augen. „Das wirst du aber müssen. Sonst bekommst du Ärger mit meinem Vater.“, lächelte sie niedergeschlagen. Ihre Geliebte wenigstens noch bis zum Auto zu tragen, ließ sich die Rennsportlerin nicht nehmen. Schon als die Schwimmerin an ihr herab rutschte, vermisste sie die Nähe zu ihr. Nur einen zärtlichen Kuss wollte sie ihr geben, bevor sie sich hinters Steuer setzen würde. Doch es kostete einiges an Konzentration, um sich wieder von Michiru lösen zu können. Die hatte das Gefühl, sich ihr Leben lang nur für diesen einen Menschen aufgespart zu haben. Und jetzt konnte sie es kaum ertragen, dass sich eben dieser von ihr entfernte und um den dunkelblauen Ferrari schritt. Der Abschied vor Michirus Haustür fiel den beiden noch schwerer. „Wie soll ich nur die Nacht ohne dich überstehen?“, überlegte Michiru nach einem weiteren innigen Kuss, währenddessen sie vorgab, den Kragen der Blondine zu richten. „Mach es wie ich.“, antwortete Haruka lächelnd. „Ich träume jede Nacht von dir. Dann geht die Zeit bis zum nächsten Morgen immer ganz schnell vorbei.“ Skeptisch sah ihr die Künstlerin in die Augen. „Hast du das schon vielen Mädchen gesagt?“ Harukas Gesichtszüge wurden ernst. „Noch keiner. Und es wird auch nie eine andere außer dir hören.“ Irgendetwas in dem Blick der einstigen Frauenheldin gab Michiru Gewissheit. Nur noch ein paar kurze Küsse und sie schaffte es endlich, sich aus Harukas Anziehungskraft zu befreien, und die Stufen bis zu ihrer Wohnung empor zu eilen. Dort angekommen setzte sich Michiru mit geröteten Wangen auf die Treppe, um Luft zu holen und ihren Herzschlag zu beruhigen. Kaioh Toshio saß ungeduldig mit den Fingern auf der Tischplatte trommelnd in der Küche. In ein Gespräch mit seiner Frau vertieft bekam er nicht mit, wie seine Tochter leise den Flur betrat. „Sieh es nicht so eng, Liebling! Michiru ist fast achtzehn. Da ist es völlig normal, dass man nach der Schule nicht gleich nach Hause kommt.“ „Mich beunruhigt nur, dass es sich langsam häuft, Setsu. Ich will nicht, dass sie kurz vor ihrem Abschluss noch abfällt.“ Setsuna rollte mit den Augen. „Das wird sie schon nicht. Immerhin trifft sie Haruka-san auch fast jeden Donnerstag zum Lernen. Und zusammen zu lernen ist noch viel effektiver. Sei nicht immer so besorgt. Ich glaube sogar, Haruka-san hat einen sehr positiven Einfluss auf Michiru. Sie kommt endlich mal raus. Siehst du nicht, wie glücklich sie in letzter Zeit ist?“ Toshio wandte den Blick von seiner Frau ab. Gegen diese Argumente konnte er nichts vorbringen. Das Wohl seiner Tochter stand für ihn immer an erster Stelle. „Du hast ja Recht. Wenn Chiru-chan ausgerechnet mit dieser Rennfahrerin glücklich werden soll, bin ich der letzte, der ihrem Glück im Wege stehen will.“ Michiru hatte sich lautlos an die Wand, die Küche und Flur voneinander trennte, gelehnt und dem Gespräch gelauscht. Bei den letzten Worten ihres Vaters errötete sie. >Mit Haruka glücklich werden?...< Ihr Herz begann erneut zu rasen. Warum eigentlich nicht? In ihren Augen war Haruka perfekt. Unweigerlich strich Michiru mit ihren Fingern über ihre Lippen. Waren sie jetzt eigentlich zusammen? „Chiru-chan! Du kommst aber spät… Warst du noch mit Haruka-san unterwegs?“ Hotaru hatte unbemerkt den Flur betreten und grinste ihre große Schwester breit an, die jetzt noch mehr errötete. „Ähm, ja… Wir…“ „Michiru-chan?“ Toshio hatte die Stimmen seiner Töchter bemerkt und trat, gefolgt von Setsuna, in die Küchentür. Michiru fühlte sich nun sichtlich unwohl. Sie hatte ihre Gedanken noch nicht wieder ordnen können und fühlte sich jetzt irgendwie überfahren. Setsuna durchschaute die unbequeme Lage sofort. „Taru-chan, sind deine Hausaufgaben erledigt?“ Die Neunjährige sah verwundert zu ihrer Mutter. „Klar. Die hab ich längst fertig.“ „Dann geh schon mal vor. Ich komme gleich nach und sehe sie nochmal durch.“ Hotaru runzelte nachdenklich die Stirn, gehorchte aber und ging in ihr Zimmer zurück. Für Toshio genügte ein Blick seiner Frau. Setsuna nickte ihm lächelnd zu, bevor sie ihrer Tochter folgte. Unsicher sah Michiru in die Augen ihres Vaters. „Tut mir leid, dass ich so spät komme, aber ich war-“ „Ist schon gut. Pass nur auf, dass du die Schule nicht vernachlässigst, okay?“ Haruka lehnte bereits mit geschlossenen Augen und dem Kopf in den Nacken gelegt an ihrem Auto, als Michiru die Haustür aufschloss. Zittrig ließ die Violinistin fast ihren Schlüssel aus der Hand fallen. Bevor sie sich in Bewegung setzte, atmete sie tief die frische Morgenluft ein. „Guten Morgen, Ruka-chan.“ Verschlafen aber lächelnd hob Haruka ihre Lider. „Guten Morgen, mein Engel.“ Sie lehnte sich vor, um der Künstlerin, die mittlerweile vor ihr stand, einen kurzen Kuss zu geben. „Hast du mich vermisst?“, fragte die Rennsportlerin grinsend. Michiru wandte gekünstelt eingeschnappt den Blick ab. „Das hättest du wohl gerne.“ Lange musste die Malerin nicht warten, bis sich ihr zwei Arme um den Oberkörper legten. „Das hätte ich wirklich gerne.“ Harukas Stimme so dicht an ihrem Ohr, bescherte Michiru eine Gänsehaut. Sie konnte der unbarmherzigen Anziehungskraft der Läuferin einfach nicht widerstehen. Also drehte sie sich langsam in der Umarmung um und legte Haruka ihre Hände in den Nacken, um die Blondine zu sich hinunter zu ziehen und sie in einen weiteren Kuss zu verwickeln. „Ich glaube, du hast mich doch vermisst.“, stellte Haruka fest, nachdem sie sich sanft gelöst hatte. Mit einem abfälligen Blick legte Herr Hisakawa den letzten Test des Schuljahres auf Harukas Tisch. „Ich hoffe, die blumige Aussicht auf Ihren weiteren Lebensweg wird sich nicht auch noch auf ihre Leistungen in Geschichte auswirken, Tenoh-san.“ Skeptisch blickte die Rennsportlerin auf. „Was? Wieso sollte-… Woher wissen sie von…?“ „Ich kann lesen, Tenoh-san.“ Der Lehrer wandte sich ab, um auch die übrigen Arbeitsblätter auszuteilen, und ließ eine nachdenkliche Haruka an ihrem Platz zurück. Die nächste Unterrichtsstunde begann für die Blondine nicht weniger rätselhaft. Bevor Frau Ogata mit ihrer Stunde begann, beglückwünschte sie der verdutzten Leichtathletin zu ihrem ‚neuen Einstieg in die Szene‘ und wünschte ihr viel Erfolg. „Woher wissen die von meinem neuen Vertrag? Ich hatte noch nicht mal meine offizielle Probefahrt!“ Haruka ließ sich gegen die Wand des Klassenraumes kippen, währenddessen Michiru ihre Unterlagen zusammen packte. „Was ist so schlimm daran? Ich dachte, dein Vertrag ist dir schon so gut wie sicher…“ „Ja, schon… Aber ich wollte nicht, dass der Medienrummel jetzt schon los geht. In Nagoya haben mich die Journalisten quasi auf Schritt und Tritt verfolgt. Und wenn die Lehrer schon Bescheid wissen, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Paparazzi mir wieder hinterher hecheln.“ Die Blondine schloss seufzend die Augen. Nur Sekunden später fühlte sie, wie sich ihr zwei warme Hände in den Nacken schoben und sie erneut in einen zärtlichen Kuss gezogen wurde. „Du bist eine Schwarzmalerin, Ruka. So schlimm wird es schon nicht.“ Die sanfte Melodie in Michirus Stimme zog wie eine Welle durch Harukas Kopf. Mit immer noch geschlossenen Lidern umarmte sie die Künstlerin, bis leise Seufzer und ein aufdringliches Räuspern sie aufschrecken ließ. „Sowas Süßes habe ich zuletzt im Kino gesehen. Erinnerst du dich, Junko-chan? Diese amerikanische Schnulze.“ Kikyo, Junko und Katashi waren neben Haruka und Michiru die Letzten im Klassenraum. „Ja, ich weiß, welchen du meinst. Wie hieß der noch gleich…?“ Junko legte nachdenklich die Stirn in Falten. „Ihr seid doch nur neidisch.“ Breit grinsend löste sich Haruka von ihrem Engel, der sie etwas verlegen, aber verliebt anlächelte. „Ja, bestimmt. Du brichst mir das Herz, Ruka! Ich dachte immer, aus uns könnte das perfekte Paar werden!“, flötete Katashi und wischte sich eine imaginäre Träne aus den Augen. „Du bist blöd, Kusaka-kun!“ Junko stieß ihrem Mitschüler einen Ellenbogen in die Seite, bevor sie, gefolgt von den anderen, den Weg zur Cafeteria einschlug. „…Wundert mich trotzdem, dass die Lehrer schon Bescheid wissen.“, murmelte Haruka vor sich hin. „Was wissen die?“, fragte Katashi. „Woher wissen die, dass ich einen neuen Vertrag unterschrieben habe? Du hast es doch nicht rumerzählt, Kusaka?!“ Die Blondine sah ihrem Mitschüler durchdringend in die Augen. „Ich? Nee. Keine Ahnung, wer damit an die Presse gegangen ist.“ Kurz kramte der Dunkelhaarige in seiner Tasche und zog dann den Sportteil der Tageszeitung heraus. Mit geweiteten Augen riss Haruka ihm die Titelseite aus der Hand. „Das kann doch nicht sein!“ Michiru streckte sich, um seitlich auch einen Blick auf die Schlagzeile zu werfen und vorzulesen: „‚Rennlegende wechselt die Seiten –Frauenheldin Tenoh Haruka, ehemals bekannt als Touma Haruka, aus Nagoya taucht nach Monaten in Tokio auf, um mit neuem Rennstall durchzustarten‘ Was? Vielleicht hat dein Sponsor geplaudert…“ „Das glaube ich nicht. Er hat zwar gesagt, es wäre ihm egal, aber er konnte auch verstehen, dass ich es nicht wollte. Jedenfalls noch nicht. Und nicht so! ‚Noch ist unklar, warum die Rennfahrerin Nagoya überhaupt verlassen hatte… Noch keine Stellungnahme von Vormund Touma Hikaru…‘ Was soll der Mist?“ Katashi entglitt ein Raunen, als Haruka knurrend seine Zeitung zerknüllte. Mit Harukas Konzentration war es fürs Erste vorbei. Erst auf dem Weg zur Schwimmhalle gelang es Michiru, ihre Freundin auf andere Gedanken zu bringen. „Wir haben bald Notenschluss. Was hältst du davon, wenn wir nachher nur unsere Hausaufgaben machen, vielleicht ein bisschen Japanisch-“ (an dieser Stelle konnte sich Haruka ein kleines Zischen nicht verkneifen) „und Mathe üben, und du mich dann für eine Weile entführst und die Schule und den Medienrummel vergisst?“ Haruka zuckte überrascht mit den Augenbrauen. Auf dem Parkplatz der Schwimmhalle angekommen, schnallte sie sich ab, um sich zu ihrer Beifahrerin herüber lehnen zu können. „Solche Ideen hätte ich dir gar nicht zugetraut, mein Engel.“, schnurrte sie, bevor ihr Michiru entgegen kam, um ihr den erwarteten Kuss zu geben. Am nächsten Morgen wurde Michiru bereits in der Küche erwartet. Haruka hatte sie pünktlich zum Abendbrot nach Hause gebracht und da sie ihre Hausaufgaben bereits erledigt hatte, hatte sich Toshio nicht weiter beschwert. Doch nun saß er, die Hände gefaltet und mit abwesendem Blick, am Küchentisch und auch Setsuna sah irgendwie bedrückt aus. Dieser Anblick gefiel Michiru gar nicht. Mit einem vorsichtigen „Morgen…“ setzte sie sich zu den Erwachsenen. „Ich verstehe, dass sie dir viel bedeutet. Und dass du glücklich bist, ist mir das Wichtigste auf der Welt.“, begann ihr Vater, „Aber ich will nicht, dass sie dich jetzt schon da mit reinzieht! Du bist erst 17 und stehst kurz vor deinem Abschluss. Ich kann nicht zulassen, dass sie dich mit in ihr Rampenlicht zieht.“ Michiru legte die Stirn in Falten und sah fragend zu Setsuna. „Michiru, du weißt doch, wie das läuft. Wie viele Menschen sind mit dem plötzlichen Ruhm schon nicht klargekommen und abgestürzt? Wir wollen nicht, dass du von der Presse zerrissen wirst.“ Diese Antwort verschaffte Michiru nicht gerade Klarheit. Also schob Toshio seiner Tochter die Tageszeitung zu. Auf der Titelseite war nicht nur Haruka zu sehen. In der unteren rechten Ecke sah Michiru in ihre eigenen Augen. „Woher haben die-…?“ Jetzt wanderte Michirus Blick zur Schlagzeile: ‚Die neue Frau an der Seite der Frauenheldin‘ Michiru schluckte. „Woher wissen die, wer ich bin? Und dass ich mit Haruka zusammen bin?...“ Ihr Blick hing immer noch an ihrem Bild, bis sich Setsunas Hand davor schob. Langsam blätterte sie in der Zeitung, um die Klatschseite aufzuschlagen. Michirus Augen weiteten sich. Sie erkannte sich selbst im Arm ihrer Freundin liegend. Das junge Paar hatte nur Augen für einander. Sie hatten gar nicht bemerkt, wie sie am gestrigen Abend in der Bucht von Tokio beobachtet und auch noch fotografiert worden waren. Bei dem Gedanken, dass ihnen irgendein Paparazzi für diesen intimen Augenblick aufgelauert hatte, wurde der jungen Violinistin ganz schlecht. Es herrschte einige Minuten Stille, bis Toshio zu seufzen begann: „Bleibst du bei ihr, stehst du in der Öffentlichkeit. Diese Geier sind skrupellos. Jeden Schritt, den du machst, jeden Fehler, den du begehst, werden sie beobachten. Verabschiede dich von Haruka, oder verabschiede dich von deiner Privatsphäre. So sieht´s aus.“ Setsuna schüttelte bei den klaren Worten ihres Mannes den Kopf. Sie konnte den Gedanken daran, dass die erste große Liebe ihrer Stieftochter so zu Ende gehen sollte, nicht ertragen. Fürsorglich legte sie ihr eine Hand auf die Schulter. „Egal, wofür du dich entscheiden wirst, wir stehen hinter dir.“ Haruka hatte von den neuesten Schlagzeilen nichts mitbekommen. Zu wenig hatte sie in der letzten Nacht geschlafen, sodass sie nun gähnend ihren Kopf auf ihren verschränkten Armen ablegte, die ihrerseits auf dem Dach des dunkelblauen Ferraris ruhten. Als sie das leise Klicken der Haustür hörte, begann sie zu grinsen. Doch der Morgengruß ihres Engels hörte sich nicht so liebevoll an, wie sie erwartet hatte. Haruka sah besorgt auf. „Ist irgendwas passiert?“ Michiru sah noch einen Moment lang in die vertrauten grünen Augen, bevor sie lächelnd den Kopf schüttelte. „Erzähl ich dir später. Lass uns erst mal zur Schule fahren, ok?“ Bevor sie einstieg, gab sie der überraschten Rennsportlerin einen auffällig innigen Kuss. Kaum auf dem Parkplatz des Schulhofes angekommen, dirigierte Michiru ihre Freundin gezielt zum Musikraum. „Jetzt erzähl schon, was los ist!“, nörgelte die Leichtathletin nun, doch sie bekam nur ein Kopfschütteln. „Wenn du es noch nicht weißt, dann will ich auch noch nicht darüber reden.“ Harukas Verwunderung stieg weiter an, als sich die Violinistin auf ihren Schoß setzte und sich an sie kuschelte. Grübelnd schloss sie den zierlichen Körper in ihre Arme. Blicke, die Haruka auf dem Schulhof folgten, und Getuschel, das während der Frühstückspause durch die Korridore hallte, wurden gekonnt von der Pianistin ignoriert. Nur Michiru beunruhigte das Stimmengewirr, das auch ihr auf Schritt und Tritt zu folgen schien. Nervös umherblickend machte sie sich nach ihrer Psychologiestunde auf den Weg zum Hauswirtschaftsraum. Haruka war nur kurz vorher angekommen. Dass ihre Freundin von Stunde zu Stunde aufgebrachter wurde, entging ihr nicht. Doch noch immer wollte die ihr nicht antworten. Als es zur Mittagspause klingelte, wollte die Läuferin weiter nachhaken, aber gerade, als sie an die Künstlerin herangetreten war, ertönte eine hämische Stimme hinter ihr: „Na, wie schmeckt der Ruhm?“ „Halt die Klappe, Kawashima.“, entgegnete Haruka genervt. „Ich habe nicht mit dir gesprochen, Tenoh.“ Hiro warf seiner Konkurrentin einen abwertenden Blick zu. Dann grinste er Michiru zu: „Ich habe mit unserer bildschönen Geigerin gesprochen. Wie ist es, plötzlich so im Rampenlicht zu stehen?“ Fragend sah nun auch Haruka in das Gesicht der Schwimmerin. „Was geht dich das an?!“, antwortete Michiru kühl. Ohne ihrem Mitschüler noch einen Blick zu schenken, schulterte sie ihre Tasche, und nahm Harukas Hand, um sie nach draußen zu ziehen. „Jetzt sag es mir endlich!“ Michiru überlegte noch einen Moment, schüttelte dann jedoch ihren Kopf. Langsam zog sie die Zeitung aus ihrer Tasche, die ihr ihr Vater am Morgen zugeschoben hatte. Haruka wurde von Abschnitt zu Abschnitt wütender. Aufgebracht tigerte sie hin und her, bis sie den letzten Satz gelesen hatte. Wie schon am gestrigen Tag zerknüllte sie das Papier. „Was nehmen die sich raus?! Ich habe noch nicht ein Interview gegeben, nicht ein Journalist hat mit mir gesprochen und schon jetzt ziehen die dich da mit rein! Was bilden die sich überhaupt ein?!“ Michirus Augen folgten der gehetzten Blondine. Schließlich gab sich die Künstlerin einen Ruck, um sich ihr in den Weg zu stellen. Indem sie das Gesicht ihrer Freundin mit beiden Händen umschloss, zwang sie Haruka dazu, sie direkt anzusehen. „Es ist mir egal, was die über mich schreiben. Es interessiert mich nicht.“ Haruka schüttelte den Kopf. „Nein. Du weißt nicht, wie die sind. Die rauben dir dein Privatleben. In Nagoya war ich ein Star. Jetzt haben die mich nach Wochen hier in Tokio gefunden. Mit dir an meiner Seite! Es gab genug Skandale um mich. Die warten nur darauf, den nächsten aufzudecken. Ich kann nicht zulassen, dass die dich da mit reinziehen.“ Michiru erschrak fast über die Ernsthaftigkeit, die in Harukas Stimme lag. „Das interessiert mich alles nicht.“ Sie reckte sich, um der Rennsportlerin einen sanften Kuss zu geben. Nur für einen kurzen Augenblick wollte Haruka ihre Sorgen vergessen. Doch kaum hatte sie ihre Arme um den schlanken Körper ihres Engels gelegt, ertönte lauter werdendes Stimmengewirr. „Probt ihr fürs nächste Titelbild?“ Hiro blieb wenige Meter von dem Paar entfernt stehen. „Was hast du für ein Problem, Kawashima?“ Genervt löste sich Haruka von ihrer Freundin. „Vielleicht deine Arroganz, Tenoh. Vielleicht dein Gehabe. Vielleicht kann ich dich aber auch einfach nur nicht leiden.“ Hiro trat mit verschränkten Armen dichter an die Athletin heran. „Was für ein Gehabe? Ich bin nicht derjenige, der hier wie der Hengst durch einen Stutenstall stolziert.“ Haruka ahmte seine angespannte Körperhaltung nach. „Nein. Immerhin hast du deine Stute schon gefunden.“ Der Blick des Dunkelhaarigen wanderte kurz zu Michiru. Haruka bekam eine Gänsehaut, als sie eine ähnliche Verachtung in seinem Blick erkannte, die auch Hikaru ihr gegenüber immer gezeigt hatte. Schützend stellte sie sich vor Michiru und knurrte: „Wag es nicht, auch nur ein Wort über Michiru zu verlieren!“ Hiros abwertender Blick wanderte zurück zu seiner Kontrahentin. „Was, wenn ich es doch wage? Du stehst voll im Rampenlicht, Tenoh. Was würde dein neuer Sponsor sagen, wenn du schon wieder Schlagzeilen lieferst?“ Mit einer dramatischen Geste untermalte er seine Worte: „‚Frauenheldin Tenoh verwickelt in Schlägerei um neue Schickse – Mätresse Kaioh bringt die wahre Seite des Rennstars zum Vorschein‘“ Ryo, der stämmig gebaute Junge, der eigentlich immer zu Hiros Rechten stand, schnaubte verächtlich und stieß dem anderen kräftig gebauten Bodyguard Hiros, Kosaru, grinsend in die Seite. Das war genug für Haruka. Ohne darüber nachzudenken, wo sie sich gerade befand, griff sie Hiros Kragen und schleuderte das Großmaul zu Boden. Kosaru und Ryo wollten sofort auf die Sportlerin losgehen, aber ihr Anführer stand schon wieder auf den Beinen und stieß sie zur Seite. „Du nimmst dir zu viel raus Tenoh! Hast wohl noch nicht oft genug Schläge bekommen, was?!“ Mit wenigen Schritten stand er wieder vor der Blondine und bohrte seinen Zeigefinger in Harukas Schlüsselbein. Diese schlug seine Hand von sich und griff erneut in das weiße Hemd. „Ich sagte, du sollst Michiru da raus lassen! Ich bin nicht mit ihr zusammen, verstanden? Sie ist nicht meine Freundin. Nichts von dem, was in den Zeitungen steht, ist wahr. Sie hat nicht mehr mit mir zu tun, als Kikyo-san, kapiert?“ Abermals stieß sie den Dunkelhaarigen von sich, der diesmal jedoch von Ryo aufgefangen wurde. „Michiru-san…“ Narumi hatte sich die ganze Zeit über zurückgehalten, sodass Haruka sie kaum bemerkt hatte, doch jetzt lief die Brünette erst an den Jungs und schließlich noch an der Rennsportlerin vorbei. Irritiert sah ihr Haruka nach. Sie lief direkt auf Michiru zu, die selbst Haruka mit großen Augen anstarrte. „Michiru… Ich meinte doch nur… Ich wollte nicht…“ Doch die Violinistin griff kopfschüttelnd nach ihrer Tasche. Die aufsteigenden Tränen unterdrückend rannte sie an Haruka vorbei in Richtung des Schulgebäudes. „Michiru-san, warte!“ Narumi warf den Streithähnen abwechselnd Blicke zu, murmelte: „Idioten.“, und folgte ihrer ehemals besten Freundin. „Ach verdammt!“ Haruka verschränkte die Hände hinter ihrem Kopf >Super, Tenoh! Richtig Scheiße gebaut!< „Weiber, was Tenoh?“, grinste Hiro arrogant. „Halt´s Maul!“ Haruka schulterte ihren Rucksack, um ebenfalls davon zu stürmen, wobei sie es sich nicht entgehen ließ, ihre eigene Schulter gegen die ihres Konkurrenten zu stoßen, der damit aus dem Gleichgewicht gebracht wurde und kurz taumelte. Zuerst steuerte Haruka die Mädchentoilette an, doch hier war weder Michiru, noch Narumi. Also suchte sie die Korridore ab, die zum Matheraum führten, aber auch dort war keine der jungen Frauen zu finden. Nachdem sie auch bei den Musikräumen vergebens gesucht hatte, kehrte Haruka zurück ins untere Stockwerk. Egal, wie sehr sie Michiru auch verletzt hatte, würde sie doch sicher zur Mathestunde kommen, oder nicht? Narumi kannte ihre langjährige Freundin gut genug, um zu wissen, wohin sie sich in so einer Situation zurück ziehen würde. Als sie die letzte Treppe, die zum Kunstatelier führte, erreicht hatte, setzte sich Michiru gerade auf die oberste Stufe. „Es tut mir leid, Michiru-san. Ich wollte nicht, dass sich Hiro einmischt, aber er hat mich einfach ignoriert…“, erklärte die Brünette, als sie vor der Weinenden niederkniete. Michiru begann leise zu schluchzen. „Kawashima interessiert mich überhaupt nicht. Aber Haruka-… Sie-…“ Michiru brach ab. Vorsichtig legte Narumi ihre Hände auf die Knie der Künstlerin. „Das hat sie sicher nicht so gemeint.“ „Und ob! Sie hat es gesagt, und sie hat es so gemeint. Ich war so dumm! Wie konnte ich so naiv sein?!“ >Sie verpasst tatsächlich den Unterricht!?< Fassungslos lehnte sich Haruka zurück, als Frau Ogata ihre Stunde eröffnete. Erst als die Ergebnisse der Hausaufgaben verglichen waren, klopfte es leise an der Tür und Michiru betrat, gefolgt von Narumi, das Klassenzimmer. „Entschuldigen Sie bitte, Sensei, aber mir war übel und Hara-san hat sich um mich gekümmert.“ Die Lehrerin sah die Schülerinnen durchdringend an, nickte aber schließlich verstehend. Michiru durchquerte mit gesenktem Blick den Raum. Sie spürte, wie sie von Haruka beobachtet wurde. Als sie sich gesetzt hatte, atmete sie tief durch, um der Blondine dann direkt ins Gesicht zu sehen. Sie sollte erkennen, wie sehr sie die Violinistin verletzt hatte. Sie sollte die Spuren der Tränen auf ihren Wangen sehen. Für Haruka fühlte sich der verachtende Blick wie ein Stich ins Herz an. Zeitgleich mit dem Klingeln zum Stundenende schob Haruka ihre Unterlagen in ihren Rucksack, doch Michiru war schneller. Auf dem Korridor lief Haruka ihrer Mitschülerin nach. „Warte, Michiru! Ich hab es nicht so gemeint.“ Sie griff nach der Hand der Violinistin, die sich daraufhin ruckartig zu ihr umdrehte. „Doch, das hast du. Mach mir nichts vor!“ Kopfschüttelnd riss sie sich los. „Ich habe dir nichts vorgemacht, Michiru! Ich wollte nur-“ „Was wolltest du? Ein Mädchen für Zwischendurch? Einen Zeitvertreib, bis dir der Ruhm die nächsten Weiber in die Arme spült? Mir das Herz brechen? Ich gratuliere, Tenoh Haruka. Letzteres hast du jedenfalls geschafft.“ Geschockt starrte Haruka in die zutiefst enttäuschten türkisblauen Augen. Wortlos sah sie zu, wie sich die Malerin von ihr abwandte und weiter Richtung Ausgang schritt. Kurz bevor diese die Tür des Schulgebäudes erreicht hatte, wurde sie von der Athletin überholt. Haruka stellte sich in den Türrahmen und versperrte ihr so den Weg. „Jetzt hör mir doch mal zu! Es tut mir leid. Ich wollte dich nie verletzten. Ich wollte dich nur beschützen!“ „Wovor beschützen, Haruka?! Vor Kawashima und seinen dummen Sprüchen? Damit komme ich klar. Nur mit dir nicht! Ich brauche deinen Schutz nicht! Und noch weniger dein Mitleid. Du hattest deinen Spaß mit mir. Jetzt tu mir bitte den Gefallen, und mach es mir nicht schwerer, als es ohnehin schon ist.“ Erneut spürte Michiru Tränen in sich aufsteigen, doch dieses Mal waren es Hasstränen, die sich ihren Weg zu bahnen versuchten. Ihr Blick ließ Haruka fast verzweifeln. Was hatte sie nur angerichtet? Ganz eindeutig hatte die Violinistin kein Ohr mehr für sie. Also trat sie direkt vor Michiru und versuchte, sie in eine Umarmung zu ziehen. Mit wässrigen Augen wehrte sich die Künstlerin. Doch um die maskuline Blondine von sich zu drücken, fehlte ihr die Kraft. Harukas Duft vernebelte ihr augenblicklich die Sinne und heiße Tränen fanden endlich ihren Weg. „Warum tust du mir das an, Haruka? Warum tust du mir so weh?“, flüsterte sie und spürte, wie die Umarmung noch fester wurde. Für einen kurzen Moment schloss sie ihre Augen. Dann gab sie sich einen Ruck und löste sich fast gewaltsam von Haruka. Ohne ein weiteres Wort schob sie sich an der Rennsportlerin vorbei und lief zur Bushaltestelle. Haruka starrte ihr teilnahmslos nach. Schüler stürmten an ihr vorbei. Doch erst nach Minuten setzte auch sie sich langsam in Bewegung. Kapitel 18: ------------ Kapitel 18 Haruka trottete niedergeschlagen über den Schulhof. >Du bist so ein Vollidiot! Wie kannst du sie nur so verletzen?! Wieso hast du es ihr nicht erklärt?!< Scheppernd wie ein Donnerschlag knallte die Tür ihres Autos ins Schloss, nachdem sie sich hinters Steuer gesetzt hatte. Sie verschränkte ihre Arme auf dem Lenkrad und legte ihre Wange auf ihnen ab. Das Knallen ihrer Wagentür war wohl nicht unbemerkt geblieben, denn schon nach wenigen Augenblicken spürte Haruka, wie sie von neugierigen Schülern gemustert wurde. Ein leises Klingeln riss sie aus ihren Gedanken. „Ruka-chan? Wo bleibst du denn? Ich denke, du wolltest mich abholen?!“ „Bin gleich da…“, antwortete Haruka mechanisch und legte auf, ohne sich von ihrer Schwester zu verabschieden. Nach einer für sie viel zu kurzen und vor allem viel zu langsamen Fahrt auf dem Highway erreichte Haruka den vereinbarten Treffpunkt. Minako fiel ihr sofort freudestrahlend um den Hals. Vor Euphorie bemerkte sie zunächst nicht, wie deprimiert ihre große kleine Schwester war. Erst nachdem sie über ihren stressigen Arbeitstag geplaudert und sich ungefragt auf den Beifahrersitz gesetzt hatte, stutzte sie. Haruka hatte ein künstliches Lächeln aufgesetzt, als sie den Motor startete. „Ruka-chan, geht es dir nicht gut? Freust du dich nicht, mich zu sehen?“ Harukas Seufzer war unvermeidbar. Traurig lächelte sie ihrer Beifahrerin zu: „Natürlich freue ich mich! Es ist nur…“ Sie brach ab. „Nichts…“ Ein Kloß hatte sich in ihrem Hals gebildet, also ordnete sie sich auf der dichtbefahrenen Straße ein und nahm Kurs auf ihre Wohnung. Minako begann zu grinsen. „Noch lieber als mit deiner Schwester hättest du das Wochenende wohl mit deiner Freundin verbracht, stimmt´s?“ Sie bekam keine Antwort. Stattdessen erkannte sie, wie die Sportlerin die Zähne aufeinander biss. Nachdenklich legte sie die Stirn in Falten. Haruka trat aufs Gas, also entschied sich die aufsteigende Journalistin dazu, mit ihren Fragen zu warten, bis die Rennfahrerin in ihrer Tiefgarage geparkt hatte. Schweigend standen die beiden Blondinen nebeneinander im Fahrstuhl. Als der Lift im Penthouse hielt, stieg Haruka aus, um die Reisetasche ihrer Schwester ins Wohnzimmer zu bringen. Minako folgte ihr zögerlich. Ihre Neugierde um die moderne Wohnung ließ sich kaum zügeln, aber die Sorge um ihren Schützling, der gut einen Kopf größer als sie selbst war, war stärker. Den durchdringenden Blick auf die Leichtathletin gerichtet setzte sie sich aufs Sofa. Haruka wich ihrem Gast lieber aus. „Kann ich dir was zu Trinken anbieten?“ „Nein, ich will nichts. Haruka, raus mit der Sprache!“ „Was denn?“ Zu gerne hätte sich Haruka jetzt eine Weinflasche gegriffen, sich auf den Balkon gesetzt und den restlichen Tag damit verbracht, in Selbstmitleid und Schuldgefühlen zu zerfließen. „Du kannst mir nichts vormachen. Ich kenne dich schon dein Leben lang. Was ist passiert? Ist was mit… Wie hieß sie noch gleich…?“ „Sie heißt Michiru.“, antwortete Haruka. „Und ich glaube, ich habe mit ihr Schluss gemacht. Oder so…“ Minako hob überrascht die Augenbrauen. „DU hast mit IHR Schluss gemacht? Und darüber bist du so deprimiert? Das sieht dir ja überhaupt nicht ähnlich…“ Den Kopf schüttelnd begann Haruka, im Wohnzimmer auf und ab zu tigern. „Weil ich es nicht wollte! Sie ist anders, Mina! Ich wollte mit ihr zusammen sein. Nur mit ihr. Ich will nur noch sie…“ Jetzt war Minako völlig überrascht. „Sowas hast du ja noch nie gesagt. Hast du Fieber? Bist du auf den Kopf gefallen? Oder wirst du plötzlich allen Ernstes erwachsen?“, grinste sie neckisch. „Das ist nicht witzig, Mina! Michiru bedeutet mir alles! Ich liebe sie. Ich bin verrückt nach ihr und will sie nie wieder hergeben. Und jetzt hab ich es versaut. Ich hab sie verletzt. Sie sagt, ich hätte ihr das Herz gebrochen…“ Haruka ließ sich bäuchlings auf ihre Sofalandschaft fallen und drückte ihr Gesicht in eines der Kissen. „Hast du gerade gesagt, du liebst sie?! DU hast dich verliebt?“ Ungläubig blinzelte Minako die einstige Herzensbrecherin an. Diese drehte schnaubend den Kopf und starrte auf die kahle Wand neben dem Sofa. „Und wieso hast du dann Schluss gemacht?“ Haruka stützte sich auf die Unterarme, um ihrer Schwester einen finsteren Blick zu zuwerfen. „Ach komm. Als hättest du die Schlagzeilen nicht gelesen. Ich habe noch nicht ein Interview gegeben und schon jetzt war Michiru auf der Titelseite! Ich will nicht, dass die sie durchleuchten. Das hält sie nicht durch. Du weißt, wie die sind! Und solange wir keinen Skandal liefern, werden die bohren und suchen, bis sie was gefunden haben. Was, wenn die Michiru mit denen gleichsetzen, die ich früher hatte? Was, wenn die schreiben, sie wäre auch nur eine meiner Schicksen? Sie hat gesagt… Sie meinte, sie wäre für mich nur ein Zeitvertreib gewesen. Nur ein Übergang, bis sich mir die nächsten Weiber an den Hals werfen…“ „Aber das war sie nicht, oder?“ „Natürlich nicht! Ich will nie eine andere haben! Aber was, wenn diese Skandalhaie genau das in die Zeitungen setzen? Dann wird jeder so denken. Und das will ich ihr nicht antun. Das kann ich ihr nicht antun.“ Haruka hatte nicht bemerkt, wie sie beim Reden immer lauter geworden war. Sie spürte, wie der Knoten in ihrer Brust wuchs. Ihr Hals begann heiß zu brennen, und bevor sich die erste Träne ihren Weg bahnte, drückte sie ihr Gesicht wieder in ihr Kissen. Für einen Moment war Minako sprachlos. So hatte sie ihre kleine Schwester noch nie gesehen. Minako seufzte. Sie wusste, dass es nicht leicht für Paare war, die im Rampenlicht standen. Immerhin war sie selbst Teil des Medienzirkus. Einen Moment sah sie zu, wie Haruka versuchte, ihre Tränen zu unterdrücken. Dann stand sie auf und suchte die Wohnung nach der Küche ab. Es dauerte eine Weile, bis sie alles gefunden hatte, was sie zum Teekochen brauchte. Mit zwei Tassen in den Händen kehrte sie zum Sofa zurück und setzte sich wieder. Haruka roch sofort, welche Sorte sie gewählt hatte. Es war der gleiche Tee, den sie immer brühte, wenn es ihr schlecht ging. „Mit Honig?“, murmelte Haruka in ihr Kissen. „Sogar zwei Löffel.“, antwortete Minako lächelnd. Haruka stemmte sich hoch und rutschte auf allen Vieren auf dem Polster entlang an ihre Schwester heran. Mit beiden Händen umschloss sie die Tasse und nippte an dem dampfenden Getränk. Vorsichtig begann Minako: „Ich glaube, du übertreibst.“ Erneut warf ihr Haruka einen finsteren Blick zu. „Ich meine, du stehst nun mal in der Öffentlichkeit. Das ist eben so. Und das wird sich auch nicht ändern. Und was meinst du, wird in den Zeitungen stehen, wenn du dich plötzlich von ihr trennst? Glaubst du etwa, die werden schreiben, du wolltest sie nur schützen? So werden die sich erst recht die Mäuler über euch zerreißen.“ Haruka kniff die Augenbrauen zusammen. Das hatte sie nicht erwartet. Nachdenklich schwenkte sie ihre Tasse. Plötzlich stand sie entschlossen auf. „Was hast du vor?“, fragte Minako überrascht. „Na was wohl?“ Mit einem leisen Pling setzte die Athletin ihre Tasse auf dem Wohnzimmertisch ab und steuerte auf den Flur zu. „Dickschädel.“, murmelte Minako ihr nach, bevor sie selbst aufstand. „Du kannst doch nicht einfach zu ihr fahren! Du sagst, du hättest ihr das Herz gebrochen. Glaubst du, sie würde dich sehen wollen, wenn du jetzt einfach so bei ihr klingelst? Sie wird dir die Tür vor der Nase zu schlagen und sich die Augen ausweinen. Mehr nicht.“ Haruka stoppte. „Und was soll ich deiner Meinung nach tun?“ „Du schreibst ihr, dass du es nicht so gemeint hast. Und dass du mit ihr reden musst. Und dass… Ach, gib mir einfach dein Handy!“ Das geräuschvolle ins Schloss fallen der Wohnungstür ließ Setsuna aufhorchen. Schnelle Schritte hallten durch den Flur und erneut wurde eine Tür zugeworfen. Ohne zu zögern ließ sie das Besteck, das sie gerade begonnen hatte abzuwaschen, ins Spülbecken fallen, trocknete sich die Hände ab und folgte der offenbar Aufgebrachten. Zaghaft klopfte sie an die Zimmertür. Keine Antwort war zu hören. Also klopfte sie erneut. Immer noch keine Antwort. Erst nach dem dritten Versuch ertönte ein gebrochenes „WAS?!“. Setsuna schluckte. Nie hatte sie ihre Stieftochter in irgendeiner Weise aggressiv erlebt. Jetzt hörte es sich so an, als wollte die Violinistin jeden erschlagen, der ihr zu nahe kam. Vorsichtig drückte sie die Klinke und spähte ins Zimmer. „Darf ich reinkommen?“, fragte sie leise. Michiru lag zusammengerollt auf ihrem Bett. Teilnahmslos starrte sie in Richtung des Fensters. „Mir egal.“ Für einen kurzen Moment zögerte Setsuna noch. Dann trat sie ein und setzte sich geräuschlos neben Michiru. Die Künstlerin atmete ruhig und flach, und nahm keine weitere Notiz von der fürsorglichen Frau, die sie besorgt ansah. „Möchtest du mir erzählen, was passiert ist?“, fragte Setsuna schließlich sanft. „Haruka hat mich abgeschoben.“ Die Antwort kam leise, aber klar und deutlich. Nach einem Seufzer setzte sich die Dunkelhaarige auf, rutschte bis an das Kopfende des Bettes und lehnte sich an den hölzernen Rahmen. „Darf ich fragen, warum?“ Michiru kauerte sich noch weiter zusammen. „Für sie waren wir nie zusammen. Kawashima kam zu uns, als ich ihr den Artikel über uns gezeigt habe. Dann haben sich die beiden mal wieder gestritten und dabei hat sie ihn angebrüllt, ich würde ihr nicht mehr bedeuten als Kikyo-san.“ Langsam drehte sie sich zu ihrer Stiefmutter. „Sie hat wirklich ganz offen gesagt, dass wir nie zusammen waren.“ Verzweifelt blickten türkisfarbene Augen in granatrote. Michirus Sicht verschwamm. Ohne jeglichen Versuch, die Tränen zu unterdrücken, begann sie zu weinen. „Warum sagt sie sowas, Setsuna?! Wieso tut sie mir so weh?! Wieso?!“ Einladend streckte Setsuna eine Hand aus, die ihr Schützling annahm, um sich in die Arme der Älteren zu ziehen. Schluchzend vergrub sie ihr Gesicht in Setsunas Bluse. „Das kann ich dir nicht sagen.“ Zärtlich strich Setsuna durch das türkisfarbene Haar. Eine Zeit lang herrschte Stille, bis sie leise flüsterte: „Es tut mir so leid. Ich wünschte, ich könnte sagen, der Schmerz ginge schnell vorbei, aber das wird er nicht.“ Michiru waren mittlerweile die Tränen ausgegangen. Abwesend starrte sie vor sich hin. Erst nach einer halben Stunde war erneut das Klicken der Wohnungstür zu hören, woraufhin die Künstlerin ihren Kopf anhob. „Bleib ruhig hier. Ich mach das schon.“, lächelte Setsuna sie sanft an, bevor sie sich vom Bett schob und das Zimmer verließ, um ihren Mann und ihre gemeinsame Tochter in Empfang zu nehmen und sie davon abzuhalten, Michiru aufzusuchen. Wieder allein drehte sich Michiru zurück auf die Seite, um weiter aus dem Fenster zu starren. Ein kurzes, schrilles Klingeln ließ sie zusammen zucken. Es dauerte noch einige Atemzüge, bis sie sich dazu entschied, auf ihr Handy zu sehen. >Lesen oder gleich löschen?< Das Telefon landete mit einem dumpfen Ploppen auf der Matratze. Wieder füllten sich Michirus Augen mit Tränen. Doch diesmal atmete sie tief durch und beschloss schließlich, Harukas SMS doch zu öffnen. ‚Es tut mir leid, mein Engel! Ich hatte nie die Absicht, dich zu verletzen. Es gibt keinen Menschen, der mir auch nur annähernd so wichtig ist wie du! Jedes einzelne Wort, das ich gesagt habe, fühlte sich wie ein Stich in mein eigenes Herz, wie Hochverrat an. Bitte gib mir die Chance, alles zu erklären. Auch wenn ich sie eigentlich nicht verdient habe. Bitte ignorier mich nicht. Auch wenn du allen Grund dazu hättest. Schenk mir nur ein paar Minuten. Vielleicht kannst du mein unverzeihliches Handeln dann verstehen. Schenk mir bitte nur diese eine Chance, Michiru!‘ „Und du glaubst, das ist besser, als einfach zu ihr zu fahren?“ „Vertrau mir, Haruka. Ich kenn mich aus mit Mädchenkram.“ Minako überflog noch einmal die SMS, währenddessen ihr Haruka über die Schulter schaute. „Okay…“ Einen kurzen Moment zögerte Minako doch, bis sie endlich auf ‚Senden‘ drückte. Harukas Blick folgte ihrem eigenen Handy bis zum Wohnzimmertisch. „Und jetzt?“ „Hm… Kino?“, grinste Minako fast bettelnd. Harukas Mimik sprach Bände. „Sie wird eh nicht gleich antworten. Lass ihr Zeit. Wir haben uns ewig nicht gesehen. Ein bisschen will ich dieses Wochenende auch genießen…“, beschwichtigte sie Minako. Der Tonfall der Journalistin duldete keine Widerrede. Minako hatte eindeutig Spaß an dem neuverfilmten Manga, der auf der Großbildleinwand zu sehen war, doch Haruka bekam von dem Spektakel nur wenig mit. Sie strengte sich wirklich an, doch die Geschichten ihrer Schwester kamen nur dumpf in ihrem Kopf an. Während eines unerträglich langanhaltenden Dinners ertönte endlich das erlösende Klingeln. Immer und immer wieder las Michiru die Nachricht auf ihrem Handy. Mal lief sie dabei in ihrem Zimmer auf und ab, mal kauerte sie sich weinend zusammen, und einige Male war sie versucht, aus der Wohnung zu stürmen und einfach durch die Straßen Tokios zu laufen. Gerade hatte sie sich im Schneidersitz an das Fußende ihres Bettes gesetzt und starrte auf den hellen Bildschirm, als es leise an der Tür klopfte und eine sanft lächelnde Setsuna hereinblickte. „Stör ich?“ Michiru schüttelte kaum merklich den Kopf. Ihren Blick konnte Setsuna nicht deuten, also trat sie näher heran und präsentierte einen kleinen Teller mit dem heutigen Abendbrot. „Ich dachte, du willst vielleicht lieber hier essen. Dein Vater war zwar nicht sehr begeistert, aber ich konnte mich ihm gegenüber behaupten.“ Michirus Mundwinkel zuckten leicht. „Danke.“, lächelte sie zurück. Nach einem letzten Blick auf die Nachricht, reichte sie das Handy ihrer Stiefmutter. Denkfalten zeichneten sich auf der Stirn der erfahrenen Frau ab. „Was hältst du davon?“, fragte Michiru, als Setsuna den kurzen Text offenbar schon dreimal gelesen hatte. Die Dunkelhaarige schüttelte den Kopf. „Ich bin mir nicht sicher… Vielleicht solltest du dich doch noch einmal mit ihr treffen. Vielleicht dachte sie, du würdest etwas anderes für sie empfinden.“ „Ach, quatsch. Sie weiß genau, was sie mir bedeutet. Immerhin habe ich sie zuerst geküsst. Naja… Nicht zu allererst… Aber unser zweiter erster Kuss kam von mir aus.“ „Gut, aber hast du ihr auch gesagt, dass du sie liebst?“ Auf den Wangen der Violinistin legte sich eine verlegene Röte. Setsuna gab ihr das Handy zurück und setzte sich neben sie. „Weißt du, ein Kuss kann so einiges bedeuten. Es ist sicher kein Geheimnis, dass deine Haruka schon viele Mädchen geküsst hat, und viele Mädchen haben Haruka geküsst.“ Michiru sah entrüstet auf, doch Setsuna fuhr ruhig fort: „Auch wenn es dir nicht gefällt, ist es eine Tatsache. Und ich zweifle wirklich, ob all diese Mädchen Haruka aus Liebe geküsst haben. Und das wusste sie ganz sicher. Und bestimmt hat auch sie nicht jedes Mädchen geliebt. Wie sollte sie sich dann deiner Liebe sicher sein, wenn du es ihr nicht ganz deutlich gesagt hast?“ Haruka wäre vor Freude fast aufgesprungen. Aufgeregt trommelte sie auf der Tischplatte und wippte mit ihren Beinen. „Mina, du bist echt die Beste! Wirklich! Das Wochenende geht sowas von auf mich! Das ist… Wahnsinn, du glaubst nicht, wie dankbar ich dir bin!“ „Jetzt gib schon her!“Endlich gelang es Minako, ihrer euphorischen Schwester ihr Handy abzunehmen. Sehr lang war die Nachricht nicht: ‚Sonntag um 2, Tokyo Bay. Wehe, du kommst zu spät!‘ Minako sah fragend auf. „Tokyo Bay? Ist das nicht etwas unpräzise?“ „Nein, ganz und gar nicht.“ Haruka konnte ihr Grinsen nicht mehr bändigen. Bei einem vorbeieilenden Kellner bestellte sie zwei Gläser und eine Flasche Champagner. „Bist du verrückt? Weißt du, wie teuer Champagner ist?!“, flüsterte Minako ihr zu. „Sie hat deine Entschuldigung doch noch gar nicht angenommen. Und vielleicht wird sie das auch nicht. Sie hat nur geschrieben, dass du sie treffen sollst.“ Doch Haruka grinste noch breiter. „Du kennst sie eben nicht. Dass sie überhaupt geantwortet hat, ist schon mehr, als ich gehofft hatte. Das letzte Mal, als sie sauer auf mich war, wollte sie mich weder sehen, noch mit mir sprechen. Und da habe ich nicht halb so viel Mist gebaut!“ „Sehr warmherzig, Michiru.“ Setsuna sah ihrer Stieftochter über die Schulter. „Was sollte ich denn sonst schreiben? SIE hat MICH verletzt, nicht andersrum. Also habe ich mich auch für nichts zu entschuldigen.“ Setsuna seufzte resignierend. „Und warum erst Sonntag?“ Die Künstlerin antwortete bitter: „Dann kann sie sich in Ruhe überlegen, was sie zu sagen hat.“ „Michiru!“ „Was denn? Sie hat mir das Herz gebrochen! Um das wieder gut zu machen, sollte sie ihre Worte genau planen.“ Setsuna rümpfte die Nase. Es gefiel ihr überhaupt nicht, was die Streicherin da von sich gab. Doch anstatt sich weiter darüber aufzuregen, wechselte sie das Thema: „Ich nehme an, du hast nun keine Pläne für morgen?!“ Dankbar über den Themenwechsel sah Michiru auf. „Nicht wirklich… Aber vielleicht könnten wir an den Strand fahren, oder so. Wenn ihr nichts anderes geplant habt…“ Nachdem die Flasche Champagner bis auf den letzten Tropfen geleert und die Rechnung von Haruka bezahlt worden war, nahm sich das Geschwisterpaar ein Taxi zur Wohnung der Rennfahrerin. Minako war froh, ihre kleine Schwester endlich wieder sorglos zu sehen. Zumindest fast. Bis tief in die Nacht zockten die Blondinen Harukas neuestes Rennspiel auf dem großen Flachbildfernseher. Keine der Frauen war eine echte Frühaufsteherin, also schleppten sie sich erst gegen Mittag aus ihren Betten. Nach einem reichhaltigen Brunch kostete es Minako nicht viel Überredungskunst, Haruka dazu zu bringen, mit ihr in einen Freizeitpark zu fahren. Etliche Fahrten mit Achterbahnen und anderen Attraktionen später setzte die Dämmerung ein und von der ganzen Zuckerwatte, süßen Erfrischungsgetränken und nicht zuletzt der eben beendeten neunten Runde Autoscooter, bei der sich die Schwestern immer wieder gegenseitig gejagt und in die Banden gestoßen hatten, drehte sich langsam Minakos Magen um. Trotzdem die Blondinen noch bis spät in die Nacht durch die Bars und Clubs Tokios gezogen waren, war Haruka schon am frühen Morgen hellwach. Leise schlich sie aus dem Schlafzimmer. Minako schlief noch seelenruhig in dem großen Doppelbett, also zog Haruka aufs Sofa, schaltete den Fernseher ein und zappte stundenlang durch die Kanäle. Leicht verkatert tapste Minako bald ins Wohnzimmer, um sich gleich wieder neben die ruhelose Leichtathletin zu legen. Nachdem Haruka zum vierten Mal ihre Favoritenliste durch geschalten hatte, meldete sie sich zu Wort: „Wieso bist du so nervös? Ich denke, wenn sie dir schon geantwortet hat, ist alles so gut wie verziehen.“ Haruka ließ die Fernbedienung auf ihren Bauch fallen und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Ich bin mir nicht sicher, wie ich es ihr sagen soll. Ich kann ihr ja wohl kaum vorwerfen, dass sie den Druck nicht aushalten würde.“ „Das nicht, aber du kannst ihr sagen, dass du selbst in Nagoya kein Privatleben hattest. Du kannst ihr sagen, dass jeder Schritt, den du gemacht hast, am nächsten Tag in den Zeitungen stand. Und dass auch jede Frau, die sich mit dir gezeigt hatte, von Paparazzi verfolgt wurde. Erzähl ihr von der unverblümte Wahrheit.“ „Und dann?“ Minako runzelte die Stirn. „Was ‚und dann‘?“, murmelte sie in ein Sofakissen. „Mal angenommen, sie verzeiht mir. Mal angenommen, ihr wäre das alles egal. Ich will nicht, dass sich die Medien die Mäuler über sie zerreißen. Wie schütze ich sie davor?“ Einige Minuten lang war nur der Kommentator eines Motorradrennens im Fernsehen zu hören. Dann begann Minako zu grinsen. Fröstelnd stellte Michiru den Kragen ihres Mantels auf. So lau war dieser Winter gewesen, doch ausgerechnet heute wehte ein eisiger Wind vom Meer her in die Bucht von Tokio. Mit angezogenen Schultern lehnte sie sich gegen das Geländer und wartete. Sie war zu früh. Die Busse fuhren nur stündlich hier raus. Doch schon nach wenigen Minuten erschien ein dunkelblauer Ferrari am Ende der Brücke. Michiru widerstand dem Verlangen, der Blondine sofort um den Hals zu fallen, als diese ausstieg und auf sie zukam. Abwehrend hob sie ihre Hände und drückte gegen Harukas Schultern, um eine Umarmung zu unterbinden. Die Athletin verstand sofort. „Danke, dass du mir noch eine Chance gibst.“, begann sie. Michiru sah ihr kühl entgegen. „Ich gebe dir nur eine Chance, dein Verhalten zu erklären. Mehr nicht.“ >Vorerst…< Haruka nickte verstehend. „Du sollst nur wissen, dass ich nichts von dem, was ich Kawashima gesagt habe, auch so gemeint habe. Natürlich bedeutest du mir mehr. Mehr als jede andere. Seitdem ich dich kenne, bist du mein Lebensmittelpunkt! Nie war mir jemand so wichtig wie du. Und wenn ich nur an dich denke, weiß ich, dass das auch immer so bleiben wird. Dass ich das abgestritten habe, ohne vorher mit dir zu sprechen, tut mir wahnsinnig leid. Und ich könnte verstehen, würdest du mir das auf ewig nachtragen. Ich hätte dir vorher erklären sollen, warum ich nicht will, dass uns jeder als Paar sieht. Bist du nur in meiner Nähe, bin ich überglücklich! Aber in den letzten Jahren wurde mir mehr als deutlich gezeigt, was mit Frauen passiert, die sich an meiner Seite zeigen. Wenn du mit mir zusammen bleibst, ziehst du in ein Glashaus. Du wirst nie mehr deine Ruhe haben. Jeder wird dich kennen. Jeder wird über dich sprechen. Jeder wird nach Fehlern suchen. Es war mir fast egal, wenn meine Verflossenen auf den Titelseiten erschienen sind. Als weitere Opfer der Herzensbrecherin. Es hat mich nicht interessiert. Aber ich habe auch gesehen, wie es einige nicht ertragen konnten und zerbrochen sind. Ich will nicht, dass auch du zerbrichst. Du bist der letzte Gedanke, bevor ich einschlafe, und der erste, wenn ich morgens wach werde. Und selbst nachts träume ich nur von dir. Du bist mein innerer Antrieb und gleichzeitig gibst du mir Ruhe. Bist du nicht bei mir, fühle ich mich unvollständig. Du bist alles, was mich zusammen hält. Nichts ergibt Sinn ohne dich. Ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt, aber genau aus dem Grund konnte ich nicht zulassen, dass du endest wie alle anderen vor dir! Sie waren nur verschwommene Schatten, die mit mir spielten. Nur du bist echt. Seit Jahren suche ich nach dem, was mir Halt gibt. Und endlich habe ich dich gefunden. Doch jetzt kann ich nicht zulassen, dass dir etwas passiert. Wenn dich zu beschützen heißt, dass ich dich nicht berühren darf, dann ertrage ich das.“ Haruka hatte die ganze Zeit über Blickkontakt gehalten und der Glanz ihrer Augen und die Verzweiflung in ihrer Stimme verrieten Michiru, dass sie sich nichts von alledem ausgedacht hatte. „Sag das noch mal.“, befahl sie leise. „Wenn ich mich von dir-“ „Nicht das! Du hast gesagt, du liebst mich. Wie vielen hast du das schon gesagt? Sag es mir. Und wage es nicht, zu lügen!“ Haruka schluckte. Michirus Blick war unergründlich und ihre Stimme ruhig, aber die Blondine wusste, dass alles von ihren nächsten Worten abhing. Entschlossen hob sie ihre Hände, um das Gesicht ihres Engels zu umfassen. Sanft fixierte sie die Schönheit und trat so dicht an sie heran, dass ihr Atem warm über Michirus Lippen strich. Aufrichtig und direkt sahen grüne Augen in türkisfarbene „Ich habe schon oft gelogen. Ich kann meine Lügen nicht mal mehr zählen. Aber niemals habe ich irgendeiner meine Liebe gestanden. Niemals hat irgendjemand diese Worte aus meinem Mund gehört. Und niemals würde ich dich belügen. Ich liebe dich, Michiru. Schon als ich den Klassenraum zum ersten Mal betrat und dich entdeckte, wusste ich, dass du die Antwort auf meine Rastlosigkeit bist. Ich liebe dich schon von Anfang an. Ich bin verrückt nach dir, süchtig nach deiner Nähe, vernarrt in deinen Duft, und wenn ich deine Lippen berühre, fühle ich, wie mein Herz aussetzt. Und selbst, wenn es für immer stehen bleiben würde, wäre es mir egal. Weil ich genau in diesem Moment bei dir wäre. Und das ist alles, was ich mir nur erträumen könnte.“ Kapitel 19: ------------ Kapitel 19 Michirus Augen füllten sich mit Tränen. „Wieso, Haruka? Wieso sagst du mir das erst jetzt? Hast du auch nur eine Ahnung, wie viele Nächte ich wach lag, grübelnd, ob du das selbe fühlst, wie ich? Kannst du dir vorstellen, wie quälend es ist, zu spüren, wie ich mich immer mehr nach dir sehne, wie ich mich immer mehr an dich verliere, ohne zu wissen, ob ich wirklich die Einzige bin? Nie habe ich so etwas gefühlt. Ich brauche dich, und ich liebe dich so sehr, wie ein Fisch das Wasser braucht und liebt. Ich will nicht mehr ohne dich sein. Und als du sagtest, du würdest nicht genauso fühlen, dachte ich, mein Herz würde zerspringen. Tu so etwas nie wieder, Haruka! Tu mir bitte nie mehr so weh. Das ertrage ich nicht noch einmal.“ Immer mehr Tränen rannen stumm über Michirus Wangen, als sie sich gegen Haruka fallen ließ, den durchtrainierten Körper fast gewaltsam an sich drückte und ihr Gesicht in Harukas Hemd vergrub. „Wenn du mich wirklich beschützen willst, dann lass mich nie wieder los. Lass mich nicht mehr allein, Haruka! Alles andere interessiert mich nicht. Ich liebe dich und von mir aus kann die Welt sagen, was sie will.“ Harukas Herz raste. Mit einem Arm hatte sie ihren Engel an sich gedrückt, ihre andere Hand suchte nach Michirus Wange. Sanft legte sie ihre Finger unter das Kinn der Malerin, um das hübsche Gesicht anzuheben. Das Türkis in Michirus Augen brach sich in den glitzernden Tränen. „Wieso verliebst du dich ausgerechnet in mich? Du verdienst so viel mehr…“ Michiru schüttelte leicht den Kopf. „Mein Leben lang habe ich auf dich gewartet. Du bist der eine Mensch, zu dem ich gehöre. Alles andere ist egal.“ Haruka beugte sich wenige Zentimeter vor. „So naiv, mein Engel.“, flüsterte sie. Wie ein Windhauch streiften ihre Lippen die Michirus. Doch diesmal wurde die Violinistin nicht von ihrer Leidenschaft überwältig. Viel zu erlösend war Harukas Liebe zu ihr, derer sie sich endlich sicher sein konnte. Hitze breitete sich in der Schwimmerin aus. Nur Harukas Nähe schien dafür zu sorgen, dass sie nicht verbrannte. Zärtlich löste die Pianistin nach einer undefinierbaren Zeit den Kuss. „Ich liebe dich, Michiru.“ Ihre geflüsterten Worte hallten erneut durch den Kopf der Malerin. Michiru spürte, wie sich eine Gänsehaut über ihren Körper schlich. Zitternd schmiegte sie sich an Harukas Hals, als weitere Tränen über ihre Wangen rannen. Haruka fühlte sich völlig benebelt, doch die Körpersprache ihres Engels nahm sie dennoch wahr. „Frierst du?“, fragte sie fürsorglich. Michiru konnte nicht antworten. Stattdessen schüttelte sie leicht den Kopf. Haruka glaubte der Künstlerin nicht. Also hob sie den schlanken Körper mit Leichtigkeit an und trug sie zu ihrem Auto. Nur einen Augenblick später saßen beide Frauen auf der Rückbank. Haruka schob ihr Bein auf den mittleren Sitz, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Innenverkleidung, zog Michiru in ihre Arme und legte über den immer noch zitternden und ihren eigenen Körper ihren Mantel. Michiru hatte nicht gefroren, doch die Wärme, die ihr jetzt geschenkt wurde, ließ sie glauben, ihr wäre nie zuvor jemals wirklich warm gewesen. Sie hatte das Gefühl, ihrer Geliebten gar nicht nahe genug kommen zu können. Als Haruka den Kragen ihrer Jacke aufstellte, um ihn noch dichter an Michirus Gesicht zu ziehen, sah die Violinistin auf. Ihre verweinten türkisfarbenen Augen suchten fürsorgliche grüne. Sie konnte nicht mehr anders. Geschickt kroch sie an dem Körper unter ihr nach oben und verwickelte die zunächst überraschte Rennsportlerin in einen erneuten leidenschaftlichen Kuss. Sie nahm nichts mehr wahr, nicht die sich abkühlende Luft, nicht das schwächer werdende Sonnenlicht, als dunkle Wolken aufzogen, nicht den einsetzenden Nieselregen. Nur Haruka. Ihre Körpersprache wurde verlangender. Immer kräftiger drückte sie sich an die Pianistin, immer wieder entglitten ihr leise Seufzer des Verlangens. Haruka verstand sofort, was in Michiru vorging. Auch ihre Atmung beschleunigte sich, doch mit aller Kraft schaffte sie es, sich aufzusetzen und den innigen Kuss für einen Moment zu unterbrechen. Grinsend stellte sie fest, dass die Scheiben ihres Wagens stark beschlagen waren, und dass die obersten drei Knöpfe ihres Hemdes bereits aufgeknüpft worden waren. Michiru sah sie fragend und schwer atmend an. Haruka strich sanft über die glühenden Wangen der Schönheit. Dann flüsterte sie: „Wir haben alle Zeit der Welt, mein Engel. Ich werde dich nicht mehr allein lassen. Und die Rückbank meines Autos ist wohl auch nicht der richtige Ort dafür.“ Die Röte auf Michirus Wangen wurde noch kräftiger. Trotzdem griff sie in das weiße, halboffene Hemd und flehte fast: „Dann nimm mich mit. Nimm mich mit, Haruka. Wohin du auch willst.“ Verlangend küsste sie erneut die geliebten Lippen. „Entführ mich, Haruka!“ Mit ungeahnter Kraft drückte sie die Blondine zurück in ihre fast liegende Position. „Fahr mit mir weg von hier.“ Der folgende Kuss machte es Haruka schwer, auch nur einen einzelnen Gedanken zu fassen. Endlich schaffte sie es, sich wieder aufzurichten und Michiru nun ihrerseits gegen die Scheibe hinter ihr zu drücken. Immer gefühlvoller liebkoste sie die brennenden Lippen der bebenden Malerin. Doch als diese ihr immer wieder verlangend ihr Becken entgegen drückte, stemmte sie sich um ein paar Zentimeter nach oben. „Michiru, warte!“ Fast verzweifelt wurde sie von tiefem Türkis angesehen. Mit tiefen Atemzügen sammelte sie genug Luft, um fortzufahren: „Es soll etwas besonderes werden. Nicht auf einer Rückbank, nicht mitten am Tag halb in der Öffentlichkeit, nicht nachdem ich dir zum ersten Mal endlich sagen konnte, dass ich dich liebe. Ich will dir etwas geben, an das du immer zurückdenken wirst. Nicht, weil der Ort besonders war. Und nicht wegen des Zeitpunktes. Sondern einzig und allein wegen der Gefühle, die wir dabei teilten. Lass uns Zeit, und ich verspreche dir, dass sich das Warten lohnen wird.“ Mit einem liebevollen Kuss besiegelte sie ihren Schwur. Michirus Haut kribbelte vor Verlangen, ihr Herz raste und selbst ihr Verstand wollte mehr. Doch Harukas ruhige Stimme und das Versprechen, in dem so viel Liebe und Ehrlichkeit steckten, beruhigten die Schwimmerin. Schließlich legte sie ihre Arme in den blonden Nacken, zog die Läuferin an sich und lehnte ihr glühendes Gesicht an Harukas. „Nimm es mir nicht für übel… Es ist nur… Ich habe das Gefühl, ich hätte schon zu lange auf dich gewartet…“ Haruka begann zu grinsen. „Ich weiß, was du meinst.“ Wieder stemmte sie sich hoch. Einen langen Augenblick sahen sich die Schülerinnen nur gegenseitig an. Forschend aber zärtlich ließ Michiru ihre Finger von dem Nacken der Athletin aus über deren Hals und das Schlüsselbein wandern. Auf dem halbnackten Brustbein zog sie einen kleinen Kreis. Ein verspieltes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Harukas Körper reagierte mit einer Gänsehaut. Michirus Hand strich weiter über den weißen Stoff. Als sie den kurzen Ärmel erreicht hatte, strich sie mit den Fingernägeln an dem starken Arm herab bis zum Ellenbogen. Jetzt stutzte die Künstlerin. Ihre Freundin war vollkommen ausgekühlt. Bedrückt sah sie zurück in die grünen Augen, die nicht einen Moment von ihrem Gesicht abgesehen hatten. „Du bist eiskalt, Haruka.“ Die Blondine lächelte. „Was ist mit dir? Ist dir kalt?“ „Nicht wirklich.“ Michiru schüttelte den Kopf. „Aber ich glaube, du erkältest dich, wenn wir noch länger hierbleiben.“ Haruka beugte sich hinab und gab ihrer Geliebten einen sanften Kuss. „Ich hoffe, das heißt nicht, dass ich dich nachhause bringen soll?!“ Erneut küsste sie die süßen Lippen. „Wenn du erlaubst, würde ich dich gerne auf eine Tasse Tee in meine Wohnung einladen. Ich glaube, meine Schwester wollte auch einen Kuchen backen, solange ich weg bin. Und wenn ich dich mitbringe, habe ich eine Augenzeugin, die mir beistehen kann, wenn ich der Versicherung erklären muss, dass ich nicht selbst meine Küche in Brand gesteckt habe.“ Michiru legte die Stirn in Falten. „Deine Schwester ist allein in deiner Wohnung, und du turtelst hier mit mir ewig rum? Das ist unhöflich, Haruka!“ Langsam schob sich die Fahrstuhltür in Harukas Penthouse auf. „Das riecht aber gut!“, schnupperte Michiru augenblicklich, doch Haruka traute dem Duft noch nicht. Argwöhnisch betrat sie den Korridor. „Also angebrannt ist vermutlich noch nichts.“, mutmaßte sie. „Vielleicht hat Mina doch-“ Klirr. „Ach, verdammt! Nicht noch einer!!“ Haruka begann zu grinsen. „Nein, sie hat noch nicht gelernt, ihre Motorik zu steuern.“ Leisen Flüchen folgend führte sie Michiru zur Küche, in der Minako gerade einen kleinen Scherbenhaufen zusammenfegte. „Wenigstens steht meine Wohnung noch.“ Erschrocken drehte sich die Journalistin um. „Oh, du bist schon zurück, Ruka-chan? Ich glaube, der Kuchen braucht noch ein Weilchen.“ Michiru sah an den Blondinen vorbei durch die Scheibe des Backofens. „Das glaube ich nicht.“ Sie schnappte sich einen Topflappen, durchquerte den Raum und barg einen stark gebräunten Rührkuchen. Minako sah ihr überrascht über die Schulter. „Oh, ich meinte natürlich, dass ich ihn gerade aus dem Ofen holen wollte.“ Verlegen lachend kratzte sie sich am Hinterkopf. Ein leises Scheppern ließ sie aufhorchen. Ihre Schwester begutachtete mit sorgenvoller Miene das Küchenchaos, das Minako wohl gerade versucht hatte, zu beseitigen. „Ich räume schon noch auf, Ruka-chan!“ Schützend stellte sie sich vor den Haufen dreckigen Geschirrs. „Ich helfe dir dabei.“ Michiru hatte den Kuchen auf dem Herd abgestellt und ihren Topflappen zurück gehängt. Jetzt lächelte sie das Geschwisterpaar liebevoll an. Minako blinzelte überrascht. Sie hatte noch gar nicht richtig registriert, wen ihre Schwester da mit nachhause gebracht hatte. Vielsagend grinste sie Haruka zu und stieß ihr mit dem Ellenbogen in die Seite. >Soll wohl heißen, lobe mich, Schwesterherz!< Haruka rollte mit den Augen. „Ja, ich weiß.“ Dann schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen und sah sich genauer um. Michiru schob bereits die ersten Schüsseln in das Spülbecken. „Wenn du willst, kannst du ja schon den Tisch decken und Tee kochen. Der Kuchen muss eh erst ein bisschen auskühlen. Minako-san und ich machen schon den Rest.“ Minako sah die Violinistin einen Moment lang schweigend an. „Du kannst mich ruhig Mina nennen.“ Mit einem Lächeln griff sie sich ein Handtuch und begann abzutrocknen. „Michiru.“, zwinkerte ihr die Künstlerin zu. „Dafür, dass er dir fast verbrannt wäre, ist der echt lecker geworden!“, lobte Haruka ihre Schwester. „Er wäre mir nicht fast verbrannt! Ich hätte schon noch nach ihm gesehen. Irgendwann…“, rechtfertigte diese sich. Michiru kicherte über die Neckereien der Blondinen. Nach einer Weile fühlte sie sich irgendwie beobachtet. Fragend sah sie zu Minako. „Wie hat sie das geschafft?“, fragte die Journalistin nüchtern. „Wie hat sie es geschafft, so ein hübsches und warmherziges Mädchen wie dich zu erobern, und das obwohl sie manchmal solchen Mist verzapft?“ Michiru wurde bei dieser deutlichen und unverblümten Frage rot, also stieß Haruka ihre Schwester unter dem Tisch mit ihrem Fuß und warf ihr einen tadelnden Blick zu. „Hey! Man wird doch noch fragen dürfen.“ Michiru lächelte verlegen. „Natürlich darfst du fragen. Sie hat mir einfach die schönste Liebeserklärung gemacht, die ich mir nur vorstellen kann. Hals über Kopf verliebt habe ich mich aber schon vorher.“ Liebevoll lächelte sie ihre Freundin, die neben ihr am Kopfende des schweren Tisches saß, an. „Du Glückliche.“ Jetzt sah die Malerin wieder zu der ihr gegenüber sitzenden Minako. „Soweit ich weiß, hat sich unsere gute Herzensbrecherin hier noch nie verliebt. Und das, obwohl viele versucht haben, sie für sich zu gewinnen.“ „Mina!“ Harukas Miene wurde noch ernster, aber Michiru legte ihre Hand auf die der Rennsportlerin und lächelte ihr abermals zu. „Schon gut, Haruka. Ich kenne deine Vergangenheit. Und ich liebe dich für das, was du bist. Nicht für das, was du mal warst.“ „Gute Einstellung!“, grinste Minako und störte mit ihrem Ausspruch die Zweisamkeit der Frauen, die sich gerade in ihre eigene Welt fallen lassen wollten. „Ich bin gleich für das Interview.“ Michiru blinzelte verblüfft. „Was denn für ein Interview?“ Sie sah die engagierte Blondine fragend an und spürte dann, wie Haruka ihre Hand sanft drückte. „Minako hatte eine Idee. Du weißt doch, dass ich mir Sorgen gemacht habe, wie dich die Medien vorstellen werden. Bis jetzt haben sie lediglich das geschrieben, was im Internet über dich zu finden war. Deine künstlerischen und musikalischen Talente, wo du zur Schule gehst und sowas. Ich will nicht, dass sie erst nach Fehlern suchen, bevor du in die Öffentlichkeit gezogen wirst. Minako meinte, es wäre ratsam, denen den Wind aus den Segeln zu nehmen und gleich von Anfang an klarzustellen, was für ein wundervoller Mensch du bist, und dass einzig und allein du mein Lebensmittelpunkt bist und das auch bleiben wirst.“ Michiru blickte schweigend in die grünen Augen zurück, die sie so besorgt ansahen. Eine Zeit lang schwieg sie. „Du bist doof. Selbst wenn du es nicht beabsichtigst, machst du mir die schönsten Komplimente. Und ich kann deinen Worten nur lauschen, und versuchen, sie zu verschließen.“ Harukas Gesichtszüge wurden weicher. „Etwas anderes sollst du auch nicht.“, flüsterte sie, bevor sie sich vorbeugte, um Michiru einen Kuss zu geben. Als sie sich wieder zurücklehnen wollte, folgte ihr die Violinistin schnell, griff in ihren Nacken, und zog die Blondine wieder an sich. Wenn sie ihrer Liebe schon nicht so poetisch Ausdruck verleihen konnte, dann wenigstens durch ihre Küsse. Leidenschaftlich raubte sie der Athletin ihre Sinne und entlockte ihr sogar ein erstickendes Seufzen, bis sie plötzlich durch ein aufdringliches Räuspern zurück ins Esszimmer gezogen wurde. Minako starrte mit geröteten Wangen auf ihre Teetasse und trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte. „Ähm… Entschuldige bitte…“, flüsterte Michiru. Doch Minako grinste: „Nicht dafür.“, und zog einen Block und einen Füller zu sich. In allen Einzelheiten ließ sich Minako erzählen, wie sich Haruka und Michiru näher gekommen waren. Natürlich fragte sie auch, was Harukas Auslöser dafür war, nach Tokio zu ziehen. Dass sie einfach einen Neustart hinlegen wollte, kaufte sie ihrer kleinen Schwester zwar nicht ab, aber für ihren Artikel würde sie das schon glaubhaft niederschreiben können. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt, als Minako sich endlich genug Notizen gemacht hatte. Ein Gähnen entwich ihr, also wollte sie sich langsam auf den Heimweg machen. Gleich morgen früh im Büro wollte sie den Artikel schreiben, damit er es vielleicht noch in die Nachmittagsausgabe schaffen würde. Sie verabschiedete ihre Schwester und ihre ‚Lieblingsschwägerin‘ mit einer Umarmung, bevor sie in den Fahrstuhl stieg, und die beiden alleine ließ. „Na, das war ja mal ein gelungenes Wochenende.“ Haruka ließ sich seufzend auf ihr Sofa fallen. Ein Blick von ihr genügte und Michiru setzte sich erst neben sie, um sich dann in ihre Arme zu kuscheln. „Ein aufwühlendes Wochenende.“, ergänzte sie. Haruka drehte sich auf die Seite, legte ihren Arm in die Taille der Schwimmerin und zog sie dicht an sich. Fast berührte ihre Nasenspitze Michirus. „Ich kann mich gar nicht oft genug entschuldigen. Ich dachte nicht, dass ich dir mit meinen dummen Ideen das Herz brechen könnte.“ Ihre Hand wanderte langsam den schlanken Körper hinauf bis in Michirus Nacken. Ihre Stirn lehnte sie gegen die der Künstlerin. „Ich war mir nicht sicher, was du für mich empfindest. Ich hielt alles für möglich, nur nicht Liebe. Das einzige, was ich wusste, war, dass ich dich liebe, und dass du für immer meine einzige Liebe bleiben wirst. Dass du genauso fühlen könntest, wagte ich nur zu träumen, aber nicht zu hoffen. Ich dachte nicht, dass dich meine Worte verletzen würden. Ich wollte dich mit allen Mitteln schützen. Verzeih mir meine Dummheit. Und meine Blindheit.“ Michiru hatte Harukas flehendem Blick nicht länger standhalten können. Mit geschlossenen Augen lauschte sie ihrer Stimme, atmete den sanften Rosenduft ein, schmiegte sie sich in die Wärme, die ihr die Blondine schenkte. Sie schwieg. Eine für Haruka unerträglich lange Zeit über. Dann hob sie die Lider. Ausdruckslos sah sie in das strahlende Grün zurück. Plötzlich drehte sie sich auf Haruka und drückte deren Handgelenke in das weiche Polster. „Hör auf, dich zu entschuldigen. Ich habe dir doch längst verziehen. Die Nähe, die du mir schenkst, mein Herzrasen, das Schwindelgefühl, das mich überkommt, wenn deine Lippen mich berühren,“ jetzt beugte sie sich hinab, dicht über Harukas Gesicht, und flüsterte nur noch weiter, „dieses unerträgliche Verlangen, das du in mir weckst, und das mich wahnsinnig macht, ist Entschuldigung genug.“ Ohne auch nur einen Moment auf eine Antwort zu warten, legte Michiru ihre Lippen auf Harukas. Was sollte ihr die Athletin jetzt noch entgegenbringen? Auffordernd und erwartungsvoll strich sie mit ihrer Zunge über Harukas Lippen. Der Verstand der Pianistin hatte sich längst verabschiedet. Sie ließ sich voll und ganz auf die Streicherin ein, die noch immer ihre Handgelenke festhielt. Michirus Körper folgte nur noch ihren Instinkten. Ihr Herz raste, ihre Atmung wurde immer schwerer und immer fordernder drückte sie sich gegen den durchtrainierten Körper. Irgendwann reichten ihr Harukas Lippen nicht mehr. Forschend küsste sie an ihrem Hals herab bis zum Schlüsselbein. Schließlich ließ sie auch Harukas Handgelenke frei, um zittrig die Knöpfe ihres Hemdes zu öffnen. Als sie langsam begann, über das Brustbein der Läuferin zu küssen, fand diese endlich wieder zu sich selbst zurück. In einer fließenden Bewegung hatte sie sich auf die Violinistin gedreht, nach ihren Händen gegriffen und sie nun ihrerseits über dem Kopf der Schönheit fixiert. Michiru erwartete, dass die Sportlerin weitermachen würde, doch nichts geschah. Mit viel Konzentration gelang es ihr, die Augen der Blondine zu finden. „Haruka, bitte!“, flüsterte sie keuchend, doch ihre Geliebte lächelte nur liebevoll zurück. Dann flüsterte sie ihr ins Ohr: „Ich verspreche dir, dass sich das Warten lohnen wird. Ich will dich morgen nicht zur Schule tragen müssen, weil du Muskelkater hast. Und außerdem muss ich dich heute noch nachhause bringen.“ Michirus Herz schien auszusetzen, als sie den heißen Atem und sanfte Küsse an ihrem Hals spürte. Ihr Oberkörper drängte sich jeder Berührung entgegen, doch Harukas Griff war sicher und fest. „Du quälst mich, Ruka!“, stöhnte sie beinahe, doch die Blondine öffnete die obersten Knöpfe ihrer Bluse einhändig und schob ihren Oberschenkel zwischen die der Geigerin. „Was machst du nur mit mir?“, keuchte diese und drückte Haruka automatisch ihr Becken entgegen. „Ich versüße dir die Wartezeit.“, schnurrte die Leichtathletin zurück und küsste weiter über das Brustbein bis zum Rand von Michirus BH. „Verdammt…“ Michirus Körper bebte. Ihre Haut glühte und ihre Bewegungen wurden immer verlangender, doch Haruka küsste langsam wieder aufwärts, bis zu ihren brennenden Lippen. Mit ihren Berührungen hatte sie nur noch mehr Leidenschaft entfacht. Endlich ließ sie von Michirus Händen ab, um ihren Arm unter den Rücken der Violinistin zu schieben, und sie eng an sich zu drücken. Michiru nutzte ihre wiedererlangte Freiheit, um in Harukas Nacken und unter ihr Hemd in ihren Rücken zu greifen. Doch noch mehr Nähe ließ die Blondine nicht zu. Die Sonne über Tokio war längst untergegangen. Starke Windböen, die vom Meer her über die Stadt wehten, hatten die Regenwolken vertrieben, sodass nun der kalte, klare Nachthimmel über der Metropole stand. Wie lange Michiru und Haruka einander still in den Armen lagen, ließ sich nicht sagen. Michirus Körper hatte sich allmählich wieder beruhigt und ihr unbändiges Verlangen nach der androgynen Blondine war Müdigkeit gewichen. Das einzige Licht im Wohnzimmer wurde von Harukas Anlage ausgestrahlt, die monoton blinkend die Uhrzeit anzeigte. Halb Zehn. Michiru gähnte und schmiegte sich zwischen Harukas Oberkörper und ihr Hemd. „Wir müssen morgen zur Schule, mein Engel.“, knurrte Haruka leise. „Mir egal…“, seufzte Michiru zurück. „Deinem Vater wird es aber nicht egal sein. Er wird mir den Hals umdrehen, wenn du wegen mir nicht rechtzeitig aus dem Bett kommst.“ „Hmm…“, brummte die Malerin zustimmend. Haruka hob ihren Kopf, um ein verschmitztes Grinsen in dem hübschen Gesicht zu erkennen. „Dann wird er dir bestimmt verbieten, mich nach der Schule zu treffen.“ Augenblicklich verschwand das Grinsen. Michiru blinzelte sich die Müdigkeit aus den Augen und gähnte erneut, bevor sie sich auf ihren Unterarmen abstützte. „Du musst mich nachhause fahren.“, schloss sie nüchtern. „Michiru!“ >Das hört sich nicht gut an.< Michiru seufzte resignierend. Toshio war überhaupt nicht davon begeistert gewesen, dass seine Tochter erst nach Zehn nachhause gekommen war. Doch auf Setsunas Bitte hin, hatte er sie nicht weiter belehrt. Der Tonfall, in dem er jetzt nach der Künstlerin rief, gefiel der Schwimmerin allerdings ganz und gar nicht. Zögerlich betrat sie die Küche. „Hier ist schon wieder ein Artikel über dich drin. Voller Mutmaßungen über dich und Haruka. Gerüchte, Ideen, Spekulationen... Ich bin mir nicht sicher, ob du die richtige Entscheidung getroffen hast.“ Endlich ließ er die Zeitung sinken und sah sie durchdringend an. „Mach dir keine Sorgen, Papa. Das haben wir schon längst geklärt. Harukas Schwester ist Journalistin. Wir haben gestern mit ihr gesprochen und ein Interview gegeben. Den Artikel versucht sie noch in die Nachmittagsausgabe zu kriegen. Sie sagt, damit nehmen wie den Spekulanten den Wind aus den Segeln.“ „Ihr habt was?!“ Perplex hob er die Augenbrauen. „Und ihr glaubt, die macht daraus nicht ihre eigene Story? Ihr Springbrett nach oben?“ „Es ist Harukas Schwester, Papa! Sie wird nichts Schlechtes über uns schreiben. Klar hat sie auch was davon, das erste Interview mit uns geführt zu haben, aber sie ist wirklich in Ordnung. Ich vertraue ihr da voll und ganz. Du wirst schon sehen. Aber jetzt entschuldige mich bitte. Ich will nicht zu spät kommen.“ Als Haruka Hand in Hand mit Michiru das Klassenzimmer betrat, spürte sie, wie sie von mehreren Augenpaaren anvisiert wurde. Der Raum füllte sich, und kurz bevor Herr Hisakawa eintrat, stellte sie sich zu ihrer Schönheit. Die Streicherin war gerade dabei, ihre Sachen auf dem Tisch zu ordnen, als ein Schatten über ihr auftauchte. Fragend sah sie auf. Haruka hielt ihr lächelnd eine Hand entgegen. Die Violinistin verstand sofort, nahm das Angebot an und ließ sich auf die Beine und in Harukas Arme ziehen. „Sollen wir gleich mit den Spekulationen schlussmachen?“ Die Künstlerin nickte grinsend. Haruka griff zärtlich in den Ansatz ihrer Mähne in ihrem Nacken. Die Klasse verstummte, als sich die Lippen der Schülerinnen trafen. Jeder sollte eindeutig sehen, dass die beiden zusammen waren. Dass sie zusammen waren, und dass sie nichts anderes mehr interessierte. Mit einem tiefen, aufdringlichem Räuspern setzte Herr Hisakawa dem Kuss ein frühes Ende. „Zügeln Sie Ihr Temperament und verlegen Sie Ihre Aufführungen doch bitte in die Pause. Oder noch besser in Ihre Freizeit nach Unterrichtsschluss.“ Junko und Kikyo seufzten vor sich hin, als ihre Mitschülerinnen endlich offen zueinander standen, doch Katashi hielt von der Knutscherei nicht sehr viel. „Könntet ihr euch nicht wenigstens beim Mittagessen zusammenreißen?“ Genervt schob er sich eine Gabel voll Nudeln in den Mund. „Ihr wisst schon, dass das ganz schön provokant ist!?“ Endlich sah Haruka ihn an. „Wen provozieren wir denn? Wir sind bestimmt nicht das einzige Paar auf dem Schulhof.“ „Nein, aber das einzige Paar, das Kawashima interessiert. Ihr wisst doch, dass der nicht mehr ganz dicht ist und dich nicht leiden kann, Haruka. Reibt ihm euer Glück nicht zu aufdringlich unter die Nase. Sonst tickt der irgendwann noch aus. Ich warne euch nur!“ Belehrend hatte er seine Gabel erhoben und deutete damit vor allem auf die Rennsportlerin. „Ach, Quatsch!“, schnaubte die. „Der gewöhnt sich schon noch an unseren Anblick. Und selbst wenn nicht. Mit dem werde ich ja wohl spielend fertig. Habe ich das noch nicht oft genug gezeigt?“ Überheblich grinsend wandte sie sich wieder Michiru zu. Doch deren Miene war bei Weitem nicht so entspannt. „Vielleicht hat er Recht, Haruka. Mit ihm allein wirst du fertig, das stimmt. Aber bis jetzt haben sich die anderen noch nicht mit eingemischt. Du allein gegen Vier sieht schon anders aus. Und außerdem sollst du dich nicht prügeln. Ich will nicht, dass du so kurz vor unserem Abschluss noch die Schule wechseln musst.“ Haruka seufzte, gab jedoch lächelnd nach. „Okay, nicht mehr vor Kawashima. Aber ich kann auch gar nichts dafür. Was wirfst du mir auch immer solche eindeutigen Blicke zu?!“ Abermals küsste sie die Schwimmerin, was mit einem genervten Raunen von Katashi untermalt wurde. Kapitel 20: ------------ Kapitel 20 Minako hatte ihr optimistisches Vorhaben nicht ganz in die Tat umsetzen können. Schon in der Mittagspause hatte sie Haruka geschrieben, dass der Artikel erst später erscheinen würde. Als Michiru also am nächsten Morgen durch das Piepen ihres Weckers aus dem Schlaf gerissen wurde, starrte sie noch einen Moment an ihre Zimmerdecke. Es interessierte sie kaum, was Minako letzten Endes aus ihrem Interview gemacht hatte. Nur über die Reaktion ihres Vaters machte sie sich Sorgen. Toshio würde seiner Tochter nicht ihr Glück verbieten. Er würde sie auch nie anbrüllen. Aber sie war die elenden Diskussionen leid. Sie wollte sich nicht mehr länger vor ihm rechtfertigen. Nach einigen Minuten klopfte es leise an der Tür. Kurz darauf öffnete sie sich einen Spalt weit und das Flurlicht strömte bis vor Michirus Bett. Die Künstlerin starrte noch immer an die Decke. Doch sie bemerkte, wie der Lichtstrahl wieder schmaler wurde und schließlich ganz mit einem leisen Klicken verschwand. Leichte Schritte durchquerten den Raum. Setsuna setzte sich neben ihre Stieftochter und suchte in der Dunkelheit nach ihren Augen. „Willst du heute nicht aufstehen? Haruka wird enttäuscht sein, wenn du sie allein zur Schule schickst. Obwohl ich bezweifle, dass sie gehen würde, nach dem, was in eurem Artikel steht.“ Michiru wandte ihr endlich ihren Blick zu. Dann setzte sie sich ein wenig auf. Setsuna konnte das junge Gesicht nur schemenhaft erkennen, doch sie spürte, dass sie weiterreden sollte. „Mach dir keine Sorgen. Dein Vater hat ihn bestimmt schon fünfmal gelesen und immer noch keine Schwachstelle gefunden. Harukas Schwester scheint ein journalistisches Talent zu sein. Nach dem, was sie da geschrieben hat, hätte ich mich selbst fast in deinen Rennprofi verliebt.“ Nachdem Michiru nun einiges an Zeit vertrödelt hatte, schlich sie sofort ins Badezimmer, machte sich schulfertig und stahl sich schließlich nur kurz in die Küche, um ihrem Vater die Tageszeitung aus der Hand zu klauen. Für einen Moment trafen sich die Blicke der Kaiohs. Dann begann Toshio zu lächeln. „Für ihre Schwester wird es dennoch ein Karrieresprungbrett sein.“ Michiru grinste erleichtert zurück, lief in ihr Zimmer, um ihre Schultasche zu holen, und stürmte bald darauf die Treppe hinunter zu Haruka, die bereits an der Haustür wartete. In der Frühstückspause packte Michiru endlich den Artikel aus und breitete ihn auf einem Tisch in der Cafeteria aus. Haruka gierte schon den ganzen Morgen danach, doch die Violinistin hatte beschlossen, dass es besser wäre, ihn erst zu lesen, wenn sie auch genügend Zeit dafür hatten. Vier Augenpaare flogen durch die Absätze. Katashi hatte sich seinen Mitschülerinnen gegenüber gesetzt. Natürlich hatte er den Artikel schon vor der Schule studiert. Minako hatte aus dem Interview eine richtige Kurzgeschichte gemacht, die sich über zweieinhalb Seiten erstreckte, weshalb die heutige Tageszeitung sogar den Titel ‚Sonderausgabe – Über die Liebe zwischen Piano und Violine‘ erhielt. Kikyo hatte seufzend ihren Kopf an Junkos Schulter gelehnt. „Ihr solltet eure Geschichte verfilmen lassen. Wie eine ruhelose Rennsportlerin die Welt nach der einen Frau durchsucht, die ihre Seele endlich vervollständigt.“ Katashi kniff die Augen zusammen. „Ganz so schnulzig muss es doch nun auch nicht sein, oder? Die Zeitung hinterlässt ja schon Schleimspuren auf dem Tisch.“ „Ist doch egal.“, brachte ihm Haruka entgegen. „Mina hat Michiru genau als das dargestellt, was sie ist. Und sie hat gleich klargestellt, dass mich keine andere Frau mehr auch nur ansprechen muss. Und da sie als erste ein Interview mit uns bekommen hat, können diese Aasgeier nicht mehr versuchen, über Michiru herzuziehen. Das würde denen jetzt eh keiner mehr glauben.“ „Was ist mit deinem Onkel?“ Haruka sah auf. Junko betrachtete nachdenklich noch immer den Artikel. „Hier steht, du wärst bei ihm aufgewachsen. Mehr nicht. Irgendwie reimt sich das für mich nicht. Was ist mit ihm passiert? Du hast noch nie von ihm erzählt. Und auch in dem Artikel wird nicht weiter auf ihn eingegangen…“ Die schwarzhaarige Schülerin klang nicht neugierig, nur verwundert. Jetzt richteten sich auch die übrigen Augenpaare auf Haruka. Haruka senkte betrübt den Blick. „Ich will nicht über ihn sprechen.“, klärte sie trocken. „Er ist nicht länger Teil meines Lebens.“ Eine bedrückende Stille legte sich über den Kreis der Schüler und Junko erkannte, dass sie mit ihrer Frage einen wunden Punkt getroffen hatte. Ein verächtliches Schnauben ließ Haruka aufsehen. Arrogant schritt Hiro an dem Tisch der Fünf vorbei. Sein Anhang folgte ihm, doch Narumi hielt einigen Abstand zu ihnen. Auf Michirus Höhe blieb sie schließlich ganz stehen. Sie blickte noch einmal ihrer eigenen Gruppe nach, entschied sich dann aber, auf Haruka und Michiru zu zugehen. „Hey, ich… Also… Ich wollte euch nur sagen… Ich finde es super, dass zwischen euch beiden wieder alles glattläuft. Es tut mir leid, dass er Haruka-san gegenüber immer so ein Idiot ist. Eigentlich ist er nicht so. Michiru-san, du kennst ihn ja. Meistens ist er sehr nett. Ignoriert einfach, wenn er seine Spinnerphase hat.“ „Also sollen wir ihn permanent ignorieren?“, knurrte Katashi hinter ihr. Mit gerunzelter Stirn wandte sich Narumi ihm zu. „Wieso du? Was mischst du dich denn hier ein?“ Für einen kurzen Moment hatte Michiru angenommen, ihre ehemals beste Freundin hätte sich tatsächlich verändert. Doch in ihrem Blick erkannte sie die gleiche Verachtung, mit der Narumi jeden strafte, der ihrer nicht würdig war. Auch Kikyo und Junko bekamen einen ähnlichen Blick zu spüren, bevor Narumi wieder zu der Künstlerin und ihrer Freundin sah. „Schon okay. Du solltest vielleicht lieber wieder zu ihm gehen. Er vermisst dich sicher schon.“, antwortete Michiru trocken. „Idioten.“, bellte Katashi, als Narumi verschwunden war. „Verstehe nicht, wie du es so lange mit der Zicke ausgehalten hast, Michiru-san.“ Michiru begann zu lächeln. „Keine Ahnung. Vielleicht habe ich nur auf eine Heldin gewartet, die mich aus ihren Fängen befreit.“ Haruka legte sich ein Grinsen auf die Lippen. „Jederzeit wieder mein Engel.“ „Meine Güte, in was für ´ner Schnulze bin ich hier eigentlich gelandet?!“ Abermals genervt biss Katashi in sein Sandwich. Am nächsten Morgen rannte der brünette Schüler über den Schulhof. Seine Mitschülerinnen warteten bereits und sahen ihn fragend an. „Noch nicht – gelesen?“, japste er. Alle vier schüttelten die Köpfe. Junko und Kikyo lasen morgens noch keine Zeitung. Auch Haruka hielt nichts von der Presse. Und Michirus Vater war heute schon eher zur Arbeit gefahren, weshalb sie ihm noch nicht begegnet war. „Nicht nur Junko-san ist dein Onkel aufgefallen.“ Die Lektüre, die er hektisch aus seinem Rucksack gekramt hatte, wurde ihm sogleich aus der Hand gerissen. Sofort fiel auf, dass der Klatschartikel nicht der Zeitung angehörte, für die auch Minako schrieb. Kikyo schüttelte ungläubig den Kopf, als sie den letzten Absatz gelesen hatte. „Das stimmt doch nicht, oder Haruka-san?“ „Natürlich nicht!“, entgegnete die Blondine lautstark. „Ich meine… Ja, ich bin abgehauen. Aber den Rest haben die sich ausgedacht! ‚Liebevoller Onkel…‘ Na sicher! Jahrelang tyrannisiert mich dieser Mistkerl und jetzt werde ich auch noch als das undankbare Gör hingestellt?!“ „Das ist doch nur die Klatschpresse, Haruka. Kein Mensch glaubt dem, was da drin steht.“ Michiru versuchte ihre Freundin zu beruhigen, doch diese begann, vor der Treppe zum Schulgebäude auf und ab zu laufen. „Ist doch egal! Wie kommen die auf die Idee, mich so darzustellen?! Das ist… Rufmord!“ Haruka spürte, wie ihr neugierige Blicke den gesamten Tag über folgten. Selbst der Englisch- und Musiklehrer Herr Nanba musterte die Pianistin durchdringend. Haruka wusste, was er dachte. Wieso fiel so viel Talent immer wieder arroganten Egozentrikern wie ihr zu? In der Mittagspause schien Michiru die Lästereien über ihre Geliebte nicht mehr auszuhalten. Es war deutlich zu erkennen, wie an den Nachbartischen über die Rennsportlerin hergezogen wurde. Ruckartig stand Michiru auf und erhob die Stimme. „Hey!“ Aus dem näheren Umfeld wanderten neugierige Blicke zu der Künstlerin. „ICH REDE MIT EUCH ALLEN!“, wurde sie noch lauter, sodass die gesamte Cafeteria verstummte und unzählige Augenpaare auf die sonst so ruhige Geigerin gerichtet wurden. Für einen kurzen Augenblick wollte Nervosität in ihr aufsteigen, aber ein Blick in Harukas überraschte Augen bestärkte sie. „Ich kann nicht glauben, wie leichtgläubig ihr alle seid! Wir besuchen eine der angesehensten Privatschulen Japans! Wir sind die Elite der japanischen Jugend! Mit unserem Abschluss stehen uns die Türen der wichtigsten Firmen und Unternehmen nicht nur in ganz Tokio offen. Von klein an wird uns beigebracht, alles zu hinterfragen. Scharfsinn zu zeigen. Wir sollen selbst denken. Uns immer eine eigene Meinung bilden und diese auch verteidigen. Und ihr seid so dumm, einem billigen Klatschblatt zu vertrauen, statt eurer eigenen Mitschülerin?! Tenoh Haruka ist alles, aber sie ist weder egozentrisch, noch arrogant, noch undankbar. Und wenn ihr schon mal mit ihr gesprochen habt, wisst ihr das auch! Trotzdem zieht ihr jetzt über sie her!“ Ihr Blick suchte den Raum ab, der von Stille erfüllt war, bevor sie weitersprach: „Selbst unsere Lehrer, die uns seit Jahren ach so edle Werte und Tugenden vermitteln, stecken jetzt tuschelnd die Köpfe zusammen und ziehen über ihre eigene Schülerin her. Nanba-sensei, Sie haben Harukas Spiel gehört! Garantiert haben Sie ihre Gutmütigkeit, ihre Wärme spüren können, als sie sich in der ersten Musikstunde vor das Klavier setzte. Und trotzdem erfüllt mich Ihr enttäuschter, herablassender Blick ihr gegenüber mit Ekel. Das hat sie nicht verdient! Nicht ein schlechtes Wort! Natürlich hat Haruka eine Vergangenheit. Die haben wir alle. Doch heute sitzt sie hier neben mir und schon vom ersten Augenblick an hat sie mich eingenommen. Sie hat niemandem in diesem Raum hier etwas getan. Und niemand hier hat das Recht dazu, über sie zu urteilen. Zerreißt euch weiter eure Mäuler über sie, und ihr bekommt es mit mir zu tun. Egal, ob jüngere Schülerin, älterer Schüler oder sogar Sensei.“ Wie ein Messer zerschnitt ihr Blick den Raum, als sie Herr Hisakawa anvisierte, der daraufhin betreten zur Seite sah. Michirus Puls raste. Sie wurde von dutzenden Augenpaaren zum Teil schockiert gemustert. Erneut suchte sie sich überall verstreut einige Schüler heraus, um ihren Worten mit ihren Blicken Nachdruck zu verleihen. Dann trafen ihre Augen Harukas. Diese lächelte sie sanft und dankend an. Michirus Gesichtszüge entspannten sich. Noch immer herrschte Totenstille, als sie sich zu ihr herabbeugte, um ihrer Geliebten einen innigen Kuss zu geben. Einige Schüler sahen eingeschüchtert von dem Paar ab, andere begannen zu grinsen, wieder andere zu seufzen. Als sie den Kuss löste, sprach Michiru ruhig aber deutlich: „Ich liebe dich, Tenoh Haruka. Und mir ist egal-“ KRATSCH Wenige Tische weiter wurde ein Stuhl zurück geschoben und fiel geräuschvoll zu Boden. Gleich drauf warf Hiro seinen Tisch samt darauf stehendem Geschirr um, das scheppernd auf dem Fliesenboden zerbrach. Etliche Augenpaare folgten ihm und seinem Anhang, als die Jugendlichen schnellen Schritts davon stapften. „Kawashima-kun!“, ertönte Herr Hisakawas strenge Stimme laut, doch der Unruhestifter beachtete ihn nicht weiter. „Ich sagte doch, ihr seid zu provokant!“, flüsterte Katashi dem Paar zu. Von Hiros Gruppe ließ sich nicht ein Mitglied in der letzten Unterrichtsstunde blicken. Herr Nanba wendete sich fragend an die Klasse, doch niemand konnte ihm antworten. Als er Michirus Blick traf, drohte der gestandene Lehrer zu erröten. Er räusperte sich und stellte sich hinter sein Lehrerpult, auf den Gong zum Unterrichtsbeginn wartend. Als die Klasse verstummt war, räusperte er sich erneut. Nach einem tiefen Atemzug trat er auf Haruka zu. Plötzlich streckte der Lehrer die Hand aus. „Tenoh-san, ich habe mich wohl zu entschuldigen. Kaioh-san hatte recht. Wir bilden an unserer Schule Japans Elite aus. Da gehört es sich nicht, sich von irgendwelchen Gerüchten blenden zu lassen. Und selbst ein alter Sensei wie ich wäre ein Narr, wenn er sich nicht von seiner besten Schülerin belehren ließe.“ Kurz wanderte sein Blick zu Michiru, die ihm verlegen lächelnd zunickte. Nach Unterrichtsschluss wartete Haruka auf ihren Engel. Sie waren bereits die letzten im Raum, als die Schwimmerin ihre Tasche schloss und auf ihrem Tisch abstellte. „Und da beschwerst du dich über meine Komplimente.“ Haruka stand direkt neben ihr, die Hände in den Hosentaschen. „Ich habe dir keine Komplimente gemacht, ich habe nur meine Mitschüler zur Vernunft aufgerufen.“ „Und unsere Lehrer. Ich dachte schon, Hisakawa würde dir gleich eine Woche Nachsitzen anhängen. Dann hätte ich doch noch etwas anzetteln müssen, damit ich die Strafe mit dir absitzen dürfte.“ „Hisakawa-sensei ist nicht so übel, wie du denkst. Würdest du mehr Zeit damit verbringen, für Japanisch zu lernen, statt dich über ihn aufzuregen, oder mit deiner Mitschülerin zu flirten, würdet ihr euch sicher ganz gut verstehen.“ Haruka begann zu grinsen. In einer einzigen Bewegung hatte sie nach der Geigerin gegriffen, sie auf ihre Hüften gehoben und abgesetzt, drei Schritte vorwärts gemacht, und drückte Michiru nun sanft gegen die Wand des Klassenzimmers. Die Streicherin hatte sofort die Arme um die Athletin gelegt. Sie wollte empört tun, doch ihre Mundwinkel zuckten, als sich Haruka ihrem Gesicht näherte. „Ich flirte nicht. Ein Flirt ist ein Spiel. Aber mit dir meine ich es ernst.“ Wieder entfachten die Lippen der Pianistin Michirus Leidenschaft. Sie krallte in ihr blondes Haar und zog sich an dem muskulösen Nacken empor, weiter in den verlangenden Kuss. Als Haruka abermals begann, ihren Hals zu küssen, reckte die Violinistin ihr Gesicht nach oben. Sie bäumte sich auf und Haruka gehorchte. Sie genoss es, zu spüren, wie ihr Engel schauderte, als sie ihr Zunge langsam über dessen Schlüsselbein wandern ließ. Michirus Brustkorb direkt vor ihrem Gesicht hob und senkte sich schwer. Nach einer schnellen Drehung legte Haruka die Schwimmerin auf einem der Tische ab und beugte sich über sie. „Ich glaube, außer der Putzfrau kommt hier heute niemand mehr rein.“, hauchte sie heißblütig Michiru ins Ohr. Deren Oberkörper drängte sich ihr entgegen. „Du hältst die Rückbank deines Autos für einen unpassenden Ort, aber unser Klassenzimmer ist in Ordnung?!“ Michiru hatte Schwierigkeiten, ihre Worte klar auszusprechen. Sie krallte fester in Harukas Haar und sah ihr hungrig in die Augen. „Deine Vorstellung von einer versüßten Wartezeit ist quälend.“ Haruka grinste frech. „Eine Qual, die du bereitwillig erträgst, wie ich finde.“ Michirus Miene wurde finster. Doch dann drückte sie sich einhändig von der Tischplatte ab, ihrer Beschützerin entgegen. „Halt die Klappe.“ Gierig verlangte sie nach Harukas Berührungen, nach ihren Küssen. Die Rennsportlerin musste sich konzentrieren, nicht die Kontrolle zu verlieren. Wieder wurde ihr Hemd, diesmal aber vollständig, aufgeknüpft. „Michiru, ich-“, brachte sie durch Küsse und Seufzer hervor, doch als die Künstlerin von ihrem Bauch aus über ihre Taille und Rücken bis zu den Schultern strich, versagte ihr Verstand. Erst als die warmen Hände nach vorn wanderten, löste sie sich von Michirus Küssen und griff zärtlich aber bestimmend nach ihren Armen. Sie wartete, bis ihr die Schönheit mit geröteten Wangen in die Augen sah. In ihrem Blick lagen Verlangen, Leidenschaft, Liebe und Hass, was die Athletin zum Schmunzeln brachte. „Entschuldige bitte. Ich werde mich zukünftig zusammen reißen und dich nicht mehr auf die Probe stellen.“ Michirus Gesichtsausdruck veränderte sich erneut. Mal flehte er, mal war er dankbar und kurz sah die Geigerin Haruka wie ein bockendes Kind an, dem man sein Eis weggenommen hatte. Die Sportlerin lachte leise auf. „Noch nie habe ich etwas so wundervolles wie dich gesehen.“ Dann beugte sie sich wieder weiter hinab und flüsterte Auge in Auge mit der Geigerin: „Hast du am Wochenende schon etwas vor? Vielleicht könnten wir deinen Vater dazu überreden, dass du bei mir übernachten darfst.“ Michirus Gesichtsfarbe wurde noch kräftiger. Harukas Blick schien sie zu verschlingen, also schloss sie ihre Lider. Mehrere tiefe Atemzüge waren nötig, bis sie endlich antworten konnte: „Nein, ich habe mir nichts vorgenommen.“ Ganz zärtlich, liebevoll und ruhig spürte sie abermals Harukas Lippen auf ihren eigenen. Die siebte Unterrichtsstunde war noch nicht ganz vorbei. Darum war der Schulhof menschenleer und Michirus und Harukas Schritte hallten zwischen den Gebäuden wider. Eng umklammert hielt die Violinistin den Arm ihrer Freundin und betrachtete ihr Gesicht. Plötzlich blieb die Athletin stehen. Ihr Blick änderte sich. Ihre Muskeln begannen merklich zu zucken, ihre Miene wurde finster. Michiru folgte ihrem Blick, in der Erwartung Hiro zu erspähen. Doch stattdessen stand auf dem Parkplatz ein breitschultriger Mann. Er lehnte an Harukas Wagen und starrte zu Boden. Michiru sah wieder zu Haruka, aber um zu verstehen, wer der Fremde war, musste sie nicht erst fragen. Sanft zog sie an Harukas Hand. Sie wollte zurück und in einem der Schulgebäude warten, bis Hikaru von sich aus verschwinden würde. Aber die Rennfahrerin regte sich nicht. Wie gebannt starrte sie auf ihren Onkel, der sie noch nicht bemerkt hatte. Michiru stellte sich auf Zehenspitzen und flüsterte: „Lass uns zurückgehen. Bitte, Ruka!“ Endlich sah sie von ihm ab. Jedoch schüttelte die Läuferin nur den Kopf. „Bleib hier.“, befahl sie in normaler Lautstärke. Hikaru sah auf. Harukas Nackenhaare stellten sich auf, als sie sein Grinsen erkannte. „Bleib hier.“, wiederholte sie und setzte sich in Bewegung. Nach nur zwei Schritten wurde ihre Hand erneut umklammert. „Michiru, bitte!“ Doch nun schritt die Schwimmerin selbst voran. „Da ist ja mein Sonnenschein! Du hast mich warten lassen, Ruka-chan.“ „Spar dir dein Theater für deine Lügenpresse! Was willst du?“ Haruka war gut fünf Meter vor ihrem Onkel stehengeblieben. Dieser lächelte nun übertrieben Michiru zu, sodass sich Haruka schützend vor sie stellte. „Ich war zufällig in der Gegend und dachte mir, ich könnte mal meine Lieblingsnichte besuchen und mich ihrer neuen Freundin vorstellen.“ Freundlich trat er auf die jungen Frauen zu und streckte Michiru seine Hand entgegen. „Das musst du sein, oder? Touma Hikaru. Freut mich, dich kennen zu lernen.“ Haruka zog Michiru fast grob hinter sich und hielt sie mit beiden Händen fest. „Lass die Finger von ihr! Sie ist nicht nur irgendein Mädchen, das du aus meinem Zimmer werfen kannst.“, fauchte sie zurück. „Wer sagt denn, dass ich das will?“ Hikaru sah seine Nichte gespielt schockiert an. Dann legte er den Kopf schief und lächelte der Versteckten erneut zu. „Keine Ahnung, was dir Ruka-chan über mich erzählt hat. Aber ich bin wahrlich kein schlechter Mensch.“ Michiru bekam eine Gänsehaut. Die Stimme des Mannes war ruhig und rau. Dennoch wurde ihr von seinen Worten kalt. Als sie seinen Blick traf, zuckte sie. Seine Augen waren fast schwarz und wirkten emotionslos und leer, fast tot. „Da habe ich anderes gehört.“, entgegnete sie, nachdem sie sich wieder gefangen hatte. Augenblicklich verschwand sein Lächeln und er starrte wieder zu Haruka. „Ich frage dich noch mal: Was hast du hier zu suchen?“ „Ich gebe ein paar Interviews.“ Nun begann die Blondine zu grinsen. „Erzähl denen ruhig, was du willst. Mina hat bereits über Michiru und mich geschrieben. Jede Zeitung, die unseren Ruf in den Dreck ziehen will, wird von Tokios Bürgern sofort als Klatschpresse abgestempelt. Deine Lügen über den liebevollen Onkel und die undankbare Göre will niemand hören.“ Unweigerlich machte Michiru einen Schritt zurück. Hikarus zunächst ausdrucksloses Gesicht hatte sich angespannt. Eine Ader an seiner Stirn trat sichtbar hervor und durch das Aufeinanderbeißen seinen Backenzähne wirkte sein Gesicht noch bulliger und kantiger. Der Mann trat direkt vor Haruka, griff ihr schnell an die Schulter und bohrte seinen Daumen unter ihr Schlüsselbein. Haruka keuchte und löste den Griff von ihrer Freundin. Beide Hände krallte sie in seinen Arm, doch Hikaru verstärkte seinen Druck. „Was heißt hier ‚Lügengeschichten‘? Ich habe versucht, dich wie mein eigenes Kind zu behandeln.“ Haruka ging auf die Knie. „Ich bin hier, um die Sache klarzustellen. Was meinst du, was mit meiner Karriere passiert, wenn du erst meinen Ruf verunglimpfst?!“ Wieder keuchte Haruka. Michiru stand wie gelähmt hinter ihr. Endlich setzte sie sich in Bewegung. Sie warf sich dem Hünen an den Hals und versuchte, ihn von Haruka weg zu ziehen. Doch Hikaru schüttelte sie mühelos ab und warf sie gegen die Motorhaube von Harukas Auto. Haruka nutzte die unverhoffte Ablenkung und duckte sich unter seinem Griff weg. Sie rammte ihre Rechte gegen seine Bauchmuskeln, wich seinem Konter aus und versetzte ihm einen weiteren Hieb in seine Magenkuhle. „Ich hab gesagt, du sollst die Finger von ihr lassen!“, schrie sie ihn an. Mit beiden Händen griff sie in sein Jackett und schleuderte ihn zu Boden. So schnell er lag, so schnell hatte sich Hikaru auch wieder aufgerichtet. „Das machst-“, doch in dem Moment ertönte die Schulglocke. Hiraku sah sich um. Die ersten Schüler strömten auf den Schulhof und in Richtung Parkplatz. Zähnefletschend schlug er sich den Staub von den Armen, richtete seinen Kragen und kam erneut auf Haruka zu, die ihn verachtend von unten her anfunkelte. „Das wirst du bereuen, Haruka. Das verspreche ich dir.“ „Ich warte auf dich.“, entgegnete die Athletin trotzig. Hikaru schnaubte und verließ schließlich den Parkplatz. Haruka atmete nicht erst durch. Sofort lief sie zu Michiru und umarmte sie. Der zierliche Körper zitterte und wurde von Schluchzern erschüttert. Die Streicherin vergrub ihr Gesicht weinend in Harukas Hemd. Sie bekam kaum mit, wie sie hochgehoben und zur Beifahrerseite des Autos getragen wurde. Haruka wollte sich von ihr lösen, um sich selbst hinters Steuer setzen zu können, doch die Künstlerin ließ nicht von ihr ab. Erst nach mehreren Anläufen konnte sie ihren Engel weg von den neugierigen Blicken der anderen Schüler fahren. Schweigen herrschte zwischen den beiden auf dem Weg zu Harukas Wohnung. Am liebsten hätte sie Michiru nachhause gebracht, doch vorher wollte sie mit ihr reden. Unbeobachtet. Im Penthouse angekommen durchbrach Michiru die Stille. „Du musst ihn anzeigen.“ „Fang bitte nicht wieder damit an, Michiru.“ Sanft zog Haruka die Streicherin ins Wohnzimmer. „Dann engagier wenigstens… ein paar Bodyguards oder so.“ Ungläubig wurde Michiru angesehen. „Und dann? Ich werde mich nicht von Bodyguards zur Schule begleiten lassen. Ich hatte alles unter Kontrolle.“ „Das hab ich gesehen!“ Michiru knüpfte die oberen zwei Knöpfe an Harukas Hemd auf und zog den Stoff zur Seite. An Harukas Schlüsselbein war ein dunkler Bluterguss deutlich zu erkennen. „Sowas von unter Kontrolle.“ Schnell lief die Geigerin in die Küche und holte einen Kühlakku aus dem Gefrierfach. In ein Handtuch gewickelt, drückte sie es vorsichtig gegen Harukas pochende Schulter. Deren grüne Augen starrten sie schweigend an. „Was ist mit dir?“, fragte die Blondine endlich. „Was soll mit mir sein?“ „Geht es dir gut?! Du hättest hinter mir bleiben sollen. Du hättest ihm nicht begegnen sollen! Du hättest-“ „Was hätte ich, Haruka? Zusehen sollen, wie er dich massakriert?! Er hatte dich! Du wärst da nicht ohne Hilfe rausgekommen. Und wer weiß, was er noch mit dir vorhatte.“ Haruka schnaubte, doch ein Blick von Michiru unterband jede Widerrede. „Zeig ihn an. Vielleicht kommt er nicht ins Gefängnis. Aber versuch wenigstens, eine einstweilige Verfügung zu erwirken, damit er dir nicht mehr nahekommen darf.“ In ihrer Stimme verschwand der Befehlston. Stattdessen schwang eine tiefe Bitte in ihr mit. Sie sah von dem kühlenden Handtuch auf in Harukas Gesicht. „Er darf dir nichts mehr tun, Haruka.“ Bevor die erste Träne ihren Weg fand, wurde sie in Harukas Arme gezogen. „Dass ich Sie nur gering schätze, Tenoh-san, liegt keineswegs an irgendwelchen Klatschartikeln. Ihr mangelndes Verständnis für Ihre eigene Muttersprache und die Arroganz, die Sie mir gegenüber an den Tag legen, sind für mich Grund genug, froh zu sein, Ihnen in wenigen Wochen Ihr Abschlusszeugnis in die Hand drücken zu können.“ „Und doch habe ich meinen Abschluss geschafft. Wird mir ebenso eine Freude sein, Hisakawa-sensei.“ Der Geschichtslehrer richtete sich schnaubend auf und machte Kehrt zu seinem Lehrerpult. Dort angekommen, richtete er sich an Narumi. „Wo sind Kawashima-kun und die anderen? Nanba-sensei sagte mir, sie wären nach der Aufführung während der gestrigen Mittagspause nicht wieder aufgetaucht.“ Narumi zuckte teilnahmslos mit den Schultern. „Ohtani-san, auch keine Idee? Eventuell durch das Schauspiel ausgelöste Übelkeit sollte sich doch bereits wieder gelegt haben.“ Einige Schüler kicherten, der Rest sah zu Sanae, die etwas verlassen in der hintersten Reihe saß. Auch sie zuckte mit den Schultern, und errötete sogar ein wenig. „Ich muss sagen, mir gefällt die Ruhe.“, schmatzte Katashi genüsslich in der Mittagspause. „Hättet vorher schon mal so ´ne Show abziehen sollen.“ Haruka zerpflückte nebenbei ihren Salat. „Was denn für eine Show? Das sollte keine Theatervorstellung sein.“ Michiru nickte zustimmend: „Den Kuss, der das Fass offensichtlich zum Überlaufen brachte, hatte ich eigentlich gar nicht geplant.“ Haruka zwinkerte ihr grinsend zu. „Gebt mir bloß keine Zugabe!“ Katashis genervter Blick wanderte zwischen seinen Mitschülerinnen hin und her. „Bist du neidisch, Kusaka?“, fragte Michiru beiläufig. „Ich?! Auf wen?!“ „Auf uns! Was ist denn mit Junko-san? Du wirfst ihr immer solche Blicke zu. Lad sie doch einfach mal auf ein Eis ein oder so. Vielleicht geht da noch was.“ Mit aller Konzentration unterdrückte Haruka ihr Lachen, als Katashi scheppernd seine Gabel aufs Tablett warf, genervt aufstand und aus der Cafeteria verschwand. „Ich hatte das eigentlich ernst gemeint.“, erklärte Michiru ihrer Freundin, als der Schüler davon staubte. Kapitel 21: ------------ Kapitel 21 Nach dem Sportunterricht wartete Michiru bereits vor der Schwimmhalle auf ihre Freundin. Ein ungutes Gefühl überkam sie, als vier Gestalten mit dunklen Pullovern und Kapuzen über die Köpfe gezogen auf der anderen Seite des Parkplatzes auftauchten und sich auf der dortigen Bank niederließen. Kreischende Musik, die von einem ihrer Handys auszugehen schien, wehte zu ihr herüber. Die Figuren kamen ihr bekannt vor, doch sie traute sich nicht, genauer hinzusehen. Jedes Mal, wenn sie es doch wagte, ihren Blick zu der kleinen Gruppe wandern zu lassen, hatte sie das Gefühl, sie hätte die Gestalten bei irgendetwas gestört. Nachdem sie mehrmals vor ihrer Bank auf- und abgegangen war, wurde ihr die Sache zu unheimlich. Sie begann, in ihrer Tasche zu kramen, fluchte etwas von wegen Schusseligkeit, nahm ihre Sachen und sprintete zurück in die Schwimmhalle. Von hieraus konnte sie nicht gesehen werden und auch ihre eigene Aussicht reichte nur aus, um die Einfahrt des Parkplatzes zu beobachten. „Bis morgen, Kaioh-san.“ Michiru zuckte zusammen. „Was? Ähm, ja. Bis morgen, Sensei.“ Frau Ogata stutzte kurz, schüttelte dann jedoch den Kopf und bald darauf konnte Michiru beobachten, wie sie vom Parkplatz fuhr. Nach einigen Minuten erschien endlich der dunkelblaue Ferrari in der Einfahrt. Michiru atmete erleichtert aus. Kurz darauf sprang sie ihrer Geliebten in die Arme, die sie überrascht auffing. „Was ist-“ „Ach nichts.“, unterbrach die Schwimmerin sie. „Lass uns einfach losfahren, okay?“ Haruka stutzte, verstaute jedoch gleich alle Taschen im Kofferraum. Leise fiel die Klappe ins Schloss und die Fahrerin widmete sich wieder Michiru. „Hast du schon eine Idee, was wir noch machen wollen?“ Mit einem Griff in ihre Taille zog sie die Violinistin an sich und in einen Kuss. „Mir wird gleich übel.“ „Ich fang schon an zu- URG!“ Haruka schnellte herum. „Wir haben euch in der Schule vermisst, Kawashima.“, rief sie ihrem Kontrahenten in Schwarz zu. „Hatte wohl ´ne Magenverstimmung.“, entgegnete dieser. „Ihr alle?“ Haruka schob Michiru hinter sich. Die Geigerin griff nach ihrer Hand und zog sie zu sich herunter. „Haruka, lass uns gehen. Wir sind nicht auf dem Schulhof. Wenn er aus tickt, wird sich niemand einmischen können!“ „Sie hat recht, Tenoh-san. Wir sind nicht auf dem Schulhof.“ Hiro trat langsam dichter an das Paar heran. „Was, wenn ich aus ticke…?“ Haruka kroch ein starker Gestank nach Alkohol unter die Nase. „Ich wusste nicht, dass du schon volljährig bist.“ Hiro starrte sie mit glasigen Augen an. „Bin ich auch nicht. Nicht ganz. Aber Takato-kun.“ Mit einem schiefen Grinsen legte er einem der Jungs seinen Arm über die Schultern. „Aber is auch egal.“ Er setzte einen neutralen Gesichtsausdruck auf und wollte auf Michiru zugehen, doch Haruka versperrte ihm den Weg. „Tenoh-san, erklär mir das. Woher kommt dein Selbstvertrauen? Ich kenne deine Vergangenheit. Wer schon so oft verprügelt und mehrmals fast krankenhausreif geschlagen wurde, muss doch irgendwann mal die Schnauze vollhaben. Aber du bist immer noch auf Stress aus.“ Haruka schluckte. „Auch in Nagoya habe ich mich nur selten geprügelt. Und normalerweise waren es die anderen, die davonkrochen. Du weißt, wie ich austeilen kann.“ „Ja ja,“, stimmte der Jugendliche zu, „das ist das, was durch die Presse ging. Ich meine das, was hinter den Türen des Hause Touma geschah. Dort gab es doch jemanden, der dir das Grinsen aus dem Gesicht wischen konnte, oder nicht?“ Harukas Muskeln begannen zu zucken. Doch diesmal wandte sie sich an Michiru. „Steig ein. Wir fahren. Ich prügle mich nicht mit Betrunkenen, die wissen nie, wann Schluss mit Lustig ist.“ Die Geigerin nickte erleichtert und ging auf die Beifahrertür zu. Haruka sah ihr kurz nach, bis sie sich selbst in Bewegung setzte. Doch plötzlich wurde sie gegen ihren eigenen Wagen gestoßen. „Für dich bin ich bei Weitem noch nüchtern genug, Tenoh!“, höhnte Hiro plötzlich lautstark. „Vergiss es, Kawashima. Ich werde mich nicht mit dir schlagen.“ Harukas ruhige Stimme schien ihn anzustacheln. „Hast recht Tenoh. Du wirst zu keinem Schlag kommen.“ Blitzartig griff er nach Harukas Kragen und versuchte, sie von ihrem Auto weg zu schleudern. Doch die Blondine schwankte nur kurz und fing sich mit Leichtigkeit wieder ab. „Was hast du für ein Problem, Kawashima?!“ Michiru stand mittlerweile vor Hiro und starrte ihn fassungslos an. „Halt´s Maul, Kaioh.“, bellte er zurück. Abfällig ließ er seinen Blick an ihrem Körper auf- und abwandern. Ruckartig wurde er plötzlich selbst gestoßen, konnte sich allerdings nicht mehr abfangen, und ging zu Boden. „Lass deine Finger von ihr! Und wag es nicht, so mit ihr zu sprechen!“ Haruka hatte sich abermals schützend vor Michiru gestellt. Hiro fletschte die Zähne und stand schnell wieder auf den Beinen, um erneut auf die Athletin zu zustürmen. Die Kontrahenten packten sich gegenseitig am Kragen. Ohne Frage war ihm Haruka überlegen. Wieder schaffte sie es, den Schwarzhaarigen von sich zu schleudern. Diesmal in die Arme einer seiner Begleiter. Wie ein Bumerang kehrte Hiro sofort zu ihr zurück und versuchte, ihr einen Kinnhaken zu verpassen, doch sie fing ihn ab und drehte seinen Arm auf seinen Rücken. „Ich sagte doch, Betrunkene wissen nicht, was sie tun.“Gezielt stieß sie ihn nochmals zu Boden, weg von seinem Anhang. „Geh nachhause und komm morgen wieder. Wenn du nüchtern bist.“ Ein plötzlicher Ruck ließ Haruka einen Schritt vorwärts machen. Einer von Hiros Jungs, Ryo, hatte nicht länger gewartet und sich von hinten auf sie gestürzt. Mit aller Kraft versuchte sie, den Schmächtigsten der Gruppe abzuschütteln, der sie im Doppelnelson fixierte. „Wie feige seid ihr eigentlich?! Lass mich los!“, brüllte sie. Doch chancenlos wurde sie in Hiros Richtung gedreht, der sich wieder aufgerafft hatte. Diesmal stellte sich Michiru schützend vor Haruka. „Krieg dich wieder ein, Kawashima! Du hast noch nie eine Frau geschlagen! Was ist mit dir los?!“, schrie sie verzweifelt. Hiro funkelte sie angriffslustig an. Bevor sie ausweichen konnte, hatte er nach ihrem Hals gegriffen. „Du kennst mich, Michi. Hab mich lange zusammengerissen. Aber wenn dann auch noch die große Kohle lockt, kann ich nicht mehr widerstehen.“ Der Gestank aus seinem Mund trieb Michiru fast die Tränen in die Augen. „Komm zu mir zurück. Dann teilen wir.“, flüsterte er nur noch Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt. Jetzt reichte es Haruka endgültig. Mit ihrem Hacken trat sie auf Ryos Fuß, der daraufhin reflexartig von ihr abließ. Dann drehte sie sich um, schlug ihm mit Links in den Magen, mit Rechts gegen die Schläfe und machte ihn mit einem weiteren Schlag gegen sein Ohr kampfunfähig. Endlich konnte sie auf Hiro zustürmen. Der stieß Michiru zur Seite und wollte der Rennfahrerin entgegen kommen, doch Michiru sprang ihn von hinten an, legte ihre Hände um seinen Hals und zog ihn am Kinn nach hinten. Hiros übriger Anhang, Yuji und Kosaru, sahen nicht länger still zu. In dem Moment, als Haruka ausgeholt und Hiros Rippen anvisiert hatte, stürzte sich Yuji auf Michiru und riss sie in den Staub. Haruka stockte kurz. Schnell führte sie ihren Schlag aus und wollte Michiru zu Hilfe kommen, doch Kosaru war schneller. Er war der größte und ohne Frage der stärkste in Hiros Gruppe. Um die Läuferin an sich zu ziehen und in den Schwitzkasten zu nehmen, musste er sich nicht großartig anstrengen. „Lass mich los, du Ratte!“, fluchte Haruka und wehrte sich mit allen Gliedern. „HARUKA!“ Michiru hatte keine Chance. Mit Leichtigkeit hatte sich Yuji auf sie gesetzt und drückte ihre Hände in den rauen Schotter des Parkplatzes. „Na, na!“, zischte er beinahe genüsslich. „Hör auf zu strampeln, sonst tust du dir noch weh.“ Harukas Augen weiteten sich. Wild schlug sie um sich. Plötzlich spürte sie einen durch Hass getriebenen Hieb in ihren Bauch. Sie keuchte. Kosaru ließ von seinem Opfer ab, das japsend auf die Knie fiel. Wieder ein Schlag. Diesmal gegen ihre Schläfe. Im Nebel erkannte Haruka Hiros hämisches Grinsen und seine schwarzen Augen. „Wieso plötzlich so kleinlaut, Tenoh?“ „HARUKA!“ Sie schüttelte den Kopf. Irgendwie musste sie wieder klarwerden. Sie schwankte, kippte fast von allein um. Aber letzten Endes half Hiro nach. Ein Tritt in ihre Seite ließ sie aufheulen und zusammen brechen. Übelkeit überkam sie, aber der neue Schmerz überdeckte den in ihrem Kopf. Sie kam wieder auf alle Viere und versuchte sich ein Bild über die Lage zu verschaffen. Kosaru stand einige Schritte neben ihr. Direkt vor ihr lag Michiru. Yuji hatte sich dicht über sie gebeugt und seine Lippen bewegten sich. Was er sprach, konnte Haruka nicht verstehen, dafür drehte sich alles zu schnell. Auf der anderen Seite neben ihr hockte nun Hiro. Auch er schien zu sprechen, doch sie verstand kein Wort. Ihr Blick wanderte zurück zu Michiru. Plötzlich stand ihr Körper auf Angriff. Blitzartig schnellte sie vorwärts, zu schnell für Hiro und Kosaru, stürzte sich auf Yuji und riss ihn von Michiru weg. Der Raserei verfallen schlug sie auf sein Gesicht ein, bis plötzlich ihre Hände festgehalten wurden. Kosaru zog sie in die Höhe, doch sie schaffte es noch, Yuji einen Tritt zwischen die Beine zu verpassen. Ein Aufschrei. Dann krümmte er sich vor Schmerz zusammen. Haruka grinste fast belustigt, doch gleich darauf stand Hiro wieder vor ihr und drückte sie gegen Kosaru. „Lustig, was?“ knurrte er, bevor er ihr einen erneuten Schlag versetzte, der diesmal ihre Rippen traf. Haruka stöhnte. Wieder stand Michiru hinter Hiro und zog ihn von ihrer Freundin. „Lauf endlich weg!“, rief die Rennsportlerin ihr nach. Mit aller Wucht schlug sie ihren Hinterkopf in Kosarus Gesicht. Der ließ sofort von ihr ab und griff sich jaulend an seine blutende Nase. Haruka setzte nach, schlug ihm mehrmals ins Gesicht, bis der Hüne taumelte und schließlich wimmernd zusammen sackte. Jetzt stürzte sie sich wieder auf Hiro. Ihr Widersacher hatte sich mit Leichtigkeit aus Michirus Griff befreit. Nun hatte er sie bei den Haaren gepackt und zwang sie in die Knie. „Warum musst du dich immer ein-“, weiter kam er nicht. Haruka hatte ihn im Nacken gegriffen, und schleuderte ihn, als er Michiru wieder freigegeben hatte, gegen die Begrenzungsmauer des Parkplatzes. Nur noch von Instinkten getrieben, fixierte sie ihn mit der linken Hand an seinem Hals und versetzte ihm einen rechten Haken nach dem anderen. Hiro war kaum noch bei Bewusstsein, als die Sportlerin plötzlich von ihm weggestoßen wurde. „Weicheier! Allesamt! Zu nichts zu gebrauchen, diese eingebildeten Flachzangen!“ Die bekannte Stimme drang noch an sein Ohr, bevor er ohnmächtig wurde. Haruka fand sich auf dem Boden liegend, gut zwei Meter neben Hiro, wieder. Entsetzt sah sie auf. Ihr Onkel stand vor ihr und spuckte dem jungen Erwachsenen ins Gesicht. „Man sollte sich nie auf andere verlassen, was Haruka?“ Mit wenigen Schritten war er über ihr. Seine mitgenommene Nichte konnte er ohne Anstrengung fixieren, indem er seine Knie in ihre Arme drückte. Viel zu zärtlich strich er über ihr Gesicht. „Ich hab dich unterschätzt. Oder die Jungs überschätzt.“ Mit beiden Händen übereinander, stützte er sich auf Harukas Hals ab. Das Bild vor den Augen der Pianistin verschwamm. „Ich sagte dir, du würdest es bereuen.“, hörte sie stumm, als plötzlich der Druck auf ihren Körper nachließ. Für einen Moment glaubte sie, Hikaru hätte schon genug. Doch dann traf sie ein starker Schlag am Kopf und die Welt um sie herum wurde schwarz. Von den nächsten Minuten bekam Haruka nicht viel mit. Ihr Name wurde gerufen. Viele Male. Geschrien… Andere Rufe. Verschiedene Sirenen. Aufblitzende Lichter. Eine Frau weinte. >Michiru?< Kurz flackerte etwas Türkisfarbenes vor ihren Augen auf. Oder war es nur das Blaulicht? Wieder wurde alles schwarz. Harukas Lider zitterten vor Anstrengung, als sie gehoben wurden. Helles Licht blendete die Rennfahrerin. Ein fader Geschmack lag auf ihrer Zunge. Einen Moment sah sie an die weiße Decke ihres Krankenhauszimmers. Langsam drehte sie den Kopf zur Seite. Offenbar lag sie in einem Einzelzimmer. Ihr Blick wanderte wieder zur Zimmerdecke. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Haruka sah wieder nach rechts. „Haruka!“ Minako stand kreidebleich vor ihr. Viel zu hastig fiel sie ihrer kleinen Schwester um den Hals, die daraufhin aufstöhnte. „Oh, verdammt! Entschuldige.“ Mit mitleidigem Blick legte sie ihre Hände um Harukas Wangen und sah ihr in die Augen. Sie schien nach den passenden Worten zu suchen, entschied sich jedoch für einen Kuss auf ihre Stirn. Das Geschwisterpaar sah sich einige Zeit lang schweigend an. Dann begann Minako: „Wieso hast du nichts gesagt?“ Haruka wandte den Blick ab. „Warum bist du nicht zu mir gekommen? Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dich nie mit ihm allein gelassen! Ich hätte dich von ihm weggeholt!“ Ihre Stimme schwankte. „Du solltest es gar nicht erfahren.“, entgegnete Haruka leise. „Wieso nicht? Hat das dein übergroßes Ego nicht zugelassen? Hattest du geglaubt, du wirst schon irgendwann allein mit ihm fertig?“ Endlich sah ihr Haruka wieder in die Augen. „Ich wollte dich nicht mit reinziehen. Selbst wenn er die Finger von dir gelassen hätte, wäre ich nur eine Last für dich gewesen. Du bist doch selbst kaum älter als ich!“ „Immer noch alt genug, um auf meine kleine Schwester aufzupassen! Haruka, wie kannst du nur glauben, du könntest mir eine Last sein?! Ich habe Mama damals versprochen, auf dich aufzupassen. Und wegen deines sturen Schädels konnte ich das nicht!“ Wieder umarmte sie ihre Schwester, diesmal jedoch vorsichtiger. Erneut ging die Tür auf. Michiru hatte vom vielen Weinen noch immer ein gerötetes Gesicht. Sie stellte die zwei Becher Tee auf dem Tisch vor dem Fenster ab und setzte sich auf die noch freie Seite von Harukas Bett. Zärtlich strich sie über Harukas Handrücken. „Es ist vorbei, Mina.“, flüsterte Haruka, damit sich die Journalistin wieder von ihr löste. „Und wie es das ist.“, fügte Michiru hinzu. „Die Polizei hat ihn verhaftet. Haben ihn gleich mitgenommen. Ich habe ihnen alles erzählt. Und Takato, Tosei und Han haben gesungen, wie die Spatzen. Dass er sie vor der Schule abgefangen hat. Er hat gefragt, ob sie dich kennen würden und Kawashima hat sich gleich mit ihm angelegt, weil er dachte, ihr würdet einander nahestehen. Touma hat jedem von ihnen Geld geboten. Kawashima hat sofort eingewilligt und die anderen davon überzeugt, mitzumachen. Der liegt übrigens am anderen Ende des Korridors.“ Bei Michirus letzten Worten, begann Haruka zu grinsen. „Findest du das witzig? Haruka, ich habe dich kaum wiedererkannt! Hätte es nicht gereicht, ihm eine blutige Nase zu verpassen?“ Haruka rollte die Augen. „Ach komm! Der verdient nichts anderes! Hätte ich ihm vorher schon mal richtig eine verpasst, wäre es gar nicht so weit gekommen.“ „Und du wärst von der Schule geflogen. Was immer noch passieren kann…“ „Das wird nicht passieren, Michiru. Das war nur Notwehr. Das weißt du.“ Sanft strich Haruka ihrem Engel über die Wange. „Okay…“ Minako hatte ihren Tee fast ausgetrunken und stand auf. „Wenn ihr nichts dagegen habt, werde ich mal nach einem Arzt suchen.“ Haruka nickte und die ältere Blondine ließ das Paar allein. Haruka rutschte weiter auf die freigewordene Seite des Bettes. Augenblicklich folgte ihr Michiru, um sich neben sie zu legen und an sie zu kuscheln. Bei ihrer ersten Berührung mit Harukas Rippen, zuckte die Athletin. „Tut mir leid, Haruka!“, entschuldigte sich Michiru und wollte von ihr wegrobben. Doch Haruka hielt sie fest und zog sie wieder zurück. Ganz langsam legte die Streicherin ihren Kopf auf ihrer Brust ab. Ihre Tränen hatte sie längst aufgebraucht, also schmiegte sie sich, statt zu weinen, stumm in die Krankendecke. Als die Tür abermals aufging, sah sie verschlafen auf. Ein Mann in weißem Kittel betrat mit Minako den Raum. „Wie ich bereits Ihrer Schwester berichtete, haben sie weder innere Verletzungen noch Knochenbrüche davongetragen. Lediglich geprellte Rippen und ein paar Blutergüsse. Zudem die Platzwunde an ihrer Schläfe,“, jetzt erst bemerkte Haruka den Verband um ihren Kopf, „, die wir aber mit zwei Stichen nähen konnten. Ich muss zugeben, ich bin beeindruckt, dass Sie schon wieder wach sind.“ Der Arzt stellte sich neben das Bett, leuchtete ihr mit einer Lampe in die Augen und schien weitere kleine Experimente mit Haruka zu machen, der dabei sichtlich unbehaglich wurde. „Alle Achtung! Es gehört schon ein ordentlicher Dickschädel dazu, so einen Kopftritt halbwegs heil zu überstehen.“ Er schmunzelte, doch Haruka sah ihn schockiert an. „Vielleicht hat er auch nicht mit voller Kraft zugetreten.“, wehrte er ihren Blick ab und richtete sich wieder auf. „Wir werden Sie über Nacht hierbehalten. Nur zur Beobachtung. Morgen dürfen Sie gehen. In den nächsten Wochen kein Sport. Und stellen Sie sich bei Ihrem Hausarzt vor!“ So eilig er mit seiner Rede begonnen hatte, verschwand der Arzt wieder aus dem Zimmer. >Mein Hausarzt? Den sollte ich mir dann mal suchen…<, dachte Haruka. Minako griff nach der eben abgelegten Akte und studierte sie. „Hier steht ein Schmerzmittel drauf. Mehr nicht. Bin beeindruckt. Und das, obwohl du gleich von fünf Männern zusammengeschlagen wurdest.“, murmelte sie vor sich hin. „Von denen zählen höchstens drei! Den ersten hatte ich ganz schnell ausgeknockt und der zweite hatte gar keine Zeit, sich zu wehren.“, prahlte Haruka. Am späten Abend ließ sich Michiru von Minako nachhause bringen. Sie wurde schon ungeduldig erwartet. Lautlos betrat sie das Wohnzimmer und lehnte sich gegen den Türrahmen. Sofort, als ihr Vater sie entdeckt hatte, sprang er auf. „So langsam reicht es mir mit diesem Rennprofi! Hast du mal auf die Uhr gesehen?! Ich glaube-…“ Jetzt wanderte sein Blick an Michirus dreckiger Schuluniform nach unten und zurück in ihr Gesicht. „Mein Gott, Michiru!?“ Setsuna lief an ihrem Ehemann vorbei und griff besorgt nach Michirus Händen. „Was ist passiert?“, fragte sie knapp. Streng sorgte sie dafür, dass Toshio seine Tochter aussprechen ließ. „Ich wusste, dass dieser Kawashima nicht ganz dicht ist!“, herrschte er zum Schluss. „Hoffentlich stecken die den gleich mit in den Knast! Vergreift sich an Frauen… Sowas feiges! Und dieser Typ, der sich Onkel schimpft, erst! Wie kann man seinem eigen Fleisch und Blut nur so etwas antun?!“ Setsuna schmunzelte ein wenig über seinen Ausruf und lief dann in die Küche, um Michiru ihr Abendbrot zu holen. So früh wie möglich verließ Haruka das Krankenhaus. Minako hatte darauf bestanden, sie abzuholen. Ihr erstes Ziel war die Schwimmhalle. Immerhin stand Harukas Ferrari seit gestern einsam und verlassen dort ungeschützt herum. Neugierig sahen sich die Blondinen um. Im Schotter waren die Spuren der Schlägerei deutlich zu erkennen. Und auch die Stelle, an der Kosaru mit seiner blutenden Nase gelegen hatte, war noch rot gefärbt. Als sie genug gesehen hatte, wandte sich Haruka an Minako. Die gab ihr gleich die Visitenkarte ihres Hausarztes, den Haruka aufsuchen wollte, sobald sie sich geduscht und umgezogen hatte. Vor der Gemeinschaftspraxis seufzte die Läuferin. Voller konnten drei Warteräume gar nicht sein. An der Rezeption stellte sie sich vor und reichte Dokumente aus dem Krankenhaus weiter. „Verzeihen Sie, Tenoh-sama, aber Kido-sensei ist bereits ausgebucht… Wenn Sie nichts dagegen haben, könnten wir Sie bei seiner Kollegin eintragen. Ihr Terminplan ist auch nicht so voll…“ Haruka nickte stumm. Wen sie alle drei Jahre aufsuchen würde, wenn sie dann mal krank werden würde, war ihr vollkommen egal. Schon nach zwanzig Minuten Wartezeit wurde sie aufgerufen. Das Sprechzimmer ihrer Ärztin lag ganz am Ende des langen Korridors. Eine Schwester begrüßte sie und verließ mit der Bitte, sich noch einen Moment zu gedulden, den Raum. Gleich darauf, öffnete sich eine Tür hinter Haruka. Sie wartete. Nichts war zu hören. Also drehte sie sich um. Haruka schluckte. Vor ihr stand eine wirklich bemerkenswert gutaussehende Ärztin. Sie spielte nachdenklich mit einer langen, dunkelgrünen Haarsträhne und studierte die Krankenhausakte. Plötzlich sah sie auf. Haruka zuckte unweigerlich zusammen. Die granatroten Augen strahlten eine überwältigende Ruhe und Fürsorge aus. „Freut mich, dass Sie zu mir gefunden haben, Tenoh-san. Mein Name ist Meioh Setsuna.“ Abwesend nahm Haruka den Handschlag an. „Ist sie wenigstens hübsch?“ Haruka blinzelte. „Was?“ „Erzählen Sie mir nicht, dass es dabei nicht um ein Mädchen ging.“ Setsuna setzte sich ihrer Patientin gegenüber. Haruka legte sich ein leichter Rotschimmer auf die Wangen. „Verdammt hübsch. Der schönste Engel, den man sich nur vorstellen kann…“ Ihr Blick folgte der Hand der Ärztin, die begann, den Kopfverband zu lösen. Als die genähte Platzwunde zum Vorschein kam, zog Setsuna die Augenbrauen zusammen. „Na hoffentlich weiß sie Ihr Opfer zu schätzen. Darf ich fragen, wer Sie so zugerichtet hat?“ „Ein paar Schläger aus unserer Klasse.“ Etwas an der Ärztin schenkte Haruka Sicherheit. „Und mein Onkel.“ Setsuna hörte sich aufmerksam Harukas Geschichte an. Immer, wenn es sich ergab, fragte sie ihre Patientin nach Michiru aus. Ihre Stieftochter hatte so von der Sportlerin geschwärmt, dass sie jetzt unmittelbar aus ihrem Mund hören wollte, wie viel sie ihr bedeutete. In Gedanken vertieft trottete Michiru über den Schulhof. Ohne Haruka machte der Klassenbesten der Unterricht einfach keinen Spaß. Irgendwie hatte sie auch die letzte Stunde ausgehalten. Aber nun stand ihr ein unendlich langes Wochenende bevor, bis sie ihre Haruka am Montag wiedersehen würde. Plötzlich schrak sie auf. Beinahe wäre sie gegen einen größeren Schüler gelaufen. Ohne aufzusehen entschuldigte sie sich und trottete weiter. Doch der Schüler hielt sie dreist fest. Michiru drehte sich um und wurde augenblicklich in einen Kuss gezogen. Sie musste nicht erst ihre Augen öffnen, um zu wissen, wer sie in die Arme zog. Sofort legte sie ihre Hände in Harukas Nacken und wollte an ihr herauf springen, aber die Blondine stöhnte schmerzerfüllt auf. Reflexartig machte Michiru einen Satz rückwärts. „Gott, entschuldige. Ich hatte nicht mit dir gerechnet…“ Die Pianistin hielt sich die Rippen, begann jedoch zu grinsen. „Hast du nicht? Bespringst du neben mir noch andere gutaussehende Schüler?“ „Du weißt, was ich meine.“ Michiru machte einen Schritt nach vorn und richtete Harukas schwarzes Hemd, das sie halboffen über einem roten Shirt trug. „Du siehst gut aus, in Alltagsklamotten.“, stellte sie fest. „Und du siehst in allen Klamotten gut aus, mein Engel.“ Michiru schmunzelte. „Da will ich dir mal ein Kompliment machen und bekomme gleich einen Konter.“ „Damit musstest du rechnen.“ Haruka gab ihr einen kurzen Handkuss. „Was machen wir dieses Wochenende?“ Michiru sah ihr verführerisch in die sanften Augen. „Ich würde sagen, du legst dich auf dein Sofa und erholst dich.“ Die Leichtathletin rümpfte die Nase. „Ist das dein Ernst? Meine Ärztin hat gesagt, ich solle mich ruhig ein bisschen bewegen. Und ich hatte gehofft,“, jetzt zog sie die Violinistin wieder eng an sich, „du könntest“, sie gab ihr einen liebevollen Kuss, „mich dabei unterstützen.“ und begann den Hals der Künstlerin zu liebkosen. Michiru gab der Versuchung nur einen Augenblick nach und reckte sich den warmen Lippen entgegen, doch dann kam sie wieder zur Vernunft und drückte die Blondine sanft von sich. „Ich glaube nicht, dass deine Ärztin diese Form der Bewegung gemeint hat. Aber wenn du möchtest, zeige ich dir morgen weiter Tokio. Beim letzten Mal sind wir ja nicht sehr weit gekommen…“ Haruka verdrehte die Augen. „Ach, und Shoppen wäre nicht zu anstrengend?“ „Ich will doch nicht shoppen.“ Zärtlich strich Michiru über Harukas Hemd. „Ich zeig dir den Shinjuku-Gyoen-Park.“ Kapitel 22: ------------ Kapitel 22 Ungeduldig trommelte Haruka mit den Fingern auf dem Lenkrad herum. Auch dieses Mal war sie zu früh dran. Sie beugte sich vor, um aus der Windschutzscheibe heraus an dem Wolkenkratzer empor zu sehen, in dem ihre Freundin wohnte. Schließlich war sie das Warten leid und stieg aus, um gleich darauf der Treppe in den vierten Stock zu folgen. Kurz nachdem sie den Klingelklopf betätigt hatte, öffnete ihr Michiru die Tür. „Guten Morgen!“, strahlte die Violinistin und gab ihr einen flüchtigen Kuss. Sie hatte den Flur schon betreten und wollte zum Fahrstuhl eilen, doch ihr Vater hielt die beiden jungen Frauen auf. „Jetzt wartet doch mal!“ Überrascht wandte sich Haruka ihm zu. „Guten Morgen, Haruka-san.“ Toshio trat zögerlich und mit mitleidigem Blick auf die Blondine zu. „Ich wollte nur… Michiru hat erzählt, was… Also ich möchte nur, dass du weißt… Solltest du Hilfe brauchen, deinen Onkel betreffend…“ Verunsichert sah er in die fragenden Augen. „Ich sehe, wie du Michiru verändert hast. Und nach dem, was Michiru mir von dir immer so vorschwärmt, will ich dir nur sagen, dass ich sehr froh bin, dass du für mein kleines Mädchen da bist, Haruka. Ich gebe zu, ich war skeptisch, als dieser ganze Medienrummel losging und Michiru da unwillkürlich mit reingezogen wurde. Aber sie hat mir erzählt, was vor der Schwimmhalle alles passiert ist. Ich glaube, in bessere Hände könnte ich meine Tochter nicht geben. Dieser Kawashima war mir schon immer ein Dorn im Auge, und ich bin froh, dass du da warst, um Michiru zu schützen.“ Abwehrend schüttelte Haruka den Kopf. „Wäre ich nicht gewesen, wäre es überhaupt nicht so weit gekommen. Nur meinetwegen ist er ausgeflippt.“ „So wie ich das sehe,“, Toshio legte ihr beschwichtigend eine Hand auf die Schulter, „war er eine tickende Zeitbombe. Früher oder später wäre er ohnehin durchgedreht. Rede dir nichts ein. Und was deinen Onkel betrifft, stehe ich voll und ganz hinter dir. Du hast ihn doch angezeigt, oder?“ Haruka nickte langsam. „Mir blieb ja keine andere Wahl… Die Polizei kam schließlich auch auf den Parkplatz. Also haben sie ihn gleich mitgenommen. Eigentlich wollte ich ihn aus meinem Leben streichen. Ihn vergessen. Aber die Option hatte ich nicht.“ Für einen kurzen Augenblick herrschte Stille. Dann schloss Toshio die überraschte Haruka plötzlich in seine Arme. „Mach dir darum mal keine Sorgen. Bald wird er aus deinem Leben gestrichen. Und dann wird er es nicht wagen, dich noch einmal anzurühren!“ Haruka schluckte. Die sonst so fürsorgliche Stimme klang unglaublich ernst. Fast so, als würde er ihr ein Versprechen geben. Das Versprechen, dass sie nun endlich wieder einen Vater an ihrer Seite hatte, der sie bei allem, was sie tat, unterstützen würde. „Das war irgendwie merkwürdig.“ Haruka stand neben Michiru im Lift und starrte an die verschlossene Fahrstuhltür. Michiru griff schmunzelnd nach ihrer Hand. „Das war nicht merkwürdig. Er hat dir nur seine Hilfe angeboten.“ Skeptisch sah Haruka zu ihrer Freundin. „Weil er weiß, wie viel du mir bedeutest.“, fügte die Künstlerin hinzu, bevor sie sich streckte, um Haruka einen liebevollen Kuss zu geben. Kurz löste sie sich, „Und dass er dich nur noch ‚Haruka‘ nennt, heißt wohl, dass er dich in unserer Familie aufgenommen hat. Und mich dir wirklich anvertraut.“, um sie dann hinunter zu ihren eigenen Lippen zu ziehen. Beide ließen sich widerstandslos in das vertraute Herzrasen fallen, bis sie von dem leisen Bing der Fahrstuhltür getrennt wurden. Auf dem Weg zum Auto spürte Haruka, wie sie von der Seite her gemustert wurde. Verblüfft blieb sie stehen. „Stimmt was nicht?“, fragte sie grinsend. Michiru kniff nachdenklich die Brauen zusammen. Auffallend musterte sie Harukas Outfit. Eine weite, weiße Bluse mit schwarzem Kragen und Spitzenakzenten, und eine enge Jeans, die bis zu den schwarzen, auffallend hohen Booties reichte. „Du siehst heute so… feminin aus…“ Die Blondine grinste noch breiter und zog Michiru eng an sich. „Gefällt es dir nicht? Von mir aus fahren wir in meine Wohnung und ich lege die Klamotten wieder ab.“ Die Geigerin sah ihr verführerisch in die Augen. „Das hättest du wohl gerne, was?“ Sie schob ihre Hände in den sandblonden Nacken, um die Rennfahrerin an sich zu ziehen und sie in einen langen, leidenschaftlichen Kuss zu verwickeln. Erst als ihr allmählich die Luft ausging, löste sie sich um ein paar Zentimeter von den warmen Lippen. „Ich hab nichts dagegen. Egal, ob Hemd oder Bluse. Du gefällst mir in allen Klamotten. Mit allen Facetten.“ Haruka konnte nicht verhindern, bei den liebevollen Worten rot zu werden. In Nagoya hatte sie ihr Image gehabt. Die Frauen waren ihr immer wegen ihrer maskulinen Ausstrahlung nachgelaufen. Ihre anderen Seiten hatte sie nie zeigen wollen. Es hätte sich einfach falsch angefühlt. Doch in Michirus Gegenwart konnte sie frei sein. Langsam wanderten Michirus Hände über Harukas Hals und krallten sich schließlich in dem weiten Kragen fest. „Ich liebe dich, mein Engel.“, flüsterte die Blondine, bevor sie erneut in einen Kuss gezogen wurde. Mittlerweile wusste Michiru, dass es keinen Sinn hatte, mit Haruka darüber zu diskutieren, wer die Eintrittskarten bezahlen würde. Also wartete sie einige Schritte weiter geduldig vor dem Eingangstor zum Shinjuku-Gyoen-Park. „Ich hoffe, du rechnest mit. Ich kann mich nicht immer auf deine Kosten durchs Leben schlagen.“, zwinkerte sie, als Haruka ihr ihre Karte reichte. „Darüber brauchst du dir nicht deinen Kopf zerbrechen. Du bist für mich da. Und dafür würde ich auch mein ganzes Vermögen wegwerfen und in einen Pappkarton ziehen.“ Hinter dem Eingangstor nahm Haruka Michirus Hand und verschlang ihre Finger mit denen der Streicherin. Verlegen ließ sich Michiru durch die ersten Gärten führen. Zwischen Rosenranken, die ihre ersten Blätterknospen schoben, fand sie eine steinerne Bank, zu der sie ihre Freundin führte. Haruka lehnte sich zurück und genoss die warmen Sonnenstrahlen, die ihr über die Wangen streichelten. „Wir hätten vielleicht in zwei Monaten herkommen sollen.“, seufzte sie. „Wenn alles gedeiht und blüht, meine ich.“ Michiru lehnte sich an sie. „Dann können wir ja noch mal wiederkommen. Aber ich dachte mir, jetzt ist der Park noch nicht so überlaufen und wir haben mehr Ruhe und Zeit für uns.“ Haruka begann zu lächeln. „Daran hatte ich noch gar nicht gedacht.“ Doch plötzlich wurde ihr Gesichtsausdruck ernst und ihre Stimme leiser. „Und nachdem, was vorgestern passiert ist, würden wir uns an anderen öffentlichen Plätzen gar nicht vor den Medien retten können. Wundert mich trotzdem, dass die uns nicht gefolgt sind…“ Prüfend sah sie sich um. „… Vielleicht haben die nur noch nicht herausgefunden, wo ich wohne…“ Michiru seufzte leise, bevor sie Harukas Blick suchte. Einen Moment lang sah sie schweigend in das vertraute Grün. Dann begann sie zögerlich: „Wie… geht es dir jetzt eigentlich? Ich meine, wegen deines Onkels.“ Haruka strich sich mit ihren Fingern vorsichtig über die kleine Wunde an ihrer Schläfe, über der nur noch zwei weiße Strips klebten. „Geht schon. Nächste Woche werden die Fäden schon gezogen. Habe nur Kopfschmerzen, wenn die Wirkung der Tabletten nachlässt.“ Michiru schüttelte den Kopf. „Das meinte ich nicht, Ruka.“ Haruka sah sie fragend an. „Tu nicht so, als würdest du mich nicht verstehen. Er war schließlich dein Vormund. Und ist immer noch dein Onkel. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn man von dem Menschen, der einen eigentlich schützen und für einen sorgen sollte,…“ Sie brach ab. Haruka wich Michirus Blick aus. „So habe ich ihn aber nie gesehen. Selbst als ich noch klein war, konnte er mich und meine Mutter nicht besonders gut leiden. Und das habe ich auch gespürt. Ich wusste immer, dass ich von ihm keine Liebe zu erwarten hatte. Und ich weiß auch, dass ich ihn oftmals unnötig provoziert habe. Hätte ich mich einfach an seine Regeln gehalten und die Sache ausgesessen, wären mir so einige Schläge erspart geblieben.“ Michiru zog ihre Brauen zusammen. „Was denn bitte für Regeln? Du meinst, seine Wunschvorstellungen? Seine Befehle, so zu leben, wie er es von dir verlangt? Das ist doch Blödsinn, Haruka!“ „Ich weiß, dass es Blödsinn ist!“ Jetzt sah Haruka ihrem Engel wieder direkt in die Augen. „Ich weiß, dass er im Unrecht war. Ich weiß, dass er es war, mit dem etwas nicht stimmte. Dafür haben mir meine Eltern immer deutlich genug gezeigt, dass jeder Mensch so zu sein hat, wie er ist.“ Ihre Stimme wurde allmählich brüchig. „Sie haben mich immer so akzeptiert, wie ich bin. Sie haben mir nie vorgeschrieben, wie ich zu sein habe. Und trotzdem… Sie sind weg. Eines Tages sind sie gegangen. Ohne mich. Und haben mich bei ihm zurückgelassen.“ Haruka senkte ihren Blick. Abwesend schüttelte sie ihren Kopf. Ein Gefühl der Wut stieg in ihr auf. Wut, die sie schon lange nicht mehr so empfunden hatte. Diese Enttäuschung, diesen Zorn hatte sie immer auf Hikaru gerichtete. Doch nach einer gefühlten Ewigkeit zeigten sich ihre Gedanken wieder ganz klar und deutlich. „Wieso haben sie mich mit ihm allein gelassen?“ Ihre Frage galt nicht Michiru. Aber die Violinistin lauschte den geflüsterten Worten und spürte, wie sich eine neue Schwere auf ihre Lunge legte. Sie drehte sich Haruka entgegen, legte ihr eine Hand in den Nacken und die andere auf ihre Schulter. Dann zog sie die Sportlerin an ihre Brust und lehnte ihre Wange gegen den sandblonden Schopf. „Das wollten sie nicht, Ruka. Sie wollten dich nie allein lassen. Und das haben sie auch nicht. Deine Mutter hatte doch Mina gesagt, sie solle auf dich aufpassen, oder nicht? Und nachdem du bei deiner Obaa-san gewesen bist,… Auch sie wollte immer für dich da sein. Sie konnte nur nicht sehen, wie sehr du sie gebraucht hättest. Aber jetzt weiß sie es. Und zu guter Letzt bin ich auch noch da. Und auch ich will dich beschützen.“ Aufmerksam und schweigend war Haruka den liebevollen Worten gefolgt, in der eine traurige Melodie mitzuschwingen schien. Tatsächlich fühlte sie sich in den Armen der Künstlerin geborgen. In der Umarmung lag so viel Liebe, so viel Vertrauen und Fürsorge, wie sie sie schon seit Jahren nicht mehr empfunden hatte. Übermannt von ihren eigenen Emotionen schloss die Pianistin ihre Augen, wobei ihr die ersten Tränen über die Wangen rannen. Haruka blendete alles aus. Sie versank völlig in Michirus Liebe. Irgendwann waren ihre stummen Tränen versiegt und sie hob langsam ihren Kopf an, um Michirus Lippen zu suchen. „Ich liebe dich!“, flüsterte sie in den zärtlichen Kuss, währenddessen ihre Hände in Michirus Taille und Nacken wanderten. Für einen Augenblick war Michiru über den plötzlichen Sinneswandel ihrer Geliebten überrascht, doch dann ließ sie sich widerstandslos fallen. Erst als ihnen allmählich die Luft ausging, lösten sich die beiden Frauen aus ihrer eigenen Welt. Harukas Atmung hatte sich noch nicht ganz beruhigt, als sie Michiru breit angrinste. „Und du bist dir sicher, dass du heute nicht mit zu mir kommen willst? Wie ich das sehe, hätte dein Vater sicher nichts mehr dagegen.“ Michiru tippte ihr mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. „Ich weiß genau, was du vorhast, Tenoh Haruka! Und ich traue deinen Trieben nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob du dich beherrschen könntest und das können wir deinem Körper noch nicht zumuten.“, erklärte sie in sachlicher Tonlage. Trotzdem die meisten Gärten noch nicht im vollen Grün erstrahlten, führte Michiru Haruka weiter durch den großen Park. Die Rennsportlerin musste sich eingestehen, dass er im März zwar noch nicht wirklich romantisch, jedoch nur sehr wenig besucht war. Und auch jetzt schon genoss sie die Atmosphäre, die einen kleinen See zwischen Kirschbäumen umgab, vor dem sie nun standen. Fürsorglich legte sie einen Arm über Michirus Schultern. Sie sog tief die frische Luft ein, bevor sie vorschlug: „Und wenn ich dir garantieren kann, dass ich mich ganz sicher beherrsche?“ Michiru rollte mit den Augen. „Fängst du schon wieder an?“ „Ich meine ja nur… Es gäbe da einen Ort, wo wir die Nacht miteinander verbringen könnten und ich keinen Gedanken daran verschwenden würde. Ganz sicher nicht.“ Neugierig sah die Violinistin auf. „Wenn wir bald losfahren, könnten wir noch vor heute Abend in Nagoya sein.“ Jetzt löste sich Michiru aus der Umarmung, um Haruka direkt in die Augen sehen zu können. „Was willst du denn in Nagoya?“ „Nicht direkt in Nagoya. Bei Obaa-san. Sie wollte dich sowieso mal kennenlernen. Warum nicht heute? Und morgen Abend sind wir wieder zurück.“ Haruka stellte sich Michiru direkt gegenüber und legte ihr eine Hand auf die Wange. „Ich will heute Nacht nicht ohne dich sein. Eigentlich will ich nie wieder ohne dich sein.“ Michiru sah verunsichert in Harukas Augen. „Meinst du das ernst? Ich habe nicht gepackt, ich weiß nicht, was mein Vater dazu sagt, und-“, weiter kam die Künstlerin nicht. Ihre Lippen wurden abermals durch einen Kuss versiegelt. Haruka ließ ihrer Freundin keine andere Wahl. Bei jedem Aber verwickelte sie die Schwimmerin in einen erneuten Kuss und schließlich zückte die Geigerin ihr Handy, um ihren Vater um Erlaubnis zu bitten. Haruka selbst brauchte nicht lange, um ein paar Klamotten in eine Tasche zu stopfen. Nur im Flur der Familie Kaioh verging mehr Zeit, als sie geplant hatte. Michiru war schon vor einigen Minuten im Bad verschwunden und sammelte alles für ihren Kulturbeutel zusammen. Toshio lehnte Haruka gegenüber an der Wand. Seine braungrünen Augen hatten die Rennsportlerin fest fixiert, was der Blondine sichtlich unangenehm war. Im Moment bedauerte sie es, dass Hotaru mit ihrer Mutter einkaufen gefahren war und deshalb nicht die unbequeme Stimmung auflockern konnte, die sich in dem viel zu kleinen Raum ausgebreitet hatte. Endlich brach Toshio die Stille mit einem Seufzer. Er stieß sich von der Wand ab und stand jetzt noch dichter vor Haruka. „Ich kann mich doch darauf verlassen, dass du sie mir heil wieder nachhause bringst, oder?“ Haruka nickte wortlos. Die Mundwinkel des älteren Herren zuckten erst und konnten sich dann doch zu einem Lächeln formen, als er ihr zwinkernd auf die Schulter klopfte. Ohne ein weiteres Wort verschwand er im Wohnzimmer, gerade als Michiru die Badezimmertür öffnete. Diese stutzte kurz über Harukas Gesichtsausdruck, huschte jedoch gleich weiter in ihr Zimmer. Die Blondine folgte ihr und schloss leise die Tür hinter sich. „Manchmal ist er mir ein bisschen unheimlich.“, flüsterte sie in Michirus Richtung. Michiru begann zu grinsen. Sorgfältig packte sie alles, was sie zusammengetragen und auf ihrem Bett verteilt hatte, in eine Tasche, zog den Reißverschluss zu und drehte sich dann zu Haruka. „Er ist nicht unheimlich. Er sorgt sich nur um mich. Um ehrlich zu sein, es überrascht mich, dass er mich fahren lässt.“ Sie trat auf ihre immer noch beunruhigt wirkende Freundin zu und legte ihr die Arme in den Nacken. „Du musst einen Stein bei ihm im Brett haben. Er scheint dir wirklich zu vertrauen.“ Für einen Augenblick herrschte Stille. Haruka und Michiru sahen einander schweigend in die Augen. Erst als Haruka plötzlich ihrem Impuls nachgab und sie die Violinistin küsste, senkten sich ihre Lider. Wie in einem Strudel gefangen ließ sich Michiru immer tiefer hineinziehen. Sie merkte nicht, wie sie durch den Raum dirigiert wurde. Nur, dass sie plötzlich auf ihrem Bett saß, bekam sie mit. Doch wehren konnte sie sich noch immer nicht. Viel zu sehr sehnte sie sich nach der Frau, die sich auf ihren Schoß setzte und ihren Oberkörper sicher auf die Bettdecke legte. Endgültig ertrank ihr Verstand im Nebel, als Harukas Lippen begannen, ihren Hals zu liebkosen. Auch sie wollte den begehrten anderen Körper erforschen. Auch ihre Finger wollten die Bluse aufknöpfen, die ihn verdeckten. Aber sie kamen nicht weit. Haruka fing ihre Hände ein, drückte ihre Unterarme gekreuzt über ihrem Kopf in die Matratze und fixierte sie so linkshändig. Ihre eigene Rechte strich langsam über den schlanken Körper. Michirus Atmung beschleunigte sich. Harukas Lippen in ihrem Dekolleté, die hin und wieder von ihrer Zungenspitze abgelöst wurden, schienen eine brennende Spur auf ihrer Haut zu hinterlassen. Sie seufzte erstickend, als die neugierigen Finger der Athletin das Ende ihres Sommerkleides erreichten und nun zärtlich über den nackten Oberschenkel hinauf kratzten. Haruka war nicht länger vernunftgesteuert. Ihre Instinkte hatten das Kommando übernommen. Sie wurde zum Junkie, und Michiru zur Droge. Die eindeutige Körpersprache der Streicherin trieb sie weiter. Sie spürte die Gänsehaut, die sich über den Körper der Schwimmerin ausbreitete, als sie ihre Rechte zum Po und unter den Slip wandern ließ. Jetzt nahm sie auch ihre Linke zur Hilfe, um beide Hände unter das Kleid zu schieben und ihren Engel von dem blau-schwarzem Stoff zu befreien. Sie erstickte Michirus Seufzer, der ausbrechen wollte, als ihre Finger über die Spitze des schwarzen BHs wanderten, in einem Kuss. Zärtlich umfuhr sie die Konturen des Kleidungsstücks und trieb Michirus Herzschlag damit weiter in die Höhe. Die hatte jetzt lange genug gewartet. Mit jeder liebevollen Berührung wuchs ihr Verlangen, also drückte sie die Blondine an den Schultern leicht von sich. Haruka blinzelte überrascht zurück. Das lüsterne Grinsen der Geigerin verhieß nichts Gutes. Bevor sie das begriffen hatte, wurde sie auf den Rücken gedreht und fand sich plötzlich unter Michiru wieder. Unter normalen Umständen hätte ihr das nichts ausgemacht, doch die schnelle Bewegung löste einen dumpfen Schmerz in ihren Rippen aus. Ein schmerzerfülltes Stöhnen konnte sie gerade noch herunterschlucken, doch das Entgleisen ihrer Gesichtszüge ließ sich nicht verhindern. Durch die wehleidige Mimik ihrer Geliebten klarte Michirus Verstand augenblicklich auf. „Oh Gott, tut mir leid, Haruka!“ Sofort verteilte sie ihr Gewicht auf ihren eigenen Vieren. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie vorsichtig nach. Haruka begann zu grinsen, noch bevor sie ihre Lider gehoben hatte. „Noch nie ging es mir so gut wie jetzt.“ Der anzügliche Blick, der an ihrem halbnackten Körper herab und wieder hinauf wanderte, gefiel Michiru überhaupt nicht. „Vielleicht solltest du doch alleine fahren.“, entgegnete sie schnippisch. Sie stieß sich vom Bett ab und zog sich ohne zu zögern ihr Kleid wieder über. „Ach komm, du wolltest es doch auch!“ Haruka klang mehr verunsichert als gekränkt. Auch sie stand auf und richtete ihre Bluse. Michiru versuchte ihre Röte zu verbergen. „Du weißt, dass ich erst will, wenn ich dir nicht mehr wehtun kann!“ „Das tust du schon nicht.“ Haruka hatte sich von dem Fauchen nicht abschrecken lassen und legte ihre Arme von hinten um den zierlichen Körper der Schönheit. „Das hab ich aber gerade.“, flüsterte diese zurück. „Ich war selbst schuld. Ich reiße mich zusammen, solange ich noch Schmerzen habe, okay? Bis dahin keine Spielchen mehr.“Michirus skeptischer Blick suchte den der Blondine. „Das will ich dir auch raten. Sonst werde ich nie bei dir schlafen! Oder mit dir…“ Haruka begann zu grinsen. „Dann würdest du dich ja mit bestrafen.“ Noch bevor der Satz fertig ausgesprochen war, tippte Michiru mit ihrem Zeigefinger unter den blonden Pony. „Das Opfer würde ich bringen!“ Haruka betrat den Flur, Michirus Tasche in der Hand. Die Violinistin schloss ihre Zimmertür und wollte ihr folgen, machte aber auf dem Absatz kehrt und huschte wieder mit einem „Geige vergessen…“ zurück. Haruka seufzte kurz und lief weiter zur Wohnungstür. Dort angekommen wurde ihr Blick unweigerlich abgelenkt. Die Wohnzimmertür stand offen. Toshios Blick war schon an dem Bild hängengeblieben, als er das Wohnzimmer betreten hatte. Noch immer stand er vor der Schrankwand und hielt das Foto seiner Siren in seinen Händen. Er war glücklich. Er hatte Setsuna, die er bedingungslos liebte. Und zusammen hatten sie noch eine wundervolle Tochter bekommen. Dennoch vermisste er seine erste wahre Liebe jeden Tag. Setsuna wusste das. Sie wusste, dass sie sein Herz immer mit ihr teilen werden müsse. Trotzdem war sie dieses Bündnis mit ihm eingegangen. In den elf Jahren ihrer Beziehung hatte sie einige Male beobachtet, wie er plötzlich ganz ruhig und abwesend wurde. Wie sein Blick verklarte und er sich in Erinnerungen verlor. Meistens passierte das, wenn Michiru ihn an ihre Mutter erinnerte. Wenn sie malte, auf ihrer Violine spielte, sie sich über Hiros Unhöflichkeiten und sein schlechtes Benehmen beschwerte, oder wenn sie einen weiteren Schritt in Richtung Erwachsenwerden machte, so wie jetzt. Eine Hand auf ihrer Schulter ließ Haruka zusammen schrecken. Sie hatte Toshio stumm beobachtet und nicht bemerkt, wie Michiru wieder zu ihr gestoßen war. Die Künstlerin zwinkerte kurz und trat dann vorsichtig an ihren Vater heran. „Wir fahren dann mal.“ Toshio nickte langsam. Erst als Michiru ihre Hand auf seine legte, sah er auf. „In dir steckt so viel von ihr, weißt du das?“ „Hast du erwähnt.“, lächelte sie zurück. Toshio sah noch einmal in Sirens blaue Augen, bevor er das Bild an seinen Platz stellte und er seine Tochter umarmte. „Pass auf dich auf, ja?“ „Ich bin doch morgen schon wieder zurück.“, antwortete Michiru, erwiderte aber trotzdem seine Umarmung. Kapitel 23: ------------ Ohne Stau hatten Haruka und Michiru schon kurz vor fünf die letzte Abfahrt Nagoyas passiert. Mit großen Augen untersuchte Michiru die vorbeigleitende Umgebung. Die Gegend wurde immer ländlicher und schließlich bog Haruka auf den Hof, der zum Haus ihrer Großmutter gehörte. Zögerlich nahm Michiru die ihr angebotene Hand und ließ sich von der Blondine aus dem Auto ziehen. Ihr Blick wanderte zu dem großen Landhaus. „Kommst du?“ Haruka hatte ihre Taschen aus dem Kofferraum genommen und stand nun wieder neben ihr. Sie hatten die Veranda noch nicht ganz erreicht, als plötzlich die Haustür aufgerissen wurde. „Was hast du dir dabei gedacht?!“ Aya stürmte aufgebracht auf Haruka zu. Erhobenen Fingers blieb sie direkt vor ihr stehen und fauchte ihre großgewachsene Enkelin an: „Aus den Zeitungen muss ich erfahren, dass dich dieser Abschaum wieder angerührt hat und du gehst nicht mal an dein Telefon?! Wozu hast du dieses Ding überhaupt?! Kannst du dir auch nur vorstellen, was ich mir für Sorgen gemacht habe?! Ich dachte schon, du würdest im Krankenhaus liegen, schwerverletzt! Und deine Schwester ist keinen Deut besser! Nicht mal sie konnte ich erreichen! Ihr bringt mich noch ins Grab, das machen meine Nerven nicht mit!“ Haruka hatte mit den Augen gerollt und abgewartet, bis ihre Großmutter die Rede offenbar beendet hatte. Lächelnd linste sie nun zu Michiru, doch auch die Geigerin funkelte sie mit verschränkten Armen an, was den Rennprofi aus dem Takt brachte. „Was denn?“ „Haruka, das ist nicht dein Ernst! Du hast nicht mal deine Obaa-san angerufen? Denkst du denn überhaupt nicht an die, die dich lieben? Na wie gut, dass ich bei dir war, sonst hätte ich wohl auch erst aus der Zeitung von deiner Schlägerei erfahren, oder was?! Und wieso gehst du nicht ans Telefon, wenn sie dich anruft? Mein Gott, du machst dir auch gar keine Gedanken, was?“ Haruka machte überrascht einen Schritt zurück. Was war denn jetzt los? Dass Aya gerne mal emotionsgeladen reagierte, war ja nichts Neues, doch Michirus Ausbruch kam unerwartet. „Was hab ich denn getan? Ich hab mein Handy eben nicht permanent in Reichweite und meine Mailbox höre ich eh nie ab, weil da andauernd irgendwelche Medienschnösel drauf quatschen.“ Jetzt hob auch Michiru drohend ihren Zeigefinger. „Deswegen hättest du dich trotzdem mal bei ihr melden können! Du konntest dir doch wohl denken, dass es auch durch Nagoyas Presse geht, wenn sich Tenoh Haruka mit ihrem Onkel, einem kaum weniger hohen Tier, prügelt!“ Haruka war sprachlos und schluckte schwer. Für einen Moment herrschte Stille und die Sportlerin wusste nicht, vor welchem der Augenpaare, die sie festnagelten, sie mehr Angst haben sollte. Eines von ihnen wendete sich jedoch bald von ihr ab. Aya hatte zunächst neben Michiru gestanden, die Fäuste in die Taille gestemmt, den wütenden Blick auf Haruka gerichtet. Doch nachdem sie ihren Ärger ausgelassen hatte, bemerkte sie, dass eine Fremde neben ihr stand. Fragend sah sie zu der Schönheit auf. Jetzt fand auch Haruka endlich die Sprache wieder: „Obaa-san, das ist Michiru.“ Michirus Brauen zuckten ein letztes Mal wütend zusammen. Dann weichten ihre Gesichtszüge auf und sie lächelte der älteren Dame entgegen. „Kaioh Michiru. Freut mich, Sie endlich kennenzulernen, Tenoh-sama.“ Ayas Blick untersuchte das hübsche Gesicht. Sie schien lesen zu wollen, was dran war, an der jungen Frau, die ihren Bengel hatte zähmen können. Schließlich lächelte auch sie und nahm den Handschlag an. Auf dem Weg ins Haus entschuldigte sich Michiru umfangreich für das schlechte Benehmen ihrer Freundin, die den Frauen ihrerseits in nicht allzu kleinem Abstand nachtrottete. Haruka hatte das Gepäck schnell nach oben gebracht und fand Aya und Michiru in der Küche wieder. Die beiden schienen sich auf Anhieb zu verstehen. Michiru setzte Teewasser auf und Aya bereitete drei Tassen vor. Nebenbei beschwerte sich die alte Dame über den Dickschädel ihrer Enkelin, wobei ihr Michiru immer wieder zustimmte. Haruka lehnte sich gegen den Türrahmen und ertrug die Kritik schweigend. Solange sich Michiru und Aya so näher kommen konnten, würde sie dieses kleine Opfer bringen. Erst als der Tee gebrüht war, trat sie weiter in den Raum hinein und weckte so die Aufmerksamkeit der anderen. Michiru reichte ihr eine der Tassen. Ihr Blick verriet, dass sie immer noch sauer war. Deshalb wandte sich Haruka an ihre Großmutter und beteuerte mit reumütiger Stimme: „Es tut mir leid, Obaa-san. Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst. Ich hatte nur andere Dinge im Kopf. Und wir sind doch jetzt hier und es geht mir gut. Mir ist ja nichts weiter passiert. Und Mina hat eine neue Nummer. Die schreibe ich dir heute noch auf. Dann kannst du sie auch wieder erreichen.“ Aya brauchte noch einen Moment, dann nickte sie endlich lächelnd: „Schon gut, Bengel. Es stand ja auch erst gestern in der Zeitung. Und wie könnte ich lange sauer sein, wenn du doch endlich so eine wundervolle junge Frau mitbringst?“ Michiru errötete. Daher hatte Haruka also ihre charmante Ader. Die beugte sich jetzt ihrer Freundin entgegen. „Siehst du? Alles wieder gut. Jetzt darfst du auch nicht mehr wütend sein.“ Sie stahl der Künstlerin einen etwas zu langen Kuss, griff dann nach einer zweiten Tasse, reichte sie Aya und schritt in Richtung Terrasse davon. Ayas Blick folgte ihr. Sie musterte das ungewohnte Outfit ihres Schützlings und sah dann zu Michiru, die noch immer mit dem Rotschimmer auf ihren Wangen kämpfte. „Sag bloß, diesen neuen Stil hat sie auch durch dich?“ Michiru schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung, wie sie dazu kam. Ich bin überrascht, dass sie mit dem Absatz überhaupt laufen kann.“ Wieder hatte sich Aya beschwert, dass Haruka ihren Besuch nicht angekündigt hatte, doch mit Michirus Hilfe gelang es ihr trotzdem ein besonderes Abendessen zu zaubern. Mehrmals musste sie der Violinistin beteuern, dass sie sie einfach Aya nennen solle. Von ihrer ‚Schwiegerenkelin‘ wolle sie nicht so förmlich angesprochen werden. Erst recht nicht, wenn die so eine bezaubernde und wohlerzogene junge Erwachsene war. „Mit ‚Engel‘ hat Ruka einen passenden Spitznamen für dich gefunden.“ Michiru hätte bei der Bemerkung fast die Pfanne mit dem Gemüse fallengelassen. Nach dem Essen saßen die drei Frauen noch stundenlang weintrinkend und plaudernd vor dem Kamin. Haruka knurrte hin und wieder bei einigen Geschichten, die ihre Großmutter über sie preisgab, doch bei Michirus Lachen konnte einfach kein Unwohlsein in ihr aufkommen. Erst recht nicht, da sich die Streicherin immer mehr an sie kuschelte. Irgendwann nach Mitternacht forderte der Wein dann endgültig seinen Tribut. Michiru hatte die Augen geschlossen. Sie lauschte Ayas sanfter Stimme und hin und wieder zuckten ihre Mundwinkel bei den Pointen, doch ihr Kopf auf Harukas Brust wurde immer schwerer. Also strich ihr die Blondine bald zur Probe ein paar Strähnen aus dem Gesicht. Die Schwimmerin lächelte und seufzte leise, aufsehen konnte sie nicht mehr. Vorsichtig hob Haruka die Schönheit auf ihre Arme. Aya wünschte ihnen leise Gute Nacht und auch Michiru murmelte etwas Unverständliches. In ihrem alten Zimmer angekommen legte Haruka ihren Engel ins Bett. Dann suchte sie sich Boxershorts und ein weites Shirt aus ihrer Tasche und zog sich um. Als sie sich umdrehte, fiel ihr auf, dass sie beobachtet wurde. Michiru hatte nur kurz geblinzelt, doch als Haruka ihre Bluse abstreifte, war sie plötzlich wieder hellwach. Ihre türkisblauen Augen funkelten im Mondlicht und fixierten den durchtrainierten Körper. Haruka begann zu grinsen. „Ich kann das T-Shirt auch gleich auslassen, wenn dir das lieber ist.“ Fragend wiegte sie den weißen Stoff in ihrer Hand. Michirus Mimik zuckte. „Ich weiß nicht, ob ich mich dann noch beherrschen könnte. Andererseits wäre es nur fair. Ich bin viel zu müde, mich noch umzuziehen. Aber in meinem Kleid will ich auch nicht schlafen.“ Haruka knurrte leise. Ihr Shirt fiel fast geräuschlos zu Boden. Langsam näherte sie sich dem Bett. Michiru lag bäuchlings auf ihm und hatte die Decke umklammert. Ihre Augen wanderten sorgfältig über den vom Vollmond beschienenen Körper. Der stand endlich direkt vor ihr. Haruka reichte ihr die Hand und Michiru nahm sie an, um sich aufzurichten und auf ihre Knie zu kommen. Es kostete einiges an Konzentration, ihren Blick von dem fast nackten Körper abzuwenden und stattdessen in die tiefgrünen Augen zu sehen. Haruka umfasste sanft das hübsche Gesicht, bevor sie die geliebten, warmen Lippen fand. Michiru legte ihre Hände auf Harukas. Dieser Kuss war anders, als die unzähligen zuvor. Eine Gänsehaut zog über ihren Körper. Harukas Lippen pulsierten im gleichen Takt wie Michirus Herz. Jeder Atemzug, jede Bewegung, alles war aufeinander abgestimmt. Sie waren nicht länger zwei sich Liebende. Sie waren eins. Noch bevor sich Haruka bewegte, wusste Michiru, was sie tun würde. Die Gedanken der Blondine schienen auf sie überzugehen. Ihre Sinne waren geschärft und doch irgendwie taub. In Zeitlupe strichen die Finger der Pianistin über Michirus Kleid. Noch langsamer wanderten sie wieder an dem makellosen Körper hinauf und nahmen dabei den leichten Stoff mit. Der kurze Moment, in dem sich Harukas Lippen von ihren lösten, um das Kleidungsstück über ihren Kopf zu streifen, kam Michiru wie eine Ewigkeit vor. Haruka nahm den Kuss sofort wieder auf und wurde augenblicklich in eine innige Umarmung gezogen. Michiru erforschte die Rückenmuskulatur der Läuferin. Dabei presste sie den begehrten Körper noch mehr an sich. Harukas Brüste drückten gegen ihr Schlüsselbein und sorgten dafür, dass eine unbändige Hitze in ihr aufstieg. Sie griff in den Nacken der Pianistin und zog sie mit sich aufs Bett. Haruka achtete genau auf Michirus Körpersprache. Sie strich über den letzten Stoff, der Michirus Oberkörper umhüllte. Die Antwort kam sofort. Michiru seufzte und atmete tief ein, also lösten ihre geübten Finger den Verschluss des schwarzen BHs. Jetzt musste die Geigerin ihre Erkundungstour doch kurz unterbrechen, um sich die lästigen Träger abstreifen zu lassen. Türkisblaue Augen trafen leuchtendgrüne. Haruka legte einen Arm um ihren Engel und führte ihn behutsam in die weichen Kissen. Dabei löste keine den Blickkontakt. Die Zeit stand still. Sie atmeten im gleichen Takt, ihre Herzen schlugen im Gleichklang. Eine brennende Spur zog sich über Michirus Gesicht, als Harukas Mittelfinger über ihre Schläfe, ihren Wangenknochen und über ihren Kiefer strich. Doch sie rührte sich nicht. Sie fühlte sich wie gelähmt, doch machte ihr diese Gefangenschaft durch Haruka nichts aus. „Ich liebe dich!“, hörte sie die vertraute Stimme flüstern. Michiru konnte nicht antworten. Sie war gefesselt. Durch Harukas Atem, der über ihr Dekolleté streichelte. Ihr blieb nichts anderes übrig, als die Augen zu schließen und die brennenden Küsse auf ihrer Haut zu genießen. Eine Weile konnte Haruka ihren Engel noch verwöhnen, doch plötzlich wurde sie aus ihrer Welt gerissen. Sie spitzte die Ohren. Leichte Schritte hallten über den Flur. Grinsend sah Haruka auf. Es dauerte einen Moment, bis Michiru endlich die Augen öffnete. Zunächst war sie verwirrt, warum Haruka plötzlich innehielt. Doch dann begann auch sie zu lauschen. „Ist das Aya?“, flüsterte sie ins Mondlicht. Haruka nickte. „Sie läuft ziemlich laut, oder?“ Haruka schnaubte. „Eigentlich nicht. Das Haus ist nur verdammt hellhörig. Und ihr Schlafzimmer liegt direkt nebenan. Ich sagte ja, ich komme hier nicht auf dumme Gedanken“, hauchte sie so leise, dass sie Michiru kaum verstehen konnte. Tatsächlich war ein leises Seufzen und Knirschen zu hören, als sich die alte Dame scheinbar in ihr Bett legte. Abermals röteten sich Michirus Wangen. Harukas schmerzende Rippen hatte sie längst vergessen. Michiru hätte nicht mehr bremsen können. Sie hatte sich ihren Instinkten hingegeben und hatte nicht mehr daran gedacht, wo sie war. Sie hätte weiter gemacht. >Das wäre ja ein tolles Frühstück morgen geworden!< Harukas Mundwinkel zuckten. Sie schien Michirus Gedanken lesen zu können. Vorsichtig drückte sie sich von ihr hoch und legte sich neben die Malerin. Die zögerte. Darum zog Haruka Michiru eng an sich, schob ihr einen Arm unter den Kopf und umschlang mit dem anderen ihren Bauch. „Trotzdem ist das schon jetzt die schönste Nacht, die ich je hatte.“ Michiru begann zu lächeln. Sie schmiegte sich ganz an Haruka, legte eine Hand an den Hals des Rennprofis und hauchte: „Für mich auch, Ruka. Ich liebe dich.“ Zum ersten Mal brach Aya mit ihrer Tradition. Sie wollte ihre Gäste weder wecken, noch wobei auch immer möglicherweise stören. Daher wurde Haruka diesmal nicht von dem Duft nach heißem Kakao geweckt. Stattdessen spürte sie ein leichtes Kratzen auf ihrem Rücken. Michiru war schon vor einigen Minuten aufgewacht. Als sie die Augen aufgeschlagen hatte, erkannte sie Haruka neben sich. Die Blondine lag bäuchlings nur halb unter der Decke, das Gesicht in die andere Richtung gewandt. Michiru drehte sich auf die Seite und legte ihre Wange auf ihren Armen ab. Lächelnd beobachtete sie den ruhig atmenden Körper. Irgendwann hatte sie genug gewartet. Zärtlich strich sie vom Nacken an abwärts über den starken Rücken. Haruka seufzte, bewegte sich aber nicht. Sie wartete ab. Michiru hatte den Rand der Decke, nur eine Handbreit über Harukas Steißbein, erreicht. Einen Augenblick lang verharrte sie dort. Dann rutschte die Violinistin dicht an ihre Freundin heran, zog die Decke ein ganzes Stück höher und legte ihren Kopf zwischen Harukas Schulterblättern ab. „Guten Morgen, Engel“, murmelte Haruka schließlich. Michiru stützte sich ab. Sie wollte der Blondine einen Kuss geben, aber deren Lippen waren viel zu weit weg. Haruka streckte sich kurz, bevor sie sich unter der Geigerin auf den Rücken drehte. Die begann jetzt zu grinsen und holte sich endlich, was sie wollte. Nach dem Kuss legte sie ihren Kopf wieder auf Harukas Brust ab. Sie lauschte dem beständigen Herzschlag, genoss die gleichmäßige Bewegung des Brustkorbs, gab sich den Fingern hin, die ihr zärtlich durch ihre Mähne kraulten. In einem langgezogenen Seufzer strich ihr Atem über Harukas Haut. Irgendwann schafften sie es, ihre Nähe zu überwinden. Michiru war es, die meinte, es wäre unhöflich, Aya am Frühstückstisch warten zu lassen. Trotzdem konnte sie nicht widerstehen, besonders grazil aus dem Bett zu steigen und zu ihrer Tasche zu gehen. Harukas Blicke taten einfach viel zu gut. Sie hatte den Raum halb durchquert, da drehte sie sich suchend um. „Hast du zufällig“, begann sie, doch Harukas Grinsen verriet ihr schon die Antwort. Fast übertrieben elegant kehrte Michiru zum Bett zurück. „Wo ist er?“ „Wo ist wer?“ Die Rennsportlerin blinzelte unschuldig. Michiru beugte sich zu ihr herab und drückte dabei die Schultern der Athletin in die Kissen. „Du weißt, wen ich meine.“ Sie schwang ein Bein über Haruka und setzte sich auf ihren Bauch. „Ich hab keine Ahnung, Schatz“, antwortete die scheinheilig. Michiru lehnte sich vor und führte sie ohne zu zögern in einen viel zu leidenschaftlichen Kuss. Doch so plötzlich sie ihn eingeleitet hatte, so plötzlich löste sie ihn auch wieder auf. Unter Harukas Kopfkissen hatte sie gefunden, wonach sie gesucht hatte. In Windeseile hatte sie ihren BH angezogen und schmunzelte nun über Harukas enttäuschen Gesichtsausdruck. Als sie aufstehen wollte, blieb ihr Blick an dem Oberkörper der Pianistin hängen. Ganz vorsichtig strich sie über den breiten blaugrünen Fleck auf den Rippen. Dann beugte sie sich vor, küsste erst den Bluterguss, dann Harukas Wange und stand schließlich auf, um sich weiter anzuziehen. Aya saß längst an dem reichgedeckten Frühstückstisch und blätterte in der Tageszeitung. Haruka erkannte die Bilder von sich und ihrem Onkel auf der Titelseite sofort. Beim Essen berichtete Aya, ein ehemaliger Teamkollege habe der Presse erzählt, er hätte die Spannungen zwischen Nichte und Onkel schon vor Jahren wahrgenommen und Haruka immer seine Hilfe angeboten. Die Rennsportlerin hatte er im Interview als verschlossene und sture Egoistin beschrieben. Haruka schnaubte verächtlich. Bis auf Sanji und ihren Trainer hatte sich niemand in ihrem alten Rennstall für sie interessiert. „Die haben sogar schon bei mir angerufen und ein Kamerateam hatte ich auch auf dem Hof!“, wetterte Aya. „Aber als ich mit der Polizei gedroht habe, sind die wieder abgehauen. Seitdem hab ich Ruhe.“ Haruka knirschte mit den Zähnen. „Na da kann ich schon ahnen, wie die Konferenz am Mittwoch ablaufen wird.“ „Was denn für eine Konferenz?“, fragte Michiru nach. „Hab ich dir das noch nicht erzählt? Sanji und Yamada-sama ziehen am Dienstag nach Tokio und Mittwoch geben wir die erste Pressekonferenz mit unserem neuen Team. Ich wette, der Sport wird dabei wieder in den Hintergrund rücken.“ Verstimmt stach die Blondine ihre Gabel in eine Gurkenscheibe auf ihrem Teller. Aya seufzte. „Geh dem Thema, soweit es geht, aus dem Weg. Sprich vorher mit dem Pressesprecher deines Teams und leg die Regeln fest. Das wird schon.“ Haruka zwang sich zu einem Lächeln, das weniger zuversichtlich wirkte, als es sollte. Nach dem Frühstück führte Haruka Michiru in den Raum, in dem ihr Flügel stand. Aya war hellauf begeistert, als die Geigerin daraufhin ihr eigenes Instrument herausholte und versank den restlichen Vormittag über in dem herrlichen Duett. Ihre talentierten Gäste bekamen es gar nicht mit, wie sich die alte Dame immer wieder aus dem Zimmer stahl, um das Mittagessen vorzubereiten. Jedoch stieg der schwere Duft am frühen Nachmittag Haruka in die Nase, woraufhin sich ihr Magen meldete. Bevor auch sie in die Küche schlendern wollte, stand sie auf und strich zärtlich über den Flügel. Michiru beobachtete sie dabei schweigend und warf ihr einen verliebten Blick zu, als die Pianistin endlich bei ihr war. „Was?“, stutzte diese. Michiru schüttelte den Kopf und gab ihr einen zärtlichen Kuss auf die Wange. „Nichts. Ich verliebe mich nur von Tag zu Tag mehr in dich.“ Der Abschied von Aya wenige Stunden später fiel besonders Michiru schwer. Sie konnte verstehen, warum der Wochenendtrip vor einigen Wochen Haruka wieder derart aufgebaut hatte. Tatsächlich schluckte auch die betagte Frau schwer, als sie von der Violinistin in die Arme geschlossen wurde. „Jetzt müsst ihr aber auch öfter kommen, verstanden?“ Ihr Tonfall verriet, dass es eher eine tiefe Bitte als eine Anweisung war. Darum lächelte Haruka sanft, umarmte ihre Großmutter und drückte ihr mit einem „Versprochen!“ einen Kuss auf die Wange. Zurück nach Tokio brauchten die Schülerinnen eine volle Stunde länger. Nicht etwa, weil sie sich durch viel Stau kämpfen mussten, Haruka wollte ihren Engel nur nicht wieder nachhause bringen und ohne sie in ihre eigene Wohnung zurückkehren. So wollte sie sich gar nicht von der Künstlerin lösen, als sie ihr Ziel erreicht hatten. Tatsächlich musste Michiru sie energisch von sich drücken, als die Athletin sie in den zigsten Kuss verwickeln wollte. Noch komplizierter war es, die Blondine an der Wohnungstür abzuschütteln. Mit dem Versprechen, morgen auch ganz pünktlich fertig zu sein, wurde sie die aufdringliche Sportlerin doch noch los. Ohne Umwege warf sich Haruka in ihr Bett. >Im Schlaf geht die Zeit ja bekanntlich am schnellsten um. Also los!<, befahl sie sich selbst, wälzte sich jedoch noch Stunden von der einen auf die andere Seite. „Tenoh-san, Kaioh-san! Sie möchten sich bitte beim Direktor einfinden. Sofort.“ Haruka hatte nur Augen für Michiru gehabt und klebte wie eine Klette an ihr, sodass sie nicht mitbekommen hatte, dass ihr Klassenlehrer den Raum betreten hatte. Abschätzend sah sie Herrn Hisakawa an. Sein Gesichtsausdruck war anders als sonst. Kaum merklich nickte der Lehrer, was die Schülerinnen dazu veranlasste, den Raum zu verlassen. Schweigend traten sie vor die Bürotür mit der Scheibe aus verschwommenen Milchglas. Auf Michirus unsicheren Blick antwortete Haruka mit einem zuversichtlichen Zwinkern, bevor sie anklopfte. Direktor Ikuso las zum zigsten Male den Elternbrief auf dem Bildschirm seines PCs. Immer wieder seufzte er, löschte die ein oder andere Formulierung, schrieb sie um, schüttelte verständnislos den Kopf. In seiner gesamten beruflichen Laufbahn hatte er so einen Brief nie verfassen müssen. Er leitete eine der berühmtesten Eliteschulen Japans. Ein gutes Verhältnis zu seinen Lehrern und Schülern stand für ihn immer an erster Stelle. Und jetzt passierte so etwas… Er fühlte sich mitverantwortlich für das Geschehene. Das Klopfen an seiner Bürotür riss ihn aus seinen Gedanken. Seine Miene war undurchschaubar, als die zwei Schülerinnen Hand in Hand eintraten und sich zur Begrüßung knapp verbeugten. Wo sollte er nur anfangen? Schweigend musterte er Harukas Gesicht. Im Gegensatz zu ihrer Freundin blickte sie zuversichtlich geradeaus. Michiru sah betreten und verunsichert zu Boden. „Kaioh-san“, begann Ikuso schließlich und die Künstlerin sah auf. „Ich bin mir nicht sicher, was ich sagen soll…“ Nie hatte sie den sonst so gefestigten und selbstsicheren Mann so konfus erlebt. Ikuso seufzte, schüttelte den Kopf, stand auf. Er nahm ein Dokument aus dem Drucker und legte es auf seinen Schreibtisch. Mit einem Nicken bedeutete er den Schülerinnen, sich zu setzen. Dann ging er um seinen Schreibtisch herum und lehnte sich dagegen. „Was Kawashima-kun getan hat, tut mir unglaublich leid. Und ich fühle mich schuldig. Nach seinem Auftritt in der Mensa hätte ich sofort Kontakt zu seinen Eltern aufnehmen sollen. Ich wollte nur vorher mit ihm sprechen, aber da er nicht mehr zum Unterricht erschienen war, konnte ich das nicht. Es tut mir leid, Tenoh-san!“ Haruka schluckte. „Ich bekomme keine Verwarnung? Ich dachte schon, sie würden mich von der Schule werfen oder mich zumindest beurlauben…“ „Wie kommen Sie auf solche Gedanken? Was wäre ich für ein Mensch, würde ich das Opfer bestrafen? Erst recht, da ihr Onkel-“ Harukas jetzt entsetzter Blick brachte Ikuso zum Schweigen. Er schluckte, nahm das Dokument von seinem Tisch und wog es in seinen Händen. „In diesem Brief an Hisakawas Eltern erkläre ich, dass er der Schule verwiesen wird. Die anderen drei Herren, die mit auf dem Parkplatz waren, werden bis zum Schuljahresende beurlaubt. Sie trifft nicht die Hauptschuld. Darum werden sie ihren Abschluss bekommen. Allerdings mit einem Nachtrag in ihrer Schulakte, der sie auch auf ihrem weiteren Werdegang begleiten wird. Das ist alles, was ich tun kann. Ob Sie Anzeige erstatten wollen, liegt bei Ihnen, Tenoh-san. Zwar ist Takato Ryo der einzig Volljährige, aber die anderen könnten immerhin noch nach Jugendstrafrecht zur Verantwortung gezogen werden.“ Haruka nickte, doch Michiru war verunsichert. „Warum haben Sie uns hergerufen, Sensei?“ Ikuso atmete tief durch. Abwechselnd sah er von einer jungen Frau zur anderen. „Eigentlich wollte ich Ihnen nur meine volle Unterstützung zusprechen. Vor allem Ihren Onkel betreffend.“ Haruka schnaubte, doch der Direktor hielt ihrem Blick diesmal stand. „Und auch im Punkto Medien. Ich habe bereits einige Anfragen von Journalisten abgelehnt. Sie wollten auf dem Schulhof drehen und Sie beide für diverse Interviews anwerben. Ich hoffe, das war in Ihrem Sinne?!“ Michiru lächelte und nickte dankbar. Kapitel 24: ------------ „Wie war Ihr Wochenende?“ „Fantastisch! Danke der Nachfrage.“ „Nach links oben gucken… Rechts oben… Sehr gut. Arme hoch und strecken!“ Haruka gehorchte. Das Lächeln im Gesicht ihrer Ärztin war sicher ein gutes Zeichen. „Sie haben sich geschont?“ „War nicht einfach, aber ja. Habe mich brav erholt. Keine Form körperlicher Ertüchtigung.“ Setsunas linke Braue zuckte. „Gut zu wissen. Sie können sich wieder anziehen.“ Sie griff nach Harukas Krankenakte und setzte sich hinter ihren Schreibtisch, ihrer Patientin gegenüber. Ein paar Notizen, dann sah sie wieder auf. „Treten Sie in dieser Woche weiterhin noch etwas kürzer, bis zum Schuljahresende bleiben Sie vom Sportunterricht befreit und kommen Sie am Mittwoch zum Fäden ziehen. Alle Achtung, Tenoh-san. Dass sich Ihr Körper so schnell nach solch einer Tortur erholt, ist bemerkenswert.“ „Das liegt an der guten Pflege“, zwinkerte Haruka, ihr Hemd zuknöpfend. „Das Mädchen?“ Die Blondine nickte. „Haben Sie ihr das schon mal gesagt?“ Harukas Augen trafen die Setsunas. >Ganz schön private Fragen…< „Sicher nicht oft genug. Für sie würde ich jede Kugel abfangen.“ Mit einem gezwungenen Lächeln empfang Haruka Sanji vor seiner neuen Wohnung. Schon gestern hatte sie weniger Zeit mit Michiru verbringen können, weil sie zum Arzt musste, heute sollte sie Sanji und Takuzo bei ihren Umzügen helfen und morgen musste sie erst zum Fäden ziehen und anschließend zur Pressekonferenz. Wenigstens hatte Michiru versprochen, sie dahin zu begleiten. „Kannst du mal aufhören, mich so vorwurfsvoll anzustarren?!“ Schwer atmend stellte Sanji einen seiner Kartons ab. „Mach ich doch gar nicht!“, rechtfertigte sich Haruka. „Doch, und wie! Und zickig bist du auch noch. Ist ja kaum auszuhalten.“ „Sei froh, dass ich überhaupt hier bin. Eigentlich bin ich noch krankgeschrieben.“ Sanji schluckte. Er wollte dem Thema aus dem Weg gehen. Bis vor kurzem war er der Einzige gewesen, der genauer über Harukas Verhältnis zu Hikaru Bescheid wusste. Er hatte betreten geschwiegen, als sie sich vor gut einer Stunde von ihrem Trainer eine Standpauke hatte anhören müssen. Takuzo hatte nicht glauben können, dass sich sein Schützling ihm nicht anvertraut hatte. „Ich sag ja schon nichts mehr…“, gab Sanji kleinlaut zurück und begann damit, seine Küchenschränke einzuräumen. Seine Einladung zum Abendessen hatte Haruka abgelehnt. Mit ihrer schlechten Laune wäre sie für ihre alten Teamkollegen ohnehin keine angenehme Gesellschaft gewesen. Nun lag sie in ihrem Bett, vermisste ihren Engel und wartete auf den erlösenden Schlaf, der die Zeit endlich wieder schneller vergehen ließ. „Was gibt´s da so zu grinsen?“ Haruka hatte die Augen geschlossen, als sich Setsunas Hände ihrer Stirn näherten, um die Strips von ihrer Schläfe abzuziehen. „Keine Ahnung. Fühlt sich einfach gut an, von einer so schönen Frau umsorgt zu- AUTSCH!“ Empört sah sie zu der Ärztin auf, die ihr gerade anscheinend mit voller Absicht in ihren noch nicht ganz verheilten Cut gestochen hatte. Setsuna nagelte sie mit ihrem Blick fest. „Ich hoffe, solche Sprüche klopfen Sie nicht bei jeder Frau!“ Haruka hob die Brauen. „Was? Ähm, nein… Ich wollte Ihnen nur ein kleines Kompliment machen. Aber gut, dann nehme ich es gleich wieder zurück“, antwortete sie in gereiztem Tonfall. Setsuna seufzte. „Hauptsache, Sie heben sich noch welche für Michiru auf.“ Haruka schloss wieder ihre Augen. „Keine Sorge. Ich sagte doch, dass sie mir alles bedeutet. Sie hat morgen übrigens Geburtstag.“ „Ach ja? Schon ein Geschenk?“ Abermals begann Haruka zu grinsen. „Jap. Aber das bekommt sie erst später. Ist noch nicht vollständig gebucht.“ „Gebucht?“ „Ich will sie entführen. Ins Warme. Sobald wir unser Abschlusszeugnis haben.“ Setsuna zögerte. Vorsichtig tupfte sie eine Salbe auf Harukas Cut. Dann lehnte sie sich gegen ihren Schreibtisch und wartete darauf, dass Haruka ihre Augen von selbst öffnete. Endlich trafen sich ihre Blicke. „Ich hoffe, das haben Sie mit ihren Eltern abgesprochen?!“ Haruka blinzelte ungläubig. Wieso interessierte sich ihre Ärztin eigentlich so für ihre Beziehung? „Noch nicht. Ihr Vater ist aber schwer in Ordnung. Er wird sicher nichts dagegen haben.“ „Und ihre Mutter?“ Haruka senkte die Lider. „Stiefmutter. Keine Ahnung. Ich kenne sie nicht. Aber Michiru spricht nur in den höchsten Tönen von ihr.“ Abrupt stand sie auf, ging zu einem kleinen Spiegel, der an der Wand gegenüber hing und begutachtete die frische Narbe. „Ich freue mich schon darauf, sie hoffentlich bald mal kennenzulernen.“ Nachdem Haruka einen Abstecher in ihre Wohnung unternommen hatte, um ihre Schuluniform gegen eine Jeans und ein schwarzes Hemd zu tauschen, bog sie mit ihrer Yamaha jetzt wieder in Michirus Straße ein. Die Malerin wartete bereits vor der Tür. Sie hatte sich nach der Schule von ihrer Freundin zuhause absetzten lassen, um selbst in eine blaue Bluse und eine mattschwarze Kunstlederleggins zu schlüpfen und ihr Makeup aufzufrischen. Trotz des Visiers an ihrem Helm konnte Haruka ihren lüsternen Blick nicht verbergen. Michiru setzte sich ihren Helm auf, schwang ein Bein über die Maschine und schmiegte sich eng an die Rennsportlerin. „Sprachlos?“ Haruka schluckte. Sie saß kerzengerade, spürte jede Rundung der Schönheit hinter ihr. Die schnurrende, leise Stimme sorgte endgültig für eine Gänsehaut. „Du musst losfahren. Sonst kommen wir zu spät“, fügte Michiru flüsternd hinzu. Auf dem Parkplatz, der zum Bürokomplex von Harukas neuem Rennstall gehörte, wimmelte es bereits von Journalisten. Allerdings schoss niemand Fotos. Das war Teil der Abmachung. Rahmenbedingungen für die Pressekonferenz. Takuzo und Sanji warteten in der Eingangshalle ungeduldig auf Haruka. Neben den beiden stand der Pressesprecher des Hauptsponsors. Es war ein kleingewachsener Mann mit blondem Haar und grauen Augen, der Haruka noch vor den Anderen begrüßte und sie augenblicklich mit Verhaltensregeln überhäufte. Er führte das Quartett in ein Büro, in dem Harukas neue Teamkollegen warteten. Asai Yusako thronte an der Spitze des breiten Tisches aus massivem Eichenholz und starrte in die Leere, bis die Hauptakteure des heutigen Treffens eintrafen. Augenblicklich erhob er sich, legte Haruka einen Arm über die Schultern und führte sie hinaus in den Korridor, um mit ihr unter vier Augen zu sprechen. „Okay, Tenoh-san“, begann er sofort, „Um das klarzustellen, Ihr Onkel ist ein Schwein.“ Haruka hob überrascht die Brauen. „Ich hoffe, dass er hinter Gitter wandert und da nie wieder rauskommt. Dass Sie nun nicht gerne über ihn reden wollen, ist verständlich. Ich verstehe, dass Sie am liebsten alles vergessen würden, was zwischen Ihnen und ihm vorgefallen ist. Diese Pressekonferenz gilt hauptsächlich Ihrem neuen Vertrag, aber machen wir uns nichts vor. Die wollen wissen, was passiert ist. Selbst wenn wir mit dem Rauswurf drohen, werden die Fragen stellen. Die werden fragen, was in Nagoya war, so oder so. Also haben wir vereinbart, dass Sie von vornherein die Karten auf den Tisch legen.“ Haruka senkte den Blick. Sie ahnte, wohin das Gespräch führen würde. „Sobald die Konferenz eröffnet wurde, werden Sie zu Ihrem Onkel Stellung beziehen. Auch zu Ihrer… nennen wir es ‚Flucht‘ aus Nagoya. Dann erst werden wir uns dem eigentlichen Punkt zuwenden: Ihrem Vertrag.“ Haruka schwieg. „Ich weiß, dass Sie sich das anders vorgestellt haben, aber nur so wird das was. Wir könnten das Thema ignorieren, aber binnen Minuten würde das reinste Chaos ausbrechen.“ Haruka nickte. Mit dem gesamten Team wurde noch einmal alles durchgesprochen. Yusako, Takuzo, der Pressesprecher, der Chefmechaniker, ein weiterer Fahrer des Teams, Haruka und Michiru sollten sich den Journalisten stellen. Es war klar, dass Haruka auch zu ihrer Beziehung mit Michiru befragt werden würde, also entschied die Malerin von sich aus, dass sie mit auf die Bühne gehörte. Jetzt war es soweit. In einem benachbarten Büro herrschte bereits aufgeregtes Stimmengewirr, das weiter anschwoll, als das Team den Raum und die Bühne betrat. Als alle hinter ihren Mikros platzgenommen hatten, stand der Pressesprecher auf und verkündete abermals die Rahmenbedingungen für diese Konferenz. Als er sich gesetzt und Haruka auffordernd zugenickt hatte, verstummten auch die letzten Journalisten. Die Pressekonferenz dauerte volle zwei Stunden an. Nachdem Haruka für sich das Thema rund um Hikaru beendet hatte, wurden einige der Journalisten so aufdringlich, dass sie von der Security rausgeworfen wurden. Die dadurch erworbene Ordnung wurde bald wieder auf den Kopf gestellt, als Michiru mit Harukas Vergangenheit als Herzensbrecherin konfrontiert worden war. Hin und wieder wurden doch noch seriöse Fragen gestellt, unter anderem zu der Karriere der Violinistin, die durch ihre Beziehung mit dem Rennprofi ohne Frage einen Schub bekommen würde. Aber auch in diesem Punkt wurden einige Gäste so dreist, dass sie den Raum verlassen mussten, bevor endlich das eigentliche Hauptthema – Harukas neuer Vertrag und die kommende Saison – angesprochen wurde. Erschöpft ließ sich Michiru in Harukas Arme fallen. Mittlerweile standen sie wieder im benachbarten Büro im Kreise des neuen Teams, abgeschirmt vor neugierigen Kameras und Journalistenaugen. „Sind Pressekonferenzen immer so anstrengend?“, seufzte sie resignierend. Haruka atmete tief durch und vergrub ihr Gesicht in der welligen Mähne. „Das kommt immer auf die Themen an. Wir hatten heute viele Kategorien. Und einige davon gingen weit ins Private. Dafür hast du dich aber wirklich gut geschlagen.“ „Findest du? Ich weiß nicht… Ein paarmal hab ich mich ziemlich nackt und überfordert gefühlt.“ Eine tiefe Stimme antwortete ihr: „Ihr wart wirklich gut. Ihr beide. Dass du dich irgendwie nackt fühlst, ist normal, Michiru-san. Natürlich ist das unangenehm, aber glaub mir, wenn du diese Geier nicht genug fütterst, werden die dein Privatleben zerreißen.“ Michiru drehte sich um und sah in die gütigen Augen Harukas Trainers. Er und einige Kollegen wollten Haruka und Michiru zum Abendessen einladen, die jedoch dankend ablehnten. Es war schon nach neun und in solch großer Runde würde der Abend sicher nicht vor Mitternacht enden. Die Journalisten hatten in der Zwischenzeit auch den Parkplatz geräumt und Harukas Yamaha stand etwas verlassen abseits der Fahrzeuge ihrer Teammitglieder. Michiru wanderte abwesend neben der Athletin her durch die Dunkelheit. Plötzlich blieb die Blondine stehen und Michiru sah fragend auf. „Du warst fantastisch. Mach dir keine Sorgen. Du hast alles richtig gemacht. Die lieben dich. Wie könnten sie das nicht tun?“ Michiru lächelte verlegen. „Meinst du? Ein paar Fragen waren doch sehr speziell… Und ich bin mir nicht sicher, ob ich immer das ausdrücken konnte, was ich wollte… Zum Beispiel wegen meiner Karriere. Ich glaube, ein paar von denen glauben immer noch, ich wäre mit dir zusammen, um berühmt zu werden…“ Sofort zog Haruka ihre Freundin in ihre Arme. „Rede nicht solchen Quatsch. Ich weiß, dass es nicht so ist. Alles andere ist nebensächlich. Außerdem waren auch etliche seriöse Zeitschriften dabei. Sicher wird auch dein Bild in den nächsten Tagen wieder mehr durch die Medien gehen, aber nur, um dich vorzustellen. Als Künstlerin. Als Geigerin. Als die wundervolle Frau, die mich erobert hat.“ Haruka festigte ihr Versprechen durch einen innigen Kuss, den Michiru bald nur noch erwidern konnte. „Was machen wir heute noch?“, fragte Haruka, nachdem sie sich wieder von der Streicherin gelöst hatte. Ihre Atmung hatte sich beschleunigt und ihre Wangen hatten einen hitzigen Rotschimmer angenommen. Michiru tippte ihr grinsend mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. „Du, meine Liebe, bringst mich schön nach Hause. Wir haben morgen Schule. Vergiss das nicht.“ Haruka stöhnte genervt. „Aber ein schnelles Abendessen ist doch noch drin, oder nicht?“ Mit ihren Händen auf Michirus Rücken drückte sie die Malerin eng an sich und sah ihr bettelnd in die Augen. „Zum Schlafen ist es noch zu früh und ohne dich weiß ich nichts mehr mit mir anzufangen.“ Die Schwimmerin versuchte gar nicht erst, einen Seufzer zu unterdrücken. Stattdessen griff sie energisch in Harukas Nacken, um sie erneut zu küssen. „Nur ein kurzes Abendessen. Ohne Dessert. Ohne Absacker. Und um zehn ist Feierabend, verstanden?“ >War ja wieder klar! Ausgerechnet heute spinnt dein verdammtes Handy! Natürlich!< Wie besessen raste Haruka durch Tokios Straßen. Im Slalom schlängelte sie sich durch den Verkehr, flog noch kurz nach der Gelbphase über Kreuzungen, kümmerte sich nicht um die Geschwindigkeitsbegrenzung. Gerade, als sie ihre Maschine zum Stehen brachte, zog Michiru die Eingangstür hinter sich zu. „Hey, mein Engel!“ Schon stand Haruka vor ihr, hob sie hoch und küsste stürmisch ihre Lippen. Automatisch hatte Michiru ihre Pianistin umklammert, schreckte jedoch sofort wieder zurück. Haruka verstand sie ohne Worte. „Schon gut, alles bestens. Ist nur noch ein blauer Fleck. Tut überhaupt nicht mehr weh.“ Michiru war zunächst skeptisch, konnte der Anziehungskraft der Athletin jedoch nicht länger widerstehen. Ihr war nicht aufgefallen, wie sie von Haruka zu ihrem Motorrad getragen worden war. Jetzt wurde sie behutsam auf dem lederbespannten Sitz abgesetzt. „Happy Birthday, mein Liebling“, flüsterte ihr der Rennprofi zu. „Deine Geschenke gibt´s später.“ „Geschenke? Mehrere?“ Die Blondine grinste. „Ja. Das Erste sollst du übermorgen bekommen. Wenn du nichts anderes vorhast. Und vielleicht… Also wenn du keine Einwände hast… Würde ich gerne da weitermachen, wo wir letztes Wochenende aufgehört haben.“ Haruka wollte den Kuss schon wieder aufnehmen, als ihr die Malerin den Zeigefinger auf die Lippen legte. „Okay. Aber diesmal fragst du selbst. Heute Nachmittag kommen Mamoru und Usagi zum Kaffeetrinken. Und dich will ich dabei haben.“ „Was machst du denn so lange? Ich sagte doch, du brauchst dich für meine Familie nicht raus zu putzen.“ „Ich putze mich nicht raus…“ Haruka war schon vor Minuten in ihrem Schlafzimmer verschwunden, um sich etwas ‚Angemesseneres‘ anzuziehen. In einer schwarzen Hose und einem royalblauen Top kam sie endlich wieder heraus. Außerdem schlüpfte sie in ein weißes Hemd, das sie bis unter die Brust zuknöpfte. „Bin ja schon fertig…“ Sie schloss gerade den letzten Knopf, als Michiru plötzlich vor ihr stand. Die Schwimmerin richtete Harukas Kragen, strich anschließend über den weißen Stoff. „Ich liebe deinen Stil, Haruka. Egal, ob feminin oder maskulin. Dir steht irgendwie beides.“ Ihre Augen wanderten über den kräftig gebauten und dennoch weiblichen Körper. Als sie aufsah, blickte sie in ein noch glücklicher strahlendes Grün, als sie es je gesehen hatte. „Was ist?“, grinste die Streicherin verliebt. Haruka legte ihre Hände in Michirus Taille, zog sie eng an sich und küsste zärtlich ihren Hals. Dann hauchte sie ihr ins Ohr: „Ich könnte längst nicht mehr aufzählen, weshalb ich dich liebe, denn du bringst mir immer wieder neue Gründe.“ Verspätet erreichten Haruka und Michiru die Wohnung der Familie Kaioh. Kaum hatte Michiru die Wohnungstür geöffnet, sprang ihr schon Hotaru in die Arme. Haruka folgte ihrer Freundin zögerlich. Vorsichtig riskierte sie einen Blick ins Wohnzimmer. Usagi, Mamoru und Toshio saßen bereits an der gedeckten Kaffeetafel. Die Männer unterhielten sich angeregt, Usagi hingegen schien ihren Träumen nachzugehen. Als Haruka in ihr Blickfeld trat und ihr zuzwinkerte, schrak sie erst auf, bevor sich ihre Mundwinkel weit nach oben zogen und sie aufstand, um die Sportlerin mit einer stürmischen Umarmung zu begrüßen. „Ist Mama noch in der Küche?“, fragte Michiru, nachdem sie ihr Geschenk von Mamoru und Usagi, eine neue Ausrüstung zum Zeichnen mit allem Drum und Dran, ausgepackt hatte. Die Antwort hatte sich erübrigt, als plötzlich die Tür aufging und Setsuna die Geburtstagstorte hereintrug. Haruka hatte gerade ein Gespräch mit Usagi anfangen wollen, als die von der in der Tür erscheinenden Torte abgelenkt wurde. Grinsend folgte Haruka ihrem Blick. Dann erstarrte sie. Ihre Brauen zogen sich ungläubig zusammen, ihre Lippen kräuselten sich vor Skepsis. Setsuna hatte Haruka augenblicklich erspäht. Michiru kam ihr entgegen, um ihr den Kuchen abzunehmen. „Setsuna, das ist…“ Sie hielt inne. Fragend sah sie von ihrer Stiefmutter zu ihrer Freundin. Setsuna setzte sich endlich in Bewegung und wollte der Blondine die Hand reichen. Ihre granatroten Augen strahlten Wärme, Offenheit und Fürsorge aus, doch ließen sie die gelähmte Haruka nicht aus ihrem Bann. „Hallo, Tenoh-san.“ Die Athletin wollte antworten, nahm den Handschlag jedoch sprachlos an. „Was ist los? Warum so wortkarg? So kenne ich Sie doch gar nicht“, lächelte die Ärztin noch breiter. „Ihr kennt euch schon?“ Michiru beobachtete die Begegnung noch immer voller Neugierde. Haruka nickte langsam, Setsuna hingegen erklärte ausführlicher: „Sicher. Tenoh-sans schnelle Genesung ist nicht allein dein Verdienst, Chiru.“ Michiru hob die Brauen, stellte die Torte auf dem Tisch ab und wandte sich wieder den beiden Frauen zu. „Wieso hast du denn nicht gesagt, dass Setsuna deine Ärztin ist, Haruka?“ Die Pianistin war noch immer gelähmt. „Ich… ähm… Ich wusste nicht, dass… Also es war mir nicht klar…“ „Ich glaube, Tenoh-san hatte einfach nicht damit gerechnet, dass sie ausgerechnet in meinem Wartezimmer landen würde“, zwinkerte Setsuna. Langsam erwachte Haruka aus ihrer Starre. „Ähm, Haruka reicht vollkommen aus.“ Endlich schüttelte sie auch die ihr angebotene Hand. „Okay. Dann bestehe ich auch auf Setsuna.“ Kaum hatten Harukas Finger die zarte, warme Haut berührt, legte sich ihre Anspannung. Ihr Griff wurde fester. „Also gut. Setsuna. Jetzt ist wirklich offensichtlich, weshalb Michiru immer so von ihrer Mutter schwärmte.“ Die linke Braue der Ärztin hob sich. So schnell war die Unsicherheit der Herzensbrecherin verflogen. Kapitel 25: ------------ Nachdem sie ihr anfängliches Unbehagen gegenüber Setsuna überstanden hatte, fand Haruka schnell zu ihrer Souveränität zurück. Selbst als ihr Flirtopfer Usagi mit Michiru und Hotaru die Tafel verließ, um in der Küche abzuwaschen, blieb sie entspannt zurück. So hatte sie wenigstens die Gelegenheit, einige Worte mit Toshio und Setsuna zu wechseln. Als sich Michiru kurz vor dem Abendessen in ihr Zimmer entschuldigte, zögerte Haruka nicht lange, ihr nachzuschleichen. Als sie die Tür leise hinter sich geschlossen hatte, begann die Streicherin, die ihr den Rücken zugewandt ihre neue Zeichenausrüstung auf dem Schreibtisch ablegte, zu lächeln. „Machst du dir Sorgen, ich würde nicht wiederkommen?“ Haruka durchschritt den Raum. Dicht hinter ihrer Geliebten blieb sie stehen. Zärtlich legte sie ihre Hände erst in Michirus Taille, schob sie dann vor bis zu ihrem schlanken Bauch und zog sie eng an sich. Zentimeter neben ihrem Ohr flüsterte sie: „Ich habe mich nur nach einem kurzen Augenblick gesehnt, in dem ich mit dir allein bin.“ Michiru senkte ihre Lider. Sie schmiegte sich an den vertrauten Körper, der sie stützte, hob ihre Arme und kraulte mit ihren Fingerspitzen hungrig in dem blonden Nacken ihrer Geliebten, wog sich leicht in den sie haltenden Armen. Tief atmete sie aus, als sich Harukas warme Lippen auf ihren Hals senkten. „Ruka, bitte“, keuchte sie. „Glaubst du nicht, sie würden sich fragen, wo wir bleiben?“ Sie konnte fühlen, wie die Mundwinkel an ihrer Kehle zuckten. „Eigentlich wollte ich dir nur das erste meiner Geschenke überreichen“, raunte Haruka zurück. „Aber wenn ich dich sehe, deinen Duft einatme, deinen Körper spüre und deine Wärme auf mich einströmt, verabschiedet sich mein Verstand.“ Wie fremdgesteuert drehte sich Michiru in der innigen Umarmung um. „Wie soll ich mich beherrschen, wenn du mir immer solche Dinge sagst?“, hauchte sie schwer atmend. Ihre Hände strichen zärtlich über Harukas Hals und vergriffen sich schließlich im Kragen der Blonden. Als sie die ersehnten Lippen fand, entglitt ihr ein tiefes Seufzen. Sie registrierte kaum, wie sie zielsicher zu ihrem eigenen Bett dirigiert wurde. Dort angekommen ließ sie sich widerstandslos auf die Decke sinken. Haruka ließ keinen freien Zentimeter zwischen sich und ihre Gespielin geraten. Leidenschaftlich übernahm sie die Führung in dem feurigen Kuss. Quälend langsam erkundigte ihre Rechte den sich unter ihr rekelnden Körper. Schließlich fand sie nackte Haut, als sie den Rock von Michirus Uniform hinter sich gelassen hatte. Michiru unterbrach den Kuss. Schwer atmend drängte sich ihr Brustkorb der Frau über ihr entgegen. Haruka nutzte die Gelegenheit und liebkoste das bebende Dekolleté mit ihren Lippen. Als hätte sie Witterung aufgenommen, schob sie Michirus Kragen immer weiter zur Seite. Ihrem Spiel wurde abrupt ein Ende bereitet, als es an der Tür klopfte. Erschrocken sahen die Liebenden einander an. „Chiru? Ich soll euch zum Essen holen“, ertönte Hotarus Stimme. Im Handumdrehen hatte Michiru Haruka von sich gestoßen, aber auch die hatte schnell reagiert und stand schon im nächsten Augenblick auf den Beinen und öffnete die Tür gerade weit genug, um hindurchsehen zu können. Unschuldig lächelnd sagte sie: „Wir sind gleich da. Schenk mir nur noch 2 Minuten mit deiner Schwester, okay?“ Michiru hörte, wie Hotaru ihr Einverständnis gab. Währenddessen richtete sie ihre Klamotten. Als sich Haruka ihr grinsend zuwandte, brummte sie nur verstimmt: „Hier ist wohl nicht gerade der beste Ort für solche Spiele. Wir sollten gehen.“ Halb war sie an ihrer Freundin vorbeigelaufen, da wurde sie festgehalten. „2 Minuten haben wir noch. Und du hast immer noch nicht dein Geschenk bekommen.“ Michiru hob skeptisch die Brauen und sah auf in die vertrauten grünen Augen. „Du meinst, das eben war nicht Teil des Geschenks?“ Haruka zog die Geigerin abermals in ihre Arme und sah sie durchdringend an. „Das war nur ein Vorgeschmack auf ein anderes Geschenk. Dreh dich um“, befahl sie ruhig. Nach einem kurzen Zögern gehorchte Michiru. Plötzlich sah sie in ihren Augenwinkeln Harukas Hände, die rechts und links vor ihrem Oberkörper auftauchten. Sie erkannte, dass eine von ihnen etwas Funkelndes hielt. Sie brauchte keine Worte, um zu verstehen, dass sie ihr Haar zur Seite nehmen sollte. Der silberne Anhänger fiel auf ihre Brust, Haruka verschloss die Kette in Michirus Nacken und endlich besah sich die Streicherin ihr Geschenk. Ganz genau untersuchte sie den Anhänger aus Silber, besetzt mit zarten Akzenten aus Saphir, der zwei elegante Fische aufzeigte, die einander wie Yin und Yang umkreisten. Gedankenverloren fuhr sie die Konturen nach. „Sie sind wunderschön, Haruka! Das muss dich ein kleines Vermögen gekostet haben…“ Haruka hauchte Michiru nur einen sanften Kuss auf die Wange, bevor sie raunte: „Das ist erst der erste Teil. Komm mit mir, mein Engel. Ich werde dich am Samstagvormittag halb 10 abholen.“ Michiru sah fragend auf. „Wohin willst du denn?“ „Das wirst du erfahren, wenn es an der Zeit ist. Deine Eltern haben zugestimmt. Dieses Wochenende gehört einzig dir und mir.“ Sie war die Ruhe selbst, als Haruka die Klingel zur Wohnung der Kaiohs drückte. Erst mit jeder weiteren Stufe auf dem Weg in den vierten Stock regte sich mehr und mehr ein Anflug von Nervosität. Hotaru strahlte ihr bereits von der Wohnungstür aus entgegen. "Guten Morgen, Haruka-san!", wünschte sie ausgeschlafen. "Guten Morgen, Knirps. Ist deine Schwester fertig?" Hotaru verdrehte die Augen. "Ach, du kennst sie doch. Sie steht schon wieder seit Stunden vor dem-" Plötzlich wurde sie von der sich öffnenden Badezimmertür hinter ihr unterbrochen. "Ich weiß ja nicht, wohin du mich entführen willst", erklang Michirus Stimme. "Da dauert es länger, sich für ein Outfit zu entscheiden." Haruka zögerte noch einen Augenblick. Dann schob sie sich an Hotaru vorbei und suchte ihre Freundin. Von oben bis unten musterte sie die Geigerin. Als diese die gierigen Blicke bemerkte, begann sie, sich rekelnd zu posieren. "Gefalle ich dir?" Harukas Augen glänzten hungrig. Michirus Kunstlederleggins schmiegte sich an die durch Michirus schwarze Booties noch länger wirkenden Beine. Ihr Weißes Oberteil fiel in Wellen über ihre Brust, bevor es glatt den flachen Bauch verhüllte. In Michirus Dekolleté entdeckte Haruka ihr Geburtstagsgeschenk. "Du gefällst mir in jedem Outfit!" Haruka schlich näher und flüsterte, damit kein anderes Familienmitglied ihre Worte hören konnte: "Aber am besten würdest du mir ganz ohne Klamotten gefallen." Errötend ließ Michiru den Blick sinken. "Hast du gepackt?" Sie nickte. Dann sah sie lächelnd wieder auf. "Von mir aus können wir los." Minuten später verstaute Haruka Michirus Reisetasche in ihrem Kofferraum. Auf der Fahrt durch Tokio versuchte Michiru immer wieder, sich neu zu orientieren, um herauszufinden, wohin die Reise gehen sollte. Aber ihre Freundin klärte sie nicht auf. Erst als sie ihr Ziel erreichten, blitzte ein breites Lächeln im Gesicht der Streicherin auf. „Du lässt dir auch immer wieder etwas Großartiges einfallen, Haruka. Das letzte Mal, dass ich hier war, muss über zehn Jahre her sein… Das war noch mit Mama.“ Sicher hielt Haruka Michirus Hand, als sie durch die weiten Korridore des Nezu-Museums schlenderten. Auch wenn sie selbst nicht viel von Kunst und alten Kulturen verstand, ließ sie sich geduldig von Michirus Wissen über die Bilder und Skulpturen berieseln. Die junge Künstlerin war abgetaucht in ihr Element. Mit wachsender Begeisterung fand sie Kunstwerke wieder, die sie vor Jahren zum ersten und letzten Mal hatte betrachten können, und ließ sich fesseln von neuen alten Meisterstücken. Stundenlang führte sie Haruka durch ihre geliebte Welt der Kunst. Erst am späten Nachmittag fanden sie zurück in die große Eingangshalle, wo sich Michiru erschöpft auf eine Bank fallen ließ. Haruka lächelte sie breit an. „Bist du schon k.o.? Der Tag ist noch nicht vorbei.“ Michiru sah glücklich zu ihr auf. „Hast du noch viel mit mir vor?“ Haruka ließ sich neben ihr nieder. „In erster Linie Großartiges.“ Nach einer kurzen Pause zog die Sportlerin ihre Geliebte wieder auf die Beine. Nicht weit vom Nezu-Museum entfernt bestellte sie einen Tisch für zwei in einem der besten Fisch-Restaurants in ganz Tokio. So hatte es jedenfalls im Internet gestanden… Tatsächlich kam sich Michiru in dem Lokal etwas under-dressed vor. Doch Haruka gab ihr das Gefühl, die schönste Frau in der gesamten Metropole zu sein, trotz der Modells in ihren teuren Cocktailkleidern am Nachbartisch. Haruka trug Michiru auf Händen. Nicht nur im übertragenen Sinne. Als der Fahrstuhl in ihrer Etage stoppte und sich die Tür aufschob, hob sie die Violinistin kurzerhand auf ihre Arme. Juchzend hielt sich Michiru an ihr fest. „Haruka, was hast du vor?“ Die Blonde antwortete nicht. Als würde sie ihre Geliebte hypnotisieren wollen, fixierte sie deren Blick mit ihren verräterisch glänzenden Augen. Sie trug sie zielsicher durch die Wohnung, ließ die Reisetasche im Wohnzimmer fallen und schritt weiter auf den Balkon zu. In der frischen Abendluft angekommen, setzte sie Michiru vorsichtig ab und schenkte ihr einen vielversprechenden aber kurzen Kuss. „Ich bin gleich wieder zurück.“ Michiru sah der nach drinnen verschwindenden Haruka erst nach. Dann drehte sie sich um und ließ ihren Blick über die Stadt schweifen. Ganz in der Ferne erkannte sie Tokyo Bay. Wie fremdgesteuert hob sie ihre Hand. Mit zwei Fingern strich sie vorsichtig über ihre Lippen. Ihr erster Kuss. Ihre zum ersten Mal aufflammende Leidenschaft. Gier, die sie noch nie zuvor verspürt hatte. Sie errötete, bei dem Gedanken, welche Instinkte dort in ihr geweckt waren worden. „Atemberaubende Aussicht, oder?“ Michiru fuhr herum. Vor ihr stand Haruka, zwei Gläser Rotwein in der Hand, ein sanftes Lächeln im Gesicht. Die Künstlerin nickte und wandte sich wieder der Stadt zu. „Ich bin fast neidisch, dass die von unserer Wohnung aus da bei weitem nicht mithalten kann.“ Haruka trat neben sie und reichte ihr ein Glas. „Wenn es nach mir ginge, könntest du sie jeden Tag haben.“ Michiru lachte auf. „Ich denke, mein Vater hätte da schon seine Einwände.“ Kurz schwieg sie. Schließlich lächelte sie: „Aber wer weiß. Das Schuljahr ist bald zu Ende. Vielleicht wird es dann auch mal Zeit, mein ‚Kinderzimmer‘ zu verlassen.“ Haruka legte ihren freien Arm um Michirus Taille und zog sie an sich. „Bestimmt ließe Toshio da mit sich reden.“ Eine Weile sagte keine der Frauen ein Wort. Plötzlich richtete sich Haruka an Michiru und raunte ihr zu: „Ich will dir noch etwas zeigen.“ Die Violinistin ließ sich behutsam wieder nach drinnen ziehen. Vor einer Tür, die vom Flur weg führte, hielt Haruka kurz inne. „Gestern angekommen. Und es war ein echter Akt, ihn hier rein zu kriegen.“ Geräuschlos schwang die Tür auf und Michiru trat ein. Sie sah sich in dem in abendliches Dämmerlicht getauchten Raum um. Zuerst fiel ihr die Wendeltreppe auf, die nach oben aufs Dach zu führen schien. Doch schon im nächsten Moment erblickte sie den dunklen Flügel, den sie vor einer Woche schon einmal gesehen hatte. „Ist das…?“ Haruka nickte. „Obaa-san hat mich damit überraschen wollen. Und das war es auch! Eine echte Überraschung, als er mit einem Helikopter angeflogen wurde!“ Michiru trat wortlos auf das Instrument zu. Plötzlich wandte sie sich um und lief an Haruka vorbei. „Warte hier kurz. Da fehlt noch etwas. Ich hole es schnell.“ Haruka sah ihr verdutzt nach. Einige Minuten später saß sie vor dem Flügel, als die Tür geöffnet wurde und Michiru zurückkehrte. „Das Bild war so einfach nicht vollständig“, erklärte diese und präsentierte einen üppigen Strauß Rosen in einer kunstvoll verzierten Vase, den sie behutsam auf dem Instrument abstellte. Danach setzte sie sich neben Haruka. Zärtlich strich sie über das dunkle Verdeck der Tasten, bevor sie es öffnete und auffordernd zu ihrer Freundin sah. Die Pianistin hatte sie still beobachtet und verstand sofort die stumme Aufforderung. Der erste Takt. Langsam, gefühlvoll. Der zweite Takt. Michiru erkannte die Melodie. Lächelnd schloss sie ihre Augen. Das erste Lied, das sie damals im Musikunterricht hatte mit Haruka spielen dürfen. Und wieder überzeugte sie die Pianistin mit ihrem Feingefühl und ihrer Leichtigkeit in diesem emotionsträchtigen Titel. Und nach der ersten Strophe atmete sie durch, befeuchtete ihre Lippen und ließ ihre Stimme auf den von Haruka gespielten Noten tanzen. Haruka sah von den weißen und schwarzen Tasten ab. Vollkommen ließ sie sich von dem Anblick des singenden Engels fesseln. Ihre Haut begann zu kribbeln, als Michiru selbst die spitzesten Töne noch traf und in ein harmonisches Flammenmeer der gemeinsam geschaffenen Musik verwandelte. Gemeinsam erweckten sie die Komposition zum Leben, versetzten die Luft in Schwingungen, teleportierten sich selbst an einen anderen Ort. Michirus Stimme verklang. Haruka spielte die letzten Takte, die letzten Noten, schließlich den letzten anhaltenden Ton. Ehrfürchtig starrte die Pianistin ihren Engel an, der immer noch die Augen geschlossen hielt und tief atmend allmählich in die Realität zurückkehrte. Michiru rutschte nah an Haruka heran. Als sie auf sah, fanden ihre türkisfarbenen Augen sofort die ihrer Geliebten. Sie zögerte nicht länger, beugte sich nur vor, um verlangend die weichen Lippen zu küssen. Für einen kurzen Moment war Haruka überrascht, doch dann stieg sie in den leidenschaftlichen Kuss mit ein und übernahm bald schon die Führung. Sie drängte sich der Schönheit entgegen und zog sie auf ihren Schoß. Gleich darauf wurde sie fest umklammert. Sie fühlte, wie sich freche Finger in ihrem sandblonden Nacken vergruben, wie der anmutige Körper zu beben begann, wie sich der Engel seiner Gier ergab. Ohne von ihrem Tun abzulassen, stand Haruka auf, Michiru immer noch in ihren Armen. Schwankend trug sie die Geliebte durch den Raum, den Flur, das Wohnzimmer, bis hin zu ihrem Schlafzimmer. Dort angekommen setzte sie Michiru vor dem großen Bett ab. Haruka unterbrach ihren stürmischen Kuss kurz und sah in das hübsche Gesicht, das ihrem eigenen so nahe war. Michiru schluckte. Sie war bereit für alles, was Haruka vorhatte. Entschlossen machte sie sich daran, die obersten Knöpfe an deren Hemd zu öffnen, ohne dabei den Blickkontakt zu unterbrechen. Sie wollte keine Zweifel aufkommen lassen. Haruka ließ sich widerstandslos ihr Oberteil von den Schultern streifen. Geduldig beobachtete sie, wie Michirus Hände über ihren durchtrainierten Körper wanderten, über ihr Dekolleté, ihr Brustbein, ihren Bauch, wie sie kurz über der locker sitzenden Jeans verharrten. Michirus Augen hatten die Wanderung neugierig beobachtet. Jetzt fanden sie zurück zu Harukas Gesicht. Plötzlich schoss die Violinistin vor, zog Haruka erneut in einen verlangenden Kuss und öffnete zittrig die störende Jeans. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)