Tokyo Bay von Ruka_S_Orion (Neustart) ================================================================================ Kapitel 17: ------------ Kapitel 17 „Ich hatte Angst, ich würde dich verschrecken… Oder einschüchtern…“, rechtfertigte sich die Läuferin leise. Nach einem fast lautlosen Schnauben schüttelte Michiru ihren Kopf. „Das könntest du nie.“ Ganz langsam reckte sie sich der Blondine weiter entgegen. Ihre Augen schloss sie erst im letzten Moment, bevor sie endlich wieder die süßen Lippen auf ihren eigenen spürte. Haruka bekam eine Gänsehaut. Sie hatte nicht gewagt, ihrem Engel entgegen zukommen. Jetzt konnte sie nicht fassen, dass sie ihn endlich wieder spüren konnte. Ihr Verstand hatte sich augenblicklich verabschiedet. Getrieben von einer unendlichen Sehnsucht umschloss sie nun das bildhübsche Gesicht mit beiden Händen. Noch immer hatte sie Angst, ihren Schützling verlieren zu können. Michiru konnte nicht glauben, dass sie es endlich getan hatte. Erneut strich sie über Harukas Arm. Diesmal wanderten ihre Finger an ihm bis zur Schulter entlang. Energisch griff sie in das sandblonde Haar im Nacken ihrer Geliebten. Ihre andere Hand schob sie über deren Taille in ihren Rücken, wo sie sanften aber bestimmten Druck ausübte. Michiru war nicht länger sie selbst. Sie spürte nur noch das Verlangen nach der androgynen Blondine. Haruka war etwas überrascht über Michirus fordernde Körpersprache. Doch sie ergab sich ihr und ließ sich fast gegen ihren warmen Körper fallen. Sie ließ ihre Hände sinken und fasste sicher unter die Oberschenkel der Violinistin. Für einen kurzen Moment wollte Michiru protestieren, doch dann verstand sie, was die Rennsportlerin vor hatte. Mit einem erstickenden Seufzer ließ sie sich hochheben und umklammerte Harukas Hüften mit ihren Beinen. Dass sie nun etwas größer war, kam der Künstlerin gerade recht. Sie löste sich für ein kurzes ununterdrückbares Grinsen um Millimeter von den sanften Lippen, um sie gleich darauf wiederzufinden. Harukas feste Umarmung voller Liebe und Geborgenheit gaben ihr Sicherheit. Der von ihr so stürmisch angeführte Kuss wurde ruhiger. Ganz sanft stieß sie mit ihrer Zungenspitzte gegen die geliebten Lippen. Haruka reagierte sofort. Sie ließ sich auf das zärtliche Zungenspiel ein, doch als sie spürte, wie Michirus Leidenschaft wieder die Oberhand zu gewinnen drohte, legte sie mehr Ruhe in den innigen und nie enden wollenden Kuss. Das Licht der Abenddämmerung schimmerte nur noch spärlich auf das Paar, als die Schülerinnen schwer atmend ihre Lippen voneinander lösten. Michiru zog sich mit ihren Beinen noch näher an Haruka heran und schmiegte ihr Gesicht abwesend an das der Leichtathletin. Fest umklammerte sie mit einem Arm deren Nacken, währenddessen ihre andere Hand sanft und langsam über die weiche Wange strich. Haruka hielt ihren Engel sicher im Arm und nahm jede noch so kleine liebevolle Berührung in sich auf. „Ich will dich nicht nachhause bringen. Ich will dich nie mehr her geben, Michiru.“, flüsterte sie nach einer Weile. Michiru öffnete betrübt ihre Augen. „Das wirst du aber müssen. Sonst bekommst du Ärger mit meinem Vater.“, lächelte sie niedergeschlagen. Ihre Geliebte wenigstens noch bis zum Auto zu tragen, ließ sich die Rennsportlerin nicht nehmen. Schon als die Schwimmerin an ihr herab rutschte, vermisste sie die Nähe zu ihr. Nur einen zärtlichen Kuss wollte sie ihr geben, bevor sie sich hinters Steuer setzen würde. Doch es kostete einiges an Konzentration, um sich wieder von Michiru lösen zu können. Die hatte das Gefühl, sich ihr Leben lang nur für diesen einen Menschen aufgespart zu haben. Und jetzt konnte sie es kaum ertragen, dass sich eben dieser von ihr entfernte und um den dunkelblauen Ferrari schritt. Der Abschied vor Michirus Haustür fiel den beiden noch schwerer. „Wie soll ich nur die Nacht ohne dich überstehen?“, überlegte Michiru nach einem weiteren innigen Kuss, währenddessen sie vorgab, den Kragen der Blondine zu richten. „Mach es wie ich.“, antwortete Haruka lächelnd. „Ich träume jede Nacht von dir. Dann geht die Zeit bis zum nächsten Morgen immer ganz schnell vorbei.“ Skeptisch sah ihr die Künstlerin in die Augen. „Hast du das schon vielen Mädchen gesagt?“ Harukas Gesichtszüge wurden ernst. „Noch keiner. Und es wird auch nie eine andere außer dir hören.“ Irgendetwas in dem Blick der einstigen Frauenheldin gab Michiru Gewissheit. Nur noch ein paar kurze Küsse und sie schaffte es endlich, sich aus Harukas Anziehungskraft zu befreien, und die Stufen bis zu ihrer Wohnung empor zu eilen. Dort angekommen setzte sich Michiru mit geröteten Wangen auf die Treppe, um Luft zu holen und ihren Herzschlag zu beruhigen. Kaioh Toshio saß ungeduldig mit den Fingern auf der Tischplatte trommelnd in der Küche. In ein Gespräch mit seiner Frau vertieft bekam er nicht mit, wie seine Tochter leise den Flur betrat. „Sieh es nicht so eng, Liebling! Michiru ist fast achtzehn. Da ist es völlig normal, dass man nach der Schule nicht gleich nach Hause kommt.“ „Mich beunruhigt nur, dass es sich langsam häuft, Setsu. Ich will nicht, dass sie kurz vor ihrem Abschluss noch abfällt.“ Setsuna rollte mit den Augen. „Das wird sie schon nicht. Immerhin trifft sie Haruka-san auch fast jeden Donnerstag zum Lernen. Und zusammen zu lernen ist noch viel effektiver. Sei nicht immer so besorgt. Ich glaube sogar, Haruka-san hat einen sehr positiven Einfluss auf Michiru. Sie kommt endlich mal raus. Siehst du nicht, wie glücklich sie in letzter Zeit ist?“ Toshio wandte den Blick von seiner Frau ab. Gegen diese Argumente konnte er nichts vorbringen. Das Wohl seiner Tochter stand für ihn immer an erster Stelle. „Du hast ja Recht. Wenn Chiru-chan ausgerechnet mit dieser Rennfahrerin glücklich werden soll, bin ich der letzte, der ihrem Glück im Wege stehen will.“ Michiru hatte sich lautlos an die Wand, die Küche und Flur voneinander trennte, gelehnt und dem Gespräch gelauscht. Bei den letzten Worten ihres Vaters errötete sie. >Mit Haruka glücklich werden?...< Ihr Herz begann erneut zu rasen. Warum eigentlich nicht? In ihren Augen war Haruka perfekt. Unweigerlich strich Michiru mit ihren Fingern über ihre Lippen. Waren sie jetzt eigentlich zusammen? „Chiru-chan! Du kommst aber spät… Warst du noch mit Haruka-san unterwegs?“ Hotaru hatte unbemerkt den Flur betreten und grinste ihre große Schwester breit an, die jetzt noch mehr errötete. „Ähm, ja… Wir…“ „Michiru-chan?“ Toshio hatte die Stimmen seiner Töchter bemerkt und trat, gefolgt von Setsuna, in die Küchentür. Michiru fühlte sich nun sichtlich unwohl. Sie hatte ihre Gedanken noch nicht wieder ordnen können und fühlte sich jetzt irgendwie überfahren. Setsuna durchschaute die unbequeme Lage sofort. „Taru-chan, sind deine Hausaufgaben erledigt?“ Die Neunjährige sah verwundert zu ihrer Mutter. „Klar. Die hab ich längst fertig.“ „Dann geh schon mal vor. Ich komme gleich nach und sehe sie nochmal durch.“ Hotaru runzelte nachdenklich die Stirn, gehorchte aber und ging in ihr Zimmer zurück. Für Toshio genügte ein Blick seiner Frau. Setsuna nickte ihm lächelnd zu, bevor sie ihrer Tochter folgte. Unsicher sah Michiru in die Augen ihres Vaters. „Tut mir leid, dass ich so spät komme, aber ich war-“ „Ist schon gut. Pass nur auf, dass du die Schule nicht vernachlässigst, okay?“ Haruka lehnte bereits mit geschlossenen Augen und dem Kopf in den Nacken gelegt an ihrem Auto, als Michiru die Haustür aufschloss. Zittrig ließ die Violinistin fast ihren Schlüssel aus der Hand fallen. Bevor sie sich in Bewegung setzte, atmete sie tief die frische Morgenluft ein. „Guten Morgen, Ruka-chan.“ Verschlafen aber lächelnd hob Haruka ihre Lider. „Guten Morgen, mein Engel.“ Sie lehnte sich vor, um der Künstlerin, die mittlerweile vor ihr stand, einen kurzen Kuss zu geben. „Hast du mich vermisst?“, fragte die Rennsportlerin grinsend. Michiru wandte gekünstelt eingeschnappt den Blick ab. „Das hättest du wohl gerne.“ Lange musste die Malerin nicht warten, bis sich ihr zwei Arme um den Oberkörper legten. „Das hätte ich wirklich gerne.“ Harukas Stimme so dicht an ihrem Ohr, bescherte Michiru eine Gänsehaut. Sie konnte der unbarmherzigen Anziehungskraft der Läuferin einfach nicht widerstehen. Also drehte sie sich langsam in der Umarmung um und legte Haruka ihre Hände in den Nacken, um die Blondine zu sich hinunter zu ziehen und sie in einen weiteren Kuss zu verwickeln. „Ich glaube, du hast mich doch vermisst.“, stellte Haruka fest, nachdem sie sich sanft gelöst hatte. Mit einem abfälligen Blick legte Herr Hisakawa den letzten Test des Schuljahres auf Harukas Tisch. „Ich hoffe, die blumige Aussicht auf Ihren weiteren Lebensweg wird sich nicht auch noch auf ihre Leistungen in Geschichte auswirken, Tenoh-san.“ Skeptisch blickte die Rennsportlerin auf. „Was? Wieso sollte-… Woher wissen sie von…?“ „Ich kann lesen, Tenoh-san.“ Der Lehrer wandte sich ab, um auch die übrigen Arbeitsblätter auszuteilen, und ließ eine nachdenkliche Haruka an ihrem Platz zurück. Die nächste Unterrichtsstunde begann für die Blondine nicht weniger rätselhaft. Bevor Frau Ogata mit ihrer Stunde begann, beglückwünschte sie der verdutzten Leichtathletin zu ihrem ‚neuen Einstieg in die Szene‘ und wünschte ihr viel Erfolg. „Woher wissen die von meinem neuen Vertrag? Ich hatte noch nicht mal meine offizielle Probefahrt!“ Haruka ließ sich gegen die Wand des Klassenraumes kippen, währenddessen Michiru ihre Unterlagen zusammen packte. „Was ist so schlimm daran? Ich dachte, dein Vertrag ist dir schon so gut wie sicher…“ „Ja, schon… Aber ich wollte nicht, dass der Medienrummel jetzt schon los geht. In Nagoya haben mich die Journalisten quasi auf Schritt und Tritt verfolgt. Und wenn die Lehrer schon Bescheid wissen, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Paparazzi mir wieder hinterher hecheln.“ Die Blondine schloss seufzend die Augen. Nur Sekunden später fühlte sie, wie sich ihr zwei warme Hände in den Nacken schoben und sie erneut in einen zärtlichen Kuss gezogen wurde. „Du bist eine Schwarzmalerin, Ruka. So schlimm wird es schon nicht.“ Die sanfte Melodie in Michirus Stimme zog wie eine Welle durch Harukas Kopf. Mit immer noch geschlossenen Lidern umarmte sie die Künstlerin, bis leise Seufzer und ein aufdringliches Räuspern sie aufschrecken ließ. „Sowas Süßes habe ich zuletzt im Kino gesehen. Erinnerst du dich, Junko-chan? Diese amerikanische Schnulze.“ Kikyo, Junko und Katashi waren neben Haruka und Michiru die Letzten im Klassenraum. „Ja, ich weiß, welchen du meinst. Wie hieß der noch gleich…?“ Junko legte nachdenklich die Stirn in Falten. „Ihr seid doch nur neidisch.“ Breit grinsend löste sich Haruka von ihrem Engel, der sie etwas verlegen, aber verliebt anlächelte. „Ja, bestimmt. Du brichst mir das Herz, Ruka! Ich dachte immer, aus uns könnte das perfekte Paar werden!“, flötete Katashi und wischte sich eine imaginäre Träne aus den Augen. „Du bist blöd, Kusaka-kun!“ Junko stieß ihrem Mitschüler einen Ellenbogen in die Seite, bevor sie, gefolgt von den anderen, den Weg zur Cafeteria einschlug. „…Wundert mich trotzdem, dass die Lehrer schon Bescheid wissen.“, murmelte Haruka vor sich hin. „Was wissen die?“, fragte Katashi. „Woher wissen die, dass ich einen neuen Vertrag unterschrieben habe? Du hast es doch nicht rumerzählt, Kusaka?!“ Die Blondine sah ihrem Mitschüler durchdringend in die Augen. „Ich? Nee. Keine Ahnung, wer damit an die Presse gegangen ist.“ Kurz kramte der Dunkelhaarige in seiner Tasche und zog dann den Sportteil der Tageszeitung heraus. Mit geweiteten Augen riss Haruka ihm die Titelseite aus der Hand. „Das kann doch nicht sein!“ Michiru streckte sich, um seitlich auch einen Blick auf die Schlagzeile zu werfen und vorzulesen: „‚Rennlegende wechselt die Seiten –Frauenheldin Tenoh Haruka, ehemals bekannt als Touma Haruka, aus Nagoya taucht nach Monaten in Tokio auf, um mit neuem Rennstall durchzustarten‘ Was? Vielleicht hat dein Sponsor geplaudert…“ „Das glaube ich nicht. Er hat zwar gesagt, es wäre ihm egal, aber er konnte auch verstehen, dass ich es nicht wollte. Jedenfalls noch nicht. Und nicht so! ‚Noch ist unklar, warum die Rennfahrerin Nagoya überhaupt verlassen hatte… Noch keine Stellungnahme von Vormund Touma Hikaru…‘ Was soll der Mist?“ Katashi entglitt ein Raunen, als Haruka knurrend seine Zeitung zerknüllte. Mit Harukas Konzentration war es fürs Erste vorbei. Erst auf dem Weg zur Schwimmhalle gelang es Michiru, ihre Freundin auf andere Gedanken zu bringen. „Wir haben bald Notenschluss. Was hältst du davon, wenn wir nachher nur unsere Hausaufgaben machen, vielleicht ein bisschen Japanisch-“ (an dieser Stelle konnte sich Haruka ein kleines Zischen nicht verkneifen) „und Mathe üben, und du mich dann für eine Weile entführst und die Schule und den Medienrummel vergisst?“ Haruka zuckte überrascht mit den Augenbrauen. Auf dem Parkplatz der Schwimmhalle angekommen, schnallte sie sich ab, um sich zu ihrer Beifahrerin herüber lehnen zu können. „Solche Ideen hätte ich dir gar nicht zugetraut, mein Engel.“, schnurrte sie, bevor ihr Michiru entgegen kam, um ihr den erwarteten Kuss zu geben. Am nächsten Morgen wurde Michiru bereits in der Küche erwartet. Haruka hatte sie pünktlich zum Abendbrot nach Hause gebracht und da sie ihre Hausaufgaben bereits erledigt hatte, hatte sich Toshio nicht weiter beschwert. Doch nun saß er, die Hände gefaltet und mit abwesendem Blick, am Küchentisch und auch Setsuna sah irgendwie bedrückt aus. Dieser Anblick gefiel Michiru gar nicht. Mit einem vorsichtigen „Morgen…“ setzte sie sich zu den Erwachsenen. „Ich verstehe, dass sie dir viel bedeutet. Und dass du glücklich bist, ist mir das Wichtigste auf der Welt.“, begann ihr Vater, „Aber ich will nicht, dass sie dich jetzt schon da mit reinzieht! Du bist erst 17 und stehst kurz vor deinem Abschluss. Ich kann nicht zulassen, dass sie dich mit in ihr Rampenlicht zieht.“ Michiru legte die Stirn in Falten und sah fragend zu Setsuna. „Michiru, du weißt doch, wie das läuft. Wie viele Menschen sind mit dem plötzlichen Ruhm schon nicht klargekommen und abgestürzt? Wir wollen nicht, dass du von der Presse zerrissen wirst.“ Diese Antwort verschaffte Michiru nicht gerade Klarheit. Also schob Toshio seiner Tochter die Tageszeitung zu. Auf der Titelseite war nicht nur Haruka zu sehen. In der unteren rechten Ecke sah Michiru in ihre eigenen Augen. „Woher haben die-…?“ Jetzt wanderte Michirus Blick zur Schlagzeile: ‚Die neue Frau an der Seite der Frauenheldin‘ Michiru schluckte. „Woher wissen die, wer ich bin? Und dass ich mit Haruka zusammen bin?...“ Ihr Blick hing immer noch an ihrem Bild, bis sich Setsunas Hand davor schob. Langsam blätterte sie in der Zeitung, um die Klatschseite aufzuschlagen. Michirus Augen weiteten sich. Sie erkannte sich selbst im Arm ihrer Freundin liegend. Das junge Paar hatte nur Augen für einander. Sie hatten gar nicht bemerkt, wie sie am gestrigen Abend in der Bucht von Tokio beobachtet und auch noch fotografiert worden waren. Bei dem Gedanken, dass ihnen irgendein Paparazzi für diesen intimen Augenblick aufgelauert hatte, wurde der jungen Violinistin ganz schlecht. Es herrschte einige Minuten Stille, bis Toshio zu seufzen begann: „Bleibst du bei ihr, stehst du in der Öffentlichkeit. Diese Geier sind skrupellos. Jeden Schritt, den du machst, jeden Fehler, den du begehst, werden sie beobachten. Verabschiede dich von Haruka, oder verabschiede dich von deiner Privatsphäre. So sieht´s aus.“ Setsuna schüttelte bei den klaren Worten ihres Mannes den Kopf. Sie konnte den Gedanken daran, dass die erste große Liebe ihrer Stieftochter so zu Ende gehen sollte, nicht ertragen. Fürsorglich legte sie ihr eine Hand auf die Schulter. „Egal, wofür du dich entscheiden wirst, wir stehen hinter dir.“ Haruka hatte von den neuesten Schlagzeilen nichts mitbekommen. Zu wenig hatte sie in der letzten Nacht geschlafen, sodass sie nun gähnend ihren Kopf auf ihren verschränkten Armen ablegte, die ihrerseits auf dem Dach des dunkelblauen Ferraris ruhten. Als sie das leise Klicken der Haustür hörte, begann sie zu grinsen. Doch der Morgengruß ihres Engels hörte sich nicht so liebevoll an, wie sie erwartet hatte. Haruka sah besorgt auf. „Ist irgendwas passiert?“ Michiru sah noch einen Moment lang in die vertrauten grünen Augen, bevor sie lächelnd den Kopf schüttelte. „Erzähl ich dir später. Lass uns erst mal zur Schule fahren, ok?“ Bevor sie einstieg, gab sie der überraschten Rennsportlerin einen auffällig innigen Kuss. Kaum auf dem Parkplatz des Schulhofes angekommen, dirigierte Michiru ihre Freundin gezielt zum Musikraum. „Jetzt erzähl schon, was los ist!“, nörgelte die Leichtathletin nun, doch sie bekam nur ein Kopfschütteln. „Wenn du es noch nicht weißt, dann will ich auch noch nicht darüber reden.“ Harukas Verwunderung stieg weiter an, als sich die Violinistin auf ihren Schoß setzte und sich an sie kuschelte. Grübelnd schloss sie den zierlichen Körper in ihre Arme. Blicke, die Haruka auf dem Schulhof folgten, und Getuschel, das während der Frühstückspause durch die Korridore hallte, wurden gekonnt von der Pianistin ignoriert. Nur Michiru beunruhigte das Stimmengewirr, das auch ihr auf Schritt und Tritt zu folgen schien. Nervös umherblickend machte sie sich nach ihrer Psychologiestunde auf den Weg zum Hauswirtschaftsraum. Haruka war nur kurz vorher angekommen. Dass ihre Freundin von Stunde zu Stunde aufgebrachter wurde, entging ihr nicht. Doch noch immer wollte die ihr nicht antworten. Als es zur Mittagspause klingelte, wollte die Läuferin weiter nachhaken, aber gerade, als sie an die Künstlerin herangetreten war, ertönte eine hämische Stimme hinter ihr: „Na, wie schmeckt der Ruhm?“ „Halt die Klappe, Kawashima.“, entgegnete Haruka genervt. „Ich habe nicht mit dir gesprochen, Tenoh.“ Hiro warf seiner Konkurrentin einen abwertenden Blick zu. Dann grinste er Michiru zu: „Ich habe mit unserer bildschönen Geigerin gesprochen. Wie ist es, plötzlich so im Rampenlicht zu stehen?“ Fragend sah nun auch Haruka in das Gesicht der Schwimmerin. „Was geht dich das an?!“, antwortete Michiru kühl. Ohne ihrem Mitschüler noch einen Blick zu schenken, schulterte sie ihre Tasche, und nahm Harukas Hand, um sie nach draußen zu ziehen. „Jetzt sag es mir endlich!“ Michiru überlegte noch einen Moment, schüttelte dann jedoch ihren Kopf. Langsam zog sie die Zeitung aus ihrer Tasche, die ihr ihr Vater am Morgen zugeschoben hatte. Haruka wurde von Abschnitt zu Abschnitt wütender. Aufgebracht tigerte sie hin und her, bis sie den letzten Satz gelesen hatte. Wie schon am gestrigen Tag zerknüllte sie das Papier. „Was nehmen die sich raus?! Ich habe noch nicht ein Interview gegeben, nicht ein Journalist hat mit mir gesprochen und schon jetzt ziehen die dich da mit rein! Was bilden die sich überhaupt ein?!“ Michirus Augen folgten der gehetzten Blondine. Schließlich gab sich die Künstlerin einen Ruck, um sich ihr in den Weg zu stellen. Indem sie das Gesicht ihrer Freundin mit beiden Händen umschloss, zwang sie Haruka dazu, sie direkt anzusehen. „Es ist mir egal, was die über mich schreiben. Es interessiert mich nicht.“ Haruka schüttelte den Kopf. „Nein. Du weißt nicht, wie die sind. Die rauben dir dein Privatleben. In Nagoya war ich ein Star. Jetzt haben die mich nach Wochen hier in Tokio gefunden. Mit dir an meiner Seite! Es gab genug Skandale um mich. Die warten nur darauf, den nächsten aufzudecken. Ich kann nicht zulassen, dass die dich da mit reinziehen.“ Michiru erschrak fast über die Ernsthaftigkeit, die in Harukas Stimme lag. „Das interessiert mich alles nicht.“ Sie reckte sich, um der Rennsportlerin einen sanften Kuss zu geben. Nur für einen kurzen Augenblick wollte Haruka ihre Sorgen vergessen. Doch kaum hatte sie ihre Arme um den schlanken Körper ihres Engels gelegt, ertönte lauter werdendes Stimmengewirr. „Probt ihr fürs nächste Titelbild?“ Hiro blieb wenige Meter von dem Paar entfernt stehen. „Was hast du für ein Problem, Kawashima?“ Genervt löste sich Haruka von ihrer Freundin. „Vielleicht deine Arroganz, Tenoh. Vielleicht dein Gehabe. Vielleicht kann ich dich aber auch einfach nur nicht leiden.“ Hiro trat mit verschränkten Armen dichter an die Athletin heran. „Was für ein Gehabe? Ich bin nicht derjenige, der hier wie der Hengst durch einen Stutenstall stolziert.“ Haruka ahmte seine angespannte Körperhaltung nach. „Nein. Immerhin hast du deine Stute schon gefunden.“ Der Blick des Dunkelhaarigen wanderte kurz zu Michiru. Haruka bekam eine Gänsehaut, als sie eine ähnliche Verachtung in seinem Blick erkannte, die auch Hikaru ihr gegenüber immer gezeigt hatte. Schützend stellte sie sich vor Michiru und knurrte: „Wag es nicht, auch nur ein Wort über Michiru zu verlieren!“ Hiros abwertender Blick wanderte zurück zu seiner Kontrahentin. „Was, wenn ich es doch wage? Du stehst voll im Rampenlicht, Tenoh. Was würde dein neuer Sponsor sagen, wenn du schon wieder Schlagzeilen lieferst?“ Mit einer dramatischen Geste untermalte er seine Worte: „‚Frauenheldin Tenoh verwickelt in Schlägerei um neue Schickse – Mätresse Kaioh bringt die wahre Seite des Rennstars zum Vorschein‘“ Ryo, der stämmig gebaute Junge, der eigentlich immer zu Hiros Rechten stand, schnaubte verächtlich und stieß dem anderen kräftig gebauten Bodyguard Hiros, Kosaru, grinsend in die Seite. Das war genug für Haruka. Ohne darüber nachzudenken, wo sie sich gerade befand, griff sie Hiros Kragen und schleuderte das Großmaul zu Boden. Kosaru und Ryo wollten sofort auf die Sportlerin losgehen, aber ihr Anführer stand schon wieder auf den Beinen und stieß sie zur Seite. „Du nimmst dir zu viel raus Tenoh! Hast wohl noch nicht oft genug Schläge bekommen, was?!“ Mit wenigen Schritten stand er wieder vor der Blondine und bohrte seinen Zeigefinger in Harukas Schlüsselbein. Diese schlug seine Hand von sich und griff erneut in das weiße Hemd. „Ich sagte, du sollst Michiru da raus lassen! Ich bin nicht mit ihr zusammen, verstanden? Sie ist nicht meine Freundin. Nichts von dem, was in den Zeitungen steht, ist wahr. Sie hat nicht mehr mit mir zu tun, als Kikyo-san, kapiert?“ Abermals stieß sie den Dunkelhaarigen von sich, der diesmal jedoch von Ryo aufgefangen wurde. „Michiru-san…“ Narumi hatte sich die ganze Zeit über zurückgehalten, sodass Haruka sie kaum bemerkt hatte, doch jetzt lief die Brünette erst an den Jungs und schließlich noch an der Rennsportlerin vorbei. Irritiert sah ihr Haruka nach. Sie lief direkt auf Michiru zu, die selbst Haruka mit großen Augen anstarrte. „Michiru… Ich meinte doch nur… Ich wollte nicht…“ Doch die Violinistin griff kopfschüttelnd nach ihrer Tasche. Die aufsteigenden Tränen unterdrückend rannte sie an Haruka vorbei in Richtung des Schulgebäudes. „Michiru-san, warte!“ Narumi warf den Streithähnen abwechselnd Blicke zu, murmelte: „Idioten.“, und folgte ihrer ehemals besten Freundin. „Ach verdammt!“ Haruka verschränkte die Hände hinter ihrem Kopf >Super, Tenoh! Richtig Scheiße gebaut!< „Weiber, was Tenoh?“, grinste Hiro arrogant. „Halt´s Maul!“ Haruka schulterte ihren Rucksack, um ebenfalls davon zu stürmen, wobei sie es sich nicht entgehen ließ, ihre eigene Schulter gegen die ihres Konkurrenten zu stoßen, der damit aus dem Gleichgewicht gebracht wurde und kurz taumelte. Zuerst steuerte Haruka die Mädchentoilette an, doch hier war weder Michiru, noch Narumi. Also suchte sie die Korridore ab, die zum Matheraum führten, aber auch dort war keine der jungen Frauen zu finden. Nachdem sie auch bei den Musikräumen vergebens gesucht hatte, kehrte Haruka zurück ins untere Stockwerk. Egal, wie sehr sie Michiru auch verletzt hatte, würde sie doch sicher zur Mathestunde kommen, oder nicht? Narumi kannte ihre langjährige Freundin gut genug, um zu wissen, wohin sie sich in so einer Situation zurück ziehen würde. Als sie die letzte Treppe, die zum Kunstatelier führte, erreicht hatte, setzte sich Michiru gerade auf die oberste Stufe. „Es tut mir leid, Michiru-san. Ich wollte nicht, dass sich Hiro einmischt, aber er hat mich einfach ignoriert…“, erklärte die Brünette, als sie vor der Weinenden niederkniete. Michiru begann leise zu schluchzen. „Kawashima interessiert mich überhaupt nicht. Aber Haruka-… Sie-…“ Michiru brach ab. Vorsichtig legte Narumi ihre Hände auf die Knie der Künstlerin. „Das hat sie sicher nicht so gemeint.“ „Und ob! Sie hat es gesagt, und sie hat es so gemeint. Ich war so dumm! Wie konnte ich so naiv sein?!“ >Sie verpasst tatsächlich den Unterricht!?< Fassungslos lehnte sich Haruka zurück, als Frau Ogata ihre Stunde eröffnete. Erst als die Ergebnisse der Hausaufgaben verglichen waren, klopfte es leise an der Tür und Michiru betrat, gefolgt von Narumi, das Klassenzimmer. „Entschuldigen Sie bitte, Sensei, aber mir war übel und Hara-san hat sich um mich gekümmert.“ Die Lehrerin sah die Schülerinnen durchdringend an, nickte aber schließlich verstehend. Michiru durchquerte mit gesenktem Blick den Raum. Sie spürte, wie sie von Haruka beobachtet wurde. Als sie sich gesetzt hatte, atmete sie tief durch, um der Blondine dann direkt ins Gesicht zu sehen. Sie sollte erkennen, wie sehr sie die Violinistin verletzt hatte. Sie sollte die Spuren der Tränen auf ihren Wangen sehen. Für Haruka fühlte sich der verachtende Blick wie ein Stich ins Herz an. Zeitgleich mit dem Klingeln zum Stundenende schob Haruka ihre Unterlagen in ihren Rucksack, doch Michiru war schneller. Auf dem Korridor lief Haruka ihrer Mitschülerin nach. „Warte, Michiru! Ich hab es nicht so gemeint.“ Sie griff nach der Hand der Violinistin, die sich daraufhin ruckartig zu ihr umdrehte. „Doch, das hast du. Mach mir nichts vor!“ Kopfschüttelnd riss sie sich los. „Ich habe dir nichts vorgemacht, Michiru! Ich wollte nur-“ „Was wolltest du? Ein Mädchen für Zwischendurch? Einen Zeitvertreib, bis dir der Ruhm die nächsten Weiber in die Arme spült? Mir das Herz brechen? Ich gratuliere, Tenoh Haruka. Letzteres hast du jedenfalls geschafft.“ Geschockt starrte Haruka in die zutiefst enttäuschten türkisblauen Augen. Wortlos sah sie zu, wie sich die Malerin von ihr abwandte und weiter Richtung Ausgang schritt. Kurz bevor diese die Tür des Schulgebäudes erreicht hatte, wurde sie von der Athletin überholt. Haruka stellte sich in den Türrahmen und versperrte ihr so den Weg. „Jetzt hör mir doch mal zu! Es tut mir leid. Ich wollte dich nie verletzten. Ich wollte dich nur beschützen!“ „Wovor beschützen, Haruka?! Vor Kawashima und seinen dummen Sprüchen? Damit komme ich klar. Nur mit dir nicht! Ich brauche deinen Schutz nicht! Und noch weniger dein Mitleid. Du hattest deinen Spaß mit mir. Jetzt tu mir bitte den Gefallen, und mach es mir nicht schwerer, als es ohnehin schon ist.“ Erneut spürte Michiru Tränen in sich aufsteigen, doch dieses Mal waren es Hasstränen, die sich ihren Weg zu bahnen versuchten. Ihr Blick ließ Haruka fast verzweifeln. Was hatte sie nur angerichtet? Ganz eindeutig hatte die Violinistin kein Ohr mehr für sie. Also trat sie direkt vor Michiru und versuchte, sie in eine Umarmung zu ziehen. Mit wässrigen Augen wehrte sich die Künstlerin. Doch um die maskuline Blondine von sich zu drücken, fehlte ihr die Kraft. Harukas Duft vernebelte ihr augenblicklich die Sinne und heiße Tränen fanden endlich ihren Weg. „Warum tust du mir das an, Haruka? Warum tust du mir so weh?“, flüsterte sie und spürte, wie die Umarmung noch fester wurde. Für einen kurzen Moment schloss sie ihre Augen. Dann gab sie sich einen Ruck und löste sich fast gewaltsam von Haruka. Ohne ein weiteres Wort schob sie sich an der Rennsportlerin vorbei und lief zur Bushaltestelle. Haruka starrte ihr teilnahmslos nach. Schüler stürmten an ihr vorbei. Doch erst nach Minuten setzte auch sie sich langsam in Bewegung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)