Ein unerfüllter Wunsch von Rabenkralle ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Ein gelegentliches Schlagen von Metall auf Porzellan erklang im Raum. Temari legte den Schwamm beiseite und nahm sich ein frisches Geschirrtuch, um die Teller und die Gabeln vom Abendessen abzutrocknen. Das Geräusch war erneut zu hören, dann wechselte in einen helleren Ton, bis es schließlich verstummte. Sie öffnete den Schrank, räumte erst die Teller und schließlich das Besteck in die Schublade und da sie es mit der rechten Hand tat, war der Klang nicht mehr zu hören. Sie wischte die Spüle trocken und benutzte das Tuch zum Schluss für ihre Hände. Temari streckte sie vor sich aus und betrachtete sie. Ihre Haut war vom Abwasch, den sie jeden Tag erledigte, ziemlich rau und einer ihrer nicht besonders langen Fingernägel war eingerissen. Sie musste zugeben, dass ihre Hände schon bessere Zeiten gesehen hatten, doch da sie mit einem Mann verheiratet war, der sich nicht daran störte oder dem es zumindest nicht wichtig genug war, um sie darauf anzusprechen, strebte sie in dem Punkt keine Veränderungen an. Ihr Blick fiel auf das schlichte Stück Silber, das sie am linken Ringfinger trug. Sie nahm den Ring nur selten ab – nicht mal zum Abwaschen, seit er einmal in den Ausguss gefallen war und sie ihn drei Tage lang gesucht hatte – und bis auf ein paar Monate, in denen er zwangweise an eine Kette an ihrem Hals gewandert war, hatte sie ihn immer an diesem Finger getragen. Sie berührte ihn mit ihrer Rechten und drehte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her. Wie sie hatte dieser Ring in den zehn Jahren, seit sie ihn besaß, einiges erlebt, doch sie hatte nicht einmal ernsthaft daran gedacht, ihn seinen ursprünglichen Besitzer wiederzugeben. Es hatte Momente gegeben, in denen sie sich gefragt hatte, ob er die Ursache für das Unglück sein konnte, das ihr nach der Heirat widerfahren war, bis sie gemerkt hatte, wie lächerlich der Gedanke war. Es war schließlich nur ein Schmuckstück und dass sie es zu etwa dem Zeitpunkt bekommen hatte, ab dem so vieles schief gelaufen war, war reiner Zufall gewesen. Ein Seufzen zog Temaris Aufmerksamkeit auf sich. Sie drehte sich um. Ihr Sohn saß am Küchentisch und erledigte seine Hausaufgaben. Seit er vor eineinhalb Jahren in die Akademie eingeschult worden war, hatte sich dies als tägliches Ritual etabliert und er erledigte es, ohne dass sie ihn dazu auffordern musste. Shikadai war ein intelligentes Kind. Er verstand schnell Zusammenhänge und das Lernen fiel ihm leicht, ohne dass er großartig etwas dafür tun musste. Er war nicht der Klassenbeste – dazu hatte er zu wenig Ehrgeiz und lernte nicht konsequent genug –, doch er schrieb meist gute Noten und das machte sie stolz. Sie hatte ihn streng aber liebevoll erzogen und sie wusste nicht, warum er sich mit seinen nicht einmal siebeneinhalb Jahren schon mit dem Ernst des Lebens beschäftigen sollte. Vor allem in dieser Zeit des Friedens wollte sie es ihm ermöglichen, dass er so lange wie möglich ein Kind sein konnte. Sie zog einen freien Stuhl vom Tisch ab, setzte sich und überflog das Blatt mit den Rechenaufgaben des kleinen Einmaleins, das er gerade löste. Vierzehn Aufgaben hatte er bereist richtig gelöst, nur mit der Fünfzehnten schien er zu hadern. Er zählte an den Fingern ab und fuhr sich über die Schläfen. »Acht mal sieben, acht mal sieben«, murmelte er. »Ach, Mist!« Temari schmunzelte. »Du sollst doch nicht fluchen«, ermahnte sie ihn. Shikadai sah auf und rollte mit den Augen, sagte aber nichts darauf. »Vierundfünfzig, fünfundfünfzig …« »Brauchst du vielleicht Hilfe?« »Danke, Mama« – ihr Sohn schaute sie vorwurfsvoll an – »jetzt kann ich mit dem Zählen von Vorne anfangen!« »Du sollst nicht zählen, sondern rechnen«, erinnerte sie ihn mit ruhiger Stimme. Der Junge seufzte. »Kannst du nicht irgendwem anders auf die Nerven gehen?«, fragte er. Die Frage traf sie wie eine Ohrfeige. Er tat ihre Ermahnungen gerne mal unbeeindruckt ab, aber so frech war er nur selten zu ihr. »Ich versuche nur, dir zu helfen«, meinte sie beherrscht. Das Gesicht ihres Sohnes erhellte sich wie nach einem Geistesblitz und er schrieb rasch eine Zahl. Es war die Sechsundfünfzig und somit das richtige Ergebnis. »Danke«, erwiderte er und präsentierte seiner Mutter ein breites Grinsen. »Aber wie du siehst, brauche ich deine Hilfe nicht.« Temari schenkte ihm ein falsches Lächeln und wandte sich ab. »Wenn du fertig mit deinen Hausaufgaben bist«, setzte sie an, »kannst du dich schon mal bettfertig machen.« »Was?«, empörte er sich. »Es ist noch nicht mal halb acht! Ich dachte, ich darf noch etwas fernsehen. Ich war schließlich den ganzen Tag unterwegs.« »Falsch gedacht«, gab sie zurück. »Du bist selbst Schuld, wenn du dich den ganzen Nachmittag mit Inojin im Wald herumtreiben musst.« »Er wollte mir eine Technik zeigen, die Tante Ino ihm beigebracht hat.« »Und das hat drei Stunden gedauert?« »Nein, ich –« Shikadai brach ab, räumte seine Sachen zusammen und schmollte: »Das ist unfair.« »Ist es nicht«, widersprach seine Mutter. »Du hast deine Prioritäten falsch gesetzt. Außerdem kannst du froh sein, dass es nur ein Abend ohne Fernsehen ist. Du weißt genau, dass du das Dorf nicht ohne die Begleitung eines Erwachsenen verlassen darfst.« »Behandle mich nicht immer wie ein Baby«, erwiderte er. »Inojin war dabei und Papa hat mir neulich auch erst etwas beigebracht.« Temari runzelte die Stirn. Dieses ewige Herumdiskutieren war eine Eigenschaft, die er sich leider von ihr abgeguckt hatte und das er für sein Alter schon ziemlich gut konnte. »Oh ja, ein feindlicher Shinobi wird von Inojins Holzschwertern und deinem Kagemane, das dreißig Sekunden hält, sicher eingeschüchtert sein«, meinte sie sarkastisch. Der Schmollmund ihres Sohnes verschwand und an seine Stelle trat ein Ausdruck, der ihr Herz eine Etage tiefer schickte. Es war ein Ausdruck purer Enttäuschung. »Du bist manchmal echt blöd!«, schmetterte er ihr entgegen, sprang auf und lief mit seinen Schulsachen aus der Küche. Nachdenklich starrte sie auf den Türrahmen und ein schlechtes Gefühl überkam sie. Wie sollte sie weiterhin von ihm verlangen, dass er andere mit Respekt behandelte, wenn sie ihm diesen selbst nicht immer entgegenbrachte? --- Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es fast halb neun war. Ihr schlechtes Gewissen hatte gewonnen und sie hatte Shikadai doch erlaubt, etwas länger aufzubleiben. Ein paar Minuten gab sie ihm noch, dann … Temari hörte, wie die Haustür geöffnet wurde und einen Moment später wieder ins Schloss fiel. Ihre Augen huschten nicht von dem Buch weg, das sie gerade las. Sie wusste schließlich, wer nach Hause gekommen war und so hatte sie sich jeden Kontrollblick abgewöhnt. Schritte erklangen und nach ein paar Sekunden, die sie schon routinemäßig innehatte, sagte sie: »Es ist spät geworden.« »Ich weiß«, antwortete Shikamaru und seufzte. Da sie wusste, dass sie gleich eine halbherzige Entschuldigung erwarten würde, die sie keineswegs zufriedenstellte, bevorzugte sie es, das Thema zu wechseln. »Der Rest vom Abendessen steht im Kühlschrank«, sagte sie, ohne von dem Roman aufzusehen. Er seufzte erneut, murmelte etwas, das sie wie »Schöne Begrüßung« anhörte und fragte dann: »Was hat dir die Laune verdorben?« »Nichts.« »Nichts?« »Ja, nichts«, bestätigte sie. »Wenn man mal davon absieht, dass deine Mutter mich heute Morgen wieder genervt hat.« »Sie ist halt ein wenig einsam.« »Dann soll sie sich ein paar Freundinnen in ihrem Alter suchen oder sich mehr um ihren Enkel kümmern«, meinte sie beiläufig. »Aber ich kann auf ihre Gesellschaft verzichten.« »Dann solltest du ihr das sagen.« Sie tat ein Lesezeichen zwischen die Seiten und klappte geräuschvoll das Buch zu. Für diesen großartigen Ratschlag hätte sie sich gerne nur allzu erkenntlich bei ihm gezeigt, aber die Energie sparte sie sich. Nach dem langen Arbeitstag ließ er ihre Argumente ohnehin nur wortlos über sich ergehen und damit war niemandem geholfen. Temari legte den Roman auf den Tisch und sagte: »Ich seh noch mal nach unserem Sohn und geh dann auch zu Bett.« »Schon?«, fragte Shikamaru überrascht. »Ja«, erwiderte sie, »ich treffe zwar keine wichtigen, politischen Entscheidungen, aber dieses viel zu große Haus instand zu halten ist alles andere als ein Waldspaziergang.« Im Anschluss stand sie von der Couch auf und verließ das Wohnzimmer, ohne ihn noch mal anzusehen. Er kam ihr auch nicht hinterher, denn er wusste ebenso gut wie sie, dass eine Diskussion über ein Thema, das spätestens morgen vergessen war, keinen Sinn machte. Sie ging den Flur entlang und blieb an dessen Ende vor Shikadais Zimmer stehen. Sie betrachtete die dunkle Tür und ihre Augen wanderten zu dem einsamen Haken, der aus ihr hervorragte. Bis vor ein paar Tagen hatte an ihm ein buntes Namensschild gehangen, das sie vor vier Jahren zusammen mit ihm gebastelt hatte. Ihr Sohn hatte es abgenommen, nachdem sein bester Freund ihn gefragt hatte, ob er dieses alberne, quietschbunte Ding noch so lange dort hängen lassen wollte, bis er Genin geworden war. Temari mochte Inojin – er war ein korrekter, fleißiger und manchmal etwas zu ehrgeiziger Junge, aber seine unsensible Art und dass er anderen gerne auf nicht gerade nette Weise sagte, was er von ihnen hielt oder was ihm an ihnen nicht passte, schätzte sie weniger. Sie drückte die Klinke herunter und spähte in das Zimmer. Shikadai saß auf seinem Bett und las in dem Sammelband mit Kurzgeschichten, den er zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Sie beobachtete sie einen Moment – sich in Bücher vertiefen konnte er genauso gut wie sie selbst –, dann meinte sie: »Es ist Zeit zum Schlafen.« »Gleich«, murmelte er, »nur noch zwei Seiten …« Sie schwieg kurz und sagte: »Ein Vorschlag: Du legst dich schon mal hin und ich lese dir den Rest vor.« Der Junge schaute sie skeptisch an. Er schien über das, was seine Mutter vorgeschlagen hatte, nachzudenken und antwortete schließlich: »Nein, ich möchte selbst lesen.« Temari war einen Augenblick sprachlos, dann setzte sie wieder an: »Ich verrate es Inojin auch nicht, damit er dich damit aufziehen kann.« Er schüttelte den Kopf. »Niemand in meiner Klasse lässt sich noch was von seinen Eltern vorlesen.« Sie wusste genau, dass das nicht stimmte. Karui hatte erst vor einigen Tagen erzählt, dass Chouji seiner Tochter immer noch jeden Abend zum Einschlafen dieselbe Geschichte vorlas. »Und was ist mit Chouchou?«, fragte sie und zog die Brauen hoch. »Chouchou ist ein Mädchen«, gab Shikadai prompt zurück. »Und ich bin kein Mädchen.« »Würdest du denn wollen, dass ich dir etwas vorlese, wenn du eins wärst?« »Auf keinen Fall!«, erwiderte er selbstsicher. »Ich bin schließlich schon groß und kein kleines Baby mehr.« »Dann warst du letzten Monat also noch ein kleines Baby?« »Mama, bitte«, begann er, »ich möchte einfach nur alleine lesen.« Sie starrte ihn ohne ein Wort an und bemerkte zu spät, dass sie sogar das Blinzeln vergessen hatte. »Du musst nicht so nett zu mir sein, weil du denkst, dass du mich ungerecht behandelt hast«, sprach er weiter. »Ein Tag ohne Fernsehen ist nichts gegen das, was Inojin wahrscheinlich aufgebrummt bekommt. Und Papa sagt auch dauernd, dass du sarkastisch ohne Ende bist und ich dann das, was du gesagt hast, nicht ernst nehmen soll – auch wenn ich nicht so ganz verstehe, was genau sarkastisch ist.« Er zuckte die Achseln und fuhr fort: »Es ist also alles okay. Und jetzt lass mich bitte zu Ende lesen.« »Gut«, sagte Temari und drehte sich wieder um. »Aber in einer Viertelstunde bin ich wieder hier.« Als sie wieder kam, war das Licht bereits aus und ihr Sohn eingeschlafen. Sie schlich aus seinem Zimmer und zog die Tür leise hinter sich zu. Ein flaues Gefühl lag ihr in der Magengegend und eine bittere Erkenntnis beschleunigte ihren Herzschlag, bis er sich für sie fast unangenehm anfühlte. Sie sank mit dem Rücken an die Tür und richtete niedergeschlagen ihren Blick auf den Boden. In ihrem Kopf tanzte unaufhörlich ein einziger Satz und der sorgte dafür, dass sie sich überflüssig und nutzlos fühlen ließ. Er braucht dich nicht mehr, dachte sie und lächelte traurig. Ihr kleiner Junge brauchte sie nicht mehr. Kapitel 1: Eine Verzweiflungstat -------------------------------- Mit einem Stirnrunzeln legte Temari die Papiere beiseite, die sie sich für den Abend vorgenommen hatte. Aus den Augenwinkeln musterte sie ihren Kollegen. Er hatte seinen Teil der Arbeit nicht angefasst und schaute trübselig vor sich hin. Anfang des Jahres hatte er seinen Lehrmeister verloren und nun war sein Vater vor wenigen Wochen im Krieg gestorben. Alle um ihn herum überhäuften ihn mit Mitleid – sogar Ino, die selbst betroffen war –, nur sie nicht. Sie hatte ihm weder ihr Beileid ausgesprochen noch eine Sonderbehandlung zukommen lassen und verhielt sich ihm gegenüber seit ihrer Ankunft im Dorf vor drei Tagen ganz normal. Bisher hatte es nichts genützt und da es sie inzwischen selbst ein wenig herunterzog, ihn so zu sehen, beschloss sie, ihre Aufheiterungstaktik zu ändern. »Ich weiß, du hast ein schweres Jahr hinter dir, aber hör bitte auf, so ein Trauerkloß zu sein«, sagte Temari. »Du bist so nur schwer für mich zu ertragen.« Shikamaru antwortete nicht und starrte weiter unbeteiligt vor sich hin. »Ich klau dir nur ungern deine patentierte Wortwahl«, fuhr sie fort, »aber du nervst mich wirklich. Du bist gerade so was von lästig.« Seine Augen huschten kurz zu ihr, doch ansonsten tat sich nichts. Sie konnte nicht den kleinsten Anflug eines Schmunzelns erkennen. Tief atmete sie aus. »Wenn du nicht gleich die Dackelfalte aus dem Gesicht nimmst und wenigstens ein bisschen schmunzelst, vergesse ich mich.« Sein Blick lag erneut auf ihr. »Und was soll das heißen?«, fragte er tonlos. »Das überleg ich mir noch«, erwiderte sie und schenkte ihm ein Lächeln. »Ich wollte dich bloß vorwarnen, falls du nur einen Gedanken daran verschwendest, wie vorgestern vor mir in Tränen auszubrechen.« »Ich bin nicht in Tränen ausgebrochen«, korrigierte Shikamaru sie. »Mir ist was ins Auge geflogen.« Temari hob eine Braue. »Im Winter in einem geschlossenen Raum?«, fragte sie kritisch. »Wie du meinst. Aber wenn ich dich noch ein drittes Mal weinen sehen muss, verschwinde ich und komme nie wieder in dieses Dorf. Die Rechnungen für die psychologische Betreuung, die ich dann brauchen werde, schicke ich dir trotzdem.« Und da war es. Ein winziges, fast nur unter der Lupe zu erkennendes Schmunzeln. »Danke«, sagte sie, »so gefällst du mir gleich –« Es verschwand jäh und sie brach ab. Sie bemerkte den merkwürdigen Glanz in seinen Augen und ihre Alarmglocke läutete. »Wenn du das jetzt tust, dann – Ach, verdammt!« Sie gab ihren inneren Widerstand auf und sagte: »Komm halt her und heul dich aus, wenn es dir danach besser geht.« Er blickte sie an und rührte sich nicht vom Fleck. »Ich heule nicht«, erwiderte er, »und mir geht es bestens.« »Und warum hast du noch nicht einmal gelächelt, seit ich hier bin?«, fragte sie kritisch. »Mir ist halt nicht danach.« »Ja, weil es dir beschissen geht«, legte sie fest. »Du kannst es dir übrigens sparen, mir zu widersprechen. Ich bin schließlich nicht blind.« »Blind vielleicht nicht«, gab er zurück, »aber extrem kurzsichtig, wenn du meinst, dass es mir schlecht geht.« Sie verstand nicht, was er sich davon versprach, aber er wollte sie provozieren. Zu dumm nur für ihn, dass sie darauf nicht einstieg. »Du gehörst wohl auch der Sorte Mensch an, die man zu seinem Glück zwingen muss, was?«, bemerkte sie. »Glück?« Er schnaubte humorlos. »Siehst du, wie ich lache?« Temari musste sich zusammenreißen, um ihn nicht anzuschnauzen und ihm zu sagen, wie lächerlich sein falscher Stolz war. Er führte sich wie ein Idiot auf und nun blieb ihr nichts anderes übrig, als andere Maßnahmen zu ergreifen. Sie kroch um den niedrigen Tisch herum und ehe sich Shikamaru versah, legte sie ihre Arme um ihn und zog ihn an sich. »Was soll das?«, fragte er, bemühte sich aber nicht, sich aus ihrer Umarmung zu befreien. »Du siehst aus, als könntest du etwas Aufmunterung und eine Schulter zum Ausweinen gebrauchen. Also los, tu dir keinen Zwang an.« Er erwiderte nichts und da er ihrer Aufforderung nicht nachkommen wollte, ließ sie ihn nach einer Weile wieder los. »Fühlst du dich wenigstens ein bisschen besser?«, fragte sie. »Oder immer noch nicht?« »Doch, sicher«, antwortete er monoton. Sie seufzte. »Wenn das noch länger so weitergeht, sehe ich mich gezwungen, eine Verzweiflungstat zu begehen«, fuhr sie fort. »Und das wird unschön, das kann ich dir versprechen.« »Nur zu«, forderte er sie auf, was sie ehrlich überraschte, »viel schlimmer kann es für mich nicht mehr –« Sie schnitt ihm das Wort mit einem flüchtigen Kuss ab. »Siehst du«, sagte sie und lächelte, »ich sagte ja, dass es unschön wird.« Er sah sie mit einem gewissen Misstrauen, aber unerwartet gefasst an. »Für dich oder für mich?« »Höchstens für dich. Mir macht es nichts aus, zur Aufheiterung Männer zu küssen, die ich ziemlich gut leiden –« Diesmal unterbrach er sie, indem er sie küsste, machte sich jedoch genauso rasch wieder von ihr los. Shikamaru blickte ihr einen Moment in die Augen – ihre überraschte Miene war ein völlig neuer Anblick für ihn – und sagte: »Du hast mir nie den Eindruck gemacht, als könntest du mich besonders gut leiden.« »Den Eindruck hatte ich umgekehrt von dir genauso wenig«, gab Temari zurück. »Du hast es mit Zuneigungsbekundungen wirklich nicht übertrieben.« Er drückte ihr abermals einen Kuss auf. »Besser?«, fragte er. »Na ja« – sie zuckte die Achseln – »es ist noch ausbaufähig.« Anstatt nachzufragen, küsste er sie erneut und da er diesmal nicht von ihr abließ, erwiderte sie es. Er küsste sie und sie küsste ihn und sie musste zugeben, dass es sich gar nicht so übel anfühlte. Auch wenn sie bisher die meiste Zeit ohne diese Liebesdinge ausgekommen war und es nicht darauf anlegte, dies zu ändern, war sie nicht zu stolz, um sich einzugestehen, dass sie nicht erst seit gestern etwas für ihn empfand, das über Freundschaft hinausging. Schließlich löste er sich wieder von ihr und fragte: »Und jetzt?« Sie tat, als müsste sie die richtige Antwort abwägen, dann sagte sie: »Es kommt der Sache schon näher.« Sie gab ihm keine Gelegenheit, etwas zu erwidern, indem sie ihn küsste. Sie küssten sich und diesmal hielt keiner der beiden inne, um zu einem Wortgefecht auszuholen. Nein, anstatt zu reden, legte er seine Arme um sie und sie verschränkte ihre hinter seinem Hals. Seine Hände fuhren über ihren Rücken zu ihrem Nacken und zurück – immer und immer wieder, bis er die Initiative ergriff und sie hinab zu ihrer Hüfte und unter ihr Shirt wandern ließ. Als er ihre Haut berührte, schauderte sie einen Moment, dann öffnete sie ihren Griff, um es ihm gleichzutun. Ihre Finger erforschten seinen Oberkörper und seine ihren und als er sich daran machte, ihr Oberteil auszuziehen, sperrte sie sich nicht dagegen. Sie tat nichts, als seine Berührungen und Küsse immer fordernder wurden – wozu sollte sie etwas unterbrechen, das ihr gefiel? –, bis sie auf ihrem Bett lagen und sie spontan entschloss, sich noch einen kleinen Spaß zu erlauben. Temari griff nach seinen Handgelenken, um seinem Tun Einhalt zu gebieten und brach den Kuss ab. »Heißt es nicht ›Erst die Arbeit, dann das Vergnügen‹?«, fragte sie und hatte größte Mühe, sich ihre Belustigung nicht anmerken zu lassen. Shikamaru befreite sich aus ihrem Griff, der ohnehin nicht besonders fest war, gab ihr mit einem »Wer sagt, dass das hier keine Arbeit ist?« Kontra und begann, ihren Hals zu liebkosen. Sie hielt ihn nicht davon ab, weiterzumachen, doch verbal ließ sie sich nicht so leicht von ihm schlagen. »Ich«, legte sie fest. »Also zieh dich wieder an. Ein Haufen Papierkram wartet auf uns.« »Der kann auch noch etwas länger warten«, murmelte er bestimmt und verlagerte seine Küsse weiter nach unten. Es hätte sie verwundert, wenn er nicht einmal für Sex ein wenig Motivation aufgebracht hätte, aber dass er so entschlossen war, war fast eine neue Seite an ihm. Sie legte es nicht darauf an – absolut nicht –, dass er es sich noch einmal anders überlegte, doch … »Hältst du das wirklich für ’ne gute Idee?«, fragte sie. »Nein«, sagte er zwischen zwei Küssen, »sie ist nicht gut, sondern großartig.« Sie biss sich auf die Unterlippe, um sich ein Grinsen zu verkneifen, und argumentierte: »Kollegiale Spannungen sind aber nicht gut fürs Arbeitsklima.« Er ließ von ihr ab, kam wieder auf ihre Augenhöhe und entgegnete: »Sind wir beide nicht erwachsen genug, um vernünftig mit der Situation umzugehen?« Als Antwort zog sie ihn an sich, nahm den Kuss zu ihm wieder auf und ließ ihren gespielten Widerstand fallen. --- Temari betrachtete die Holzverkleidung der Decke. An ihrer rechten Seite spürte sie die Wärme des Körpers, der dicht an ihrem lag, und sie roch den Schweiß, der sich mit ihrem zu einem neuen Duft vermischt hatte. Es war ein Geruch, der ihr bestätigte, dass sie nicht nur einem viel zu realistisch wirkendem Tagtraum nachhing. Shikamaru atmete laut ein, dann bemerkte er beiläufig: »Es funktioniert.« Sie unterdrückte ein Lachen. »Was hast du denn gedacht?« »Doch nicht das«, verbesserte er sich. »Ich meinte, dass Sex als Aufmunterung funktioniert.« »Das will ich auch schwer für dich hoffen«, meinte sie. »Ich begehe nur ungern eine Verzweiflungstat, wenn die erhoffte Wirkung ausbleibt.« Sie löste sich vom Anblick des Holzes und sie musterte ihn aus den Augenwinkeln. Er schaute mit neutraler Miene vor sich hin, wie sie es die meiste Zeit von ihm gewohnt war. »Eine Verzweiflungstat, hm?«, murmelte er. »Ist es etwa bedenklich, dass ich mit dir geschlafen habe, damit du diese Trauermiene absetzt?«, fragte sie und zog die Augenbrauen nach oben. Sein Mund zuckte zu einem belustigten Lächeln. »Ist es, definitiv.« »Na, ja«, setzte sie an, »wenigstens war es nicht der einzige Grund.« »Dann hattest du es ziemlich nötig, was?« Sie unterdrückte es, laut loszulachen und fragte amüsiert: »Wie kommst du denn darauf?« Er zuckte die Achseln und sagte nichts weiter. »Okay«, gab sie zu, »als du der Meinung warst, mich ausziehen und an diversen Stellen anfassen und küssen zu müssen, wollte ich es tatsächlich, aber vorher hab ich’s nicht vermisst.« Sie pausierte einen Augenblick, dann setzte sie nach: »Das letzte Mal ist eineinhalb Jahre her. Nur falls du es wissen möchtest.« »Warum wirfst du dir dann diese Pillen ein, wenn es schon so lange her ist?«, fragte er geradeheraus. Es überraschte sie nicht, dass er davon wusste, schließlich ließ sie die Packung vor dem Spiegel im Badezimmer liegen. »Falls ich mich spontan entscheide, mit einem gewissen Kollegen zu schlafen«, erwiderte sie nüchtern. Sie drehte sich auf die Seite, sah ihn direkt an und lächelte. »Nein, ich bin mir sicher, dass du dieses Detail nicht wissen möchtest.« Er wandte sich ihr ebenfalls zu, erwiderte ihren Blick und fragte: »Und was macht dich da so sicher?« »Ich glaube nicht, dass du zu den wenigen Männern gehörst, die eine Abhandlung über den weiblichen Zyklus interessant finden.« Sie lachte. »Und jetzt hoch mit dir! Wir haben noch einiges vor uns.« Er bewegte sich nicht und machte auch nicht den Eindruck auf sie, als hätte er vor, dies zu ändern. »Na, los, wieder an die Arbeit!«, forderte sie ihn auf. »Und welche Arbeit meinst du?«, gab er zurück. »Je nachdem, welche du im Sinn hast, fällt meine Antwort mit Ja oder Nein aus.« Ein Ja zum Papierkram und ein Nein zum Sex? Ha, wohl eher andersherum. »Ich meinte schon das, was auf dem Tisch liegt«, sagte sie belustigt. »Aber …« »Aber?« »Ich kann mir gerade echt Besseres vorstellen, als Unterkünfte einzuteilen.« »Und das wäre zum Beispiel?« Temari zog kurz ihre Augenbrauen hoch, dann küsste sie ihn in einem Anflug Spontaneität. Er erwiderte ihren Kuss, einer dieser klischeehaften Schauer fuhr über ihre Haut und sie fühlte sich großartig. Schließlich löste sie sich von ihm, lehnte ihren Kopf an seine Schulter und legte ihre linke Hand unter seine Brust. Sie konnte seinen Herzschlag erahnen und das beruhigte sie und sie beschloss, den Zeitdruck, unter dem sie standen, zu ignorieren. »Und was machen wir nun?«, fragte Shikamaru. »Du meinst, außer die Zeit, die wir nicht haben, statt mit Arbeit mit Sex zu verbringen?« »Nein, ich meinte das hier.« Er deutete auf sich, auf sie und wieder zurück. »Was ist das?« Sie seufzte. »Musst du so eine schwierige Frage stellen?« »Du musst sie ja nicht beantworten.« Er nahm ihre Hand und sie kreuzte intuitiv ihre Finger mit seinen. Als ihr auffiel, dass sie das getan hatte, bemerkte sie: »Zu spät, wir halten schon Händchen.« »Ach, was sagt das schon aus?«, entgegnete er. »Eine Menge«, sagte sie. »Wir liegen nackt beieinander, du hältst meine Hand und ich erwidere es – da gibt es nicht mehr viel, was man da interpretieren muss. Oder was meinst du?« »Von meiner Seite aus zumindest nicht.« »Aber von meiner, oder wie?« »Du hast bisher nur gesagt, dass du mich leiden kannst«, gab er zurück, »und dass es eine Verzweiflungstat war, mit mir zu schlafen. Woher weiß ich, dass du nicht nur nett sein willst?« »Und woher weiß ich, dass du nicht nur mit mir geschlafen hast, weil du körperliche Nähe suchst, um dich von dem ganzen Scheiß, den du dieses Jahr erlebt hast, abzulenken?« Ein Moment des Schweigens brach aus, bis Shikamaru erwiderte: »Diese Annahme scheint wohl ziemlich nahezuliegen, hm?« Temari nickte. »Genauso wie die Annahme, dass ich das alles nur aus Nettigkeit getan habe … Mal ehrlich, das ist schon ein Widerspruch in sich!« »Stimmt, du bist nicht nett«, bemerkte er amüsiert. »Nicht auf persönlicher Ebene.« Sie runzelte die Stirn. »Und auf einer anderen Ebene?« »Bist du äußerst nett.« »Du bist aber auch nicht übel.« Sie musste über ihr Gesagtes schmunzeln. Nicht, weil sie es im Affekt gesagt hatte, sondern weil es stimmte. »Danke«, entgegnete er in einem Ton, aus dem sie nicht so recht schlau wurde, »aber nach eineinhalb Jahren war das keine große Kunst, oder?« Sie lachte nur und zu ihrem Glück gab er sich mit ihrem Lachen zufrieden. »Und was bin ich für dich?«, fragte sie nachdenklich. »Außer nervig und anstrengend, meine ich?« »Hast du dir die Frage nicht schon selbst beantwortet?«, fragte er. »Ich sag’s mal so: Ich kann mir meinen Teil denken.« Und da er schwieg, setzte sie nach: »Wir liegen hier ohnehin wie ein liebestrunkenes Pärchen herum, also kannst du es auch aussprechen.« »Und was ist mit dir?« Sie stieß ein Seufzen aus. »Warum antwortest du ständig mit Gegenfragen?« »Weil mir dieses emotionale Gerede nicht liegt und ich hoffe, dass du das Thema wechselst?!« »War das jetzt eine Frage oder eine Feststellung?« Shikamaru zuckte die Schultern. »Wenn es eine Frage war: Von mir aus«, gab sie zurück. »Dieser Gefühlskram war sowieso noch nie mein Ding.« »Noch nie?« »Nur weil ich vor dir einen anderen hatte, heißt das nicht, dass ein großes Gefühl wie Liebe eine Rolle dabei gespielt hat«, antwortete Temari. »Der Kerl war sympathisch und nett und hat sich Mühe gegeben, aber irgendwie ist der Funke nicht übergesprungen.« Er lachte. »Kommt mir sehr bekannt vor.« »Mir nicht«, widersprach sie, belustigt von seinem Vergleich. »Wann hast du dir denn jemals Mühe gegeben, mir zu gefallen?« »Gar nicht«, sagte er. »Warum sollte ich mich verstellen, um bei einer Frau zu landen? Das ist doch schwachsinnig.« »Bei der Einstellung wundert es mich nur bedingt, dass du noch keine Freundin hattest.« »Bis jetzt wollte ich auch nicht unbedingt eine.« »Nicht mal zum Vögeln?« »Nicht mal zum Vögeln.« Sie musste lachen und scherzte: »Du dachtest wohl, es wäre zu mühselig, eine Frau dafür bei Laune zu halten, was?« »Wenn mir die Idee jemals in den Sinn gekommen wäre, absolut«, erwiderte er. »Umgekehrt ist es für dich sicher leichter, einen Mann bei Laune zu halten.« »Was willst du denn damit sagen?«, empörte sie sich. »Wenn du denkst, dass ich das hier für jeden gemacht hätte, liegst du echt daneben.« Er seufzte. »Das wollte ich damit bestimmt nicht ausdrücken.« »Das will ich auch hoffen«, sagte sie. »Es sei denn, du legst es drauf an, dass das hier eine einmalige Sache bliebt.« »Legst du es denn darauf an?« »Gegenfragen sind heute Abend nicht mehr gestattet«, legte sie fest. »Aber nein, tue ich nicht.« »Und wie stellst du es dir vor?« »Wie stellst du es dir denn vor?« »Gegenfragen beantwortete ich nicht.« Ihre Hand wanderte zu seinem Hals. Demonstrativ drückte sie ganz leicht zu und meinte: »Ich möchte dich gerade auf sehr liebevolle Weise erwürgen.« »Du hast diese Regel aufgestellt«, erinnerte er sie. »Es ist nicht meine Schuld, wenn du dich nicht daran hältst.« Temari überlegte kurz, wie sie sich bei ihm revanchieren konnte, dann kniff sie ihm in die Brustwarze. Bis auf ein kaum merkliches Zucken ließ er sich nichts anmerken. »Du bist ein Idiot«, gab sie zurück. »Ich versuche hier die ganze Zeit, diesen nervigen Kram zu bereden, und von dir kommen nur unbrauchbare Kommentare.« »Warum muss ich es denn sagen?«, fragte Shikamaru ruhig. »Du ziehst mich hinterher nur damit auf, was für einen furchtbaren Kitsch ich von mir gegeben habe.« Sie schwieg einen Moment und bemerkte schließlich: »Das ist gruselig.« »Hm?« »Dass du mich so gut kennst. Selbst wenn ich mich über das, was du sagst, freuen würde, würde ich dir auf jeden Fall einen Spruch um die Ohren hauen.« Sie musste lachen. »Schlechte Angewohnheit.« »Darf ich dich wenigstens küssen oder ist das auch zu kitschig?«, fragte er monoton. »Bloß nicht!«, meinte sie im Scherz. »Mehr klischeehafte Gesten ertrage ich für einen Tag nicht.« Sie hörte ihn auflachen, spürte flüchtig seinen warmen Atem auf ihrem Gesicht und im Anschluss, wie er sie küsste. Es fühlte sich nach wie vor gut an, auch wenn es nach ihrer Logik gar nicht so sein durfte. Aber Logik war in Gefühlsdingen ohnehin fehl am Platze, das wusste sie schon lange. »Und wie soll es nun weitergehen?«, fragte sie und setzte bestimmt nach: »Und keine Ausflüchte mehr. Ich möchte eine präzise Antwort von dir haben.« »Okay«, sagte er. »Wir bleiben einfach liegen und verschieben die Arbeit auf morgen.« »Das hab ich nicht gemeint. Ich meinte, wie es mit uns weitergehen soll.« Er deutete ein Schulterzucken an. »Du musst doch wissen, was du möchtest!« Obwohl ihr der Moment gefiel, wie er war, hatte sie Mühe, nicht von seiner angeblichen Unentschlossenheit genervt zu sein. »Eine Beziehung, eine Affäre oder dass alles bleibt wie gehabt?« »Eine Affäre?«, wiederholte er skeptisch. »Wäre das nicht irgendwie seltsam?« »Nein«, gab sie beherrscht zurück. »Im Gegensatz zu diesem Gespräch wäre das absolut nicht seltsam.« »Dann rede einfach nicht so viel«, schlug er vor. »Ich halte den Mund, sobald du mir gesagt hast, was –« Sie unterbrach sich, seufzte – sie wusste nicht, ob vor Verzweiflung oder Belustigung – und schloss: »Ach, lassen wir das. Liegen wir halt weiter herum und schweigen uns an. Ich schlafe gerne neben einem Mann ein, bei dem ich nicht weiß, woran ich bin.« Temari schloss die Augen und lenkte ihr Bewusstsein auf etwas Langweiliges wie Schafe zählen. Vielleicht war er sich morgen früh im Klaren, was er wollte. Und falls nicht, hatte sie immerhin eine nette Stunde mit ihm verbracht. Auch wenn der Gedanke ein wenig ernüchternd war. Plötzlich merkte sie, wie Shikamaru sich zu ihrer Hand vortastete und sie nahm. »Das hier.« Er drückte sie. »Ich glaube, das hier wäre definitiv einen Versuch wert.« »Meinst du?« Ihre Lider gingen auf und sie schaute ihn direkt an. »Obwohl ich gar nicht in dein Schema passe?« Er erwiderte ihren Blick. Die Tatsache schien ihn nicht im Geringsten zu beeindrucken. »Pech«, meinte er. »Man kann nicht alles haben.« »Und bin ich dir nicht viel zu alt?« Seine Brauen wanderten nach oben. »Was sind schon drei Jahre?« »Nichts«, sagte sie, »wenn der Mann so viel älter ist. Aber andersherum?« »Dir steht dein Alter nicht auf die Stirn geschrieben«, argumentierte er. »Und ich wüsste niemanden, der sich an so einer Kleinigkeit aufhängen würde. Also was meinst du?« Sie analysierte ihn, als müsste sie sich noch vergewissern, dass er es ernst meinte. Nicht einmal das kleinste Stirnrunzeln oder Augenbrauenziehen sprach dagegen. »Gut«, sie nickte, »gehen wir es ernsthaft an. Aber ich wette mit dir, dass wir uns in spätestens einer Woche nur noch auf die Nerven gehen und du froh sein wirst, wenn du mich wieder los bist.« »In Ordnung«, pflichtete er ihr bei, »aber ich halte dagegen.« »Dann mach dich schon mal auf deine Niederlage gefasst!«, erwiderte sie und lachte. Sie verlor haushoch. Kapitel 2: Tausend gute Gründe ------------------------------ Ihr dritter Jahrestag begann wie jeder andere Morgen. Temari wachte dank ihrer inneren Uhr ein paar Minuten auf, bevor der Wecker klingelte – und sobald er es tat, konnte sie die Sekunden rückwärts zählen, bis Shikamaru ihn fluchend ausstellte und sich im Anschluss die Decke über den Kopf zog, um noch etwas weiterzuschlafen. In der ersten Zeit hatte sie den Fehler gemacht und mit allen Mitteln versucht, ihn zum Aufstehen zu bewegen und sich so selbst um ihre morgendliche Dusche und ein entspanntes Frühstück gebracht. Irgendwann war sie auf die Idee gekommen, die Uhr eine halbe Stunde vorzustellen. Der Alarm startete den ersten und viel zu frühen Weckversuch, sie ging duschen, machte das Frühstück und wenn sie zurück ins Schlafzimmer kam, war Shikamaru meist sogar ansprechbar, sodass sie das Potenzial ihrer Überredungskunst nicht einmal voll auszuschöpfen brauchte. Und falls doch eins der seltenen Male eintraf, in dem das nichts brachte, hatte sie ein unschlagbares Ass in der Hinterhand. »Aufstehen!« Sie rüttelte ihn ohne große Aussicht auf Erfolg durch. »Wir kommen sonst zu spät.« »Ja, ja«, murrte er verschlafen in sein Kissen. »Nur noch ’ne Stunde …« »Sorry, aber die Stunde wirst du auf heute Mittag verschieben müssen«, sagte sie ohne eine Spur Mitleid in der Stimme. »Warum denn? Heute ist doch unser freier Samstag …« »Gut, bleib halt liegen.« Sie lächelte. »Ist ja nicht meine Mutter.« Shikamaru schrak auf und wirkte auf einmal hellwach. »Wie spät ist es?«, fragte er und klang dabei, als stände er kurz vor einer Panik. Temari lachte innerlich. Yoshino zu erwähnen half immer – und seine Reaktionen darauf waren meist unbezahlbar. Auch wenn sie es etwas fragwürdig fand, dass er sich mit zwanzig noch von seiner Mutter herumkommandieren ließ und versuchte, ihr alles recht zu machen. Sein Seelenfrieden war ihm heilig – verständlicherweise. »Entspann dich«, antwortete sie mit einem Lächeln. »Wir haben noch über eine Stunde Zeit.« Er sank zurück aufs Bett und sagte trocken: »Danke.« »Ich hab die Einladung zum Frühstück nicht angenommen«, bemerkte sie spitz. »Ich auch nicht. Sie hat es einfach festgelegt, ohne mich zu fragen.« »Du hättest trotzdem Nein sagen können«, erinnerte sie ihn und hob die Brauen. »Du weißt doch, was für ein Tag heute ist?« »Sicher«, sagte er monoton. »Der Tag deiner Verzweiflungstat jährt sich heute zum dritten Mal.« Sie stemmte die Hände in die Hüften und legte den Kopf schief. »So plump kann man es natürlich auch ausdrücken.« Er öffnete ein Auge und sah seine Freundin an. »Genauso plump war es auch«, bemerkte er. »Wenn du dich beschweren willst« – sie hielt eine Hand hinter ihr Ohr – »ich höre dir zu.« »Das war keine Beschwerde, sondern die Wahrheit«, merkte er an. »Der Beziehungskram kam schließlich erst danach.« »Aber sollte an Jahrestagen nicht dieser Kram im Vordergrund stehen?« »Wenn du meinst.« Er gähnte demonstrativ. »Es war derselbe Tag, also wen interessiert’s, was zuerst war?« Sie stieß ein Seufzen aus, beließ es aber dabei. Sie teilte seine Ansicht, also war eine Diskussion darüber unsinnig. »Ich hoffe übrigens«, setzte sie an, »dass du dich auch diesmal an unsere Abmachung hältst. Falls du also wider Erwarten vorhast, mir etwas zu schenken, kannst du es bis zu meinem Geburtstag behalten.« »Der erst in über acht Monaten ist und an dem du eh nicht hier bist?« »Genau.« Er streckte sich, schloss die Augen und murmelte: »Warum sollte ich mich ausgerechnet heute nicht daran halten?« Temari schmunzelte. Sie mochte es, wie es zwischen ihnen lief und bisher gelaufen war. Kitschige Romantik und ständige und peinliche Liebesbekundungen hatten nie eine Rolle gespielt und würden es auch in Zukunft nicht; und das Wichtigste: Sie akzeptierten – in einigen Punkten mehr, in anderen weniger – und respektierten einander und das war der Grund, warum ihre Beziehung von Anfang an so gut funktioniert hatte. »Ich geh dann duschen«, warf sie ein und scherzte: »Nicht, dass deine Mutter noch auf die Idee kommt, wir hätten was miteinander.« »Das wusste sie vermutlich schon, bevor wir es wussten«, gab Shikamaru zurück. »Ganz sicher«, antwortete sie und lachte. --- »Du lässt dich hier auch nur blicken, wenn ich dich dazu auffordere«, schmetterte Yoshino ihrem Sohn missgelaunt entgegen. »Ich tue so viel für dich und so dankst du es mir.« Er wollte gerade zum Sprechen ansetzen, da wetterte sie weiter: »Und was denkst du dir dabei, im Winter mit nassen Haaren nach draußen zu gehen? Willst du unbedingt krank werden?« Obwohl Yoshinos Begrüßung wie immer ausfiel, wenn er tagelang mit Abwesenheit geglänzt hatte, musste sich Temari jedes Mal wieder auf die Unterlippe beißen, um nicht in Gelächter auszubrechen. Sie war zwar voll und ganz auf der Seite ihres Freundes, aber die übertriebenen Moralpredigten seiner Mutter waren immer wieder amüsant. Wobei es andererseits auch ein wenig traurig war, dass es ihr offensichtlich so schwer fiel, sich von ihrem mittlerweile erwachsenen Sohn zu trennen. »Sie sind überhaupt nicht nass«, protestierte Shikamaru kleinlaut und zwängte sich an seiner Mutter vorbei in sein Elternhaus, das er seit zweieinhalb Jahren nur noch zeitweise bewohnte. »Willst du mich veralbern?«, murrte sie und stiefelte ihm nach. »Meinst du, ich kenne den Unterschied zwischen nassem und trockenem Haar nicht?« Er stieß ein genervtes Seufzen aus und sagte nichts weiter. Er hatte keine Lust, ihr lang und breit zu erklären, dass ein Bengel ihn aus Versehen mit einem übergroßen Schneeball abgeworfen hatte und somit die Prozedur des Haareföhnens, der er nur nachging, wenn es sein musste, zunichte gemacht hatte. Yoshino musterte ihn missbilligend und seufzte ebenfalls, bevor sie sich ihrem anderen Gast zuwandte. »Temari, meine Liebe«, sagte sie mit übertriebener Freundlichkeit, »was stehst du noch draußen in der Kälte? Komm doch herein!« Die Angesprochene ließ sich kein zweites Mal darum bitten – es war schließlich verdammt kalt draußen – und betrat das Haus. Zu ihrer Überraschung nahm ihr die Frau die Jacke ab, hängte sie an die Garderobe und umarmte sie im Anschluss so herzlich, als hätte sie ihre lange verloren geglaubte Tochter wiedergefunden. Temari, die völlig perplex von dieser Aktion war, erwiderte die Geste kaum merklich. Und obwohl sie sich über die Jahre eine recht positive Meinung von Yoshino gebildet hatte – von ihrem Hang, Shikamaru immer noch wie ein Kind zu behandeln, abgesehen – war sie froh, als sie sie wieder losließ und in Richtung Küche davon hetzte. »Wenigstens kann sie dich leiden«, bemerkte er. »Überrascht dich das so?«, gab sie zurück. »Ich bin ihr in einigen Belangen ziemlich ähnlich.« »Bist du nicht.« »Doch«, widersprach sie. »Du hast selbst gesagt, dass wir beide manchmal gruselig sind.« »Das habe ich über dich noch nie gesagt«, legte er fest. »Vielleicht nicht direkt«, meinte sie, »aber sinngemäß.« Eine Yoshino, die mit aufforderndem Blick zu ihnen herüber schaute, gab ihm nicht mehr die Gelegenheit, darauf zu antworten. --- Es erwartete sie das üppigste Frühstück, das sie jemals privat bei jemandem Zuhause gesehen hatte und als sie fertig mit dem Essen war, fühlte sie sich so satt wie lange nicht mehr. Wenn Temari es genau nahm, war ihr sogar ein wenig übel, aber sie hatte aus Höflichkeit geschwiegen, als die Frau ihr immer wieder etwas auf den Teller gelegt hatte. Es sah schließlich nicht danach aus, als sähe sie sie heute zum allerletzten Mal und die ungeschriebene Regel, dass man sich mit der Mutter des Freundes möglichst gut stellte, schien ihr bei dieser Person sehr angebracht zu sein. Sie war wirklich nicht darauf aus, dass sie Yoshinos Groll – und den projizierte sie laut Shikamaru ständig auf irgendetwas – auf sich zog. »Noch einen kleinen Nachtisch?«, fragte sie und Temari fühlte sich durch ihren Vorsatz fast schon genötigt, mit Ja zu antworten, doch zum Glück kam Shikamaru ihr mit seiner Antwort zuvor. »Danke«, sagte er monoton, »aber ich glaube, wir haben genug.« Ein breites Lächeln erschien auf dem Gesicht seiner Mutter, was vermutlich seiner Wortwahl – dem wir – zuzuschreiben war, und sie begann, den Tisch abzuräumen. Temari überlegte, ob sie ihr helfen sollte und sie wäre auch sofort aufgesprungen, um das zu tun, wenn ihr Magen nicht so voll gewesen wäre und sie mit der Aktion nicht eher dafür gesorgt hätte, dass er sich auf umgekehrtem Wege wieder leerte. In der Hoffnung, dass ein Wunder geschah, blieb sie noch ein paar Sekunden sitzen und – Shikamaru stand plötzlich auf und half Yoshino an ihrer Stelle. Sie blinzelte irritiert. Seit wann deckte er freiwillig den Tisch ab, ohne dass er dazu aufgefordert werden musste? Sie lachte innerlich. Wahrscheinlich machte er es nur, weil heute ihr Jahrestag war und er ihr einen kleinen Gefallen tun wollte. Ja, eine andere Erklärung war ausgeschlossen. So kleine Gesten, die von ihm so rar wie ein Grasbüschel in der Wüste waren, waren ihr ohnehin lieber, als wenn er später doch mit einem überteuerten Geschenk ankam. Nicht, dass er ihr jemals so etwas geschenkt hatte, aber trotzdem. Als das Geschirr säuberlich in der Spule gestapelt, der Rest des Essens im Kühlschrank untergebracht und der Tisch abgewischt worden war, verabschiedete sich Yoshino. »Ich geh dann ein paar Besorgungen machen«, sagte sie und setzte hoffnungsvoll nach: »Shikamaru, kann ich damit rechnen, dass du in den nächsten Tagen nach Hause kommst?« »Nein«, antwortete er sofort. »Nicht mal zum Abendessen?« »Nein.« »Und wenn du Temari mitbringst?« »Dann vielleicht«, lenkte er ein. »Aber mach dir nicht zu große Hoffnungen. Diese ständigen Meetings vorzubereiten, ist ziemlich zeitintensiv.« »So zeitintensiv, dass du nicht mal deiner alten Mutter einen Besuch abstatten kannst, ist es sicher nicht«, argumentierte sie. »Aber wenn du nicht herkommen möchtest, komme ich eben zu euch.« Den letzten Satz sprach sie völlig normal aus, doch in Shikamarus Ohren klang sie nach einer fast schon bösartigen Drohung. »Wie wäre es mit Mittwochabend?«, fragte er rasch. Seine Mutter setzte ein Lächeln auf. »Das passt mir gut«, sagte sie. »Ich überlege mir etwas Leckeres, das ich koche. Bis dann!« Gut gelaunt stakste sie aus der Küche und verschwand pfeifend auf dem Flur. --- Temari hielt die Augen geschlossen und genoss im warmen Wohnzimmer den angenehmen Lufthauch, den Shikamaru ihr mit einer Zeitung zufächelte. »Du stopfst dich mit ihrem Essen voll, um nicht unhöflich zu sein …«, begann er. »Also mal ehrlich, wie kommt man auf so eine bescheuerte Idee?« Sie lugte unter einem Lid hervor und sagte: »Ich möchte es mir halt nicht mit ihr verscherzen.« »Den Aufwand hättest du dir schenken können«, gab er zurück. »Irgendwann findet sie an jedem etwas, das ihr nicht passt. Davon mal abgesehen, dass es nicht unhöflich ist, zu sagen, dass man satt ist.« Sie sagte nichts. »Du hast sonst so ein loses Mundwerk, also warum –« Er unterbrach sich selbst und verbesserte sich: »Obwohl, bei ihr kann ich’s voll und ganz verstehen. Also vergiss, was ich gesagt habe.« Temari lächelte flüchtig und ihr Auge fiel wieder zu. Sie vernahm das Knistern der Zeitung und lauschte dem Geräusch eine Weile, bis ihr Bewusstsein davon driftete und sie einschlief. --- Als sie wieder aufwachte, war der ekelhafte Druck auf ihren Magen verschwunden. Sie schlug die Wolldecke zurück, mit der sie auf wenig ominöse Weise zugedeckt worden war und blickte sich um. Sie vermutete fast, dass Shikamaru ebenfalls einen vorgezogenen Mittagsschlaf hielt, doch er saß neben der Couch auf dem Boden und spielte sein Lieblingsspiel gegen sich selbst. Er hatte das alte, schon arg in die Jahre gekommene Shōgibrett hervorgekramt, dass ihm sein verstorbener Lehrmeister vor einer Ewigkeit geschenkt hatte. Sie kannte es nur vom Sehen, denn wenn sie gegen ihn spielte – was nicht selten vorkam –, benutzte er immer ein anderes Set. Um das Andenken zu bewahren, wie er ihr sagte. Und weil er nicht ständig an Asuma erinnert werden wollte, wie sie vermutete. »Ausgeschlafen?«, fragte er beiläufig, während sein Blick weiter auf einem Stein haftete. »Ja.« Sie sparte sich jede weitere Frage, da die Wahrscheinlichkeit, dass sie von ihm eine Antwort bekam, nicht hoch war, wenn er seiner Lieblingsbeschäftigung nachging und nahm sich die Zeitung. Temari überflog den internationalen Teil, in der Hoffnung, die eine oder andere Nachricht aus ihrer Heimat zu entdecken, doch da es hauptsächlich um das kommende Treffen der Botschafter ging, gab es nichts, das sie nicht schon wusste. Sie faltete das Blatt zusammen, warf es neben sich auf das Sofa und beschloss, die Decke anzustarren, bis sich Shikamaru in etwa einer Stunde – was für sie gefühlte drei Stunden waren – in eine Pattsituation manövriert hatte und das Spiel unentschieden ausging. Die Faszination, die dieses Brettspiel auf ihn ausübte, konnte sie immer noch nicht nachvollziehen und er verstand umgekehrt nicht, warum sie sich lieber mit Kartenspielen beschäftigte, bei denen es zu einem Großteil auf das Glück ankam. Und warum sie lieber Pflanzen beobachtete, die sich durch eine Brise sanft hin und her wogen, wenn am schönen blauen Himmel langsam ein paar Wolken vorbeizogen, was für sie die pure Langeweile war. Sie liebte nervenaufreibende Romane, er mochte eher Sachliteratur, weil er Dingen, die nicht wissenschaftlich erwiesen waren, nichts abgewinnen konnte. Er hinterfragte alles, was ihm unlogisch erschien und davon gab es in den Büchern, die sie las, seiner Ansicht nach eine ganze Menge. Besonders, wenn es um Untote und andere übernatürliche Wesen ging, hatte er viele Argumente, wie unsinnig das Ganze war – was für Temari in Anbetracht des viel benutzen Edo Tensei, das nun mal mehr oder minder Zombies erschuf, im letzten Krieg ein Widerspruch war, aber selbst darauf hatte er eine passende Erklärung gehabt, die sie ihm nicht widerlegen konnte. Auch wenn sie sich manchmal wünschte, dass er in rhetorischer Sicht etwas weniger talentiert wäre, so machten ihr die oftmals hitzigen Diskussionen Spaß – bis er zu gut argumentierte und sie sich geschlagen geben musste. Meinungsverschiedenheiten gingen meist zu ihren Gunsten aus – was sie in erster Linie seinem konfliktscheuem Wesen zu verdanken hatte – und für jemanden, der sich nicht auf sein Glück verließ, gewann er überdurchschnittlich oft beim Kartenspielen. Nur in einem Punkt hatte sie bis jetzt immer das Nachsehen gehabt. »Spielen wir eine Runde?«, fragte Shikamaru. Temaris verschleierter Blick lichtete sich. »Wozu denn?«, gab sie zurück. »Das Ergebnis steht schon fest, bevor wir überhaupt angefangen haben. Ich verliere immer, also kürzen wir das Ganze ab, indem ich gar nicht erst antrete.« »Du verlierst gar nicht immer«, argumentierte er. »Du hast immerhin zweimal gewonnen.« »Du hast mich beide Male gewinnen lassen, weil ich dir vor dem Spiel gedroht habe, dass ich nie wieder mit dir Shōgi spiele, wenn ich wieder verlieren sollte«, erinnerte sie ihn. »Und selbst wenn ich es mit meinem Können geschafft hätte, ist eine Gewinnquote von etwa einem Prozent nicht gerade eine Motivationsbombe.« »Hab dich nicht so«, sagte er. »Dir fehlt nur etwas –« »Übung hilft bei mir gar nichts«, unterbrach sie ihn, stand allerdings auf, nahm sich ein Kissen von der Couch und ließ sich auf der anderen Seite des Brettes darauf nieder. »Ich könnte dir allerdings mit meinem Fächer eins drüber geben und hoffen, dass du dadurch etwas dümmer wirst. Das steigert meine Siegchancen enorm, oder was meinst du?« Er belächelt ihren Vorschlag, von dem er wusste, dass sie ihn nicht in die Tat umsetzen würde, und deutete auf die Steine. Sie zögerte einen Moment, ob sie sein Heiligtum ohne zu fragen anfassen sollte, dann sammelte sie ihre Spielsteine zusammen und stellte sie auf. --- Eine halbe Stunde später hatte er ihren König in die Ecke gedrängt. Temari betrachtete die Spielsituation ausgiebig, doch an der Tatsache, dass sie in spätestens drei Zügen verloren hatte, änderte sich nichts. Halbherzig setzte sie einen Stein vor, den sie an der Stelle ihres Königs opferte und musterte ernüchtert die zwei Steine, die sie ihm abgenommen hatte. Nur zwei Stück … So eine klägliche Vorstellung hatte sie ihm seit Jahren nicht mehr geliefert. Sie machte den vorletzten Zug, der ihr möglich war, sah, wie Shikamaru ihren Springer und somit den letzten nützlichen Stein an sich nahm und ihr König einsam und verlassen von seinen Mitstreitern am Rand des Brettes zurückblieb. In dem Wissen, dass er seinem goldenen General nun schutzlos ausgeliefert war, zog sie ihn ein Feld zurück und wartete darauf, dass er ihrer grauenvoll schlechten Darbietung ein Ende bereitete. Er musterte die Situation kurz, dann griff er seinen Stein, setzte ihn und – »Lass uns heiraten!« Sie vergaß ihren Ärger über ihre Niederlage und warf einen prüfenden Blick über ihre Schulter. Da dort niemand stand, den er gemeint haben könnte, wandte sie sich wieder zu ihm um. »Meinst du mich?«, fragte sie und kam sich ziemlich dumm vor, weil sie auf seinen offensichtlichen Heiratsantrag mit so einer blöden Frage antwortete. »Da hier außer dir sonst niemand ist, ja«, entgegnete er ruhig. Er machte dabei nicht den Eindruck auf sie, als ließ er sich durch ihre Antwort in irgendeiner Weise beirren. »Also was sagst du?« Ja, was zur Hölle sollte sie dazu sagen? Sollte sie ihn fragen, ob er etwas genommen hatte, da er vor wenigen Monaten betont hatte, dass das Modell der Ehe überholt, ziemlich schwachsinnig und unnötig war? Und was für eine Reaktion erhoffte er sich überhaupt von ihr, einer Person, die sich niemals in der Nähe eines Traualtars gesehen hatte, da sie ihre Unabhängigkeit so schätzte? Obwohl, einen Aspekt gab es, der ihn zu dieser Entscheidung gebracht haben könnte. »Du musst mich nicht heiraten, damit ich ganz hier bleibe«, sagte Temari bedacht und schenkte ihm ein Lächeln. »Das würde ich auch, wenn du mich nur nett darum bitten würdest.« Shikamaru musterte sie mit diesem undefinierbaren Gesichtsausdruck, der es ihr unmöglich machte, ihn zu deuten, und erwiderte: »Es geht mir nicht nur darum.« Wenn ihr Umzug nicht der einzige Grund war, warum er ihr eine Heirat vorgeschlagen hatte, von der er laut seiner eigenen Aussage gar nichts hielt, was hatte ihn zu dem Schluss kommen lassen, dass sie in irgendeiner Weise einen Mehrwert hatte? »Und worum geht es dir noch?«, fragte sie. »Ich meine, irgendwie musst du darauf gekommen sein, dass es eine gute Idee ist, wenn du dich so früh fest bindest.« Er antwortete mit einem Schulterzucken und sagte: »Sind dir meine Gründe so wichtig, dass sie deine Antwort beeinflussen würden?« »Nein«, entgegnete sie ehrlich. »Ich versteh es zwar nicht so ganz, aber du weißt selbst am besten, warum eine Heirat für dich Sinn machen würde.« Er nahm ihren König, den er geschlagen hatte, vom Brett und fing an, ihn in der rechten Hand unaufhörlich zu drehen. »Also?«, fragte er im Anschluss und da sie nicht sofort antwortete, setzte er nach: »Du kannst auch ruhig Nein sagen, wenn nur ein kleines Argument für dich dagegen sprechen sollte.« Eines fiel ihr sofort ein, doch da sie ihm bereits gesagt hatte, dass sie außerhalb dieser angestaubten Tradition zu ihm nach Konoha ziehen würde, konnte sie es nicht mehr als Grund anführen, ohne dass sie sich selbst widersprach und letzten Endes vielleicht einen Streit darüber anzettelte. Ja, unter diesem Aspekt konnte und wollte sie es ihm nicht sagen – und ihr war bewusst, dass sie diesen Punkt so oder so nicht gebracht hätte, da er in ihrer Entscheidung von vornherein keine Rolle gespielt hatte. Und welche Gründe gab es noch, wenn sie von ihrer Vorstellung aus ihrer frühen Jugend, dass sie eines Tages als einsame Wölfin endete, abgesehen? »Bist du dir sicher«, begann sie, »dass du den Rest deines Lebens mit deiner ersten und einzigen Freundin verbringen möchtest?« Sie bemerkte, dass er mit dieser für ihn untypische Spielerei mit dem Stein innehielt, dann sagte er: »Absolut.« Seine Antwort überraschte sie nicht, die Entschlossenheit in seiner Stimme aber umso mehr. Er hatte nicht den geringsten Zweifel, also warum sollte sie ihn haben? »In Ordnung.« Sie gab dem Lächeln nach, das sich ihr schon aufdrängte, seitdem er diesen Vorschlag gemacht hatte und sagte: »Heiraten wir!« Bevor Shikamaru etwas erwidern konnte – wenn er denn etwas erwidern wollte –, hörten sie, wie die Haustür aufging, wieder ins Schloss fiel und ein paar hektische Schritte folgten. »Wie schön, ihr seid noch da!«, trällerte Yoshino, die in jeder Hand eine Einkaufstüte hielt, mit außerordentlich guter Laune. »Dann könnt ihr doch zum Mittag bleiben!« Sie lächelte und eilte in Richtung Küche davon. Temari starrte auf den Platz, an dem ihre Schwiegermutter in spe bis eben gestanden hatte. Allein bei dem Gedanken, in den nächsten eins, zwei Stunden etwas zu essen, wurde ihr wieder schlecht. Schlimmer war nur die Vorstellung, mit ihr auf Dauer unter einem Dach zu wohnen. »Aber damit eins klar ist«, meinte sie bestimmt. »Wenn du so naiv bist und denkst, dass ich freiwillig in diesem Haus wohne, nehme ich mein Ja augenblicklich zurück. Hier ziehe ich bestimmt nicht ein!« »Schade, dann war die ganze Aufregung wohl umsonst«, entgegnete er im Scherz und brachte sie so zum Lachen. »Dann kommt zu dem ganzen Stress, den wir als Botschafter haben, also noch die Wohnungssuche und die Vorbereitung für einen veralteten und eigentlich überflüssigen Brauch«, sagte sie dann und seufzte. »Wäre es nicht besser, wenn wir uns gleich den nächsten Strick nehmen?« Ein Schmunzeln huschte über seine Lippen, dann ließ er den Spielstein los und nahm ihre Hand. Kapitel 3: Wenn zwei sich lieb haben ------------------------------------ »Huhu, Shikamaru!« Ino lugte am Eingang von Ichirakus Ramenstand hervor und winkte ihren ehemaligen Teamkollegen zu sich heran. »Ich dachte schon, du hast vergessen, dass wir uns …« Mitten im Satz brach sie ab, runzelte die Stirn, als sie Temari bemerkte und sagte: »Du hast sie mitgebracht?« »Mitgebracht?«, fragte Shikamaru irritiert. »Wozu?« »Hast du etwa unser Treffen vergessen?«, empörte sie sich. »Wir haben uns letzte Woche zusammen hier mit Chouji verabredet!« Sein bester Freund, der sich plötzlich angesprochen fühlte, drehte sich auf seinem Hocker um und hob zum Gruß die Hand. Er grüßte auf dieselbe Weise zurück und erwiderte: »Das war heute?« »Ja«, bestätigte Ino verstimmt und seufzte. »Aber mir hätte klar sein müssen, dass du nicht daran denkst, wenn deine Freundin nach monatelanger Abwesenheit wieder hier ist.« »Entschuldige«, meinte er aufrichtig, »aber heute geht’s wirklich nicht.« Seine beste Freundin verzog eine Miene, die angesäuert und enttäuscht zugleich war, doch bevor sie ihm zu Recht ein schlechtes Gewissen machen konnte, warf Temari ein: »Bleib hier. Die Einkäufe kann ich auch allein erledigen. Ich komme wieder, wenn ich fertig bin.« »Aber –« »Die beiden sehen dich doch kaum«, unterbrach sie ihn. »Und mich hast du jetzt jeden Tag um dich.« »Okay«, gab er nach, »aber darfst du dich nachher nicht darüber beschweren.« Sie zog ihre Augenbrauen nach oben und fragte: »Wann hab ich mich jemals beschwert?« Sie schenkte ihm ein Lächeln, dann ging sie los und ließ ihn ohne ein weiteres Wort stehen. Ino atmete tief aus und sagte belustigt: »Du hast sie gehört, also setz dich zu uns.« Shikamaru schaute kurz in die Richtung, in die seine Freundin verschwunden war, dann ließ er sich auf den freien Platz neben ihr fallen. Er hatte nach dem üppigen Frühstück bei seiner Mutter zwar keinen Hunger, aber da er sich nicht mit seiner Teamkollegin anlegen wollte, die jedes Mal auf ein gemeinsames Essen bestand, bestellte er sich bei Teuchi eine Kleinigkeit. »So gut gelaunt hab ich Temari noch nie erlebt«, bemerkte Ino. Aus den Augenwinkeln erkannte er, wie ein Grinsen über ihre Lippen huschte, dann spürte er ihren Ellenbogen in der Rippengegend. »Wenn ich Sai so lange nicht gesehen hätte, könnte ich auch nicht mehr an mich halten.« »Sie ist seit drei Tagen hier«, entgegnete Shikamaru trocken, bevor sie zu tief ins Detail gehen konnte. »Es liegt also nicht daran?« Sie kniff die Augen zusammen und starrte ihn argwöhnisch an. »Okay, was hast du gemacht?« Abrupt wandte sie sich zu Chouji um und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Finger weg!«, fuhr sie ihn an und luchste ihm das Paar Essstäbchen ab, das er sich genommen hatte. »Du wartest schön, bis wir unser Essen auch bekommen haben – wie sonst auch.« Sie kassierte die restlichen Stäbchen ein, die in seiner Reichweite waren. Er murmelte etwas Unverständliches und stierte sehnsüchtig zu der großen Portion Ramen herüber, die vor ihm stand, vor sich hin dampfte und ihren verlockenden Duft verteile. »Der Eine vergisst das Treffen und der andere kann nicht mal zwei Minuten warten, bis seine Kameraden ihr Essen bekommen haben«, sagte sie kritisch. »Ihr beide seit mir tolle Freunde. Also wirklich …« Shikamaru verstand, was sie meinte, doch heute tat es ihm nicht leid. Er blinzelte und Ino sah ihn wieder erwartungsvoll an. »Und?«, wollte sie wissen. »Warum hat sie so gute Laune?« --- »Ihr möchtet was?« Die Stimme seiner besten Freundin klang unnatürlich hoch und Chouji, der ihre Überraschung genutzt und sich zwei Essstäbchen stibitzt hatte, verschluckte sich an einem Stück Fleisch. »Schrei hier nicht so herum«, bat Shikamaru sie. »So ’ne große Sache ist es auch nicht.« »Natürlich ist es eine große Sache!«, widersprach Ino und fiel ihm um den Hals. Er fühlte sich von ihrer überschwänglichen Umarmung ein wenig überfordert, doch er ließ ihre vor Freude überlaufende Knuddelattacke zu. Er dachte an Temaris Reaktion auf den Antrag und für einen Moment wusste er nicht, ob er ihn tatsächlich ihr oder doch Ino gemacht hatte. Vielleicht hätte er es sogar geglaubt, wenn es nicht so abwegig gewesen wäre. Schließlich machte sie sich wieder von ihm los. »Und du bist dir sicher, dass Temari mit Ja geantwortet hat?«, fragte sie mit einem Lächeln, das ihr über das halbe Gesicht ging. »Ja«, erwiderte er, »oder meinst du, ich hätte es euch erzählt, wenn sie Nein gesagt hätte?« Sie klopfte ihm auf die Schulter. »Ich vermute nicht.« Ihr Blick verklärte sich und sie setzte nach: »War es denn schön romantisch?« »Romantisch?« Shikamarus rechte Braue wanderte automatisch ein Stück höher. »Nein, eher nicht.« Seine Teamkameradin schürzte misstrauisch die Lippen. »Dann hast nicht vor ihr gekniet und ihr einen schönen Ring entgegen gehalten?« »Wenn ich so etwas Kitschiges getan hätte, hätte ich ihr den Vorschlag gar nicht machen brauchen.« Ino lachte los. »Deine zukünftige Ehefrau ist in mancher Hinsicht wirklich schräg«, sagte sie. »Ich würde völlig durchdrehen, wenn Sai mir einen klassischen und richtig schön kitschigen Heiratsantrag machen würde.« Sie stieß ein Seufzen aus. »Aber so weit sind wir noch lange nicht.« »Sonst meckerst du doch immer über ihn, wenn du nicht gerade Dinge anschneidest, die euer Liebesleben betreffen«, warf er ein. »Das sagt genau der Richtige«, bemerkte sie und lachte erneut. »Oder von wem höre ich ständig, dass sich seine Freundin über offen liegende Zahnpastatuben, leere Getränkeflaschen und diverse andere Kleinigkeiten aufregt?« »Das …«, stammelte er, »… ist was anderes.« »Ist es nicht«, legte Ino fest. »Klar, mich nervt es auch, wenn Sai seine Aquarellfarben wieder herumliegen lässt oder mir einen unsensiblen Spruch entgegen wirft, aber«, sie tippte ihm auf die Stirn und lächelte, »ist es nicht schön, wenn man sich sicher ist, dass man einen Menschen trotz dieser Eigenschaften liebt?« Shikamaru nickte und sie klatschte vor Begeisterung in die Hände. »Siehst du?«, meinte sie überflüssigerweise, wandte sich ab und legte Chouji abrupt einen Arm um die Schulter. »Oder wie siehst du das, Chouji?« Der Angesprochene verschluckte sich vor Schreck an einer Nudel und bekam einen Hustenanfall. Sie klopfte ihm fest auf den Rücken, bis das widerspenstige Stück in seiner Speiseröhre landete, wo es hingehörte. Er fasste sich an den Hals, räusperte sich ein paar Mal und blinzelte seine Teamkollegin mit tränenden Augen an. »Und?«, fragte Ino erwartungsvoll. »Keine Ahnung.« »Hm?« »Ich hab keine Ahnung, weil ich nicht mitreden kann«, bemerkte er und seufzte. »Dann häng dich mal ein bisschen rein!«, meinte sie gut gelaunt. »Du kannst doch zur Hochzeit deines besten Freundes nicht ohne Begleitung aufkreuzen.« »Und warum nicht?« »Weil es traurig ist«, legte sie fest. »Weißt du was? Wenn diese niedliche Rothaarige aus Kumogakure demnächst wieder hier ist, mach ich dir ein Date mit ihr klar.« Chouji errötete und stammelte: »W-was?« »Sieht doch ein Blinder, dass du auf sie stehst.« Sie grinste. »Oder ist es ein Zufall, dass du dir plötzlich einen Bart stehen lässt, seit sie einmal hier war?« »Den trage ich in erster Linie, weil er mir selbst gefällt«, gab er zurück. »Im Übrigen möchte ich deine Hilfe nicht. Ich brauche keine Freundin.« »Aber du hättest gerne eine.« Ino zwinkerte ihm zu und trieb ihm noch mehr Röte ins Gesicht. »Aber wenn du nicht möchtest, dass ich deinem Glück ein wenig auf die Sprünge helfe, ist’s natürlich okay.« »Danke«, murrte er und widmete sich wieder seinem Essen. --- Temari überflog ihren Einkaufszettel. Es standen nur Kleinigkeiten darauf und normalerweise, wenn sie einkaufte, ging sie rasch alle Gänge ab und schnappte sich, was sie brauchte, doch heute tat sie das nicht. Sie trödelte herum, damit sie nicht zu schnell wieder in das Treffen platzte und Ino einen Grund zum Meckern hatte. Die Frau war wirklich eigen, was ihr ehemaliges Team betraf und für Choujis Zukünftige konnte sie nur hoffen, dass sie ein ähnlich dickes Fell wie sie selbst hatte und sich nichts aus Unfreundlichkeiten machte. Eine Frau, die sich gegen Ino behaupten und hervorragend kochen konnte … Existierte so eine überhaupt? Spontan lief sie zurück zum Gemüse und musterte die verschiedenen Sorten. Sie überlegte, ob sie sich an ein Abendessen wagen sollte, doch der Gedanke an ihre Kochkünste zusammen mit dem Frühstück bei Yoshino machten ihr diese Idee alles andere als schmackhaft. Sie malte sich das schlimmste Szenario aus, wenn sie sich irgendwann an dieses Datum zurückerinnerten. Weißt du noch, wie du damals für uns gekocht hast, klang Shikamarus Stimme in ihrem Kopf, und wir danach für drei Tage mit einer Lebensmittelvergiftung im Krankenhaus lagen? Sicher konnte sie darüber lachen, aber sie wollte diesen Tag ungern mit so einem unschönen Erlebnis in Verbindung bringen müssen, selbst wenn es rückblickend noch so lustig war. Genau, ihren inneren Schweinehund konnte sie auch ein anderes Mal überwinden, aber den heutigen Tag wollte sie damit nicht verderben. Temari ging zur Kasse, bezahlte und als sie feststellte, dass sie in dem Laden keine halbe Stunde verbracht hatte, setzte sie sich auf eine Bank und betrachtete für eine Weile den kalten, blauen Winterhimmel. Eine Beschäftigung, mit der sie nicht viel anfangen konnte und mit der sie in Zukunft öfter konfrontiert wurde. Sie lächelte. Sehr viel öfter. --- »Chouji«, begann Ino langsam, »wie viel passt in deinen Magen eigentlich hinein?« Er zuckte mit den Achseln und machte sich genussvoll über seine vierte Portion her. »Also wirklich«, sagte sie, »wenn du nicht bald ein paar Pfündchen verlierst, sehe ich schwarz für unsere Ino-Shika-Chou-Kombination. Die stirbt dann mit uns dreien aus.« Shikamaru seufzte. Er hatte auf dieses Gespräch absolut keine Lust, aber er konnte seinen besten Freund nicht so hängen lassen. »Wäre das denn schlimm?«, warf er ein. Er erntete einen empörten Blick von seiner Teamkameradin und fuhr fort: »In fünfzehn Jahren werden Shinobi noch weniger gebraucht werden als jetzt und selbst wenn es dann Unruhen geben sollte: Wie wahrscheinlich ist es, dass unsere Kinder alle in einem Alter sein werden?« »Nicht sehr«, murmelte Ino und schürzte unzufrieden über die Antwort die Lippen. »Dein Realismus ist manchmal echt doof.« Er schmunzelte und trank den Rest seiner inzwischen kalten Nudelsuppe aus. »Sai kann ich mir in nächster Zeit ohnehin nicht als Vater vorstellen. Er wäre emotional völlig überfordert und schließlich würde die ganze Arbeit an mir hängen bleiben«, setzte sie nach. »Nee, das hat noch ein bisschen Zeit. Ich bin auch nicht wild drauf, mir in so jungen Jahren meine schöne Figur zu ruinieren.« »Wenn es irgendwann so weit ist, siehst du es sicher anders.« »Auf gar keinen Fall!«, widersprach sie. »Schwangerschaftsstreifen sind jetzt schon der Alptraum meiner schlaflosen Nächte. Aber was rede ich mit dir überhaupt darüber? Dich als Mann wird es eh nie betreffen.« »Mir wäre es total egal, wenn ich eine Frau wäre«, meinte Shikamaru beiläufig. »Natürlich wäre es dir egal«, gab Ino zurück, »du legst auch keinen Wert auf Äußerlichkeiten. Ich möchte echt nicht wissen, wie schludrig du herumlaufen würdest, wenn du ein Mädchen wärst.« Sie musterte ihn skeptisch und lachte plötzlich los. »Hab ich euch beiden schon gesagt«, begann sie in einer ganz anderen Stimmlage und legte ihren beiden Teamkameraden freundschaftlich die Arme um die Schultern, »wie schön es ist, ein wenig Zeit mit euch zu verbringen?« --- »Temari-nee-chan!« Temari, die sich aus Langeweile einen gemusterten Yukata ansah, wandte sich um. Sie sah niemanden, doch sie spürte eine kräftige Umarmung oberhalb ihrer Knie. Sie senkte ihren Blick und schaute direkt in Mirais strahlendes Gesicht. »Hey«, sagte sie und schenkte dem Mädchen ein Lächeln. »Wie geht es dir?« »Toll!«, entgegnete sie überschwänglich. »Mama und ich suchen neue Sachen für mich aus.« Temari fuhr ihr kurz über ihr dunkles, lockiges Haar und scherzte: »Und ich dachte schon, du wärst ganz alleine hier.« Mirai lachte, dann griff sie nach ihrer Hand und zog sie ein Stück mit sich, bis sie Kurenai erreichten, die einen Tisch mit Winterkleidern für ihre Tochter absuchte. Sie nahm ein türkisgrünes Kleid hoch, drehte sich zu ihr um und fragte: »Mirai, wie gefällt dir das hier?« Das Mädchen legte einen Zeigefinger auf die Oberlippe, dachte einen Moment nach und schüttelte den Kopf. Ihre Mutter stieß einen lauten Seufzer aus. »Okay, du suchst dir deine Kleidung besser selbst aus«, meinte sie und Mirai stürzte sich jauchzend auf den nächsten Kleiderständer. »Kinder«, murmelte sie amüsiert und richtete ihren Blick auf Temari. »Schön, dich wiederzusehen. Du warst eine Weile nicht hier, oder?« »Zweieinhalb Monate«, antwortete sie. »Ich bin in letzter Zeit viel herumgereist.« »Als Botschafter hat man viel zu tun, scheint mir.« »Unglaublich viel zu tun«, bestätigte sie. »Ich bin froh, dass ich jetzt einige freie Tage habe.« »Das ist Shikamaru sicher auch«, bemerkte Kurenai mit einem Augenzwinkern. »Zweieinhalb Monate sind eine lange Zeit.« »Wenn man zu tun hat, fliegen die Tage nur so an einem vorbei.« »Aber stellt es eine Beziehung nicht trotzdem auf die Probe?«, fragte sie. »Ich möchte nicht neugierig sein, aber ich stelle mir eine Fernbeziehung generell schwierig vor.« »Wenn wir uns sonst durch die Treffen der Botschafter nicht regelmäßig sehen würden, wäre es das sicher«, pflichtete Temari ihr bei. Mirai kam mit mehreren Kleidern angelaufen und rief: »Mama, kann ich die haben?« Kurenai musterte den Stoffberg in den Armen ihrer Tochter argwöhnisch. »So viele?«, fragte sie. »Du brauchst nicht mehr als zwei.« Diese sah sie mit großen Augen an. »Zwei?« »Genau.« Sie lächelte dem Mädchen zu. »Warum zählst du die Kleider nicht durch und suchst dir die beiden aus, die dir am besten gefallen?« »Okay«, flötete Mirai. Sie lief zu einem Tisch, auf dem einige Pullover gestapelt waren und legte ein Kleid neben dem anderen ab. Sie zählte bis fünf, begutachtete sie, sortierte das erste aus und ihre Mutter legte es an seinen Platz zurück. »Ich glaube nicht«, nahm sie das ursprüngliche Gespräch wieder auf, »dass eine Fernbeziehung etwas für mich wäre. Auf lange Sicht, meine ich.« »Wäre es für mich auch nicht«, sagte Temari. Sie überlegte, ob sie ihr schon von der kommenden Hochzeit erzählen sollte und setzte nach: »Aber damit ist es bald zum Glück vorbei.« »Ziehst du etwa hierher?« »Gewissermaßen, ja.« Überrascht hob Kurenai die Augenbrauen. »Gewissermaßen?« »Nun ja«, fuhr sie fort, »ich bezweifle, dass eine Ehe funktioniert, wenn beide Beteiligten in unterschiedlichen Dörfern leben. Das kann nichts werden.« Die Frau sah sie einen Augenblick lang neutral an, dann formte sich ihr Mund zu einem Lächeln. »Ihr wollt heiraten?« »Ich befürchte ja«, entgegnete Temari und konnte angesichts ihrer Wortwahl ein Auflachen nicht unterdrücken. Mirai blickte von den Kleidern auf. »Mama«, wollte sie wissen, »was ist heiraten?« Die Frage ihrer Tochter machte sie einen Augenblick sprachlos. »Das ist das Versprechen«, begann sie und suchte nach einer Formulierung, die eine Dreijährige wenigstens im Ansatz verstehen konnte, »dass man bis zu seinem Lebensende für den anderen da ist.« »Aha«, meinte das Mädchen, »und warum macht man das?« »Das machen zwei Menschen, weil sie sich sehr lieb haben.« »Dann haben sich Temari-nee-chan und Shikamaru-nii-chan also sehr lieb?«, fragte sie unbedarft. Diesmal lachte Kurenai. Sie betrachtete Mirai liebevoll und antwortete: »Es sieht ganz danach aus.« Temari drehte sich von den beiden weg – und lächelte. Kapitel 4: Eine Entscheidung für das ganze Leben ------------------------------------------------ Temari war fast zwei Stunden unterwegs gewesen, hatte in der Zwischenzeit die Lebensmittel in ihre Gästewohnung gebracht und sich nach dem Treffen mit Mirai und ihrer Mutter völlig sinnfrei einen Bademantel gekauft, der seine Zukunft in einer dunklen Ecke im Schrank fristen würde, da sie sich nach dem Duschen oder Baden immer direkt anzog. Vielleicht hatte sie Glück und Shikamaru hatte noch kein Weihnachtsgeschenk für Kurenai, dann hatte sie das Geld dafür wenigstens nicht umsonst ausgegeben … Ein Schmunzeln schlich sich auf ihre Lippen. So unnötige Ausgaben klangen überhaupt nicht nach ihr, aber vermutlich war es normal, dass sich eine Frau etwas untypisch verhielt, wenn sie erst vor wenigen Stunden einen Heiratsantrag bekommen hatte. Ein Heiratsantrag … Sie war immer davon überzeugt gewesen, dass sie Nein sagen würde, wenn sie jemals einen bekommen würde. Und nun, da es tatsächlich dazu gekommen war, hatte sie – nach mehrmaligem Nachfragen zwar – doch zugestimmt. Weil sie sich sicher war, dass es genau das war, das sie wollte. Seltsam. Temari schlug den Sichtschutz von Ichirakus zurück – und schnappte nach Luft, als sich ihr jemand um den Hals warf und mit einer viel zu festen Umarmung den Atem abschnürte. Sie blinzelte und die unendlich langen, hellblonden Haare sagten ihr, wer sie gerade auf wahrscheinlich lieb gemeinte Art und Weise fast erdrosselte. »Herzlichen Glückwunsch!«, kreischte ihr Ino ins Ohr. »Ich freu mich ja so für euch!« »Danke«, keuchte sie gequält. »Aber wenn du nicht gleich los lässt, ist Shikamaru Witwer, bevor er mich überhaupt heiraten konnte.« »Oh, entschuldige«, murmelte sie und ließ von ihr ab. Dann griff sie nach Temaris rechter Hand und musterte sie. Und ihr breites Lächeln verschwand jäh. »Wo ist denn dein Ring?«, fragte sie kritisch. »Ring?«, gab sie irritiert zurück. »Was für ein Ring?« »Na, der Verlobungsring!« Ino fuhr zu ihrem Teamkollegen herum. »Du machst ihr einen Antrag und hast noch nicht mal einen Ring? Was stimmt denn mit dir nicht?« Bevor sie auf ihn losging und anfing, ihn durchzuschütteln, sagte Temari: »Ich möchte so ein Teil gar nicht haben. Ich kann Schmuck nicht mal besonders leiden.« Ino wandte sich wieder ihr zu. »Tatsächlich?«, fragte sie überrascht und deutete über ihre Schulter. »Und du meinst, das wusste er?« »Sicher.« Sicher war sie sich nur, dass er wirklich nicht daran gedacht hatte, so einen unnützen Ring zu kaufen, aber das brauchte Ino nicht zu wissen. »Mensch, Shikamaru, du kannst zur Abwechslung doch ein bisschen aufmerksam sein!« Seine Teamkameradin klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. »Du wusstest natürlich, dass sie mit so einem Ding nichts anfangen kann!« »Unglaublich, oder?«, erwiderte er monoton, doch Ino hatte sich glücklicherweise schon von ihm abgewandt, um ihrer Geschlechtsgenossin auf die Nerven zu gehen. »Und weißt du schon, wen du als Trauzeugin und als Brautjungfer nimmst?«, fragte sie erwartungsvoll. Temari, die sich mit Hochzeitsbräuchen bis jetzt nicht auseinander gesetzt hatte – warum auch? –, hatte im ersten Augenblick keine Ahnung, was sie ihr antworten sollte. Schließlich rang sie sich ein unsicheres »Nein« ab, betete innerlich, dass sie ihren Unterton überhört hatte und ergänzte: »Wir haben nicht mal ein Datum! Warum sollte ich mir darüber jetzt schon Gedanken machen?« »Weil beides sehr verantwortungsvolle und zeitintensive Aufgaben sind«, argumentierte Ino und zwinkerte ihr zu. »Aber falls du niemanden weißt, der dem gewachsen sein könnte, ich wüsste da eine gewisse Blondine, die einen Part mit Freuden übernehmen würde.« »Danke, eventuell komm ich drauf zurück.« Temari wusste jetzt schon, dass sie auf jeden Fall auf Inos Angebot zurückkommen würde, denn ihr fiel keine andere Frau ein, die scharf auf diese Aufgabe und gleichzeitig in ihrem engeren Bekanntenkreis war, der sie so einen Job anvertrauen konnte. Von Matsuri abgesehen, die allerdings nicht gerade stressresistent war. »Du kannst mich auch ruhig nachts aus dem Bett klingeln«, sprach Ino eifrig weiter. »Dann können wir uns gleich zusammen setzen und –« »Okay, okay, ich hab’s verstanden!«, unterbrach sie ihren Redeschwall. »Wenn ich mich entschieden habe und mir dann nach einer Nachtwanderung durchs Dorf ist, werde ich dran denken.« Ino lächelte, als wüsste sie schon Bescheid, dass außer ihr niemand in Frage kam und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »So, Leute«, meinte sie, »es wird Zeit für mich. Sai und ich haben nachher noch was vor. War schön mit euch!« Sie hob die Hand zum Abschied und tänzelte zwischen dem Stoff des Sichtschutzes hindurch auf die Straße. Chouji starrte auf die Stelle, an der seine Teamkollegin bis eben gestanden hatte, dann fragte er: »Wollte sie nicht dieses Mal bezahlen?« Er stieß ein Seufzen aus und angelte in seiner rechten Hosentasche nach seinem Portmonee, doch Temari kam ihm zuvor. Sie setzte sich auf Inos Platz und reichte Teuchi ein paar Geldscheine. »Danke«, murmelte Chouji perplex. Sie lächelte ihm zu und setzte nach: »Du kannst dir gerne noch eine Portion bestellen. Auf ein paar Ryo mehr oder weniger kommt es mir nicht an.« »Danke«, wiederholte er und ein leichter Rotschimmer legte sich auf seine Wangen, »aber ich bin wirklich satt.« »Warum bist du auf einmal so spendabel?«, fragte Shikamaru amüsiert. »Ja, keine Ahnung«, gab sie zurück. »Vielleicht weil wir ein bisschen Geld übrig haben, da du offensichtlich vergessen hast, mir einen Verlobungsring zu kaufen?« Da er sich seiner Schuld in vollem Umfang bewusst war, herrschte einen Moment lang eine beklemmende Stille, dann fragte er vorsichtig: »Heißt das, dass du doch einen Ring möchtest?« Seine Freundin blickte ihn Unheil verkündend an, doch sie schaffte es nicht, dieses Schauspiel lange beizubehalten. »Quatsch«, sagte sie und dieses Lächeln, das er besonders an ihr mochte, erschien wieder auf ihrem Gesicht. »So ein blöder Ring, der in ein paar Monaten ohnehin von einem anderen ersetzt wird, bedeutet mir nichts.« »Bist du dir sicher?«, fragte er misstrauisch. »Meinst du nicht, dass ich Schmuck tragen würde, wenn ich ihm irgendetwas abgewinnen könnte?« --- Temari schaute aus dem Fenster über ihrem Bett. Da es später Abend war und schwere Wolken den Mond und die Sterne verdunkelten, war es draußen stockfinster. Gelegentlich verirrte sich eine Schneeflocke an die Scheibe, doch sie schmolz genauso rasch, wie sie aufgetaucht war. In einer Wohnung auf der gegenüberliegenden Straßenseite ging ein Licht an und sie fixierte ihren Blick darauf, während sie verschiedenen Gedanken nachhing. Irgendwann fing sie an, den Tag noch einmal im Kopf durchzugehen. Ein ironisches Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Heute war mehr passiert als in den sechs Monaten davor. Zum Glück nicht auf die negative Art, die einem Shinobi gerne mal widerfuhr. Und wenn sie das viel zu üppige Frühstück, von dem ihr schlecht geworden war, ausklammerte – wobei es für sie fraglich war, ob er ihr den Antrag gemacht hätte, wenn sie gleich nach dem Essen wieder nach Hause gegangen wären. Aber darüber wollte sie gar nicht nachdenken. Es war gut so, wie es gekommen war – auf diese unkitschige und klischeefreie Weise, an die sie sich bestimmt noch in einigen Jahren gerne zurückerinnerte. Sie riss sich vom Anblick der Dunkelheit los und drehte sich auf die Seite. Shikamaru betrachtete den fahlen Lichtschein, den die Stehlampe an die Decke warf und intuitiv drückte sie seine Hand, die ihre schon länger hielt. Er blinzelte ein paar Mal, murmelte ein »Hm?« und lugte aus den Augenwinkeln zu ihr herüber. »Wenn es dir jetzt doch zu schnell geht, können wir die Hochzeit verschieben«, sagte Temari. »Die Treffen mit Ino werden dann anstrengender als ohnehin schon, aber wenn du dich wohler fühlst, kann ich damit leben.« »Wir haben uns vorhin auf April geeinigt und dabei bleibt es«, erwiderte er gefasst. »Okay«, meinte sie und scherzte: »Dann bleiben mir trotzdem noch ein paar Monate, um mich von meinem Nachnamen zu verabschieden.« Sie lachte auf, rückte noch etwas näher an ihn heran und schloss die Augen. Tief atmete sie ein und ein warmes Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus. Es war zwar nicht schlecht, wenn er am nächsten Morgen nach einer Dusche verschwunden war, aber bis dahin mochte sie den Geruch, der an ihnen haftete, wenn sie miteinander geschlafen hatten. Aber wahrscheinlich wäre es auch merkwürdig gewesen, wenn sie danach am liebsten gleich in die Badewanne gesprungen wäre. Sie biss sich auf die Unterlippe, um über diesen Gedankengang nicht lachen zu müssen und vergrub sich tiefer unter die Decke. Bei diesem kalten Winterwetter gab es keinen besseren Ort als ein warmes Bett, das sie sich mit dem Menschen teilte, den sie – Moment! Ihre Augen gingen auf. Jetzt hätte sie fast etwas Wichtiges vergessen. Etwas, das zu wichtig war, um es auf morgen zu verschieben. Hin und her gerissen, ob sie es gleich hinter sich bringen sollte oder erst in zehn Minuten – wieder ein Punkt, der so gar nicht zu ihr passte –, löste sie ihre Hand aus seinem Griff, zuckte kurz vor und entschied sich, noch einen Augenblick lang liegen zu bleiben. »Was ist?«, fragte Shikamaru. »Nichts«, gab sie zurück. »Ich hab nur keine Lust aufzustehen.« »Dann bleib liegen.« »Geht leider nicht.« »Und warum nicht?« »Weil ich mir noch was einwerfen muss«, antwortete sie und setzte mit einem Schmunzeln nach: »So nennst du es zumindest immer.« Er schwieg einen Moment, dann sagte er: »Wegen mir musst du diese Pille nicht mehr nehmen.« Temari konnte sich an den Vorgang nicht mehr erinnern, doch sie fand sich in der nächsten Sekunde aufrecht im Bett wieder. Argwöhnisch schaute sie ihren Noch-Freund an und fragte: »Wie bitte?« »Ich sagte, dass du diese Chemie in Tablettenform, die du seit Jahren nimmst, ruhig weglassen kannst.« Er sprach in einem so gleichmütigen Ton, dass es sein Ernst sein musste. »Versteh ich das richtig?«, begann sie langsam. »Erst machst du mir einen Heiratsantrag und jetzt, nur wenige Stunden später, möchtest du ein Kind?« »So kann man es ausdrücken, ja.« Sie sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Okay, was hast du genommen?« »Überhaupt nichts«, sagte er eine Spur amüsiert. »Das ist wohl das Verrückte daran, hm?« »Verrückt ist kein Ausdruck«, erwiderte sie und lachte. »Denkst du schon länger darüber nach?« Er zuckte die Achseln. »Eine Weile …« »Dann scheinst du dir, was das betrifft, sehr sicher zu sein, was?« »Ich bin mir genauso sicher wie in dem Punkt, dass ich dich heiraten möchte.« »Wow«, sagte sie, »und ich dachte, ich würde dich kennen.« Sie setzte sich auf, stieg aus dem Bett – nach dieser Neuigkeit fiel ihr das Aufstehen gar nicht mehr schwer – und streifte sich das Shirt über, das sie zum Schlafen trug. »Das ist wohl ein Nein«, schlussfolgerte er aus ihrer Reaktion, allerdings ohne im Ansatz enttäuscht zu klingen. »Nein, das ist ein ›Das diskutieren wir morgen in Ruhe aus‹«, entgegnete sie mit einem Lächeln. »Gut«, stimmte er zu, »ich hab’s nicht eilig damit.« --- Temari drehte den Wasserhahn auf. Obwohl es nicht nötig war, wusch sie sich das Gesicht, trocknete sich ab und füllte im Anschluss ihren Zahnputzbecher mit Wasser. Ihr Blick fiel auf die Packung, die unter dem Spiegel auf der Ablage lag. Sie öffnete sie und entnahm die nächste Tablette der Reihe, doch anstatt sie zu nehmen, musterte sie sie. Sie hatte dieselbe Größe wie eine Süßstofftablette, war im Gegensatz zu dieser aber nicht weiß. Tatsächlich hatte sie einen furchtbar grässlichen Farbton. Sie war blassrosa und Temari fragte sich, warum ihr das in den letzten Jahren nicht aufgefallen war. Wahrscheinlich, weil dieses Präparat nicht schön aussehen musste, sondern nur seinen Zweck erfüllen sollte. Und das hatte es und würde es weiterhin tun. Das hieß, wenn es noch einen Zweck gab. Sie betrachtete ihr Spiegelbild. In ihren grünen Augen fehlte ihre übliche Entschlossenheit und irgendwie belustigte sie das. Die Temari, die ihre Fassung noch behielt, wenn andere ihre längst verloren hatten, war verwirrt. Sie schloss die Hand, schüttelte das kleine, unscheinbare Ding darin ein wenig und wog die Gründe gegeneinander ab, die für und gegen ein Kind sprachen. In ihrer Funktion als Botschafterin war ein Baby das Allerletzte, das sie gebrauchen konnte, doch spätestens nach der Hochzeit trat sie diese Arbeit ohnehin an jemand anderen ab. Und bis es soweit war, warteten ein paar Monate purer Stress auf sie. Sie mussten eine geeignete Wohnung finden und einen Umzug organisieren, ihren Nachfolger einarbeiten und bis dahin ihre allgemeinen Pflichten, die dieser Job mit sich brachte, erfüllen. Wenn sie sich in der Zeit noch mit Schwangerschaftsübelkeit herumschlagen musste … Nein, das musste sie nicht haben. Sie öffnete die Faust, nahm die Tablette zwischen Daumen und Zeigefinger, rollte sie dazwischen hin und her, bis sie den Arm hob, um sie zu nehmen. Sie fühlte die glatte Oberfläche an der Unterlippe und hielt inne. Woher sollte sie wissen, dass Übelkeit sie außer Gefecht setzen würde? Und wer sagte überhaupt, dass es mit dem Schwangerwerden gleich klappte? Okay, wegen der bevorstehenden Feiertage war sie noch gut eineinhalb Wochen im Dorf und die verbrachte sie sicher nicht in Abstinenz, aber die Monate danach würden sie sich kaum sehen. Und wenn es der Zufall so wollte und es dann passierte, war es auch in Ordnung. Es machte ihr nichts aus, auf ihrer eigenen Hochzeitsfeier auf ein Glas Sekt zu verzichten. Blieb nur die Frage, ob sie selbst bereit für ein Kind war. Sie war dreiundzwanzig und sie hatte nicht das Gefühl, dass sie irgendetwas verpassen würde, wenn sie sich jetzt dafür entschied. Nein, sie machte sich nichts aus ständigen Kinobesuchen oder abends ausgehen und demnach würde es ihr leicht fallen, für ein Baby darauf zu verzichten. Und mit ihrem Kunoichidasein war es dann auch lange Zeit vorbei, doch selbst das störte sie nicht. Das Reisen würde sie sicher vermissen, aber für sie klang es nicht zu absurd, dass ein Kind diese Lücke füllte und noch mehr – nur auf eine ganz andere Art und Weise. Ihr Arm sank nach unten, ein Satz ging ihr durch den Kopf und er schnellte genauso rasch wieder nach oben. Wollte sie das wirklich? Wollte sie wirklich ihr eigenes Leben die nächsten Jahre komplett auf ein Kind ausrichten? War es nicht klüger, erst einmal abzuwarten, ob die Ehe mit einem Mann, mit dem sie seit drei Jahren eine Fernbeziehung führte und den sie nur ein paar Wochen im Jahr sah, funktionierte? Ja, war es, definitiv. Ein bedachter und rational ausgerichteter Mensch wie sie konnte sich nicht in einer so wichtigen Sache von seinen Emotionen zu einer Dummheit hinreißen lassen … Abermals nahm sie ihren Arm herunter und sah in den Spiegel. Ihr üblicher Blick war zurückgekehrt und sie wusste, dass sie eine Entscheidung getroffen hatte. --- »Hast du zur Sicherheit gleich den ganzen Streifen eingenommen?«, fragte Shikamaru, als sie zurück ins Wohn- und Schlafzimmer zurückkam. »Nein«, antwortete Temari und kroch wieder zu ihm unter die warme Bettdecke. »Ich hab nur ein wenig nachgedacht.« Sie legte sich hin und bettete ihren Kopf an seiner Schulter. Dann tastete sie nach seiner Hand und als sie sie fand, setzte sie nach: »Ich hab sie weggeworfen.« Sie wartete keine Reaktion ab und fuhr fort: »Und der Rest der Packung ist in den Küchenmüll gewandert.« Er drückte ihre Hand. »Tatsächlich?« »Du kannst nachgucken, wenn du mir nicht glaubst.« »Ich glaub dir ja. Aber wolltest du es eben nicht noch ausdiskutieren?« Sie stieß ein belustigtes Schnauben aus. »Die Diskussion hab ich wohl eben mit mir selbst geführt.« »Und du bist zu dem Schluss gekommen, dass die Idee doch nicht so schlecht ist?!« »So in etwa«, sagte sie. »Ich meine, irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft hätten wir uns ohnehin entschieden, ein Kind zu bekommen. Ist es also im Grunde nicht völlig egal, ob wir es sofort, in sechs Monaten oder in einem Jahr versuchen?« Er drückte ihr einen Kuss auf. »Ich hätte nie gedacht, dass du so schnell Ja dazu sagen würdest.« »Ich auch nicht. Möglicherweise bereue ich es morgen, aber dann ist es wohl zu spät.« Sie lachte. »Bist du dir sicher, dass du nichts genommen hast?«, fragte er gespielt misstrauisch. Sie zuckte die Achseln. »Vielleicht war die Pizza vorhin schlecht?« Kapitel 5: Wenn die Trauzeugin dreimal klingelt … ------------------------------------------------- Shikamaru schloss die Tür auf. »Darf ich bitten?«, fragte er und öffnete die Arme. »Vergiss es!«, gab Temari zurück. »So einen Schwachsinn fangen wir gar nicht erst an.« Sie ignorierte seine Geste, ging rasch an ihm vorbei und betrat ihre gemeinsame Wohnung. Er folgte ihr, machte die Tür hinter sich zu und bemerkte wenig ernst: »Jetzt bin ich enttäuscht.« »Enttäuschungen stehen auf der Tagesordnung, wenn man mit mir verheiratet ist«, scherzte sie und lachte. »Aber das wusstest du sicher vorher schon.« »Allerdings«, pflichtete er ihr bei. Sie zwickte ihm liebevoll in den Nacken und eilte den Flur entlang. Ein leichter Farbgeruch stieg ihr in die Nase. Erst gestern hatten sie die letzten Pinselstriche an den Wänden gemacht. Da ihm die Farbgebung egal gewesen war – von Neontönen und einem knalligen Pink abgesehen –, hatte sie sich ein freundliches Sonnengelb ausgesucht. Weil es sie an ihre Heimat erinnerte. Sie betrat das Schlafzimmer und auch hier hatte sie, was die Einrichtung betraf, deutlich mehr Spuren hinterlassen als Shikamaru. Außer ein Sachbuch, das auf dem rechten Nachttisch lag, ließ nichts darauf schließen, dass er diesen Raum ebenfalls bewohnte. Okay, sie waren erst vorgestern in diese Wohnung gezogen und irgendwann ließ er bei seinem eher sporadisch ausgeprägten Sinn für Ordnung zwangsweise etwas liegen, aber ein wenig befremdlich war es schon. Sie wollte sich aber nicht darüber beschweren, dass er ihr freie Hand gelassen hatte, schließlich hatte es ihnen einige Streits erspart. Temari blickte in den Schrankspiegel. Ihre Haare, die Ino am Morgen eine Stunde lang mit einem Glätteisen bearbeitet hatte, standen dank der hohen Luftfeuchtigkeit wirr ab wie vorher und – sie wusste nicht, wohin es verschwunden war – ihr Make-up hatte sich in Luft aufgelöst, der Kajal um ihr rechtes Auge war verschmiert und ihre Stirn glänzte, als wäre ein Pfund Butter auf ihr geschmolzen. Wenn sie auf den Hochzeitsfotos so unvorteilhaft ausgesehen hatte, zahlte sie dem Fotografen nicht einen Ryo, das stand fest. Sie seufzte und da sie noch eine gute Stunde Zeit hatte, bevor Ino auf der Matte stand, um sie für die Feier am Abend aufzubrezeln, holte sie sich bequeme Freizeitkleidung aus dem Schrank und öffnete den Obi, der den schweren Kimono zusammenhielt, den sie zu diesem Anlass getragen hatte. Sie musterte das Kleidungsstück. Mit den bestickten Ranken und Blüten an den Ärmeln und am Saum sah er schick aus, aber wenn sie ihr Spiegelbild ansah, hätte sie ein modernes Kleid dem Traditionellem besser vorgezogen. Sie zog ihre Schranktür auf und lächelte. Sie kam zwar an einer Dusche nicht vorbei, aber den Fehler machte sie heute mit dem roten Abendkleid, das sie zusammen mit Ino ausgesucht hatte und zur Hochzeitsfeier tragen würde, nicht noch einmal. Temari streifte den Kimono ab und hing ihn auf einen Bügel von außen an den Schrank. Sie griff nach dem T-Shirt, das sie sich herausgesucht hatte und wollte es anziehen, doch so weit kam sie nicht. Sie spürte einen Druck am Oberarm, dann wurde sie zurück gerissen und fand sich zwei Sekunden später auf dem Bett wieder. Irritiert setzte sie zum Sprechen an, aber Shikamaru unterbrach sie mit einem Kuss, bevor sie ein Wort sagen konnte. Sie ließ es einen Moment lang zu und machte sie sich von ihm los. »Heißt es nicht Hochzeitsnacht?«, fragte sie. »Und?« »Es ist erst Nachmittag.« Er ignorierte ihr Argument und küsste sie wieder, diesmal ihren Hals. Sie konnte ein leises Seufzen nicht unterdrücken, schob ihn allerdings von sich. »Ich meine es ernst!« »Ich auch«, erwiderte er nüchtern und sie fühlte, wie seine Hand an ihrer Hüfte entlang zu ihrem Oberschenkel fuhr. Temari missachtete das angenehme Gefühl, als ihr Magen einen kleinen Hüpfer machte und sagte: »Hast du es so nötig, dass du nicht mal mehr ein paar Stunden warten kannst?« »Nein«, gab er monoton zurück, »es ist schließlich nicht so, dass du fast fünf Wochen weg warst, schon seit vorgestern wieder hier bist und immer noch nichts gelaufen ist.« Okay, unter dem Aspekt wunderte sie sich nicht über seine Anwandlungen. Es war ihr selbst schleierhaft, dass sie es vergessen hatte. Da sie nicht gleich antwortete, machte er dort weiter, wo er aufgehört hatte. »Ich bin gestresst und müde, seit ich wieder hier bin, ich weiß«, setzte sie an und griff nach seinem Handgelenk, »aber ich hab dafür jetzt keine Zeit.« Shikamaru reagierte nicht auf ihr – zugegeben – schwaches Argument und so setzte sie nach: »Wirklich, Ino und Matsuri stehen in weniger als einer Stunde vor der Tür!« »Das ist doch mehr als genug Zeit«, erwiderte er zwischen zwei Küssen ihres Schlüsselbeinbereichs. Natürlich hatte er Recht, aber die flüchtige Abhandlung einer vorgezogenen Hochzeitsnacht versprühte keinen Reiz auf sie. Nein, sie wollte es sich auf der Couch bequem machen und gammeln, bis ihre übereifrige Trauzeugin und ihre Brautjungfer auftauchten, um sie aufzustylen und ihr mit stilistischen Ratschlägen auf die Nerven zu gehen. Sie ließ sein Handgelenk los, platzierte ihre Hände auf seinen Schultern und drückte ihn von sich. »Kannst du dich nicht noch ein paar Stunden zusammenreißen?«, fragte sie, leider nicht so energisch, wie geplant. »Es sind fünf Wochen«, sagte er mit Nachdruck. »Und wozu soll es gut sein, bis heute Nacht damit zu warten?« Temari hob eine Augenbraue. »Weil wir uns bis zu unserem Lebensende daran zurück erinnern werden«, entgegnete sie, »und ich nicht möchte, dass es eine schnelle Nummer zwischen Trauung und Feier war?« »Es ist nicht annähernd Nacht.« Demonstrativ schaute Shikamaru aus dem Fenster. »Demnach ist es keine Hochzeitsnacht.« »Wenn man es wörtlich nimmt, ja«, gab sie zu, »aber …« Sein Blick ließ sie verstummen. Sie sah ihn selten so entschlossen. Vor allem nicht, wenn es um Sex ging, was für ihn nie eine allzu große Rolle gespielt hatte, sondern mehr ein nettes Beiwerk war. Vielleicht war es gerade deshalb seltsam, dass er es so vehement darauf anlegte. Obwohl … Das letzte Mal war lange her und sie war seit 48 Stunden wieder im Dorf. Warum hatte sie seitdem noch nicht mit ihm geschlafen? Am Tag ihrer Ankunft, okay, doch gestern? Sie hatte zwar stundenlang mit Ino, die sich in ihrer Funktion als ihre Trauzeugin verpflichtet hatte, die ganze Hochzeitsfeier zu organisieren, den Ablauf und die letzten Kleinigkeiten besprochen, aber war das so anstrengend und stressig gewesen? Sie lachte innerlich. Ja, war es. Sie war gestern nach der ewig langen Diskussion mit ihr und dem anschließendem Abendessen mit ihren Brüdern um halb neun halbtot ins Bett gefallen. Da hatte ihr der Sinn nach Sex definitiv nicht gestanden. Und da sich bis jetzt keine gute Gelegenheit ergeben hatte … »Und du bist noch nicht schwanger, oder?«, fuhr er fort. Temari seufzte. »Nein«, erwiderte sie und schmunzelte unbewusst, »und so selten, wie wir uns in den letzten Monaten gesehen haben ist das zusammen mit dem Stress wahrscheinlich besser so.« Dass es mit der Schwangerschaft bis jetzt noch nicht geklappt hatte, war das eine, doch rückblickend grenzte es an ein Wunder, dass die tausend Dinge, die sie organisiert und erledigt hatten, seit er ihr Mitte Dezember den Antrag gemacht hatte, ihre Beziehung nicht in Mitleidenschaft gezogen hatte. Ein anderer wäre in der Zeit vielleicht schwach geworden – nicht, dass sie das Shikamaru zutraute –, aber er hatte sich zusammengerissen. Wenn sie es recht bedachte, war es nicht zu viel verlangt, ihm diesen kleinen Gefallen zu tun. Ausruhen konnte sie sich die nächsten beiden Wochen noch, wenn sie Urlaub hatte und wie er gesagt hatte: Bis zur Nacht dauerte es noch, also war es keine Hochzeitsnacht. Das war nur logisch. »Ach, vergiss es«, sagte sie mit einem Lächeln und winkte ihn zu sich heran. »Komm her und mach mir endlich ein Baby!« Sie hatte es kaum ausgesprochen, da küsste er sie wieder und ohne ein Zögern entfernte er flink ihren BH und drückte sie zurück aufs Bett. Sie schmeckte seine Lippen und spürte seine Hände, die über ihren Körper fuhren. Im Gegenzug tastete sie sich seinen Oberkörper entlang, dann wanderten ihre Finger auf seinen Rücken, tiefer und – Es klingelte an der Tür. Einmal, zweimal, ein drittes Mal. Ino. Temari wusste nicht, ob sie sie ignorieren oder ob sie ihr aufmachen sollte. Klar, sie wollte mit dem Mann schlafen, dem sie vor noch nicht einmal zwei Stunden das Jawort gegeben hatte, aber war es das wert, sich mit seiner Teamkollegin anzulegen? Die Teamkollegin, die sich in ihre selbstauferlegte Pflicht als Hochzeitsplanerin dermaßen reingehängt hatte, dass sie ihr nur dankbar sein konnte? Eine leichte Gänsehaut überkam sie, als Shikamarus Hände ihren Po erreichten und ihn massierten. Nach mehr als drei Jahren wusste er, worauf sie stand. Verdammt, warum hatte sie die dämliche Klingel nicht ausgestellt? Dann hätte sie wenigstens eine halbwegs glaubhafte Ausrede, bis Ino auf die Idee kam, über die Terrasse ins Wohnzimmer einzusteigen, das so weit vom Eingang entfernt war, dass man ein Klopfen schlecht hören konnte. Es läutete erneut dreimal und das Klingeln wirkte penetranter als bei dem Mal davor. Normalerweise konnte sie darauf hoffen, dass sie irgendwann aufgab, aber heute wusste Ino, dass sie zu Hause sein mussten. Temari konnte tausend Ausflüchte im Kopf durchgehen, doch diesmal konnte sie sie unmöglich vor der verschlossenen Tür stehen lassen. Sie versuchte sich von Shikamaru loszumachen und nach spürbarem Widerstreben gab er nach. »Hast du nicht gesagt, dass sie erst in einer Stunde her kommt?«, fragte er sichtlich ernüchtert. »Das sollte sie auch … Ich bin mir sicher, dass wir vorhin halb fünf abgemacht haben«, erklärte sie mit einem Blick auf den Wecker. Es war zwanzig vor vier. Seufzend ließ er sich neben ihr aufs Bett fallen. »Warum musstest du ausgerechnet Ino zu deiner Trauzeugin machen?« »Woher hätte ich wissen sollen, dass sie so ehrgeizig ist und die Aufgabe so ernst nimmt?«, fragte sie ohne jeglichen Vorwurf in der Stimme. Dann stand sie auf, streifte sich rasch das T-Shirt und die Hose über und lief zur Tür. Sie warf einen entschuldigenden Blick zurück, murmelte ein »Tut mir leid« und verschwand auf den Flur. Shikamaru vergrub sich in seiner Decke. --- »Du siehst echt … wow!«, stammelte Matsuri perplex. Ino betrachtete Temari ausgiebig und mit kritischer Miene und nickte. »Du siehst echt scharf aus!« »Sollte ich als Braut denn scharf aussehen?«, fragte sie und zog die Stirn kraus. »Warum nicht?«, erwiderte Ino und kicherte. »Ich freu mich jetzt schon auf Izumos und Kotetsus Gesichtsausdrücke, wenn sie dich sehen.« »Weil?« »Beide offensichtlich heiß auf dich sind und du ihnen so noch ein letztes Mal richtig schön unter die Nase reibst, was sie definitiv nicht mehr haben können.« »Das ist nicht gerade nett«, bemerkte Temari belustigt. Sie schätzte die beiden als langjährige Kollegen, doch für diesen kleinen Spaß war sie sich nicht zu schade. »Heute ist dein Hochzeitstag! Da darf man ein bisschen egoistisch sein«, argumentierte Ino überzeugt und grinste. »Außerdem muss ich Shikamaru ein bisschen unterstützen. Keiner seiner Freunde hat geglaubt, dass er eine gut aussehende und gut gebaute Frau wie dich abbekommt … Die Kerle werden alle gucken vor Neid!« Temari nahm ihr Spiegelbild in Augenschein. Das Make-up war dezent mit Fokus auf ihre Augen, ihre Haare waren zu einer kunstvollen Frisur hochgesteckt und das Kleid … Sie sah an sich herunter. Es war in einem intensiven Rot, ärmellos, tief ausgeschnitten und betonte exzellent ihre Oberweite. Die dünnen Träger und der Schnitt hielten es bombensicher an seinem Platz, dass sie sogar auf einen BH verzichten konnte. Bis zur Hüfte lag es eng an, der Rock wurde breiter und luftiger und endete ein Stück über den Knien. Außer für Oberschenkelfetischisten, die bei diesem Abendkleid weniger auf ihre Kosten kamen, sah sie tatsächlich verdammt scharf aus. Und mit diesem Wort hätte sie sich früher niemals bezeichnet. »Irgendwie finde ich es merkwürdig, wenn ich den ganzen Abend angestarrt werde«, meinte sie. »Keine Sorge, das wirst du nicht«, sagte Ino mit einem Lächeln und deutete auf ihre linke Hand. »Du trägst da schließlich was.« Sie zwinkerte ihr zu und setzte nach: »Und ich kenne alle männlichen Wesen, die ihr eingeladen habt. Alle sind so anständig, dass sie von einer verheirateten Frau ihre Finger lassen. Erst recht von der Braut.« Matsuri brach in Gelächter aus. »Und wenn nicht«, japste sie, »weiß sie sich auch ohne ihren Fächer zu verteidigen.« Ino lachte ebenfalls los. »Stimmt, aber so lebensmüde kann keiner sein!« Temari musterte die beiden amüsiert und stimmte in ihr Lachen ein. --- Shikamaru saß auf der Couch im Wohnzimmer und starrte auf das Shōgibrett, das vor ihm auf dem Tisch stand. Die Steine von der letzten Partie, die er am Abend zuvor nicht beendet hatte, standen noch und luden ihn zum Weiterspielen ein, doch er rührte sie nicht an. Er hatte weder die Zeit, noch die Lust, noch einen geeigneten Gegner, um das Spiel zu beenden. Unauffällig schaute er aus den Augenwinkeln. Sai war vor einer halben Stunde aufgetaucht und saß seitdem neben ihm, hüllte sich in beharrliches Schweigen und kritzelte auf einem Skizzenblock herum. Shikamaru hatte keine Ahnung, ob er es tat, um die eisige Stille zu überbrücken oder ob es als Vertreib der Langeweile diente, aber das musste er nicht wissen. Im Grunde schätzte er Sais Gesellschaft neben der von Chouji am meisten, denn beide wussten, wann sie den Mund zu halten hatten – nicht wie Naruto oder Kiba, die mit ihren Fragen, dem ewigen Gequatsche und der Suche nach uninteressantem Smalltalk ganz schön nerven konnten. Trotzdem schenkte er es sich, ihm Shōgi näherzubringen. Noch eine Person, die immer gegen ihn verlor und mit der er nicht verheiratet war, brauchte er nicht. Er seufzte innerlich und lehnte sich zurück. Er hatte keine Lust auf seine eigene Hochzeitsfeier, weil er der durch Ino verpatzten Gelegenheit nachtrauern würde und Stunde für Stunde absaß, in der Hoffnung, dass der letzte Gast den Weg nach draußen fand, damit er endlich das zelebrieren konnte, worauf er seit dreiunddreißig Tagen verzichten musste. Um im Anschluss voller Enttäuschung festzustellen, dass Temari vom Feiern zu müde war und vor dem ersten Kuss eingeschlafen war. Was für großartige Aussichten … Warum konnte es nicht schon morgen sein? Lautstark atmete er aus. »Hast du das Eheleben schon satt?«, fragte Sai, ohne von seiner Zeichnung aufzusehen. »Wirkt es auf dich so?«, entgegnete Shikamaru tonlos. »Hmm« – sein Bleistift fuhr unablässig über das Papier – »ich seh nur, dass du trübselig herumsitzt und dich nicht darüber freuen kannst, dass deine Frau gerade ein bisschen Spaß hat.« Temaris Lachen und das der anderen beiden hallte aus dem Badezimmer über den Flur. Im Gegensatz zu ihm schien sie Spaß zu haben und in Anbetracht der Umstände war das okay für ihn. Und er war ernüchtert, doch alles andere als niedergeschlagen. Sai hatte eine merkwürdige Auffassung vom Gefühlsleben anderer Menschen und er fragte sich, woher Ino die Geduld und den Enthusiasmus genommen hatte, mit einem emotionalen Krüppel wie ihm eine Beziehung einzugehen. Sie hatte ihn in den letzten eineinhalb Jahren zwar in eine bemerkenswerte Richtung gelenkt, aber unter dem Strich musste das alles kompliziert sein. Jedem das Seine, wie es so schön hieß. Ein weiser Spruch. »Ich sitze hier völlig neutral herum«, legte Shikamaru fest, »und bin weder trübselig, noch nachdenklich, noch sonst irgendwas in dieser Weise.« »Du bist nicht ein klein wenig frustriert?« »Nein«, gab er beherrscht zurück. »Warum sollte ich das sein?« Sai zuckte die Achseln und hakte nicht weiter nach. Er betrachtete wieder die Shōgisteine und unterdrückte ein Seufzen. Frustriert traf es gut. Das musste die Rache seiner Hormone sein, weil er ihnen sonst nicht viel Aufmerksamkeit schenkte. Ein selbstironisches Schmunzeln huschte über seine Lippen. Rache? Was für ein Unfug. Was er empfand, war völlig normal, wenn man seine Freundin wochenlang nicht gesehen hatte, sie seit zwei Tagen um sich hatte und bisher nichts passiert war. Diese Feier, die sich für ihn ins schier Endlose ziehen würde, verfluchte er jetzt schon. Und noch mehr verfluchte er diese Gedanken, von denen er sich beherrschen ließ. Nicht, dass er großartig versuchte, etwas gegen sie zu unternehmen … Die Badtür ging auf, das Stimmengewirr wurde lauter und riss ihn aus seinem Gedankengang. Gott sei Dank. Je eher sie zu dieser Feier aufbrachen, desto eher war sie zu Ende und – nein, fing das wieder an. Jetzt konnte er nur darauf hoffen, dass Ino Temari überschminkt hatte, denn auf eine Tonne Make-up im Gesicht stand er überhaupt nicht und das wiederum würde seinen Hormonen einen gehörigen Dämpfer verpassen. Ob dieser ausreichte, stand auf einem anderen Blatt geschrieben, doch … Shikamaru richtete seinen Blick auf den Rahmen der offen stehenden Wohnzimmertür, vernahm ein paar Schritte, die sich über den Flur näherten – und erstarrte in einer Mischung aus Imponieren und Entsetzen. Verdammte Scheiße, diese Frau wollte ihn ärgern. Seine erst kürzlich angetraute Ehefrau erlaubte sich einen Scherz mit ihm. Einen derben, nahezu sadistischen Aprilscherz. Genau, den holte sie jetzt nach, da sie am ersten des Monats keine Gelegenheit gehabt hatte, um ihn zu verarschen. Anders konnte er sich ihr Auftreten nicht erklären. »Wenn du sie noch eine Sekunde länger anstarrst, kannst du dir dein Essen sechs Monate allein machen«, drohte Ino. »Und bestimmte andere Dinge auch.« Shikamaru blinzelte automatisch, wandte sich ab und realisierte, dass seine Teamkollegin nicht ihn, sondern Sai gemeint hatte, der sie ansah, als wäre er sich keiner Schuld bewusst. Er kam sich albern vor, weil er sich angesprochen gefühlt hatte. Temaris Stimme ähnelte der von Ino nicht im Geringsten und sie hätte nur gelacht, wenn er eine andere Frau so angesehen hätte, so wenig eifersüchtig, wie sie war. Nicht, dass er irgendwelche Frauen angeifern wollte, aber unter dem Aspekt hatte er absolut die Richtige geheiratet. Die Frau, die zu seinem Leidwesen mit ihrem dezent geschminkten Gesicht und in diesem engen Kleid viel zu gut aussah. Gott, so weiblich hatte sie noch nie ausgesehen. Nicht einmal annähernd. Nicht einmal in seinen kühnsten Träumen. Verdammt. »Können wir los?« Da Temari ihn ansah und ihre Frage somit direkt an ihn richtete, blinzelte er erneut und versuchte, seinen Blick unauffällig auf ihr Gesicht zu lenken. Er nickte und sprang er von der Couch auf. Als er an ihr vorbei in den Flur lief, wehte ihm der Duft ihres Parfüms in die Nase. Es war eine unaufdringliche Fruchtnote. Sie roch wie eine frisch angeschnittene Orange. Als ob es nicht reichte, dass sie sich so – ihr Anblick hatte sein Gehirn dermaßen vernebelt, dass ihm nicht ein Wort einfiel, das ihren Zustand angemessen beschrieb – zurecht gemacht hatte, duftete sie noch nach seinem Lieblingsobst. Shikamaru verkniff sich ein Seufzen und bemühte sich, unbeteiligt wie immer auszusehen. Er wusste nicht, ob es funktionierte, geschweige denn, ob es den ganzen Tag funktionieren würde, aber was er wusste, war, dass es ein zäher Abend werden würde. An der Wohnungstür schloss Temari zu ihm auf. »Du scheinst es eilig zu haben, was?«, fragte sie mit einem Lächeln und er musste sich arg zusammenreißen, um sie nicht wieder anzustarren. Er lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Türklinke, murmelte monoton ein »Klar, ich kann’s kaum erwarten«, öffnete die Tür und trat nach draußen. Tief atmete er die lauwarme Frühlingsluft ein. Er konnte es wirklich kaum erwarten, bis diese Hochzeitsfeier ein Ende fand. Kapitel 6: Die reinste Folter ----------------------------- Verdrossen starrte Shikamaru auf die Wanduhr, die über dem Eingang des Saals hing. Es war neunzehn Uhr und er hatte keine Lust mehr. Von allen Seiten drang das Geräusch klappernder Teller und Besteck an sein Ohr. Hinter ihm fiel ein Glas herunter und zersprang, doch es interessierte ihn nicht im Geringsten, dass es die Rechnung, die er nächste Woche für die Feier bezahlen musste, weiter in die Höhe trieb. Nebenbei hörte er, wie sich seine Mutter über Kankurous Tischmanieren aufregte. Er verspürte nicht den Drang, sie darauf hinzuweisen, dass sie auf seiner Hochzeit den Mund zu halten hatte. Von ihm aus konnten sich die beiden Streithähne gegenseitig die Haare ausreißen, wenn es bedeutete, dass er endlich nach Hause gehen konnte. Er spürte einen Ellenbogen in der Seite. Es war Temari, die ihn wahrscheinlich bitten würde, Yoshino dazu zu bewegen, ihre Brüder in Ruhe zu lassen. »Du hast mit Ino die Tischverteilung festgelegt«, murmelte er, »also beschwere dich nicht bei mir.« Seine Frau warf ihm einen missverständlichen Blick zu und deutete ein Kopfschütteln an. Im Anschluss kam sie ihm näher – für seinen Geschmack zu nah. »Die beiden schmeiß ich raus, wenn sie ihre Meinungsverschiedenheit nicht gleich geklärt haben«, flüsterte sie mit einer Gelassenheit in der Stimme, die er selten zu hören bekam. Bestimmter setzte sie nach: »Und du fliegst gleich hinterher, wenn du nicht endlich fröhlicher guckst. Es ist unsere Hochzeitsfeier und keine Beerdigung.« Shikamaru verzog keine Miene und schwieg. Temari seufzte. Ihr Atem streifte sein Ohr und jagte ihm einen unheilbringenden Schauer über den Rücken. Rasch rückte er seinen Stuhl ein Stück von ihr weg und lenkte seine Aufmerksamkeit auf seinen Teller. Er hatte sein Abendessen noch nicht angerührt. »Was ist los?« Sie stieß ein erneutes Seufzen aus. »Stört es dich, dass ich ständig angegafft werde? Zu meiner Verteidigung –« »Nein«, fuhr er ihr ins Wort und ergänzte schnippisch: »Von mir aus sollen Kotetsu und Izumo dich anglotzen, bis ihnen die Augen ausfallen. Ist mir schnurz.« Sie lehnte sich nach vorne und stützte die Ellenbogen auf dem Tisch ab. Diese Haltung betonte ihr Dekolletee noch mehr. Dieses Kleid ist wirklich verdammt knapp, schwirrte es ihm im Kopf herum und bevor er sich in dem Anblick verlieren konnte und seinen Anstand ad absurdum führte, wandte er ihr den Rücken zu. Er spürte ihre Hand auf seiner Schulter, roch ihr fruchtiges Parfüm und mit einem Schlag wurde es zehn Grad wärmer im Raum. Diese kleine, unscheinbare Berührung war ihm schon zu viel. Gott, was machten diese verfluchten Hormone mit ihm? Shikamaru schüttelte ihre Finger ab und drehte sich zu ihr um. Auf Temaris Stirn stand eine Wutfalte, die Bände sprach, aber vielleicht war es nicht schlecht, wenn sie den Rest des Abends wütend auf ihn war. Möglicherweise verschwand sein Drang, mit ihr schlafen zu wollen. Oder er machte es schlimmer und war erst recht scharf auf sie. Früher wäre das undenkbar gewesen, aber an diesem Tag war alles möglich. »Was«, setzte sie zum Sprechen an und eine Ader auf ihrer Schläfe zuckte bedrohlich, »ist eigentlich dein Problem?« Er lachte. »Ist das nicht offensichtlich?« Sie blickte ihn einen Moment lang an, als hätte sie nicht die geringste Ahnung, wovon er sprach. Dann lockerten sich ihre Gesichtszüge, um einer belustigten Miene Platz zu machen. »Ja, wie lustig«, kommentierte Shikamaru, nahm sein Wasserglas und betrachtete es ausgiebig, bevor er es leer trank. Er schenkte sich nach und setzte es an, um Temari nicht ansehen zu müssen. Ihr süffisantes Grinsen in seiner Vorstellung reichte ihm. Als er es leergetrunken hatte, griff er noch mal zur Flasche, die ihm seine Frau vor der Nase wegschnappte. »Du bist ziemlich nervös«, bemerkte sie amüsiert, »dabei hast du doch gar keinen Grund, das zu sein.« »Den hätte ich nicht, wenn du dich vom Hals abwärts in einen Kartoffelsack oder in Plastikfolie eingewickelt hättest«, dachte er laut. Leider hatte sie jedes Wort verstanden und stellte ihr ganz spezielles Lächeln zur Schau. Dieses Lächeln präsentierte sie ihm, wenn sie wusste, dass sie etwas gegen ihn in der Hand hatte. Und das hatte sie nie zuvor so eindeutig gehabt wie jetzt. Sie hing in jeder Hinsicht am längeren Hebel. Temari lehnte sich zu ihm herüber, faltete ihre Hände über seiner linken Schulter und bettete ihr Kinn darauf. »Ich hätte nicht gedacht«, flüsterte sie ihm ins Ohr, »dass du es mal so nötig haben würdest.« Es ignorierte ihren verlockenden Orangenduft und gab mit einer Prise Ironie in der Stimme zurück: »Unglaublich, oder?« Sie lachte leise auf, schenkte sich jedoch weitere Kommentare. Kurz ließ sie von ihm ab, sah sich um und setzte nach: »In ein paar Stunden treiben wir’s so oft und so lange du möchtest.« »Ja«, sagte er tonlos, »sicher.« »Das ist keine leere Phrase, sondern ein Versprechen.« Seine rechte Augenbraue wanderte automatisch nach oben. »Also kann ich drauf bestehen, wenn du heute Nacht todmüde von der Feier bist?« Sie nickte entschlossen. »Du bekommst deinen Sex. Da kann kommen, was will.« Shikamaru reagierte nicht und starrte sein Glas an. »Klingt das nicht nach was?«, hakte sie erwartungsvoll nach. »Klar.« Er zuckte die Achseln. »Ist ja nicht weiter schlimm, wenn du dabei einschläfst.« Er stand auf, ging zu Chouji herüber und setzte sich zu ihm. Temari sah ihm nach, stellte ihre Ellenbogen auf dem Tisch ab und seufzte. »Schon die ersten Eheprobleme?« Kankurou warf ihr ein breites Grinsen entgegen. »Nur eine kleine Meinungsverschiedenheit«, gab sie zurück. »Also kann ich damit rechnen, dass du wieder zu uns ziehst?« Sie verpasste ihm einen liebevollen Klaps auf den Hinterkopf. »Tut mir leid«, sagte sie mit einem Blick auf den Nachbartisch, »aber das ist ausgeschlossen.« --- Shikamaru beobachtete, wie sein bester Freund aus den Augenwinkeln seine Begleiterin Karui anschmachtete, die in ein Gespräch mit Ino vertieft war. »Ach«, seufzte Chouji und rührte lustlos in seiner Portion Schokopudding herum, »ich könnte sie den ganzen Tag ansehen.« Eine von Shikamarus Brauen zuckte nach oben, doch er behielt für sich, dass er Karui unheimlich fand. Sie war eine dieser Frauen, die immer das aussprachen, was sie dachten. Und sie war laut und wusste, was sie wollte und was sie von einem Mann erwartete. Sein Blick fuhr zu seiner linken Hand. Der sanftmütige und sensible Chouji war dabei, sich eine Freundin wie Temari anzulachen. Das war das wirklich Gruselige an der Sache. Er schüttelte den Kopf über diesen bescheuerten Gedankengang und schmunzelte. Sein bester Freund wusste, worauf er sich eingelassen hatte. Ihm war es mit Temari nicht anders ergangen. »Du hast noch deine rosarote Brille auf, hm?«, fragte er und erntete ein schelmisches Grinsen. »Kann sein«, gab er zurück, ohne seine Augen eine Sekunde von ihr zu nehmen. »Pass auf, wenn sie weg ist, kommt das böse Erwachen.« »Da du deine erste Freundin geheiratet hat, kann es nicht so schlimm sein, oder?« Chouji riss seinen Blick von ihr los und ließ noch einen Seufzer verlauten. »Ich wünschte mir nur, sie würde mir mehr Beachtung schenken.« Shikamaru deutete über seine Schulter. »Fordere sie doch zum Tanz auf.« »Ich soll was?«, fragte er perplex. »Pack sie am Handgelenk und zieh sie auf die Tanzfläche.« »Und wenn sie die Musik nicht mag?« »Das wirst du dann sehen.« »Aber –« Da er so laut gesprochen hatte, wandten sich Ino und Karui zu ihm um. Chouji errötete und sank ein Stück tiefer in seinem Stuhl. Ino fing Shikamarus Blick auf und nickte. »Hey, bei der Musik bekomme ich echt Lust zu tanzen!«, flötete sie. »Was meinst du, Karui?« Die Angesprochene lauschte dem Lied, das gespielt wurde. »Jazz«, meinte sie im Anschluss und wippte mit dem Oberkörper im Takt. »Ja, warum eigentlich nicht?« Ino klatschte begeistert in die Hände und sprang auf. »Warte, ich sammle eben Sai ein.« Sie hechtete zwei Tische weiter, zog Sai ohne Vorwarnung aus seinem Gespräch mit Naruto und Sakura. Sie schleifte ihn zur Bühne und winkte Karui zu sich heran. Da Chouji keine Anstalten machte, sich zu bewegen, stieß Shikamaru mit dem Fuß gegen sein Schienbein. »Jetzt geh schon«, forderte er ihn auf. »Das ist deine Chance. Eine Frau wie Karui wartet nicht ewig auf dich.« Bestärkt hüpfte sein bester Freund vom Stuhl, doch sein Zeigefinger tippte nur zögerlich gegen die Schulter seiner Begleitung. Diese schaute ihn mit gerunzelter Stirn an. »Darf …« Er stockte, holte kurz Luft und fragte nervös: »Darf ich dich … um diesen Tanz bitten?« Karui betrachtete ihn aufmerksam, was Chouji noch nervöser machte. »Natürlich«, antwortete sie und lächelte ihm zu. »Ich dachte schon, du fragst gar nicht mehr.« Sie lachte herzlich auf, nahm seine Hand und führte ihn zur Tanzfläche. --- Da Ino und Chouji mit ihren Begleitungen das Eis gebrochen und den Anfang gemacht hatten, dauerte es nicht lange, bis die Hälfte der Gäste am Tanzen war. Naruto und Hinata, die noch Übung von ihrer eigenen Hochzeit hatten, bewegten sich ausgesprochen elegant über das Parkett; Kiba und Tamaki gingen es wilder und unkoordinierter an, hatten allerdings sichtlich Spaß dabei; Kurenai drehte abwechselnd mit Kotetsu und Izumo ihre Runden und – Shikamaru blinzelte. Hatte er etwas mit den Augen oder tanzte seine Mutter mit Kankurou? Er kratzte sich am Kopf. Als ob diese seltsame Konstellation nicht schon reichte, schien sie recht glücklich zu wirken und sah nicht aus, als hätte sie in den nächsten Minuten vor, jemandem eine Moralpredigt zu halten. Ein ungewohnter und skurriler Anblick. Er merkte einen leichten Windzug, als sich jemand neben ihn setzte und eine wunderbar duftende Parfümnote zu ihm herüberwehte. Die Haare an seinen Armen stellten sich auf. Er hoffte, dass es jemand war, der sich mit frischgepresstem Orangensaft übergossen hatte. »Und wann forderst du mich zum Tanzen auf?« Temaris Frage begrub seine Hoffnung. »Wie wär’s mit niemals?«, entgegnete er trocken. Sie legte ihm die Arme von hinten über die Schultern, lehnte sich an ihn und er nahm den Duft noch deutlicher wahr. »Diese Antwort lasse ich nicht gelten«, hauchte sie ihm ins Ohr und er spürte, wie sich ihre Brüste an seinen Rücken pressten. »Ino und Sai haben uns schon den Eröffnungstanz abgenommen, also hab dich nicht so. Auf uns achtet sowieso niemand.« Shikamaru zog die Brauen zusammen. Als ob es ihm um irgendwelche Leute ging, die ihm – wahrscheinlich brüllend vor Lachen – zusahen, wie er sich mit seinem fehlenden Rhythmusgefühl zum Affen machte … Diese Frau verstand gerade wirklich nichts. »Die anderen sind mir so was von egal«, gab er zurück. »Ich hab einfach keine Lust. Geh mit deinem Bruder tanzen.« »Ich spann doch nicht Matsuri ihr Date aus, auf das sie jahrelang gewartet hat.« Er suchte die Tanzfläche ab und tatsächlich: Gaara und Matsuri hielten sich in der hintersten Ecke auf und starteten planlos ein paar Schritte. »Geh zu Shino«, warf er ein, »oder frag Sakura.« »Abgelehnt!«, protestierte sie. »Du tanzt mit mir oder keiner.« Er war sich bewusst, dass er seine Antwort vermutlich bereuen würde, entgegnete jedoch: »Dann hast du Pech gehabt. Ich passe heute Abend.« Temari atmete lautstark aus. Ihr Atem streifte seine rechte Wange und ihn überkam eine Gänsehaut. Am liebsten hätte er sie genommen und ins nächstbeste freie Zimmer geschleift. Der Gedanke daran löste ein wohliges Schaudern in ihm aus – und mit ihm beinahe ein Problem, das er gar nicht gebrauchen konnte. Er musste schnell an etwas Ekelhaftes denken … Der riesige Hundehaufen, in dem die arme Mirai bei einem Spaziergang gelandet war, kam ihm in den Sinn. Den Gestank hatte er nach drei Wochen noch in der Nase. Shikamaru fröstelte angewidert. Die Erinnerung daran wirkte. »Gut zu wissen, dass der Mensch, den ich liebe und von dem ich geglaubt habe, dass er mich respektiert, in Wirklichkeit ein egoistisches Arschloch ist«, meinte sie enttäuscht. Da er nicht sicher war, ob sie ihm ihre Enttäuschung nicht vorgaukelte, zog er das Schweigen dem Reden vor. »Gerade mal ein paar Stunden verheiratet und schon ist ein winziger Tanz zu viel verlangt«, sprach sie weiter. »Wenn Kankurou das mitbekommt, wird er mir sagen: Was bist du auch so dämlich und heiratest einen Kerl, mit dem du vorher noch nicht zusammengelebt hast?« Abermals bekam sie keine Reaktion. »Es ist genauso wie in diesem Lied«, fuhr sie unbeirrt fort. »Und falls du doch den Fehler machst und dir ’nen Ehemann anlachst, mutiert dein Rosenkavalier bald nach der Hochzeit auch zum Tier … Männer sind wirklich –« »Du hast gewonnen!«, fuhr Shikamaru ihr ins Wort. »Machen wir uns eben lächerlich, aber hör auf, diesen bescheuerten Song zu zitieren.« Sie ließ von ihm ab und er drehte sich zu ihr um. Ihr breites Lächeln schlug ihm entgegen und entlarvte ihr Schauspiel. »Du bist ein perfides Biest«, fluchte er. Ihre Augenbrauen zuckten vor Belustigung nach oben. »Weil ich weiß, dass du dieses Lied nicht ausstehen kannst und ich es schamlos dafür benutze, um dich zu etwas zu bringen, das ich möchte?« Er stieß einen missbilligenden Zischlaut aus. »Das und weil du mich offensichtlich gerne folterst«, murmelte er mehr zu sich als zu ihr. »Es ist bloß ein dummer Tanz«, gab Temari zurück. »Fünf Minuten, dann ist die Sache erledigt und du musst es nie wieder tun.« Ja, dann konnte er ein Häkchen hinter eine Tätigkeit machen, die ihm gleichgültig war. Ein echter Lichtblick. »Gut«, seufzte er, »bringen wir es hinter uns.« Damit ich im Anschluss wieder in Selbstmitleid zerfließen kann, dachte er verdrossen. Kapitel 7: Orangenduft ---------------------- Zu Shikamarus Glück lief ein schneller Song. Er konnte einen Sicherheitsabstand zu Temari halten, der Berührungen auf ein Minimum reduzierte und das war ihm mehr als recht. Sie tänzelten umeinander herum, bewegten sich nach Lust und Laune und er musste zugeben, dass es fast ein bisschen Spaß machte. Einen Punkt gab es allerdings, der ihm die Sache verleidete: Er musste seine Frau zwar nicht anfassen, aber sie sah in ihrem engen, roten Kleid und mit der eleganten Hochsteckfrisur immer noch extrem heiß aus. In seinem Mund sammelte sich Speichel an und er schluckte ihn herunter. Und wie gottverdammt heiß sie aussah! Kleider und Röcke trug sie im Alltag auch, doch von ihrem sonst eher rigorosem Auftreten war keine Spur mehr zu sehen. Sie konnte ihm nicht weismachen, dass sie nicht wusste, was sie nach der langen Durststrecke in ihm auslöste. Sie provozierte ihn mit voller Absicht! Er kaute auf seiner Unterlippe herum. Warum ließ er sich das von ihr gefallen? Er war so ein Depp. Die letzten Töne des Liedes verstummten. Ein Augenblick herrschte Ruhe, dann kündigten ruhige Pianoklänge eine Ballade an. Genau das hatte ihm gefehlt! Shikamaru fasste seinen Tisch ins Auge. Er musste nur schnell genug sein und – Temari klammerte sich an seinen Arm. »Du willst doch nicht etwa gehen?« »Von einem Tanz war die Rede«, sagte er. »Ich habe mein Soll erfüllt.« »Wenn du das ernsthaft als Tanz bezeichnest, solltest du die Definition des Wortes mal nachschlagen.« Er knurrte in Gedanken. Natürlich gab sie sich damit nicht zufrieden. Hätte er sich an ihrer Stelle auch nicht. Verdammt! »Diese langsamen Tänze sind nichts für mich«, argumentierte er rasch. »Ich werd mich wie ein Idiot anstellen.« »Na, und?«, erwiderte sie und zuckte die Achseln. »Wir haben eben schon wie die letzten Volldeppen ausgesehen und ich bin alles andere als eine begnadete Tänzerin.« »Siehst du, also lassen wir es besser gleich.« »Nichts da!« »Ich trete dir bloß auf die Füße!« »Das Risiko nehme ich in Kauf.« »Wenn es dich beruhigt, übernehme ich die Führung.« »Du meinst, wie sonst auch?« Temari verpasste ihm einen Klaps auf den Nacken und ging nicht weiter auf seine Bemerkung ein. »Drei Minuten zum Takt der Musik zu wackeln, bringen dich nicht um«, sagte sie und verschärfte ihren Tonfall: »Ich hingegen bin in der Lage, dir was wenig Nettes anzutun.« Ha, als ob sie das nicht schon die ganze Zeit über tat! Sie setzte ihren wundervollen Körper in Szene und forderte seine Hormone bis zum Letzten heraus! Was war daran bitteschön nett? Das war pure Folter und er hatte nicht die geringste Chance, ihr zu entkommen, wenn er nicht riskieren wollte, dass sie gleich morgen früh ihre Ehe annullieren ließ. Shikamaru schloss die Augen, nahm ein paar tiefe Atemzüge und rief sich Mirais verschmiertes Gesicht in Erinnerung, den Gestank, als sie sich weinend in seine Arme geworfen und es an seinem T-Shirt abgewischt hatte. Schaudernd rümpfte er die Nase und stellte sich der größten Herausforderung, die sich ihm seit dem letzten Krieg in den Weg stellte. --- Temari platzierte seine Hände auf ihrer Hüfte und warf ihre um seine Schultern. Shikamaru versuchte, ihren Orangenduft zu übertünchen, indem er unablässig an Mirais Missgeschick dachte. Sie setzte sich in Bewegung und er folgte ihren Schritten. Langsam drehten sie sich umeinander, er mit geschlossenen Lidern und dem widerlichen Bild vor Augen, das ihn von einer Dummheit abhielt. Note um Note verstrich, Geigen und Streichinstrumente stimmten ein und trieben das Lied unweigerlich voran und auf den Höhepunkt zu. Eine Minute noch, dachte er erleichtert, dann hatte er es geschafft und erfolgreich diesem dummen, menschlichem Trieb widerstanden. Eine verdammte Minute noch, bis seine Frau hoffentlich genug hatte und ihn in Ruhe ließ, bis sie zu Hause waren. Zu Hause … Der rettende Grashalm, der ihn vor dem Ertrinken bewahrte, verschwamm vor seinem geistigen Auge. Shikamaru klammerte sich an ihm fest und sein Wille war stark, doch es geschah etwas, das nicht auf seiner Rechnung gestanden hatte. Temari zog ihn ganz nah an sich und vergrub ihr Gesicht an seinem Hals. Der wunderbare Geruch ihres Parfüms, die Nähe zu ihr, die Wärme ihres Körpers, der sich an seinen schmiegte, überwältigte ihn wie eine Sturmflut. Der Halm riss und schickte ihn auf eine Reise in die tiefsten Abgründe seines Seins. Er fluchte innerlich, öffnete die Augen und analysierte die Umgebung. Als er das Ziel – es war eine offenstehende Tür hinter dem Vorhang, durch die vor und während der Aufführungen die Darsteller kamen – ausgemacht hatte, steuerte er unauffällig auf sie zu. Er behielt die anderen Paare im Blick und als er sich sicher war, dass es niemand sehen würde, führte er Temari, die noch keinen Schimmer zu haben schien, mit einer Drehung hindurch in die Dunkelheit des Vorraumes. Rasch hob er sie auf einen Tisch, der in einer Ecke stand und als sie sich irritiert von ihm löste, schnitt er ihr jeglichen Protest ab, indem er seinen Mund auf ihren presste und sie küsste. Zuerst erwiderte sie seinen Kuss, doch als seine Hand ihr Knie entlangstrich und unter ihr Kleid fuhr, packte sie ihn mit der einen am Handgelenk und drückte mit der anderen gegen seine Brust, sodass er gezwungen war, von ihr abzulassen. Dies gelang ihr allerdings nur kurzzeitig. Er verlagerte seinen Angriffswinkel, brachte sie zum Liegen und küsste sie abermals. Noch perplex von seiner ungewohnt offensiven Reaktion ließ sie es einen Moment lang zu, dann stieß sie fester als beim ersten Mal zu. Sie brachte ihn nicht einmal zum Taumeln, ermöglichte sich jedoch so viel Freiraum, dass sie ihre Arme zwischen sich und ihm platzieren konnte, sodass sie gegen jeden weiteren Angriff gewappnet war. Die Ernüchterung in seinem Blick rief ihr schlechtes Gewissen hervor. Und so gern sie ihm auf der Stelle nachgeben hätte, tat sie es nicht. »Nebenan sind mehr als zwanzig Leute«, setzte Temari ruhig zum Sprechen an. Ihre Augen huschten zur Halle herüber. »Und die Tür ist auch offen.« »Ich mach sie zu«, entgegnete Shikamaru und huschte zu ihr herüber. »Meinst du, niemand wird bemerken, dass wir nicht da sind?« »Ist mir egal«, gab er zurück und griff zum Türknauf. »Mir«, sagte sie mit Nachdruck, »ist es aber nicht egal. Ich möchte nicht, dass alle Gäste über uns tuscheln, weil du nicht bis nach der Feier warten konntest.« Er hielt in der Bewegung inne und starrte an den Türrahmen. Es war egal, was er heute anging: Alles war zum Scheitern verurteilt. Jetzt war er sogar verheiratet und konnte immer noch nicht Sex haben, wann er wollte, obwohl seine Frau wie er Lust darauf hatte. Das Leben konnte so ungerecht sein. »Es sind nur ein paar Stunden«, fuhr sie aufmunternd fort. »Du hast es seit heute Nachmittag ausgehalten, dann überbrückst du die Zeit bis nachher doch mit links.« Er wusste, dass es ein absoluter Reinfall werden würde, wenn er sich auf ihre Vertröstung verließ. Wenn es nicht ihre Müdigkeit war, kam irgendetwas anderes dazwischen. So war es immer, wenn sie auf einer Feier gewesen waren. Shikamaru vergrub die Hände in seinen Hosentaschen, wandte sich um und ging wortlos an ihr vorbei. Sie sprang vom Tisch auf. »Wo willst du hin?« Er stoppte vor der Tür, an der ein Schild mit einem blauen Männchen und der Aufschrift Umkleide befestigt war und stieß sie auf. »Nirgendwohin«, murrte er, ohne sie anzusehen. »Ich brauch ’ne kalte Dusche.« Bevor sie etwas erwidern konnte, verschwand er in dem Raum und warf die Tür hinter sich zu. --- Temari kehrte in die Festhalle zurück. Es gefiel ihr nicht, dass sie ihn sich selbst überließ und ihre Hochzeitsfeier für ihn komplett verdarb. Dennoch war es die einzige Möglichkeit, die ihr blieb, wenn sie dumme Sprüche und Kommentare für die nächsten Jahre vermeiden wollte. Sie bahnte sich einen Weg zwischen den Paaren hindurch zu ihrem Tisch, an dem niemand saß, ließ sich auf ihren Stuhl fallen und seufzte. Sie hätte ihm zu gerne diesen Gefallen getan, aber welches frisch getraute Ehepaar trieb es schon auf der eigenen Feier heimlich in irgendeiner Rumpelkammer? Das war eine erbärmliche Erinnerung an eine Hochzeitsnacht. Ein selbstironisches Grinsen huschte über ihre Lippen. Wenn sie Shikamaru noch länger schmoren ließ, ruinierte sie seine Erinnerung an den Abend für den Rest seines Lebens – und er ihre mit seiner schlechten Laune gleich mit. Das war noch erbärmlicher, als eine schnelle Nummer in einer Umkleide zu schieben. Fakt war, dass sie nicht nur für ihn, sondern auch für sich die Feier rettete, wenn sie nachgab. Und was war ihr wichtiger? Dass die Leute nichts zu tuscheln hatten oder ein zufriedener Mann? Sie bemerkte, wie Ino auf sie zusteuerte und sich auf den freien Platz neben sie warf. Ihre Trauzeugin litt vom ausgelassenen Tanzen noch unter Schnappatmung, ihr Gesicht war rot und ihr Make-up, auf das sie viel Wert legte, hatte sich um die Augen herum selbstständig gemacht. Sie schnappte sich eine unbenutzte Serviette, fächelte sich mit ihr kühle Luft zu und setzte das zufriedenste Lächeln auf, das Temari je bei ihr gesehen hatte. »Hab ich dir schon gesagt, dass diese Feier großartig ist?«, japste sie. »Die Hochzeit von Naruto und Hinata war ein Totentanz dagegen.« »Ach, übertreib nicht.« Sie winkte ab. »So schlecht war es bei den beiden auch nicht. Die Musik war das Problem.« »Die war echt seltsam.« Ino nickte. Sie linste zu Sai herüber, der sich am Buffet ein Glas Wasser nach dem anderen eingoss und ihre Miene bekam einen verträumten Touch. »Ich hätte nie gedacht, dass er so ein begnadeter Tänzer ist. Die Darsteller aus diesen Tanzfilmen können gegen ihn einpacken.« Temari schmunzelte. »Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich Tanzstunden bei ihm genommen.« »Verkehrt wäre es nicht gewesen«, flachste sie. »Aber in dem Gewusel hat außer Shikamarus Mutter eh keiner auf euch geachtet. Und sie ist wahrscheinlich nur froh, dass ihr Sohn so eine tolle Frau wie dich abbekommen hat.« Sie setzte ein Lächeln auf, um Ino weiszumachen, dass sie sich geschmeichelt fühlte, obwohl sie dieses Kompliment nicht verdient hatte. Wenn sie eine tolle Frau wäre, würde sie ihrem Mann nicht aus Imagegründen den Tag ihrer Hochzeit vermiesen. Und wenn es nur um Sex ging, den er nach der langen Wartezeit wirklich verdiente. »Es geht mich zwar nichts an«, Ino näherte sich ihr und senkte die Stimme, »aber was ist heute Abend mit Shikamaru los? Ihr steckt nicht schon in der ersten Ehekrise?« »Nein.« Temari versuchte, überzeugend zu klingen und leierte sich rasch eine Ausrede aus dem Kreuz. »Ihm geht’s nicht so besonders. Ich glaube, das Stück von Yoshinos Zuckerkuchen, das er vorhin gegessen hat, ist ihm nicht gut bekommen.« Ihre Trauzeugin überlegte hin und her und bestätigte ihre Aussage mit einem Nicken. »Jetzt da du es erwähnst …«, begann sie, »Ich hab mich auch nicht wohl gefühlt, nachdem ich davon hatte.« Temari tippte eher darauf, dass es ihr schlechtes Gewissen war, weil ihr innerer Kalorienzähler ausgeschlagen hatte, behielt den Gedanken aber für sich. »Ist er Spazieren gegangen?« Ino warf ihr einen erwartungsvollen Blick zu und sie fühlte sich zu einer weiteren Lüge genötigt. »Ja, er hofft, dass es an der frischen Luft besser wird.« »Und ich hoffe für euch beide, dass es klappt.« Ihre Trauzeugin zwinkerte ihr zu. Temari Augenbrauen zuckten nach oben, doch sie verhinderte in letzter Sekunde, belustigt auszusehen. Ein spontaner Geistesblitz hatte sie getroffen. »Wegen der Hochzeitsnacht, meinst du?«, gab sie zurück und runzelte die Stirn. »Die wird heute sowieso nichts.« Ino schaute sie voller Mitgefühl an. Da sie nicht riskieren wollte, dass ihre Trauzeugin diese Information falsch interpretierte, flüsterte sie: »Mein Zyklus ist durch den Stress der letzten Monate etwas durcheinander. Schlechtes Timing.« »Ach, herrje!«, entgegnete sie bestürzt. »Ihr beide tut mir leid. Was ist denn eine Hochzeit, bei der man sich nicht auf die Hochzeitsnacht freuen kann?« Sie zuckte die Achseln. »Halb so wild. Wir holen es in ein paar Tagen nach.« Temari legte eine Pause ein, dann senkte sie abermals die Stimme. »Apropos: Hast du zufällig etwas für den Notfall?« »Leider nicht«, antwortete Ino, »aber eine hier leidet bestimmt mit dir mit.« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich möchte nicht, dass sich das hier herumspricht.« »Das kann ich verstehen.« Sie nickte. »Wenn man von meiner Hochzeit redet – die hoffentlich irgendwann kommen wird –, möchte ich auch nicht als arme Braut abgestempelt werden, die ihre Tage hatte … Soll ich für dich fragen?« »Danke«, sagte Temari, »aber ein kleiner Spaziergang nach Hause kommt mir nach dem Essen ganz recht.« Und da sie nicht wusste, ob Ino dieses Argument ausreichte, ergänzte sie: »Bei der Gelegenheit kann ich mir gleich eine Schmerztablette einwerfen.« »Mach das. Ich halte hier die Stellung und passe auf, dass niemand den Saal auseinander nimmt.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und nickte selbstsicher. »Wenn jemand nach dir fragt, sage ich, dass du dein Make-up zu Hause vergessen hast.« »Danke, bis später!« Temari fischte ihre Tasche unter dem Tisch hervor, stand auf und steuerte auf den Vorderausgang zu, entschied sich in letzter Sekunde um und machte einen Abstecher zu Kankurou. Doppelt hielt besser, wenn man dieser Redensart Glauben schenken konnte. Ihr Bruder stand am Buffet. Er hatte Daumen und Zeigefinger an sein Kinn gelegt, hielt in der anderen Hand einen großen Teller und seinen Stirnfalten nach zu urteilen, überlegte er angestrengt, was er sich als Zwischenmahlzeit gönnen sollte. Sie tippte ihm auf die Schulter und er fuhr erschrocken zu ihr um. »Schleich dich nicht so an!«, murrte er. »Oder willst du deinen Hochzeitstag jedes Jahr in Suna verbringen, weil du mich mit ’nem Herzinfarkt ins Grab gebracht hast?« »Überdramatisch wie eh und je«, seufzte Temari und kam ohne weitere Umschweife auf den Punkt: »Ich wollte dir nur Bescheid geben, dass ich eine Weile weg bin.« »Wie lange?« Ein Achselzucken. »Eine halbe bis Dreiviertelstunde.« Seine rechte Braue wanderte nach oben. »Weil?« »Mich hat ein gewisses Problem –« Er hob die Hände und brachte seine Schwester zum Schweigen. »Spar dir die Infos und verschwinde.« »Nur wenn du mir einen Gefallen tust.« Kankurou pickte sich ein paar Garnelen im Teigmantel aus einer Schale. »Kommt drauf an«, murmelte er. »Könntest du die Leute unterhalten, falls es unruhig werden sollte? Du übst dich doch seit einer Weile an ein paar Sketchen.« Er schürzte die Lippen und stierte seine Schwester an. Das zusammen mit seiner stacheligen Frisur – seine Kapuze hatte er wie seine lila Schminke im Schrank gelassen – erinnerte er sie an einen glotzenden Kugelfisch. »Warum sorgt dein werter Ehemann nicht für ein bisschen Entertainment?« »Siehst du ihn denn?«, fragte sie. Sein Blick schweifte flüchtig durch den Raum, als würde es ihn ohnehin nicht interessieren und er winkte ab. »Okay«, sagte er, »ich mach’s, falls es nötig sein sollte.« »Ich wusste, dass ich auf dich zählen kann!« Sie fiel ihn mit übertriebener Dankbarkeit um den Hals. »Was tut man nicht für seine einzige Schwester«, murrte er und befreite sich aus ihrer Umarmung. »Und jetzt hau ab!« Sie warf ihm ein Lächeln zu und verschwand durch die Eingangstür auf den breiten Korridor. Verstohlen sah sie sich nach unerwünschten Zeugen um, schlich an der Küche und den Toiletten vorbei und bog links in den nächsten Gang ab. Sie folgte ihm und stieß an seinem Ende an die zwei Türen, die in die Umkleiden führten. Sie drückte die Klinke der Linken herunter und öffnete sie einen Spalt breit, blickte sich um, um sicherzugehen, dass sie nicht beobachtet wurde und betrat den Raum. Die Luft roch abgestanden, als wäre ein paar Tage nicht gelüftet worden. Sie verdrängte diesen unwichtigen Eindruck und hielt nach ihrem deprimierten Mann Ausschau. Sie fand ihn in der hinteren Ecke des Raumes. Mit auf den Knien gestützten Ellenbogen saß er vorgebeugt auf einer Bank und starrte ins Leere. »Wolltest du nicht kalt duschen gehen?«, scherzte sie. Der kleine Spaß prallte an Shikamaru ab. »Nicht wirklich«, murmelte er tonlos. Seine Augen huschten zu ihren und betrachteten sie ohne Ausdruck. »Was machst du hier?« Sie zog eine Braue hoch. »Hast du gar keine Idee?« »Nein, deshalb frage ich«, gab er zurück. »Aber falls du vorhast, mich zurück zur Feier zu schleifen, muss ich dich enttäuschen.« Temari trat auf die Tür zu, die zum Nebenraum der Halle führte, schenkte ihrem Mann ein Lächeln, das er nicht quittierte und drehte den Schlüssel im Schloss um. Seine Miene regte sich nicht. »Wenn du mich hier einschließen möchtest, nur zu«, sagte er tonlos. »Damit tust du mir eher einen Gefallen. Dann muss ich mich wenigstens nicht zwingen, gut gelaunt auszusehen.« »Wenn du dich vorhin schon dazu gezwungen hast, ist das ordentlich daneben gegangen«, erwiderte sie. »Du bist ein grauenhafter Schauspieler.« »Was für ein Pech.« Er gähnte demonstrativ, lehnte sich zurück an die Wand und beobachtete seine Frau, wie sie mit prüfendem Blick aus dem Fenster schaute. Ihre Hand ging zur Jalousie und ließ sie herunter, bis das Licht durch die vielen Speichen gefiltert in den Raum fiel. Im Anschluss durchstöberte sie den Schrank, zog Handtücher und mehrere Bademäntel heraus und warf sie auf den Boden. »Was soll das werden?«, fragte Shikamaru, ohne wirkliches Interesse an einer Antwort zu haben. Temari ging zu der Tür zurück, durch die sie gekommen war. »Wonach sieht es denn aus?« Sie schloss sie ebenfalls ab und wandte sich mit zusammengezogenen Augenbrauen zu ihm um. Er hielt ihrem Blick stand und deutete ein Schulterzucken an. »Nach absoluter Verwirrtheit«, erwiderte er und obwohl nichts in ihrem Gesicht darauf schließen ließ, setzte er nach: »Du hast getrunken, oder?« »Nein, das hebe ich mir für später auf.« Ihre linke Hand fuhr auf ihren Rücken. »Zuerst muss ich verhindern, dass wir uns gegenseitig den Abend versauen.« Die Worte »Dafür ist es eh zu spät« waren auf dem Weg zu seinem Mund, doch als er beobachtete, wie sie den Reißverschluss ihres Kleides herunterzog, vergaß er sie auf der Stelle. Sie streifte sich einen der Träger von den Schultern und hielt beim zweiten inne. Ihre Brauen wanderten höher und zusammen mit ihren Lippen, auf denen ein sachtes Lächeln stand, schlich sich ein auffordernder Ausdruck auf ihr Gesicht. Temari wartete kurz ab, dann fragte sie: »Soll ich das allein erledigen oder möchtest du mir helfen?« Shikamaru löste sich aus seiner Erstarrung und obwohl er daran dachte, dass die Möglichkeit bestand, dass ihm seine Frau einen üblen Streich spielte oder er in einem wunderbaren Traum gefangen war, sprang er auf, stürzte zu ihr herüber und zog sie an sich. Er küsste sie, schickte seine Hände auf Wanderschaft, atmete ihren Orangenduft tief ein – und stellte fest, dass es weder ein Scherz noch ein Traum war. Kapitel 8: Eine schöne Erinnerung --------------------------------- Temari tastete nach einem Bademantel, zog ihn zu sich heran und deckte sich zu. »Das war …« »Furchtbar?«, ergänzte Shikamaru. »Grauenvoll? Der schlechteste Sex, den wir je hatten?« Sie lachte auf und schmiegte sich an seine Brust. »Deine gute Laune ist zurück?« »Wie könnte sie auch nicht?« Er nahm ihre linke Hand und kreuzte seine Finger mit ihren. »Das war –« »Großartig?«, unterbrach sie ihn. »Phänomenal? Der mit Abstand beste Sex, den wir je hatten? Dann hast du verdammtes Recht!« Er kam nicht umhin, sich am Kopf zu kratzen. »So übertreiben musst du auch nicht.« »Das ist keine Übertreibung«, gab sie zurück und strich sich durch den von Schweiß verklebten Pony. »Ehre, wem Ehre gebührt, wie es so schön heißt.« »Hör auf, mit Lob um dich zu werfen.« »Weil?« »Weil es zur Hälfte an dich geht und du die Messlatte für das nächste Mal nicht noch höher legen musst.« »Keine Bange«, sie tätschelte seine Brust, »das tue ich nicht. Das hier wird zwar schwer zu toppen sein, aber –« »Danke«, murrte er sarkastisch. »Aber – und vielleicht lässt du mich ausreden«, sie wartete, ob er etwas zu sagen hatte und setzte nach: »das erwarte ich nicht. Ich war vorher zufrieden und werde es weiterhin sein.« Shikamaru drückte als Antwort ihre Hand und spürte die Kühle des Eheringes, der an ihrem Finger steckte. Ein Schmunzeln schlich sich auf sein Gesicht. Diese wunderbare Frau hatte er nun fest an sich gebunden. Er hatte in seinem Leben noch keine bessere Entscheidung getroffen. »Siehst du«, sprach Temari weiter, »wenn du nur beharrlich genug bist, bekommst du das, was du willst.« Er schnaubte belustigt. »Gut zu wissen.« Sie lachte auf. »Und wenn es jetzt mit dem Baby noch nicht geklappt hat, weiß ich auch nicht.« Zur Verteidigung hob er seine freie Hand. »Ich habe mein Bestes gegeben. Jetzt liegt’s an dir.« »Und falls es nicht sofort funktioniert«, sie fuhr sich rasch über ihren Bauch, »ist es auch nicht schlimm. Obwohl mir der Gedanke gefällt, dass wir an unserem ersten Hochzeitstag in einem Jahr schon Eltern sein könnten.« Er drückte ihr einen Kuss auf. »Warten wir es ab.« Sie lächelte, küsste ihn und sank zurück an seine Schulter. Sie betrachtete das Licht, das in Streifen gefiltert neben ihnen auf den Holzfußboden fiel. Es war deutlich dunkler in dem Raum geworden. »Am liebsten«, setzte sie an, »würde ich mit dir hier liegen bleiben.« »Warum bleiben wir nicht?« »Vielleicht«, sie prustete amüsiert, »weil wir beide seit einer geschlagenen Dreiviertelstunde auf unserer Hochzeitsfeier fehlen?« »Erst?«, fragte er teilnahmslos. »Dann kommt es auf eine weitere Viertelstunde nicht an.« Er drückte seinen Mund gegen ihren Hals und küsste ihn. Seine Hand schob den Bademantel von ihrem Körper, wanderte zu ihrer Hüfte … Temari umschloss sein Handgelenk. »Eine zweite Runde kann bis nach der Feier warten, oder?«, fragte sie. Shikamaru ließ von ihr ab, setzte sich auf und musterte sie mit einem Blick, den sie unmöglich deuten konnte – und der einen Alarm in ihr auslöste. »Okay«, lenkte sie mit ruhiger Stimme ein, »falls es dich deprimiert, wenn wir es nicht auf der Stelle noch mal tun, leg schnell los.« Er starrte sie einen Moment an, dann murmelte er ein »Danke, ich verzichte« und legte sich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen zurück. Sie musterte ihn einen Augenblick, ließ ein Grinsen aufblitzen und raffte sich auf, um sich anzuziehen. Sie streifte sich das Kleid über, schloss geschickt den Reißverschluss und beugte sich mit in die Hüften gestemmten Händen über ihren Mann. »Aufstehen«, sagte sie. »Ausruhen ist nicht.« »Also muss ich zurück zur Feier?« Sie nickte demonstrativ. »Ich hab keine Lust, Alleinunterhalterin für deine Gäste zu spielen.« Sie rechnete im Kopf kurz durch und fuhr fort: »Von meiner Seite sind nur meine Brüder und Matsuri hier. Die Mehrzahl der Leute hast du eingeladen.« »Und wir haben keine gemeinsamen Freunde?«, warf er ein. »Bekannte ja, Freunde nein«, korrigierte sie ihn. »Immer, wenn ich aus irgendwelchen Gründen hier war, hab ich mich ausschließlich mit dir abgegeben.« »Bereust du es, dass du nicht mehr Kontakte geknüpft hast?« »Wäre ich sonst hier?« Sie lachte. »Du weißt, dass ich kein besonders sozialer Mensch bin und mir Freundschaften nicht viel bedeuten.« »Und dann ziehst du zu mir und gibst alles auf, das dir etwas bedeutet?« Temari zuckte die Achseln. »Gaara und Kankurou sind mir unglaublich wichtig«, begann sie, »aber sie sind erwachsen und können auf sich selbst aufpassen.« »Heißt das«, setzte Shikamaru langsam an, »dass du nur aus dem Grund hier bist, weil ich nicht auf mich achtgeben kann?« »Ab und zu schadet es nicht, wenn ich ein Auge auf dich habe, das stimmt.« Sie hob sein Hemd vom Boden auf und reichte es ihm. »Aber du bist trotzdem ein Depp.« Er zog es an und fragte im Anschluss: »Warum?« »Wenn du annimmst, dass ich dich geheiratet habe, damit ich dich bemuttern kann«, sie sammelte den Rest seiner Kleidung zusammen, »liegst du mehr als falsch.« Er konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Natürlich verstand er, was sie ihm damit sagen wollte, doch er fragte: »Und warum hast du mich geheiratet?« Sie nahm seinen Kragen in ihre Hände, richtete ihn mit ein paar Griffen und schloss mit ihrem wunderbaren Lächeln: »Weil ich dich liebe, du Idiot.« --- »Wie sehe ich aus?«, wollte Temari wissen. Shikamaru betrachtete sie und zuckte die Schultern. »Normal?« Sie rümpfte die Nase. »Was ist das denn für eine Antwort?« »Die, von der ich gedacht habe, dass du sie hören möchtest?« »Dann hast du falsch gedacht«, sagte sie. »Was willst du hören?« »Ich möchte wissen, ob mein Make-up in Ordnung ist.« »Warum fragst du mich dann, wie du aussiehst?« »Weil –« Sie musterte ihren Mann und stieß ein Seufzen aus. »Stimmt, ich hätte es besser wissen müssen.« »Nein, du hättest mir die richtige Frage stellen sollen«, verbesserte er sie. »Nebenbei bemerkt hast du das Beste aus deiner Schminke herausgeholt. Außer Ino wird niemand merken, dass du sie neu gemacht hast.« Temari prüfte ihr Gesicht und nickte. Sie war zufrieden. Jetzt gab es noch eine Baustelle. Sie griff in ihre Tasche, holte den Flakon mit ihrem wunderbar duftenden Parfüm heraus und sprühte sich großzügig ein. »Erledigt«, meinte sie. »Und was machst du, um den Geruch von Liebe zu überdecken?« »Ich könnte mir die Fruchtbowle vom Buffet über den Kopf schütten«, scherzte er. »Oder ich hätte in der Zeit, die du mit Schminken verbracht hast, duschen gehen können.« Sie hob eine Braue und er starrte sie irritiert an. »Worauf wartest du?«, fragte sie. »Ab unter die Dusche mit dir!« »Ich dachte, wir müssen schnell zur Feier zurück!« »Ich muss zur Feier zurück«, betonte sie. »Du bist wegen einer Magenverstimmung spazieren. Niemand fragt nach, wenn du noch zwanzig Minuten länger wegbleibst.« Shikamaru griff sich ein Handtuch und verschwand in die nächste Duschkabine. Sekunden später plätscherte das Wasser. Temari startete noch einen Versuch, ihre Frisur zu retten. Mit den vielen Strähnen, die überall herausgefallen waren, war es ein aussichtsloses Unterfangen. Sie löste alle Spangen und Klammern und trug die Haare offen. Falls Ino sie danach fragte, fiel ihr schon eine gute Ausrede ein. Sie sammelte alle Tücher und Mäntel ein, beförderte sie in den Wäschesack neben der Tür und ging zum Fenster, zog die Jalousie hoch und öffnete es. Vorsichtig blickte sie nach draußen und da sie außer einem Fuchs, den sie bei der spätabendlichen Suche nach Abfällen störte, kein lebendes Wesen sah, stieg sie hindurch. Ein Schmunzeln stahl sich auf ihre Lippen, als sie in Richtung des Vordereingangs huschte. Was tat eine Frau nicht alles, damit ihr Mann glücklich und zufrieden war? --- Die Stimmung der Leute war außer sich, als sie die Halle betrat. Durch das Johlen und Applaudieren der Gäste tönten sogar ein paar Zugabe-Rufe. Temari versuchte die Quelle des allgemeinen Enthusiasmus auszumachen und blickte zur Bühne. Kankurou drückte einem Kellner das Mikrofon in die Hand und schlurfte mit den Händen in den Hosentaschen und vom Beifall begleitet direkt auf sie zu. »Das tue ich nie wieder für dich!«, murrte er. »Warum denn?«, fragte seine Schwester nichtsahnend. »Die Leute sind doch begeistert.« »Ja, jetzt sind sie das.« Seine Augenbrauen wanderten so weit zusammen, dass sie fast zu einer einzigen verschmolzen. »Aber die ersten zwanzig Minuten waren die schlimmsten meines Lebens.« »Es war dein erster Auftritt vor einer größeren Menge, oder?« »Vor einer Menge, die nichts mit schwarzem Humor anfangen kann«, erklärte er. »Die einzigen, die sich amüsiert haben, waren Sai und Naruto. Und unser lieber Bruder hat ab und zu ein Grinsen aus Höflichkeit zur Schau gestellt.« Sie blickte sich um. Keiner der Gäste wirkte auf sie, als hätte er keinen Spaß mit der Performance ihres Bruders gehabt. »Du scheinst rechtzeitig die Kurve gekriegt zu haben.« Sie zuckte die Achseln. »Also warum beschwerst du dich? Sei mir lieber dankbar, dass ich dir diese Möglichkeit verschafft habe.« »Ich mache schwarz-humoristische Stand-up-Comedy! Ich hab keine Lust, zweideutige Witze und Improvisationstheater zu veranstalten, um andere zu unterhalten.« Er räusperte sich und funkelte sie missgelaunt an. »Aber ich kann natürlich aus Dankbarkeit vor dir auf die Knie gehen und dir die Füße küssen.« Sie hob beschwichtigend die Hände. »Das brauchst du wirklich nicht. Ehrlich, danke, dass du mir den Rücken freigehalten hast.« Kankurou verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich hoffe, der Sex hat sich wenigstens gelohnt.« »Wie bitte?«, fragte sie perplex. »Wovon –« »Vielleicht sind alle anderen hier blind, liebestrunken oder was auch immer.« Er streckte Daumen und Zeigefinger aus, deutete auf ihre und dann auf seine Augen. »Aber ich hab gute Gucker. Mir ist nicht entgangen, wie dich dein Mann dezent« – ein erneutes Räuspern – »in den Raum hinter die Bühne komplimentiert hat.« »Und?« »Er kam nicht zurück und du hast dich keine zehn Minuten später unter einem Vorwand aus dem Staub gemacht«, sagte er. »Da musste ich nur eins und eins zusammenzählen.« Temari überlegte, ob sie darauf bestehen sollte, dass sie zu Hause gewesen war und entschied sich dagegen. Ihr Bruder kannte sie viel zu gut und kaufte ihr keine – aus seiner Sicht – hanebüchene Lügengeschichte ab. »Okay, wir haben die Hochzeitsnacht vorgezogen«, gab sie zu, wobei sie flüsterte. »So schlimm ist das auch nicht.« Sie legte ihm einen Arm um die Schultern und zog ihn abrupt an sich, wie sie es in ihrer Kindheit immer getan hatte, wenn sie ihm geholfen hatte. »Dank dir hat uns niemand vermisst.« »Allerdings«, betonte er. »Ich hoffe, mein Einsatz war nicht für die Katz.« Sie runzelte die Stirn. »Warum sollte er?« »Weil ich ernsthaft enttäuscht sein werde, wenn nicht bald ein Neffe oder eine Nichte für mich herausspringt!« »Was meinst du, woran wir gerade arbeiten?« Sie senkte abermals ihre Stimme und fuhr fort: »Aber verrate es niemandem. Sonst fragen die Leute ständig nach und psychischen Stress kann man nicht gebrauchen, wenn man schwanger werden möchte.« Kankurou befreite sich aus ihrem Griff und knuffte sie in die Seite. »Mein Mund ist verschlossen.« Er hob die Hand vor sein Gesicht, zog einen imaginären Reißverschluss zu und wandte sich zum Gehen. »Ach, Bruderherz«, rief sie ihm spontan nach. Er blieb stehen und blickte über seine Schulter zu ihr herüber. »Du wirst mir fehlen«, sagte sie mit einem Lächeln. Er quittierte es mit dem dreistesten Grinsen, das sie je bei ihm gesehen hatte. »Das will ich schwer hoffen!«, wetterte er ihr entgegen. Beide prusteten los. --- »Geht es dir besser, mein Junge?« Yoshino musterte ihn mit besorgtem Blick von oben bis unten. »Ich hab es von Ino gehört … Dass dir das ausgerechnet auf deiner eigenen Hochzeit passieren muss!« Wie Recht sie hatte. Dass seine Mutter ausgerechnet auf seiner Hochzeit anfangen musste, ihn zu bemuttern … »Mir geht’s großartig«, antwortete Shikamaru wahrheitsgemäß. »Es war schließlich nicht meine erste Magenverstimmung.« Was für eine simple Ausrede … Und glücklicherweise schluckte sie jeder. Das Leben konnte so einfach sein. Yoshino kam ein Stück weiter auf ihn zu und setzte abermals ihre übertrieben besorgte Miene auf. »Bist du in einen Regenschauer geraten?« »Nein«, stammelte er perplex. Ha, von wegen einfach … Da hatte er sich wohl zu früh gefreut. »Warum sind deine Haare nass?« Er starrte sie einen Augenblick an, fuhr sich mit der Hand über den Hinterkopf und fluchte innerlich. Seine Mutter achtete auf jedes Detail. Warum hatte er nicht darauf geachtet, sie komplett trockenzuföhnen? Ein Erinnerungsfetzen schoss ihm durch den Kopf. Am Tag, an dem er Temari den Antrag gemacht hatte, hatte Yoshino ihn mit derselben Frage gelöchert. Und nun konnte er davon profitieren, dass er ihr damals nicht darauf geantwortet hatte. »Ein Junge hat mir eine Wasserbombe an den Kopf geworfen«, log er rasch. Ihm wurde erst hinterher bewusst, was das für eine geniale Ausrede war. Sie war einfach und logisch. Und seine Mutter mochte einfache und logische Erklärungen. »Tatsächlich?« Sie stemmte ihre Hände in die Hüften. »Wer war es? Dieser Bengel von nebenan?« »Keine Ahnung, irgendein Kind eben«, gab er zurück. »Ist nicht weiter wichtig.« »Für mich schon!«, wetterte Yoshino los. »Diesem Balg, das es gewagt hat, meinen Sohn an seinem Hochzeitstag einen Streich zu spielen, werde ich auf die Schliche kommen und –« »Mutter!«, unterbrach Shikamaru sie. Sie schaute ihn missgestimmt an. Sie war es nicht gewohnt, dass ihr jemand ins Wort fiel – erst recht nicht ihr einziges Kind. Er ließ sich nicht von ihrer starren Miene beeindrucken und fuhr fort: »Ich bin kein kleiner Junge mehr, auf den du aufpassen musst.« Und als sie nichts sagte, schloss er: »Ich bin jetzt ein verheirateter Mann und Temari sorgt sich mehr als genug für euch beide um mich.« Yoshinos Gesichtszüge wurden sanfter und schließlich erschien ein Lächeln auf ihrem Gesicht. »Stimmt«, sagte sie, »und wie ich deine Frau einschätze, gibt es niemanden, der es besser machen könnte als sie.« --- Ino hielt ein Glas Sekt in die Höhe. »Auf die Braut!«, jauchzte sie und lachte. »Auch wenn sie aus unerfindlichen Gründen ihre tolle Frisur ruiniert und in ihrem Parfüm gebadet hat.« Karui und Sakura brüllten vor Lachen und stießen mit ihr an und Temari machte nach kurzer Überlegung mit. Sie leerte ihr Glas noch vor den anderen und schenkte sich nach. Sakura kicherte. »Du willst dich doch nicht vor der Hochzeitnacht betrinken?« Sie winkte ab. »Glaubst du, dass mir ein bisschen Fusel etwas ausmacht?« »Dir?« Ihre grünen Augen musterten sie kritisch, bevor sie loslachte. »Auf keinen Fall!« Temari stimmte mit ein und Ino und Karui ließen sich ebenfalls zum Lachen hinreißen. Als das letzte Glucksen verstummt war, trat ihre Trauzeugin ein Gespräch über Kankurous Auftritt los. Im Wechseln gaben sie ihre Lieblingswitze und -parodien wider und obwohl es ihnen nicht halb so gut gelang, konnten sie sich vor Lachen kaum halten. Temari lächelte vor sich hin. Ihr kleiner Notnagel hatte sich als Highlight des Abends herausgestellt und das stimmte sie fast so glücklich wie die Tatsache, dass Shikamaru seit seinem Wiederkommen viel bessere Laune hatte. Ihr Blick schweifte durch den Raum. Kankurou hatte sich zu ihren Kollegen aus der Zeit der Chuuninprüfung gesellt und veranstaltete mit Kotetsu ein Wetttrinken; Gaara und Matsuri führten eine angeregte Unterhaltung mit Naruto und Hinata und auch keiner der anderen Gäste schien sich zu langweilen. Sie schaute zu dem Tisch, an dem es am lautesten war. Kiba lachte so sehr, dass er vom Stuhl gefallen wäre, wenn Shino und Tamaki ihn nicht an beiden Seiten festgehalten hätten und Chouji hielt sich vor Lachen den Bauch. Temari versuchte sich vorzustellen, worüber sie sich amüsierten, als ihr auffiel, dass Shikamaru nicht mehr neben seinem besten Freund saß. Sie wollte sich gerade nach ihm umsehen, als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte. Sie wandte sich um und bevor sie ihren Mann fragen konnte, warum er sich angeschlichen hatte, nahm er ihr Handgelenk und bedeutete ihr, aufzustehen. »Ich schulde dir einen Tanz«, erklärte Shikamaru auf ihren argwöhnischen Blick hin. Temari schmunzelte. »Bist du dir sicher, dass du dir diese Peinlichkeit noch mal antun möchtest?« »Wie gesagt«, wiederholte er, »ich schulde ihn dir. Vorhin hab ich mir nicht wirklich Mühe gegeben.« »Du meinst, du warst nicht in der Lage, dir Mühe zu geben, oder?« Er nickte. »Weder physisch noch psychisch.« Sie lachte, streckte ihren Arm nach ihm aus und ließ sich von ihm aufhelfen. Sie bemerkte, dass das Gespräch an ihrem Tisch verstummt war und alle Augen auf ihr lagen. Temari warf ihren Gesprächspartnerinnen ein Lächeln zu, murmelte ein heiteres »Entschuldigt mich« und ließ sich von Shikamaru zur Tanzfläche führen. --- Mit langsamen Schritten bewegten sie sich in Kreisen über das Parkett. Sie waren das einzige Paar auf der Bühne und um nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, hielten sie sich im hinteren Bereich nahe der Tür auf. Er wollte das Debakel von vorhin wiedergutmachen, deshalb sollte dieser Tanz nur seiner Frau gehören. Seine Hände ruhten auf ihrer Taille und obwohl er keine Ahnung hatte, was er tat, geleitete er sie von einem Klang zum nächsten, führte den Tanz an und vermied jeden möglichen Fehltritt. Der Duft ihres Parfüms umgab sie und obwohl er so stark war, löste er keine Gefühle in ihm aus, die unterdrückt werden mussten. Temari roch wundervoll und die Erinnerung daran, wie sie sich berührt und geküsst hatten, reichte ihm im Moment. Shikamaru spürte einen unerwarteten Atemzug an seinem Hals. Sie unterdrückte ein Auflachen. »Hab ich dich getreten?«, fragte er im Affekt, weil er nicht wusste, was sie zum Lachen gebracht haben konnte. »Nein«, erwiderte sie rasch und fuhr amüsiert fort: »Ich hätte nur nicht gedacht, dass du dich beim Tanzen so graziös bewegen kannst.« »Graziös?« »Klingt besser als einigermaßen rhythmisch, oder?« Nun musste er lachen. »Viel besser.« Er zog sie näher zu sich und sie schmiegte sich an seine Schulter. Still tanzten sie so, bis das Lied allmählich ausklang. »Danke«, sagte Temari während der letzten, hörbaren Takte. »Wofür?«, fragte Shikamaru. »Dass ich dir nicht auf die Füße getreten bin?« »Auch«, entgegnete sie belustigt, »aber vor allem für den schönen Abend.« »Der Abend ist noch nicht vorbei«, bemerkte er, »also freue dich lieber nicht zu früh.« Sie machte sich ein Stück von ihm los, sodass sie ihm in die Augen sehen konnte. »Hey, wir beide sind zufrieden, also was soll noch schiefgehen?« Sie schenkte ihm das Lächeln, das er so an ihr liebte. Er erwiderte es flüchtig, beugte sich zu ihr herunter und drückte seinen Mund auf ihre weichen, ungeschminkten Lippen. Sie schloss die Augen und obwohl sie diese Art Liebesbekundung in der Öffentlichkeit mied, erwiderte sie den Kuss. Der Griff ihrer Arme, die sie hinter seinem Nacken verschränkt hatte, verstärkte sich instinktiv. Dasselbe geschah mit seiner Umarmung. Er hielt sie fest, als würde er sie nie wieder loslassen wollen und das schenkte ihr eine Sicherheit, die sie in so vielen Jahren ihres Lebens vermisst hatte. Unbewusst stellte sie sich auf die Zehenspitzen, um ihn noch besser küssen zu können und – Temari vernahm ein leises Klicken. Das Geräusch war für ein ungeschultes Ohr kaum zu hören, doch sie erkannte sofort, was es war – und sie wusste, dass es Shikamaru genau so gehen musste. Sein Mund lag zwar noch auf ihrem, den Kuss hatte er jedoch eingestellt. Widerstrebend machte sie sich von ihm los, blickte in das Objektiv einer Kamera und in das strahlende Lächeln von Yoshino. Sprachlos starrten die beiden die Frau an und bevor Shikamaru seine Fassung wiedererlangte, um sie zu fragen, was das sollte – und die Frage lag ihm auf der Zunge –, bemerkte seine Mutter: »Das ist garantiert das schönste Foto des Abends.« Schlagartig fand ihr Sohn seine Worte wieder: »Um das wir dich nicht gebeten haben«, sagte er verstimmt. Yoshino verstaute die Kamera in ihrer Tasche und stemmte die Hände in die Hüften. »Jetzt regst du dich über mich auf, aber in ein paar Jahren wirst du froh darüber sein, dass ich das Bild gemacht habe.« Sie zwinkerte ihm zu und das ärgerte ihn noch mehr. Er suchte Temaris Blick und zu seiner Überraschung lächelte sie. Sie tastete nach seiner Hand und kreuzte ihre Finger mit seinen. »Leg dich nicht mit ihr an«, flüsterte seine Frau. »Aber –« Mit einem angedeuteten Kopfschütteln brachte sie ihn zum Verstummen. »Wer weiß«, fuhr sie fort, »vielleicht ist das Foto für uns in ein paar Jahren tatsächlich eine schöne Erinnerung.« Sie sollte Recht behalten. Kapitel 9: Getrübtes Glück -------------------------- Temari übernahm nach der Hochzeit vorübergehend den Posten als Botschafterin für die Chuunin-Auswahlprüfung, den sie vor dem Krieg innegehabt hatte. Sie mochte den Job. Er ermöglichte ihr, regelmäßig ihre Brüder zu sehen und wenn sie nicht mit der Planung der Prüfung zu tun hatte, erledigte sie einfache Missionen. Zwar hatte sie sich noch nicht daran gewöhnt, dass sie das Zeichen von Konoha auf ihrem Stirnband trug und die gelegentlichen Botengänge zu anderen Dörfern ähnelten gemütlichen Wanderungen, bei denen sie ihr Potenzial als Jounin nicht ausschöpfen konnte und musste, doch allmählich freundete sie sich mit diesem friedlichen Leben an. Und das Wichtigste für sie war: Sie führte eine harmonische und glückliche Ehe. In den sieben Monaten, seit sie mit Shikamaru verheiratet war, hatte es kaum Streit gegeben. Meist ging es um Kleinigkeiten, die sich im Alltag einschlichen und waren genauso schnell vergessen, wie sie aufgekommen waren. Alles lief großartig – bis zu diesem einen Tag. --- Es war Ende November. Der Wind wehte kalt durch die Bäume hindurch und die Sonne hatte sich durch die dichte Wolkendecke seit Tagen nicht gezeigt. Temari vergrub ihre Hände tiefer in ihren Jackentaschen. Obwohl sie ein Kind der Wüste war, machte ihr das ungemütliche Wetter nicht viel aus, doch nach einem neunstündigen Marsch konnte sie sich nichts Schöneres als ihr warmes Zuhause mit dem gemütlichen Sofa und einer Tasse Früchtetee zwischen den Händen vorstellen. Sie bog um die letzte Kurve und erkannte das Haupttor von Konoha, das in der fahlen Abenddämmerung dunkler wirkte, als es war. Sie hielt darauf zu, grüßte flüchtig Kotetsu und Izumo, die davor standen und mit Schere-Stein-Papier ausmachten, wer die glorreiche Aufgabe des Torschließens zu erledigen hatte – und blieb stehen. Eine Gestalt lehnte an der Wand des Postens, an dem sich die Wachen während ihrer Schicht aufhielten. Sie lag im Schatten verbogen, aber Temari wusste, dass es nur einer sein konnte. Sie trat auf ihren Mann zu und hauchte ihm zur Begrüßung einen Kuss auf. »Woher wusstest du, dass ich heute Abend ankomme?« Shikamaru hob die Brauen. »Weil man für Botengänge ins Eisenreich von hier aus immer viereinhalb Tage braucht?« »Wenn ich getrödelt hätte, hätte ich es nicht in der Zeit geschafft«, ergänzte sie. »Es hätte also sein können, dass du umsonst hier wartest.« Er schüttelte den Kopf. »Du trödelst nie.« Sie lachte und sie gingen los. »Und wie war es im Eisenreich?«, fragte er beiläufig. »Kalt«, sagte sie. »Kälter als sonst, meine ich.« »Darf ich dich dann zu einem warmen Essen einladen?« Temari dachte kurz an die Couch und die Tasse Tee, die nach ihr riefen, nahm die rechte Hand aus der Tasche und griff nach seinem Arm. »Gern.« --- Shikamaru führte sie in ein Restaurant aus, an dem sie zuvor nur vorbeigegangen waren. Die vergoldeten Fensterrahmen hatte von außen schon teuer auf sie gewirkt und die Inneneinrichtung unterstrich diesen Eindruck. Teure Vasen mit aufwändiger Bemalung standen in den Ecken und auf jedem Tisch befand sich ein kristallener Kerzenhalter. Temari hatte nicht viel Ahnung von Holz, doch die dunklen und edlen Möbel waren definitiv aus feinstem Mahagoni. Am liebsten hätte sie kehrt gemacht und wäre geradewegs zu Ichirakus Ramenstand gegangen, aber ihrem Mann zuliebe setzte sie sich auf den Stuhl, den er von dem Tisch am Fenster abgezogen hatte. Sie saß kaum, als der Kellner mit zwei Speisekarten zu ihnen herüberkam. Sie waren in echtem Leder gebunden. Ehrfürchtig nahm sie die Karte entgegen, die ihr der Mann im Smoking reichte und schlug sie auf. Als sie die Preise sah, hielt sie einen Moment den Atem an. Über den Rand blickte sie zu Shikamaru herüber. Er überflog unbeeindruckt seine Karte. »Wollen wir nicht lieber Ramen essen gehen?«, fragte sie. »Hier kannst du sicher auch welche bekommen«, antwortete er. Er hatte nicht verstanden, worauf sie hinauswollte. »Ich glaube nicht, dass sie genauso gut wie die von Teuchi schmecken«, gab Temari zurück und hätte sich für diesen jämmerlichen Widerspruch am liebsten geohrfeigt. Warum sagte sie ihm nicht, dass sie sich fehl am Platz fühlte? Weil sie ihn nicht vor den Kopf stoßen wollte? Weil sie die Atmosphäre des Restaurants einschüchterte, dass sie den Mund nicht auf bekam? Pah, was für ein Unsinn! »Dann such dir etwas anderes aus«, schlug er vor. »Zu Teuchi können wir morgen Mittag noch, wenn du möchtest.« Sie seufzte tonlos und blätterte eine Seite weiter. Es war nicht so, dass sie eine Ehe am Hungertuch führten, doch bei den Preisen wurde ihr schwindelig. »Shikamaru«, setzte sie erneut an und endlich blickte er sie an, »ich bin für so einen Laden nicht passend angezogen.« Er betrachtete sie kurz und zuckte die Achseln. »Was hast du denn an deinem Yukata auszusetzen?« »Nichts, wenn wir jetzt bei Ichirakus oder im Yakiniku Q sitzen würden«, sagte sie. »Davon abgesehen könnten wir in beiden Läden wir für das Geld, das wir hier lassen werden, einen halben Monat essen.« Sie beobachtete, wie seine Augenbrauen nach oben wanderten. »Warum sagst du nicht gleich, dass es dir nur darum geht?« Sein Blick lag noch zwei Sekunden auf ihr, bis er sich wieder dem Studieren der Speisekarte widmete. »Denk nicht weiter dran und such dir etwas aus.« Temari starrte ihn an und neigte ungläubig den Kopf. Als sie die Lippen spitzte, um zum Sprechen anzusetzen, fuhr er fort: »Bevor du fragst: Ich hab einen kleinen Bonus bekommen.« »Bonus?«, wiederholte sie. »Wofür?« »Für die erfolgreiche Aufzucht der Hirsche in diesem Jahr.« »Ich dachte, darum kümmern sich hauptsächlich deine Mutter und dein Onkel.« »Stimmt«, bestätigte er und warf ihr ein beinahe belustigtes Grinsen zu, »aber habe ich sie nicht ein paar Mal würdig vertreten?« Temari lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und überlegte. »Wenn du meinst«, begann sie, »dass du heute Abend deinen Bonus für ein viel zu teures Essen ausgeben musst, gut.« Sie musterte wieder die Karte, merkte sich die Nummer des Menüs, das sie bestellen wollte, und legte sie beiseite. Shikamaru tat es ihr nach und sah sich nach dem Kellner um, als sie fortsetzte: »Gibt es das Essen in dem Laden hier auch zum Mitnehmen?« Er blickte sie verwirrt an und fragte: »Willst du draußen in der Kälte essen?« Sie warf ihm ein Lächeln zu und schüttelte den Kopf. »Wenn uns deine Mutter schon mehr oder minder finanziert, müssen wir ihr was Leckeres mitbringen, oder?« Sie wartete nicht auf seine Antwort. »Außerdem haben wir uns zusammen länger nicht bei ihr blicken lassen.« Ihr Mann runzelte die Stirn. »Hast du ein schlechtes Gewissen?« Sie zuckte halbherzig die Achseln. »Du besuchst sie doch noch regelmäßig?« Er nickte. »Ich war in den letzten vier Tagen dreimal zum Abendessen bei ihr.« »Freiwillig?« »Bekocht mich sonst jemand, wenn du nicht da bist?« »Sie würde dich auch bekochen, wenn ich da bin«, sagte sie und bemerkte, dass sie sich besser fühlte. »Mich wundert es, dass du fast jeden Abend zu Hause bist und meine Giftbrühe hinunterwürgst, anstatt bei ihr zu essen.« »Es heißt: In guten, wie auch schlechten Zeiten.« Temari hob forschend eine Braue. »Und mein Essen sind die schlechten Zeiten?« »Was meinst du, warum wir hier sind?«, fragte Shikamaru mit einem unverschämt breiten Lächeln. Sie starrte ihn an – und lachte zusammen mit ihm los. ­--- »Bist du sicher, dass du dir das heute noch antun möchtest?« Ihre Hand, die auf dem Weg zu Yoshinos Türklingel war, hielt in der Bewegung inne. Die Couch und die Tasse Tee kamen ihr in den Sinn und hinzu gesellte sich die plüschige, rot-blau karierte Wolldecke, die ordentlich zusammengelegt auf der Lehne lag. An keinem Ort der Welt wollte sie im Moment lieber sein. Ein Ort, der für sie das Paradies und einen Fußweg von fünfzehn Minuten bedeutete, wenn sie auf der Stelle losgingen. Das Gewicht in ihrer anderen Hand hielt sie davon ab, auf der Stelle kehrt zu machen und morgen Nachmittag wiederzukommen. Sie neigte den Kopf und betrachtete das sorgsam in Alufolie verpackte Essen, das sie in einer Plastiktüte mit sich trug. Es war eine Verschwendung, wenn sie es wegwerfen würde und ein kurzer Plausch mit Shikamarus Mutter brachte sie nicht um. Und ob sie in einer oder in einer halben Stunde auf die Couch kam, machte für sie keinen Unterschied mehr. Temari antwortete ihm, indem sie die Klingel betätigte. Es dauerte nicht lange, bis Schritte zu hören waren und die Tür aufging. Yoshino blickte ihre beiden Besucher einen Augenblick überrascht an und ihr Mund bog sich zu einem Lächeln. Sie strahlte regelrecht. »Wie schön, euch zu sehen!« Die Frau trat auf ihre Schwiegertochter zu und öffnete die Arme für eine Umarmung. Temari ließ sich kein zweites Mal darum bitten, umfasste die Griffe ihres kulinarischen Mitbringsels fester und drückte Yoshino an sich. Als sie ihren Sohn mit einem sanften Klaps auf die Schulter willkommen geheißen hatte, fuhr sie fort: »Ich treffe mich nachher mit Inos und Choujis Müttern zum Spieleabend und hab nicht viel Zeit, aber kommt doch ein paar Minuten herein und fühlt euch wie zu Hause.« --- »Shikamaru hat mir erzählt, dass du wieder auf Mission warst«, begann die Frau, nachdem sie dankbar das Essen entgegen genommen hatte. »Wie ist es dir unterwegs ergangen?« »Auf dem Hinweg bin ich in einen Schneesturm geraten«, erzählte sie, »und die Gastfreundschaft im Eisenreich hält sich in Grenzen, aber sonst war es in Ordnung. Wie immer, könnte man sagen.« Yoshino füllte das Gemüse-Risotto, das sie ihr mitgebracht hatten, auf einen Teller um und roch daran. Ihre Brauen zuckten und ihr skeptischer Blick lichtete sich endgültig, nachdem sie einen Löffel genommen hatte. »Das schmeckt köstlich«, bemerkte sie anerkennend. »Ich würde es nicht besser hinbekommen.« Sie setzte sich zu den beiden an den Küchentisch und fragte weiter: »Weißt du schon, wann die nächste Reise ansteht?« Temari nickte. »Ende nächster Woche geht’s in meine Heimat, um die letzten Kleinigkeiten für die kommende Chuunin-Auswahlprüfung zu besprechen.« »Wie lange wirst du dort sein?« »Vier Tage sind eingeplant.« »Das heißt, dass ich zehn Tage für Shikamaru mitkochen muss, oder?«, fragte Yoshino und lächelte. Ihre Schwiegertochter hob die Brauen und blickte unschuldig drein. »Danach bin ich zwei Wochen am Stück hier«, sagte sie zu ihrer Verteidigung. »Das heißt, bis es Mitte Dezember wieder losgeht.« »Die zweite Prüfungsphase findet diesen Winter in Kumogakure statt, habe ich gehört?«, forschte Yoshino nach. »Genau wie die Endrunde«, bestätigte sie. »Ich werde aber versuchen, dass ich zu den Feiertagen frei bekomme und hier sein kann.« Der Blick der Frau lag kurz auf ihr, dann murmelte sie ein zuversichtliches »Das klappt sicher« und lachte auf. Nachdem Temari ihr dankbar zugelächelt hatte, widmete sie ihre Aufmerksamkeit ihrem Risotto. Bis sie aufgegessen hatte, wechselten die beiden zwischendurch ein paar Sätze. Shikamaru hielt sich zurück und wollte zufrieden mit der Situation sein, doch die Fragen und Kommentare seiner Mutter schmeckten ihm nicht. Er musterte Temari aus den Augenwinkeln. Sie schien es nicht zu bemerken und vermutlich wollte Yoshino nicht, dass ihr auffiel, dass etwas nicht in Ordnung war. Er versuchte herauszufinden, was seiner Mutter nicht gefiel und achtete auf jede Kleinigkeit, die sie sagte, aber mehr als die merkwürdige Betonung mancher Worte erschloss sich ihm nicht. Er kam zu dem Schluss, dass er es sich einbildete und hakte das Thema in Gedanken ab. Ein merkwürdiges Gefühl blieb jedoch. Schließlich brachte die Frau ihren leeren Teller zur Spüle, wusch und trocknete ihn rasch ab. Als sie ihn in den Schrank zurückgestellt hatte, klatschte sie abrupt ihre Hände zusammen. »Jetzt hab ich euch gar nichts zu trinken angeboten!«, sagte sie in einem Ton, als würde sie sich über sich ärgern. »Was möchtet ihr? Ich habe Wasser, Früchtetee und Kaffee im Haus.« Shikamaru schüttelte den Kopf und wollte den Stuhl vom Tisch abrücken, um sich zu verabschieden, doch Temaris Stimme ließ ihn innehalten. »Ich nehme einen Tee, wenn es dir keine Umstände macht«, sagte sie. »Natürlich macht es mir keine Umstände«, erwiderte Yoshino und erneut lag etwas in ihrer Tonlage, das ihn aufhorchen ließ. Irgendetwas stimmte definitiv nicht. Er beschloss, sie bei der nächsten Gelegenheit zu fragen, wenn Temari nicht dabei war. Seine Mutter füllte den Tee von der Kanne in eine Tasse um und brachte sie mit einem Blick auf die Uhr zum Tisch herüber. »Ich muss mich langsam fertig machen«, sagte sie, ohne das obligatorische »Danke« ihrer Schwiegertochter abzuwarten. »Ihr könnt bleiben, so lange ihr möchtet.« Sie eilte durch die Küche und blieb im Türrahmen stehen. Shikamaru sah, dass sich ihre Hände kurz zu Fäusten ballten, da machte sie kehrt. »Eine Frage habe ich noch«, begann sie. Sie legte ihre Finger auf die Lehne des Stuhls, auf dem sie gesessen hatte und verharrte einen Moment in der Position, ehe sie den Mund öffnete und fortfuhr: »Ihr zwei seid seit mehr als einem halben Jahr verheiratet.« Ihr Sohn hatte keinen Schimmer, worauf sie hinaus wollte, tauschte einen flüchtigen Blick mit Temari aus und fragte: »Und weiter?« »Wie soll ich sagen?« Yoshino warf ihm ein Lächeln zu. Es war das bizarrste Lächeln, dass er jemals bei ihr gesehen hatte. »Ich werde nicht jünger, also …« Sie legte eine Atempause ein und schloss: »Wann kann ich endlich mit meinem ersten Enkel rechnen?« Shikamaru sah sie nach wie vor an, doch die Augen seiner Mutter lagen nicht mehr auf ihm, sondern auf seiner Frau. Sie wollte keine Antwort von ihm haben, sondern von Temari. Er wandte sich zu ihr um. Sie nippte an ihrer Teetasse, erwiderte Yoshinos Blick nicht und starrte gedankenverloren vor sich hin. Vielleicht hatte sie nicht mitbekommen, dass sie direkt angesprochen worden war und er hoffte, dass die Frage an ihr vorbeigegangen war, aber er glaubte es nicht. »Seit wann ist man dazu verpflichtet, nach dem Heiraten gleich Kinder in die Welt zu setzen?«, unterbrach Shikamaru die Stille. Seine Mutter seufzte. »So habe ich das nicht gemeint«, entgegnete sie, aber er wusste, dass es ihr Ernst war. Nach einundzwanzig Jahren als ihr Sohn konnte sie ihm nichts vormachen. Er überging ihre Rechtfertigung und legte entschlossen fest: »Wann wir was tun, ist allein unsere Sache.« Yoshino, die mit dem Widerspruch nicht gerechnet hatte, funkelte ihn in einer Mischung aus Ärger und Überraschung an, bis ihre kleine Wutfalte auf der Stirn sanfteren Zügen wich. »Entschuldigt bitte, ich wollte nicht aufdringlich sein.« Sie stemmte die Hände in die Hüften und atmete tief aus. »Wenn ich darüber nachdenke, ist es auch besser, wenn ihr mit Kindern noch wartet. Ihr seht euch schließlich kaum.« Dann wandte sie sich ab und verschwand in den Flur. Shikamaru ärgerte sich über ihre Äußerung. Wenn er allein zu Besuch gewesen wäre, wäre er ihr hinterher gegangen, hätte sie zur Rede gestellt und mit Freuden einen Streit und wochenlange Funkstille riskiert. Doch er unterdrückte das Bedürfnis, ihr nachzueilen und die Meinung zu sagen. Er drehte sich zu Temari um. Der Rand der Tasse lag noch an ihren Lippen, aber sie tat nicht mehr, als würde sie ihn in kleinen Schlucken trinken. Sie umklammerte den Henkel und ihre Augen starrten geweitet ins Leere. Er legte seine Hand auf ihre, die sie vor sich auf dem Tisch platziert hatte. »Hör nicht auf sie«, flüsterte er ihr in der Hoffnung zu, dass es sie tröstete. »Es geht sie nichts an und solange wir mit der Situation zufrieden sind, ist es okay.« »Sind wir das denn?« Sie blinzelte und stellte die Tasse ab. Ihr Blick blieb jedoch trübselig. »Bist du zufrieden?« »Du bist in letzter Zeit oft unterwegs, das stimmt«, erwiderte Shikamaru, »und ich würde lügen, wenn ich dir sage, dass ich jeden Abend zu Hause eine Party feiere, wenn du nicht da bist …« Er brach ab. »Als ich mich nach unserer Hochzeit für den Job gemeldet habe, dachte ich ›Jetzt noch ein paar Monate reisen, der alten Zeiten wegen‹«, sie lachte tonlos und er spürte, wie ihre Finger unter seinen zu zittern begannen. »Ich wollte einen letzten Hauch unbeschwerter Freiheit genießen, bis sich der erhoffte Ernst des Lebens einstellt, verstehst du?« »Ich weiß.« Er nickte und legte einen Arm um ihre Schulter. »Deshalb ist es in Ordnung für mich, dass du nicht immer hier bist.« Anstatt seine Umarmung zu erwidern, versteifte sie sich unter seiner Geste. »Es geht mir nicht ums Reisen«, gab sie zurück. »Wenn ich zurückblicke, geht es mir schon seit Wochen nicht mehr darum.« Und er verstand. »Wir waren uns doch einig, als wir gesagt haben, dass es nicht schlimm ist, wenn es nicht sofort klappt, oder?« »Das ist richtig«, sagte sie, »aber …« »Dann setz dich bitte nicht unter Druck.« Er strich sanft mit den Fingerkuppen über ihre Knöchel und setzte nach: »Und mit meiner Mutter werde ich über den dämlichen Kommentar, den sie abgeben hat, reden.« Temari schüttelte den Kopf. »Sie hat doch Recht!« Sie schnappte nach Luft, als wäre sie knapp dem Ertrinken entronnen. »Wir versuchen es seit fast einem Jahr!« »Ernsthaft seit sieben Monaten«, verbesserte er sie, da er nicht wollte, dass sie in ihrem Kummer vom falschen Zeitraum ausging, »und in denen warst du mehrmals –« »Nein«, fuhr sie ihm ins Wort, »ich war nur einmal nicht hier, als …« Ihre Stimme versagte und sie biss sich auf die Unterlippe. »Bei einem der sechs Male hätte es klappen müssen, oder?« Mit glasigen Augen schaute sie ihn an. Shikamaru erwiderte verständnisvoll ihren Blick, doch die richtigen Worte wollten ihm nicht einfallen. Er konnte sie nur fester an sich ziehen und hoffen, dass es sie tröstete. Sie widerstand ihm kurz, dann gab sie nach und ihre Wange sank an seine Schulter. »Warum bin ich noch nicht schwanger?«, fragte sie leise. Sie weinte nicht, als sie es aussprach, aber die Verzweiflung ihrer Worte blieb ihm lange in Erinnerung. Kapitel 10: Alles auf null -------------------------- Shikamaru blickte aus dem Fenster. Schneeflocken rieselten vom grauen Himmel, die so dick waren, wie er sie Ende Februar seit seiner Kindheit nicht gesehen hatte. Er sehnte sich nach dem Frühling, dem blauen Himmel und den weißen Wolken, die ruhig und friedlich an ihm vorüberzogen. Er nahm einen Schluck schwarzen Kaffee und verzog das Gesicht. Das Zeug schmeckte bitter und war ohne Milch und Zucker ungenießbar und trotzdem war es für ihn zur Gewohnheit geworden, ihn auf diese Weise zu trinken. Er leerte die Tasse bis zur Hälfte, stellte sie auf den Küchentisch und schob sie von sich. Einen Augenblick betrachtete er einen dunkelbraunen Tropfen, der am Rand des weißen Keramikbechers nach unten lief. Bevor er die Untertasse erreichte, wischte er ihn mit dem Finger weg und trank den Rest. Shikamaru spielte mit dem Gedanken, sich noch eine Tasse nachzuschenken, entschied sich jedoch um, als er vor der Kaffeemaschine stand. Er betrachtete den Dampf, der aus der halb gefüllten Glaskanne aufstieg. Wie jeden Morgen sammelte er sich unter dem Hängeschrank, unter dem sie stand und bildete Kondenstropfen, die irgendwann herunterfielen. Sie braucht einen besseren Platz, schoss es ihm durch den Kopf, doch als er sich in der kleinen Küche umschaute, wusste er, dass sie keinen Platz hatten. Das kleine Brett neben der Spüle war mit einem Wasserkocher, einem Toaster und einem Reiskocher belegt und die Abdeckung vom Herd, die man herunterklappen konnte, war keine Dauerlösung. Er wischte die Tropfen mit einem Stück Küchenpapier weg und schaltete die Warmhaltefunktion der Maschine aus. Im Anschluss griff er die Kanne und schüttete den Inhalt in den Abguss. Es schmeckte ihm nicht und hatte ihm nie richtig geschmeckt, also konnte er aufhören, das Zeug zu trinken. Warum man sich als Erwachsener zwangsweise das Kaffeetrinken angewöhnte, war ihm ein Rätsel und dennoch hatte er in seiner Zeit als Botschafter damit angefangen. Temari hatte literweise Kaffee getrunken, war aber lange vor ihrer Hochzeit auf Tee umgestiegen und hatte seit Monaten keine Tasse mehr angerührt. Vor allem, seit sie krampfhaft versuchte, schwanger zu werden. Shikamaru riss sich vom Anblick der Spüle los und setzte sich zurück an den Tisch. Abermals sah er nach draußen. Er hoffte, in der Wolkendecke eine Lücke zu finden, durch die sich ein winziger Sonnenstrahl einen Weg auf die Erde bahnen konnte. Es gab keine. Der Teppich aus schmutzigen Wattebällen war genauso undurchlässig wie in den letzten fünf Tagen. Er lenkte seine Aufmerksamkeit auf die weißen Flocken, die vor dem Glas der Scheibe tanzten. Sie wirkten lebendig, nahezu fröhlich und er hätte sich gerne an ihnen erfreut, doch er konnte es nicht. Es gab wenig, über das er sich seit dem Jahreswechsel gefreut hatte. Chouji und Karui hatten in der Silvesternacht zueinander gefunden, nachdem sie ein Jahr lang gelegentliche Dates gehabt hatten. Sie hatten sich unter dem Feuerwerk das erste Mal geküsst. Ino hatte gemeint, dass es wie in einer klischeehaften Romanze ausgesehen hatte und gleichzeitig Tränen der Freude in den Augen gehabt. Sie und Sai hatten den Schritt gewagt und waren Anfang Dezember in eine gemeinsame Wohnung gezogen und Kiba hatte Tamaki beim Neujahrsfest einen tölpelhaften Heiratsantrag gemacht. Alle hatten darüber gelacht, wie er Akamaru in völliger Verzweiflung dazu gebracht hatten, seiner Freundin die Schachtel mit dem Verlobungsring auszuhändigen. Obwohl der Ring voller Hundesabber gewesen war, hatte Tamaki den Antrag angenommen. Sasuke war kurz vor den Feiertagen endgültig zurück nach Konoha gekommen und hatte Sakura mit diesem Weihnachtsgeschenk zur glücklichsten Frau der Welt gemacht. Seine Freunde um ihm herum schwebten vor Glück. Er gönnte es ihnen von Herzen und wünschte sich, dass ein winziger Hoffnungsschimmer abfiel. Nicht für ihn, sondern für Temari. Eine Windböe kam auf, die den kahlen Zweig eines Kirschbaumes gegen das Küchenfenster trieb. Seit er kurz nach dem Einzug bemerkt hatte, dass der Ast gefährlich nahe an die Hauswand ragte, hatte er sich vorgenommen, ihn zu stutzen. Er hatte es nicht getan und da es seine Frau nicht zu stören schien, hatte er es vergessen, bis er sich bei starkem Wind daran erinnerte. Shikamaru vernahm das Schlagen des Zweiges ein weiteres Mal und er wusste, dass er ihn nicht abschneiden würde, bis die Fensterscheibe eines Tages zu Bruch ging. Er stellte sich vor, wie sich Temari darüber aufregen würde und ein Schmunzeln legte sich auf seine Lippen. Und wenn er ihr erst sagte, dass er den Ast längst bemerkt hatte … wie sie an die Decke gehen und fluchen würde! Seine Gedanken erwärmten ihn von innen, bis es mit dem nächsten Schlag eiskalt wurde. Die Realität vertrieb seine Vorstellung seiner heißblütigen Ehefrau und mit ihr sein Lächeln. Er beugte sich vor, stellte seine Ellenbogen auf der Tischplatte und bettete seine Stirn auf seinen Händen. Die lebensfrohe Temari hätte mit einer Schimpftirade reagiert, die niedergeschlagene Temari würde eine kaputte Scheibe mit einem Achselzucken abtun, die Scherben auffegen und ihn ruhig bitten, Ersatz zu besorgen. Sie würde sich nicht aufregen, da sie größere und wichtigere Probleme in ihrem Leben hatte. Probleme, von denen sie hoffte, dass sie sich in nichts auflösten. Das taten sie nicht. Anstatt zu verschwinden, wurden sie mit jedem Monat größer. Und mit ihnen die Hoffnungslosigkeit, von der sie sich überschwemmen und mitreißen ließ. Er gab sich jede Mühe, um sie aufzumuntern. An manchen Tagen schien es zu wirken, an anderen nicht einmal nötig zu sein, doch letzten Endes kehrte sie immer an den Punkt ihrer Niedergeschlagenheit zurück. Alles stand bei null und das Schöne, das sie erlebt hatten, war vergessen. Wann kann ich endlich mit meinem ersten Enkel rechnen? Drei Monate war es her, dass Yoshino diese Frage gestellt hatte. Drei Monate waren vergangen, seit sich über die glückliche Ehe, die sie bis dahin geführt hatten, ein dunkler Schatten gelegt hatte. Shikamaru gab seiner Mutter nicht die Schuld daran. Es lag in der Natur der Sache, dass Eltern nach der Eheschließung ihrer Kinder fragten, wann der erste Nachwuchs unterwegs war. Er schätzte, dass viele an ihrer Stelle geduldiger gewesen wären und sich mit dieser Frage mehr Zeit gelassen hätten, aber es änderte nichts an ihrer Situation. Sie versuchten es und es funktionierte nicht. Yoshino hatte den Zeitpunkt, ab dem sich Temari unter Druck setzte, lediglich nach vorn verlegt. Er hörte, wie die Badezimmertür geöffnet wurde und saß auf einmal kerzengerade auf dem Stuhl. Leise Schritte klangen über den Flur, die sein Herz höher schlagen ließen. Obwohl er an keine Gottheiten glaubte, schickte er gedanklich ein Gebet gen Himmel. Ihm war es gleich, ob es jetzt oder erst in zehn Jahren mit dem Kind klappte, aber er wünschte sich für seine Frau, dass sie endlich erlöst wurde. Shikamaru starrte auf den Türrahmen. Jede Sekunde, die laut dem Ticken der Küchenuhr verging, zog sich schier endlos hin, bis sie den Raum betrat. In Temaris Blick stand nicht die Spur von Freude oder Enttäuschung geschrieben. Er war neutral. Innerlich atmete er auf. Nichts traf ihn mehr als die Traurigkeit in ihren Augen, doch er hatte sich umsonst Gedanken gemacht. Das erleichterte ihn ungemein. Nur, hatte sie nicht gestern gesagt, dass sie heute früh testen wollte? Hatte er sie falsch verstanden oder hatte sie sich spontan umentschieden? Nein, das war nicht weiter wichtig. Die Hauptsache war, dass sie keinen Rückschlag verkraften musste. Das war mehr wert als alles andere. »Wolltest du nicht Frühstück machen?«, fragte sie. Ihre belegte Stimme und ihr gezwungenes Lächeln vertrieben seine Erleichterung. Temari versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Sie überspielte ihre Gefühle, indem sie sie in sich verschloss und ihre Aufmerksamkeit auf Banalitäten lenkte. In der Vergangenheit war das ihre Reaktion gewesen, wenn sie über etwas nicht sprechen wollte und das hatte er akzeptiert. Diesmal akzeptierte er es nicht. Es konnte auf Dauer nicht gut gehen, wenn sie ihr Unglück in sich hineinfraß. Shikamaru stand auf, legte die Arme um sie und umarmte sie fest. Sie fragte nicht, warum er das tat und sie erwiderte seine Umarmung nicht. Sie stand nur mit hängenden Armen da, ihr Gesicht an den Hals ihres Mannes gedrückt und starrte vor sich hin, als verstände sie nicht, wie ihr geschah. Temari atmete seinen Geruch ein, den sie von Anfang an gemocht hatte und spürte, wie sich ihre Brust schmerzhaft zusammenzog. Sie schloss die Augen, presste den Mund zusammen und weigerte sich, den Knoten in ihrer Kehle platzen zu lassen und den Tränen nachzugeben. Wenn sie das tat, machte sie es schwerer, als es ohnehin für sie beide war. Sie sträubte sich, die Trauer, die sie beim Anblick des dritten negativen Testes in Folge verspürt hatte, hinauszulassen, weil es für sie bedeutete, dass sie sie und ihre Unfähigkeit, schwanger zu werden, akzeptierte. Eine Weile standen sie so, bis sie im Kampf gegen die Tränen die Oberhand gewann. Das Knäuel in ihrem Hals löste sich und sie schluckte ihren Kummer herunter. Ihr Magen knurrte und sie wollte an nichts anderes mehr denken, als das menschliche Bedürfnis des Hungers verstummen zu lassen. Sie löste sich aus der Umklammerung ihres Mannes, warf einen Blick in den Reiskocher, in dem gähnende Leere herrschte und lief zum Kühlschrank. Sie räumte die Butter und die Marmelade heraus, steckte zwei Scheiben Toast in den Toaster und überlegte, wie sie die drei Minuten überbrücken sollte, bis ihr Frühstück fertig war. Temari holte sich ein Messer und einen Teller aus dem Schrank und ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Schneit es noch?«, bemerkte sie, damit das Gespräch nicht auf das leidige Thema der letzten Monate fiel. »Langsam könnte es mal Frühling werden.« Shikamaru entgegnete nichts. Er stand nach wie vor an derselben Stelle und wusste nicht, wie er mit der Situation umgehen sollte. Er war es gewohnt, dass sie sich bei ihm ausweinte, aber das hatte sie nicht. Sie tat, als wäre nichts gewesen und er war ratlos, ob er sie darauf ansprechen oder den Mund halten sollte. »Kümmerst du dich morgen nicht um die Hirsche?«, fuhr sie beiläufig fort. »Dann hoffe ich für dich, dass es wenigstens zu schneien aufhört.« Sie seufzte. »Dieses Wetter ist echt deprimierend.« Das war es, doch er zweifelte daran, dass es in ihrer Phase der Traurigkeit eine Rolle spielte. Nicht einmal der strahlende Sonnenschein war in der Lage, ihr ein ehrliches Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Seine Finger bohrten sich in den Stoff seiner Hose. Diese verdammte Frage … Was gab er nicht, um zu dem Zeitpunkt zurückkehren zu können, an dem er sie gefragt hatte, ob sie ein Kind bekommen wollten? Er würde es für sich behalten und die letzten Wochen ungeschehen machen. Dann würde er derjenige sein, der sich allein mit dem Kinderwunsch befasste und ihn in sich hineinfraß. Das würde er mit Freuden hinnehmen, wenn es Temari dadurch besser ging. Aber es war unmöglich. Er hatte keine andere Möglichkeit, als für sie da zu sein und sich für diesen verdammten Fehler zu verfluchen. Er setzte sich an den Tisch. Sie ließ das Messer von einer in die andere Hand wandern und schaute ihn nicht an. Obwohl sie ihm gegenüber saß, kam es ihm vor, als würden sie im Moment in völlig unterschiedlichen Welten leben, die von einer unzerstörbaren Glasscheibe voneinander getrennt waren. Einer Scheibe, die keinen Ton durchließ, selbst wenn er noch so laut war. Zu gern hätte er ihr ein paar tröstende Worte gesagt, aber da er wusste, dass sie nicht zu ihr durchdringen würden, blieb sein Mund geschlossen. Als der Toaster das geröstete Weißbrot ausspuckte, sprang Temari auf, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt. Sie bestrich den Toast langsam und vorsichtig, als könnte er bei dem kleinsten Druck zerbrechen. Es war wie ein Sinnbild ihrer Gefühlswelt, in der sie sich befand. »Freitag breche ich nach Iwa auf«, sagte Shikamaru, um die Anspannung in den Hintergrund zu drängen. »Möchte der alte Mann mit dir Shōgi spielen?«, fragte sie, klang allerdings nicht die Spur belustigt. Er selbst war nicht in Begeisterungstürme ausgebrochen, als der Hokage ihm gestern Abend die Anfrage unterbreitet hatte. Er hatte in Erwägung gezogen, den Auftrag abzulehnen und nur Kakashis Argument, dass ihm ein Tapetenwechsel nach sechs Monaten im Innendienst guttun würde, hatte ihn überzeugt. Shikamaru wollte seine Frau nicht allein lassen, aber er brauchte ein paar Tage, um den Kopf frei zu bekommen. Bevor er verrückt wurde. Einige Partien Shōgi mit Oonoki, der trotz seiner körperlichen Gebrechen einen wachen Verstand hatte und ein exzellenter Gegner war, kamen zur rechten Zeit, hatte er das Gefühl. »Sieht so aus.« Er nickte. »Kommst du eine Woche ohne mich zurecht?« Eine selbstbewusste und schnippische Antwort, die sie ihm bei Fragen dieser Art um die Ohren schlug und auf die er gehofft hatte, blieb aus. »Klar«, gab Temari tonlos zurück, »warum sollte ich nicht?« Daraufhin biss sie lustlos in ihr Frühstück und starrte unbeteiligt vor sich hin. Er beobachtete sie und ein Stein legte sich in seine Magengegend. »Warum machst du dir nicht ein paar schöne Tage?« Er versuchte, zuversichtlich zu klingen. »Fünf Stunden von hier entfernt ist ein Kurort. Nimm Ino oder wen du möchtest mit und lass es dir gutgehen.« »Ino?«, murmelte sie vor sich hin und musterte wie hypnotisiert das Randmuster ihres Tellers. »Ich glaube zwar nicht, dass sie so kurzfristig frei bekommt« – sie zuckte die Achseln – »aber ich kann sie fragen.« Ihre Antwort stimmte Shikamaru positiver. Er musste sich nur einfallen lassen, wie er ein paar freie Tage für seine beste Freundin herausschlug, falls sie tatsächlich passen musste. Aber darüber konnte er grübeln, wenn es dazu kam. Temari griff ihren Marmeladentoast und war im Begriff abzubeißen, als sie innehielt und ihn zurücklegte. »Eine Frage«, sagte sie und ihr Mann blickte sie aufmerksam an. »Wer bezahlt den Trip?« Er runzelte die Stirn und schwieg. »Im Ernst«, setzte sie nach, »Ich bin faktisch seit zweieinhalb Monaten arbeitslos.« »Du bist nicht arbeitslos, sondern hast dich beurlauben lassen«, verbesserte er sie. »Wo ist der Unterschied?« Sie sah ihm fest in die Augen. »Fakt ist, ich verdiene kein Geld. Also wie können wir uns das leisten?« »Du machst keine Weltreise«, argumentierte er. »Außerdem verdiene ich genug, also gönne dir die paar Tage Entspannung.« »Ich möchte mich aber nicht von deinem Geld vergnügen«, legte sie fest. Fast war ihm, als hätte er die alte Temari vor sich. »Es ist unser Geld«, legte er beherrscht fest, »und wir haben dank deinem Botschafterposten in weniger als einem Jahr mehr gespart, als diese Wohnung in sechs Monaten kostet. Nimm dir was davon.« Entschlossen sah er sie an. Ihr ausdrucksloser Blick, mit dem sie seinen erwiderte, gefiel ihm nicht. In den vergangenen Wochen hatte er sie zu oft so gesehen. »Zahl es zurück, wenn du wieder Geld verdienst, falls es dein schlechtes Gewissen beruhigt.« Seine rechte Hand fuhr über den Tisch und nahm ihre linke. Seine Frau zuckte bei der Berührung zusammen. »Aber ich bitte dich, nimm dir die Auszeit«, fuhr er fort. »Du hast sie dir verdient.« Sie biss sich auf die Unterlippe und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf ihren Toast. »Habe ich mir nicht«, flüsterte sie, »doch wenn du drauf bestehst …« »Wenn du nicht freiwillig dorthin gehst, liefere ich dich persönlich im schönsten Hotel des Ortes ab«, sagte er halb im Scherz. Temaris Mundwinkel zuckten flüchtig nach oben. »Das möchte ich sehen«, erwiderte sie und er meinte, dass sie im Ansatz amüsiert klang, »aber die Mühe brauchst du dir nicht machen. Ich werde anrufen und buchen, sobald ich mit Ino geklärt habe, ob sie mitkommen kann.« Er nickte zufrieden und verstärkte den Druck auf ihre Hand. Aufmerksam blickte sie ihn an. »Versprichst du mir«, begann er, »dass du, wenn du dort bist, nicht zu viel nachdenken wirst?« Ihr Ausdruck veränderte sich nicht, doch sie sagte: »Als ob Ino mir eine Gelegenheit zum Grübeln lassen würde.« Diesmal sah er tatsächlich ein Lächeln. Es war weit von ihrem Lächeln entfernt, aber es war ein Fortschritt. »Und danach« – er griff nach ihrer anderen Hand – »gehen wir es ruhig an.« Alles auf null, dachte sie, während sie ihm in die Augen schaute. Als ob es so einfach wäre. Möglicherweise konnte sie den Druck, unter dem sie sich setzte, für eine Weile ausblenden, aber danach würde der Teufelskreis von vorn anfangen. Vierzehn Monate am Stück hatte es nicht funktioniert und sie glaubte nicht, dass es die nächsten vierzehn Monate anders aussehen würde. Ein negativer Schwangerschaftstest würde dem nächsten folgen, bis sie an der Einsicht zerbrach, dass sie Shikamaru den Wunsch nach einem gemeinsamen Kind nicht erfüllen konnte. Sein Wunsch, der zu ihrem eigenen geworden war. »Ruhig«, murmelte sie. »Und das bedeutet für dich?« »Dass du nicht mehr ständig auf den Kalender siehst.« Er fuhr mit beiden Daumen über die Oberseite ihrer Finger. »Und dass du nicht mehr so traurig darüber bist, weil es bei uns länger als bei anderen dauert.« Seine Worte wühlten sie innerlich auf. Sie ließ ihren Ärger nicht hinaus, aber wie konnte er sich sicher sein, dass es irgendwann klappen würde? Wie konnte er darauf hoffen, nachdem sie es über ein Jahr lang vergeblich versucht hatten? Wo war der pessimistische Shikamaru, der sie auf den Boden der Tatsachen zurückholte? Temari schluckte den Kloß, der sich in ihrer Kehle gebildet hatte, herunter. Sie hatte Angst, ihm diese Frage zu stellen, doch sie musste es tun. »Und wenn es nie funktioniert?« Obwohl er sich auf den ersten Blick nichts anmerken ließ, fühlte sie seine Unsicherheit, die sie über seine Hände erreichte. Und er schwieg. Nicht lange, doch zu lange, um ihr weismachen zu können, dass ihre Frage ihn nicht getroffen hatte. »Dann« – er rang nach den richtigen Worten – »lassen wir uns etwas anderes einfallen.« Etwas anderes? Was zur Hölle stellte er sich darunter vor? Sie fuhr sich mit den Zähnen über die Unterlippe. »Und was soll das sein?« »Darüber denken wir nach, wenn es so weit ist.« Temaris Augen ruhten noch einen Moment auf ihn, bis sie ihre Hände zurückzog und sich endgültig ihrem Frühstück zuwandte. Sie wusste nicht, wann dieser Tag kam. Sie wusste nur, dass sie Angst vor ihm hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)