Ein unerfüllter Wunsch von Rabenkralle ================================================================================ Kapitel 6: Die reinste Folter ----------------------------- Verdrossen starrte Shikamaru auf die Wanduhr, die über dem Eingang des Saals hing. Es war neunzehn Uhr und er hatte keine Lust mehr. Von allen Seiten drang das Geräusch klappernder Teller und Besteck an sein Ohr. Hinter ihm fiel ein Glas herunter und zersprang, doch es interessierte ihn nicht im Geringsten, dass es die Rechnung, die er nächste Woche für die Feier bezahlen musste, weiter in die Höhe trieb. Nebenbei hörte er, wie sich seine Mutter über Kankurous Tischmanieren aufregte. Er verspürte nicht den Drang, sie darauf hinzuweisen, dass sie auf seiner Hochzeit den Mund zu halten hatte. Von ihm aus konnten sich die beiden Streithähne gegenseitig die Haare ausreißen, wenn es bedeutete, dass er endlich nach Hause gehen konnte. Er spürte einen Ellenbogen in der Seite. Es war Temari, die ihn wahrscheinlich bitten würde, Yoshino dazu zu bewegen, ihre Brüder in Ruhe zu lassen. »Du hast mit Ino die Tischverteilung festgelegt«, murmelte er, »also beschwere dich nicht bei mir.« Seine Frau warf ihm einen missverständlichen Blick zu und deutete ein Kopfschütteln an. Im Anschluss kam sie ihm näher – für seinen Geschmack zu nah. »Die beiden schmeiß ich raus, wenn sie ihre Meinungsverschiedenheit nicht gleich geklärt haben«, flüsterte sie mit einer Gelassenheit in der Stimme, die er selten zu hören bekam. Bestimmter setzte sie nach: »Und du fliegst gleich hinterher, wenn du nicht endlich fröhlicher guckst. Es ist unsere Hochzeitsfeier und keine Beerdigung.« Shikamaru verzog keine Miene und schwieg. Temari seufzte. Ihr Atem streifte sein Ohr und jagte ihm einen unheilbringenden Schauer über den Rücken. Rasch rückte er seinen Stuhl ein Stück von ihr weg und lenkte seine Aufmerksamkeit auf seinen Teller. Er hatte sein Abendessen noch nicht angerührt. »Was ist los?« Sie stieß ein erneutes Seufzen aus. »Stört es dich, dass ich ständig angegafft werde? Zu meiner Verteidigung –« »Nein«, fuhr er ihr ins Wort und ergänzte schnippisch: »Von mir aus sollen Kotetsu und Izumo dich anglotzen, bis ihnen die Augen ausfallen. Ist mir schnurz.« Sie lehnte sich nach vorne und stützte die Ellenbogen auf dem Tisch ab. Diese Haltung betonte ihr Dekolletee noch mehr. Dieses Kleid ist wirklich verdammt knapp, schwirrte es ihm im Kopf herum und bevor er sich in dem Anblick verlieren konnte und seinen Anstand ad absurdum führte, wandte er ihr den Rücken zu. Er spürte ihre Hand auf seiner Schulter, roch ihr fruchtiges Parfüm und mit einem Schlag wurde es zehn Grad wärmer im Raum. Diese kleine, unscheinbare Berührung war ihm schon zu viel. Gott, was machten diese verfluchten Hormone mit ihm? Shikamaru schüttelte ihre Finger ab und drehte sich zu ihr um. Auf Temaris Stirn stand eine Wutfalte, die Bände sprach, aber vielleicht war es nicht schlecht, wenn sie den Rest des Abends wütend auf ihn war. Möglicherweise verschwand sein Drang, mit ihr schlafen zu wollen. Oder er machte es schlimmer und war erst recht scharf auf sie. Früher wäre das undenkbar gewesen, aber an diesem Tag war alles möglich. »Was«, setzte sie zum Sprechen an und eine Ader auf ihrer Schläfe zuckte bedrohlich, »ist eigentlich dein Problem?« Er lachte. »Ist das nicht offensichtlich?« Sie blickte ihn einen Moment lang an, als hätte sie nicht die geringste Ahnung, wovon er sprach. Dann lockerten sich ihre Gesichtszüge, um einer belustigten Miene Platz zu machen. »Ja, wie lustig«, kommentierte Shikamaru, nahm sein Wasserglas und betrachtete es ausgiebig, bevor er es leer trank. Er schenkte sich nach und setzte es an, um Temari nicht ansehen zu müssen. Ihr süffisantes Grinsen in seiner Vorstellung reichte ihm. Als er es leergetrunken hatte, griff er noch mal zur Flasche, die ihm seine Frau vor der Nase wegschnappte. »Du bist ziemlich nervös«, bemerkte sie amüsiert, »dabei hast du doch gar keinen Grund, das zu sein.« »Den hätte ich nicht, wenn du dich vom Hals abwärts in einen Kartoffelsack oder in Plastikfolie eingewickelt hättest«, dachte er laut. Leider hatte sie jedes Wort verstanden und stellte ihr ganz spezielles Lächeln zur Schau. Dieses Lächeln präsentierte sie ihm, wenn sie wusste, dass sie etwas gegen ihn in der Hand hatte. Und das hatte sie nie zuvor so eindeutig gehabt wie jetzt. Sie hing in jeder Hinsicht am längeren Hebel. Temari lehnte sich zu ihm herüber, faltete ihre Hände über seiner linken Schulter und bettete ihr Kinn darauf. »Ich hätte nicht gedacht«, flüsterte sie ihm ins Ohr, »dass du es mal so nötig haben würdest.« Es ignorierte ihren verlockenden Orangenduft und gab mit einer Prise Ironie in der Stimme zurück: »Unglaublich, oder?« Sie lachte leise auf, schenkte sich jedoch weitere Kommentare. Kurz ließ sie von ihm ab, sah sich um und setzte nach: »In ein paar Stunden treiben wir’s so oft und so lange du möchtest.« »Ja«, sagte er tonlos, »sicher.« »Das ist keine leere Phrase, sondern ein Versprechen.« Seine rechte Augenbraue wanderte automatisch nach oben. »Also kann ich drauf bestehen, wenn du heute Nacht todmüde von der Feier bist?« Sie nickte entschlossen. »Du bekommst deinen Sex. Da kann kommen, was will.« Shikamaru reagierte nicht und starrte sein Glas an. »Klingt das nicht nach was?«, hakte sie erwartungsvoll nach. »Klar.« Er zuckte die Achseln. »Ist ja nicht weiter schlimm, wenn du dabei einschläfst.« Er stand auf, ging zu Chouji herüber und setzte sich zu ihm. Temari sah ihm nach, stellte ihre Ellenbogen auf dem Tisch ab und seufzte. »Schon die ersten Eheprobleme?« Kankurou warf ihr ein breites Grinsen entgegen. »Nur eine kleine Meinungsverschiedenheit«, gab sie zurück. »Also kann ich damit rechnen, dass du wieder zu uns ziehst?« Sie verpasste ihm einen liebevollen Klaps auf den Hinterkopf. »Tut mir leid«, sagte sie mit einem Blick auf den Nachbartisch, »aber das ist ausgeschlossen.« --- Shikamaru beobachtete, wie sein bester Freund aus den Augenwinkeln seine Begleiterin Karui anschmachtete, die in ein Gespräch mit Ino vertieft war. »Ach«, seufzte Chouji und rührte lustlos in seiner Portion Schokopudding herum, »ich könnte sie den ganzen Tag ansehen.« Eine von Shikamarus Brauen zuckte nach oben, doch er behielt für sich, dass er Karui unheimlich fand. Sie war eine dieser Frauen, die immer das aussprachen, was sie dachten. Und sie war laut und wusste, was sie wollte und was sie von einem Mann erwartete. Sein Blick fuhr zu seiner linken Hand. Der sanftmütige und sensible Chouji war dabei, sich eine Freundin wie Temari anzulachen. Das war das wirklich Gruselige an der Sache. Er schüttelte den Kopf über diesen bescheuerten Gedankengang und schmunzelte. Sein bester Freund wusste, worauf er sich eingelassen hatte. Ihm war es mit Temari nicht anders ergangen. »Du hast noch deine rosarote Brille auf, hm?«, fragte er und erntete ein schelmisches Grinsen. »Kann sein«, gab er zurück, ohne seine Augen eine Sekunde von ihr zu nehmen. »Pass auf, wenn sie weg ist, kommt das böse Erwachen.« »Da du deine erste Freundin geheiratet hat, kann es nicht so schlimm sein, oder?« Chouji riss seinen Blick von ihr los und ließ noch einen Seufzer verlauten. »Ich wünschte mir nur, sie würde mir mehr Beachtung schenken.« Shikamaru deutete über seine Schulter. »Fordere sie doch zum Tanz auf.« »Ich soll was?«, fragte er perplex. »Pack sie am Handgelenk und zieh sie auf die Tanzfläche.« »Und wenn sie die Musik nicht mag?« »Das wirst du dann sehen.« »Aber –« Da er so laut gesprochen hatte, wandten sich Ino und Karui zu ihm um. Chouji errötete und sank ein Stück tiefer in seinem Stuhl. Ino fing Shikamarus Blick auf und nickte. »Hey, bei der Musik bekomme ich echt Lust zu tanzen!«, flötete sie. »Was meinst du, Karui?« Die Angesprochene lauschte dem Lied, das gespielt wurde. »Jazz«, meinte sie im Anschluss und wippte mit dem Oberkörper im Takt. »Ja, warum eigentlich nicht?« Ino klatschte begeistert in die Hände und sprang auf. »Warte, ich sammle eben Sai ein.« Sie hechtete zwei Tische weiter, zog Sai ohne Vorwarnung aus seinem Gespräch mit Naruto und Sakura. Sie schleifte ihn zur Bühne und winkte Karui zu sich heran. Da Chouji keine Anstalten machte, sich zu bewegen, stieß Shikamaru mit dem Fuß gegen sein Schienbein. »Jetzt geh schon«, forderte er ihn auf. »Das ist deine Chance. Eine Frau wie Karui wartet nicht ewig auf dich.« Bestärkt hüpfte sein bester Freund vom Stuhl, doch sein Zeigefinger tippte nur zögerlich gegen die Schulter seiner Begleitung. Diese schaute ihn mit gerunzelter Stirn an. »Darf …« Er stockte, holte kurz Luft und fragte nervös: »Darf ich dich … um diesen Tanz bitten?« Karui betrachtete ihn aufmerksam, was Chouji noch nervöser machte. »Natürlich«, antwortete sie und lächelte ihm zu. »Ich dachte schon, du fragst gar nicht mehr.« Sie lachte herzlich auf, nahm seine Hand und führte ihn zur Tanzfläche. --- Da Ino und Chouji mit ihren Begleitungen das Eis gebrochen und den Anfang gemacht hatten, dauerte es nicht lange, bis die Hälfte der Gäste am Tanzen war. Naruto und Hinata, die noch Übung von ihrer eigenen Hochzeit hatten, bewegten sich ausgesprochen elegant über das Parkett; Kiba und Tamaki gingen es wilder und unkoordinierter an, hatten allerdings sichtlich Spaß dabei; Kurenai drehte abwechselnd mit Kotetsu und Izumo ihre Runden und – Shikamaru blinzelte. Hatte er etwas mit den Augen oder tanzte seine Mutter mit Kankurou? Er kratzte sich am Kopf. Als ob diese seltsame Konstellation nicht schon reichte, schien sie recht glücklich zu wirken und sah nicht aus, als hätte sie in den nächsten Minuten vor, jemandem eine Moralpredigt zu halten. Ein ungewohnter und skurriler Anblick. Er merkte einen leichten Windzug, als sich jemand neben ihn setzte und eine wunderbar duftende Parfümnote zu ihm herüberwehte. Die Haare an seinen Armen stellten sich auf. Er hoffte, dass es jemand war, der sich mit frischgepresstem Orangensaft übergossen hatte. »Und wann forderst du mich zum Tanzen auf?« Temaris Frage begrub seine Hoffnung. »Wie wär’s mit niemals?«, entgegnete er trocken. Sie legte ihm die Arme von hinten über die Schultern, lehnte sich an ihn und er nahm den Duft noch deutlicher wahr. »Diese Antwort lasse ich nicht gelten«, hauchte sie ihm ins Ohr und er spürte, wie sich ihre Brüste an seinen Rücken pressten. »Ino und Sai haben uns schon den Eröffnungstanz abgenommen, also hab dich nicht so. Auf uns achtet sowieso niemand.« Shikamaru zog die Brauen zusammen. Als ob es ihm um irgendwelche Leute ging, die ihm – wahrscheinlich brüllend vor Lachen – zusahen, wie er sich mit seinem fehlenden Rhythmusgefühl zum Affen machte … Diese Frau verstand gerade wirklich nichts. »Die anderen sind mir so was von egal«, gab er zurück. »Ich hab einfach keine Lust. Geh mit deinem Bruder tanzen.« »Ich spann doch nicht Matsuri ihr Date aus, auf das sie jahrelang gewartet hat.« Er suchte die Tanzfläche ab und tatsächlich: Gaara und Matsuri hielten sich in der hintersten Ecke auf und starteten planlos ein paar Schritte. »Geh zu Shino«, warf er ein, »oder frag Sakura.« »Abgelehnt!«, protestierte sie. »Du tanzt mit mir oder keiner.« Er war sich bewusst, dass er seine Antwort vermutlich bereuen würde, entgegnete jedoch: »Dann hast du Pech gehabt. Ich passe heute Abend.« Temari atmete lautstark aus. Ihr Atem streifte seine rechte Wange und ihn überkam eine Gänsehaut. Am liebsten hätte er sie genommen und ins nächstbeste freie Zimmer geschleift. Der Gedanke daran löste ein wohliges Schaudern in ihm aus – und mit ihm beinahe ein Problem, das er gar nicht gebrauchen konnte. Er musste schnell an etwas Ekelhaftes denken … Der riesige Hundehaufen, in dem die arme Mirai bei einem Spaziergang gelandet war, kam ihm in den Sinn. Den Gestank hatte er nach drei Wochen noch in der Nase. Shikamaru fröstelte angewidert. Die Erinnerung daran wirkte. »Gut zu wissen, dass der Mensch, den ich liebe und von dem ich geglaubt habe, dass er mich respektiert, in Wirklichkeit ein egoistisches Arschloch ist«, meinte sie enttäuscht. Da er nicht sicher war, ob sie ihm ihre Enttäuschung nicht vorgaukelte, zog er das Schweigen dem Reden vor. »Gerade mal ein paar Stunden verheiratet und schon ist ein winziger Tanz zu viel verlangt«, sprach sie weiter. »Wenn Kankurou das mitbekommt, wird er mir sagen: Was bist du auch so dämlich und heiratest einen Kerl, mit dem du vorher noch nicht zusammengelebt hast?« Abermals bekam sie keine Reaktion. »Es ist genauso wie in diesem Lied«, fuhr sie unbeirrt fort. »Und falls du doch den Fehler machst und dir ’nen Ehemann anlachst, mutiert dein Rosenkavalier bald nach der Hochzeit auch zum Tier … Männer sind wirklich –« »Du hast gewonnen!«, fuhr Shikamaru ihr ins Wort. »Machen wir uns eben lächerlich, aber hör auf, diesen bescheuerten Song zu zitieren.« Sie ließ von ihm ab und er drehte sich zu ihr um. Ihr breites Lächeln schlug ihm entgegen und entlarvte ihr Schauspiel. »Du bist ein perfides Biest«, fluchte er. Ihre Augenbrauen zuckten vor Belustigung nach oben. »Weil ich weiß, dass du dieses Lied nicht ausstehen kannst und ich es schamlos dafür benutze, um dich zu etwas zu bringen, das ich möchte?« Er stieß einen missbilligenden Zischlaut aus. »Das und weil du mich offensichtlich gerne folterst«, murmelte er mehr zu sich als zu ihr. »Es ist bloß ein dummer Tanz«, gab Temari zurück. »Fünf Minuten, dann ist die Sache erledigt und du musst es nie wieder tun.« Ja, dann konnte er ein Häkchen hinter eine Tätigkeit machen, die ihm gleichgültig war. Ein echter Lichtblick. »Gut«, seufzte er, »bringen wir es hinter uns.« Damit ich im Anschluss wieder in Selbstmitleid zerfließen kann, dachte er verdrossen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)