Auf der Jagd von matvo (Schatten und Licht, Interlude 2) ================================================================================ Prolog: Am falschen Ort ----------------------- Sie sollte nicht hier sein. Dessen war Merle sich mehr als sonst bewusst. Sie saß auf dem weichen Bett der Gästekabine in der Katzenpranke und starrte aus einem Bullauge. Das einzige zivile Luftschiff der Königsfamilie Farnellias schwebte für ihre flache Form äußerst gemächlich über die Wälder des Reiches auf dem Weg nach Chuzario, Merles Zuflucht. Als Passagierschiff, das auf einen Frachterentwurf basierte, verfügte die Katzenpranke über eine breite Fensterfront vor der Brücke im vorderen Teil des Schiffes und Greifhaken unterhalb des kreisrunden Rumpfes, die momentan einen schnittigen Guymelef mit blonden Haupt hielten. Im Innern war das Schiff ein kleines Dorf, mit kleinem Hospital, einer Kombüse, einem Schlafsaal, zwei Gemeinschaftsduschen, einer kleinen Messe, sowie weiteren kleinen Abstellkammern. Von der Mannschaft war einzig dem Kapitän eine eigene Koje bestimmt, die sich jedoch nicht im entferntesten mit der Gästekabine und deren kleines, aber feines Bad am anderen Ende des Gangs messen konnte. Merle hatte das Schiff schon oft auf ihren Reisen verwendet, mehr noch als Van. Er hatte ihr sogar den Namen des Fahrzeugs gewidmet. Und doch sollte sie nicht hier sein. Es war ein Geschenk Astorias an den Herrscher Farnellias und nicht dazu gedacht falschen Prinzessinnen zu dienen. Aber der König Van de Farnel war tot, ermordet von Trias, einem mächtigen Abkömmling des Drachenvolks, der nun nicht mehr so legendären Bewohner Atlantis. Zusammen mit seinen Vampir ähnlichen Dienern und deren Sklaven hatte er Farnellia angegriffen und Van eine Falle gestellt. Wenn sie selbst nur nicht so von Sinnen gewesen wäre, hätte sie ihren Bruder vielleicht retten können. Nun war alles, was von der altehrwürdigen Linie Farnellias übrig war, eine adoptierte Schwester und eine abermals verlobte Witwe. Von ihr ging der letzte Funken Hoffnung aus, wuchs in ihrem Bauch doch der einzige Sprösslings Vans heran. Merle atmete gespannt aus. Obwohl sie und Hitomi sich offiziell im Streit getrennt hatten, hatte ihre Königen sie mit Aufgaben betraut, denen sie über Jahre hinweg nachkommen musste. Was kein Grund war, nicht jetzt schon damit anzufangen. Die Katzenfrau schwang ihre Beine über den Bettrand und verließ die weiche Wolke. Stürmisch verließ sie ihre Koje und begab sich im Eilschritt zur Brücke. Dort sprach Gesgan mit dem Kapitän. Der hochgewachsene Krieger und ehemalige Spion Zaibachs war ihr Vertrauter und der Kopf der königlichen Leibwache, die leider die einzige militärischen Einheit in Farnellias war, die man ernst nehmen musste. Noch! „Gesgan, ruf bitte alle Personen an Bord in die Messe.“, befahl Merle aufgekratzt. Er hatte eine Anweisung dieser Art schon erwartet und war dennoch überrascht. „Alle, euer Majestät? Ich denke, wir sollten nur die Wache einbeziehen.“ „Nein, alle!“, bekräftigte Merle. „Jeder, der für den Betrieb des Schiffs nicht unerlässlich ist, soll kommen. Was ich zu sagen habe, geht jeden etwas an.“ „Sehr wohl.“ Merle zog sich daraufhin wieder die Gästekabine zurück und tat etwas, was sie nur selten tat. Sie betrachtete sich im Spiegel. Meist war es ihr unangenehm sich selbst zu sehen. Nur selten mochte sie den Anblick. Darum hatte sie es im Gegensatz zu Van stets vorgezogen sich von Dienerinnen zurecht machen zu lassen. Sorgsam strichen ihre Hände über ihr weißes, elegantes Kleid. In ihren Kampfanzug wäre ihr zwar jetzt wohler, schließlich hatte sie ihre eigene Schlacht zu schlagen, aber es war die Zeit für Frieden und nicht für Gewalt. Dieses Signal musste ankommen. Nervös atmete die junge Kriegerin tief ein, schloss ihre Augen und vertiefte sich in ihr Inneres. Ruhe wollte sich trotzdem nicht einstellen. Seit Van nicht mehr da war, war so vieles nicht mehr wie früher. Die Gedanken wieder auf das Ziel fokussiert, stampfte sie der Messe entgegen. Für jeden, dem sie begegnete, musste sie einen komischen Anblick bieten. Erst vor der Tür zum Gemeinschaftsraum wurden ihre Schritte kleiner, ihre Haltung nahm weniger Raum ein und ihre Fäuste lösten sich auf. Allerdings blieb der Knoten in ihrem Kopf. Ernst, aber ruhig schritt sie einmal quer durch die Messe, während sie die Leute um sich herum in Augenschein nahm. Meist begegneten ihr nur besorgte Blicke. Sie postierte sich an der Wand gegenüber der Tür und fragte offen in die Runde, ob jeder anwesend sei. Der Kapitän entschuldigte seinen ersten Maat und weitere Neuankömmlinge trudelten ein, getrieben von Gesgan, der hinter sich die Tür schloss. Nur Serena fehlte. Merle nahm an, dass Allens Schwester sich irgendwo im Schiff versteckt hatte. Da das Treffen sie eh nicht betraf, begann Merle: „Ich weiß, ihr habt Fragen.“ Es stand ihnen förmlich ins Gesicht geschrieben. „Ihr wollt wissen, was passiert und was passieren wird, jetzt da Farnellia ohne Herrscher dasteht.“ „Werdet ihr etwa nicht herrschen?“, fuhr die Köchin dazwischen. Merle sah sie erst streng dann an, dann zeigten ihre Augen Nachsicht. Eigentlich hatte sie einen Vortag halten wollen. „Nein, ein Königreich ist nicht wie eine Kombüse. Es zählt nicht Können sondern Blut. Und so sehr ich oder Van es uns auch gewünscht haben, wir sind nicht wirklich verwandt. Zudem hab ich aus Überzeugung Hitomi meine Treue geschworen.“ „Dieser machtgeilen Hexe!“, stänkerte Marco, ein Mitglied der Wache, und dieses Mal blieb Merles Blick hart. „Du magst in ihrer Verlobung mit König Aston von Astoria eine Intrige sehen, für Hitomi ist es ein Opfer.“ „Sie wird der Königin eines der mächtigsten Reiche auf Gaia. Was für ein Opfer!“, warf die älteste der Dienerinnen Isabel dazwischen. „Hast du Aston je gesehen? Er ist außerordentlich beleibt, schmierig und besitzergreifend. Er ist kein Mann neben den du aufwachen möchtest.“, gab Merle zurück. „Ich möchte, dass ihr euch alle das vorstellt! Stellt euch vor wie ein behaarter Bulle mit Nasenring auf euch liegt, euch niederdrückt, schnaubt und sich euch unbarmherzig aufzwingt, während Schmerz euch von innen zerreißt. Hitomi hat ihm einen Sohn versprochen und wird dieses Versprechen halten, sobald sie vermählt sind. Jede Nacht!“ „Woher...?“ stammelte Fee, die jüngste der Dienerinnen, dann erstickte ihre Stimme. Die Prinzessin studierte sie eingehend. Das Mädchen war eine der Waisen, denen Van Arbeit gegeben hatte, und sie wusste, wovon Merle gesprochen hatte. „Aston hat seine erste Nacht schon eingefordert.“, erklärte die Katzenfrau unbarmherzig, während sie sich vornahm, später mit Fee einen privaten Plausch zu halten. „Ich hab sie am Tag danach gepflegt und getröstet.“ „Aber ihr habt euch doch zerstritten.“, warf Isabel ein. „Ich mag mit ihr nicht einer Meinung sein, aber sie ist und bleibt meine Freundin.“ Eine Lüge sollte immer so nah wie möglich an der Wahrheit sein. „Sie hat ihren Weg gewählt, wie sie Farnellia retten wird. Ich hätte um ihretwillen gern nach weiteren Möglichkeiten gesucht, aber sie hat mich nicht gefragt, weder um Erlaubnis noch um Rat.“ „Sie hat auch das Volk damit überfallen. Ich fürchte, das kam gar nicht gut an.“, sagte der Kapitän und erntete Kopfknicken. „Wäre es nicht möglich, das auch das ihre Absicht war?“, gab Merle zu bedenken. „Hitomi opfert sich nur zu gerne, wenn sie sich in der Pflicht sieht. Also stellt sie sich als Bösewicht dar, damit ich es leicht habe, die Heldin zu spielen.“ „Zu welchem Zweck?“, zweifelte Marco. Der redselige, junge Mann war genau die Art von Klientel die Hitomi beabsichtigt hatte in Merle Arme zu treiben. „Um Vans Erbe zu schützen.“, begründete sie kurz und bündig, dann erklärte sie sich: „Van hat nicht Blut und Schweiß im Kampf gegen die Zaibacher vergossen, nur damit wir uns jetzt zufrieden geben, auf ewig ein Teil Astorias zu bleiben. Wenn sie jedoch unsere Sympathie erringt, würde damit auch das Reich Astoria in unserem Ansehen steigen. Jedenfalls denkt sie das.“ „Warum erzählst du uns das?“, erkundigte Gesgan sich mahnend. „Zerstörst du damit nicht ihr Opfer?“ Die Prinzessin lächelte ihn keck an. „Wie gesagt, wir zwei sind nicht einer Meinung. Ich glaube nicht, dass diese Täuschung nötig ist. Farnellia hat auch so einen starken Hang zur Unabhängigkeit und mir gefällt der Stadthalter, den Asoria schicken wird, als Bösewicht viel besser. Außerdem werde ich sie nicht Aston überlassen!“ „Was habt ihr vor?“, fragte Fee hoffnungsvoll. „Befreit ihr sie?“ „Sie ist kaum eine Gefangene.“, widersprach Marco. „Ihre Zelle mag golden sein, aber die Folterinstrumente stehen bereit. Das kann ich dir versichern.“, konterte Merle. „Leider können wir sie nicht daraus holen, solange ihr erstes Opfer, die Hochzeit mit Aston noch nötig ist. Ihr habt es sicher noch nicht gehört, aber die Friedenspflicht innerhalb der Allianz ist praktisch abgeschafft worden und keiner der Mitglieder möchte sich um den anderen kümmern. Deswegen heiratet Hitomi Aston und schmiedet so ein Bündnis mit Astoria. Wir haben kein nennenswertes Heer und da Van tot ist, auch keinen Heerführer.“ „Wie können kämpfen!“ „Glaubst du das wirklich, Marco?“, fuhr Merle ihn an. „Du warst doch auch auf der Mauer, als Astorias Bomber einfach so zweitausend Sklaven der Gezeichneten in Asche verwandelt haben, während wir unsere Stadt in Unterzahl mit Pfeil und Bogen verteidigen wollten.“ Sie hielt einen Moment inne und ließ ihren Blick schweifen. „Uns mangelt nicht der Wille zu kämpfen, aber uns fehlen Waffen und Hände, die sie halten können!“ Die Prinzessin lief den Halbkreis um sie herum ab, während sie weiter sprach. „Also ist es unsere dringendste Pflicht, uns nicht von der Zukunft verschrecken zu lassen und unser Volk wiederaufzubauen, indem Familien gründen und Kinder zeugen. Wir werden jedes einzelne brauchen, denn Astoria wird nur dann ohne Kampf abziehen, wenn wir sie durch Überzahl einschüchtern.“ „Überzahl bedeutet Astoria nicht viel.“, erinnerte der Gesgan. „Deswegen müssen wir uns clever anstellen und Astorias Waffen stehlen, wenn die Zeit gekommen ist. Bis dahin dulde ich keine Gewalt, Marco! Außerdem bin ich mir sicher, Astoria wird auch unsere jungen Männer mit in den Militärdienst nehmen, um die Stadt so weiter ins Reich zu intrigieren. Sie sollten diese Gelegenheiten auf jeden Fall wahrnehmen und lernen mit Astorias Technologie umzugehen.“ Da kein Einwand kam, fuhr Merle fort. „Außerdem war ich sehr beeindruckt davon, wie seit den Zaibacher Kriegen sich kleine Gruppen in unserer Bevölkerung organisiert haben, um sich und anderen zu helfen. Wir sollten dieses Konzept ausbauen. Spannt eure Mitmenschen ein und bildet Teams. Baut Organisationen auf, die unsere Kinder in unserer Kultur bilden, denn Astoria wird ihnen diese garantiert nicht beibringen. Feiert Feste, trefft euch zu Diskussionen, richtet Armen- und Krankenhäuser ein. Seid wohltätig! Wir müssen das Leben auf der Straße so weit wie möglich unter unserer Kontrolle bringen.“ „Und wenn sie uns nicht lassen? Sie könnten uns jederzeit töten!“, wandte Marco ein. „Dann wende ich mich an unsere Königin.“, versprach Merle. „Du magst es nicht glauben, aber wir haben eine Verbündete in Astoria. Und wir werden sie befreien, sobald wir uns selbst helfen können.“ Dann fasste sie zusammen: „Hitomi verschafft uns die Zeit, die wir brauchen, um wieder ein starkes Volk zu werden. Wir werden sie nutzen, indem wir unsere Bindungen stärken, sei es in der Familie durch Kinder, oder in Gesellschaft durch Einsatz. Wir werden unsere Traditionen bewahren und auf den Tag hinarbeiten, da unser Land wieder unabhängig sein wird. Und damit wir uns richtig verstehen, dieses Gespräch hat nie stattgefunden. Wenn Astoria Wind von diesem Plan bekommt, wäre er nur zu einfach zu vereiteln.“ „Wie soll Farnellia eure Anweisungen ausführen, wenn wir sie nicht weiter sagen dürfen?“, erkundigte sich der Kapitän verdutzt. „Ich vertraue auf den Eifer eines jeden von euch hier im Raum mehr als genug ist um alle anderen anzustecken. Ihr werdet für das Vorbild für die Farnellias Einwohner sein. Aber das könnt ihr nicht von diesem Schiff aus. Deswegen kehrt die Katzenpranke nach Farnellia zurück, sobald ich in Chuzario gelandet bin.“ „Werdet ihr Farnellia anführen, wenn es je wieder frei sein sollte?“, wiederholte die Köchin ihre Frage. „Nein, genauso wenig wie ich euch davor anführen werde. Ich werde mich höchstens dann und wann einmischen, wenn Dinge drohen aus dem Ruder zu laufen. Vans Nachfolger wird durch Escaflowne bestimmt werden. Schließlich kann er nur von jemanden königlichen Blutes geöffnet werden.“, antwortete Merle und biss sich auf die Lippe. Am liebsten würde sie Hitomis Geheimnis jetzt ausplaudern. „Wer weiß, vielleicht folgt irgendwann ein ferner Verwandter Vans den Ruf des Drachen? Bis dahin werdet ihr euren eigenen Weg finden müssen.“ „Was werdet ihr tun? Bleibt ihr im Exil und lasst es euch bei Freundin, der Königin von Chuzario, gut gehen?“, erkundigte sich Marco vorlaut. Merle nahm sich vor ihm in nicht allzu ferner Zukunft Manieren beizubringen. „In paar Monaten kehre ich unauffällig nach Farnellia zurück. Ich hab auch schon eine Idee, welchen Beitrag ich der Gesellschaft leisten werde. Aber zuvor begebe ich mich auf die Jagd nach Vans Mörder!“ „Ihr wisst, welcher Gezeichnete ihn getötet hat?“ „Ja und dir werde ich es nicht verraten. Nicht, dass du mir noch folgst oder selbst losziehst.“ „Ich kann kämpfen!“, donnerte Marco, doch er verstummte jäh, da Merle mit zwei langen Schritten bei ihm war, ihn packte, seine Beine mit ihrem Fuß sichelte und ihn aufs Deck schmetterte. Er schrie kläglich auf und wandte sich unter ihrem festen Griff. „Nein, kannst du nicht! Nicht gegen diesen Gegner!“, belehrte sie ihn lautstark. „Ich muss meinen König rächen“, krächzte der junge Soldat, aber Merle drückte ihre Finger unter seiner Kehle noch fester zusammen. „Van war auch mein König und mein Bruder.“, stellte sie verbittert klar, während er immer noch strampelte. „Es ist meine Aufgabe ihn zu rächen. Deine Aufgabe ist es ihn stolz zu machen, indem du sein Erbe bewahrst.“ Dann ließ sie von ihm ab und bot ihm ihre Hand an. „Ich vertraue es dir und allen anderen in Farnellia an.“ Doch Jüngling wandte seinen Blick ab, stand ohne ihre Hilfe auf und verließ wortlos die Messe. Nach ein sehr langen Momenten betretenden Schweigens rief Gesgan erbost Marcos Namen und stürmte ihm hinterher. Merle hingegen war zum Heulen zu mute. Alle Kräfte verließen sie und einmal mehr wurde sie sich bewusst, dass sie nicht hier sein sollte. Da trat der Kapitän an ihre Seite und verneigte sich. „Wir werden euch folgen, euer Majestät.“, verkündete er feierlich, aber alles, was Merle tun konnte, war ihre niedergeschlagene Mine mit einem gequälten Lächeln zu übertünchen. „Danke, aber ich wäre jetzt gern allein. Ich geh zurück in meine Koje.“, flüsterte sie erschöpft. Ehe sie jedoch den Raum verließ, sah sie zurück. „Fee, würdest du mir bitte eine Tasse Tee und etwas Schokoladengebäck bringen?“ „Sehr wohl.“, bestätigte das Mädchen überrumpelt. Nachdem Merle die Tür der Messe hinter sich geschlossen hatte, nahm Isabel sofort die minderjährige Dienerin zur Seite und deckte sie mit Ratschlägen und Anweisungen ein, während die Köchin in die Kombüse eilte um Wasser aufzusetzen. 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