Zeiten des Schreckens von SweeneyLestrange ================================================================================ Kapitel 8: Feierlichkeiten -------------------------- Gefrorener Schnee knirschte unter den schweren Schritten der beiden vermummten Gestalten. Trotz der Wärmezauber und der soeben abgeschlossenen Duellierübung fröstelte es Barty. Sein Atem ging stoßweise von der Erschöpfung und bildete kleine weiße Wolken vor seinem Gesicht, die sich in der Dunkelheit der Nacht verloren. Vor ihm war Rabastan gerade damit beschäftigt, den Schließzauber der Tür zu öffnen und einen Fluch gegen Eindringlinge aufzuheben. „Da wären wir“, hörte Barty schließlich die langersehnten Worte, als Rabastan schwungvoll die dicke Holztür aufstieß. Eilig folgte er dem älteren Todesser in das warme, behagliche Innere des kleinen Hauses, wo er sich sofort auf eins der beiden durchgesessenen Sofas im Wohnzimmer fallen ließ und einen erschöpften Seufzer ausstieß. „Na, das lief doch ganz ordentlich“, meinte Rabastan grinsend und nahm Barty gegenüber auf dem anderen Sofa Platz. In der einen Hand hielt er eine ungeöffnete Flasche von Odgens Feuerwhisky, während er mit der anderen aus einer Tasche seines Umhangs eine Tüte von Bertie Botts Bohnen hervorzog. Barty erwiderte das Grinsen. Er merkte, wie seine erschöpften Glieder es ihm dankten, sich für den Moment nicht mehr bewegen zu müssen. Er war sogar zu faul, sich den Umhang auszuziehen. Stattdessen ließ er es einfach zu, dass der Schnee darauf allmählich zu tauen und in das alte Sofa einzudringen begann. Ihm gegenüber tat Rabastan das gleiche. „Bald werd ich dazu kommen, dich zu besiegen“, meinte Barty, als seine Lebensgeister wieder so weit erwacht waren, dass ihm nach Sprechen zumute war. Spöttisch sah Rabastan auf. „Das glaubst auch nur du.“ Dann nahm er genüsslich einen weiteren Schluck Feuerwhisky und reichte die Flasche schließlich Barty. „Wir werden’s sehen“, war alles was der Jüngere mit einem entschlossenen Funkeln in den Augen sagte. Mit einer nachlässigen Bewegung seines Zauberstabs beschwor er ein Glas herauf, goss sich ein und stellte die Flasche auf den kleinen Tisch zu den Bertie Botts Bohnen. Nachdenklich ließ er die bernsteinfarbene Flüssigkeit kreisen und beobachtete, wie sich das schummerige Licht in ihr brach. Er wollte nicht gehen. Die alte Standuhr zeigte, dass die Nacht bereits weit fortgeschritten war und es ratsam wäre, so bald wie möglich aufzubrechen, um sich von den Anstrengungen des Tages erholen zu können. Doch etwas in Barty weigerte sich beharrlich auf seine Vernunft zu hören. Etwas in ihm wollte den Moment genießen, in dem er träge auf den weichen Polstern der Couch lümmelte und sich keinerlei Gedanken über sein Auftreten machen musste. Er konnte der sein, der er sein wollte. Er konnte denken, was er für richtig hielt. Und man begrüßte ihn dafür. „Hatte ich dir eigentlich erzählt, dass Bellatrix deinen Job als dürftig bezeichnet hat?“ Fragend zog Rabastan die Augenbrauen hoch. „Na ja, als ich Rod die Dokumente wegen der Norrell-Tragödie gebracht habe, hat sie mich herausgefordert und befand das Ergebnis für ‚seeeehr dürftig‘.“ Rabastan schnaubte verächtlich. „Bella redet doch nur. Wahrscheinlich passt es ihr nicht, dass du tatsächlich gut wirst.“ Barty spürte, wie ein breites Grinsen seine Wangen erreichte und griff hastig nach ein paar Bohnen. Er wollte nicht den Eindruck des kleinen Jungen geben, der sich um die Anerkennung der Todesser bemühte — schließlich gehörte er längst dazu! Schlagartig verging Barty das Grinsen. Sein Gesicht verzog sich zu einer einzigen Grimasse des Ekels, als er, ohne weiter darüber nachzudenken, eine gelbe Bohne wieder ausspuckte. „Bei Merlin, was war das denn?“ Rabastan tat unschuldig, während er, seiner Mimik nach zu urteilen, auf einer Bohne mit einer äußerst angenehmen Geschmacksrichtung herumkaute. „Ist ’ne neue Sorte. Soll alle möglichen Variationen von Fäulnis beinhalten.“ „Das schmeckt man.“ Barty schüttelte sich und griff nach dem Whisky, mit dem er wesentlich besser bedient war. „Übrigens“, sagte Rabastan auf einmal, nachdem wieder entspanntes Schweigen eingekehrt war, „danke.“ Verwundert sah Barty auf. „Du weißt schon für Featherstone.“ Rabastan tat das Ganze eilig mit einem lässigen Schulterzucken ab, doch Barty kannte sein Gegenüber besser und musste lächeln. „Er macht Fortschritte, oder?“ „Jap, plaudert aus dem Nähkästchen und hat neulich erst die Ergebnisse einer Befragung beeinflussen können.“ „Hab ich gesehen.“ Nachdenklich nahm Rabastan einen weiteren Schluck aus der Flasche. „Der Dunkle Lord ist auf jeden Fall sehr erfreut über diese Wendung.“ Neugierig beobachtete Barty Rabastan, der mit einer losen Ecke des Etiketts von Odgens Feuerwhisky spielte. Dann begegnete ihm der Blick seiner grünen Augen und Barty stellte zu seiner Freude fest, dass sich Dankbarkeit in ihnen zeigte. Schnell verschwand sie jedoch wieder hinter einem lässigen Grinsen, als Rabastan fragte: „Du hast es geschafft, oder?“ „Was?“ Etwas aus dem Konzept gebracht sah Barty ihn an. „Na, eine Unterredung beim Dunklen Lord zu bekommen. Hab ich von Bella gehört.“ Bartys Lächeln wich flüchtig der Verwirrung, die sich jedoch bei dem bloßen Gedanken an das vergangene Gespräch mit seinem Herr und Meister in ein fanatisches Strahlen verwandelte. „Ja“, hauchte er. Rabastan nickte und starrte schweigend auf die Flasche. „Das freut mich“, sagte er schließlich. Die Verwirrung gewann wieder Oberhand in Bartys Mienenspiel. „Schließlich ist’s doch das, wofür du dir Tag und Nacht den Arsch aufreißt“, fuhr Rabastan fort, während sich ein schiefes Lächeln in seinem Gesicht ausbreitete. „Und es ist gut zu wissen, wen man zu den treuen Anhängern zählen kann. Lucius ist zum Beispiel ’ne Pfeife. Seit sein kleiner Liebling Draco auf die Welt gekommen ist, ist er noch schlimmer geworden. Ich wette der würd seinen Sohn als Ausrede nehmen, um ’nen gefährlichen Auftrag ablehnen zu können.“ Barty lachte leise. Er genoss den Stolz, der in ihm bei Rabastans Worten aufwallte. „Vergessen wir aber nicht, dass er am Geldhahn sitzt und auch im Ministerium ein gern gesehener Besucher ist“, sagte der Jüngere. Dabei reckte er das Kinn hoch in die Luft und setzte einen möglichst blasierten Gesichtsausdruck auf. „Er hat hohen Einfluss und das ohne den Imperius-Fluch.“ Rabastan schnaubte belustigt und nahm einen weiteren großen Schluck des Feuerwhiskys. „Wohl gesprochen, Bartemius!“ „Habt Dank“, entgegnete Barty lachend und deutete eine leichte Verbeugung an — soweit das im Sitzen möglich war. „Hatte ich dir eigentlich schon erzählt, dass die Longbottoms bald eine Feier machen? Da werden all die Blutsverräter und Schlammblüter aufkreuzen und sich ach-so-heilig fühlen, in ihrem lächerlichen Kampf für die Muggel.“ „Ernsthaft?“ „Jap.“ Barty tat es Rabastan nach und beugte sich vor. Ein beinahe verschwörerisches Funkeln glomm in seinen Augen, während er weitererzählte: „Longbottom meinte, dass er das Zusammensein stärken wollte und so einen Blödsinn. Er will Hoffnung machen, wo keine mehr zu finden sein sollte.“ Rabastan stieß ein verächtliches Schnauben aus. „Sieht diesem selbsternannten Heilsbringer ähnlich.“ „Das Beste kommt noch: Meine Familie ist eingeladen worden.“ Dieses Mal schlich sich Erkenntnis in Rabastans Miene. „Der Dunkle Lord möchte, dass ich hingehe und Informationen sammele“, fügte Barty hinzu. Er bemerkte nicht, wie er vor Ehrfurcht die Stimme gesenkt hatte. „Das kann interessant werden.“ Barty nickte zustimmend. Der Gedanke, sich als einziger in der vorteilhaften Position zu befinden, in die Mitte des Feindes zu kommen, erfüllte ihn mit Vorfreude. Und keiner würde auch nur den geringsten Verdacht schöpfen… „Stell dir nur mal die dummen Gesichter vor, wenn die wüssten, wer du bist“, meinte Rabastan und sprach genau das aus, was Barty durch den Kopf ging. „Das würde ich zu gern sehen.“ „Ich glaub, Longbottom würde das ziemlich hart treffen“, spottete Barty. „Im Moment scheint er es sich zur Aufgabe gesetzt zu haben, mich wegen meines strengen Vaters zu umsorgen. Als ob ich danach gefragt hätte. Ich bin doch kein kleines Kind!“ „Sieht dem aber ähnlich.“ „Ich werde schon mit diesem Scheißkerl fertig. Der Dunkle Lord persönlich hat mir versichert, dass mir das Vergnügen zuteil wird, diese elende Missgeburt von einem Vater zu töten.“ Ein grimmiges Lächeln verzerrte das sommersprossige Gesicht. „Ich kann es kaum erwarten, ihn zu sehen“, fügte Barty hinzu. Sein Augenmerk war auf einen fernen Punkt in der Zukunft gerichtet. Ein zarter Hauch von Wahnsinn flackerte darin. „Wenn dieses Arschloch endlich erkennt, wer direkt vor seiner Nase für seinen Untergang gesorgt hat.“ Stille kehrte ein. Von der Rachevorstellung in einem Kopf verzückt, nippte Barty an seinem Feuerwhisky. Dann begegnete er Rabastans Blick mit einem breiten Grinsen. „Auf den Dunklen Lord!“, rief er plötzlich und hielt inbrünstig sein Glas in die Höhe. „Auf den Dunklen Lord“, erwiderte Rabastan. Ein helles Klirren erfüllte den kleinen Raum, als die beiden Todesser anstießen. ~*~ „Barty, bist du so weit?“ Ein vorsichtiges Klopfen ertönte an der Tür zu seinem Zimmer. „Einen Augenblick, Mutter!“, rief Barty und räumte eilig ein paar Dokumente zusammen, an denen er gerade gearbeitet hatte, ebenso wie ein unauffälliges schwarzes Buch. „Barty?“ Die Tür öffnete sich leise und die schmale Gestalt von Mrs Crouch betrat das ordentlich hergerichtete Zimmer. „Mutter, Frank hat doch gar keine genaue Ankunftszeit genannt“, sagte Barty darum bemüht, sich seinen Ärger über das ungefragte Eindringen seiner Mutter nicht anmerken zu lassen. „Wir werden schon nicht zu spät kommen.“ „Ich weiß, Liebling.“ Seine Mutter lächelte ein zartes Lächeln. „Aber es wäre doch schade, wenn wir sie allzu lange warten ließen.“ „Hat Vater sich schon beschwert?“ „Nein, er sitzt noch im Büro.“ Barty spürte, wie diese Worte ihm unerwartet einen Stich versetzten. Der Anblick seiner Mutter, die ihre Freude über die anstehende Feier kaum verbergen konnte, stimmte ihn traurig. Es würde einer der seltenen Abende sein, an denen sie etwas unternahm — und das auch noch gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem Sohn. „Lass uns runtergehen“, sagte er schließlich und zwang sich zu einem Lächeln, „Vater wird bestimmt gleich fertig sein.“ Doch ihnen war klar, dass die Worte einer längst erloschenen Hoffnung entsprangen. Mr Crouch war noch nicht mit seiner Arbeit fertig. Das würde er auch nie sein. „Vater, wir wollten Frank und Alice wirklich nicht so lange warten lassen, das wäre unhöflich“, wagte Barty einem winzigen Teil seines Ärgers Luft zu machen, nachdem er eine gefühlte Ewigkeit mit seiner Mutter zusammen gewartet hatte. Er stand abwartend vor der großen Tür, hinter der sich Mr Crouchs Arbeitszimmer befand, und bemerkte kaum, wie er nervös auf seinen Fußballen auf- und abwippte. Da endlich hörte er das leise Klacken des Schlosses, als sich die Klinke hinunterdrückte und Mr Crouch vor seinem Sohn aufragte. „Bist du so weit?“, brachte Barty eilig hervor und wich instinktiv vor dem strengen Blick seines Vaters zurück. „Wir würden wirklich gerne los.“
Mr Crouch sagte nichts. In aller Ruhe riegelte er sein Arbeitszimmer ab und lief wortlos an seinem Sohn vorbei auf seine Frau zu. „Es tut mir leid, wenn ich dich habe warten lassen, Liebes. Ich befinde mich gerade in einer wichtigen Verhandlung“, hörte Barty seinen Vater sagen. Unwillkürlich ballte er die Hände zu Fäusten, während er sich wieder seinen Eltern zuwandte. „Es ist in Ordnung, Barty. Ich wollte dich nicht hetzen.“ Immerhin war sein Vater schon aufbruchbereit, weshalb sie sich ohne weitere Verzögerungen auf den Weg zu den Longbottoms machen konnten. Zu dritt apparierten sie an eine kleine Waldgrenze. In etwas weiter Ferne konnte Barty ein Dorf ausmachen; ansonsten schien der Ort sehr abgeschieden zu sein und möglichen Bewohnern Ruhe und Frieden vor unwillkommenen Gästen zu schenken. Während Barty seinen Eltern in den Wald hinein folgte, musterte er schweigend seine Umgebung und versuchte sich alles gut einzuprägen. Man wusste schließlich nie, wozu das noch nützlich sein konnte. Dann hatten sie ein kleines Haus erreicht, das ganz offensichtlich der Grund für den starken Apparierschutz war. Nachdenklich ging Barty hinter seinen Eltern den gepflasterten Weg durch den Vorgarten entlang. Nichts deutete daraufhin, dass an dem heutigen Abend eine Feier veranstaltet wurde. Alles war ruhig und friedlich, geradezu widerlich idyllisch in einer Zeit, die vom Krieg zerrüttet war. „Hallo, da seid ihr ja!“, riss Barty eine warme Frauenstimme aus den Gedanken. Zerstreut sah er auf und beobachtete mit einem Anflug von Überraschung, wie seine Mutter Alice Longbottom eine herzliche Umarmung zur Begrüßung gab. Sein Vater nickte nur knapp, was Alice mit einem belustigten Lächeln quittierte. Dann fiel ihr Blick auf ihn. „Hi, Barty“, sagte sie, „schön dass du kommen konntest.“ Und ehe Barty, wusste wie ihm geschah, befand er sich in einer flüchtigen Umarmung. Verwundert starrte er die junge Frau mit den kurzen mausbraunen Haaren an und versuchte herauszufinden, was für ein Beweggrund sie zu einer solchen Handlung treiben konnte. Sie waren Arbeitskollegen — wenn man das so bezeichnen konnte, schließlich arbeiteten sie beide in unterschiedlichen Bereichen — aber Kontakt darüber hinaus hatten sie nie miteinander gehabt. Bartys Blick huschte zu seiner Mutter, auf deren Gesicht sich ein glückliches Lächeln gestohlen hatte. Wahrscheinlich hatte alles seine Richtigkeit. Er unterdrückte ein Seufzen und zwang sich eilig zu einer Antwort: „Ich hab mich sehr über die Einladung gefreut.“ Eine etwas unbeholfenen Stille trat ein, die Alice schnell wieder durchbrach: „Ähm kommt doch erst einmal rein. Nicht dass ihr mir in dieser Eiseskälte erfriert.“ Drinnen erwartete sie wohlige Wärme und ein seltsames Gefühl von Zuhause schlug Barty entgegen. Während er sich seines warmen Winterumhangs entledigte, sah er sich bedächtig im Inneren um und spitzte die Ohren. Stimmen drangen zu ihm vor, kaum dass die Haustür wieder ins Schloss gefallen war und der Zauber, der verhinderte, dass Lärm nach draußen drang, unwirksam wurde. „Kommt am besten einfach mit, die meisten sind schon da“, plauderte Alice freundlich und führte ihre Gäste zu einem großen Salon, in dem an einer langen Tafel ein gutes Dutzend Hexen und Zauberer saßen. In einer Ecke zwischen einer großen Couch und zwei bequem aussehenden Sesseln mit dicken Kissen spielten zwei rothaarige Jungen mit sich bewegenden Figuren. Bevor Barty sie näher betrachten konnte, hatten die übrigen Gäste bereits seine volle Aufmerksamkeit beansprucht. Mit einem Mal befand er sich inmitten eines herzlichen Chaos’ aus Begrüßungen und Händeschütteln. Ein feindliches Gesicht nach dem anderen erschien vor ihm. Sie alle hatten ein fröhliches, geradezu unbeschwertes Lachen auf den Lippen. Nie hätte Barty gedacht, dass es eine Wohltat sein würde, dem mürrischen Antlitz Moodys gegenüber zu stehen. Aber bei ihm wusste Barty immerhin, wo er dran war. „Hallo Moody“, sagte er und spielte den Schüchternen. „Freut mich Crouch“, brummte Moody und hatte sich bereits Bartys Eltern zugewandt. „Barty, wie geht’s?“, begrüßte ihn da Franks Stimme aus dem Gewirr heraus. „Toll, dass du kommen konntest.“ Barty lächelte unsicher und wünschte sich ganz weit weg. Er erwiderte Franks Handschlag und ließ sich von ihm zu einem Platz an dem vollen Tisch führen. Seine Mutter war bereits in ein Gespräch mit Alice vertieft, während sich sein Vater etwas weiter entfernt mit Moody in eine Ecke zurückgezogen hatte. „Die können die Arbeit auch nie ruhen lassen“, meinte Frank, der Bartys Blick gefolgt war. „Dabei gibt es auch noch andere wichtige Dinge im Leben.“ „Ach lass die nur — irgendjemanden muss es ja geben, der uns diesen ganzen Kram erspart“, tönte von einem Tischende eine Stimme, die Barty nur allzu vertraut war. Da saß Sirius Black. Das schulterlange Haar hing ihm verwegen ins Gesicht, in dem er mittlerweile einen Bart trug, und in seiner Hand hielt er lässig einen Kelch. Es fiel Barty schwer, ihm nicht augenblicklich den Rücken zuzukehren. Regulus Blacks Bruder. Ein Blutsverräter der schlimmsten Sorte. Hinzu kamen all die Situationen, in denen Sirius während seiner Schulzeit auf Regulus herumgehackt hatte und in die Barty das ein oder andere Mal ebenfalls verwickelt gewesen war. Glücklicherweise entbrach eine kleine Diskussion zwischen Sirius und Frank, die alle Aufmerksamkeit von Bartys Anwesenheit lenkte. Stattdessen ermöglichte sie es ihm, auch noch Sirius’ Begleitung in Augenschein zu nehmen: James Potter, Remus Lupin und Peter Pettigrew. Am liebsten hätte er eine Grimasse geschnitten. Doch letztlich blieb ihm nur ein freundliches Lächeln, als Potter auf einmal Blickkontakt zu ihm aufnahm. Heimlich kreuzte Barty die Finger unter dem Tisch, dass er nicht ein Gespräch anfangen würde. Er hatte diesem ehemaligen Unruhestifter nichts zu sagen. Zu seinem Glück lenkte jedoch eine junge rothaarige Frau Potters Aufmerksamkeit ab — Lily Evans beziehungsweise mittlerweile Potter. „Kannst du dich kurz um Harry kümmern? Ich wollte mit Molly einmal an die frische Luft.“ Vorsichtig nahm James das Bündel entgegen und schenkte erst dem kleinen Baby und dann seiner Frau ein liebevolles Lächeln. „Aber sei vorsichtig, ja?“ Lilys gespielt genervter Blick sprach Bände, dann war sie zwischen den Gästen wieder verschwunden. „Wenn du hungrig bist, Barty, kannst du dich übrigens da hinten am Buffet bedienen“, riss Alice’ Stimme ihn plötzlich aus seinen Gedanken. Verwirrt folgte er der angegebenen Richtung und spürte, wie sich beim Anblick all der leckeren Speisen sein Magen meldete. „Danke“, sagte er leise und verschwendete keine Zeit damit, aufzustehen. Um ehrlich zu sein, war er sogar richtiggehend froh, eine Ausrede gefunden zu haben, nicht länger bei Frank und Potters Freunden sitzen zu müssen. Wenn er gekonnt hätte, hätte er so viel Abstand wie möglich zwischen sie gebracht. Sie erinnerten ihn an Hogwarts. „Das hier ist ein Eintopf von Molly, den solltest du unbedingt probieren und hier sind noch Salate und Pasteten …“ Barty hörte gar nicht mehr länger zu. Wann hatte er zuletzt gegessen? In den letzten Monaten waren seine Mahlzeiten schrecklich unregelmäßig geworden. Immer hatte es etwas zu tun gegeben, nie hatte er eine Pause gehabt, um sich einfach einmal hinzusetzen, Luft zu holen und zu entspannen. Nachdenklich sah Barty zu Longbottom, der Potter und seine Freunde wieder verlassen und sich mit einem Lachen zu Moody und seinem Vater gesellt hatte. Das Lachen schwand aus Franks Gesicht, als Barty seinen Vater etwas sagen und Moody bekräftigend nicken sah. „Hast du schon den Kesselkuchen probiert?“ Dieses Mal war es seine Mutter, die sich neben ihn gestellt hatte, nachdem Alice sich geschäftig einen Weg durch das bunte Treiben gesucht hatte, um ihrer Pflicht als Gastgeberin ohne Hauselfe nachzukommen. „Ich dachte, ich fange erst einmal mit dem Eintopf an“, meinte Barty, der sich eilig eine Schüssel füllte und nach einem Stück Brot griff. „Stimmt, du hattest ja gar kein Mittagessen.“ Doch Barty schenkte seiner Mutter keine Beachtung mehr. Stattdessen versuchte er sich unauffällig in Hörweite von Moody und den anderen beiden zu schleichen. Er wusste, dass er später dringend die Potters im Auge behalten sollte, doch solange Lily sich mit Molly draußen rumtrieb, konnte Barty die Zeit noch anders verbringen. Und irgendetwas sagte ihm, dass es wichtig war. „Heh! Pass auf!“ Barty ging weiter, die Stimme beschloss er einfach zu ignorieren. „Das war gemein von dir!“ Plötzlich befand sich ein rothaariger kleiner Junge direkt in Bartys Laufbahn und funkelte ihn herausfordernd an. Mit einer Mischung aus Verständnislosigkeit und purem Genervtsein starrte Barty zurück. „Was habe ich denn getan?“, wollte er wissen, während er unmerklich zu den drei Zauberern schielte. „Du hast Charlies Drachen zertrampelt!“ „Ich hab was?“ „M-Mein Drache, er hätte fast gewonnen“, ergänzte ein etwas kleinerer Junge — offenbar Charlie — traurig über den Verlust seines Drachen. „Das tut mir leid. Das hab ich wohl nicht gesehen.“ Für Barty war die Sache damit erledigt, für die beiden Jungen jedoch nicht. „Jetzt musst du uns einen Schokodrachen bringen. Mama, erlaubt uns nämlich keinen mehr. Sie sagt, wir sollen den anderen nicht alles wegnehmen“, wandte der ältere der beiden Jungen ein. Was für Schokodrachen? Warum mussten ihn diese Blagen damit nerven? Er wusste nicht einmal, was er überhaupt getan hatte. Verstimmt sah sich Barty um und entdeckte auf dem Teppich einen plattgetretenen dicken Fleck Schokolade. „Solltet ihr das nicht zuerst einmal sauber machen?“, fragte er und verkniff sich in letzter Sekunde den hämischen Unterton. Charlie starrte traurig auf den Schokoladenfleck, während sein Bruder die Arme verschränkte und sachlich erklärte: „Wenn, müsstest du das, weil du hast ja den Drachen zertreten.“ „Und ihr habt euer Spielzeug einfach herumliegen lassen.“ „Aber-“ „Bill, Charlie belästigt doch nicht Bartemius, er hat sich gerade etwas zu essen genommen. Seht ihr das nicht?“ Ein Zauberer war herangetreten, der Barty irgendwie bekannt vorkam und der genauso rotes Haar wie die beiden Jungen hatte. Das musste also ihr Vater sein. „Arthur Weasley“, stellte er sich mit einem freundlichen Lächeln vor. „Ich arbeite im Büro gegen den Missbrauch von Muggelartefakten.“ „Bartemius Crouch Junior.“ Barty schüttelte steif die ihm dargebotene Hand und bemühte sich darum, all seine Verachtung für diesen Mann zu unterdrücken. Dieses Gesindel um ihn herum war diesen Abend sein Bekanntenkreis. Er musste sich gut mit ihnen geben, durfte sich nichts anmerken lassen. „So und ihr beide guckt, dass ihr mit euren Spielsachen nicht im Weg seid, ihr habt doch gehört, was eure Mutter gesagt hat“, wandte sich Arthur Weasley streng an seine beiden Söhne. Barty nutzte die Gelegenheit, um sich davon zu stehlen und sofort herauszufinden, dass die Diskussion zwischen seinem Vater und den beiden Auroren wieder ein Ende gefunden hatte. Resigniert biss Barty ein Stück von seinem Brot ab und überlegte, wie er am sinnvollsten vorgehen konnte, um diesen Abend zu überstehen und dem Dunklen Lord nützliche Informationen erbringen zu können. „Was habt ihr denn da gemacht? Das tut mir leid, Alice. Und nein. Nein, Charlie, es gibt keine Schokoladendrachen mehr für euch. Guckt euch doch mal diese Sauerei an!“ Interessiert sah Barty zu einer rothaarigen dicken Frau, die verärgert die Hände in die Hüfte gestemmt hatte und scheltend auf die beiden Jungen herabsah. Das musste dann wohl Molly Weasley sein. „Das mit dem Schmutz ist doch kein Problem“, wandte Lily ein und hatte bereits ihren Zauberstab gezückt, als Barty vortrat. „Entschuldigung, aber ich glaube, ich trage ebenfalls Schuld an dem Dreck. Ich habe nicht so genau hingeschaut, wo ich hintrete.“ „Nein, mein Lieber, du kannst nichts dafür. Ich habe den beiden heute schon mehrere Male gesagt, dass sie ihre Sachen nicht einfach so rumliegen lassen sollen“, fiel Mrs Weasley ihm ungnädig ins Wort. „Trotzdem“, fuhr Barty unbeirrt fort, „möchte ich das wieder gut machen.“ Mit einem kleinen und wie er hoffte freundlichen Lächeln, griff er nach seinem Zauberstab und ließ den Schokoladenfleck mit einem geübten Schlenker nicht nur aus dem Teppich verschwinden, sondern bildete daraus einen neuen Drachen, der sich schwebend auf Charlie zu bewegte. „Als Wiedergutmachung“, fügte Barty hinzu, als der kleine Junge ihn aus großen Augen ehrfurchtsvoll ansah. „Das ist aber lieb“, lächelte Lily. „Und dein Zauber war wirklich gut.“ „Tja, unser Barty ist eben ziemlich begabt, was?“ Plötzlich war Frank hinter ihnen aufgetaucht und gesellte sich in den kleinen Kreis, der sich zwischen den Sofas gebildet hatte. „Hast zwölf UTZs gehabt, oder?“ Daraufhin erntete er von einigen der Anwesenden anerkennende Blicke und ehe Barty etwas dagegen unternehmen konnte, spürte er, wie seine Wangen heiß wurden. „Na ja, ich habe mich gut vorbereitet“, erklärte er. „Unsinn, du hast echtes Talent. Eigentlich eine Schande, dass du nicht zu uns in die Aurorenzentrale gekommen bist. So jemanden wie dich könnten wir gut gebrauchen“, meinte Frank grinsend. „Das hatte Professor Slughorn mir bei der Berufsberatung auch vorgeschlagen.“ Barty erinnerte sich noch gut daran. Damals hatte er den Verdacht gehabt, dass die Lehrer vom Ministerium verpflichtet gewesen waren, den Schülern den Beruf des Aurors schmackhaft zu machen, denn dank der hohen Anforderungen waren Auroren Mangelware im Kampf gegen Voldemort. „Siehst du“, lachte Frank, „da bin ich ja nicht der Einzige, der so denkt.“ „Der Junge taugt überhaupt nichts zum Auror“, meldete sich Moodys knurrige Stimme zu Wort. Barty spürte den Blick des Aurors auf sich brennen. Unbemerkt traten seine Knöchel weiß hervor, während er noch immer seinen Zauberstab umklammert hielt. Natürlich hatte Moody recht. Er taugte nichts zum Auror. Aber das auch nur, weil diese sich auf der falschen Seite befanden. „Jetzt sei doch nicht so hart. Wenn es nach dir ginge, würde kaum jemand die Ausbildung bestehen“, warf Alice lachend ein. Moody zuckte jedoch die Achseln. „Ich sag nur, wie’s ist“, schnaufte er und löste sich wieder aus dem Grüppchen, um an dem langen Esstisch Platz zu nehmen. „Moody hat recht“, sagte Barty, „mir liegt der ganze Papierkram besser. Ich wäre bei euch ein hoffnungsloser Fall.“ „Ach, jetzt sei doch nicht so hart zu dir“, meinte Frank und zuckte dann die Achseln. „Aber eigentlich lohnt’s sich nicht, sich darüber noch einen Kopf zu machen — schließlich haben wir mit dir einen wertvollen Mitarbeiter in der Magischen Strafabteilung gewonnen, was?“ Barty versuchte sich an einem Lächeln und konzentrierte sich schnell auf irgendetwas anderes, um nicht in all die optimistischen Gesichter blicken zu müssen. Wenn die wüssten! Unwillkürlich biss er von seinem Stückchen Brot ab, damit er den aufkommenden Spott aus seiner Miene vertreiben konnte. „Oh, ich wollte dich nicht vom Essen abhalten.“ „Schon in Ordnung“, meinte Barty, während er froh war, nun einen Grund zu haben, der ihn aus der kleinen Gruppe führte und Ablenkung versprach. Kurz bevor er jedoch mit Frank den Tisch erreicht hatte, erklang ein lautes Klirren in dem ausgelassenen Gerede. Es brauchte, bis Barty begriff was geschehen war. Wie benommen starrte er auf seine leere, linke Hand und blickte dann zu Boden, wo sich sein unberührter Eintopf langsam zwischen den Scherben der zersprungenen Schüssel ausbreitete. Sein Kopf war wie leergefegt. Mit weitaufgerissenen Augen sah er zu Longbottom, in dessen Gesicht eine Mischung aus Sorge und Überraschung geschrieben stand. Bartys Hand zuckte. Nur mit Mühe konnte er verhindern, nicht seinen Ärmel hochzureißen und auf das Dunkle Mal zu starren, das glühend heiß auf seiner Haut brannte und von dem Ruf des Dunklen Lords kündete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)