rubatosis von Ur (Femslash Oneshot-Sammlung) ================================================================================ Kapitel 1: Sigrun x Velanna (Dragon Age: Awakening) --------------------------------------------------- »Was wirst du tun, wenn du deine Schwester gefunden hast?« Velanna knabberte schlecht gelaunt an einem harten Stück Brot herum. An einer der Kanten war es bereits ein wenig grün, aber wenn man sich in den Deep Roads herumtrieb und keine Gewissheit darüber hatte, wann man das nächste Mal den Himmel sehen und etwas Frisches zu essen bekommen würde, wurden selbst derlei Widerlichkeiten essbar. Seit zwei Wochen hatte sie keine Sterne oder einen Baum gesehen oder die frische Luft um ihre Nase gespürt. Bereits nach wenigen Tagen hatte Velanna sich miserabel gefühlt. Sie vermisste den Wald und den Wind in ihren Haaren. Außerdem schien ihre Magie hier unten – so viele Meter unter der Erde – schwächer zu sein als in der freien Natur. Das war nicht unbedingt beruhigend, wenn man sich mehrmals am Tag mit Gruppen von Darkspawn herumschlagen musste. Immerhin waren dabei ihre neuerlich erlangten Fähigkeiten als Graue Wächterin hilfreich. Ob man sie und Sigrun bei den Wächtern vermisste? »Was meinst du?«, fragte sie ungeduldig und genehmigte sich einen Schluck schales Wasser. Vielleicht bildete sie es sich nur ein, aber selbst das Wasser schmeckte nach Staub. Sigrun schien sich kein bisschen an der bedrückenden Enge, der abgestandenen Luft und der monotonen Umgebung zu stören. Kein Wunder. Elende Steinfresser diese Zwerge, allesamt. Wie um alles in der Welt sie gerade mit einer Zwergin in der scheußlichsten Gegend von Ferelden hatte landen können, war Velanna ein Rätsel. Weil niemand sonst mit dir dieses unmögliche Unterfangen angehen wollte, wisperte eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf, die beinahe klang wie das Sausen des Windes in Baumkronen. Es war nicht unwahrscheinlich, dass Velanna nach mehreren Wochen in den verteufelten Deep Roads wahnsinnig wurde. »Naja, du weißt schon. Sie sah… nicht unbedingt frisch und gesund aus, wenn du verstehst was ich meine.« Velanna warf Sigrun einen finsteren Blick zu. Das kleine Lagerfeuer, das sie angezündet hatten, schickte flackernde Schatten über das tätowierte Gesicht der Zwergin. Velanna fragte sich dumpf, ob Sigrun Geschwister hatte und ob ihre dämlichen Fragen ein Zeichen dafür waren, dass sie ein Einzelkind war. Wie um alles in der Welt hatte sie es sich einfallen lassen, ihr Leben in die Hände einer untoten Zwergin zu geben, die regelmäßig über ihren einen Tod scherzte, schlechte Witze über Steine und Sex machte und derartig unsensible Fragen stellte, dass es einem die Nackenhaare zu Berge stehen ließ? »Im Zweifelsfall kann ich sie immer noch zu einem Grauen Wächter machen«, sagte Velanna und starrte in die Flammen, als könnte sie darin all die Antworten auf ihre Fragen finden, wenn sie nur lange genug hin sah. In Wahrheit hatte sie keine Ahnung, ob es möglich war, ihre Schwester zu heilen, indem man sie dem Beitrittsritual der Grauen Wächter aussetzte, aber sicherlich war ein Versuch besser, als die Existenz, die Seranni jetzt führte. Velanna legte den Rest Brot beiseite. Der Hunger hatte sie verlassen, nachdem das entstellte Gesicht ihrer Schwester vor ihr inneres Auge getreten war. Sigrun sah beeindruckt aus. »Spannender Plan. Je mehr, desto lustiger, was? Ich hoffe mal, die Kommandantin nimmt uns wieder zurück, nachdem wir uns so still und heimlich aus dem Staub gemacht haben.« Velanna beschloss, sich lieber keine Gedanken darüber zu machen, ob die Kommandantin sie weiterhin bei den Wächtern behalten wollte, wenn sie zurück kamen. Der kurze Brief, den Sigrun Anders diktiert hatte – sie selbst konnte nicht lesen und schreiben, hatte aber darauf bestanden, dass die Kommandantin informiert wurde – erklärte sehr kurz und vollkommen reuelos, was sie und Velanna vorhatten. Anders hatte seufzend versprochen, der Kommandantin nichts zu erzählen, bis sie beide sich aus der Festung gestohlen hatten, doch Velanna bezweifelte, dass er sich daran gehalten hatte. Trotzdem hatten Sigrun und sie es recht weit geschafft und bisher war niemand hinter ihnen aufgetaucht, um sie zur Festung zurück zu schleifen. Velanna würde es im Leben nicht zugeben, aber die Vorstellung des enttäuschten Gesichts der Kommandantin, wenn diese ihr Verschwinden bemerkte, bereitete ihr großes Unbehagen. Respekt war etwas, das Velanna nicht leichtfertig vergab, doch jetzt hatten es bereits zwei Zwerginnen innerhalb kürzester Zeit geschafft, ihren Respekt zu gewinnen. Keine der beiden wusste davon. Und was Sigrun anging, so wollte ihr gegenüber sogar noch weniger zugeben, dass sie die Zwergin nicht halb so abscheulich fand, wie sie immer vorgab. Die Stimme in ihrem Hinterkopf höhnte, dass Sigrun dies ohnehin schon wissen musste, immerhin hatte Velanna sie auf diese Unternehmung mitgenommen. Sie hatte mehrfach betont, dass es nur darum ging, eine kompetente Führung durch die elenden Wirrungen der Deep Roads zu haben, und am Anfang mochte dies vielleicht wirklich ihr einzigen Motiv gewesen sein. Mittlerweile war sie dankbar für die Gesellschaft. Und eigentlich hasste Velanna jede Art von Gesellschaft – mit Ausnahme der Gesellschaft ihrer Schwester. »Du solltest ein wenig schlafen. Ich kann die erste Wache übernehmen«, sagte Sigrun und musterte Velanna mit schief gelegtem Kopf. Im Licht der Flammen wirkten ihre Tattoos noch beeindruckender als bei Tageslicht und Velanna schauerte innerlich bei dem Gedanken daran, dass diese Tattoos Sigrun zu »Lebzeiten« als wertlos markiert hatten. Zwerge waren ein grausames Volk. »Ich bin nicht müde«, sagte sie missmutig und schlang ihre Arme um die Knie. Sigrun gluckste leise. »Keine Angst. Ich hab dich zwei Wochen lang im Schlaf beschützt, ich werd‘ jetzt schon nicht damit aufhören.« Velanna schnaubte. »Ich brauche niemanden, der mich beschützt«, brummte sie. Sigrun lachte. Wie dieses Zwergenweib es überhaupt schaffte in diesen vermaledeiten Höhlen bei so guter Laune zu sein, war Velanna ein Rätsel. Dann wiederum war das generelle Konzept von guter Laune noch nie ihr Ding gewesen. »Wenn du allein in den Deep Roads unterwegs bist schon. Schlaf ein paar Stunden und wenn du wach bist suchen wir weiter.« Velanna starrte missmutig, Sigrun grinste aufmunternd. Schließlich gab Velanna nach, rollte sich auf dem harten Steinboden zusammen und schloss die Augen. Sie hörte Sigrun summen und wollte ihr sagen, dass sie ihre einfallslosen Zwergenlieder für sich behalten sollte, doch die Melodie wogte über sie hinweg und wenige Momente später war Velanna eingeschlafen. * Sie wachte von einem gurgelnden Geräusch und einem ziehenden Gefühl in ihrer Magengegend auf, das sie sehr gut kennen gelernt hatte, nachdem sie den Grauen Wächtern beigetreten war. Velanna riss die Augen auf und stieß einen würdelosen Quietschton aus, als ein Genlock mit durchgeschnittener Kehle und leeren, stierenden Augen direkt vor ihr auf dem Boden aufstieß und dunkles Blut in Velannas Richtung sickerte. Sie fuhr in die Höhe und ignorierte den Schwindel, der sich ihres Kopfes bemächtigte. Sigrun lachte, während sie mit ihren Dolchen durch die Dunkle Brut pflügte. Sieben Leichen lagen bereits ums Lager verteilt und Velanna war fassungslos angesichts der Tatsache, dass sie jetzt erst aufgewacht war. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust und einen Augenblick lang war sie wie gelähmt, da ihr der Schlaf immer noch in den Knochen steckte. Ihre Augen ruhten auf Sigrun, dann riss sie sich aus der Trance und griff nach ihrem Stab. Und nicht zu spät. Einer der Hurlocks hatte Sigrun gepackt und die Zwergin hatte aufgrund ihrer geringen Körpergröße den Nachteil. Sigrun wand sich und versuchte einen ihrer Dolche rücklings in die Bauchgegend des Hurlocks zu rammen, doch er hatte ihre Arme in einem schraubstockartigen Griff. »Lass sie mich nicht mitnehmen! Bring mich um, bevor sie mich mitnehmen!«, schrie Sigrun aufgebracht. Velanna spürte die Magie unter ihrer Haut pulsieren und im nächsten Moment explodierte ihre Kraft. Sie ließ ihren Stab wirbeln und Velanna wirbelte mit ihm und in einem Strom magischer Energie, wie sie sie seit Wochen nicht gespürt hatte. »Ihr werdet sie nicht bekommen!« Wurzeln brachen durch die massiven Steinwände und aus der Decke und griffen sich die übrig gebliebenen Darkspawn wo sie standen. Einige wurden gegen die Höhlendecke gerissen, andere wurden von den Wurzeln zerquetscht. Velanna streckte ihren Stab aus und deutete durch den Staub und das Durcheinander auf den Hurlock, der Sigrun gepackt hatte. »Du wirst sie nicht haben«, sagte sie leise und beinahe hatte man das Gefühl, dass der Hurlock sie verstand, denn er schien zu zögern. Dieser Moment reichte Velanna und Sigrun. Der Hurlock wurde gleichzeitig von einem Dolch und einer dornigen Wurzel aufgespießt und sackte mit einem widerlich gurgelnden Geräusch zu Boden. Sigrun schüttelte sich und steckte ihre Dolche weg, ehe sie Velanna beeindruckt zunickte. »Erinner mich daran dich nie sauer zu machen«, sagte sie und fing an ihre Sachen zusammen zu packen, als wäre nichts geschehen. »Warum hast du mich nicht aufgeweckt? Bist du wahnsinnig?« Sigrun hob überraschend die Augenbrauen. »Ich hab mehrere Monster erledigt und war dabei nicht unbedingt leise, ich dachte ehrlich gesagt, dass du von selbst aufwachen würdest.« Velanna spürte ihre Wangen vor Hitze brennen und sie kniete sich auf den Boden, um ihr Unwohlsein zu verbergen. Sigrun gluckste heiter, als wäre sie nicht gerade beinahe von einem Hurlock fortgeschleppt und in eine Brutmutter verwandelt worden. Velanna schauderte innerlich bei dem Gedanken an die Panik auf Sigruns Gesicht und an die Erinnerungen einer Gewissen Grube in Kal’Hirol… »Danke für die Rettung, Prinzessin«, sagte Sigrun lächelnd. Velanna schnaubte empört. »Ich bin keine Prinzessin!« »Ich dachte du wärst sowas wie eine Elfenprinzessin?« »Ich war Lehrling meines Keepers! Das hat nichts mit solchen unsinnigen Dingen wie menschlichem oder zwergischem Adel zu tun! Es ist eine ehrenvolle Position!« Sigrun zuckte mit den Schultern und schulterte ihre Tasche. Mit einem großen Schritt trat sie über eine der Leichen hinweg und reckte die Nase der Dunkelheit entgegen. »Wie auch immer, Prinzessin. Lass uns weitergehen.« * »Weißt du, als du gesagt hast ‚Du kannst sie nicht haben‘, hatte ich Gänsehaut auf den Ohren.« »Halt die Klappe!« * Sie fanden einen dieser abnormen sprechenden Hurlocks nachdem sie mehrere Stunden gewandert waren. Velannas Magie fühlte sich mittlerweile wieder gedämpft an und sie hätte beinahe alles dafür gegeben sich wieder so zu fühlen wie in dem Kampf vor ein paar Stunden, in dem die Magie so nah unter ihrer Haut pulsiert hatte. Ihre Verletzlichkeit trug nicht unbedingt zu ihrer guten Stimmung bei. »Gehörst du zum Architekten?«, fragte Sigrun, nachdem sie den Hurlock aus dem Schatten heraus überwältigt hatte. Velanna hatte sich vor ihm aufgebaut, nachdem Sigrun ihn in die Knie gezwungen hatte und ihn nun mit ihren Dolchen im Schach hielt. Der Hurlock zögerte einen Moment, dann nickte er. »Wir suchen eine junge Elfe, die der Architekt entführt und mit eurer Seuche infiziert hat«, zischte Velanna und hielt dem Hurlock ihren Stab sehr dicht vors Gesicht. Ihr Herz hämmerte in ihrem Brustkorb und sie ertappte sich dabei, wie sie den Atem anhielt. Auf dem Gesicht des Hurlocks breitete sich ein scheußliches Grinsen aus und Velanna musste der Versuchung widerstehen, es ihm mit Hilfe ihrer Magie aus dem Gesicht zu reißen. »Die Lady Seranni«, sagte der Hurlock und nickte kaum merklich. Sein Atem stank nach Verwesung und Velanna hätte sich bei dem Klang des Namens ihrer Schwester aus seinem Mund nur allzu gern vor seine Füße übergeben. »Mein Meister hat niemanden entführt. Die Lady Seranni war freiwillig an seiner Seite und unterstützte ihn bei seiner Suche«, sagte der Hurlock mit seiner kratzenden Stimme. Es klang ganz so, als hätte er seine Stimmbänder erst kürzlich in Gebrauch genommen. »War?«, hakte Sigrun leise nach, doch Velanna ignorierte sie. »Es ist mir egal, wonach dein Meister sucht! Sag mir wo meine Schwester ist!«, fauchte Velanna und presste die Spitze ihres Stabes gegen die Brust des Monsters. Der Hurlock lachte gurgelnd. »Der Meister hat davon gesprochen, dass jemand nach der Lady Seranni suchen würde. Wir sollen ausrichten, dass eure Suche vergeblich ist. Vor vier Tagen ist die Lady den Kindern der Mutter zum Opfer gefallen. Mein Meister konnte sie nicht retten.« Eine dröhnende Stille bohrte sich durch Velannas Ohren und in ihren Kopf hinein, presste sich hart auf ihre Atemwege und schickte eine kalte Taubheit durch ihren Körper. Sie konnte sich nicht mehr rühren. Sie hörte nicht, was Sigrun sagte oder was das Monster vor ihr antwortete. Er lügt, war ihr erster Gedanke gewesen, aber eine kleine Stimme in ihr verkündete, dass dieser wahllose Hurlock keinerlei Grund hatte sie anzulügen. Der Architekt hatte ganze Horden von Darkspawn unter seinem Kommando, es war nicht so, als könnte er eine winzigkleine Bedrohung durch sie und eine Zwergin nicht problemlos abschmettern. Seranni war tot. Aber war sie das nicht schon die ganze Zeit?, flüsterte eine kleine boshafte Stimme in Velannas Kopf. Hast du nicht gesehen, wie leer ihre Augen waren? Du hättest einsehen müssen, dass du sie nicht retten kannst. Ihre Knie gaben nach. Sie konnte nicht atmen. Velanna ließ ihren Stab fallen und presste sich die Hände aufs Gesicht, als könnte sie so die schreckliche Wahrheit abwehren, die sich von innen und von außen in ihre Haut bohrte. Ihre Schwester war gestorben und Velanna hatte sie nicht retten können. »Velanna. Hey! Velanna!« Sie schien eine Ewigkeit einfach nur auf dem harten, staubigen Boden der Deep Roads gesessen zu haben. Eine kleine robuste Hand hatte sich behutsam auf ihre Schulter gelegt und Velanna hob den Kopf, um Sigrun ins Gesicht zu sehen. Ihr tätowiertes Gesicht zeigte Besorgnis und Mitleid. Velanna war nicht einmal in der Lage, Sigrun abweisend mitzuteilen, dass sie ihr Mitleid nicht brauchte. Sie brauchte ihre Schwester. »Du musst mit diesem Erdbebenkram aufhören, sonst werden wir hier gleich noch lebendig verschüttet«, sagte Sigrun leise und Velanna blinzelte. Erst jetzt wurde ihr klar, dass der Boden unter ihren Knien bebte und dass Staub auf sie beide herab rieselte. Eine dünne graue Schicht hatte sich auf Sigruns dunkles Haar gelegt und viele kleine Staubkörner hingen in ihren Wimpern. Velanna schloss die Augen und atmete mehrere Male tief durch. Jetzt, da sie wieder zu sich gekommen war, hörte sie die leisen Stimme am Rand der Fade in ihrem Kopf flüstern. Du kannst sie noch retten. Komm zu uns und wir helfen dir, sie zu finden. Die Seelen der Toten reisen durch die Fade, weißt du das denn nicht? Velanna schob ihre Verbindung mit der Fade beiseite und versuchte sich aufzurichten. Von dem Hurlock war nichts mehr zu sehen. Sigrun hatte ihn offenbar gehen lassen. Vielleicht, weil sie sich um Velanna Sorgen gemacht hatte? »Ich hab gehört… ich hab gehört, dass Magier…«, begann Sigrun zögerlich und es war das erste Mal, dass Velanna Unsicherheit in der Stimme der Zwergin hörte. Sie war nicht unsicher gewesen, als sie Velanna zugerufen hatte, dass sie sie töten sollte, damit sie nicht als Brutmutter enden würde. Aber jetzt… »Ich höre ihre Stimmen«, sagte Velanna leise und heiser, während Sigrun ihr auf die Beine half. Sie stützte sich auf ihren Stab und vielleicht auch ein bisschen auf Sigruns Schulter. Sigrun schaut aus großen dunklen Augen zu ihr auf. »Sie sind immer da, wenn man… wenn man starke Emotionen hat. Das ist normal.« »Hör nicht auf sie, ok?«, sagte Sigrun leise. Für eine Zwergin musste Magie sogar noch seltsamer sein, als für Shemlens. Zwerge träumten nicht. Sie hatten nicht einmal eine vage Ahnung davon, wie sich die Fade anfühlte. »Natürlich nicht«, presste sie bissig zwischen ihren Zähnen hervor und wandte den Blick ab. Sigrun schwieg und einen Moment lang fragte Velanna sich, wieso sie überhaupt angehalten hatten und nicht weiter gingen. Bis ihr wieder einfiel, was gerade geschehen war. Das Beben des Bodens hatte aufgehört und Velanna umklammerte ihren Stab so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß wurden. »Wo ist der nächste Ausgang?«, fragte sie so leise, dass sie es selbst kaum hörte. Sigrun deutete mit einer Hand in die Dunkelheit hinter ihnen und Velanna straffte die Schultern und setzte einen Fuß vor den anderen. * Als sie die Oberfläche erreichten, stand Velanna einige Minuten still unter dem dunkelblauen Sternenhimmel und musterte die Umrisse der Bäume. Der Mond war beinahe voll und goss milchiges Licht über die unschuldig schlafende Landschaft. Es war friedlich und wunderschön und Velanna hätte am liebsten ihre Augen geschlossen und es nie wieder angesehen. Nichts durfte so schön sein, während sie um ihre Schwester trauerte. Es fühlte sich wie grausamer Hohn an. Die frische Luft klärte ihre Gedanken und sie hatte das Gefühl noch nie richtig geatmet zu haben. Die vielen Wochen unter der Erde hatten ihr schwerer zugesetzt, als sie es sich selbst eingestehen wollte. Auch ihre Verbindung zur Fade war nun wieder greifbarer als vorher. Sigrun stand neben ihr und musterte die Sterne, die aussahen wie kleine helle Nadelstiche im Firmament. »Als ich zum ersten Mal unter dem Himmel stand, dachte ich, ich würde hinein fallen«, sagte sie mit einem schiefen Grinsen. Velanna schnaubte leise. Sie wusste, dass die meisten Zwerge diese Angst teilten und sie hatte auch Oghren sagen hören, dass der Himmel ihn immer noch beunruhigte. Velanna verstand nicht so recht, wie so etwas so Wunderbares Leuten das Fürchten lehren konnte. Dann wiederum dachten die Zwerge sicherlich genau dies über ihre unterirdischen Königreiche und wenn Velanna daran dachte, wie sie die ganze Zeit Angst gehabt hatte, dass sie lebendig unter einem Haufen Schutt begraben wurde… »Als ich zum ersten Mal in einer Höhle war, dachte ich, ich würde ersticken«, gab sie zurück. Sigrun lachte leise. »Wir sind ein merkwürdiges Gespann«, murmelte sie und ließ sich zu Velannas Überraschung rücklings ins leicht feuchte Gras fallen. Es sah aus, als würde sie versuchen einen Schneeengel zu machen. »Mittlerweile finde ich es an der Oberfläche sehr schön. Gras zum Beispiel kitzelt großartig unter den Füßen, wenn man barfuß läuft. Und ich mag Vögel. Wir haben keine Vögel da unten. Oh, und Sonnenaufgänge. Sonnenaufgänge erinnern mich an die Lava unter der Erde.« Velanna setzte sich neben Sigrun ins Gras. Ihr fielen keinerlei Dinge an, die sie am Leben unter der Erde so schätzte wie das, was Sigrun gerade aufgezählt hatte. »Wirst du irgendwann zurückgehen?«, fragte Velanna. Sigrun riss ein Büschel Gras aus der Erde und ließ es über Velannas Knie rieseln. »Na klar. Du weißt schon, ich bin tot und alles. Irgendwann muss ich mich meinem Schicksal entgegenwerfen. Es wird sicher ein glorreicher Tag sein«, sagte Sigrun grinsend und ließ einige Grashalme auf ihr eigenes Gesicht fallen. Velanna antwortete nicht. Sie verstand die Loyalität der Zwergin einer Kultur gegenüber nicht, die sie wie Abschaum behandelte und sie zum Sterben in diese scheußlichen Tunnel geschickt hatte. »Keine Sorge, Prinzessin. Ich werd dir schon noch ein Weilchen erhalten bleiben«, meinte Sigrun amüsiert und boxte sie sachte gegen den Oberarm. Velanna warf ihr einen ungnädigen Blick zu. Einige Minuten herrschte Stille, dann… »Willst du mir ein bisschen von deiner Schwester erzählen?« Velanna hob den Kopf und schaute erneut hoch in den Nachthimmel. Vor einigen Wochen hätte sie Sigrun sicherlich gesagt, dass es sie nichts anging. Sie hatte schon immer andere Leute weggestoßen und ihre Schwester hatte immer versucht, sie dazu zu bringen, sich mehr zu öffnen. Jetzt war Seranni tot und Velanna war allein. »Als ich acht war, hab ich aus Versehen einen unserer Wagen in Brand gesteckt und Seranni…« * Wenn Sigrun bemerkte, dass Velanna jedes Mal einen Regenguss nutzte, um Tränen über ihre Schwester zu vergießen, dann erwähnte sie es nicht. Sie griff nur jedes Mal nach Velannas Hand und ging schweigend neben ihr her, als wäre überhaupt nichts Merkwürdiges dabei, dass eine untote Zwergin und eine ausgestoßene Dalish händchenhaltend durch die Landschaft marschierten. Der Schmerz war immer noch da, wenn Sigrun ihre Hand hielt, aber er wurde ein bisschen leichter zu ertragen. * Die Standpauke, die sie über sich ergehen lassen mussten, als sie Vigils Keep erreichten, fiel recht kurz aus, nachdem Sigrun den Warden Commander darüber informierte, dass Seranni gestorben war. Selbst Oghren machte keine dumme Bemerkung und Anders sah ausnahmsweise einmal so aus, als würde er eine Sache ernst nehmen – etwas, das Velanna vielleicht in ihrem Kalender anstreichen würde, wenn sie ein anständiges Bad genommen hatte. Genau das war es, was sie als erstes tat. Ihre Finger waren ganz schrumpelig, als sie nach über einer Stunde aus dem bereits erkalteten Wasser stieg und anfing sich abzutrocknen. Sie wollte einfach zehn Jahre schlafen und aufwachen, wenn all dies vorbei war. Der Grund, wieso sie den Grauen Wächtern beigetreten war, hatte sich in Luft aufgelöst. Sie war hierhergekommen, um ihre Schwester zu finden und zu retten. Aber sie hatte versagt. Nun war sie eine Graue Wächterin ohne Ziel und ohne Antrieb. Und sie lag frisch gebadet in einem weichen Bett in einer sicheren Festung, ihr Bauch war gefüllt mit leckerem, nicht verschimmeltem Essen und sie konnte verdammt noch mal nicht schlafen. Mehrere Wochen auf hartem Boden in nach Darkspawn stinkenden Tunneln und Gefahr hinter jeder Ecke… und ausgerechnet jetzt konnte sie nicht schlafen. Es klopfte leise an ihrer Tür. »Ich schlafe schon!«, rief sie ungehalten. »Ich nicht!«, ertönte Sigruns Stimme von draußen. Velanna zögerte kurz, dann seufzte sie. »Na schön. Komm rein.« Die Tür öffnete sich und Sigrun schlüpfte ins Zimmer. Es war immer seltsam sie ohne Rüstung zu sehen. Sigrun trug eine viel zu große Tunika und eine Leinenhose, die unten auf dem Boden schleifte, was wahrscheinlich bedeutete, dass sie sich ihre Kleidung von irgendjemandem geliehen hatte, der kein Zwerg war. Sie hatte auf ihre Zöpfe verzichtet und sah aus, als hätte sie ebenfalls bereits einige Zeit versucht einzuschlafen und als wäre sie kläglich gescheitert. Velanna starrte hoch zu Sigrun, die eine halbe Minute einfach nur schweigend vor Velannas Bett stand und auf sie herab sah. Dann holte Sigrun tief Luft. »Ich konnte nicht schlafen, weil mein Bett irgendwie zu weich war und vielleicht auch, weil du nicht da warst und deswegen hab ich darüber nachgedacht, ob es angemessen wäre, hier in deinem Zimmer zu schlafen. Ich würde auch auf dem Boden schlafen. Der ist wenigstens nicht zu weich.« Sigruns Mund klappte zu und Velanna blinzelte erstaunt. Dann schluckte sie verlegen und fischte in ihrem Gehirn nach einer höhnisch abweisenden Antwort, aber sie fand keine. Ihr Herz stolperte ein wenig und es fühlte sich an, als hätte sie beim treppab gehen eine Stufe verpasst. »Du musst nicht auf dem Boden schlafen«, brummte sie, rutschte ein Stück zur Seite und hielt ihre Bettdecke nach oben. Sigrun starrte sie aus riesigen Murmelaugen an, dann, als Velanna sich schon beinahe vor Verlegenheit auf die Zunge gebissen hätte, schlüpfte sie blitzschnell unter Velannas Bettdecke und rollte sich neben ihr zusammen wie Anders‘ Katze Ser-Pounce-A-Lot. Sie lagen mehrere Minuten in der Dunkelheit und Velanna dachte an ihre Zeit mit dem Clan, an ihre Schwester und daran, dass sie nun bis zu ihrem Tod eine Graue Wächterin sein und Darkspawn jagen würde. Als hätte Sigrun ihre Gedanken gelesen, kam ihre Stimme leise aus den Tiefen des Kissens. »Wenn wir irgendwann den Ruf hören, können wir zusammen in die Deep Roads gehen. Du hast ja mittlerweile auch Übung.« Velanna schnaubte leise. Es war plötzlich sehr warm unter der Bettdecke. »Vorher setze ich keinen Fuß mehr in diese verdreckten Tunnel«, knurrte sie leise. Sigrun lachte. »Ich fürchte, dass du da als Graue Wächterin nicht drum herum kommst.« »Ich kündige«, sagte Velanna halbherzig und Sigrun lachte erneut. []»Siegreich im Krieg, wachsam in Friedenszeiten, opferbereit im Tode.« Velanna stöhnte und Sigruns Kichern füllte das ganze Zimmer. Wenn jemand sie draußen hören würde, würde es Velanna wahrscheinlich nicht einmal mehr stören. Die Wahrheit war, dass Velanna mit niemand anderem in die Deep Roads gehen würde, als mit Sigrun, wenn es ihre Wahl wäre. »Dann hoffen wir, dass es noch lange dauert, bis wir den Ruf hören. Sonst müsstest du aufhören Gras auf mich zu werfen, wann immer wir draußen unterwegs sind.« Velanna drehte leicht den Kopf, als Sigrun nicht antwortete. Sie war eingeschlafen. Velanna ertappte sich bei einem leisen Lächeln, dann schob sie alle Gedanken an die Deep Roads und an Seranni beiseite, lauschte Sigruns gleichmäßigem Atem und schloss ebenfalls die Augen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)