Fairyrytales von Apricot ================================================================================ Kapitel 2: The Little Merman [ohne Smut] ---------------------------------------- Die Beine des dreijährigen Ryan tapsten ungeschickt über den Steg Richtung Meer. Seine Eltern bemerkten ihn nicht - sie lagen gerade am Strand und stritten sich, was Ryan in seinem Alter noch nicht so ganz verstand. Sie waren aber in letzter Zeit öfter so laut geworden, seit seine Mutter sein zukünftiges Geschwisterlein in ihrem Bauch spazieren trug. Ryan hatte noch nicht so wirklich verstanden, was seine Eltern damit meinten, aber offensichtlich würde er bald eine 'Schwester' bekommen - was auch immer das war. Was er aber wusste war, dass der Strand für ihn ein kleines Abenteuer war. Er war so groß und so voller Sand, das war total toll! Und er fand voll viele 'Muscheln' (das Wort hatte Mommy ihm erst heute Morgen erklärt… voll cool, oder?), die aber total leicht kaputt gingen. Mindestens so interessant wie der Strand war aber eben auch der hölzerne Steg, der immer so ein tolles Geräusch machte, wenn Ryan da mit vollem Körpergewicht drauf sprang. Genau das machte er auch, solange, bis er das Ende des Stegs erreicht hatte; immer ein bisschen Anlauf nehmen, Sprung, wumm, Anlauf nehmen, Sprung, wumm... Bis er schließlich das Ende des Stegs erreicht hatte. Hier hörte er seine Eltern gar nicht mehr streiten, was irgendwie ziemlich schön war. Außerdem konnte er von hier aus voll über das Meer sehen, was so unglaublich übergroß war, das Ryan es kaum glauben konnte. Vom Strand war das ja schon groß, aber hier am Ende des Stegs...! Boah! Ryan machte große Augen, wobei er gar nicht merkte, wie nah er am Rand des Stegs stand. Gut, genau genommen merkte er es schon, er dachte nur nicht darüber nach. Erst, als sich einer der 'Möwen' (ebenfalls ein Wort, dass seine Mutter ihm erst kürzlich beigebracht hatte) bemerkbar machte, drehte er sich geschockt um. Die Dinger waren riesig (jedenfalls in seinen Augen), mindestens so groß wie er und machten ihm ungeheuer Angst. Und gerade im Moment kreischte eine - direkt hinter ihm! Ryan machte einen kleinen, erschrockenen Sprung, der von der Distanz wahrscheinlich ziemlich lustig ausgesehen hätte. Dabei versuchte er sich zu drehen, um vor dem Bösewicht zu entkommen... Es war im Endeffekt kein Wunder, dass er das Gleichgewicht verlor. Instinktiv ruderten seine kleinen, möglicherweise etwas plumpen Arme, aber es war zu spät: Die Möwe hatte ihm einen solchen Schrecken eingejagt, dass er rückwärts von ihr weg fiel - also direkt ins Meer. Es blieb Ryan kaum noch Zeit, darüber nachzudenken, dass er keine Schwimmflügel anhatte und er ja gar nicht im Badeanzug war, als das kalte Meer ihn auch schon umschloss. Überrascht von der plötzlichen Kälte machte Ryan im ersten Moment gar nichts. Er wusste gar nicht, was er tun sollte, nur, dass seine Augen brannten, wenn er sie aufmachte. Deshalb kniff er sie zusammen und wollte einen tiefen Atemzug nehmen, was sich als Fehler herausstellte. Es war ein bisschen so, als ob er zu viel Orangensaft auf einmal getrunken und sich daran verschluckt hatte, nur konnte er es irgendwie nicht mal richtig aushusten. Nein, wenn er hustete wurde es sogar nur noch schlimmer! Je länger er unter Wasser war, desto schlimmer fühlte sich sein Körper an. Er konnte einfach nicht mehr atmen, das Wasser schmeckte ganz grausig und unerklärlicherweise bekam er zunehmend Angst. Sein Instinkt brachte ihn dazu, seine Arme und Beine schwach zu bewegen, aber das brachte ihm nichts - er wusste nicht mehr, wo oben oder unten war, er wusste gar nicht, wo er hin musste und ihm war nicht mal mehr wirklich klar, wo er genau war.  Gerade, als er das Bewusstsein verlor und seine Augen panisch wieder öffnete, sah er ein Gesicht vor sich. Im letzten Moment spürte er noch, wie eine Hand sich um sein Handgelenk schloss. Als er wieder aufwachte, mit einem schrecklichen Husten der ihm im Brustkorb weh tat, lag er auf einer sandigen Fläche. „Ryan?!“, fiepste eine aufgeregte Frauenstimme - die seiner Mutter. „Ganz ruhig, Schatz“, murmelte sein Vater. „Es geht ihm gut. Ich hab dir doch gesagt, es geht ihm gut...“ Ryan merkte, wie ihm eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht gestrichen wurde, aber das hielt ihm nicht vom Husten ab. Mensch, er wusste gar nicht, das husten so weh tun konnte! Aber obwohl er wieder an Land war, erinnerte er sich noch gut an das Gesicht, das er eben gesehen hatte - dieses Gesicht von der Person, die ihn gerade gerettet hatte. Als Sechsjähriger bekam Ryan erstmalig die Chance, ohne Schwimmflügel im Meer zu schwimmen. Er konnte zwar schon davor schwimmen, aber das war das erste Mal, dass sie seitdem als Familie an ein Meer gefahren waren. Naja, ohne Mama halt, weil die gerade irgendeinen Auftrag in einem anderen Land hatte. Irgendwas mit Biologie, glaubte Ryan, so etwas in der Art hatte sie jedenfalls gesagt. Sein Papa hatte erst Angst gehabt, weil Ryan seit drei Jahren nicht mehr am Meer gewesen war, aber Ryan freute sich unheimlich auf das Meer - und ab dem Zeitpunkt, ab dem sie am Strand waren, verbrachte Ryan fast jede Sekunde im Wasser. Sein Vater versuchte währenddessen sich um Ryans Baby-Schwester zu kümmern und gleichzeitig auf Ryan aufzupassen. Nur schien das nicht sonderlich leicht zu sein, denn es schien ihm im ersten Moment gar nicht aufzufallen, wie weit Ryan im Meer heraus schwamm. Es war schon spät, weshalb Ryan entschlossen hatte, zu der Sonne zu schwimmen, die schon so halb im Wasser war. Nur war das nach einer Weile echt anstrengend, aber er gab dennoch nicht auf - immerhin kam die Sonne mit jedem seiner Schwimmzüge näher! „Du solltest aufpassen“, hörte Ryan dann aber plötzlich eine tiefe, ruhige Stimme. „Nochmal rette ich dich nicht vorm Ertrinken.“ Tatsächlich hörte Ryan geschockt auf, weiter Richtung Sonne zu schwimmen. Stattdessen schwamm er auf der Stelle und drehte seinen Kopf schnell zu der Person, die da gerade zu ihm gesprochen hatte. Und... da, es war ein Junge! Ein echt alter Junge, so um die Achtzehn, der da genau vor ihm auf der Stelle schwamm. Aber... das war nicht irgendein Junge! Das Gesicht... Ryan merkte, wie sich ein Kloß in seinem Hals bildete. „Ich kenne dich!“, stellte er mit quietschiger und ein bisschen erschöpfter Stimme fest. Der Junge runzelte die Stirn. „Ich hoffe doch, das du mich noch kennst, Ryan“, erwiderte er. „Ich rette nicht jeden Tag Leute vorm Ertrinken.“ Ryan war zu verwirrt, um zu bemerken, dass der andere Junge – der Junge, der ihn damals gerettet hatte! – seinen Namen kannte, obwohl Ryan ihm den doch gar nicht verraten hatte. Dafür sah er jetzt zum ersten Mal seit einer Ewigkeit zurück zum Strand, der mittlerweile echt weit weg war.  „Das schaff ich nicht...“, murmelte Ryan erlegen.  Der Junge seufzte. „Ich weiß“, sagte er. „Deshalb bin ich hier.“ Und noch ohne groß was zu sagen drehte der andere Junge sich, sodass er Ryan den Rücken zu wandte. Ryan verstand, was er wollte, weshalb er rüber zu dem Jungen schwamm und seine Arme um dessen Hals legte. Nicht eine Sekunde dachte er an all die Male, an denen seine Eltern ihm gesagt hatten, dass man sich vor Fremden in acht nehmen sollte. Nicht unbedingt, weil er nicht daran vergaß – sondern weil er diesem Jungen einfach sofort vertraute. Dem Jungen mit dieser einwickelnden, faszinierend tiefen Stimme… „Wie bist du hierher gekommen“, murmelte Ryan, als der andere Junge sich in Bewegung setzte. Er schwamm irgendwie komisch, aber Ryan störte das nicht, solange sie ans Ziel kamen. Vielmehr fragte er sich, woher der andere Junge gerade so schnell gekommen war - der Strand war bis auf sie eigentlich ziemlich leer und außer Ryans Familie waren da nur ein altes Ehepaar und ein paar Mädchen gewesen, aber ganz sicher nicht dieser Junge. Jedenfalls nicht so nah im Wasser, das wäre Ryan doch beim ganzen schwimmen aufgefallen! Der Junge ließ sich ein bisschen Zeit, bevor er antwortete. „Ich komm immer, wenn du meine Hilfe brauchst, Ryan.“ Ryan überlegte kurz. „In Ordnung“, sagte er dann, bevor er seinen Kopf an die Haare des Jungens lehnte. Der brachte ihn aber nicht ganz zum Strand, sondern nur in die Nähe davon, bis er anhielt.  „Ab hier schaffst du's alleine, oder?“ Ryan nickte und ließ von ihm ab. Er hatte sich gerade eh genug ausgeruht, das er wieder ein bisschen schwimmen konnte. „Danke“, sagte er, als sich der Junge wieder umdrehte. „Keine Ursache.“ Ryan lächelte nochmal verhalten, bevor er wieder zurück Richtung Strand schwamm. Erst nach ein paar Metern fiel ihm ein, dass er ja theoretisch noch nach seinem Namen fragen könnte – Dad sagte immer, das höflich –, aber als er über seine Schulter sagte, war der Junge schon wieder weg. „Wusstest du, dass der See zum Meer verbunden ist?“ Ryan schaute nur wenig interessiert zu seiner kleinen Schwester, die schon seit Stunden Infos über den See raus haute, an dem sie gerade campten. Infos, die sie von irgendeiner komischen Tafel abgelesen hatte - und die sie im Grunde nur raus posaunte, weil sie so stolz war, das sie überhaupt lesen konnte. Und das gerade mal mit fünf Jaaahren! Ja, echt, tolle Leistung, Judy. Nur weil Ryan länger gebraucht hatte… „Wieso ist er dann nicht salzig?“, fragte der mittlerweile achtjährige Ryan mürrisch. Aber statt auf seine Frage zu antworten, sagte das Mädchen nur: „Wusstest du, dass in dem See genug Wasser ist, um mindestens füüünfzig Schwimmbecken zu füllen?“ „Ich glaube, das reicht für mehr als fünfzig Schwimmbecken, Judy“, brummte ihr Vater, der neben ihnen auf einem Handtuch saß. „Gar nicht wahr!“, sagte Judith - und das nahm Ryan als Stichwort. Denn jetzt würde seine Schwester erstmal auf ihren Vater einreden und er hätte seine Ruhe.  „Ich geh schwimmen!“, erklärte er, sprang auf die Füße und rannte so schnell weg, dass seine Schwester gar nicht sagen konnte, das sie mitwollte. Er rannte auch tatsächlich ins Wasser, direkt in den See rein, so schnell das eben ging. Er fing auch direkt an zu schwimmen (er liebte es einfach, zu schwimmen!), so weit, dass er die Stimme seiner Schwester erstmal nicht mehr hörte. Etwas weiter draußen fühlte er sich auch gleich wohler, auch, wenn ihm dieser eine Fakt seiner Schwester nicht mehr aus dem Kopf ging. Der See war verbunden zu dem Meer... aber hieß das dann nicht auch, das...? Nur wusste Ryan nicht, wie er ihn rufen sollte. Natürlich könnte er wieder so weit raus schwimmen, das er nicht mehr zurück kommen würde, aber wenn es nicht klappen und er nicht kommen würde?  Immer noch überlegend schwamm Ryan weiter, bis er die kleine Holzinsel erreichte, die nicht sonderlich weit vom Strand auf dem See trieb. Sie war mit Ketten am Boden unten verbunden, wie Ryan in den letzten Tagen festgestellt hatte. Nichts weiter Besonderes, nur heute war diese kleine Holzinsel leer – was ziemlich perfekt für Ryan war. Über eine Leiter kletterte er nach oben, bevor er sich flach auf den Bauch legte. Die Insel war rechteckig gemacht worden, weshalb Ryan sich an den Holzrand legte, der weg von dem Ufer des Sees lag. Seinen Kopf hielt er ebenfalls über dem Rand, sodass er ins Wasser schauen konnte, während er seine Hände ein wenig ins Wasser tauchte. „Hey“, flüsterte er, während er mit seinen Fingerspitzen Kreise im Wasser zog. „Hey, hörst du mich?“ Keine Reaktion. Ryan kam sich auch ehrlich gesagt ein bisschen blöd vor, wie er so mit dem Wasser redete, aber er musste andauernd an diesen Jungen denken – vor allem, seit er etwas ganz Besonderes rausgefunden hatte! Er musste einfach nochmal mit ihm reden! „Hey!“, flüsterte Ryan nochmal ein bisschen lauter, aber das Wasser unter ihm blieb dunkel. Ein wenig frustriert zog er seine Unterlippe vor. Musste er erst simulieren, dass er ertrank oder wie? „Hey, hier ist Ryan!“, sagte er noch ein letztes Mal, ein bisschen lauter, während er seine Hände ganz ins Wasser eintauchte und ein paar Mal wirbelte. Aber natürlich kam da nichts. Seufzend ließ Ryan seine Hände wieder normal ins Wasser hängen. Ein paar Sekunden schaute er noch vorwurfsvoll auf die Wasseroberfläche, bevor er sich auf den Rücken drehte. Das war jetzt echt doooof und irgendwie echt frustrierend… Aber bevor er noch viel mehr darüber nachdenken konnte, packte ihn etwas an den Schultern und zog ihn rückwärts vom der Holzplattform runter. Ein Schrei entfuhr ihm, der aber gleich darauf vom Wasser erstickt wurde – aus dem er aber gleich wieder hoch getaucht wurde. „Wieso rufst du mich?“, hörte er eine Stimme, die ihm ins Ohr flüsterte. Ryan hielt sofort die Klappe, drehte sich im Wasser und grinste den älteren Jungen an. Ja, das war er – er hatte sich kein bisschen geändert. „Ich wollte dich sehen!“, sagte Ryan vergnügt. Wenn seine Freunde ihn im Schwimmbad tauchten, dann nervte ihn das meistens, aber wenn der Junge das machte… das war irgendwie voll okay und witzig. „Weiiil… ich weiß jetzt was du bist!“, redete er deshalb auch mit einem breiten Lächeln weiter. Der Junge zog seine Mundwinkel nach oben. „Ach ja?“, fragte er, woraufhin Ryan nickte.  „Du bist…“ Der Junge legte seinen Finger an seine eigenen Lippen. Hm, ja, klar, war ja auch ein sensibles Thema, deshalb musste man leise reden, da hatte er schon recht. Deshalb senkte Ryan seine Stimme ein wenig und beugte sich vor, um fertig zu flüstern: „Du bist… ein Meerjungfrauman!“ Besagter Meerjungfraumann schaute erst verdutzt, bevor er zu lachen anfing. „Oh, Ryan…“, gab er amüsiert von sich, wobei der das Amüsement seines Gegenübers plötzlich gar nicht mehr so lustig fand. „Ey, ich bin mir ganz sicher“, murmelte Ryan. „Ich hab die kleine Meerjungfrau jetzt schon ganz oft gesehen“ – Genau genommen war es sein Lieblingsfilm – „und die ist voll wie du! Und ich hab letztes Mal gespürt, dass du… dass du…“ Ryan verstummte. „Eine Flosse hast?“, vervollständigte der Junge den Satz immer noch lachend. „Nein, keine Sorge – du hast recht. Aber der Begriff… Ich bevorzuge Meermann, weißt du? Ohne den ‚Frau‘-Part.“ Ryan merkte, wie ihm die Kinnlade runter klappte. „Echt jetzt?“, sagte er bei der plötzlichen Bestätigung seiner Aussage, auch, wenn er ja eigentlich damit gerechnet hätte – aber oha!  „Ja“, erwiderte der Junge ganz ruhig. „Willst du sie mal sehen? Die Flosse?“ „Au ja!“ Ryan merkte, wie seine Augen funkelten. Der Andere lachte wieder, bevor er ein wenig weg von Ryan schwamm und sich ein bisschen auf den Rücken legte. Kurz darauf tauchte fast direkt vor Ryan die Flosse auf – in einem gräulichen Tonfall, überraschend… glatt. Ryan hätte gedacht, dass sie schuppiger wäre. „Fass ruhig an“, schlug der Junge vor, was Ryan sich nicht nehmen ließ. Er fuhr mit einer Hand über die Flosse, die sich auch tatsächlich sehr glatt anfühlte... „Die sieht gar nicht aus wie die von Arielle“, sagte Ryan schließlich. Der Junge lachte wieder. „Ja… Ich weiß. Arielle ist allgemein ein bisschen anders als ich.“ Ryan schaute verblüfft dem Gesicht des Jungens. „Du kennst Arielle persönlich?!“ Der Junge schien sich diesmal ein Lachen zu verkneifen, aber er grinste trotzdem. „Nein… aber ich kenne das Märchen.“ „Achso“, erwiderte Ryan nur etwas verlegen, ohne sich zu wundern, woher der Junge das Märchen kannte. „Und ich bin auch eher zur Hälfte Delfin, wenn du’s so willst.“, fügte der Junge noch lächelnd an. Ryan war jetzt wieder überrascht, weil das echt cool klang – und irgendwie komisch. Aber Delfine waren ja eigentlich auch echt cool! Jedenfalls die aus dem Fernsehen. „Also kannst du auch unter Wasser atmen, ja?“, fragte Ryan mit großen Augen nach. Der Junge schmunzelte, antwortete aber ohne groß zu Zögern: „Ja, kann ich.“ Und so ging das Spiel eine ganze Weile lang weiter. Ryan hatte eine Menge Fragen, die ihm auf der Seele brannten und der Junge hatte kein Problem damit, die Fragen zu beantworten. „Wie schnell kannst du denn schwimmen?“ „Ich kann das nicht wirklich messen, Ryan. Aber ein bisschen schneller als der Durchschnittsdelfin, würde ich sagen.“ „Gibt es mehr Meermenschen?“ „Ja, gibt es.“ „Gibt es dann auch so Städte wie die aus Arielle?“ „Nicht wirklich Städte – aber wir leben in Kolonien. So eine Art Höhlen-Netzwerk.“ „Oh, das ist cool! Wieso weiß dann niemand von euch?“ „Weil wir uns eigentlich nicht vor Menschen zeigen dürfen.“ „Wieso das denn nicht?“ „Nur eine dumme Regel… Hat was damit zu tun, wie viel Krieg ihr Menschen führt.“ „Achso! Okay! Und du kannst trotzdem Luft atmen?“ „Genauso wie ich unter Wasser atmen kann, ja.“ „Aber du kannst deine Flosse nicht in Beine verwandeln?“ „Nein, das kann ich nicht. Und es gibt auch keine Magie die das könnte.“ „Hmm… Hast du denn eine große Familie?“ „Nur meinen Vater und meine Mutter.“ „Ui! Ich hab nur meinen Papa und meine Schwester, Judith… Meine Mama ist irgendwie… verschwunden.“ Ryan räusperte sich. „Das ist irgendwie echt doof, ich weiß nicht, wo sie ist. Sie hat uns mal eine Postkarte geschrieben, das war aus Afrika, in der sie geschrieben hat, dass Papa uns das erklären soll. Aber Papa hat uns das nicht erklärt. Und jetzt weiß ich nicht so wirklich, was das soll, weil ich mag meine Mama mal schon wieder sehen, aber irgendwie will sie nicht wieder kommen und irgendwie ist das doof. Ich mein, Mama mag uns doch – wieso haut sie dann einfach ab? Naja… ist jetzt eh schon lange her und sie war uns noch nicht mal besuchen kommen…“ Ryan merkte gar nicht, wie sein Blick abdriftete – und sich erst wieder fokussierte, als er spürte, wie der Junge ihn einen Moment umarmte. Was zur…! Eigentlich mochte Ryan keine Umamrungen, aber das hier war… überraschend… beruhigend? „Denk dir nichts“, flüsterte er in Ryans Ohr, „Ich weiß, dass sie dich liebt. Mach dir keine Sorgen.“ Daraus schöpfte Ryan tatsächlich Mut, auch, nachdem sich der Junge wieder gelöst hatte. Dieser lächelte ihn noch an, aber das Lächeln starb gleich wieder. „Dein Vater sucht dich“, murmelte er, jetzt wieder deutlich leiser. „Wir sehen uns sicher irgendwann wieder, Ryan.“ Und dann war er auch schon wieder unter Wasser verschwunden. Ryan blinzelte verwirrt, weil er doch noch so viele Fragen hatte, aber dann tauchte sein Vater auch schon auf der Holzplatte auf. „Da bist du!“, rief er erleichtert. „Mensch, Ryan, wieso versteckst du dich denn hier?“ Aber Ryan schaute nur verwirrt auf die sich noch immer kräuselnde Wasserfläche, anstatt zu antworten. Und in dem Moment erinnerte er sich, dass er immer noch nicht den Namen von dem Jungen – oder eher dem ‚Meermann‘ wusste. Sie gingen lange nicht mehr ans Meer. Sein Vater hatte zu viel berufliche Arbeit, als dass er auf die ständigen Bitten seines Sohnes eingehen würde. Er schien sowieso nicht zu verstehen, wieso Ryan so unsterblich in das Meer verliebt war (immerhin war er darin doch sogar mal fast ertrunken!), weshalb er ihm immer wieder beständig erklärte, dass sie da nicht hin fahren konnten. Ryan akzeptierte es aber auch irgendwann, weshalb er aufhörte, sich andauernd zu beschweren. Erst mit Dreizehn änderte sich das alles wieder auf einen Schlag – und zwar an einem Tag, der so schrecklich für ihn war, dass er einfach ans Meer fahren musste.  Aber seinen Vater brauchte er erst gar nicht zu fragen. Deshalb machte er das Nächstbeste, was ihm einfiel: Ohne einen Koffer oder sonst was zu packen ging er zur nächsten Bahnstation und suchte sich einen Zug, der immerhin in die Nähe vom Meer fuhr. In den setzte er sich auch prompt rein – wobei er sogar gerade genug Geld für eine Karte dabei hatte, leider nur für die Hinfahrt – und fuhr dann auch schon los. Das Meer war weniger weit entfernt, als er gedacht hatte. Er hätte auch mal früher auf die Idee kommen können, sich einfach in einen Zug zu setzen, ernsthaft. Nur hatte er eben bisher eben auch andere Menschen gehabt, mit denen er hatte reden können. Aber jetzt… nein, er musste zum Meer, dringend! An der Zugstation, an der er ausstieg, war es auch scheinbar gar nicht mehr weit bis zum Meer. Er folgte den Schildern und musste so ungefähr drei Kilometer laufen, bis er an einem sehr, sehr steinigen Strand ankam – ein Strand, der komplett leer war. Kein Wunder, es war elf Uhr Nachts und es war echt kalt. Aber umso besser für Ryan. An dem Strand, an dem er war, reichten einige steinerne Zungen ins Meer. Ryan sprang über die glitschigen Steine, bis er so weit weg vom Land war wie möglich, ohne direkt ins Wasser zu gehen. Hier setzte er sich auf einen der Steine und schaute ins Meer, wobei er sich auf einmal echt blöd vorkam. Was um alles in der Welt machte er hier…? Seine Erinnerung an den Jungen war wahrscheinlich nicht mal echt. Und jetzt war bis ans Meer gefahren! „Hey“, sagte er nichtsdestotrotz mit brüchiger Stimme. Erstmalig an diesem grauenvollen Tag kamen ihm die Tränen hoch und er versuchte gar nicht erst, sie zurück zu halten.  „Hey, h-hier’s Ryan.“ Ryan schniefte und steckte seine Hände unter die Achselhöhlen, weil es mittlerweile echt recht kalt geworden war. Aber natürlich kam niemand, was Ryans restlichen Mut auch noch kaputt machte. „B-bitte komm“, murmelte Ryan, während die erste Träne über seine Wange rollte. Und noch bevor die Träne in den Ozean fiel, sah Ryan ihn tatsächlich: Erst nur ein dunkler Schatten, der wenige Momente später die Wasseroberfläche durchbrach.  „Hey“, grüßte ihn der Junge, auch wenn er dabei sein Gesicht verzog. „Hast dir einen ganz schön unschönen Ort ausgesucht. Die Felsen hier sind echt – au! – unangenehm. Ach…“ Der Junge schaute sich einen Moment am Strand um, bevor er sich einen Felsen griff und sich einfach auf den Felsen schwang, direkt neben Ryan. „So, und jetzt erzähl, Ryan. Was ist los?“, fragte er, aber Ryan war viel zu verwundert, um darauf zu antworten. So, wie der Junge neben ihm saß, konnte er erstmals die Flosse richtig sehen; die Flosse, die so viel eindrucksvoller aussah als in seiner Erinnerung. Zum ersten Mal sah er auch den Übergang von der Flosse zu dem Oberkörper, der überraschend fließend war; das grau ging in die normale Hautfarbe über und – woah, der Junge hatte echt einen richtig muskulösen Oberkörper. „Ryan?“, wiederholte der Junge, woraufhin Ryan dann doch wieder zu weinen anfing. Er rutschte zu dem Jungen rüber und drückte sein Gesicht gegen dessen Schulter, während er seine Oberarme um ihn schlang, auch, wenn der Junge noch echt nass war. Aber da war es wieder, dieses dringende Verlangen nach Körperkontakt, das Ryan so in der Form eigentlich noch nie gehabt hatte… oder eben nur, wenn er bei Ryder war. „Oh.. hey, ganz ruhig, Ryan“, fügte der Junge an, bevor er ebenfalls seine Arme um Ryan legte. Eine Weile blieben sie einfach in der Position. Irgendwann fing Ryan dann aber doch mit einem Schluchzen an zu reden: „I-ich hab mich in ein M-mädchen verliebt“, schniefte er, „u-und sie mag mich auch… u-und wir wollten miteinander sch-schlafen, aber sie… hat jetzt doch meinen besten Kumpel mehr gemocht u-und das.. ist echt gemein.“ Ryan verzog sein Gesicht. „Und… heute ist noch eine Postkarte von M-mama angekommen, und das… war alles so gelogen! U-und dann hat mein Dad mir noch H-hausarrest gegeben, weil ich beim Abendessen schlecht drauf war… D-deshalb musste ich jetzt einfach zu dir kommen, weißt du?“ Der Junge fuhr ihm während der ganzen Zeit, in der er redete, beruhigend über die Schulter. „Ja, versteh ich“, erwiderte er in seiner gewohnt ruhigen Stimme. „Aber du darfst dir nicht zu viel daraus denken, Ryan. Du bist erst dreizehn, du solltest noch gar nicht an…“ Er stockte einen Moment, „sowas denken – also an das, was du mit deiner Freundin machen wolltest. Und Mütter können manchmal grausam sein, Ryan, du solltest nicht mehr so oft an sie denken. Sie hat euch jetzt schon zehn Jahre im Stich gelassen, ich glaube nicht, dass das wieder besser wird. Und dein Vater macht sich jetzt sicher große Sorgen um dich…“ Ryan schniefte und schüttelte seinen Kopf. „Früher hast du noch gesagt, dass meine Mom mich liebt, egal was passiert…“ „Da warst du auch noch jünger, Ryan.“ Der Junge drückte ihn einen Moment. „Du bist jetzt ein halber Mann, ich muss bei sowas jetzt einfach ehrlich zu dir sein.“ Das baute Ryan tatsächlich ein bisschen auf. Nicht weil Ryder auch keine Hoffnung wegen seiner Mom hatte, sondern weil er ein halber Mann war und diese Bezeichnung ihm echt richtig, richtig gefiel. Genug sogar, dass er schnell über seine Augen wischte, damit er nicht länger weinte – das war nämlich nicht sonderlich männlich. „Danke…“, flüsterte er, bevor er stockte. „Wie heißt du eigentlich?“ Der Junge ließ sich eine Weile Zeit mit dem Antworten. „Ryder.“, erwiderte er dann. „Ryder… das klingt fast wie mein Name“, stellte Ryan fest. „Ja“, erwiderte Ryder. „Lustig, was?“ Ryan grinste sogar wirklich ein bisschen, lehnte sich dann aber gleich wieder an Ryder. Der wurde nämlich immer wärmer, je mehr er trocknete, was er echt gebrauchen konnte – denn es war eben immer noch ziemlich kalt. Aber so mit Ryder an der Seite war es eigentlich echt okay, einfach, weil er sich bei keiner ‚Person‘ so sicher fühlte wie bei Ryder. Und dabei könnte er nicht mal sagen, woran das genau lag… aber selbst seine Probleme, die ihn heute so fertig gemacht hatten, schienen jetzt überhaupt nicht mehr schlimm. „Ich mag dich echt gerne, Ryder“, murmelte Ryan schließlich. „Richtig, richtig gerne. Und nicht nur, weil du mir zweimal das Leben gerettet hast…“ „Ich mag dich auch richtig gerne, Ryan.“ Ryder lächelte nochmal, was Ryan noch ein bisschen glücklicher machte.  In genau der Position blieben sie die halbe Nacht, ohne sich groß zu bewegen oder viel zu sagen. Irgendwann rief Ryans Vater ihn auf seinem Handy an, um ihn wütend zu fragen, wo um alles in der Welt er denn war. Ryan erklärte es ihm und sein Vater fuhr los, um ihn dort in der Nähe, am Bahnhof, abzuholen. Ryan hatte jetzt schon Angst vor der Standpauke, aber Ryder beschwichtigte ihn, dass es sicher nicht so schlimm werden würde. Und es gab einfach keinen Grund, Ryder jemals zu misstrauen. Das Salzwasser umspielte Ryans Fußknöchel, wobei sie seine Jeans untenrum schon ein wenig nass machten. Schuhe und Socken hatte er sich schon ausgezogen, aber sonst seine Klamotten anbehalten; das war ihm irgendwie gut und richtig so erschienen. Er hickste und hielt sich deshalb schnell die Faust vor den Mund, bevor er sich räusperte und wieder konzentrierte. Das wäre das letzte Mal, das er es auf die nette Art versuchte. „Ryder?“, fragte er in einem lallenden Tonfall. „Ryder, hier’s Ryan.“ Wieder ein Hicksen. „Mal wieder.“  Das Meer zeigte keine Reaktion. Warum sollte es das auch, hm? Es rauschte nur unangenehm weiter, umspielte weiter seine Fußknöchel und nervte ihn weiterhin so sehr, dass ihm ein frustriertes Stöhnen entfuhr. Wäre er nicht so betrunken und auf Drogen gewesen, wäre es wahrscheinlich ein Schrei geworden, aber so blieb nur noch das Stöhnen übrig. „Ryder, ich will, dass du jetz‘ kommst.“, nuschelte Ryan weiter, aber das Meer zeigte keine Reaktion. Bitte, jetzt hatte Ryder also das, was er wollte.  Ryan hatte es auf wirklich jede erdenkliche Art und Weise versucht, Ryder zu erreichen, seit er hierher gezogen war. Schon am ersten Tag war er an den Strand gegangen, am Tag, in der Nacht – und auch an jedem darauffolgenden Tag war niemand gekommen. Seine Freunde wunderten sich schon, wieso er so in den Strand vernarrt war, aber er konnte es ja schlecht erklären, was? Ryan hatte schon Dinge in den Ozean geworfen, eine Flaschenpost geschrieben, war unzählige Male nachts alleine schwimmen gegangen, mal in Klamotten, mal in Badehose, mal nackt – er hatte sogar schon mehrmals am Strand Sex gehabt, einfach nur, um Ryder zu provozieren. Aber er war einfach nicht gekommen. Aber jetzt war er lange genug ruhig geblieben. Wenn Ryder nicht auf seine ‚netten‘ Anrufe reagierte, dann musste er eben härtere Geschütze auffahren – und das würde er jetzt auch tun. Er musste Ryder wieder sehen, diese Konstante in seinem Leben, die ihm aus unerklärlichen Gründen so viel Kraft gab und so sehr anzog, egal, was es ihn kostete. Und jetzt, betrunken und auf Drogen, erschien ihm die Antwort so simpel… „Wenn du jetzt nicht kommst, Ryder, dann werde ich ganz schön sauer“, lallte er weiter, aber natürlich kam der Drecksack nicht. Gut, dann eben nicht! Ryan ging einfach weiter ins Wasser, immer weiter, bis er schließlich bis zur Hüfte drinnen war. Es war tief in der Nacht, weshalb das Wasser entsprechend kalt war, aber daran störte sich Ryan nicht. Er ließ sich einfach ins Wasser fallen und schwamm raus, Richtung Mond, weg vom Strand – so weit und lange, bis er keine Kraft mehr hatte. Ein Blick über seinem Rücken zeigte ihm, dass der Strand ziemlich schnell gefährlich weit weg gekommen war. Gut so. Wahrscheinlich würde Ryan noch irgendwie zurückkommen, auch wenn er dann an Kraftenzug sterben würde, aber das war gar nicht sein Ziel. Nein, nein, ganz im Gegenteil… Ohne seinen Plan nochmal zu überdenken hielt Ryan die Luft an und tauchte unter Wasser. Sofort schrie sein Körper danach, wieder nach oben zu schwimmen, aber er widersetzte sich seinen Instinkten. Stattdessen drehte er seinen Körper und schwamm Richtung Meeresboden, auch, wenn der viel zu weit entfernt war, als dass er ihn jemals erreichen könnte. Gegenüber aller Vernunft hörte er einfach nicht auf, zu schwimmen; sehr schnell spürte Ryan, wie ihm das Blut zu Kopf stieg und sein Körper immer mehr Atem wollte. Aber das Problem war ja, er musste das hier tun. Es ging nicht anders. Selbst wenn er bei dem Versuch sterben würde, dann würde er immerhin ertrinken – und das war so nahe an Ryder, das es wohl auch okay wäre.  Irgendwann hatte er keine Kraft mehr in den Gliedmaßen und fühlte sich sowieso so an, als würde sein Kopf gleich platzen. Zufrieden hörte er auf sich zu bewegen, öffnete seinen Mund und nahm einen tiefen Atemzug… Das Nächste, was er bewusst wahrnahm, war, wie er hustete. Ein unangenehmes Husten, das er schon mal in seinem Leben gehabt hatte; ein Husten, bei dem man all das Salzwasser, das in der Lunge saß, in den Sand neben sich würgte. Es brannte auf eine echt abscheuliche Weise, aber gleichzeitig war sein Körper unendlich dankbar, wieder Luft zu haben. „Bist du wahnsinnig?!“, hörte er eine erstickte Stimme. Eine sehr vertraute Stimme. Aber nein, keiner seiner ‚echten Freunde‘ klang so. Das… das musste Ryder sein. Mit einem gewinnenden Lächeln schlug Ryan die Augen auf, um zu sehen, dass da tatsächlich Ryder neben ihm lag, gestützt auf seine Unterarme. Sie lagen Beide noch so halb im Wasser – wahrscheinlich war Ryder nicht weiter raus gekommen. „Nee“, erwiderte Ryan, wobei seine Stimme extrem heiser und immer noch leicht lallend klang, „Ich bin ziemlich klug.“ Aber Ryder schien das nicht lustig zu finden. Stattdessen drückte er sein Gesicht in Ryans Brust, verkrampfte seine Hand in seinem Shirt, wobei Ryan spürte und hörte, wie der andere Junge schluchzte. „Du hättest sterben können, du Vollidiot“, brachte er gedämpft hervor. „Nee“, gab Ryan wieder zurück, „Ich hab doch dich…“ Er fuhr mit seiner Hand über Ryders Rücken, der immer noch bebte. Ryder schüttelte nur den Kopf. „Ich war nicht da“, schluchzte Ryder. „Du zurückgebliebener Idiot… Du wärst fast gestorben…“  Ryan verstand immer noch nicht, in was für einer Gefahr er gestanden hatte. Ryder hatte ihn doch gerettet! Sein Körper fühlte sich zwar an, als ob er gleich verrecken würde, aber das war eigentlich gar nicht so schlimm. Ryder war ja da. Und wenn Ryder da war, war alles gut. „Du darfst sowas nie wieder machen“, murmelte Ryder weiter, bevor er sich auf Ryans Brust stützte und seinen Kopf so ein wenig anhob, damit er zu Ryan schauen konnte. Ryder heulte ja echt, ey – aber er sah trotzdem verboten gut dabei aus! „Hörst du!?“, wiederholte Ryder, als Ryan keine Antwort gab, „Du darfst. Sowas. Nie. Wieder. Machen!“ Ryan blinzelte, verzog dann aber träge sein Gesicht. „Wenn d’dich nich‘ wieder versteckst und einfach nie wieder kommst… sicher.“ Ryan spürte, wie Ryder seine Hand an Ryans Hals legte und mit dem Daumen über seinen Adamsapfel fuhr. Ryan schluckte, während Ryder nur seinen Kopf schüttelte. „Ich wollte dich doch nur schützen, du Idiot…“ „Vor dir?“, fragte Ryan mit heiserer Stimme. Seine Hand ließ er dabei von Ryders Rücken bis zu dessen Nacken wandern, wo seine Fingerspitzen sich in dessen Haaransatz gruben. „Du bringst mich nicht in Gefahr, Ryder… Du rettest mich davor.“ Ryder drückte seine Lippen zusammen, wischte sich mit einer Hand schnell über seine Augen und schüttelte anschließend seinen Kopf. „Was du da gerade getan hast… war doch nur der Beweis, dass dir das nicht gut tut, Ryan…“ Jetzt reichte es Ryan aber echt! Man, der Junge war ja kompliziert… Er musste jetzt nur überlegen, wie er sich am besten erklären sollte. Glücklicherweise war sein Verstand gerade relativ simpel gestrickt, deshalb machte er das für ihn Logischste. „Aber ich liebe dich doch, Ryder“, flüsterte er deshalb leise, bevor er Ryder mit der Hand an seinem Nacken zu sich runter zog. Ryan beugte sich auch ein bisschen hoch, um die Lippen des Anderen mit seinen zu empfangen. Es schmeckte… ungewohnt salzig?, aber es war gut. Verdammt gut. Oh, er hatte das schon eine ganze Weile machen wollen… Aber Ryder löste sich überraschend schnell von ihm. Ryan entfuhr ein Quengeln, während sein Kopf Ryders hinterher fuhr, um möglichst lange die Lippen des Anderen berühren zu können. Gleich danach ließ sich Ryan aber wieder kraftlos in den Sand fallen. „Wieso hast du das gemacht?“ Ryan hob jetzt doch wieder seinen Kopf, um zu Ryder schielen zu können. Der hatte immer noch getrocknete Tränen auf seinem Gesicht, schaute jetzt aber hauptsächlich verwirrt zu Ryan. „Weil ich dich liebe“, erklärte Ryan munter. „Hab ich doch gesagt.“ Ryder schaute immer noch verwirrt zu ihm, woraufhin Ryan abwartend die Augenbrauen hoch hob. Als eine Weile nichts kam, setzte er sich auch langsam mal auf, auch wenn seine Lunge immer noch höllisch brannte. Ryder ging dabei runter von Ryan und grub seine Hände in den Sand, wandte aber den Blick dabei nicht von ihm ab. „Was?“, fragte Ryan schließlich, weil er sich irgendwie dämlich vorkam. „Du solltest schlafen gehen“, erwiderte Ryder. „Geh schlafen. Versprich mir, dass du schlafen gehst.“ Ryan schaute fassungslos zu Ryder. War das jetzt sein ernst? Das war die ganze Antwort, die er bekam? Genervt kam er auf die Füße, wobei er nur ein bisschen schwankte. „Klar“, knurrte er. „Ich geh schlafen. Und du…“ Ryan vergaß mitten im Satz, was er eigentlich hatte sagen wollen, weshalb er nur ein paar Mal blinzelte und danach böse zu Ryder runter sah. „Fick dich, Alter“, sagte er schlussendlich nur, bevor er sich weg drehte und weg vom Strand torkelte. Er hielt sich ein bisschen besser auf den Füßen als auf den Hinweg, was wahrscheinlich der Effekt vom Fast-Ertrinken war. Bevor Ryan den Strand aber verlassen hatte, schaute er doch nochmal zurück. Ehrlich gesagt hatte er ja schon gehofft, Ryder nochmal nach ihm rufen zu hören, aber er hatte nichts gehört. Und hinter ihm war außer dem Meer auch nichts mehr zu sehen. Ryan fühlte sich echt beschissen. Und nein, das lag nicht am Kater – immerhin war diese eine Nacht, in der er so sehr auf Drogen gewesen war, schon länger als eine Woche her. Nein, er fühlte sich aus einem ganz anderen Grund beschissen. Die Woche über hatte er dieses Gefühl aber echt gut unterdrücken können. Kein Wunder, er hatte eine ganze Menge Schularbeiten und musste wenigstens so tun, als ob er lernen würde, sonst würde er ein schlechtes Gewissen bekommen. Noch dazu gab es da so ein paar Mädchen, mit denen er am Wochenende (unbeabsichtigt!) was gehabt hatte und die ihn jetzt die ganze Zeit zu texteten. Und dann hatte dieses eine schwule Pärchen, das er erst kannte seit er hier wohnte – Aaron und Caleb – noch Dauerstress, wobei er auch immer den psychologischen Berater spielen durfte… Kurzum, er hatte echt viel um sich abzulenken. Aber irgendwann hatte er sich dann auch genug abgelenkt. Deshalb war er jetzt hier, wieder am Strand, wieder in der Nacht. Ein paar Leute machten noch einen Nachtspaziergang, weshalb Ryan sich für die sicherste Variante entschied und einfach unterhalb einer höher gelegenen Brücke ans Meer ging. Er setzte sich so nah es ging an den Strand und schaute ein bisschen nervös auf die unruhige Wasseroberfläche, nicht sicher, was er jetzt tun sollte. Schließlich räusperte er sich aber doch. „Ryder?“, fragte er zögerlich, wobei er sich wie immer ein bisschen blöd vorkam, dass er mit dem Meer redete. „Ryder, hier’s Ryan… Kommst duuu… bitte?“ Ryan hatte eigentlich keine großen Hoffnungen gehabt, aber nur wenige Sekunden nachdem er das gesagt hatte, tauchte Ryder ein bisschen entfernt von ihm im Wasser auf. Wortlos schwamm er so nahe an das Ufer, wie es für ihn ging, wobei er seine Flosse im Wasser behielt… Wahrscheinlich, damit niemand sie sah, wenn er einfach vorbei kam. Dennoch schien er überraschend unvorsichtig zu sein, wenn man das mit den sonstigen Malen verglich. „Hey, Ryan“, grüßte der Andere ihn mit einem schiefen Lächeln. Ryan fuhr sich mit einer Hand nervös über seinen Oberarm, während er das Lächeln knapp zurück warf. „Hey, Ryder…“, grüßte er zurück, wobei er sich immer noch mies vorkam. Klar erinnerte er sich daran, was passiert war – man vergaß es nicht so einfach, wenn man fast ertrank und Ryder wiedertraf. Egal wie high und besoffen man dabei war. „Geht’s dir wieder besser?“ Ryder legte seine Ellbogen auf den Sand und stützte seinen Kopf auf beide Hände. „Jaaa… klar… bin noch ein bisschen heiser, aber sonst ist alles gut.“ Ryan räusperte sich, um den Frosch aus dem Hals zu bekommen. Es kostete ein bisschen Überwindung, weiter zu reden, aber das war er Ryder schuldig. „Hey, es tut mir Leid, was ich da gemacht hab… also… alles tut mir Leid, Ryder.“ Ryder hob seine Augenbrauen. „Das muss dir nicht Leid tun“, sagte er so schnell, dass Ryan verwirrt zu ihm aufschaute. „Gut, dass du dich ertränken wolltest – das muss dir Leid tun“, korrigierte er sich selber. „Aber das, was du danach gemacht hast… Das nicht. Das muss dir wirklich nicht Leid tun.“ Ryan glaubte ihm kein Wort. Das war doch nur, weil Ryder wieder einen auf nett machen wollte… er kannte ihn doch! Und er wusste, dass das was er gemacht hatte, falsch gewesen war. „Aber du hast nicht sonderlich begeistert reagiert…“, warf er ein. Ryder ließ seine Hände von seinem Gesicht sinken, wobei er mit einer in das Wasser griff und mit dem Sand unter der Oberfläche spielte. „Jaaah…“, erwiderte er abwesend. „Ryan, ich war nur… verwirrt. Das hat noch nie jemand mit mir gemacht.“ Jetzt war Ryan wirklich überrascht. „Du hast noch nie jemand anderen geküsst?“, präzisierte er Ryders Aussage. Der schüttelte aber nur den Kopf. „Ich wurde nur noch nie von jemandem geküsst.“, erklärte er. „Und dass gerade du das gemacht hast, war… verwirrend.“ Ryder lächelte ein wenig entschuldigend, aber Ryan stimmte diese Aussage nicht wirklich zufrieden. Eher im Gegenteil. „Es tut mir trotzdem Leid, dich verwirrt zu haben“, erwiderte er also nur, wobei er ein wenig verstimmt klang. Ryder schien diese Verstimmung zu bemerken. „Ryan…“, fing er deshalb an, bevor er sich selbst mit einem Seufzen unterbrach. „Du verstehst das falsch. Es war eine Art… positive Verwirrung.“ Ryan schaute ihn skeptisch an, weshalb Ryder sich räusperte und nochmal ein wenig genauer erklärte: „Ryan, du hast mich damit ein bisschen überrumpelt, aber der Kuss hat sich gut angefühlt. Überraschend gut.“ Jetzt lächelte Ryan doch ein bisschen. „Wenn du willst, können wir schauen, ob es sich noch ein bisschen besser anfühlt, wenn ich nüchtern bin…“, schlug er vor. Er merkte, dass er von ganz alleine diese flirty Stimme angenommen hatte, die er immer annahm, wenn er jemand um den Finger wickeln wollte. Ryder legte seinen Kopf ein wenig schräg. „Wir können es versuchen, jaaa…“ Ryan lächelte, bevor er sich schnell seine Schuhe auszog, gefolgt von seinem Shirt und seiner Hose. Er hatte nicht vor, wieder komplett nass heim zu laufen, und in Boxershorts zu schwimmen war ja wohl voll okay. Nachdem er sein Zeug in den Sand gelegt hatte, krabbelte er auf allen Vieren ins Wasser, überwand die kurze Distanz und erreichte so schließlich Ryder, der so weit draußen war, dass Ryan sich vor ihm knien musste, damit sie auf Augenhöhe waren. Ryan schaute eine Weile in die Augen des Anderen, der den Blick stand hielt. Zum ersten Mal fiel Ryan auf, dass Ryder auch noch unglaublich faszinierende Augen hatte. Sie wirkten irgendwie nicht natürlich – so, als wären sie ganz besonders glasig, als wäre eine weitere Schicht über den Augen. Die Iris war dagegen ungewöhnlich dunkel, mit ein paar hellen Strahlen durchzogen… aber wahrscheinlich war es nicht seltsam, wenn man bedachte, dass Ryder unter Wasser wahrscheinlich perfekt sehen konnte. Bevor er sich jetzt aber noch mehr Gedanken über Ryders Körper machte, beugte er sich einfach vor und küsste den Jungen wieder. Diesmal war Ryder nicht mehr so zögerlich wie letztes Mal; mit einer Grazilität, die Ryan überraschte, empfing er den Kuss und erwiderte ihn sofort. Es dauerte nicht lange, bis Ryder mit seiner Zunge fordernder wurde. Ryan ließ sich komplett in dem Kuss gehen, auch, wenn er sich ein bisschen seltsam vorkam, so wie er hier auf allen Vieren vor Ryder kniete… aber der zeigte ein so ungeahntes Talent mit seiner Zunge, dass Ryan einfach nicht anders konnte, als all seine Aufmerksamkeit ausschließlich auf diesen einen, verdammt perfekten Kuss zu lenken. Nach einer gefühlten Ewigkeit löste sich Ryan wieder, um ein bisschen zu Atem zu kommen. „Wow“, keuchte er, wobei er seinen Kopf ein wenig hängen ließ. „Shit, das ist gut, Ryder… Woher kannst du sowas?“ „Glaubst du, ich bin den ganzen Tag nur am Fische jagen, wenn ich nicht gerade bei dir bin?“, fragte Ryder zurück. Ryan schaute verwirrt zu dem Anderen hoch. „Oh…“, murmelte er, woraufhin Ryder ihm wieder zu lächelte. „Hey, schau nicht so“, murmelte er und nahm wieder eine Hand vom Sand weg, um damit stattdessen über Ryans Schulter zu fahren. „Du bist was Besonderes… was Einzigartiges. Anders als alle, bei denen ich gelernt habe, wie man andere küsst.“ Das verschaffte Ryan tatsächlich ein annähernd wohliges Gefühl in der Magengegend, auch wenn er sich jetzt immer noch seltsam vorkam. Um das zu verdrängen, drückte er seine Lippen einfach wieder auf Ryders – was seinen Verstand wieder innerhalb von Sekunden klärte. Die folgenden Tage, Wochen, Monate, Jahre liefen alle ähnlich ab. Ryder kam immer, wenn Ryan ihn brauchte oder wenn er mit ihm reden wollte; und das war auffällig oft. Ja, es gab auch Zeiten, in denen Ryan Ryder irgendwie für zwei, drei Wochen einfach vergaß, aber Ryder war ihm dafür niemals wirklich böse. Jedes Mal, wenn sie sich sahen, konnten sie stundenlang reden, wiederholten auch oftmals den Kuss... aber machten niemals mehr als das. Manchmal schwamm Ryan auch mit Ryder raus oder tauchte mit ihm, was immer ganz besonders lustig war – vor allem, wenn es darin endete, dass sie sich mitten im Meer umarmten und Ryan abermals diese salzigen, perfekten Lippen küssen konnte. Es wäre gelogen zu sagen, dass Ryan nicht auch andere Menschen küsste, nicht auch mit anderen Menschen schlief… aber für niemanden empfand er so viel und lange etwas wie für Ryder. Ryder schien auch davon zu wissen, aber er sagte fast nie was dazu – nein, ganz im Gegenteil, er gab Ryan sogar Beziehungstipps, wenn er die mal brauchte. Es war einfach perfekt. Ryan bezweifelte, jemals im Leben so glücklich gewesen zu sein. Nur leider hatte jeder glückliche Moment im Leben sein Ende. Und dieses kam bei Ryan in Form eines Colleges. Heute war genau genommen einer seiner letzten Tage, bevor Ryan auf eben dieses College gehen würde. Um ehrlich zu sein hatte er noch gar nicht daran gedacht, dass er dadurch Ryder nicht mehr jeden Tag sehen könnte; dieses kleine Detail ignorierte er einfach, auch, wenn es für ihn etwas lebensveränderndes werden würde. Aber wieso sollte er sich auch darum kümmern? Gerade war es Mitternacht und Ryan saß im Schneidersitz am Strand. Vor ihm lag bäuchlings Ryder, die Arme unter seinem Kopf verschränkt und zu Ryan hoch schauend, der ihm gerade von seinem College erzählte. „Und die College-Partys sollen richtig episch sein“, erzählte er grinsend. „Ich mein, die Professoren sollen auch richtig geil sein, aber die College-Partys! Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich auf die College-Partys freue! Dagegen wird meine gesamte High School-Zeit wahrscheinlich richtig lahm aussehen, ey! Und Cally und Aaron kommen mit, das wird sicher sowieso Bombe. Schon überlegt, wie ich mal wieder mit Aaron feiern könnte? Ich glaub, das würde unserer Freundschaft echt mal wieder helfen und das wär echt geil, weil, Aaron ist eben doch mein bester Freund auf zwei Beinen…“ – ‚Bester Freund auf zwei Beinen‘, der Begriff hatte sich schon eine Weile etabliert. Sollte halt heißen, dass Ryder sein bester Freund war und er wollte auch, dass der Junge das wusste. Apropos Ryder… „Freust du dich nicht für mich?“, unterbrach Ryan seine Ausführungen und hob seine Augenbrauen, um zu Ryder zu schauen. Der blinzelte überrascht, als er plötzlich angesprochen wurde (Ryan hatte jetzt eine ganze Weile einen Monolog gehalten), hob seinen Kopf dann aber ein wenig von seinen Armen. „Doch, sorry, natürlich freue ich mich für dich“, erwiderte er lächelnd. „Es ist nur so faszinierend, dir dabei zuzuschauen, wie du vom College redest. Deine Augen fangen dann immer so an zu leuchten und du fängst so viel an zu gestikulieren und… das ist echt süß. Ich könnte dir stundenlang dabei zuschauen.“ Ryan merkte, wie ihm bei dieser Aussage Blut in die Wangen schoss. Es gab keine einzige Person auf diesen Planeten, die jemals dazu in der Lage war ihn verlegen zu machen – bis auf Ryder. Und der machte das dafür fast jedes verdammte Mal, wenn sie sich trafen. Auch wenn Ryan das echt nicht schlimm fand… Aber… aaah! „Du hast mir also gar nicht zugehört?“, fragte Ryan stattdessen, nicht mal annähernd so vorwurfsvoll wie er das gewollt hätte. „Doch“, gab Ryder zurück und stützte seinen Oberkörper ein bisschen mehr auf. „Erst hast du davon erzählt, dass du die besten Medizin-Professoren an deinem College hast – ‚die haben sogar an Harvard studiert‘, waren deine genauen Worte. Auch wenn du verwirrt warst, wieso sie dann College-Professoren sind… und du freust dich auf die Partys. Und Aaron.“ Bei Aarons Namen umspielte Ryders Lippen ein irgendwie traurig wirkendes, wissendes Lächeln, während er gleichzeitig den Namen so komisch aussprach. Ryan überlegte sich erst das zu ignorieren, aber dann fiel ihm, auf, dass er keine Ahnung hatte was er sonst sagen sollte. „Was ist mit Aaron?“, murmelte er also. „Du redest nur sehr häufig über ihn“, stellte Ryder fest. „Du scheinst ihn echt zu mögen. Das ist niedlich.“ Ryan biss sich auf die Unterlippe, während eine seiner Hände automatisch über seinen Nacken fuhr. „Er ist halt ein echt guter Kumpel…“ „Könntest du dir nicht vorstellen…?“ Ryder legte seinen Kopf schräg und legte gleichzeitig eine Hand auf Ryans Knie. Sein Daumen wanderte über den Stoff, während Ryan schluckte. „Ryder, Aaron is in ‘ner Beziehung“, erwiderte er ein bisschen verlegen. „Und wenn er es nicht wäre?“ Ryders Lächeln wurde ein wenig breiter. „Dann wäre er immer noch ein Junge“, fuhr Ryan fort. „Das geht nicht.“ Auch Ryders andere Hand legte sich an Ryans anderes Knie, woran er sich ein bisschen näher zu Ryan zog. „Ryan… Du weißt schon, dass ich auch männlich bin, ja? Also auch ein… Junge?“ Ryan stöhnte leise auf, lehnte sich aber ein bisschen zu Ryder runter, um seinem Gesicht näher zu kommen. „Das ist was ganz Anderes“, murmelte er verteidigend. „Du bist…“ Er zögerte, wobei er eine seiner Hände an Ryders Gesicht legte. Langsam fuhr er mit seinem Daumen über Ryders Wange, wobei er seine Augenbrauen zusammenzog. „Du bist… was Besonderes. Einzigartiges.“ Ryder lächelte auf diese Aussage hin schief, hielt dabei aber den Blick von Ryan stand. „Bist du nicht neugierig?“, flüsterte er leise. „Neugierig, wie es mit einem Jungen wäre?“ Ryan drückte seine Lippen aufeinander, aber bevor er etwas erwidern konnte, beugte Ryder sich ein bisschen weiter hoch und drückte seine Lippen auf Ryans. Ohne zu Zögern erwiderte der den Kuss, wobei er fast sofort das Gespräch vergessen hätte. Wie immer bei einem Kuss; wenn Ryder ihn auch nur küsste, war es, als ob sein Verstand einfach aussetzte… „Willst du es ausprobieren?“, wisperte Ryder schließlich in den Kuss rein, ohne wirklich ihre Lippen voneinander zu trennen. „Wie es vielleicht sein könnte…?“ Für einen Moment setzte Ryans Herz aus. Meinte Ryder das da gerade ernst? Sie waren Beide nie übers Küssen hinweg gekommen, auch wenn Ryan gerne mehr gewollt hätte, aber er hatte auch gar keine Ahnung wie um alles in der Welt das funktionieren sollte. Jetzt, wo er das Angebot wirklich bekam, fühlte er wie sich ein leichtes Kribbeln in seinem Bauch ausbreitete, durch seinen Körper fuhr und schließlich bei seiner goldenen Mitte landete. „Ich…“, brachte er mit brüchiger Stimme hervor, bevor er nur schnell sagte: „Ja.“ Ryan spürte, wie Ryder gegen seine Lippen lächelte. Gleichzeitig spürte er auch, wie eine von Ryders Händen sich unter den Saum von Ryans Shirt schlich, während Ryder seinen Oberkörper ein wenig sinken ließ um Ryans Hals für einen Moment zu küssen. „Ich kann dir wahrscheinlich nichts zeigen, was du nicht sowieso schon kennst“, erklärte er schließlich leise, „Aber ich glaub trotzdem, dass es dir gefallen könnte…“ Nun, das bezweifelte Ryan ganz sicherlich nicht. Immer noch mit trockenem Hals versuchte er einen klaren Kopf zu bekommen, während Ryder ihm mit einer Hand das Shirt auszog – oder es wenigstens versuchte. Ryan half schnell nach, indem er sich das Shirt selber über den Kopf zog. Dafür lächelte Ryder ihm kurz zu, befasste sich aber gleich danach wieder mit dem küssen… und fuck, wieso um alles in der Welt konnten Ryders Lippen ihn so unglaublich gut ablenken?! Sie fühlten sich so weich, aber trotzdem so bestimmt auf Ryans Haut an. Und hey, das war sicher nicht das erste Mal, das jemand seinen Oberkörper küsste! Aber ernsthaft, das hier sendete mit fast jeder Berührung eine heiße Welle durch seinen Körper, die unglaublich atemberaubend war. Und Ryder war gerade mal beim Oberkörper…! ... Ryan atmete noch immer extrem schwer, als Ryder zu ihm nach oben robbte. Er stützte seinen Ellbogen im Sand und seinen Kopf auf seiner Hand ab, um Ryan von oben amüsiert anzuschauen. „Und?“, fragte er leise nach. „So schlimm ist das mit einem Jungen nicht, oder?“ Ryan versuchte seine Gedanken zu sortieren, merkte aber, dass ihm die Lust tatsächlich irgendwie die Denkfähigkeit genommen hatte. Es dauerte ein wenig, bis er schwer atmend murmelte: „Das war besser als jeder Sex, den ich bisher hatte“, gefolgt von einem Schlucken. „Aber ich glaub nich‘, dass das irgendwer so gut wie du kann…“ Ryders Hand legte sich auf Ryans Brust, wodurch er sicherlich Ryans viel zu schnell schlagendes Herz spüren konnte. „Ich hatte auch viel Übung“, murmelte Ryder schließlich, was Ryan wieder zum Grinsen brachte. „Das kann ich mir vorstellen“, erwiderte er, während er eine seiner Hände auf Ryders Hand legte. „Aber ich schätze, jetzt hast du jeden Sex auf der Welt für mich versaut, weil das nie wieder so gut wie jetzt werden kann…“ Und in dem Moment, in dem Ryan es aussprach, wusste er auch irgendwie, dass das stimmte – aber es war ja egal. Schließlich hatte er ja Ryder. Oder auch nicht. Denn das College war eine überraschend harte Zeit, die überraschend viel von Ryans Aufmerksamkeit verlangte – egal ob wegen Lernen, ob wegen Mädchen, wegen Stress mit Aaron oder wegen der ganzen Partys und dem ganzen Schmarn mit den Verbindungen, Ryan hatte kaum Zeit, irgendwelche freie Zeit zu bekommen. Er nahm sich zwar immer vor, in den Ferien mal wieder ans Meer zu fahren, aber irgendwie fehlte ihm dann in den eigentlichen Ferien doch immer die tatsächliche Motivation dazu. Außerdem fühlte er sich mit jeder Person, mit der er schlief, ein bisschen schlechter gegenüber Ryder, obwohl er gar nicht erklären könnte wieso; früher, bevor Ryder das mit ihm am Strand gemacht hatte, war das auch nicht so gewesen. Aber mittlerweile war Ryan einfach nur nervös, seinem früheren Schwarm wieder gegenüber zu treten und – um ehrlich zu sein – er vergaß ihn auch ein bisschen. Ryans College-Zeit war eben fordernd und anstrengend, aber gleichzeitig auch irgendwie eine der geilsten Zeiten seines Lebens. Er hatte kaum Stress… war es ihm da zu verdenken, dass er Ryder eben nicht dauernd im Kopf hatte? Aber an einem Tag, der für ihn eigentlich der wahrscheinlich wichtigste Tag im Leben sein sollte, konnte er Ryder nicht mehr aus dem Kopf kriegen. Genau deshalb schnappte er sich auch an diesem einen Tag Aarons Motorrad und fuhr zum Strand, weg von all den schlechten Gedanken die er hatte und hin zu der einzigen Person, die ihn wahrscheinlich gerade wirklich verstehen würde. Es dauerte nicht lange, bis er einen Strand gefunden hatte, der abgelegener als die Anderen waren. Ohne lange darüber nachzudenken stellte Ryan das Motorrad ab, rannte förmlich bis zu dem Wasser und merkte, wie sein Mund noch vorm Ankommen anfing, zu rufen; „Ryder?! Ryder, bitte, Ryder, ich brauche dich, dringend!“ Gerade, als er am Ufer des Strandes ankam, sah er auch, wie der Mann aus dem Wasser auftauchte. Ein bisschen entfernt vom Strand, aber trotzdem eindeutig dieselbe Person, mit der Ryan früher jeden Tag geredet hatte. „Ryan“, stellte er mit einer beruhigenden, sanften Stimme fest. Noch während er näher schwamm, redete er weiter; „Alles gut bei dir?“ Ryan drückte seine Lippen aufeinander und merkte, wie sich seine Augen mit Tränen füllten. Gosh. Anstatt also verbal zu antworten und in Gefahr zu laufen, in Tränen auszubrechen – er war ein erwachsener Mann von 27 Jahren, er fing nicht einfach an, zu heulen! – schüttelte er nur den Kopf, bevor er sich in den Strand setzte, so nah am Wasser wie er sein konnte, ohne wirklich nass zu werden. „Ich hab dich noch nie im Anzug gesehen“, stellte Ryder fest, während er schließlich am Strand ankam und sich daran ein bisschen hinaus zog, sodass er in die Nähe von Ryan kam. Er schien keine sonderlich große Sorge zu haben, dass hier irgendwer kommen würde, denn er kam mit seiner Flosse relativ nonchalant ganz aus dem Wasser. „Das sieht gut aus, Ryan.“ Als ob es das besser machen würde! Ryan merkte, wie seine Augen immer mehr brannten. Frustriert zog er seine Beine an seinen Oberkörper, umarmte sie und versenkte sein Gesicht in seinen Knien. „Hey, alles ist gut“, hörte er Ryders Stimme neben sich, während eine nasse Hand sich auf Ryans Schulter legte. Dann war er also mittlerweile tatsächlich bis zu Ryan gerobbt… Gott, scheiße, hatte er Ryder in den letzten Jahren vermisst! Das war ihm noch nie so klar gewesen wie jetzt, wo er dem Jungen wieder so nahe saß und das Herz in seiner Brust wieder anfing, zu pochen. „Also, wahrscheinlich ist es das nicht, sonst wärst du nicht hier“, fuhr Ryder fort, „Aber ich glaube, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt, Ryan. Und wenn du mir von deinen Problemen erzählen willst… lass dir alle Zeit der Welt.“ Ryan ließ sich auch tatsächlich ein bisschen Zeit, solange, bis das Gefühl einer drohenden Heulattacke von ihm gegangen war. Daraufhin stützte er sein Kinn auf seinen Knien ab und nahm nochmal einen tiefen, zittrigen Atemzug. „Ryder…“, fing er dann nervös an. Er hatte keine Ahnung, wie er das alles erklären sollte, weshalb er einfach mit dem leichtesten anfing: „Ryder, heute ist – heute ist mein Hochzeitstag.“ Das Schweigen, das danach einkehrte, dauerte allerhöchstens fünf Sekunden. Aber Ryan machte es verrückt, dass Ryder in diesen fünf Sekunden nicht antwortete, weshalb er seine Aussage gleich noch ein wenig anpasste. „Oder heute wäre mein Hochzeitstag, aber… ich pack das nicht. Also, ich weiß nicht, ob ich das nicht packe, ich – das… das ist alles so viel. Und so plötzlich und so verdammt schnell und…“ Ryan stockte wieder, nahm einen weiteren Atemzug und wollte weiter reden, aber ihm fiel auf, dass ihm da gerade nicht noch mehr einfiel – deshalb schwieg er erstmal. „Wen heiratest du denn?“, fragte Ryder schließlich nach. Seine Stimme klang irgendwie komisch, aber wahrscheinlich bildete Ryan sich das nur ein. „Ihr Name is‘… Rachel. Rachel Dunstock… oder eben bald Adams“, murmelte Ryan. „Sie ist meine Freundin seit… einanhalb Jahren, ungefähr? Ich mein… ich kenn sie noch nicht mal richtig gut ich mein, was sind schon einanhalb Jahre? Aber... heute – heute heiraten wir. Am Strand. Gar nicht weit weg von hier…“ Ryder erwiderte wieder eine Weile lang nichts. „Wieso willst du sie dann überhaupt heiraten?“, fragte er dann, was Ryan wieder frustriert sein Gesicht verziehen ließ. „S-sie.. sie ist schwanger von mir. Sie wird in fünf Monaten das Kind bekommen… unser… gemeinsames Kind. Ich weiß noch nicht mal, ob ich bereit bin, Vater zu sein, Ryder… Und ich liebe sie eigentlich und ich glaube, dass ich auch unser Kind lieben werde, aber gerade klingt das alles nach einem so unglaublich gewaltigen Schritt und ich weiß nicht, ob ich mein restliches Leben lang zufrieden mit diesem Schritt sein kann und – und ich weiß überhaupt nichts mehr und eigentlich will ich das alles nicht und… und eigentlich will ich gerade einfach nur bei dir sein, dich umarmen und mir von dir anhören, das alles wieder gut wird, weil du der einzige Mensch bist, dem ich das glaube.“ Nach diesem kleinen Monolog, der nach dem Aussprechen irgendwie peinlicher war als davor, versenkte er sein Gesicht wieder in seinen Knien… wurde aber kurz darauf tatsächlich von Ryder in den Arm genommen, der ihn ein wenig an sich drückte. Nur allzu bereitwillig lehnte Ryan seinen Kopf gegen die Schulter des Mannes. „Ich kann dir nicht sagen, dass alles gut wird“, flüsterte Ryder schließlich leise, während er mit seiner Hand über Ryans Schulter fuhr. „Aber ich kann dir sagen, dass du ein unglaublicher Vater sein wirst. Ich kann dir versprechen, dass du immer zu mir kommen kannst, wenn du Probleme hast und dass ich immer bei dir bin, auch, wenn du nicht zum Meer kommst. Hey, ich werde wahrscheinlich auch bei deiner Hochzeit irgendwo im Meer in der Nähe sein… hast du schon einen Trauzeugen?“ Ryan wollte eigentlich gar nicht reden – er wollte weiter Ryders Stimme hören, noch mehr aufmunternde Worte von ihm… aber er nickte dennoch schnell. „Erinnerst du dich an Aaron?“, gab er zurück, woraufhin Ryder wieder nickte. „Natürlich erinnere ich mich an Aaron“, murmelte er, während er Ryan wieder an sich zog. „Und Aaron steht dir sicher auch zur Seite, wenn du Hilfe brauchst, Ryan“, redete Ryder also gleich weiter. „Du musst dir keine Sorgen machen, Ryan – wirklich nicht. Ich weiß, dass du dir nur die richtigen Menschen in deinem Leben aussuchst… und wenn du Rachel heiratest, dann glaube ich auch, dass sie die Richtige für dich ist. Sie, und das Kind, das du mit ihr bekommen wirst.“ Wieder sagte Ryan nichts, aber Tatsache war, das diese wenigen Worte von Ryder ihm unendlich mal mehr wert waren als jedes Wort, das Aaron oder Rachel über diese Hochzeit gesagt hatten. Er könnte nicht erklären wieso, aber sie beruhigten ihn auch tatsächlich und bereiteten ihn auf die Hochzeit vor – Aber als er später das Ja-Wort sagte, musste er immer noch nur an Ryder denken. „Du solltest dich darum kümmern!“ Ryan entfuhr ein frustriertes Schrauben, als Rachel das zum hundertsten Mal wiederholte. Wieso konnte diese Frau nicht einfach einsehen, dass sie falsch lag?! „Weißt du, seit wann diese OP geplant ist? Seit einem halben Jahr. Ein halbes Jahr, Rachel, plane ich diesen Termin schon! Meinst du ernsthaft, ich hätte dir gesagt, dass ich mich an dem Tag dann auch noch um den Elternabend von Noah kümmere?!“ „Ja, das dachte ich!“ Rachel schnaubte und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Ryan rollte mit den Augen, einfach, weil er dieses ständige, kindische Getue von seiner Frau sowas von satt hatte, das man es kaum noch in Worte fassen konnte. Seit vier Jahren machte er diesen Nonsens jetzt schon mit und langsam aber sicher fehlte ihm einfach der Nerv dazu. „Das denkst du wenn dann“, korrigierte Ryan sie. „Was?“ Rachel blinzelte verwirrt, aber Ryan schüttelte einfach nur den Kopf. „Schüttel nicht ständig den Kopf, wenn ich mit dir rede!“, fuhr sie fort – und wieder schüttelte Ryan nur den Kopf, aber diesmal folgten seine Finger, die genervt an seiner Nasenwurzel rieben. „Ich fasse es nicht“, keifte Rachel. „Wieso weichst du ständig jedem Gespräch mit mir aus?!“ „Weil das keine Gespräche sind, sondern ein einziges Anschreien“, knurrte Ryan genervt. „Ich kann’s dir nicht recht machen, mal abgesehen davon, dass du mir zu 90% der Zeit ganz offensichtlich sowieso nicht zuhörst.“ „Das sagt der Richtige!“ Rachel stapfte mit ihrem Fuß in den Sand. „Wie kannst du sagen, ich höre dir nicht zu? Gerade du?! Muss ich dich erst daran erinnern, wer unsere Ehe schon in der Nacht der Eheschließung gefährdet hat?!“ Ryan stockte, bevor er seinen Kopf zu ihr drehte und sie fassungslos anschaute. Sie machte es tatsächlich schon wieder! Immer, wenn sie nicht wusste, was sie sagen sollte, kam diese verdammte Hochzeitsnacht auf – und dabei hatte sie schon so oft behauptete, dass sie darüber hinweg sei. Ja, gut, natürlich verstand Ryan, wieso seine Frau es nicht gerade anregend gefunden hatte, dass sie ihren Bräutigam in der Besenkammer des gemeinsamen Hotels auf seinen Knien gefunden hatte, den Mund buchstäblich voll mit der Männlichkeit seines Trauzeugens… aber das hieß noch lange nicht, dass sie immer wieder darauf rum hacken musste! Vor allem nicht in diesem verdammten Urlaub, in dem sie doch endlich mal entspannen und sich nicht andauernd nur anzicken wollten… Aber statt darüber noch ein Wort zu verlieren, unterbrach Ryan den Blickkontakt einfach mit einem Schnauben und schaute stattdessen nach wo sein Sohn, Noah, sich schon wieder rum trieb. Eigentlich nur eine flüchtige, kleine Geste, die ihn aber innerhalb von Sekunden fesselte. Der Strand war de facto leer. Noah, der eben noch im Sand gespielt hatte, hatte sich verdrückt und war nirgends zu sehen; und dann war da dieser Steg, der so gefährlich weit ins Meer jagte. Ryans Herz pochte ihm bis zum Hals, als er auf der Decke aufsprang. Er hörte, wie Rachel sich über den Sand beschwerte, den er damit aufwirbelte, aber er ignorierte das. „Noah?!“, rief er über den Strand hinweg, was wohl auch Rachels Aufmerksamkeit anstachelte. Noch bevor sie sich aufrichtete, fing Ryan panisch an zu laufen. Bitte, oh, bitte, Noah durfte nichts passiert sein! „Noah Ryder Adams, komm sofort her!“, hörte er Rachel hinter sich rufen, während seine Beine über den Strand flogen. Scheiße. Scheiße. Scheiße! Wo war Noah?! Er merkte, wie sich seine Augen mit Tränen füllten, aber in seinem Kopf spielten sich die unheimlichsten Szenarien aus, in denen sein Sohn ertrunken, entführt oder einfach nur wegen der Hitze zusammengebrochen war… Aber er kam nicht sonderlich weit, da er kurz darauf fast schon über Noah stolperte. Er lag am Strand, völlig durchnässt. Ryan könnte schwören, dass er vor wenigen Sekunden noch nicht dort gelegen hatte, aber anstatt darüber nachzudenken hechtete er sofort zu seinem Sohn. Er kniete sich neben ihm und hätte fast Erste-Hilfe-Maßnahmen ergriffen, wenn er nicht im letzten Moment bemerkt hätte, dass sein Sohn atmete… komplett normal. „Noah?“, flüsterte er leise, mit Tränen in den Augen, während er sich zu seinem Sohn herab beugte. Der hob nur langsam seine Augenlider, aber es schien ihm gut zu gehen… glaubte Ryan jedenfalls. „Ich hab keine Luft mehr bekommen, Papa“, murmelte Noah, was Ryans schlimmste Vermutung bestätigte. „Aber ein Mann hat mich gerettet…“ Bevor Noah noch weiter reden konnte, hörte Ryan einen glücklichen Aufschrei von Rachel, die zu ihnen rannte, auf die Knie fiel und Noah umarmte. Aber Ryans Herzschlag hatte sich schon wieder beruhigt. Wie hatte er jemals Angst um sein Kind haben können? Nicht hier, nicht am Meer – das hatte er schon gewusst, bevor er in den Urlaub gefahren war. Deshalb fuhr sein Blick auch vorbei an seinem Sohn und seiner Frau, zu dem Meer, das so ruhig wirkte wie schon den ganzen Tag. „Danke, Ryder“, flüsterte er leise. „Ryder?“ Ryan ließ seine Füße ins Meer sinken und ein wenig auf den Wellen treiben. Er saß auf einem Holzsteg, einen, der nicht so weit ins Meer ragte und ziemlich zerfallen und alt aussah, der seinen Dienst aber noch wunderbar tat. „Ryder, bist du da?“, wiederholte er leise, aber hatte wie üblich keine große Hoffnung, ihn wirklich zu sehen. Er hatte seit sieben Jahren nicht mehr mit Ryder geredet – sieben Jahre! – auch, wenn er sich sicher war, das er vor drei Jahren Noah das Leben gerettet hatte. Dennoch, wirklich geredet hatten sie seit seinem Hochzeitstag nicht mehr… was eine wirklich ernüchternde Vorstellung war. Aber wie immer, wenn er Ryder um Hilfe bat, überraschte dieser ihn. Diesmal sah Ryan zuerst seine graue Flosse, bevor Ryder die Wasseroberfläche durchbrach und zu ihm schaute. „Hallo, Ryan“, grüßte er den Anderen – und zum ersten Mal fiel Ryan auf, dass Ryder ihn immer so begrüßte, als hätten sie sich erst gestern gesehen. Er schien ihm nie böse zu sein, wenn er ihn ewig nicht gesehen hatte… „Hallo, Ryder“, grüßte Ryan ihn lächelnd zurück, was auch Ryder ein Grinsen auf die Lippen zauberte. Ryder sah immer noch so jung aus; zwar hatte er mittlerweile einen Bartschatten, aber er war körperlich mittlerweile definitiv jünger als Ryan. Eine wirklich komische Vorstellung, wenn man darüber nachdachte… „Geht’s dir gut?“ Ryder legte den Kopf von seiner Position aus ein bisschen schräg. „Ja“, stimmte Ryan zu, während er mit seiner Hand über seinen Nacken fuhr. „Mir geht es so gut wie seit der Scheidung mit Rachel nicht mehr…“ Ryder schien dieses Tatsache einfach hinzunehmen. Er schien zu wissen, dass Ryan nicht darüber reden wollte, nicht nochmal diese grausamen, dummen Details wiederholen wollte. Ja, die Scheidung von Rachel war kein Zuckerschlecken gewesen, aber es war ein wunderbares Geschenk zum fünften Hochzeitstag gewesen. „Hat das irgendeinen bestimmten Grund?“, fragte Ryder nach, während er seine Hände an den Steg legte. Mit einem Ruck hatte er sich nach oben gezogen, sodass er neben Ryan sitzen konnte. „Eigentlich nicht“, erwiderte Ryan, während er Ryder ein schiefes Lächeln schenkte. „Das heißt… ich hatte gerade eine Woche Roadtrip hinter mir und das heute ist mein letzter Tag. Die Woche war unglaublich schön, alleine, weil ich sie mit Aaron verbringen konnte…“ – Ryan stockte kurz. „Aaron ist mittlerweile übrigens mein Freund“, erklärte er rasch. „Seit zwei Jahren, um genau zu sein… Gleich nachdem ich mit Rachel Schluss gemacht habe.“ Ryders Lächeln wurde ein wenig breiter. „Ich hab dir immer gesagt, dass du mehr für ihn empfindest“, stellte er amüsiert fest. Ryan lachte nervös und fuhr dich durch die Haare, bevor er langsam nickte. „Und du hattest immer recht“, erwiderte er. „So wie du über alle Dinge in meinem Leben immer recht hattest, Ryder.“ „Mit Rachel hatte ich nicht recht.“ Ryder runzelte die Stirn, aber Ryan schüttelte nur seinen Kopf. „Doch, hattest du – du hast gesagt, die Menschen, die ich mir aussuche… aber ich hab sie nie ausgesucht.“ Ryan seufzte, bevor er seine Hand langsam auf Ryders ablegte. „Du glaubst es mir vielleicht nicht, weil ich dich so selten besuchen komme“, murmelte er, „Aber du bist mir wirklich unendlich wichtig. Du bist mir der wichtigste Mensch auf der Welt, um genau zu sein…“ Ryan schaute zu Ryder, aber der richtete seinen Blick in die Ferne. Seine Finger spielten aber ein wenig mit denen von Ryan, was diesem ein unglaublich wohliges Gefühl verschaffte… ein so wohliges Gefühl, das ihn jegliche Form von Liebe für Aaron in Frage stellen ließ und nur noch Raum für Ryder ließ. „Sicher, dass ich nicht doch eher dein liebster Meerjungfraumann bin?“, fragte Ryder schließlich zurück, während er seinen Kopf mit einem schiefen Grinsen zu Ryan drehte. Der blinzelte erst verwirrt, bevor er zu lachen anfing . „Du bist auf jeden Fall meine liebste Meerjungfrau“, stimmte er dann aber zu. „Wusstest du, dass Aaron ‚Arielle – die kleine Meerjungfrau‘ liebt? Also den Film? Und immer, wenn er einen Song daraus singt, muss ich an dich denken… an Ryder, meinen kleinen Meermann.“ „Klein?“, wiederholte Ryder amüsiert, aber mit einer unüberhörbaren Melancholie in der Stimme. „Nicht so überheblich, Ryan… Ich weiß zufälligerweise ganz genau, dass mein Schwanz länger als deiner ist.“ Zum Beweis hob Ryder seine Flosse auch ein wenig, nur, um sie wieder ins Wasser sausen zu lassen – und Ryan damit nass zu spritzen. Der lachte zwar nur wieder, aber irgendwie merkte er, dass Ryder… nicht ganz zufrieden war. Irgendwas störte ihn, aber Ryan könnte nicht mal sagen, was; er wusste schließlich nicht viel über Ryder. Selbst die zwei Jahre, in denen sie jeden Tag miteinander geredet hatten, hatten sie hauptsächlich über Ryan geredet, nicht über Ryder. Aber was sollte er tun? Ryan hatte darauf immer noch keine Antwort, als er wenige Stunden später auf den Weg zurück zu Aaron war. Das Wasser umspielte Ryans Fußknöchel. Das Meer war ungewöhnlich kalt für diese Jahreszeit, aber wahrscheinlich lag das einfach daran, dass es nachts war. Und war das Meer in Churningham um diese Zeit nicht sowieso immer überraschend kalt gewesen? Ryan spürte einen Kloß in seinem Hals, den er aber erfolgreich runter schluckte. Er machte einen weiteren Schritt ins Wasser, die Kälte ausblendend. Das Wasser durchtränkte erst seine Socken, dann seinen Saum der Hose und war schließlich bei seinen Knien angelangt, was Ryan aber nicht stoppte. Egal wie kalt es war, er konnte einfach nicht mehr anhalten. Also ging er weiter, bis er mit der Hüfte drinnen war, bis zum Bauchnabel, bis zur Brust… Und schließlich schwamm er, wobei seine nassen Klamotten sofort zur Last wurden. Aber auch das ignorierte er geflissentlich. „Ryder?“, flüsterte er stattdessen ins Meer, nachdem er endlich angefangen hatte, richtig zu schwimmen. Es dauerte nicht lange, bis Ryder neben ihm auftauchte. Ryan spürte, wie ihm sofort Tränen in den Augen brannten, die er diesmal aber nicht versuchte zu unterdrücken. Als die erste Träne über seine Wange rollte, spürte er, wie Ryder seine Hand an Ryans Schulter legte. „Was tust du da?“, fragte er, mit einem definitiv besorgten Tonfall in seiner Stimme. „Du weißt, dass ich nicht zulasse, dass du dich ertränkst, oder…?“ Ja, ja, das wusste Ryan. Immer noch weinend drehte er sich zu Ryder, schaute ihn kurz an und schloss ihn dann in die Arme; wobei er seine Arme um dessen Hals schlang, sodass Ryder ihn mit der Flosse oben behalten konnte. „Ich will bei dir sein, Ryder“, flüsterte er. „Bitte. Bitte lass mich sterben.“ Eine Zeit lang spürte Ryan nichts bis auf den stetigen Atem von Ryder. Er schien nicht wissen, was er dazu sagen sollte – aber was sollte er auch schon dazu sagen? Ryan wusste, wie seine Worte klangen. Aber was sollte er tun? „Was ist mit Aaron? Und mit Noah?“ Ryan schluckte. „Aaron… liebt mich nicht. Und ich – ich liebe ihn nicht. Er wird glücklicher sein, wenn ich weg bin. Noah weiß nicht mal mehr, wer ich bin, außer der Mann, der ihm regelmäßig Geschenke bringt… meine Familie vergisst mich, mein Job treibt mich in den Wahnsinn… Aber selbst wenn das alles nicht wäre, Ryder, ich kann das nicht mehr.“ Er schnappte nach Luft, aber erklärte gleich weiter: „Ich habe lange darüber nachgedacht… so… lange. Ich hab mir eingeredet, dass Rachel und Aaron mich glücklich machen, das Noah mich glücklich macht, aber – ich habe mich niemals in meinem Leben wirklich ganz gefühlt. Ich dachte immer, dass ich irgendwas wichtiges im Leben verpasse, dass alle anderen Menschen um mich herum etwas wissen, was ich nicht weiß und hab immer versucht, glücklicher zu werden, aber…“ Ryan löste sich ein bisschen, um Ryder durch den Tränenschleier in die Augen schauen zu können. „Mir ist klar geworden, dass ich schon so glücklich war. Schon so oft… aber… auch viel zu selten. Ryder, du bist – du bist die einzige Person, bei der ich mich jemals richtig gefühlt habe und… ich hasse mich dafür, dass mir das nicht früher klar geworden ist. Aber ich kann nicht mehr ohne dich leben, Ryder, und ich will das auch gar nicht mehr. Es reicht nicht, einfach wieder ans Meer zu ziehen, ich… brauche dich… so sehr, aber – ich kann auch nicht mehr leben. Ich will nicht mehr. Bitte, bitte nimm mich zu dir mit…“ Ryan merkte, dass auch Ryder Tränen in den Augen hatte, was sich mit dem Meerwasser in seinem Gesicht vermengte. „R-ryan“, murmelte er, wobei seine Stimme überraschend zittrig klang. „Bitte… tu das nicht. Ich kann das nicht…“ „Wenn du es nicht tust“, murmelte Ryan, „töte ich mich anders selber. Nicht im Meer – mit Tabletten, einer Pistole, irgendwie.“ Er schluckte wieder, weil er merkte, dass seine Stimme belegt war. „Bitte, Ryder, tu mir den Gefallen. Ich weiß, dass ich dich nach so unendlich vielen Gefallen gefragt habe, aber ich bitte dich inständig, gib mir nur noch diesen letzten…“ Ein Schluchzen durchfuhr Ryder. Ryan spürte es an jeder einzelnen Faser seines Körpers und hasste sich dafür, dass er Ryder zum Weinen brachte… aber er konnte seine Worte auch schlecht einfach zurücknehmen. Nein, stattdessen schaute er Ryder flehend an, schaute in diese Augen, in die er sich vor so vielen Jahren verliebt hatte – und die er immer noch liebte, wie er abermals feststellen musste. Die er immer lieben würde. „Ich liebe dich, Ryan“, flüsterte Ryder leise. Ein erlöstes Lächeln legte sich auf Ryans Züge. „Ich liebe dich auch, Ryder“, flüsterte er zurück. Gleich darauf zog Ryder ihn an sich und küsste ihn. Noch während dem Kuss schlang er seine Arme enger um Ryan, um ihn mit sich zu ziehen – mit unters Wasser. Ryan drückte seine Arme ebenfalls fester um Ryder, während der innerhalb von wenigen Sekunden in unglaubliche Tiefen schwamm, dabei aber nie den Kuss löste. Es fühlte sich nicht schlimm. Nein, im Gegenteil, Ryan fühlte nicht mal, dass er ertrank – stattdessen spürte er, wie sein Körper immer jünger würde. Er fühlte sich wieder wie 18. Er konnte klar vor Augen sehen, wie er ins Wasser ging, wie aus seinen Beinen eine Flosse wurde und wie Ryder mit ihm nach unten zog – zum Meeresgrund. Ryan konnte sehen, wie Ryder ihm sein Leben zeigte, wie sie sich gegenseitig aufeinander einließen. Er sah, wie sein Leben eine so unglaubliche Form angenommen hatte, dass er absolut nichts mehr im Leben außer Ryder brauchte. Die Vision, die Ryder mit ihm teilte, hielt bis zum Ende an. Bis Ryan in den Armen von Ryder ertrank. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)