My Dear Brother von ellenchain (The Vampires) ================================================================================ Kapitel 19: Sehnsüchte ---------------------- Mein geröteter Handrücken ließ mich stocken. Ich konnte es nicht glauben, dass ich nicht mehr in die Sonne gehen durfte. Das ging alles so schnell. Schon nach zwei Tagen waren meine Optionen so eingeschränkt. Ich konnte kein normales Essen mehr zu mir nehmen, konnte kein Wasser mehr trinken und konnte jetzt sogar nicht mehr in die Sonne gehen. Meine Augen füllten sich wieder mit Tränen. Alles ging allmählich zu Nichte. Alles wurde mir weggenommen, was vorher so selbstver­ständlich war. Verzweifelt ließ ich mich auf mein Bett fallen. Weinend saß ich dann auf der Bettkante und heulte in meine Hände. Ich war so eine Heulsuse geworden und schämte mich schon fast vor mir selbst. Aber alles glitt mir aus den Händen. Kiyoshis Anblick ging mir ebenfalls nicht aus dem Kopf. Ich hatte Angst, genauso zu werden. Irgendwann auch so auszusehen wie ein Dämon; frisch aus der Hölle entlaufen. Mein Leben ging den Bach runter. Heute Morgen war ich noch euphorisch und sah das Leben als etwas gutes, egal wie es verlaufen würde. Aber jetzt hatte ich die harte Wahrheit vor meinen Augen liegen. Vampire konnten nett sein, hielten aber doch mehr von sich selbst und verspotteten andere. Sie waren nur Tiere, in Menschenform, die Blutdürstig sind. Tiere, die ihre eigenen Triebe nicht unter Kontrolle hatten, und wenn, dann nur schwer. Ich als Mensch war in diesem Haufen einfach Fehl am Platz. Und das würde ich auch nach meiner Verwandlung sein. Ich könnte einfach nicht so sein wie die. Ich würde nie so handeln können. Auch wenn ich vor einiger Zeit immer gedacht hatte, dass ich nie Blut trinken könnte, habe ich es doch vor wenigen Stunden getan. Vielleicht wäre ich sogar irgendwann in der Lage Menschen zu töten? Wegen ihrem Blut? Wäre ich vielleicht genauso eine Gefahr wie die anderen für mich heute? Die Vorstellung allein plagte meinen Kopf und ich schluchzte Laut auf. Melancholie war in meinem Fall schon fast untertrieben. Depressiv passte eher. Mein Leben bestand nur noch aus ‚Aber’. Nichts ging mehr. Ich würde nicht zurückgehen können, nie wieder in meine alte Schule. Ich wäre nur eine Gefahr für meine Freunde. Meine Selbstkontrolle endete ja schon bei Schokolade, wie wäre es dann nur bei meiner Lebenswichtigen Nahrung? Undenkbar. Ich sitze hier fest. Ich kann hier nicht mehr weg. Das hier ist meine Hölle. Meine persönliche Hölle. Meine Tränen kullerten von meinen Wangen auf den Boden. Was sollte ich nur tun? Wie konnte das nur passieren? Ich hatte keine Lust mehr auf mein Leben …     Plötzlich vibrierte mein Handy in meiner Hosentasche. Etwas erschrocken kramte ich es raus. Es war Jiro. Er hatte ja gesagt, er würde anrufen. Ich versuchte mich zu beruhigen und räusperte mich kurz, damit meine Stimme nicht weg bräche. »Hey Jiro«, begrüßte ich ihn, gespielt fröhlich. »Alter, was ist los? Du klingst fürchterlich!«, hörte ich nur eine besorgte Stimme auf der anderen Leitung. »Haha, alles okay. Ich habe vorhin nur Wasser getrunken und habe mich fürchterlich verschluckt. Ist gleich weg.« Was ich lügen konnte. Überhaupt knabberte mein Gewissen allmählich an mir, da ich sowohl Jiro als auch meine Mutter anlügen musste. »Bist du dir sicher?« »Jiro, ich werde mir wohl sicher sein, ob ich Wasser getrunken habe oder nicht«, spaßte ich. »Na gut …« Er schien sehr misstrauisch zu sein. »Geht’s dir denn besser als gestern?« »Ja, doch. Auf jeden Fall.« Nein, mir ging’s noch um einiges schlechter als gestern. »Na, wenigstens etwas. Wobei du nicht sonderlich besser klingst.« »Hm, ich musste heute zur Schule gehen.« »Was? Wieso das denn?« »Ich sollte die Schule meines Bruders mal kennenlernen.« … Weil es bald meine sein wird. »Oh Gott.« »Sagst du was.« Ich wartete kurz ab. Als Jiro nichts sagte, traute ich mich auch nicht mehr im Groben über die Schule zu erzählen. »Und? Wie ist sie so?«, fragte Jiro dann doch nach einigen Sekunden, aber sehr auffordernd. »Äh …« Ich suchte noch nach Worten, da ich ‚Vampire’ auf keinen Fall einbringen durfte. »Hero? Was ist los? Normalerweise erzählst du einfach los. Da muss ich nicht groß fragen.« »Tut mir Leid. Ich glaube, die strenge Erziehung meines Vaters wirkt schon auf mich ein.« »Sobald du wieder hier bist, wirst du wieder zum alten Hero. Glaub mir, dafür werden wir sorgen.« Ich musste kurz lachen. Ob das wirklich gehen würde? Ob ich wirklich wieder zum alten Hiroshi werden könnte, auch nach meiner Verwandlung? »Bin ich ja mal gespannt«, lachte ich kurz. »Also die Schule ist ja eine Privatschule. Ziemliches Geisterhaus, weil es ein altes Gebäude ist. Die Lehrer sind alle auf einem viel höherem Niveau und über die Schüler muss ich ja nicht sprechen, oder?« »Alles so Schnösel?« »Frag lieber nicht.« »Du armer!« Jiro musste kurz lachen. Obwohl es eigentlich nicht witzig war, huschte mir auch ein Grinsen über die Lippen. »Und wie ist Kiyoshi so in der Schule?«, fragte er unerwartet. »Wow, du hast dir seinen Namen gemerkt«, bewunderte ich sein Gedächtnis. Normalerweise vergaß er neue Namen nach nur wenigen Stunden wieder. »So einen Typen vergesse ich sicher nicht. Immerhin ist er ja auch dein Zwilling.« »Hm, stimmt auch wieder.« »Also?« »Ach ja … Er ist ein ganz schöner Streber. Melden, melden, melden und das Lieblingskind der Lehrer. Jedenfalls kam es so rüber.« »Oh je. Gibt’s eigentlich auch Gemeinsamkeiten zwischen dir und ihm? Außer das Aussehen?« »Gute Frage …« Ich tat so als würde ich überlegen. Da gab es eine Menge. Wir beide sind launisch, unordentlich in Dingen Zimmerbehausung, Morgenmuffel, ziemlich schnell gereizt, mögen keinen Latte Macchiato mit Blutextrakt und lieben das Blut des jeweils anderen. Der letzte Punkt war mir unangenehm. Zudem kam noch, dass das alle Punkte waren, die nicht unbedingt als positive Seiten eines Charakters gesehen werden. »Ich glaube, da gibt’s kaum welche«, sagte ich schließlich zu Jiro. Der seufzte. »Krass. Kommt der eigentlich irgendwann auch mal zu dir?« »Ich hoffe nicht!« Horrorvorstellung. Er, meine Mutter und ich in der kleinen Wohnung. Er in meiner Schule. Er mit meinen Freunden. Da trafen zwei Welten aufeinander, die sich noch weniger vereinbaren ließen als diese mit meiner. »Okay, okay. Also wird er Mister X für uns bleiben?« »Soweit jedenfalls ja.« »Hm, schade.« »Wieso?« »Ich wollte schon immer mal zwei Heros sehen«, spaßte er. Auch ich musste etwas lachen. »Hast du doch schon. Als du den Joint von Lampe geraucht hast.« »Psst, wenn das meine Mom erfährt!«, flüsterte er ins Telefon. Ich musste kichern. »Hab doch auch einmal gezogen.« »Ja, aber deine Mom würde höchstens wieder drei Oktaven höher werden und dir Hausarrest geben.« »Schlimm genug. Mehrere Tage nur mit ihr ist auch schlimm.« Das wäre jetzt genau das richtige, was ich brauchte. Einfach nur ich und meine Mom. Niemand anders. Kein Kiyoshi, kein Vater, kein Mamoru und kein anderer Vampir. Den ganzen Tag Pizza essen und vorm Secondhand Plasmafernsehr hängen. Die Vorstellung ließ mich etwas aufatmen. »Wie auch immer. Was machst du morgen? Gehst du wieder zur Schule?« Oh. »Nein, ich glaube nicht.« »Wieso nicht?« »Konnte meinen Dad überreden, dass ich Ferien habe und die auch genießen will.« »Verständlich. Ich bin ja ab morgen Nachmittag im Flieger.« »Was? Wohin?«, fragte ich verwundert. »Hero, du hast mir wieder nicht zugehört, stimmt’s?« Ups. »Hm, ja, schon. Ein bisschen. Ich war mit meinen Gedanken schon bei meinem Dad, sorry«, gab ich zu und hoffte innerlich, er würde mir nicht sauer sein. »Ich fliege nach Nagasaki.« »Für wie lange?« »Drei Wochen.« Nein! Nein, nein, nein. Dann könnte ich nicht mehr mit ihm telefonieren. Niemand, der mich aufmuntert. Seine Mutter nimmt ihm nämlich in jedem Urlaub sein Handy weg, damit er Urlaub hat und sich nicht ablenken lässt. »Ist ja mies …«, murmelte ich. »Wenn was ist, kannst du es auf dem Handy meiner Mom versuchen. Die hat das ja an. Schreib einfach ne SMS und ich versuche sie zu überreden, dich anrufen zu dürfen.« »Alles klar. Danke, Jiro.« »Kein Problem. Aber tu es auch wirklich und erzähl mir was los ist.« »Klar, mach ich doch immer.« Ich benahm mich schon wie meine Mutter. Die log auch immer so selbstverständlich. Immerhin wusste sie ja auch noch nicht, dass ich über die ganze Sache informiert war. »Ich schick dir eine SMS, wenn ich am Flughafen bin und mein Handy ausliefern muss, okay?« »Alles klar. Dann viel Spaß und gute Erholung.« »Danke, dir auch weiterhin viel Spaß, falls es den in irgend­einer Weise gibt.« Wir mussten kurz lachen, dann legten wir auf. Seufzend ließ ich das Handy in mein Kissen fallen. Sofort blieb mein Blick dort haften. Dieses Kissen erinnerte mich an meinen Traum. An den Traum mit Kiyoshi. Dieser abartige Traum, der doch seinen Reiz hatte. Ich schüttelte heftig meinen Kopf und klopfte mit der rechten Hand gegen meine Schläfe. »So was denkt man nicht, Hiro«, sprach ich zu mir selbst in die Stille hinein. Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet mir, dass es schon kurz vor halb sechs war. Seltsamerweise hatte ich aber weder Hunger noch Durst. Wenn ich auch wirklich knappe zwanzig Minuten an Kiyoshi gesaugt hatte, war ich wohl erst einmal versorgt. Trotzdem sehnte ich mich nach seiner Gesellschaft. Er war mein persönlicher Hoffnungsschimmer in diesem Loch. Ich wusste zwar nicht wieso oder warum, da er ein ganz schönes Arschloch sein konnte, aber der Drang sein arrogantes Gesicht zu sehen stieg immer weiter an. Mit geschlossenen Augen überlegte ich kurz, erhob mich, ließ mein Handy auf dem Kissen liegen und ging zur Tür. Ich machte sie auf und sah in sein Gesicht. Mit dem rechten Arm am Türrahmen angelehnt und die linke Hand an der Hüfte blickte er erst nach unten. Ohne mich anzuschauen betrat er schweigend mein Zimmer. Ich schloss einfach nach ihm die Tür und drehte mich um. Er setzte sich leise auf die Fenster­bank, nachdem er die Rollläden runter gelassen hatte. Es war auf einmal so dunkel in meinem Raum. Ich konnte kaum etwas erkennen, bis er eine schwarze Kerze anmachte und sie auf meinen Schreibtisch stellte. Und da war die Gruselstimmung wieder perfekt. »Tz. Schleppst du die immer mit dir rum?«, fragte ich sarkas­tisch und stemmte meine Hände an die Hüfte. »Ich wollte mich für vorhin entschuldigen«, warf er in den Raum und hatte einen reuevollen Blick. Der Satz kam so unerwartet, dass ich meine Hände sofort wieder gen Boden fallen ließ. »Entschuldigen? Für was denn?«, fragte ich perplex und kam einen Schritt auf ihn zu. »Ich habe mich etwas gereizt verhalten, nachdem wir wieder im Schulgebäude waren.« Nachdem wir wieder im Schulgebäude waren? Meinte er nachdem wir draußen waren? Er spielte doch nicht etwa seine Reaktion nach unserem Kuss an? »Ist ja verständlich«, murmelte ich vor mich hin und kratzte mich etwas am Nacken. »Findest du?«, fragte er etwas erstaunt. »Na ja, wenn ich vorher so einen Mist mache …« Ich musste meinen Blick abwenden. Bei so was konnte ich ihm einfach nicht in die Augen sehen. »Ist ja verständlich, wenn du dich dann etwas gereizt verhältst.« »War also ein ‚Ausrutscher’ von dir?«, fragte er mit einem seltsamen Unterton. Nein, war es nicht, aber das wollte ich ihm nicht sagen. »Ja, wahrscheinlich …« »So wie die letzten paar Male auch?« Der Unterton wurde immer stärker. »Beim ersten Mal hast du aber gesagt, es war ein Ausrutscher von d -« Dann verstand ich. Mein Blick schweifte zu ihm. Seine Augen sahen enttäuscht aus. Auf eine sehr traurige Weise.   Langsam ging ich auf ihn zu. Ohne den Blickkontakt zu brechen, näherte ich mich meinem Bruder. Der bewegte sich kein Stück, beobachtete mich nur. Als ich bei ihm war, legte ich meine Hände hinter ihn auf die Fensterbank und lehnte meinen Körper etwas an seinen. Da er auf der Platte lehnte, war er ein kleines Stückchen kleiner als ich. Vorsichtig legte ich meine Stirn auf seine. Sein Körper war so kalt, wie die Platte auf der er saß. Seine Haut so weiß, wie die Wand neben uns. Seine Augen so matt, wie ich sie noch nie vorher gesehen hatte. »Alexander hatte uns gesehen …«, flüsterte er kaum hörbar, »Da dachte ich, ist es vielleicht besser, so zu tun, als wäre es ein Unfall gewesen …« Er senkte seinen Blick und schien Reue zu empfinden, da die Sache derart eskalierte. »Ich denke, das war auch besser so …«, flüsterte ich zurück. Kaum denkbar, was ich da tat. Ich umgarnte meinen Bruder? Ich genoss seine Nähe, spürte seinen Atem auf meiner Haut und wollte ihn hier und jetzt küssen. Seine zarten Lippen auf meinen spüren. Zum dritten Mal. Danach noch mal, und noch mal und dann am liebsten noch mal. Immer wieder, bis ich seine Reaktion sehen könnte. »Hiro, wir …«, fing er einen Satz an, brach ihn jedoch ab. Ich kam immer näher und legte meinen Kopf schon etwas zur Seite. Meine Augen fixierten nur noch seine Lippen, die ich an­steuerte. Was zur Hölle tat ich da? Was zur Hölle taten wir da? Millimeter vor unseren Lippen, fuhren wir vor Schreck wieder auseinander. »Hiro? Hiro, kommst du bitte runter? Du musst dich doch verbinden lassen«, rief Vater von unten. Ich seufzte und wendete meinen Kopf endgültig zur Seite. Er drehte seinen Kopf ebenfalls etwas zur anderen Seite und drückte seine Lippen aufeinander. Wir beide waren ziemlich erschrocken, da man in diesem Haus nicht ungestört sein konnte. Ich haute einmal kurz mit beiden Händen auf die Platte und ließ dann seufzend von ihm ab. »Sorry …«, murmelte ich und begab mich aus meinem Zim­mer. Kiyoshi schien noch da zu bleiben. Meine Gesichtsfarbe wurde dermaßen rot, dass ich meine kalten Hände gegen die Wangen hielt, in der Hoffnung, sie würden ihre Naturfarbe wieder erreichen. Einerseits war ich schockiert über das, was ich tun wollte, andererseits war ich wieder wütend, weil wir unterbrochen wurden. Ständig kam irgendwer dazwischen.   Mäßig trabte ich die Treppe runter und erblickte schon meinen Vater im Esszimmertisch. Ich betrat den großen Saal. »Muss das denn sein?«, fragte ich etwas nörgelnd, als Vater schon im Verbandskasten kramte. »Es ist auf jeden Fall nicht schlecht. Außerdem heilt die Wunde besser, wenn sie geschützt ist.« »Sie heilt aber auch an der frischen Luft besser«, fügte ich hinzu. Außerdem sollte mich lieber wieder Kiyoshi verbinden. Das wäre viel angenehmer. Aber Vater schöpfte wahrscheinlich Verdacht. Oder er hatte schon wieder seine geheimen Augen auf uns gerichtet, die die Kunst besaßen, uns immer im falschen Moment zu unterbrechen. Er wollte es also unterbinden, mit allen Mitteln. »So ist es besser, Hiro, glaub mir.« Er lächelte freundlich und sprühte mir etwas auf die Wunde. Es brannte kurz, doch so schnell wie mein Vater gesprüht hatte, klebte auch schon ein Pflaster auf der Wunde. »So, das war’s schon. Geh dich bitte duschen; lass das Pflaster drauf.« »Stinke ich so?«, spaßte ich. Doch die Miene meines Vaters wurde schlagartig ernst. »Du weißt, was ich meine. Blutgeruch in diesem Haus ist nicht ungefährlich«, sprach er anmutig mit einem tadelnden Blick. »Tut mir Leid, ich weiß«, murmelte ich schüchtern und ging aus der offenen Tür. ‚Blutgeruch ist in diesem Haus nicht ungefährlich’? Der hat gut Reden. Der einzige, der mich anfallen würde, wäre wahrscheinlich Kiyoshi. Und das wäre eine Sache, die ich nicht abweisen würde. Ich wünschte, er würde noch in meinem Zimmer sitzen und auf mich warten, damit ich die Tür hinter mir schließen und zu ihm kommen könnte. Damit ich seinen kalten Körper auf meinem spüren und seine zarten Lippen berühren könnte. So oft, bis es Nacht wäre, damit ich die Kerze ausmachen, ihn in mein Bett nehmen und seinen Porzellankörper mit Vorsicht genießen könnte.   Widerliche Gedanken. Würde er jetzt an mir vorbeilaufen und mich dabei berühren, könnte ich nicht mehr an mich halten. Glaubte ich jedenfalls und hoffte, er würde nicht mehr in meinem Zimmer sein. Obwohl ich es hoffte, war die Enttäuschen groß, als er wirklich nicht mehr da war. Seine Zimmertür war geschlossen. Auf dem Gang war nichts zu hören. Selbst von unten kam kein Geräusch. Ein richtiges Geisterhaus. Ich schnappte mir meine nötigen Sachen und begab mich Richtung Bad. Meine Schuluniform war auch schön blut­durchtränkt. Wenn Mom das sehen würde, dächte sie wahr­scheinlich, ich hätte mich geprügelt. Vorsichtig klopfte ich an der Badtür. Als nichts kam, trat ich ein. Ich schaltete das Licht ein, legte meine Sachen auf die Marmorplatte neben dem Waschbecken und fing an mich auszuziehen. Bis jetzt kam Kiyoshi bei jedem meiner Bad­besuche dazu. Jetzt wäre eine gute Gelegenheit. Ich ließ die Boxershorts an und kramte eine Bürste hervor. Sorgsam kämmte ich mir die Haare. Danach hing ich mir schon mal mein Handtuch um die Schulter, ordnete meine Zahn­bürste im Zahnputzbecher, legte die Zahnpasta dazu, dann doch wieder daneben, machte das Wasser im Waschbecken an, wusch mir die Hände, machte es wieder aus, trocknete mir bestimmt zwei Minuten lang die Hände ab. Alles nur, um Zeit zu schinden. Doch er kam nicht. Ich zog mir die Boxershorts aus und schmiss sie auf den restlichen Kleidungshaufen. Etwas enttäuscht stieg ich in die Dusche. Das tolle Wassersystem langsam kapiert, machte ich das Wasser warm und wusch das Blut ab. Es tat etwas an der Wunde weh, war aber durch das Pflaster recht aushaltbar. Nach ein paar Minuten war ich fertig und begab mich aus dem Milchglasgestell. Mit nur einem Handtuch um die Taille griff ich wieder zur Bürste und kämmte mir die Haare. Ich ließ mir mächtig Zeit. Ich probierte verschiedene Scheitel aus und drehte und wendete die Haare, wie ich es für lustig hielt. Als mir der Spaß daran vergangen war, nahm ich mir vor, den Föhn zu suchen. Ich fing unter dem Waschbecken an, dort war er nicht. Dann ging ich zum weißen Schränkchen, ebenfalls ohne Erfolg. Ein weiteres Regal stand neben der Dusche, doch auch da war kein Föhn zu sehen. Seufzend drehte ich mich wieder zum Spiegel.   Ich war schon verrückt. Innerlich hatte ich gehofft, dass Kiyoshi reinkommen und mir den Föhn selbstsicher und arrogant hinlegen würde, mit dem Kommentar: »Suchst du den?«. Ich würde wieder einen auf locker machen und fies grinsen, einen gemeinen Spruch loslassen. Er würde die Augen verdrehen und wieder aus dem Bad gehen, während ich mich über seine Perfektion ärgern würde. So wie am Samstag. So, als ich noch ein Mensch war. Vorsichtig berührte ich den kalten Marmor. Mein Blick fiel nach vorne. Die Kreatur hatte sich seit dem letzten Blick in den Spiegel nicht verändert. Ausgelaugt und tot. Ich senkte etwas den Kopf ohne dabei mein Spiegelbild aus den Augen zu lassen. Ein Grinsen huschte mir über die Lippen. Dann musste ich kopfschüttelnd lachen. »Armer Irrer …«, murmelte ich vor mich hin und wiederholte damit Kiyoshis Worte von heute morgen. Ja, das war ich wohl.   Ich zog mir einfach eine Boxershorts an. Eine schwarze Jogginghose und ein schwarzes T-Shirt sollten für den Rest des Tages reichen. Seufzend verließ ich das Bad, mit einem Haufen von Schmutzwäsche. Kaum hatte ich die Tür geschlossen, kam Mamoru von der Treppe aus angerannt. »Herr Hiroshi, das nehme ich«, sagte er hektisch und schnappte sich meinen Haufen Wäsche. Noch etwas perplex über die plötzliche Abnahme, sah ich ihm hinterher, wie er zu Kiyoshis Zimmer kam und klopfte. »Ja?«, brummte es. »Herr Kiyoshi, ihre Wäsche bitte.« Die Tür öffnete sich einen Spalt und ein ganzer Korb, der bis zum Rand mit Wäsche voll war, wurde durch diesen gereicht. Mamoru hatte zwar seine Schwierigkeiten beide Dinge zu koordinieren, schaffte es im Endeffekt aber doch und rannte wieder an mir vorbei. Hastig eilte er die Treppe runter und war dann nicht mehr zu hören. Innerlich grinste ich zwar, wurde aber schnell wieder vom Gedanken eingeholt, dass er ebenfalls ein Vampir war. Ich hörte noch das Klacken von Kiyoshis Tür. Sofort drehte ich mich um. Doch er blieb in seinem Zimmer. Sollte ich zu ihm gehen? Ob er das überhaupt wollte?   Ich ging schnurstracks zu meinem Zimmer. Ich traute mich einfach nicht, in seins zu gehen. Es war das Zimmer, wo er mich gebissen hatte, wo ich mein Schicksal besiegelt hatte, wo die Gruselstimmung noch heftiger als im Rest des Hauses war. Vorsichtig schloss ich die Tür und setzte mich auf mein Bett. Es war schon kurz nach sieben. Ich hatte ja viel Zeit totge­schlagen. Geschafft ließ ich mich nach hinten fallen. Die weichen Kissen fingen meinen Körper sanft auf und luden zum Schlafen ein. Doch war ich nicht müde. Trotzdem schloss ich die Augen und genoss die weitere Stille. Mein Zimmer war noch immer dunkel. Als dann auch noch der Rest der Sonne hinter dem Wald verschwand, wurde es stockduster. Nach einiger Zeit öffnete ich meine Augen und tastete mich zu meinem Handy vor. Mit dessen Licht schlich ich zum Schreibtisch. Vorsichtig zog ich an einer Schublade und sah die Streichhölzer, die Kiyoshi benutzt hatte. Ich zündete die schwarze Kerze an, die noch an ihrem Platz stand. Mein Raum wurde schlagartig hell und als würde es Tag sein, konnte ich jede Einzelheit erkennen. Kopfschüttelnd packte ich mein Handy in eine Tasche der Jogginghose. Ich schob den edlen Stuhl etwas zur Seite, setzte mich drauf und starrte, während ein Bein auf dem anderen lag, die Kerze an. Sachte ließ ich mich etwas im Stuhl sinken. Verschwörerisch betrachtete ich das flackernde Licht. Das Mystische hatte es mir doch angetan. Ich bekam Lust auf feinfühlige Dinge, Verschnörkelungen jeglicher Art schwirrten mir im Kopf rum, während ich den Drang empfand meinen Kleidungsstil zu wechseln in ein noch düsteres Aussehen, ein Aussehen, das meiner jetzigen Lebenslage entsprach.   Dann lachte ich laut. Mit dem Kopf im Nacken, legte ich die linke Hand auf meine Stirn. »Hiro, du wirst irre … Kiyoshi, du machst mich verrückt«, flüsterte ich in die Stille und behielt immer noch ein Grinsen auf den Lippen. Ich sollte ihn vergessen. Das wäre das Beste. Immerhin war er mein Bruder, ich war mit ihm verwandt und eine Liebe zwischen uns wäre undenkbar. Liebe? Wieso dachte ich über eine Liebe nach? Ich kenne den Kerl seit vier Tagen und ‚liebe’ ihn schon? So schnell geht das? Ausgerechnet einen Typen? Hätte es nicht wenigstens eine Schwester sein können? Meine Hand wanderte über meine Augen, die wieder im Begriff waren sich mit Tränen zu füllen. Ich stellte also eine ‚Liebe’ nicht außer Frage, ich dachte noch nicht mal darüber nach, ob es sie überhaupt gab. Mein Herz war so schwer. Nicht nur wegen Kiyoshi. Auch weil ich in so einer schrecklichen Lage war. Ich wollte nur noch nach Hause.   Als ich eine Weile noch auf dem Stuhl saß und die Kerze betrachtete, beschloss ich ins Bett zu gehen. Vorher schlurfte ich aber noch ins Bad, um mir die Zähne zu putzen. Innerlich hoffte ich wieder auf die Erscheinung Kiyoshis auf dem Flur, doch natürlich traf ich ihn nicht. Er geisterte entweder in seinem oder in meinem Zimmer rum. Wahrscheinlich hat er letztens die Küche das erste Mal in seinem Leben gesehen. Schweigend und recht down mit der Stimmung, schlurfte ich den matt beleuchteten Gang entlang. Während ich lustlos meinen Weg ging, holte ich mein Handy raus, sah kurz auf die Uhr und packte es wieder weg. Es war schon zwanzig vor acht. Jedoch war es schon so still im Haus, dass es auch mitten in der Nacht hätte sein können. Die Familie, die früh ins Bett geht. Wenigstens leide ich so nicht mehr unter Schlafmangel, dachte ich sarkastisch und ärgerte mich über die vergeudete Zeit. Doch was sollte ich schon tun? Im Haus herumschleichen und dabei den Rest zu erkundigen fand ich nicht so prickelnd, da mir immer noch der Schreck durch die Gliedmaßen fuhr, wenn ich ein Geräusch hörte. Als ich an meiner Tür stand und sie grade geschlossen hatte, sah ich den goldenen Schlüssel. »Hier ist der Schlüssel für dein Zimmer. Sperr dich bitte nachts ein, das ist eine Bitte von mir.« Wofür? Mein Vater hatte seltsame Vorstellungen. Wenn jemand mein Zimmer betreten will, schafft er es auch, wenn sie abgeschlossen ist. Immerhin sehe ich das ja an Mamorus Kunst Schlösser zu knacken und an Kiyoshis Kraft sie zu zerstören. Also wenn, dann schafft man es auch so. Ich ließ den Schlüssel einfach im Schloss stecken und beließ es dabei. Vorsichtig mümmelte ich mich ins Bett und kuschelte mich in die weichen Kissen. Das Bett roch immer so gut und frisch, dass ich mich wohlmöglich noch daran gewöhnen würde. Hätte meine Mutter schlechte Karten.   Ich stand aber noch kurz auf, um die Kerze auszumachen. Sanft pustete ich die Flamme aus. Wenige Sekunden später, lag ich wieder im Bett. Es dauerte auch nicht lange, da döste ich schon. Kurz kam mir der Gedanke, dass meine Mutter sich nicht gemeldet hatte. Normalerweise rief sie ja reden Tag an, aber zu dem Zeitpunkt hatte ich dann auch keine Lust mehr wieder aufzustehen, das Licht anzumachen und mit ihr zu telefonieren. Das könnte auch bis morgen warten. Vielleicht war sie grade mit ihrem Weiberhaufen in irgendeinem Lokal und gackerte sich einen ab. Da vergaß sie mich schon mal gern.   Endgültig im Traumland angekommen, sah ich mich wieder am Grab. Mein eigenes Grab. Doch der Traum war nicht so erschreckend, wie er es beim ersten Mal war. Es war als würde alles so schnell gehen. Ich sah die Gräber, mein eigenes, sah Kiyoshi, wie er auf mich zukam, mit dem Gesicht eines Monsters, mich festhielt, ich seinen Atem auf meiner Haut spürte, seine etwas kratzige Stimme in meinen Ohren hörte, wie sie meinen Namen rief, wie sein Porzellankörper an meinem hing und ich seine Berührungen in vollsten Zügen genoss. Jedoch hatte ich die ganze Zeit das Gefühl wir würden beobachtet werden. Augen, nicht nah, aber schon in der Nähe, die uns beobachteten. Die wir nicht sehen konnten, aber sie uns. Ein mulmiges Gefühl, ich wollte es Kiyoshi sagen, sagen, wie mir zumute war, dass wir besser aufhören sollten, doch aus meinem Munde kam kein Geräusch. Nicht mal ein Ton. Er verstand mich nicht ganz, wieso ich auf einmal aufhörte, sah beleidigt aus, wie ein kleines Kind, doch als ich ihn zur Versöhnung auf die Lippen küssen wollte, spürte ich nur einen Schmerz in meiner Brust. Sie fing an zu Bluten. Kiyoshi sah geschockt aus, schien aber auch Schmerzen zu haben. Mein Blick fiel hinter ihn, auf Vater, wie er unsere Herzen in den Händen hielt, sie feste drückte und finster in die Welt sah. Seine Augen verformten sich zu Schlitzen, während seine Lippen eine gerade Linie bildeten. Sein Anblick ließ mich zittern, mir wurde kalt und warm zugleich. Ich dachte, es würde etwas von Verboten und Gesetzen reden. Doch ich hörte keine deutliche Stimme, sie erschien nur in meinem Kopf, der die Worte für mich wiederholte, damit ich sie verstehen konnte. Es war verboten, es war tabu, es war widerlich, was ich da tat. Kiyoshi und ich seien verdammt, seien Sünder. Ja, Sünder war ein gutes Wort.   Ein Quietschen ließ mich aufhorchen. Mit klopfendem Herzen starrte ich die Zimmerdecke an. Das Quietschen kam noch einmal und endete mit einem Klacken. Es kam vom Gang. Dann kamen die Schritte. Sie näherten sich meinem Zimmer. Es waren die Schritte, die ich am ersten Abend ebenfalls gehört hatte. So auch an dem Abend danach. Letzte Nacht war ich wohl zu sehr in meinem Traum oder es war wirklich mal ruhig. Dieses Gefühl, nicht allein zu sein, machte mich verrückt. Natürlich war ich es auch nicht. Ich redete mir ein, es wäre Mamoru oder Vater. Vielleicht sogar Kiyoshi. Obwohl der ja nie sein Zimmer verließ. Die Schritte wurden klarer, bis sie aufhörten. Doch es hörte sich nicht so an, als würden sie vor meiner Tür stehen bleiben. Vielleicht hatte wirklich jemand nur das Zimmer gewechselt. Doch dieses unberuhigte Gefühl wollte nicht verschwinden. Vorsichtig richtete ich mich von meinem Bett auf. Mit zusammen­gekniffenen Augen versuche ich zu erkennen, ob jemand vor meiner Tür stand. Doch der Spalt unter dem alten stück Holz wollte nichts preisgeben. Es knarrte. Sofort suchte ich nach etwas, womit ich mich verteidigen könnte. Doch Stifte bringen sicher nicht viel, eine Kerze ist auch nicht das wahre Selbstverteidigungsmittel und etwas anderes als den Stuhl ließ sich nicht ohne weiteres bewegen. Langsam und mit größter Vorsicht auch kein Geräusch zu machen, stand ich vom Bett auf und schlich zum Stuhl. Ich wartete einige Sekunden. Die Türklinke senkte sich. Langsam und etwas quietschend wurde die Tür geöffnet. Ein kleiner Spalt gab eine weiße und dünne Hand preis. Wieder öffnete sie sich etwas. Mein Herz klopfte schon fast schmerzhaft in meiner Brust. Vater wollte, dass ich abschloss, ich tat es nicht und jetzt würde etwas passieren? Aber wer kam denn in unser Haus? Einfach so? Mit zittrigen Händen ergriff ich den Stuhl und hob ihn vorsichtshalber schon mal ein Stück an. Meine Knie wurden mit der Zeit immer weicher; Sekunden verstrichen, während meine Augen nach Anzeichen eines Fremden suchten. Die Tür öffnete sich weiter, bis ein Fuß in mein Zimmer gesetzt wurde. Mit der Zeit wurde ein Körper sichtbar. Er war schmal und groß. Das fahle Mondlicht schien etwas durch die heruntergefahrenen Rollläden. Mein Atem stockte, als die Gestalt noch einen Schritt in mein Zimmer machte. Die Bewegungen waren langsam, aber geschmeidig, so durchdacht. Wie ein Vampir. Ich konnte auch nicht abstreiten, dass ich dieses Gefühl im Magen hatte, einem Vampir ausgeliefert zu sein. Ich war nicht nur in einem Nest voller Vampire, sondern auch noch im Speisesaal von denen. Wenn ich nur an den Schmerz an meinem Hals dachte, drehte sich mein Magen um und ich hätte schreiend weglaufen könne. Aber wohin? Wohl käme dann Vater oder Kiyoshi, um mir zu helfen. Doch ich wollte kein Baby sein, das unbedingt Hilfe brauchte. Auch wenn es vielleicht in meiner misslichen Lage verständlich gewesen wäre. Die Person trat nun ganz in mein Zimmer. Das Mondlicht gab mir ihr Gesicht preis. Ich atmete auf. »Kiyoshi, man. Was soll dieses Rumgeschleiche mitten in der Nacht?«, fragte ich sichtlich erleichtert und lies den Stuhl wieder auf dem Boden nieder. Anstatt mir eine Antwort zu geben, schloss er hinter sich die Tür. Sein Ausdruck war kaum zu erkennen, da das fade Licht nur einen Teil seines Gesichts anleuchtete. Doch irgendetwas stimmte da nicht. »Was ist denn los? Warum bist du hier? Kannst du nicht schlafen?«, wollte ich leicht zögerlich wissen, »Du solltest Nachts schlafen und nicht in der Schule, weißt du …« Ein Grinsen huschte mir über die Lippen. Doch von ihm kam immer noch nichts. Sofort versiegte mein Lächeln. »Kiyoshi? Alles klar bei dir?« Wieder keine Antwort. Statt­dessen noch einen Schritt auf mich zu. Und noch einen. Dem folgten noch weitere kleine Schritte. Bis ich sein Gesicht vollständig erkennen konnte.   Die blutroten Augen starrten mich hungrig an, während seine weißen Haare sein ebenfalls weißes Gesicht etwas verdeckten. Seine kleinen Äderchen stachen blaugrün heraus. Als er sich mit der Zunge über die Lippen fuhr und er dabei seine Fangzähne entblößte, wusste ich definitiv was er wollte. »Kiyoshi, was auch immer schon wieder mit dir los ist … Das ist nicht mehr lustig«, versuchte ich die Situation zu erklären und ging schon einen Schritt zurück. Der Stuhl fiel mir wieder ins Auge, doch wenn ich den jetzt ergreifen würde, wäre ich in weniger als einer Sekunde Futter. Seine Aura war die aus der Schule. Seine ‚Verwandlung’ oder was auch immer das war, beängstigte mich nicht minder als vor wenigen Stunden. Hatte er sich jetzt auch unter Kontrolle? Ich betete dafür. Er wendete seinen Blick kurz von mir ab, strich sich mit langen Fingernägeln durch die Haare und wendete den Blick wieder auf mich. Sein schwarzes Hemd lag ihm locker auf seinem Körper, wobei die Ärmel hochgekrempelt waren. Auf den Rest wollte und konnte ich nicht achten, da seine finstere Monstermiene mich viel mehr beschäftigte. »Kiyoshi?«, wiederholte ich mit zittriger Stimme seinen Namen. »Kiyoshi, bleib stehen …«   Er setzte zum Sprung an, leckte sich noch einmal die Zähne, ging in die Knie und sprang auf mich zu. Mit seinem festen Griff packte er meine Schultern und drückte mich auf meine Bettdecke. Ich wollte schreien. Ich wollte um Hilfe rufen. Doch alles ging so schnell. Da war dieses lähmende Gefühl. Dieses Gefühl wie beim ersten Mal, wo er auf mich losging. Vielleicht sah er schon damals so aus und ich hatte es nur nicht bemerkt. Er knurrte auf. Er öffnete seinen Mund, vereinnahmte meine Augen gänzlich. Trotz seiner rohen Kraft, drückte er meine Handgelenke sachte in die Weiche der Decke und hielt meinen Körper mit seinem eigenen Gewicht in Schach. Aber als ob er nichts wiegen würde, spürte ich nur einzelne Körperteile von ihm auf meinen. Sachte saß er auf meiner Hüfte, atmete leicht und starrte mich an.   Seine linke Hand fasste meine linke Wange und drückte sie nach rechts. Sofort spürte ich seine Zunge, wie sie meinen Hals leckte. Wie sie gierig nach meinem Blut dürstete. »Kiyoshi …«, flüsterte ich, sichtlich aufgeregt. Er hörte nicht auf. Immer wieder spürte ich seine Zunge, seine Lippen, wie sie meinen Hals bearbeiteten. Ich versuchte mich trotz der Lähmung zu wehren, bewegte meinen Kopf hin und her, versuchte meine Hände zu bewegen, ihn von mir zu drücken. Doch alle Versuche brachten nichts. Trotzdem er mir schon wieder wehtun wollte, hatte ich nicht so viel Angst wie beim ersten Mal. Ich wusste, oder hoffte mehr, er würde mich nicht umbringen. Es tat zwar weh und verheilte nicht so schnell wie bei ihm selbst, war aber nicht sonderlich schlimm. Ich verlor nur ein paar Liter an ihn. Das war alles. Und ein Vampir war ich schon. Oder vielmehr: Würde ich ja noch werden. Das einzige, was mich in dem Moment fürchtete, war er selbst, wie er war, wie er sich verhielt. Er war nicht wie Kiyoshi, nicht mein launischer, arroganter Bruder, der alles weiß. Es war das Monster aus der Hölle, das versuchte mich auszusaugen. Sekunden verstrichen, noch immer spürte ich seine Zunge. Hin und wieder küsste er mein Kinn oder beglückte mein Schlüsselbein mit seiner rauen Zunge. Ich konnte, um ehrlich zu sein, nicht verleugnen, es würde mir nicht gefallen. Es gefiel mir, es erregte mich auf eine Weise. Erst, als er kurz an meinem Ohr knabberte, hörte ich seine schnellen Atemzüge. Das brachte mich wohl um den Verstand. Jegliche Versuche, mich zu wehren, unterließ ich. Ich ließ ihn machen, was er wollte. Ob er mich nun beißen würde oder nicht, aber er sollte nicht damit aufhören. Seine Lippen arbeiteten sich von meinem Ohr zu meiner Wange, bis ich seine Lippen an meinem Mundwinkel spürte. Sie küssten mich sachte an genannter Stelle, immer wieder und immer wieder. Vorsichtig drehte ich meinen Kopf zu ihm. Seine Augen waren noch die gleichen. Diese roten Augen, die mich so beängstigten. Doch das war mir egal. Wieder küsste er mich auf den linken Mundwinkel, bis ich ihn mit meiner Nase etwas an der Wange berührte. Ich küsste ihn ebenfalls sanft auf seinen Mundwinkel. Unsere Nasen berührten sich kurz … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)