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My Dear Brother

The Vampires
von

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Für immer Untot

Ich fasste meinen ganzen Mut zusammen

 

»Bist du denn einer? Bist du … ein Blutsauger?«

 

Seine Hand, die vorher in meinem Nacken lag, wanderte plötzlich in meine Haare und packte feste zu. Dann zog er meinen Kopf nach hinten, sodass man meine entblößte Kehle sah.

»Würde dir ein Biss … als Antwort genügen?«, flüsterte er und starrte mich mit seinen glühenden Augen an. Seine Hautfarbe wurde weiß und die Augenringe wurden noch viel dunkler. Selbst seine Lippen färbten sich weiß, so sah seine Innenlippe noch viel röter aus. Als ich keine Antwort gab, sondern ihn nur starr vor Schreck ansah, öffnete er seinen Mund und ich sah seine Fangzähne. Riesige, weiße Fangzähne. Spitz und gefährlich, wie bei einem Raubtier, das kurz vor dem Erhaschen seiner Beute die Zähne zum Angriff zeigte.

 

Mein Herz klopfte unglaublich und der Angstschweiß stieg mir erneut auf die Stirn. Meine Hände zitterten und um­klammerten seine Schultern. Sein Griff in meinen Haaren schmerzte und selbst der Griff an meiner Schulter fing an weh zu tun.

 

Es gab kein entrinnen.

Vater war nicht da.

Niemand würde kommen.

Er will seine Beute.

Ich bin seine Beute.

In meinem ganzen Leben hätte ich nie gedacht, mich mal in so einer Situation wieder zu finden. Es ist schrecklich.

 

»Halt einfach still … Dann tut es nicht so weh.«

Obwohl sein Flüstern schon fast wieder beruhigend klang, starb ich innerlich vor Angst.

Würde ich meine Mutter nie wieder sehen?

Nie wieder mit meinen Freunden zusammen feiern gehen?

Nie wieder mit Jiro morgens im Bus Morgenmuffel sein?

Ich würde nie wieder nach Hause kommen, ich würde hier bleiben?

Meiner Mutter nicht mehr sagen können, dass ich sie lieb habe?

Ich habe Angst. Ich habe so schreckliche Angst.

 

Während ich das dachte, sah ich Kiyoshi immer näher kommen. Er leckte sich kurz über seine zarten Lippen. Und am Schluss bemerkte ich nur noch seine Haare in meinem Gesicht. Ich spürte seine Zunge an meinem Hals lecken. Es war die rechte Seite. Mein Herz klopfte so doll, dass er meinen Puls allein durch seine Zunge spüren musste.

Ich schloss meine Augen und lauschte seinem gierigen Atem. Wartend auf den tödlichen Schmerz, atmete ich noch einmal genussvoll aus.

 

 

Dann biss er zu.

Es tat weh.

Ich spürte, wie meine Haut seinen Fangzähnen nachgab.

Ich hörte wie er mein Blut trank.

Wie er schluckte. Wie er jeden Schluck genoss.

Wie er genussvoll seine Zähne in mein Fleisch bohrte. Be­merkte, wie er seinen Griff lockerte und mich in seinen Armen wie ein zerbrechliches Stück Porzellan behandelte.

Es fühlte sich so nah an.

Trotzdem ließ mich die Angst nicht los, dass es jeden Mo­ment vorbei sein könnte. Wieso habe ich das nicht gemerkt? Wieso habe ich das nicht eher gemerkt?

 

Die Kerze im Hintergrund leuchtete in meinen tränen­überfüllten Augen. Sie funkelte in die Dunkelheit hinein.

 

Dann verlor ich das Bewusstsein.

 

 

»Hiroshi … Hiroshi …«, hörte ich Kiyoshis Stimme. Sie klang schmerzerfüllt.

»Hiro … Er kommt gleich … Wach auf«, sagte er. Wer kommt gleich? Ich spürte eine Hand auf meiner Wange, wie sie ein paar Mal auf ihr klatschte. Sie war kalt und … leblos.

Dann öffnete ich meine Augen. Ich erblickte Kiyoshi und sah ihm in seine blau-violetten Augen. Seine Haare lagen ihm wie immer zerzaust ihm Gesicht. Ich musste grinsen.

»Bin ich … schon tot?«, fragte ich murmelnd und versuchte Kiyoshi zu berühren. Als ich ihn an der Wange mit meinem Zeigefinger ertastete, sagte er:

»Quark. Du bist quicklebendig. Und jetzt steh bitte auf, Vater kommt sicher gleich.«

Mit einem Schwung setzte ich mich auf. Ich saß in Kiyoshis Bett und er saß auf der Kante. Es war voller Blut. Mein Blut. Die Kerze war schon fast abgebrannt und es wurde schon  wieder dämmrig jenseits des Fensters. Kiyoshis Blick sah sehr menschlich aus, so … viel sagend.

Verwirrt sah ich meine Hände an. Sie sahen wie vorher aus. Ich fühlte mich nur schwach. Wie vorhin im Auto. Dann kam die Erinnerung zurück.

»Du hast mein Blut getrunken …«, murmelte ich und sah meinen Bruder entsetzt an.

»Es tut mir Leid, Hiro. Ich wollte es dir eigentlich nicht gleich so beibringen.« Er sah beschämt aus. »Ich hatte nur so lange kein Menschenblut mehr gehabt …«

Ich zuckte etwas zusammen.

»Du hast es auch schon … in der Bahn getrunken, stimmt’s?«

»Ja … Aber nicht so viel. Es ist nur, dass Menschen einen halben Liter Blutverlust nicht mal so eben wegstecken.«

»Verstehe …«

»Ja …«

Wir schwiegen und schauten den jeweils anderen nicht an. Er schämte sich für seine Aktion und ich schwieg, weil mir das etwas unangenehm war.

»Du bist also … wirklich ein Vampir?«, fragte ich vorsichtig.

»Ja.«

»So … richtig Vampir?«

»Was ist denn ein falscher Vampir?«

»Du trinkst also Blut und … das ist deine einzige Nahrung?«

»Ja, andere Lebensmittel vertrage ich nicht.«

»Übernatürliche Kräfte und so was?«

»Ich kann nicht zaubern, aber mehr als Menschen kann ich schon.«

»Und Fledermausartige Verwandlungen?«

»Nein, die sind nicht drin.«

»Schade.«

»Wäre ziemlich cool, oder?«

»Schon, irgendwie.«

Wieder schwiegen wir. Es waren nur kurze Dialoge, die wir führten, aber sie waren von so großer Bedeutung. Ich konnte es immer noch nicht fassen. Es war alles … so irreal. Trotz allem waren so viele Fragen in meinem Kopf, ich dachte, er würde jeden Moment zerplatzen.

»Und seit wann bist du ein Vampir?«

»Seit meiner Geburt.«

»Was? Im Ernst? Ich bin mit einem Vampir auf die Welt gekommen?«

»Ja, bist du. Deswegen gibt es auch keine Babybilder von mir. Mein Vater hat mich als Vampir sofort erkannt und mitge­nommen. Mutter wollte kein Monster als Kind haben.«

»Das heißt Vater ist auch …?«

»Ja, er auch.«

Ich überlegte kurz. Das war zwar grauenhaft, schien mir aber nicht ganz klar zu sein.

»Moment, Moment! Und warum hat Mom ihn dann als Mann gehabt?«

»Sie wusste es wahrscheinlich nicht. So wie die anderen Frauen auch, die er hatte.«

Ich nickte kurz. Mein Vater ist ein Vampir und mein Bruder auch. Beide trinken nur Blut. Wie schrecklich.

»Dann hast du noch nie Schokolade gegessen?«

»Nein.«

»Du Armer.«

»Nicht schlimm. Man kann nichts vermissen, was man nicht kennt.«

»Bist du nicht manchmal neugierig, wie es schmecken könnte?«

»Manchmal, aber eher selten.«

Wieder nickte ich. Mir streiften so viele Fragen im Kopf. Doch er war neblig. Mir ging es gar nicht gut. Vorsichtig fasste ich mir an meinen Hals und ertastete die Wunde. Doch es war ein Verband drum.

»Du solltest da lieber nicht drauf rum drücken. Ich weiß nicht, wie dick der Verband ist und wie gut er hält.«

»Ach so. Ist schon in Ordnung. Danke.«

»Danke? Ich hab dir das doch angetan.«

»Du hättest mich auch einfach ausbluten lassen können.«

»Dann hätte ich ärger von Vater bekommen.«

Ich zog eine Augenbraue hoch.

»Nur deswegen?«

»Nein.«

»Sondern?«

»Wäre eine Verschwendung des Blutes wegen gewesen.«

»Ich hör wohl nicht recht!«, rief ich empört. Leider musste ich das sofort mit einem stechenden Schmerz in meinem Hals bezahlen.

Er lächelte sanft. Ich wusste, er hat es wegen mir gemacht und nicht, weil die Reinigungsrechnung so hoch gewesen wäre.

»Ist die Wunde … denn tief?«, fragte ich vorsichtig und hoffte auf schnelle Genesung. Er zuckte die Schultern.

»Was ist bei dir denn ‚tief’?«, stellte er eine Gegenfrage. Er öffnete seinen Mund und zeigte mir noch einmal seine Zähne. Mich durchfuhr ein Schreck und ich zuckte etwas zusammen.

»Recht … groß …«, murmelte ich und fasste mir automatisch an meinen Hals.

»Keine Angst. Jetzt … reicht das erst mal.«

»’Erst mal’?«

»Ich kann dir keinen genauen Termin sagen …«

»Willst du dann wieder … mein Blut?«

» … « Er schwieg und sah mich mit seinen großen Augen an. Anscheinend wollte er es schon.

»Wenn es dringend ist … Meld dich«, murmelte ich und sah verlegen zur Seite.

»Ich versuche mich anderweitig zu ernähren. Versprochen.«

»Okay.«

Es standen noch so viele Fragen offen. So viele Fragen, die mich beschäftigten. Aber dieses Ereignis musste ich erst einmal Verdauen.

»Hätte nie gedacht, dass es … Vampire gibt. Ich dachte immer, das wäre eine einfache Erfindung von Hollywood. Oder ein Aberglaube aus dem Mittelalter, weil Graf Dracula eine blutige Angewohnheit hatte.«

»Sagen wir mal so … Wir versuchen unentdeckt zu bleiben, da sonst die Medienwelt zu aufmerksam auf uns werden würde. Natürlich wissen es ein paar eingeweihte Menschen auf dieser Erde. Wir sind ja nicht die Einzigen. Aber bitte, behalte das für dich. Und dass du das jetzt weißt, sollte selbst vor Vater erst einmal ein Geheimnis bleiben.«

»Weil du sonst Ärger bekommst?«

»Ja, so in etwa.«

»Alles klar.«

Er nickte. Ich dann auch und schon schwiegen wir wieder. Es waren Schweigeminuten, die drückend auf uns wirkten.

»Wie lange war ich eigentlich vorhin Ohnmächtig?«, fragte ich, um die Stille zu brechen.

»Zwei ein halb Stunden.«

»Wirklich nur so kurz?«

»Könnten auch drei gewesen sein, keine Ahnung.«

Ich versuchte zu grinsen. Als er das bemerkte, grinste auch er. Eine Weile sahen wir uns einfach gegenseitig in die Augen und lächelten den jeweils anderen an.

»Du bist jetzt so … menschlich.« Das musste ich einfach loswerden.

»Ich weiß. Mein Körper produziert halt kein eigenes Blut mehr, das muss ich manuell aufnehmen. Und wenn ich auch noch mein eigenes Blut sozusagen aufnehmen kann, bin ich in bester Form.«

»Das … freut mich für dich.«

»Nein, das muss es nicht. Du musst leiden, während ich mich stärke. Das ist nicht richtig. Aber in Momenten des Durstes und des Verlangens denke ich über Richtig und Falsch nicht nach.«

»Verständlich.«

»… Wenn du das sagst.«

Er sah so bedrückt aus. Es tat ihm wirklich Leid. Ich wollte ihn trösten, wenigstens ein bisschen. Und was tut man, wenn man jemanden trösten will? Man nimmt ihn in den Arm.

Ich umarmte ihn vorsichtig am Hals und drückte ihn an mich. Er war kalt und leblos. Wie ein toter Körper. Er legte seine Hände auf meinen Rücken. Es fühlte sich wieder so seltsam an, dass ich Gänsehaut bekam. Ich umarmte eine nichtmenschliche Gestalt.

»Hast du keine Angst vor mir?«, fragte Kiyoshi etwas erstaunt.

»Tz … Ich sterbe gerade vor Angst.« Dabei lachte ich etwas. Auch wenn es ein zögerliches Lachen von mir war, lachte auch er. Doch wir wussten beide, dass ich zwar über meinen Schatten springen konnte, das aber nicht leicht war.

»Du bist mein Bruder. Auch wenn ich das erst seit gerade mal achtundvierzig Stunden weiß.«

»Ja, stimmt.«

»Warum bin ich dann eigentlich ein Mensch und du ein Vampir?«

»Bei dir haben die menschlichen Gene halt überwogen. Bei mir demnach die vampirischen.«

Klang logisch. Dann durchfuhr mich der Schreck, der in Hollywoodfilmen klassisch war.

»Werde ich nach deinem Biss eigentlich auch ein … Vampir?«

»Nein, nein.« Er musste leicht lachen. Das lockerte ungemein die Situation auf. »Nur, wenn ich dich schon fast töte und du dann mein Blut trinkst. Dann könnte es klappen.«

»Könnte

»Manchmal geht es auch schief.«

Ich schluckte leise. Er bekam das mit.

»Aber du wirst ein Mensch bleiben, keine Angst. Und ich werde darauf achten, dass du bis zu deinem Tode auch einer bleibst.«

Bis zu meinem Tod. Ob der bald kommt?

»Lebt ihr Vampire nicht für immer?«

»Ja. Für immer.« Das ist … lange.

»Und ab wann alterst du nicht mehr?«

»Keine Ahnung. Schätze so mit dreißig oder so was.«

»Ach so.«

Wir verharrten immer noch in unserer Umarmung. Er war so kalt, aber langsam nahm er meine Körpertemperatur an. Jedenfalls hatte ich so das Gefühl.

Die ganze Situation war so anders. Er war kein Mensch. Er war eine Kreatur der Nacht. Jedenfalls entnahm ich das Mal der Informationen, die er mir gegeben hatte.

 

Mein Blick fiel nach einer Weile auf das noch immer gefüllte Glas. Er hatte wohl nach meinem Blut keinen Durst mehr gehabt …

»Ist das dann eigentlich … Blut?«, fragte ich vorsichtig. Er löste sich von mir und sah hinter sich auf den Schreibtisch.

»Ja, das ist künstliches Blut. Es schmeckt nicht sonderlich gut, aber es dämpft unseren Durst für eine gewisse Zeit.«

»Das hatte Dad auf dem Tisch in einem großen Krug stehen und ich dachte es wäre Wein gewesen.«

Kiyoshi musste kurz lachen.

»Wein? Wein sieht doch ganz anders aus.«

»Für dich vielleicht, aber für mich sehen die zwei Flüssig­keiten genau gleich aus.«

»Nein, nein. Wein ist viel flüssiger.«

»Jetzt nicht kleinlich werden. Ich bekomme Blut nicht so oft in so großen Mengen angeboten wie du.«

Er seufzte. Dann blickte er wieder zu Boden. » Es tut mir Leid.«

»Ist okay. Ich lebe ja noch«, meinte ich und ließ meine Hände an seinen Armen sinken.

»Noch.«

Ich stockte.

»Willst du mich das nächste Mal aussaugen?«

»… Ich weiß nicht, zu was ich fähig bin.«

»Oh …«, bekam ich nur raus, lächelte aber immer noch.

Er bemerkte das.

»Du läufst ja gar nicht weg«, sagte er trocken.

»Wie denn? Ich bin viel zu schwach, um jetzt zu laufen.«

»Du würdest aber gerne?«

»Jetzt auch nicht mehr. Aber vorhin wäre ich gerne.«

»Verständlich.«

Ich nickte und stand dann auf. Ich merkte Kiyoshis Blick auf meinem Rücken. Torkelnd ging ich zum Schreibtisch und griff nach dem Glas. Ich war wie benebelt, wusste nicht richtig, was ich da gerade tat.

»Du sagst es schmeckt nicht? Ich schmecke bestimmt keinen Unterschied …« Meine Augen fixierten dieses Glas.

»Nein! Hiro, lass das!«, rief Kiyoshi und richtete sich auf.

»Warum? Es ist doch nur Blut.«

»Aber wenn du das Blut trinkst …-«

 

Da trank ich es schon. Es schmeckte widerlich. Es war so lecker …

Dieser Geschmack weckte irgendetwas in mir. Meine Erin­nerungen an früher. Wo ich ein kleines Kind war und immer mein Wundblut geleckt hatte. Meine Mutter hat mich danach geschlagen, weil sie es mir verboten hatte. Der Geschmack, der wie echtes Blut sein sollte, war wirklich nicht mit echtem Blut zu vergleichen. Trotzdem war es wie ein Getränk der Hölle.

 

Ich spürte nur einen Schlag. Das Glas fiel mir aus der Hand und zersplitterte mit einem lauten Knall auf dem Boden. Der gesamte Inhalt ergoss sich über den Teppich. Innerhalb Sekunden sah ich Kiyoshis Augen, die mich entsetzt anstarrten, seine blutige Hand, die das Glas aus meinen Händen geschlagen hatte, und meine blutigen Hände.

 

»Was ist hier los?«, schrie eine Stimme. Kiyoshi und ich drehten uns zur Tür. Dort standen Mamoru und Vater. Beide sahen entsetzt aus. Als Dad dann auch noch meinen Blutver­schmierten Mund sah und Kiyoshis blutige Hand, mein Verband am Hals und das blutverschmierte Bett, platzte es wohl in ihm.

»Was um alles in der Welt ist hier passiert, als ich mit Mamoru weg war?«, zischte er in einem lauten Ton. Dabei sah er Kiyoshi ganz bestimmt an. Der zuckte etwas zusammen und schien nach einer angemessenen Antwort zu suchen.

 

Plötzlich verschwamm alles. Mein Hals wurde so trocken. Ich musste Husten. Keuchend krümmte ich mich und hielt mir vor Schmerzen den Hals. Ich spürte Kiyoshis haltende Hände an meinen Schultern. Dann sah ich wie Vater auf mich zukam und be­sorgt schaute.

»Kiyoshi, was hat er gemacht?«

»Er hat das künstliche Blut getrunken …«

»Wie … bitte?«

»Ich … hab …«

Ich verstand nur noch Bruchstücke des Gesprächs. Der Schmerz in meinem Hals hörte nicht auf. Er rutschte langsam in mein Herz. Es fühlte sich an, als ob sich alles in mir zusammen­zog. Plötzlich sah ich Kiyoshi in seiner Schreibtisch­schublade kramen, während Dad mich hielt. Er holte eine schwarze Dose raus und öffnete sie. Viele kleine rote Tabletten waren drin enthalten. Er nahm eine und legte sie an meine Lippen.

» … Schluck sie …«, verstand ich noch.

»Was … ist das?«, brachte ich krächzend raus. Kiyoshi schüt­telte den Kopf und wiederholte seinen Satz. Alle sahen etwas verzweifelt aus. In der Tat war das auch ich. Was geschah mit mir?

»… Schluck!«

Ohne weiter nachzudenken, öffnete ich meinen Mund und schluckte die kleine rote Tablette. Mein Hals war so trocken, dass ich sie kaum runter bekam. Doch dann, in nur wenigen Sekunden, besserte sich mein Hals und ich atmete nur noch schwer. Erst jetzt merkte ich, dass ich bereits am Boden kniete und Kiyoshis Arme fest umklammerte. Der sah geschockt aus und starrte mich mit runden Augen an.

 

Es war sonst nicht meine Art, aber …

Das war einfach zu viel für mich und meinen Körper.

Ich weinte. Die Tränen kullerten mir über die Wange und meine Hände fingen an zu zittern. Langsam ließ ich Kiyoshi los und legte meine Hände auf mein Gesicht. Dann schluchzte ich laut. Was geschah hier eigentlich? Was geschah jetzt mit mir? Vampire? Alle Vampire? Und ich … jetzt auch? Ich trank Blut. Es schmeckte lecker. Oder wie Kiyoshi sagte »Es war köstlich«. Und diese Tablette. Sie schmeckte ebenfalls nach Blut. Wieso ich? Wieso musste ich hier hin? Ich lebte glücklich bis jetzt. Bis jetzt. Jetzt endete mein Leben …?

Kiyoshi sagte nichts, sondern nahm mich nur in den Arm. Es war mir nicht unangenehm, aber ein seltsames Gefühl, wie immer. In diesem Moment war ich das erste Mal froh, einen Bruder zu haben. Obwohl, wenn er nicht gewesen wäre, wäre ich gar nicht erst in dieser Situation. Aber früher oder später, hätte ich es durch meinen Vater erfahren.

Ich nahm meine Hände von meinem Gesicht und legte sie auf Kiyoshis Rücken. Glücklich, dass er da war, drückte ich ihn an mich und vergrub meinen Kopf in seine Schulter. Es war einfach zu viel für mich. Zwei Mal habe ich Blut verloren, beziehungsweise ausgesaugt bekommen, dann kam das Geständnis von Kiyoshi über unsere Familie und dann werde ich irre und trinke Blut, wobei mein Körper einen Kollaps macht. War es nicht verständlich, dass ich dann weinte?

 

Ich weiß nicht wie lange ich in Kiyoshis Armen hing und wie lange unser Vater dabei stand und meinen Kopf streichelte, aber das Weinen tat gut. Es änderte weder die Situation noch ließ es alle Beteiligten wieder zu Menschen werden, aber es fühlte sich für einen Moment lang gut an. Denn ich fühlte nichts. Fast hätte ich sogar vergessen, warum ich eigentlich weinte. Aber als Kiyoshi sich von mir löste und mir meine Tränen wegwischte, starrte ich wieder in seine Augen und sah sozusagen mein Ebenbild. So sehe ich auch aus. Und ich hatte Angst, das wirklich wortwörtlich zu nehmen. Wortwörtlich in dem Sinne, dass ich auch zu einem Vampir werde. Oder, dass ich schon einer bin …?



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Tomanto
2015-06-29T22:30:04+00:00 30.06.2015 00:30
Also haben sich seine vampirischen Gene gerade ein wenig geweckt? Aber die Idee, dass er so als kleiner Junge immer seine Wunden abgeleckt hat, finde ich einfach nur genial! Ich liebe deinen Einfallsreichtum und deine Geschichte! Alles passt so perfekt zusammen! Ich danke dir dafür! <3
UND WEITERLESEN! *Q*
Ich kriege schon gar nicht mehr genug hiervon! xD
Von: abgemeldet
2015-06-24T16:45:28+00:00 24.06.2015 18:45
Oooh, jetzt bin ich auf das nächste Kapitel gespannt. ^^
Was war wohl die Tablette?

*Weiter lesen gehen*

Lg^^
Von: abgemeldet
2015-06-12T17:33:13+00:00 12.06.2015 19:33
hohoho CLIFFHANGER :D


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