My Dear Brother von ellenchain (The Vampires) ================================================================================ Kapitel 7: Blutiger Moment --------------------------          »Ah …« Ich sah nur seine Zunge und wie sie begierig mein Blut leckte. Dann wurde es dunkel. Wir fuhren durch einen Tunnel. Ich sah fast nichts. Nur Kiyoshis Augen, wie sie mich anfunkelten und versuchten meine Angst zu bändigen. Mein Herz klopfte wie verrückt und meine Hände zitterten. Ich lehnte etwas an der Stange und hielt mich fest. Mein Bruder stand mir direkt gegenüber und würde ich es nicht besser sagen können, roch ich mein Blut. Es roch … eklig und zugleich doch verlockend lecker.     Es wurde hell. Und Kiyoshi sah aus dem Fenster. Er saß. Und ich auch. Es war fast leer in der Bahn, nur vereinzelte Leute saßen vor uns. Ich sah Kiyoshi verwirrt an. Der bemerkte mich gar nicht. Dann blickte ich zur anderen Seite. Dort saß mein Vater. Erst starrte er nur nach vorne, dann bemerkte er meinen Blick und lächelte mich an. Mein Ausdruck verdeutlichte wohl, dass ich die Situation nicht ganz zuordnen konnte. »Ist alles in Ordnung, Hiro?«, fragte er freundlich und sah etwas besorgt aus. »Äh … Wo sind wir?«, stellte ich eine Gegenfrage. »Auf dem Weg nach Hause, in der Bahn. Wir müssen gleich aussteigen. Ist wirklich alles in Ordnung?« »Oh ach so. Ja. Natürlich.« War das alles nur Einbildung? Habe ich geschlafen? Bin ich vielleicht eingenickt? Ich sah auf mein Handgelenk. Die Wunde sah frisch aus, aber auf ihr war schon wieder eine leichte Kruste. Sofort schaute ich zu Kiyoshi. Er sah immer noch nicht gut aus, aber besser als ich ihn in Erinnerung hatte. Langsam fasste ich mir an den Kopf und schüttelte ihn leicht. Dann seufzte ich und schloss die Augen.   Kurze Zeit später stiegen wir wieder aus. Es war mittlerweile schon am Dämmern. War es denn schon so spät? Ich hatte mein ganzes Zeitgefühl verloren. Wir waren im Norden. Da geht die Sonne doch immer etwas früher unter, oder wie war das? Wir stiegen an der Haltestelle aus, wo wir auch eingestiegen waren, nur auf der anderen Seite versteht sich. Schweigend gingen wir drei auf die andere Straßenseite zum Tor. Dort wartete Mamoru schon mit einem der noblen Wagen. Erst jetzt fiel mir auf, dass Kiyoshi seine Kapuze nicht anhatte. Vater rannte trotzdem noch mit dem Sonnenschirm rum, aber mein Bruder zeigte sich mal der Öffentlichkeit. Seine Augen funkelten im roten Licht der Sonne und seine Haare warfen leichte Schatten auf sein Gesicht. Langsam stiegen wir ins Auto. Vater saß vorne, Kiyoshi hinter Mamoru, der am Steuer saß, und ich hinter Vater. Erst da bemerkte ich, wie benebelt es mir ging. Mein Kreislauf machte fast schlapp, so fühlte es sich jedenfalls an. Meine Augen wollten immer zuklappen und meine Arme und Beine lagen schlaff auf dem Sitz. Mein Blick folgte den vorbeistreifenden Bäumen. Sie waren so schnell. Oder wir waren so schnell. Ich fühlte mich wie high. Wie auf Drogen. So seltsam. Die Autofahrt dauerte nicht lange und schon stand ich wieder in der großen Empfangshalle. Ich hatte meine Schuhe aus­gezogen und stellte sie neben den anderen Schuhen. »Hast du Hunger, Hiro?«, fragte mich mein Vater freundlich. Wie in Trance antwortete ich ihm. »Nein, danke. Heute nicht mehr.« Dann ging ich die Marmorne Treppe rauf. Langsam schlurfte ich in mein Zimmer. Als ich in diesem Gang war, erinnerte ich mich an das gestrige Nachterlebnis. Mein Schritt wurde schneller und ich verschwand so schnell wie möglich in meinem Zimmer. Es war dunkel, da es draußen durch die Bäume auch nicht sehr hell war. Ich schaltete das Licht ein und setzte mich langsam auf mein Bett. Danach schloss ich meine Augen und atmete tief ein und aus. Das war ein Tag.   Ich legte mich quer über die Decke und starrte die Wand an. Kiyoshi hatte mich heute angeknurrt und seltsame Augen bekommen. Dann hatte er merkwürdige Stimmungs­schwan­kungen. Danach traf Vater einen Mann, den Kiyoshi hundert­prozentig kannte und verletzte mich, warum auch immer, an meinem Handgelenk, was er kurzerhand in der Bahn ableckte. Er leckte mein Blut. Er genoss es. Sein Gesicht kam mir in mein Gedächtnis zurück. Diese Mimik, wie er mit seiner gierigen Zunge immer wieder mein Blut leckte. Danach wurde es dunkel, so verblassten auch meine Erinnerungen. Ich hatte einen wirklichen Filmriss. Aber um uns herum waren doch so viele Leute, hat das denn keiner gesehen? Und was war mit mir passiert? Keiner der beiden erwähnte etwas. Und jetzt fühlte ich mich so ausgelaugt. Ich legte erst eine Hand auf mein Gesicht, dann die andere auch und hob meine Ellebogen in die Luft. Ich seufzte laut und lauschte der Stille. Ich wollte mich duschen gehen, doch ich traute mich nicht. Mein Kopf war noch so unklar. Und Kiyoshi benahm sich heute sowieso so seltsam. Wo war ich denn hier gelandet? Im Irrenhaus? Das soll wirklich mein Bruder sein? Ein … ich weiß überhaupt nicht, als was ich ihn bezeichnen könnte.   Ich beschloss meine Mom kurz anzurufen. Ich brauchte jetzt jemanden, mit dem ich kurz reden konnte. Langsam griff ich in meine Hosentasche und zückte mein Handy. Dann setzte ich mich auf, während ich ihre Nummer wählte. »Hiro?«, meldete sie sich wieder sehr besorgt. »Hey Mom.« Es war nicht alles klar, das konnte ich dieses Mal nicht sagen. »Wie geht es dir?« »Geht so.« »Was ist passiert? Was ist los? Soll ich kommen?« Am liebsten ja, aber ich will nicht blöd dastehen. »Nichts ist passiert. Wir waren heute in der Stadt und das war etwas … chaotisch.« Sie schwieg. »In der Stadt?«, fragte sie leicht ungläubig noch einmal nach. »Ja, in der Stadt. Man muss nur in die Straßenbahn steigen und etwas fahren, dann ist man in der Innenstadt. »Ich weiß. Aber dein Vater und du?« »Und Kiyoshi.« »Im Ernst?«, piepste sie in ihrer hohen Stimme ins Telefon und fiel wohl grade fast vom Glauben ab. »Ja …? Was ist daran so komisch?« »Er … Er ist doch krank …« Sie klang nun etwas beruhigter, aber immer noch außer sich. »Ach so. Er trug die ganze Zeit eine Jacke und eine lange Jeans. Das ging schon.« Wieder schwieg sie. »Du weißt … warum?«   Ich weiß warum? Es klang mehr nach einer Frage, die sich bestätigen wollte, dass ich schon etwas wüsste, was ich vorher nicht wusste. »Was soll ich wissen?«, hakte ich nach. »Warum er … Nicht einfach so aus dem Haus gehen kann.« Ich schwieg. »Na, wegen seiner Krankheit doch, oder?« Meine Mutter seufzte. »Ja, wegen seiner Krankheit«, sagte sie dann. Sie schien erleichtert. »Was hat er eigentlich?« Interessiert mich doch mal. »Eine Blutkrankheit.« »Leukämie?« »Nicht so schlimm, aber so in der Art.« »Ist das tödlich?« Sie schwieg. Dann musste sie leicht kichern. »Nein, nein. Er wird leben.« Irgendetwas stimmte nicht mit meiner Mom. »Mom. Wenn du mir etwas verschweigst in Dingen Kiyoshi, solltest du es mir sagen.« »Natürlich, Schatz.« Sie log. »Mom, bitte.« »Ich hab doch ja gesagt.« Das Gespräch verlief ins Sinnlose. »Okay, ich vertraue dir.« Ein bisschen ins schlechte Gewissen reden nützte immer etwas. »Das hoffe ich doch.« Vielleicht log sie ja doch nicht? Heute war eh ein komischer Tag, ich konnte es ja nicht oft genug denken. »Aber sonst ist alles klar bei dir?«, fragte meine Mom noch einmal. »Ja … Ich denke schon.« Mein Blick fiel auf die Wunde an meinem linken Arm. Nichts war in Ordnung. »Mom?« »Ja?« »Mag Kiyoshi … Blut?«   Die Frage klang so dumm, ich hätte sie am liebsten wieder zurückgenommen. Meine Mutter schwieg. Ich hörte ihren Atem durch das Telefon, sie schien aufgeregt zu sein. »Gib mir deinen Vater.« »Nein, beantworte mir meine Frage!« »Du gibst mir jetzt sofort deinen Vater.« Ihr Ton klang streng, aber sie hatte keine Chance gegen meinen sturen Willen. »Mom, sag’s mir!« »Sofort, Hiroshi!«, schrie sie ins Telefon und klang, als wäre sie kurz vorm Wutausbruch. Ich schwieg und versuchte nicht zurück zu schreien. »Warum?« »Gib ihn mir jetzt.« Ich seufzte und stand auf. »Moment«, murmelte ich ins Telefon und öffnete die Tür. Wutendbrand achtete ich nicht auf den Weg, sondern stürmte einfach raus. Dann sah ich in die Augen von Kiyoshi. Der hielt mir seine offene Hand hin. »Gib sie mir«, befahl er schon fast. Hat er etwa gelauscht? »Nein, sie will mit Dad sprechen.« »Er ist nicht da. Er ist mit Mamoru weggegangen. Ich kann auch mit ihr sprechen.« Leicht zögerlich ging ich wieder ans Telefon. »Mom?« »Ich hab’s gehört. Dann gib ihn mir.« Ärgerlich, dass meine Mutter auch noch Kiyoshis Auf­forde­rung Folge leistete, gab ich ihm mein Handy. Der ging dran und meldete sich mit »Was ist los?«. Ich hörte zwar nicht viel von dem was meine Mutter sagte, aber sie schien wie ein Wasserfall zu reden. Und laut, da ich überhaupt irgendein Gemurmel hörte. Kiyoshis Blick wurde düster. Erst starrte er einen Fleck am Boden an, dann traf mich sein Blick. Er sah sehr böse aus. Aber wie aus dem Nichts weichte seine Miene und er löste unseren Augenkontakt mit einem sanften Augen­schlag nach unten. »Ja …«, sagte er sanft und schien nun traurig zu sein. Er wiederholte sein »Ja« noch ein paar Mal, dann gab er mir mein Handy wieder. Ich hielt das Sprechloch zu. »Was ist los?«, flüsterte ich zu Kiyoshi. Der schüttelte nur seinen Kopf. »Nichts Schlimmes. Erkläre ich dir ein anderes Mal, okay?«, flüsterte er sanft zurück. Dann senkte er seinen Blick zu Boden und ging den Gang entlang. Ich drehte mich leicht seufzend zur Seite und legte das Telefon wieder ans Ohr. Da drehte ich mich noch einmal um, da ich keine Schritte mehr vernahm und er war wirklich nicht mehr zu sehen. Mein Herz klopfte wie wild. »Hiro? Bist du wieder dran?«, hörte ich meine Mutter durch mein Handy sprechen. Er hätte mindestens noch zwei oder drei Sekunden bis zu seinem Zimmer gebraucht und ich hätte eine Tür gehört, denn alle waren verschlossen. Ich hatte das Gefühl, dass mein Herz mir wieder in die Knie rutschte. »Ja, ich bin wieder dran …«, murmelte ich. Dann ging ich zurück in mein Zimmer.   Das Gespräch mit meiner Mom endete dann recht schnell. Sie fragte, mich was ich morgen noch machen würde und als ich mit »Keine Ahnung« antwortete, verabschiedete sie sich auch schon. Langsam nahm ich das Handy von meinem Ohr, nachdem sie aufgelegt hatte. Schweigend starrte ich auf den Boden. Draußen wurde es immer dunkler und der Himmel schwärzte sich. Mir fielen die Worte von Kiyoshi wieder ein. Vater war also nicht da. Wo er wohl sein mag? Ich warf einen kurzen Blick auf meine Handyuhr. Es war grade mal sieben Uhr. In einer Stunde würden wieder alle ins Bett gehen. Erst überlegte ich, ob ich mich bei Jiro melden sollte, dann verwarf ich den Gedanken und verschob es auf morgen. Stattdessen schrieb ich ihm eine SMS.   »Hey Jiro! Wollte nur bescheid sagen, dass ich nicht anrufen kann, weil wir noch essen gehen. Wäre ja was unhöflich ;) Ich melde mich morgen bei dir. Hiro«   Dann schickte ich sie ab. Es war zwar gelogen, aber ich sah diese Lüge in der Situation als eine Notlüge an. Mein Blick fiel zu meiner Tür. Sie war verschlossen, trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass jemand hinter ihr stand. Nach der heutigen Geschichte zweifelte ich zwar wieder an meinem Verstand, aber als dann der Boden knackte, wurde ich hellwach. Vorsichtig legte ich mein Handy aufs Bett und erhob mich. Ich ergriff einen Stift vom Schreibtisch und näherte mich der Tür. Mit einem Mal drückte ich die Klinke runter und schmiss sie auf. Der Gang war hell erleuchtet und niemand war, wie immer eigentlich, zu sehen. Meine Hände zitterten und meine Knie erweichten. Ich schluckte feste und versuchte meine böse Miene zu erhalten. Grimmig schlurfte ich den Gang entlang und zerquetschte den Bleistift in meiner rechten Hand. Langsam ging ich an den verschiedenen Türen vorbei. Mich interessierte ja schon, was sich hinter ihnen verbarg, aber in diesem Moment wollte ich das nicht unbedingt wissen. Als ich an Kiyoshis Tür vorbeikam, stoppte ich kurz. Ich konnte die Augen nicht von ihr lassen. Der Gedanke allein an heute verursachte kalte Gänsehaut auf meinem Rücken. Plötzlich sah ich nur, wie Kiyoshi an der Treppe stand und grade für mich am Gang sichtbar wurde. Ich habe ihn gar nicht die Treppe hochgehen gehört … Er hielt ein Glas in der Hand. Das, was in dem Glas war, war rot bis dunkelrot. Es sah aus, wie das was in dem Krug war, der auf dem Tisch stand. Also … Wein? Er trank Wein? Er schien mich nicht zu bemerken, denn er ging schnurstracks zu der einzigen Tür auf der rechten Seite.   »Kiyoshi …«   Erst als ich merkte, dass ich seinen Namen gesagt hatte, erschrak ich vor mir selber. Und als er auch noch in seiner Bewegung verharrte und sich langsam umdrehte, zitterte ich noch stärker. »Hiroshi? Was machst du hier auf dem Gang?«, fragte er mit seiner anmutigen Stimme und schien das Glas in seiner Hand vor mir zu verstecken. »Ich … äh … hatte ein Geräusch gehört. Ich wollte schauen, was das war.« War ja noch nicht mal gelogen. Er zog eine Augenbraue hoch und musterte mich von Kopf bis Fuß. »Erstens: Das ist ein altes Gebäude, auch wenn es renoviert wurde. Das macht hin und wieder mal Geräusche. Und zweitens: Willst du ein Geräusch mit einem Bleistift be­kämpfen?«, spottete er und ließ seine Augenbraue wieder in den Normalzustand fallen. Meine Gesichtsfarbe färbte sich etwas rosa. »Das Haus hier ist halt nicht so mein Fall.« »Gefällt es dir nicht? Trotzdem ist das kein Grund-« »Nein, ich meine, dass es gruselig ist.« Dann schwieg er mit einem offenen Mund, da ich ihn mitten im Satz unterbrochen hatte. »’Gruselig’? Hiroshi, es ist ein Haus. Ein Haus.« »Ich weiß. Aber die Insassen … machen mir auch Angst.« Ich hatte wohl in dem Moment einen wunden Punkt erwischt, denn sein Blick fiel zur Seite. Ich sah ihn erwartungsvoll an, dann seufzte er kaum hörbar. »Was willst du wissen?«, fragte er nun etwas angesäuert. Ich entspannte mich. Jetzt hatte ich ihn wohl da, wo ich ihn unbewusst haben wollte.   »Was war heute eigentlich los? Ich meine, erst hast du mich ‚angeknurrt’ und deine Augen strahlten mehr Hass aus, als man es in Worte fassen könnte. Dann siehst du einen Mann und ritzt mich vor Wut. Zudem kommt noch, dass dich mein Blut faszinierte und unser Vater uns voneinander trennen musste. Und das wichtigste überhaupt: Was war das bitte in der Bahn?« Er schwieg und sah mich mit seinem ausdruckslosen Blick an. »Das sind eine menge Fragen.« »Wäre schön, wenn du sie beantworten könntest«, meinte ich daraufhin etwas belustigend. Er schüttelte seufzend den Kopf und kam auf mich zu. Alles spannte sich an und meine Knie fingen wieder an zu zittern. »Keine Angst, ich tu dir schon nichts«, versicherte er mir und ging stur vorbei zu seiner Tür. Er machte sie auf und ging rein. Als ich nicht folgte, machte er mir mit einer Handbewegung klar, dass ich mit reinkommen sollte. Vorsichtig betrat ich sein Zimmer, zum ersten Mal. Das erste, was mir auffiel, war, dass es gut roch. Ein herber Duft, aber doch angenehm. Sein Bett war allerdings nicht gemacht und auf seinem Schreibtisch lagen ungeordnete Blätter wie wild rum. Kleidung lag auf dem Boden und über dem Stuhl. Der Kleiderschrank stand offen und in dem sah es auch nicht sehr geordnet aus. Ein kleines Grinsen huschte mir über meine Lippen, als ich dieses Chaos sah. Er war also wirklich ein ganz normaler, unordentlicher Mensch. Wie ich. Mit einer Handbewegung schlug er die Schranktür zu und zündete seine schwarze Kerze wieder an. Dafür schaltete er das Deckenlicht aus. Schon war die Stimmung wieder düster. »Wenn du mir Angst machen willst, brauchst du jetzt nur noch so zu gucken wie heute in dem Laden, den du nicht mochtest«, murmelte ich.   Mit einem Mal drehte er sich um und formte seine Augen zu Schlitzen. Sein Blick stach wieder hervor und meine Gänsehaut verteilte sich auf meinen gesamten Körper. »Hör auf, Kiyoshi.« Die Bitte klang schon fast flehend. Er stellte sein Glas ab und wendete den Blick gen Boden. Er zeigte aufs Bett und setzte sich selber etwas lässig auf den Stuhl vom Schreibtisch. Langsam ging ich zu seinem Bett. Dabei ließ ich ihn nicht aus den Augen. Dann setzte ich mich und faltete brav meine Hände um den Stift. »Du willst also wissen, was heute los war?«, fragte Kiyoshi und beugte sich zu mir vor. »Ja.« Seine Augen trafen meine und ließen nicht mehr los. Er wechselte seinen Blick zwischen meinen Augen und fesselte mich. Ich versuchte standhaft zu bleiben, doch mir ging es immer noch nicht blendend. »Dir geht es nicht gut, stimmt’s?«, hakte Kiyoshi nach und verformte seinen Mund zu einer strengen Linie. »Warum? Warum geht es mir nicht gut? Du kannst es mir sagen, du weißt warum, das sehe ich dir an!«, schoss ich los und zerquetschte den Stift schon wieder vor Aufregung in meinen Händen. »Stimmt, ich weiß warum. Aber ich kann es dir nicht sagen. Das ist die Aufgabe unseres Vaters.« »Wie bitte? Es ist also doch etwas passiert?« »Tz … « Er sah etwas verärgert zur Seite und schien nicht ganz anwesend zu sein. Er schien zu überlegen, ob er es mir  doch sagen sollte. Die Sache beschäftigte also nicht nur mich, sondern auch ihn. Ohne den Blick vom Boden abzuwenden, sagte er zu mir: »Du hast es doch gesehen … Wie ich dein Blut geleckt habe …« Meine Augen weiteten sich. Mein Atem wurde schneller. Seine Augen trafen meine. Sein Blick durchbohrte meine Gedanken.   »Du hast … wirklich mein Blut geleckt? Es war keine Ein­bildung?« »Einbildung? Hast du mich nicht schlucken gehört? Wie ich dein Blut getrunken habe?«, murmelte er. Seine Augen fingen an zu funkeln und hatten einen beängstigten Stich. Angstschweiß klebte mir auf der Stirn und erst als ich seinen Atem spürte, bemerkte ich, wie nah er mir inzwischen ge­kommen war. »Du hast es getrunken …?« »Ja, es war köstlich …« » … köstlich?« Er nickte kurz und fasste mit seiner kalten Hand nach meinem Nacken. Mich durchfuhr ein kalter Schreck. Doch es war wie in der Bahn. Wie gelähmt. Ich konnte mich nicht bewegen. Ich hörte nur meinen Herzschlag. Ich vernahm nur seinen Atem. Und seine kalte, abgestorbene, blasse Hand in meinem Nacken. »Was hat … meine Mutter zu dir gesagt?«, flüsterte ich. Er musste kurz grinsen, doch dann verschwand das Grinsen so schnell wie es gekommen war. »Das wüsstest du wohl gerne, hm?« »Ja …« Er stand von seinem Stuhl auf und legte seine linke Hand auf meine Schulter während seine rechte in meinem Nacken blieb. »Sie sagte, ich solle dich in Ruhe lassen. Ich solle vor allen Dingen dein Blut in dir belassen. Die meinte nämlich, dass es so nicht abgemacht war. Du solltest in Frieden kommen und auch in Frieden wieder zu ihr gehen. Würde ich dich auch nur einmal …« Dann stockte er. Sein Mund war noch ein wenig offen. Ich wollte nachhaken, doch ich konnte nicht. Sein Blick fesselte mich zu sehr, als dass ich etwas von meinem Körper eigenhändig bewegen oder steuern konnte.   » … einmal beißen, dann käme sie persönlich hierher und stäche mir einen Pfahl in mein totes Herz …«   Er bemerkte meinen geschockten Blick. Meine Augen weiteten sich auf das doppelte und mein Herz klopfte so stark, als würde es mir gleich aus der Brust schießen. So etwas würde meine Mutter nie tun. Nie. Niemals. »Jetzt fragst du dich sicher, was hier vor sich geht. Was dein blöder Bruder da überhaupt labert. Aber das alles … ist gemein von ihr, nicht wahr? Wie könnte sie ihr eigenes Kind er­stechen?« Ich nickte innerlich und versuchte meinen Mund zu bewegen, doch kein Laut kam aus ihm heraus. »Ich sag’s dir: Für sie bin ich ein Monster. Eine Missgeburt. Denn ich bin wie Vater. Und das verkraftete sie nicht. Du bist normal. Sei froh, du wirst von ihr geliebt. Ich wurde es nie.« Dann fiel sein Blick zu Boden. Seine Hände blieben an meinem Körper, doch ich fand mich wieder. »Was redest du da …?«, murmelte ich und ließ den Bleistift zu Boden fallen. »Was redest du für einen Schwachsinn? … Einen Pfahl in dein totes Herz? … Wenn du mich beißen würdest? Was bist du denn für ein ‚Monster’? Es klingt, als wärst du ein … Vampir …«   Das Wort klang seltsam. Das Wort wollte anfangs nicht aus meinem Mund. Das Wort huschte mir schon die ganze Zeit in meinem Kopf herum, doch ich wollte es nicht wahrhaben. Es würde alles erklären. Alles, bis aufs kleinste Detail. Alles würde einen Sinn ergeben. Aber Vampire existieren nicht. Und selbst wenn, wieso sollte ausgerechnet meine Familie davon betroffen sein?   Seine Augen leuchteten hell und fesselten mich wieder. Die dunkle Atmosphäre im Hintergrund machte das ganze noch viel schlimmer. Sein Griff verfestigte sich.   »Was, wenn ja? Was, wenn ich einer bin? Ein … Blutsauger? Was würdest du tun?« »Ich würde …« Ja, was würde ich tun? »Ich würde … versuchen zu verstehen, warum … du einer bist und warum du das Blut brauchst.«   »Nein, das würdest du nicht!«, zischte er mir zu. Seine Augen sahen wütend aus. »Du würdest weglaufen und dich verstecken. Du würdest schreien und nach Hilfe rufen. Du würdest alles Verzweifelte tun, aber nicht versuchen mich zu verstehen!« Ich musste schlucken. Ja, vielleicht würde ich das eher tun, aber im Moment konnte ich es nicht. Er hatte ja gar keine Ahnung wie lähmend er auf mich wirkte. »Mag sein …«, murmelte ich. »Kann sein, dass ich weglaufen oder um Hilfe rufen würde. Aber …« Ich nahm all meinen Mut zusammen.   »Bist du denn … einer?« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)