My Dear Brother von ellenchain (The Vampires) ================================================================================ Kapitel 3: Privatdetektiv ------------------------- Der Flug dauerte doch nicht so lange wie erst erwartet. Zu meiner größten Enttäuschung. Nach der Landung ging die Sturmschlacht auf das Gepäck los. Jeder im Flieger sprang auf, um an seine Sachen zu kommen, die in diesen Ablagefächern über den Sitzen waren. Die Passagiere, die ihr Gepäck schon hatten, versuchten so schnell wie möglich dieses Flugzeug zu verlassen, aber da es ja noch die anderen Leute gab, die noch ihre Sachen rausholen mussten und es wiederum Leute gab, so wie ich, die sich keinen Stress daraus machten, ging das nicht ohne weiteres. Ein ziemliches Gewusel in solch kleinen Gängen. Deswe-gen hasse ich fliegen, es macht nur Stress. Kaum war das Flugzeug leer, sprangen sie wie die Raub-tiere auf ihr restliches Gepäck auf dem Gepäckband. Keine einzige freie Stelle war mehr an dem Band zu finden. Alle sammelten sich davor, als ob jeden Moment ihr Koffer wie aus dem Nichts zum Vorschein hätte kommen können. Dabei waren die Leute vom Flughafen noch dabei, die dämlichen Teile auf das Band zu laden. Und das dauerte immer etwas länger. Der Flughafen insgesamt war eigent-lich ganz nett. Ich würde fast sagen, etwas schöner als unserer im Süden. Aber nur fast. Endlich erspähte ich meinen Koffer und kämpfte mich siegessicher durch die Menge, um ihn zu erhaschen. Kaum hatte ich ihn ergriffen, wollte ich ihn hochheben, doch der Koffer war zu schwer. Ich wollte ihn nicht loslassen, doch das Band bewegte sich natürlich weiter, die Leute machten kaum Platz, sodass ich mit meinem Koffer an der Hand dem Band entlang gehen musste. Dabei stieß ich alle möglichen Leute an, die mich verständnislos ansahen. Mein Koffer wollte einfach nicht vom Band, bis ich ihn wieder losließ und schnell vor¬rannte. Da sah ich ihn wieder und kaum war er in meiner Nähe, er¬griff ich ihn nicht nur am Griff sondern auch an den Rollen. Dummer Gedanke, denn Rollen bewegen sich genauso gut wie dieses Band, weswegen der Koffer aus meiner Hand flutschte und mit voller Wucht wieder auf das Band fiel. Ich ächzte mir was zusammen und wollte meinen Koffer nicht noch einmal loslassen. Ich lief ihm also wieder hinterher, bis das Band in einem Schacht endete. Eine Weile versuchte ich meinen Koffer zu retten, bevor er im schwarzen Loch verschwin-den würde, doch es war nichts zu machen. Der Koffer war einfach zu schwer! Und anstatt, dass mir mal jemand half, starrten sie mich alle nur dumm an und tratschten wohlmöglich noch über mich. Verärgert ging ich zum Anfang des Kofferbands und quetschte mich durch die Menge von Leuten. Es dauerte nicht lange, da kam er wieder an. Diesmal ergriff ich ihn am Griff und am anderen Ende. Mit einem Kampfschrei der härtesten Kriegsart stemmte ich den Koffer wie ein Schwergewichtssportler vom Band und warf ihn zu Boden. Geschafft ließ ich mich auf ihm sinken und beobachtete die Leute mit ihren neugierigen Blicken. Peinlich war mir das nicht, aber hätte meine Mutter da nicht so viel reingestopft, hätte ich diesen Akt hier nicht gehabt. Nach wenigen Minuten des Kampfes, erhob ich mich und schleifte den Koffer neben mir her. Jetzt würde die Stunde der Wahrheit kommen. Bevor ich jedoch raus ging, stellte ich mich vor eine Säule, die mit Glas überzogen war. Ich konnte mich darin spiegeln und musste feststellen, dass ich ziemlich mitgenommen aussah. Meine Uniform war schief und die Krawatte schon fast gar nicht mehr am Hemd. Das einzige, was noch da war, wo es sein sollte, war meine Hose. Und das war auch gut so. Bewusst zupfte ich an der Krawatte und an meinem Hemd und fummelte noch kurz in meinen Haaren rum. Als ich mich für »Okay« einstufte, begab ich mich mit heftigem Herzklopfen in den Empfangsraum. Dort sah ich eine Menge Menschen, entweder mit Schildern oder Rosen in der Hand. Doch nirgends sah ich einen Mann, der meinem Vater auf dem Foto ähnlich sah. Verunsichert, ob ich auch am richtigen Flughafen war, rollte ich meinen Koffer erst einmal hinter die Glasscheibe. Oder vor sie. Wie man es nun halt sah. Ich sah mich in der Gegend um und versuchte jemanden zu erkennen, aber die Leute sahen alle nicht aus, wie mein Vater vielleicht aussehen könnte. Meine Mutter meinte, er würde mich erkennen. Na, dann soll er mich mal erkennen. »Hiroshi?«, erklang eine Männerstimme hinter mir. Ich drehte mich um und erblickte das bekannte Männergesicht vom Foto. Meine Augen weiteten sich etwas. »Vater?«, murmelte ich und spürte wie glücklich ich war ihn zu sehen. Sei es, dass es der Instinkt eines Kindes ist, seinen Vater nach so langer Zeit endlich wiederzusehen, oder sei es, dass ich so verzweifelt war, hier allein zu sein. »Hiroshi, ich freue mich, dich zu sehen. Du bist wirklich ein richtiger junger Mann geworden.« Mein Vater lächelte mich mit einem Herzhaften Lächeln an und strahlte eine unglaubliche Wärme aus. Ganz anders als meine verrückte Mutter. Jedoch traute ich mich nicht, ihn zu umarmen. Er war im Anzug und roch richtig gut. So schick gemacht, kam er bestimmt von der Arbeit oder so etwas. Dabei war es schon acht Uhr. Trotzdem war es schön, meinen Vater das erste Mal in meinem Leben zu sehen. Er sah immer noch so aus wie auf dem Foto. Kurze braune Haare, mit etwas Gel zurück gekämmt, einen ordentlichen, grauen Anzug an mit einer schwarzen Krawatte um ein Perlweißes Hemd. Die Schuhe schienen ebenfalls nicht billig gewesen zu sein, sie sahen sehr edel aus; aus reinstem Leder. Da fühlte ich mich gleich zwei Klassenschichten weiter unten. »Komm, Hiroshi, fahren wir nach Hause. Gib mir doch deinen Koffer«, sagte er freundlich und hielt mir seine offene Hand hin, erwartungsvoll, dass ich ihm den Koffer gebe. »Er ist aber sehr schwer …«, murmelte ich und weigerte mich innerlich ihm den Koffer zu geben. »Gerade deswegen solltest du ihn mir geben. Du bist noch jung, da holt man sich schnell Rückenprobleme.« Verblüfft über die Erklärungsweise von ihm, übergab ich ihm meinen Koffer. Meine Mutter sah das immer anders: »Du nimmst den Koffer, du bist noch jung und beweglich. Deine Mutter ist alt und hat Rückenprobleme«. Erstaunlich. Wir gingen ein Stück durch den Flughafen, dann kamen wir am Parkhaus an. Er bezahlte schnell das Ticket. Er fragte mich Dinge wie »Was isst du gerne?«, »Schaust du gerne Fernsehen?« oder »Was ist deine Lieblingsfarbe?«. Alles so banale Dinge, die eigentlich kein Schwein interes-sieren würden. Ihn schon. Er war die ganze Zeit freundlich und sanft im Ton. Vielleicht kam es mir auch nur so vor, weil ich den schroffen Ton meiner Mutter gewohnt war. Ich beantwortete ihm jede Frage, die er mir stellte. Als wir am Auto ankamen, kam uns ein anderer Herr entgegen, der schon aus der etwas älteren Generation war. Er trug eine schwarze Stoffhose und ein weißes Hemd. Darüber eine schwarze Kellner-Weste. Er sah aus wie ein Butler. Und ehe ich mich versah, nahm er meinem Vater den Koffer ab. »Geben Sie mir das, Herr Kabashi«, sagte er höflich und trug den Koffer zum Auto. Auto? Sagte ich Auto? Das war ein Schiff. Ein Mercedes Benz S-Klasse. Ein riesiges Schlachtschiff in schwarzem Lack. Ich stand regungslos vor diesem Auto und betrachtete die getönten Fensterscheiben. Der Butler holte mich mit dem Zuknallen des Kofferraums aus meinem Koma. Er kam auf mich zu und reichte mir die Hand. »Guten Tag, junger Herr Hiroshi. Ich bin Mamoru Yutaka, der Butler. Nennen sie mich bitte Mamoru.« Dabei machte er eine kleine Verbeugung. Ich gab ihm meine Hand und wir schüttelten sie kurz. Dann löste er sich von mir uns setzte sich ans Steuer. Mein Vater kam von hinten und legte mir eine Hand auf den Rücken. »Komm, steig ein.« Wieder lächelte er mir zu. Ich ver-suchte auch zu lächeln, doch ich konnte mir eine Frage nicht ver¬kneifen: »Du hast einen Butler?« Erst schien mein Vater das nicht ganz zu verstehen, doch dann grinste er. »Er erleichtert einem das Leben und er macht das für mich schon seit achtzehn Jahren.« Seit dem ich lebe. Seit dem du die fliege gemacht hast. Seit dem schien es ja nur bergauf gelaufen zu sein. Ich nickte kurz und stieg dann in das noble Auto ein. Die Sitze waren aus hellem Leder, die Armatur sowie das Lenkrad waren aus lackiertem Holz. Ich traute mich gar nicht, mich richtig hinzusetzen. Angespannt und total versteift saß ich im Auto. Mein Vater bemerkte das und drehte sich zu mir um. »Du kannst dich ruhig richtig hinsetzen. Das ist ein Auto und keine zerbrechliche Vase«, lachte er und deutete mir, dass ich entspannter sein kann. »Aber das Auto war bestimmt teurer als eine Vase …«, murmelte ich und versuchte mich normal hinzusetzen. Mein Vater lachte und winkte ab. Ich seufzte leicht und versuchte mein Herz während der Autofahrt zu beruhigen. Mein Vater sah nicht nur gut aus, er war stinkreich. Jetzt war ich doch mal auf sein Haus gespannt. Eine Wohnung wird er ja wohl kaum haben. Jedenfalls dann keine kleine. Die Autofahrt dauerte schon ein wenig. Wir durchfuhren hauptsächlich Städte. Meine Hoffnungen, dass er in der Stadt wohnte, machten sich aber schleunigst zu Nichte, als wir die Stadt verließen und aufs Land fuhren. Von weitem sah ich einen Wald. Der Butler steuerte den auch noch an. Wir durchfuhren ihn, aber noch auf einer befestigten Straße. Es war so anders, als bei mir. Um zu mir zukommen, musste man von der U-Bahn Haltestelle aus nur eine Straße überqueren und aufpassen, dass man nicht von der Straßenbahn angefahren wird. Und hier? Eine halbe Weltwanderung. Wir machten Halt vor einem riesigen Tor. Es war aus Metall und mit Eisenstangen versehen. Es war bestimmt mehr als drei Meter hoch. Eine Goldfarbene Verzierung schmückte die Spitzen der Eisenstangen. So wie das Tor aussah, so sah in etwa auch der Zaun aus, der links und rechts im Wald verschwand. Mein Blick schien skeptisch zu wirken, als wir die riesige Einfahrt hineinfuhren, denn mein Vater lächelte mich erneut an. »Keine Angst, das ist kein Hexenschloss oder derartiges.« Ich nickte kurz und sah dann weiter aus dem Fenster. Es wurde langsam dämmrig, das tunkte die ganze Atmosphäre um mich herum noch mal in ein anderes Licht. Wenn ich dieses Jahr Halloween feiern möchte, dann hier. Es dauerte eine Weile, bis wir in eine Tiefgarage fuhren. »Gehört das alles dir, Vater?«, fragte ich ihn und lehnte mich zu ihm nach vorne. »Ja. Gefällt es dir?« Allein von der Tatsache her, dass meinem Vater so ein riesiges Grundstück gehörte, gefiel mir das schon. »Ja, doch. Es hat was.« »Dann warte ab, bis zu das Haus siehst«, lachte er und drehte sich wieder nach vorne. Ich war schon aufgeregt. Wie ein kleines Kind, das gleich das erste Mal in seinem Leben in den Zoo fahren wurde. Der Butler, also Mamoru, parkte das Auto in der Tiefga-rage, in der noch weitere Nobelautos standen und packte meinen Koffer aus dem Kofferraum. Ich betrachtete die restlichen Autos, während mein Vater mir mit seinen Blicken folgte. Ich spürte das und drehte mich kurz zu ihm um. »Alles deins?«, fragte ich und zeigte auf die Autos. Er nickte und grinste mich an. Mein Blick schien so etwas wie »Ich-bin-begeistert« auszustrahlen, denn mein Vater wirkte beruhigt. Noch einmal ging ich mit den Augen die Autos entlang, kurz darauf hielt mir mein Vater eine Tür auf. Wir gingen zu einem kleinen Aufzug und stiegen ein. Nach einer Etage, stiegen wir schon wieder aus und standen im Empfangsraum. Ja, richtig, Es war mehr ein Empfangs-raum, als ein Flur. Es war der helle, marmorne Raum, mit den Pflanzen und den Statuen im Hintergrund, in dem mein Vater auf dem Bild stand. Es war also nicht seine Arbeit, sondern sein Haus. Nein, seine Villa. Plötzlich hörte ich meinen Vater kichern. Ich drehte mich zu ihm um. Erst als er versuchte, sich das Lachen zu unterdrücken, merkte ich warum er lachte: Meine Mund-winkel verformten sich zu einem Oval und mein Kinn klappte nach unten, während meine Augen sich um das doppelte vergrößerten. Ich kam wirklich aus dem Staunen nicht mehr raus. Mein Vater ist reich, stinkreich, hat eine Villa mit einem riesigen Grundstück und tausende von Nobelwagen stehen in seiner eigenen Tiefgarage. Er hat einen Butler Namens Mamoru und lebt wohlmöglich noch alleine in diesem Nobelschuppen. »Komm, ich zeig dir dein Zimmer und ein wenig das Haus«, sagte mein Vater und gab mir mit einer Handbewe-gung zu deuten, dass ich ihm folgen solle. »Villa«, verbesserte ich ihn, noch sichtlich beeindruckt von dem Ding. Er lächelte mich sanft an und ging voraus. Mamoru schleppte meinen schweren Koffer die Treppe hoch. Es war die edle Treppe, die etwas gebogen und mit einem vergoldeten Geländer verziert war. Als ich sah, wie Mamoru sich einen abrackerte, ergriff ich das Wort und ging zu ihm: »Soll ich das nicht lieber tragen?«, fragte ich höflich und reichte ihm meine Hand zur Hilfe. »Aber Herr Hiroshi, das ist doch nicht ihr Aufgabe«, meinte er und richtete seine kleine Brille. »Aber es ist mein Koffer!« Es war ja nett, dass er das für mich machen wollte, aber er war ja nicht mein Sklave. »Lassen Sie nur, Mamoru. Wenn Hiroshi seinen Koffer selber tragen will, dann lassen Sie ihn«, warf mein Vater ein und klopfte Mamoru auf die Schulter. Der seufzte nur und übergab mir dann meinen Koffer. Während ich schon meinen Koffer hoch hievte, drehte ich mich noch einmal kurz um, um zu sehen, ob mein Vater auch mitkam. Da sah ich wie er Mamoru etwas ins Ohr flüsterte. Der nickte kurz und schon widmete sich mein Vater wieder ganz mir zu. Er lächelte freundlich und ignorierte meinen verwirrten Blick. Mamoru ging wieder runter und verschwand in einem anderen Raum. Als ich mich versuchte etwas zu recken, um zu sehen, was das für ein Raum war, legte mein Vater eine Hand auf meinen Rücken und zwang mich quasi weiter zu gehen. Widerwillig tat ich das auch, obwohl meine nervige Neugier im Moment gestillt werden wollte. Seufzend hievte ich meinen Koffer hoch. Mein Vater fragte zwar immer Mal wieder, ob er mir helfen soll, aber stur wie ich war, sagte ich jedes Mal »Nein, geht schon«. Als wir endlich oben ankamen, rollte ich meinen Koffer meinem Vater hinterher. Hier war eine Galerie, verziert mit einem weiß-goldenen Geländer. Der Fußboden war hier jedoch aus weichem, schwarzem Teppichboden. Der Kontrast war sehr stark, aber es hatte was. Das erste Mal dachte ich wieder an meine Mutter. Ihr würde das hier sicher sehr gut gefallen. Alles sehr »Designer«-Mäßig eingerichtet. Wir gingen nach links in einen langen Gang. Ich schaute kurz nach rechts und erblickte nur eine einzige Tür. Schon seltsam, dieses Gebäude. Es wirkte zwar groß und übersichtlich, aber als wir den langen Gang mit den vielen Türen entlang gingen, erinnerte es mich eher an ein Labyrinth, aus dem man nur schwer wieder herauskam. Die letzte Tür gehörte wohl mir. Mein Vater zog einen goldenen, verschnörkelten Schlüssel aus seiner Hosenta-sche und schloss den Raum auf. Er hielt mir die Tür auf und ich sah nur dunkel. Langsam trat ich ein. »Du, wo ist denn der Lichtschalter?«, fragte ich vorsichtig. War eigentlich nicht meine Art, aber man sollte sich ja nicht gleich am ersten Tag vergraulen. Plötzlich ging das Licht an. »Hier.« Er lächelte mich an und hielt noch seine Hand an den Lichtschalter. Er war direkt neben der Tür. Ich wurde leicht rosa im Gesicht und lächelte zögerlich. Der Raum war recht groß. Ein großes Fenster würde wahr¬scheinlich am Tag viel Licht einlassen. Ein großes Bett stand in der linken Ecke mit einem kleinen Nachttisch-schränkchen und einer Lampe darauf. Die Tagesdecke für das Bett war schwarz mit jeweils einer roten Rose an den vier Ecken. Ein Schreib¬tisch stand an der rechten Ecke, wobei man dann mit der Seite zum Fenster saß. Auf ihm standen schwarze Rosen und ein paar Stifte in einem Stiftbehälter. Der Schreibtischstuhl war ein verschnörkelter alter Holzstuhl mit schwarzem Polster. Wobei das Polster mit zarten Rosen verziert war. Neben dem Schreib¬tisch, fast schon an der anderen Ecke, stand der Schrank, ein wuchtiger, großer Holzschrank, ebenfalls mit Rosen im Holz geschmückt. Hinter der Tür und halb neben ihr stand eine kleine Holztruhe. Wahrscheinlich für Kleinsachen. Links direkt neben der Tür war ein kleines Waschbecken mit einem Spiegel. Das Zimmer erinnerte mich schon fast an ein Wohnheim. Vielleicht war es das mal? So viele Räume in einem Gang sind jedenfalls doch selten in einer riesigen Villa. Die Räume schienen nämlich alle nicht sehr groß gewesen zu sein. »Und? Gefällt dir dein Zimmer?«, fragte mein Vater vorsichtig, als er merkte, dass ich nichts sagte. »Ja. Es gefällt mir. Es ist wirklich schön.« War noch nicht mal gelogen. Ich war so schüchtern in der Gegenwart meines Vaters. Woher das wohl kam … »Gut, dann lasse ich dich jetzt alleine. Du hast sicher Hunger. Es gibt dann auch in circa einer halben Stunde Essen. Du kannst dann runter kommen.« Er wollte schon wieder aus dem Zimmer gehen, da stockte er und lächelte. »Ich vergaß. Hier ist der Schlüssel für dein Zimmer. Sperr dich bitte nachts ein, das ist eine Bitte von mir.« Verunsichert nahm ich den Schlüssel. »Warum?«, fragte ich leise und umklammerte das goldene Ding. »Es ist besser. Man fühlt sich doch dann auch sicherer, wenn man weiß, dass niemand reinkommen kann, oder?«, lachte mein Vater und trieb anscheinend Späße mit mir. Ich lachte auch zögerlich. Dann ging er. Die Stille brach in den Raum ein. Ich drehte mich um und stellte meinen Koffer neben dem Waschbecken ab. Dann ging ich langsam zum Fenster und sah in die dunkle Nacht hinaus. Ich starrte auf den Wald und eine kleine Lichtung etwas weiter entfernt. »Schon irgendwie gruselig hier …«, flüsterte ich für mich in die Stille. Als ich wie gebannt in die Schwärze sah, durchfuhr mich ein kalter Schauer über dem Rücken. Sofort zog ich die Bänder von den zurückgezogenen Vorhängen und ließ sie vor das Fenster fallen. Mir stand etwas Schweiß auf der Stirn. Mir war, als durfte ich nicht hinausschauen. Ich schüttelte den Kopf und fing leise an zu lachen. »Jetzt fang ich schon an zu spinnen. Das ist wohl vom Flug.« Ich legte meinen Koffer auf das Bett und öffnete ihn. Sofort lächelten mich die fünf Wälzer an, die meine Mutter mir eingepackt hatte. Ich nahm eins in die Hand. »Die Liebe stirbt zu letzt …«, las ich murmelnd den Titel vor und legte es ganz schnell wieder weg. Ich raffte mich auf und stapelte die Bücher auf meinem Schreibtisch. Dort würden sie nun eine Woche lang bleiben. Noch starrte ich eine Weile auf mein getanes Werk, dann machte ich mich auf, um meine restlichen Dinge in den Schrank einzuquar-tieren. Es war sicher nicht viel, eher die Dinge von meiner Mutter zu verstauen, das war viel. Als ich alles in die nette Holzkiste verdammt hatte, verstaute ich auch den Koffer im Schrank. Zufrieden über meine Arbeit, ließ ich mich auf dem Bett nieder. Es war gemütlich weich. Vorsichtig zog ich die Tagesdecke ein Stück zur Seite. Die Bettwäsche war weiß wie Schnee. Sie hatte kein Muster und die Nähte waren kaum zu sehen. Es waren Daunen, die im Kissen und in der Decke enthalten waren. Aber solch eine dicke Decke mitten im Sommer? Meine Mutter wechselte immer, wenn die Jahreszeiten wechselten. Aber es war wirklich nicht erstaunlich warm im Zimmer. Vielmehr war es frisch. Dabei hatte ich das Fenster nicht auf. Vielleicht lag es an den Wänden. Plötzlich klopfte es drei Mal an meiner Tür. »Ja?«, fragte ich und wartete eine Antwort ab. Stattdessen ging die Tür langsam auf. »Würde der junge Herr Hiroshi zum Essen kommen?«, fragte Mamoru und verbeugte sich vor mir. Sofort sprang ich auf und ging zu ihm. »Ja, ich komme. Aber …«, murmelte ich und beugte mich ein Stück zu Mamoru runter, der sich immer noch vor mir verbeugte, »… du brauchst dich nicht immer zu verbeugen. Ich weiß, dass ist reine Höflichkeit, aber ich mag das nicht so.« Mamoru sah mich verwundert an und als ich ebenso verwirrt zu ihm sah, schien etwas in ihm aufgegangen zu sein. »Verstehe, Herr Hiroshi. Kommen sie mit.« Immer noch sichtlich verwirrt über die plötzliche Er-kenntnis in seinen Augen, folgte ich ihm langsam. Leise schloss ich die Tür und ging den langen Gang entlang. Er war zwar beleuchtet, aber es war mehr ein mattes Licht. Auch mein Zimmer war nicht allzu stark beleuchtet. Das machte natürlich die ganze Atmosphäre umso gruseliger. Aber ich war ja bei meinem Dad und in keinem Horrorfilm. Mamoru führte mich nach unten in den Empfangssaal, danach ging er nach rechts und hielt mir eine große Tür auf. Ich trat ein und stand in einem mindestens genauso großen Raum, wie der Empfangssaal. Mitten in ihm stand ein großer Tisch mit vielen Leckereien gedeckt. An ihm saß mein Vater und wartete mit einem Lächeln auf mich. Seine Hände waren vor seinem Gesicht leicht gefaltet, was den Anschein auf hohe Manieren hatte. Und jetzt kam ich daher mit meinen »Schlampigen-Umgangsformen«. Seufzend ließ ich mich auf einen Stuhl nieder, den mir Ma¬moru vorgeschoben hatte. Erst jetzt fielen mir die großen, gläsernen Kronleuchter über dem Tisch auf. Ich saß meinem Vater gegenüber, der mich immer noch anlächelte. Doch er schien recht weit weg zu sein, denn der Tisch war mindestens drei Meter lang. Mamoru verbeugte sich und ging nach dem Nicken von meinem Vater. Ich fühlte mich unwohl. Und das zeigte ich wohl auch ziemlich deutlich. »Für dich ist das hier ziemlich neu, oder?«, fragte mein Vater vorsichtig und legte seine Hände nun auf den Tisch. »Ja, schon«, gab ich kleinlaut zu und versteckte meine Hände unter dem Tisch. »Du brauchst dich nicht genieren. Fühl dich wie zu Hause.« »Lieber nicht, sonst sieht es hier bald auch so aus, wie zu Hause …« Mein Vater fand das wohl urkomisch und lachte laut. So witzig fand ich das nicht, denn ich meinte das ernst. Wenn ich mich wie zu Hause fühlen würde, sähe es spätestens in ein paar Stunden aus, als wäre vor ein paar Minuten eine Bombe explodiert. Ich bin halt nicht einfach … »Wirklich, Hiroshi, iss was und fühl dich wie zu Hause. Immerhin ist das auch dein zweites zu Hause.« Ich wollte mir gerade etwas zu Trinken nehmen, doch es stand nur Wein in einem Krug auf dem Tisch. »Zweites zu Hause?«, wiederholte ich und ließ das erst mal mit dem Trinken. »Ich bin dein Vater, Hiroshi.« »Ja, schon. Aber … bis vor ein paar Stunden kannte ich dich aber noch gar nicht.« »Ich weiß. Das tut mir auch Leid. Trotzdem, sei bitte nicht abweisend mir gegenüber. Du bist mein Sohn und das bleibst du ganz gewiss auch.« »Sicher …« Mein Tonfall kam vielleicht ein wenig sarkas-tisch rüber. »Hiroshi.« Ich blickte nach oben und sah ihn an. Seine Augen waren dunkelbraun. Manchmal fragte ich mich, welche Gene ich abbekommen hatte. Ich hatte nichts von meinem Vater und nichts von meiner Mutter. Niemand hatte weißblonde Haare, niemand hatte blau-violette Augen und niemand hatte die Gesichtsform wie ich. Einmal glaubte ich, ich sei adoptiert gewesen, aber als ich dann die Babybilder von mir und meiner Mutter im Krankenhaus sah, verwarf ich den Gedanken schnell wieder. »Ja?«, fragte ich auf meinen genannten Namen hin. »Du möchtest sicher etwas trinken, oder?«, fragte er sehr freundlich. »Hm, ja schon. Es ist nur Wein da … und ich bin nicht so der Wein-Fan«, murmelte ich und deutete auf den Krug mit der roten Flüssigkeit. »Wein? Welcher Wein?«, fragte mein Vater etwas verwirrt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)