Götterdämmerung von Mieziliger ================================================================================ Kapitel 4: Nechbets Lächeln --------------------------- Trotz der brütenden Hitze herrschte in Theben aufgeregte Geschäftigkeit. Es war nicht mehr lange hin bis zum „Schönen Fest des Tales“, einem der Hauptfeste Oberägyptens. Auch dieses Jahr würde das Fest stattfinden, trotz des Krieges der an den Grenzen tobte. Besser gesagt, gerade wegen des Krieges der an den Grenzen tobte. In solch dunklen Stunden waren rituelle Feiern und alte Traditionen das einzige Mittel, um der Zivilbevölkerung das Gefühl von Normalität und Sicherheit zu bewahren. Einer der wenigen, die dem Fest mit gemischten Gefühlen entgegen sahen, war Mahad. In letzter Zeit wurde es immer schwieriger den Pharao zu beschützen, was weniger an einer großen Anzahl Feinden lag, sondern an den Launen des zu Beschützenden selbst. Immer häufiger kam es zu heftigen Wutausbrüchen, in denen nicht nur Kelche zu Boden, sondern auch Bedienstete aus dem Palast flogen. Selbst Schesemtet, ehemals des Königs katzenhafter Schatten, suchte immer häufiger abgelegene Plätze auf, um ihrem Herrn aus dem Weg zu gehen. Auch wenn niemand wagte es direkt auszusprechen, so wurden in den Dienstbotenkammern unter vorgehaltener Hand immer mehr Beschwerden laut. Wo Beschwerden waren, wuchs die Unzufriedenheit und Unzufriedenheit brachte Narren schnell dazu Dummheiten zu begehen. Eine Palastrevolte war das Letzte, was Mahad momentan gebrauchen konnte. Nun, langes Grübeln brachte nichts. Er musste mit dem Pharao sprechen. Und heute würde er sich nicht abweisen lassen! Energischen Schrittes trat der Hohepriester auf die schweren Flügeltüren zu, hinter denen sich die Privatgemächer des Pharaos verbargen. Er hob die Hand und klopfte durchdringend. „Ehrenwerter Pharao, ich bin es. Mahad. Bitte gewährt mir einzutreten, ich muss mit Euch spre-“ „Komm herein. Und beeil dich.“ Mahad war so perplex, dass er erst glaubte, sich die Stimme Atemus eingebildet zu haben. Aber als ein herrisches „Was ist? Tritt gefälligst ein!“ durch die Türen drang, riss er sich zusammen und kam dem Wunsch des Herrschers nach. Der Pharao saß an einem schweren Tisch im Schatten und schien mehrere Schriftrollen zu studieren, deren Inhalt Mahad bei flüchtigem Hinsehen nicht entschlüsseln konnte. „Danke, dass Ihr mich empfangt, großer Pharao. Ich wollte-“ „Dein Erscheinen hat mir die Arbeit erspart dich rufen zu lassen. Ich möchte, dass du für den heutigen Abend ein Fest im Palast vorbereitest.“ „Ein... Fest?“ Nur schwer konnte Mahad seine Stimme davon abhalten, unangemessen laut zu werden. Wer war er? Der Zeremonienmeister? Was kam als nächstes? Dass er die königlichen Tischdecken besticken sollte? Und warum, in aller Götter Namen, musste gerade jetzt ein Fest im Palast stattfinden, wenn das größte aller Feste in der Stadt bald beginnen würde? „Spreche ich undeutlich, Mahad?“ Durchdringende, violette Augen durchbohrten ihn mit einem kalten, abschätzenden Blick. Mahad zögerte einen Moment, ehe er den Kopf schüttelte. „Nein Pharao. Ich war nur überrascht. Ganz Theben ist gerade dabei Euch ein Fest zu bereiten und so dachte ich-“ „Was interessiert mich Theben?“ entfuhr es dem Pharao harsch, während er mit der flachen Hand auf den Schreibtisch schlug. „Ich sagte ein Fest im Palast und keines in den Straßen! Die bekommen ihr Fest noch früh genug!“ Mit offenem Mund stand Mahad da und starrte den jungen König an, der sich nun wieder seinen Schriftrollen zuwandte. Ein einzelner Sonnenstrahl brach durch die Zweige der schattenspendenden Palme und erhellte den Schreibtisch an dem er saß. Jetzt, wo er ihn so im Sonnenlicht betrachtete, fiel Mahad das erste Mal auf, wie erschöpft Atemu aussah. Seine Haut wirkte fahl, wie von Asche benetzt und feine, müde Linien zogen sich über das junge Antlitz. Belastete ihn etwas? War das der Grund für seine Launen und Wutausbrüche? Vielleicht brauchte er das Fest nur um ein wenig ausspannen zu können. Wer war er, Mahad, eigentlich, dass er die Entscheidungen seines Königs anzweifelte? Langsam und unwillig wandten sich ihm die Augen des Pharaos wieder zu. Die Ungeduld darin war so intensiv, dass sie körperlich zu spüren war. Eine Ungeduld, die es früher nie gegeben hatte. „Ich habe verstanden. Gibt es besondere Wünsche die Ihr gerne erfüllt hättet?“, fragte Mahad schnell und beeilte sich eine Verneigung anzuschließen. „Tänzer.“  war die königliche Antwort „Sende nach Djedefre.“ ~oOo~ Mahad ächzte leise, als die goldenen Flügeltüren schwer hinter ihm ins Schloss gefallen waren und gratulierte sich in Gedanken zu der Meisterleistung, die er gerade vollbracht hatte. Die Gemächer betreten mit dem Willen den Pharao zu schützen, selbst wenn es das eigene Leben kosten möge – die Gemächer verlassen als Zeremonienmeister einer abendlichen Tanzveranstaltung. „Du siehst aus als hättest du Zahnschmerzen. Ist alles in Ordnung?“ Erschrocken fuhr Mahad herum und blickte in die verwunderten Gesichter Manas und Ishizus, die auf dem Weg zum Thronsaal innehielten. Nachdem er seine Gesichtszüge wieder etwas sortiert hatte, lächelte der Priester leicht und schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Keine Zahnschmerzen. Es ist alles in Ordnung, ich habe nur nachgedacht.“ Er zögerte kurz. „Der Pharao möchte heute Abend ein Fest im Palast ausrichten und bat mich darum, ihn dabei zu unterstützen.“ Es war faszinierend dabei zuzusehen, wie die rechten Augenbrauen von Ishizu und Mana in einer solch synchronen Bewegung nach oben wanderten, als hätten sie es einstudiert. Mahad beeilte sich weiter zu sprechen. „Es wird sicherlich nur eine kleine Feier, ein wenig Zerstreuung für den jungen König, der gerade viel Last auf seinen Schultern zu tragen hat.“ Merkend, wie er es in seinem gespielten Enthusiasmus langsam etwas übertrieb, versuchte sich der Magier in eine Frage zu retten: „Sagt,  kennt eine von euch einen gewissen … Djedre? Nein ... Djedefre?“ Die beiden Frauen tauschten einen raschen Blick, ehe Ishizu antwortete: „J-ja. Der Name ist in Theben eigentlich bekannt.“ „Hervorragend, wo kann ich diesen Mann finden? Der Pharao wünscht ihn heute Abend zu sehen“ „Mh. Nun ja. Er ist, nun wie soll ich sagen… Man findet ihn in einem Etablissement namens ‚Die Röte der untergehenden Sonne‘. Irgendwo im südlichen Viertel.“ „Bist du dir sicher, Ishizu? Das ist doch…, ist das nicht… Ist das nicht ein Bordell?“ Mit leicht pink angelaufener Nasenspitze bejahte die Priesterin die Frage mit einem Kopfnicken. Auf Manas Gesicht breitete sich unterdessen eine solche Erheiterung aus, dass sie regelrecht zu strahlen schien. „Ein, ein... Bordell?“ „Ssssh! Nicht so laut Mahad! Bist du von allen guten Geistern verlassen? Die Medjay starren uns schon an!“ „Verzeih, das war nicht, also… Ein Bordell? Nun, wenn der König es wünscht. Ein seltsamer Ort der Unterkunft. Aber so sind die Tänzer. Ein eigenes Völkchen, dass man oft nicht versteht, gerade was den Umgang mit, ah, niederem Volk, betrifft.“ „Tänzer?“ mischte sich nun auch Mana in das Gespräch ein, „Von was redest du überhaupt, Mahad?“ „Nun, der Pharao wünscht den Abend mit einer Tänzergruppe zu untermalen. Und bat mich dafür diesen Djedefre aufzusuchen.“ „Du bist sehr gutgläubig, kann das sein?“ „Sei nicht so respektlos, Mana!“ „Verzeih mir, aber, nun wie soll ich das erklären? Ehm, Djedefre ist nicht irgendein Tänzer, er ist der Besitzer dieses - wie hast du es genannt, Ishizu? Etablissements. Das ist doch weithin bekannt.“ „Der… Besitzer? Aber weshalb…?“ Mahad schwieg kurz, zuckte dann ergeben mit den Schultern. „Nun, der Pharao hat aber ausdrücklich nach Tänzern gefragt. Es ist sicher nur Zufall, dass die Tänzergruppe in einer solchen Unterkunft wohnt. Gerade jetzt, vor dem großen Fest des Tales, sind sämtliche Unterkünfte heillos überfüllt, da ist es nur zu verständlich, dass man auch in solche Häuser ausweicht.“ Wieder einmal tauschten die beiden Frauen kurze Blicke und während Ishizu peinlich berührt zu Boden sah, bereitete es Mana ein kindisches Vergnügen die Gedanken der beiden auszusprechen: „Sag mal Mahad… dir ist doch klar, dass es auch männliche, mh, Dienstleister gibt, oder?“ „Natürlich weiß ich das, was glau- oh.“ Es herrschte Schweigen. Mit jedem Augenblick, den das Schweigen länger dauerte, verbreiterte sich Manas Grinsen und intensivierte sich die Röte auf Mahads Zügen. Ishizu hielt den Blick noch immer zu Boden gesenkt, als seien die Bodenfliesen von solcher Schönheit, dass sie sich nicht abwenden konnte. „Ja, also, ich, ähm…“ Mahad räusperte sich mehrmals und versuchte vergeblich selbstsicher aufzutreten. Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und so viele Rätsel schienen sich nun ganz von selbst zu lösen. „Pharao Atemu ist, also, es erklärt vieles – deshalb hat er kein Interesse an dem Harem, und deswegen…  bei Ra, wie oft habe ich seinen Garten betreten, während er gebadet hat? Ich Idiot! Ich hoffe, er empfand mich nicht als aufdringlich – er hätte doch nur etwas sagen müssen…“ „Sag mal Mahad…?“ Mit einem spitzbübischen Grinsen schob sich Mana in sein Blickfeld. „Darf ich mitgehen, wenn du diesen Djedefre aufsuchst? Ich möchte doch gern dabei sein, wenn du in deiner ganzen prachtvollen Selbstsicherheit dort auftauchst.“ „Du kleine…!“ Mahads Hand schnellte vor, aber erreichte Mana nicht, die flink wie ein Wiesel davongehüpft war. „Na warte. Es wird allmählich an der Zeit, dich einer weiteren Lektion zu unterweisen.  Magier-Regel Nummer 345: Mit Feuer unter den Sohlen läuft es sich schneller!“ Mit leisem Zischeln erschuf der Magier einige Feuerkugeln zwischen seinen Fingern und schnipste diese lässig hinter Mana her, die mit hohen Sprüngen und lautem Quietschen auszuweichen versuchte und dabei einen etwas ungelenken Stepptanz aufführte. Erst als Ishizu der ganzen Situation nicht mehr stumm zusehen konnte und in ein helles Lachen ausbrach, ließ Mahad von seiner flambierten Schülerin ab. Er mochte Ishizus weiches Lachen und hatte es in den letzten Monaten sehr vermisst. Einen Moment lang schien alles wie früher, als wären die bedrohlichen Schatten verschwunden. Ishizus helles Lachen, Manas nicht ernst gemeinte Respektlosigkeiten, seine eigene Gutmütigkeit – der Einzige, der nun noch fehlte, war der stolze Atemu. Früher hätten ihn Szenen wie diese äußerst amüsiert.  Es war Mahad gleichgültig wen der Pharao heute Abend zu sehen gedachte, wen er in sein Gemach einlud und wen nicht. Atemu war in der Tiefe seines Herzens ein guter König und wenn er, Mahad, seinem König mit einer Feier auch nur ein paar Stunden der Ruhe und Ablenkung schenken konnte, so würde er alles daran setzen dies zu tun. Mahad hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da flog die Tür der Privatgemächer auf und der Pharao trat mit einem energischen Schritt auf den Flur. Sein zorniger Blick flog zwischen den drei Priestern hin und her und heftete sich dann auf Ishizu, die ihm am nächsten stand. „Was soll dieses Affentheater?“ herrschte er sie zornig an und Mahad beeilte sich einen Schritt vor zu treten, um die Aufmerksamkeit des Pharaos auf sich zu ziehen. „Verzeiht, Pharao, falls wir Euch gestört haben. Es war keine Absicht. Wir-“ „Ich erinnere mich deutlich daran, dir einen Auftrag gegeben zu haben, Mahad. Hast du den etwa schon erledigt, dass du die Zeit hast, hier im Flur alberne Zaubertricks aufzuführen? Oder übst du für deine neue Berufung als Straßenkünstler?“ Der Zynismus in Atemus Stimme traf Mahad schwer. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Ishizu ihm einen mitfühlenden Blick zuwarf und er beeilte sich, eine kurze Verneigung anzuschließen, damit niemand seinen Gesichtsausdruck sehen konnte. „Nein. Verzeiht. Ich werde mich sofort auf den Weg machen.“ Schnell wandte er sich ab und verschwand, ohne sich anmerken zu lassen wie aufgewühlt er war. Atemu unterdessen wandte seine Aufmerksamkeit wieder Ishizu zu. Die Priesterin strich in einer nervös wirkenden Geste mit den Fingerspitzen über die Milleniumskette und schien mit sich zu hadern. Schließlich nickte sie fast unmerklich und schenkte dem Pharao ein leichtes Lächeln. „Es war mein Fehler, Pharao. Ich habe Mahad in ein Gespräch verwickelt. Ich war gerade auf dem Weg in den Thronsaal und da-“ „Dann lass dich nicht aufhalten.“ Ishizu verstummte und presste die Lippen zu einem feinen Strich zusammen. Dann aber nickte sie erneut, senkte den Kopf und lief an Atemu vorbei ohne sich noch einmal umzusehen. Dass sie die Hände zu Fäusten geballt hatte, war ihm dennoch aufgefallen. „Was… soll das, Atemu…?“ Mana sprach leise, mit deutlich unterdrücktem Zorn in ihrer Stimme. Ihre blauen Augen funkelten und ihre Wangen waren blass, als sie auf den Pharao zutrat. „Wie kannst du so mit Ishizu und Mahad umgehen? Sie haben dir immer loyal gedient, sie haben es nicht verdient so behandelt zu werden!“ Atemu schloss einen Moment die Augen. Er hatte stechende Kopfschmerzen und wenig Lust sich in eine Diskussion mit Mana verwickeln zu lassen. Ohne ein Wort zu sagen wandte er sich um und wollte gerade in seine Privatgemächer zurückkehren, als sich zitternde Finger um sein Handgelenk schlossen. „Bleib stehen, Atemu. Ich bitte dich, bleib stehen und antworte mir.“ Tatsächlich verharrte der Pharao mitten im Schritt und sah seiner engsten Freundin offen in die Augen. In ihrem Gesicht spiegelte sich eine solche Trauer, Wut und Hilflosigkeit, dass Atemu einen Moment ins Stocken geriet.  Dann aber senkte sich sein Blick auf ihre schmale Hand, die fest um sein Handgelenk lag und seine Augenbrauen zogen sich zusammen. Er konnte eine solche Nähe gerade einfach nicht ertragen. Nicht von ihr. Und von keinem anderen Priester. Mit einer heftigen Bewegung riss er sich los, so dass Mana ins Stolpern geriet und sich nur im letzten Moment am Türrahmen abfangen konnte. Mit einem letzten, undurchdringlichen Blick fuhr er herum und warf dem aufgelösten Mädchen die Tür vor der Nase zu. ~oOo~ Mit einem leisen Seufzen tauchte Mana eine Hand in den Nil, den sie auf einem kleinen Papyrusboot gerade überquerte. Das kühle Wasser an ihrem Handgelenk ließ die Hitze zumindest ein wenig erträglicher werden. Als die Anlegestelle näher kam, erhob sich Mana und sprang vom Boot, noch bevor dieses am Flussufer richtig vertäut werden konnte. Bei jedem Schritt knirschte der staubige Untergrund unter ihren Füßen. An Tagen wie diesen war es kein angenehmes Arbeiten hier, im Tal der Könige. Eigentlich hätte Mana sowohl Priester Seto, als auch Mahad um Erlaubnis fragen müssen, um die Baustelle besuchen zu dürfen, aber sie hatte es im Palast einfach nicht mehr ausgehalten. Das ungezwungene Herumalbern mit Mahad und Ishizu hatte ihr erst wirklich deutlich vor Augen geführt, wie gedrückt die Stimmung im Königshof eigentlich war. Sie brauchte Ablenkung. Wenigstens ein paar Stunden, in denen sie dem Palast entfliehen konnte. Ein lautes Poltern ließ sie aufschrecken. Als Mana sich umwandte, sah sie einen jungen, auffallend hellhäutigen Arbeiter, der reglos dastand und sie mit offenem Mund anstarrte. Ein Vorarbeiter eilte heran und überhäufte den Mann mit einer Schimpftirade, dabei immer wieder auf das Werkzeug deutend, das dieser in seiner Schockstarre hatte fallen lassen. Ein mulmiges Gefühl stieg in Mana auf. Als Schülerin Mahads und enge Vertraute des Pharaos war sie eine gewisse Aufmerksamkeit gewöhnt, aber ein solches Verhalten ihr gegenüber hatte sie noch nie erlebt. Sie zögerte noch, ob sie auf den Fremden zugehen sollte oder nicht, da fuhr dieser plötzlich herum und packte den Vorarbeiter am Arm. Sein lautes „Ach, leck mich! Mach deinen Scheiß selber!“ war noch nicht verhallt, da stieß er sein Gegenüber auch schon von sich und rannte scheinbar zielsicher davon, dabei immer wieder über die Schulter hinweg zu Mana blickend. Das Magiermädchen war völlig verblüfft, doch kurz bevor der Fremde gänzlich außer Sichtweite zu geraten drohte, siegte ihre Neugierde. Eilig folgte sie ihm und konnte gerade noch sehen, wie er auf einen anderen Arbeiter zulief und diesen im Lauf einfach mit sich zog. Weit abseits der Baustelle, halb verborgen hinter einem Felsvorsprung, kamen die Beiden zum Stehen. Vorsichtig schlich Mana heran, bis sie so nah war, dass sie die Unterhaltung belauschen konnte. „Hör zu, Yugi! Du wirst nicht glauben wen ich hier gerade gesehen habe. Stell dir vor, Mana ist hier!“ „Mana? DIE Mana? Von unserer Schule?“ „Alter, wenn ichs dir doch sage! Ich hab sie gesehen, so deutlich wie ich dich hier sehe!“ „Aber-,das- das kann doch nicht sein!“ „Weißt du was das bedeutet, Yugi?“ „Nein. Was bedeutet das denn?“ Mana hatte es nicht mehr ausgehalten. Mit forschen Schritten löste sie sich aus ihrer Deckung und baute sich mit verschränkten Armen vor den Fremden auf. Misstrauisch, aber auch neugierig, musterte sie die Beiden, die mit zutiefst erschrockenem Gesichtsausdruck zu ihr herumfuhren.  Nachdem auch nach einer Minute noch immer niemand antwortete, schürzte Mana ungeduldig die Lippen. „Wer seid ihr? Woher kennt ihr mich? Und welche Schule meint ihr? Los, sprecht!“ Der Größere von Beiden trat schließlich einen Schritt nach vorne und schob den Kleineren in den Windschatten seiner eigenen, breiten Schultern. Eine gewisse Faszination breitete sich in Mana aus, als sie die blonden Haare und die helle Haut ihres Gegenübers betrachtete. Sie hatte noch nie jemanden wie ihn gesehen. Der blonde Fremde hob langsam die Hand zu einer beschwörenden Geste, öffnete den Mund - und gab nichts weiter von sich als ein gestammeltes „Ich- äh- wir, also- äh…“ Ein kurzes Schweigen folgte, in dem Mana ihn entgeistert anstarrte und er ihr den Gefallen tat knallrot anzulaufen. Schließlich war es der Kleinere der Beiden, der tief seufzte  und sich an einem vorsichtigen Lächeln versuchte. Auch er hatte so faszinierend helle Haut, dass Mana sich einen kurzen Moment fragte, ob man ihn des Nachts leuchten sehen könnte. „Wir- also- das ist sehr schwer zu erklären.“, begann er schüchtern und riss das Magiermädchen aus ihren absurden Gedanken „Ich- ich bin Yugi und das ist Joey. Wir waren, sind, sehr überrascht. Dort wo wir herkommen gibt es ein Mädchen, das ebenfalls Mana heißt und dir – wie soll ich sagen – sehr ähnlich sieht. Identisch. Um genau zu sein.“ Mana runzelte die Stirn und trat etwas näher, das Misstrauen glomm noch in ihr, war aber deutlich schwächer geworden. Yugis hilflos wirkende Art besänftigte sie. „Wo ihr herkommt?“ fragte sie neugierig „Wo kommt ihr denn her?“ Yugi zögerte und sah zu Joey auf, doch der starrte nur auf das Mädchen vor ihm und gab keinen Laut mehr von sich. „Hey, ich hab was gefragt.“ Mana klang mittlerweile etwas belustigt und Yugi wandte sich hastig wieder zu ihr um. „Du wirst es uns wahrscheinlich nicht glauben.“, beeilte er sich zu sagen. „Also, wir kommen nicht aus Ägypten, wir kommen nicht einmal aus einem Land in der Nähe, geschweige denn…“ Ein lautes Knirschen ließ Yugi verstummen. „Was … war das?“ Joey schien aus seiner Starre erwacht zu sein und sah sich hastig um. Auch auf Manas Miene spiegelte sich Besorgnis. „Ich ... weiß es nicht.“, murmelte sie leise. „Wir sollten zurück auf die Baustelle.“ Im gleichen Moment in dem sie das aussprach, sackte der Boden unter ihr weg. Mit einem heiseren Aufschrei brach die junge Magierin in den scheinbar so stabilen Felsen ein, der unter ihr nachgab und  Joey und Yugi mit sich in die Tiefe riss. Sie fielen nicht tief, aber landeten dafür umso härter. Yugi keuchte auf, als er seinen Ellenbogen stieß und ein heftiger Schmerz seinen Arm durchschoss. „Joey?“, rief er ängstlich in die Dunkelheit.  Überall wirbelte Staub durch die Luft und nahm ihm die Sicht. „Alles klar bei dir, Yugi?“ zum Glück war Joey nicht weit von ihm gelandet und das leise Husten aus einer nahen Ecke deutete an, dass auch Mana ganz in ihrer Nähe war. „Mir geht’s gut“, log Yugi, während er seinen schmerzenden Arm an den Körper presste. „Aber wo sind wir?“ Es zischte leise und mit einem Mal erhellte ein kleines, von Mana beschworenes Feuer die Dunkelheit. Der Schein der Flammen kroch über die steinernen Wände der unterirdischen Höhle in der sie saßen und offenbarte wundervolle Hieroglyphen, kunstvolle Zeichnungen und wertvollste, goldene Grabbeigaben. „Wir sind in einem Königsgrab“ erklärte Mana mit ehrfurchtsvoll gesenkter Stimme. „Die Decke muss nachgegeben haben, wir sind direkt in die ‚Halle der Wagen’ gefallen.“ „Halle der Wagen?“ fragte Joey verwirrt und senkte sofort die Stimme, als er hörte wie sehr sie widerhallte. „Ich seh hier keine Wagen.“ Ein teils amüsiertes, teils ungläubiges Schnauben von Mana war die Antwort. „Nein, die Halle der Wagen ist eine Säulenhalle, die direkt auf die Grabkammer zuführt. Seht ihr? Dieser große Stein verschließt den Zugang zu dem Sarkophag des Königs.“ Eine tiefe Besorgnis kehrte nun in ihre Stimme ein. „Wir sollten hier wieder raus, die alten Könige vergangener Zeit schätzen es nicht wenn man ihre Ruhe stört. Wir gehören hier nicht hin.“ Sie wollte sich gerade umwenden um den Ausgang zu suchen, als Yugis hastiges „Warte!“ sie innehalten ließ. „Bitte Mana, leuchte noch einmal diesen Stein an.“ Mana zögerte, sie wollte hier raus, aber Yugi hatte so flehend gesprochen, dass sie dennoch ihre Hand hob und den verzierten Stein ins Licht setzte. Als die Drei die wundervollen Reliefs entdeckten, stockte ihnen der Atem. In der Mitte der Steinplatte prangte eine lebensgroße Abbildung der Göttin Nechbet. „Die Beschützerin des Pharao“ Mit stockendem Atem fiel Mana respektvoll auf die Knie und neigte den Kopf vor der Zeichnung. „Das ist … die schönste Abbildung Nechbets, die ich je gesehen habe“ Die junge Magierin war so beeindruckt von der gezeichneten Göttin, dass sie nicht sah, welche Wirkung diese auf Yugi und Joey hatte. Beide zitterten am ganzen Körper und hatten jegliche Gesichtsfarbe verloren. Nur in ihren Augen loderte eine wilde Hoffnung. Joey war der erste, der auf den Stein zutrat, die Hand hob und vorsichtig über das weiße Gewand der Göttin fuhr. „Bist du wahnsinnig? Nimm sofort deine Finger von dem Relief!“, fauchte Mana, die gerade eben den Kopf wieder gehoben und ihn erblickt hatte. „Du kannst doch hier nicht einfach alles antatschen, ist dir klar wie lange es dauert, so etwas zu erschaffen?“ Mit ihrem Ausbruch erschreckte sie Yugi so sehr, dass er über seine eigenen Füße stolperte. Getragen vom eigenen Schwung stürzte er nach vorne und riss die Arme hoch um irgendwo Halt zu finden. Im gleichen Moment, in dem seine Hand über das Relief von Nechbet fuhr, durchflutete ein unerträglich heller Lichtstrahl die Säulenhalle. Mana schlug sofort ihre Arme schützend vor das Gesicht, dennoch drang die Helligkeit durch ihre geschlossenen Augenlider. Selbst als das Licht erlosch dauerte es, bis Mana sich in der Dunkelheit wieder ansatzweise zurecht finden konnte. „Yugi? Joey?“ vorsichtig sah sie sich um und versuchte die dunklen Schlieren zu vertreiben, die vor ihren Augen tanzten. Nur dumpf hörte sie ein leises Stöhnen, es klang nach Joey. Von Yugi kam kein Laut. Stattdessen tönte von oben Manas Name, als dutzende Bauarbeiter durch das Loch in der Decke in das Grab hinab starrten. Die Staubwolke, die aufgetaucht war als das Grabmal nachgegeben hatte, hatte die halbe Baustelle aufgeschreckt. Innerhalb weniger Minuten wurde ein kräftiges Seil herab gelassen, mithilfe dessen die Magierin und nach ihr auch Joey hochgezogen wurden. Yugi aber war verschwunden. Leer und still lag die Säulenhalle da. Doch im letzten Moment, bevor Mana die sichere Oberfläche erreichte, sah sie noch einmal zurück und merkte, wie ihr Körper von einer Gänsehaut überzogen wurde. Die Zeichnung Nechbets trug ein sanftes Lächeln auf den Lippen, von dem Mana sicher war, dass es vorher noch nicht dagewesen war. ~oOo~ Flüssiges Glas. Das war der erste Eindruck der sich Yugi bot, als er seine Augen einen schmalen Spalt öffnete. Schatten, Schemen, Silhouetten, alles verzerrt von silbrigen Schlieren. Vorsichtig stemmte er sich vom Boden hoch. Den wimmernden Laut hörte er, weit bevor er realisierte, dass er ihn selbst ausgestoßen hatte. Sein Kopf dröhnte. Mit einem weiteren kläglichen Stöhnen fuhr Yugi sich mit beiden Händen durch das Gesicht, hob dann den Kopf und sah sich zum ersten Mal wirklich um. Er war allein. Dennoch fühlte er keine Furcht, sondern empfand die Gewissheit, dass er träumte. Als wäre dieser Gedanke der Auslöser gewesen, begann sich die Umgebung um ihn zu verändern. Die silbernen Schlieren verschwanden, Sanddünen wuchsen im Zeitraffer und Sonne und Mond zogen in Sekunden über ihn hinweg. Mit einem Mal türmte sich eine altertümliche Stadt vor ihm auf, rote Banner auf Türmen und Toren. Sie brannte. Lichterloh. Yugis Herz verkrampfte sich, als die Schreie der Menschen zu ihm drangen, die qualvoll in den gierigen Flammen zu Tode kamen. Er wollte sich abwenden, wollte den Anblick nicht länger ertragen müssen, doch die Faszination des Grauens war so stark, dass er mit weit aufgerissenen Augen auf die sterbende Stadt starrte und die Tränen nicht bemerkte, die ihm über die Wangen liefen. Erst als ein Schatten über ihn fiel, schrak er zusammen und fuhr herum. Hinter ihn, so nahe, dass er ihn berühren hätte können, war ein Mann getreten. Ein Großteil seines Körpers wurde von surrealer Dunkelheit verhüllt. Nur das Gesicht war schemenhaft zu erkennen. Ein Gesicht, auf dessen Stirn ein königliches Diadem prangte. Obwohl Yugi wusste, dass er träumte, schluckte er schwer. Der Schein des lodernden Feuers spiegelte sich auf dem Gesicht des Pharaos wieder und umspielte das kalte Lächeln, das auf seinen Lippen lag. Seine violetten Augen drangen durch Yugi hindurch und betrachteten das Flammenmeer, doch Yugi fühlte, wie sich sein Inneres unter diesem intensiven Blick verkrampfte. Er fröstelte und musste einen kurzen Moment seinen Blick abwenden, um sich zu fassen. Als er wieder aufsah, war der König verschwunden. Genauso wie die brennende Stadt, die Toten, die Sterbenden. Stattdessen rauschten Bilder an ihm vorbei, die er nicht greifen konnte, Bilder die so schnell vorüber stoben, dass er nur Bruchteile davon behielt. Aber was er sah, waren Tempel, die zerstört und gebrandschatzt wurden, Götterstatuen die, aus den allerheiligsten Bereichen gerissen, unter großem Johlen auf dem Boden zerbarsten. Zurück blieben Ruinen, Priester ohne Bestimmung und Menschen, denen die Religion als wichtigster Teil ihres Alltages geraubt worden war. Er glaubte, die Verzweiflung der Menschen körperlich spüren zu können, die Angst, die Hilflosigkeit. Aber auch die Wut die sich anstaute, der Hass den sie mit sich brachte und die Gedanken der Revolution nährte, die um sich zu greifen begannen. Wieder fühlte er sich gepackt und durch Zeit und Raum gezerrt, wieder glitt alles an ihm vorbei, wie ein zu schneller Film den er nicht anhalten konnte. Er sah einfach gekleidete Menschen mit Fackeln und simplen Waffen, die auf einen Palast zustürmten und sich an den aufgereihten Wachen aufrieben. Doch je mehr fielen, desto mehr kamen nach. Sie kamen zu Hunderten, Tausenden, und bezwangen die Soldaten durch schiere Masse und den Mut der Verzweiflung. Laute Stimmen drangen an Yugis Ohren, Stimmen die den Tod des Pharaos forderten und immer weiter anschwollen – bis es auf einmal still wurde. Still, dunkel und unglaublich kalt. Es dauerte lange, bis Yugi sich an das Dunkel gewöhnt hatte. Er erahnte die kleine Kammer, in der er sich befand mehr, als dass er sie tatsächlich sah. Er wagte es kaum sich zu bewegen, selbst das Atmen fiel ihm schwer. Panik begann in ihm aufzusteigen, doch kurz bevor diese übermächtig zu werden drohte, tauchte plötzlich ein unruhiges Flackern vor ihm auf. Das Flackern kam näher und offenbarte sich bald als Schein einer Fackel, die von einem groß gewachsenen Mann getragen wurde. Hinter ihm folgten zwei weitere Männer, die eine mit einem schweren Leinentuch abgedeckte Bahre trugen. Unwillkürlich trat Yugi auf die Seite und presste sich in eine Ecke des Raumes, obwohl die drei Männer keinerlei Notiz von ihm nahmen. Derjenige, der die Fackel trug, trat an die Bahre heran, schlug das Leinentuch zurück – und brachte Yugi dazu scharf die Luft einzuziehen. Dort lag, blutverschmiert und geschunden, der Pharao, den er zuvor in seiner Vision bereits gesehen hatte. „Schnell. Das Harz und die Öle.“ „Es wird nichts bringen. Eine Mumifizierung benötigt 70 Tage!“ „Das weiß ich. Aber wir müssen es versuchen.“ Yugi achtete nicht darauf, wer von den Männern sprach. Er hörte ihre Worte, aber er war so schockiert von dem Anblick des Toten, dass er sich nicht abwenden konnte. Ein großer Teil seines Unterkiefers fehlte und Yugi war der Dunkelheit dankbar, dass sie das Schlimmste der Wunde verbarg. „Aber er kann seinen Namen nicht mehr sprechen. Er wird so nie vor Osiris treten können. Es ist doch sinnlos.“ „Sei ruhig, verdammt noch mal! Wenn wir ihm nicht helfen, wer soll es sonst tun? Wir sind die Letzten, die ihm treu zur Seite stehen.“ Der unruhige Schein der Fackel flog über harzgetränkte Leinenbinden, die mit schnellen und kundigen Bewegungen um den verstümmelten Leichnam gewickelt wurden. Bald war nur noch das Gesicht des Toten zu sehen, eine Fratze der Vergänglichkeit, die nichts mehr mit dem stolzen König zu tun hatte, den Yugi zuvor erblickt hatte. Als einer der Männer schließlich mit einer sanft anmutenden Bewegung den Kopf des Toten hob, um auch diesen mit Binden zu umwickeln, begann Yugis Blick zu verschwimmen. Die silbernen Schlieren kamen zurück und verbargen den Anblick durch einen dankbaren Schleier. Mit zitternder Hand griff Yugi nach seiner Kehle und schluckte schwer. Sein Hals war zugeschnürt, er konnte kaum atmen, doch er bekam keine Zeit sich zu fassen. Ein starker Ruck zerrte an ihm und plötzlich fühlte er, wie er in ein endloses Nichts stürzte. Die grauen Nebel lichteten sich und verschwanden. Noch während er fiel, wusste er plötzlich, dass die Vision ihn aus ihren Fängen ließ und zurück in die Realität katapultierte, aus der sie ihn so unsanft gerissen hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)