Down Hill 3: Crisis von Sky- ================================================================================ Kapitel 8: Ein Stückchen Alltag ------------------------------- Den Rest des Tages hatte Mello auf seinem Zimmer verbracht und auch keinen großartigen Appetit aufs Abendessen verspürt. Er war auch recht früh eingeschlafen und dementsprechend früh am nächsten Morgen wach. Nach einer heißen Dusche durchstreifte er ein wenig die Gänge und ging seinen Gedanken nach. Er fragte sich, was wohl die nächsten Tage auf ihn warten würde und wie es jetzt weiterging. Müde gähnte er und wollte zum Speisesaal gehen, da hörte er ein lautes Scheppern, gefolgt von einem lauten „Habt ihr Spatenköppe zu heiß gebadet oder wat is los? Wat macht ihr da schon wieda?“ Dieser Südstaatendialekt war wirklich unverkennbar und deutete daraufhin, dass Leaks schon längst bei der Arbeit war. Mello folgte den Geräuschen und sah dann tatsächlich den etwas zu klein geratenen Mechaniker, der die verstreuten Werkzeuge aufhob, die heruntergefallen waren. Er brauchte nicht mal zu grüßen, da bemerkte Leaks ihn schon und hob zum Gruß die Hand. „Ey Mello. Biste wieder am rumsuchen, oder wat biste so früh auf? Bist ja gestern Abend nicht beim Essen gewes’n. Hat der Boss dich zu hart rangenomm?“ „Ich war einfach nur müde, das ist alles. Und was ist mit dir?“ „Meine Schicht fängt schon um fünfe an. Inner Werkstatt ham wa immer genug zu tun, da bin ich schon früher auf’n Beinen. Wo du schon mal hier bis, da kannste auch gleich mitkomm. Ich hab da nämlich wat für dich, wat dir gefall’n könnte.“ Während Leaks die beiden Männer, die Mello einen fast schon tödlichen Blick zuwarfen, alleine aufräumen ließ, gingen sie zum so genannten Trakt 02 und erreichten eine Werkstatt, die wahrscheinlich dazu gedacht war, damit die Insassen hier verschiedene Arbeiten erledigen konnten, um beschäftigt zu werden. Hier wurde an Radios, Waffen, Küchengeräten und anderen Dingen gebastelt. Sogar ein alter Röhrenfernseher wurde gerade repariert. Mello erspähte Hiram, der gerade eine Waschmaschine herschleppte, die offenbar kaputt war. Auch die trug er problemlos mit sich herum, als würde das Ding höchstens einen Kilo wiegen. Mello grüßte den Hünen und folgte Leaks zu einer der Werkbänke hin, wo ein tragbarer CD-Spieler mit integrierten Lautsprechern stand. Es war ein etwas älteres Modell, aber auch nicht komplett veraltet. „Dat Schätzcken hab ich noch repariert gekriegt. N paar Kabel waren kaputt, aber ich konntse auswechsel’n. Hab ich auch schon ausprobiert und es funktioniert. Wat hörste denn so für Musik?“ „Meist etwas in Richtung Rock oder Metal.“ Damit holte Leaks eine Kiste hervor, hievte sie mit viel Mühe hoch, da er nicht sonderlich viel Kraft in diesen dünnen Armen besaß und stellte sie dann auf die Werkbank ab. „Hier, kannste dich bedienen. Wenn de wat findest, kannste gerne mitnehm. Und wenn de dat nicht mehr hör’n kannst, dann kannste einfach wieder zurückbringen und dann was anderes aussuch’n. Ich krieg hier sogar ab und zu mal Hörbücher oder Hörspiele rein. Viele hör’n auch einfach Radio, aber momentan geht det leider net so wirklich.“ „Hier unten hat man Radioempfang? Unter der Erde?“ „Normalerweise net, aber ich hab da eine Art Empfangsverstärker gebaut, womit wa auch hier unten in Down Hill Radioempfang haben. Ist für viele dat Einzige, was sie noch von der Außenwelt zu hör’n krieg’n. Aber dat verdammte Scheißteil funzt net richtig und ich muss dat gleich mal überprüf’n geh’n. Willste nachher mitkomm und mir helf’n? Hiram hat keine Zeit und die Jungs arbeiten inner Werkstatt weiter.“ Da Mello sowieso keine anderen Pläne hatte und er auch nicht mit diesen Kerlen allein sollte, die ihn wahrscheinlich in der Luft zerreißen würden, nahm er Leaks’ Angebot gerne an und durchkramte die Kiste. Da drin war wirklich alles. Angefangen von Hip Hop über Country, bis hin zu Pop, Rock und Heavy Metal. Und tatsächlich fand er auch gleich drei CDs, die seinem Geschmack entsprachen. „Wo kriegt ihr eigentlich die ganzen Sachen her?“ „Die bestell’n wa uns. Wir kriegen aber auch so oft Schrott runter. Entweder reparier’n wa es, oder aber et wird ausgeschlachtet und ich bastle wat Neues draus. Hier gibt’s eigentlich ständig wat zu tun. Vor allem wenn ne Waschmaschine den Geist aufgibt oder wenn’s Probleme mit den Generatoren in Hallion gibt. Irgendwo geht immer wat kaputt und damit wa hier anständig leben, ham wa eben Sorge zu tragen, dat der Laden hier net auseinander fällt. Hier unten sind wa auf uns allein gestellt. Da kommt keiner runter und hilft. Ansonsten ist wirklich Schicht im Schacht. Ey Hiram!“ rief er nun dem Hünen zu. „Haste vielleicht den 8er irgendwo gesehen?“ Daraufhin begann der Riese zu suchen und warf ihm schließlich den gesuchten Schraubenschlüssel zu. Leaks fing ihn auf und steckte ihn in seinen Werkzeuggürtel. „So, ich geh dann mal zum Speisesaal. Ich brauch jetzt ganz dringend nen Kaffee. Kannst ja dein Zeug schon mal rüberbringen und gleich nachkomm. Ich halt n Platz frei für dich. Hiram, kommste auch, oder willste schon gleich los?“ Der 44-jährige sah kurz auf seine Uhr und überlegte. Dann aber erhob er sich mit einem fast schon zufrieden wirkenden Lächeln und antwortete „Die Zeit kann ich mir ruhig nehmen.“ Mello betrachtete die beiden mit gemischten Gefühlen. Sah, wie glücklich sie zusammen waren und wie sie miteinander lachten. Und in dem Moment fühlte er wieder diesen Stich in seiner Brust, als er daran dachte, dass er die Chance auf so ein Glück wahrscheinlich für immer verspielt hatte. Mit gemischten Gefühlen nahm er die CDs und die CD-Spieler brachte die Sachen zu seinem Zimmer. Im Anschluss kam er dann ebenfalls in den Speisesaal und unterhielt sich noch ein wenig mit Leaks und Hiram, bis dann schließlich Frühstückszeit war. Es gab belegte Brote und Kaffee oder Tee. Nach der Stärkung begann die Arbeit für Mello. Da Hiram zu einem Einsatz musste, war es nun Mellos Job, Leaks ein wenig unter die Arme zu greifen und er war auch froh darüber. So hatte er wenigstens etwas zu tun. Da Leaks aufgrund seines recht schmächtigen Körpers auch nicht sonderlich viel an Muskeln hatte (er selbst gab auch zu, ein Schwächling zu sein), schleppte Mello den Werkzeugkasten, was ja für ihn kein Problem war. „Schon seit ich klein war, also noch kleiner als jetzt, da konnt ich nie Muskeln aufbau’n. Ich war ständig der Schwächste von allen, meine beiden Brüder hingegen waren immer Mordskerle mit so Riesenmuckis. Fast so wie Hiram, nur net ganz so groß.“ „Und wie kommt das?“ „Wahrscheinlich weil ich’n Frühchen war, kein Plan… Ich kam so verdammt früh zur Welt, dass ich die Hälfte meiner Kindheit im Krankenhaus verbracht hab. Aber letzt’n Endes hab ich et doch zu wat gebracht. Mag sein, dass ich Muckis wie’n Kind hab, aber wat Technik angeht, da macht mir keiner wat vor. Wenn de nix an Muckis hast, dann haste deine Stärken eben woanners.“ Sie gingen durch eine Zahl an Gängen und erreichten schließlich einen etwas abgelegenen Korridor, wo sich ein Raum mit einem Schild an der Tür befand, auf dem „Technik“ drauf stand. Leaks öffnete die Tür und sogleich sah Mello mehrere Stromkästen und technische Anlagen. „Von hier aus wird dat mit dem Strom geregelt. Abends wird die Versorgung reduziert, um zu verhindern, dat die Generatoren heiß lauf’n und überlast’n. Als ich hier ankam, waren schon zwei kaputt und es at verdammt lang gebraucht, bis ich das wieder reparieren konnt. Also wir machen dat jetzt folgendermaß’n: ich schraub die Kiste auf und schau nach, warum dat mit dem Empfang spackt und du gehst mir dabei zur Hand. Ich werd’ dir schon noch erklär’n, wat de zu tun hast.“ Damit begannen sie nun ihre Arbeit und Mello tat das, was Leaks ihm alles auftrug. Sie verstanden sich auf Anhieb sehr gut und als sich auch noch herausstellte, hatte er ein gewisses Geschick, was solche Arbeiten betraf. Auf Leaks’ Nachfrage erklärte er, dass er selber schon an seinem Motorrad geschraubt hätte, da er den Mechanikern in der Werkstatt nicht traute und sie als abgebrühte Abzocker bezeichnete. Nachdem er das erzählt hatte, wollte Leaks ihn noch etwas auf die Probe stellen und ließ ihn ein paar Kabel auswechseln und selbst das bekam Mello ohne Mühe hin. Der 28-jährige nickte schließlich zufrieden und meinte „Du hast Talent. Also dich könnt ich inner Werkstatt gut gebrauch’n. Und ich glaub, wir beide komm auch so ganz gut miteinander aus, ne?“ Das Angebot nahm er gerne an und insgeheim war er froh, dass er was zu tun hatte und Leaks kein Problem damit hatte, dass er ein „Penumbra“ war. Aber insgeheim beschäftigte ihn noch eine Frage: „Warum gehst du mir nicht aus dem Weg so wie die anderen? Hast du keine Angst, angesteckt zu werden?“ „Net so wirklich“, erklärte der Mechaniker schulterzuckend. „Mein Bruder Harvey hatte AIDS, da lernt man mit so wat zu leben und wenn de wirklich gefährlich wärst, dann hätte der Boss dich net hergeschickt. So seh’ ich dat jedenfalls und Hiram ist stark genug, um Umbra platt zu mach’n.“ Schließlich aber, als sie nach knapp drei Stunden Arbeit den Verstärker wieder zum Laufen gekriegt hatten, gönnten sie sich eine Pause und gingen zu den Aufzügen und fuhren hoch zur Ebene 2, nachdem sie ein Paket aus dem Lager geholt hatten. „Das ist ne Sonderlieferung, die will ich Echo gerne persönlich bring’n. Hat verdammt lang gebraucht, um es zu krieg’n.“ Nachdem sie die zweite Ebene erreicht hatten, folgte Mello ihm und kam zu einem Raum an, der ihm bekannt vorkam. Und tatsächlich: als die Tür geöffnet wurde, sah er Echo auf einem Bett sitzen und Morph war bei ihm, der einen Arm um ihn gelegt hatte und mit ihm zusammen lachte. Als der Rothaarige den Blick hob und Leaks und Mello sah, schwand dieses Lächeln wieder, was aber hauptsächlich an Mello lag, den er nicht ganz so gut leiden konnte. „Yo Morph, spielste wieder Babysitter?“ scherzte Leaks und grinste dabei frech. „Das könnte ich eher dich fragen“, entgegnete der Japaner und nahm seinen Arm von Echo weg. „Hast du was für mich?“ „Für dich net, aber für Echo.“ Der blinde 16-jährige war sprachlos, als er das hörte und war natürlich absolut neugierig, was er denn bekam. Leaks öffnete das Paket und es stellte sich heraus, dass es ein Blindenstock war. „Jetzt kannste dich deutlich besser zurechtfinden und stürzt nicht wieder die Treppen runter.“ Als der klein geratene Mechaniker den fragenden Blick bei Mello bemerkte, erklärte er „Als Echo sich mal verirrt hat, isser die Treppen runtergesegelt und hat sich den Arm gebroch’n. War ne echt schlimme Sache. Er hatte Glück, dasser sich dat Genick net gebroch’n hat.“ Leaks drückte Echo den Blindenstock in die Hand, welcher ihn neugierig betastete. Dann stand er auf und begann sich damit zu orientieren, was ihm erst mal ein wenig schwer fiel, da er sich sonst immer über sein Gehör zurechtgefunden hatte. Er hatte noch sichtlich Mühe und es würde eine Umstellung bedeuten, aber er schien sich sichtlich über sein Geschenk zu freuen. „Super, damit geht es jetzt noch besser. Hey Morph, können wir gleich mal ein wenig spazieren gehen?“ „Klar, kein Problem. Danke übrigens für die Lieferung. Sind eigentlich schon die beiden Funkgeräte repariert?“ „Die bring ich heute Abend vorbei, wenn se fertig gecheckt sind. Ich musste die Kontakte auswechsel’n, die war’n durch die Säure komplett kaputt.“ Mello entging nicht, dass Morph immer wieder zu ihm herübersah und wahrscheinlich hatte es unter anderem mit seinem Halsband zu tun. Er fragte sich, was dieser Kerl wohl für eine Beziehung zu Matt hatte und warum sich dieser so für ihn einsetzte. Hatten sie vielleicht mal etwas miteinander gehabt? Als er daran dachte und ein Bild vor seinen Augen auftauchte, zog sich seine Brust schmerzhaft zusammen und zugleich fühlte er neben dem Schmerz auch etwas anderes. War es Wut? Nein, es war Eifersucht. Ja, er war eifersüchtig auf diesen Kerl, der eine so enge Beziehung zu Matt hatte. „Morph, können wir kurz alleine reden?“ Alle Beteiligten waren etwas überrascht, als Mello das sagte, doch da erhob sich auch schon Echo und begann nach Leaks zu suchen. „Leaks, begleitest du mich kurz?“ „Null Problemo. Aber schlagt euch ja net die Zähne ein, ihr beiden, klar?“ Damit verließen die beiden das Zimmer und Morph und Mello waren nun allein. Der Japaner kratzte sich kurz hinterm Ohr und wirkte ein klein wenig ungeduldig. „Was willst du mit mir besprechen?“ Mello musste tief durchatmen, um nicht schon wieder doch hitzig zu reagieren und wieder zuzuschlagen. Aber er konnte einfach nichts dran machen, dass dieser Kerl die Eifersucht in ihm weckte. „Ich wollte wissen, was da zwischen dir und Matt ist. Habt ihr was miteinander?“ „Spielt das eine Rolle?“ fragte der Journalist etwas hinterlistig und seine Augen ruhten wachsam auf Mello, als wollten sie irgendetwas erspähen, was ihn verraten könnte. Manchmal war dieser Kerl ihm wirklich unsympathisch, aber andererseits durfte er auch nicht außer Acht lassen, dass Morph ihm das Leben gerettet hatte, als sie von Umbra attackiert worden waren. „Soll das hier ein Spielchen werden?“ „Für einen Petboy, der den alleruntersten Rang im Gefängnis einnimmt zusammen mit den 170ern und Sittichen bist du ganz schön vorlaut.“ „Ich lass mich eben nicht gern für blöd verkaufen und was für einen Rang ich hab, ist mir eh scheißegal.“ Doch Morph dachte nicht daran, so schnell mit offenen Karten zu spielen. Nein, er schien Mello eher testen zu wollen und hakte weiter nach. „Ich dachte, Matt ist für dich nur ein guter Freund, mit dem du ab und zu mal in die Kiste springst und das war’s. Dann kann es dir doch eigentlich komplett egal sein, wenn ich etwas mit ihm habe. Ich würde mich jedenfalls sehr gut um ihn kümmern.“ Nun reichte es Mello endgültig. Er packte Morph am Kragen und funkelte ihn angriffslustig an. „Lass bloß die Finger von ihm, klar? Mag sein, dass ich verdammt viel Scheiße gebaut habe und Matt das Herz gebrochen habe, weil ich nicht wusste, dass er Gefühle für mich hatte. Aber ich werde garantiert nicht einfach so zulassen, dass sich ein anderer an ihn ranschmeißt.“ „Und wieso?“ fragte Morph und schien nicht sonderlich von Mellos Drohgebärden beeindruckt zu sein. Der Kerl hatte echt Nerven aus Stahl. Und als der 24-jährige sah, dass es dem Japaner verdammt ernst war, was er sagte, da platzte es einfach aus ihm heraus. „Weil ich ihn liebe und nicht zulassen werde, dass ich ihn für immer verliere, verdammt noch mal.“ Morphs Miene blieb unbewegt. Es war schwer festzustellen, was er gerade dachte oder fühlte und ob er sonderlich von Mellos Liebesgeständnis überrascht war. Dann aber stahl sich ein ungläubiges Lächeln auf seine Lippen. „Und wie kommst du zu der überraschenden Einsicht? Hattest du über Nacht eine Erleuchtung oder rührt es einfach nur von der Tatsache her, dass du Matt nicht gehen lassen willst und ihm sein neues Glück nicht gönnen kannst?“ „Tu nicht so, als wüsstest du, wer ich bin, klar? Ich weiß, dass ich Matt mies behandelt habe, aber ich muss mich noch lange nicht vor dir rechtfertigen.“ „Das mag stimmen, aber ich will Matt vor weiteren Enttäuschungen beschützen und so aggressive und gewaltbereite Typen kenne ich zur Genüge. Sie beteuern immer ihre Liebe und versprechen, sich zu bessern. Aber letzten Endes prügeln sie doch ihre Partner krankenhausreif, wenn ihnen irgendetwas gegen den Strich geht.“ „Ich bin kein Schläger!“ „Und was war, als du Matt verprügelt oder mir eine reingehauen hast? Wenn du so weitermachst und nicht endlich mal an deinem Verhalten arbeitest, dann wird Matt nur wieder verletzt werden und das werde ich ganz sicher nicht zulassen. Er soll nicht dieselben Erfahrungen machen müssen wie ich und von dem Menschen verraten werden, den er geliebt und dem er blind vertraut hat.“ Hier kühlte sich Mellos Temperament schlagartig ab, als er das hörte. Er sah, dass sich Morphs Blick verändert hatte. Enttäuschung und Schmerz über einen unfassbaren Verrat waren ihm anzusehen und nun begann er zu verstehen, was dahintersteckte. Sogleich beruhigte er sich wieder und ließ von ihm ab. „Was ist passiert?“ Morph richtete seinen Hut und setzte sich nun ebenfalls. „Ich war verheiratet. Meine Eltern haben mich recht schnell an die Frau gebracht, als sie gemerkt haben, dass ich auf Männer stehe. Naja… eigentlich bin ich eher bisexuell, aber das hat für meine Familie, die sehr konservativ war, keinen Unterschied gemacht. Ich war gezwungen, diese arrangierte Ehe einzugehen, da ich sonst aus der Familie verstoßen geworden wäre. Zuerst haben Haruna und ich nur zusammengelebt und es existierte nur eine freundschaftliche Basis. Aber dann haben wir uns verliebt. Ja ich habe sie wirklich geliebt, bis sie dann hinter mein Geheimnis kam und das konnte sie mir einfach nicht verzeihen, insbesondere da wir eine gemeinsame Tochter hatten. Ihr Vater war bei der KEE und so haben die mich abgeholt und nach Down Hill gebracht. Meine Tochter werde ich höchstwahrscheinlich nie wieder sehen, meine Familie hat mich verstoßen… man könnte mich fast schon als gescheiterte Existenz bezeichnen, wie so viele hier in Down Hill. Ich hab nur einer Person je meine Geschichte erzählt und selbst da habe ich gelogen, um die Gefühle dieser Person nicht zu verletzen.“ Diese Geschichte war echt hart und ging selbst an Mello nicht spurlos vorüber. Aber jetzt verstand er wenigstens, warum Morph so feindselig auf ihn reagierte und wieso er Matt unbedingt beschützen wollte. „Wie bist du damit klar gekommen?“ „Man muss die Dinge einfach akzeptieren wie sie sind. Etwas anderes bleibt einem hier auch nicht übrig. Ich versuche nach vorn zu sehen und das Beste aus meiner Situation zu machen. Matt ist ein sehr guter Freund für mich und als wir ihn damals aufgegabelt haben, war er mehr tot als lebendig. Es grenzte an ein wahres Wunder, dass er überlebt hat und selbst danach ging es ihm richtig beschissen.“ „Aber… ihr seid jetzt nicht zusammen, oder?“ Morph musste in diesem Moment lachen und holte ein Päckchen Zigaretten heraus, nahm sich eine und zündete sie an. „Nein, wir sind nur gute Freunde. Falls es dir noch nicht aufgefallen ist: ich bin mit Echo zusammen.“ Mello runzelte überrascht die Stirn. „Ist er nicht etwas jung?“ „Hier in Down Hill gibt es so einige Paare mit großem Altersunterschied. Leaks ist zum Beispiel 16 Jahre jünger als Hiram. Und für uns spielt das Alter eh keine Rolle. Leaks pflegt dann immer zu sagen: Wat sich liebt, dat liebt sich halt. Und wenn du Matt wirklich liebst, dann hoffe ich für dich wirklich ernsthaft, dass du ihm nicht schon wieder wehtust. Ansonsten bekommst du es mit mir zu tun.“ „Schon kapiert… Aber sag mal, wie kommt Echo eigentlich her? Er war doch erst 12 Jahre alt als er hergebracht wurde und wie ein Psychopath sieht er mir nicht aus.“ „Tja… er war der Sohn einer sehr einflussreichen Politikerfamilie. Und diese wollte sich dem Kira-Regime nicht beugen, sondern hat sich für die Demokratie engagiert und sich gegen die Diktatur gestellt. Sie waren quasi die Leitfigur der Opposition und aus dem Grund hat man sie aus dem Weg geräumt und Echo, der damals noch zu jung war, um eine ernste Gefahr darzustellen, wurde dann nach Down Hill gebracht. Er kam zum gleichen Zeitpunkt wie Matt hier an und den Rest der Geschichte kennst du ja. Sie wurden von Sigma und Scarecrow Jack in den Westblock verschleppt, Echo verhalf deinem Freund zur Flucht und wurde dann selbst seiner Augen beraubt. Zusammen mit Christine und Hiram hab ich dann den Westblock gestürmt und Echo da rausgeholt, bevor Jack sich an ihm vergehen konnte. Danach war er bei Dr. Helmstedter in Behandlung und ich hab mich seitdem um ihn gekümmert. Tja, zuerst war es eben nur der Beschützerinstinkt, dass ich mich um ihn gekümmert habe und als Echo schließlich älter wurde, da kamen auch andere Gefühle. Richtig zusammen sind wir aber noch nicht lange.“ „Wenn Echo so viel erlebt hat… wie kann er dann noch so unbeschwert sein?“ „Das ist einfach seine Art. Er versucht immer tapfer zu sein und konnte sich anscheinend schon immer sehr gut an neue Situationen anpassen und die Dinge so akzeptieren wie sie sind. Und außerdem…“ Ein Schrei von draußen unterbrach den Journalisten sofort und er sprang auf, Mello ebenso. Sie eilten auf den Flur raus und sahen auch schon Birdie, die völlig durch den Wind war und auf sie zugerannt kam, bis sie dann ungünstig auftrat und vornüber zu Boden stürzte. „Birdie, was ist los?“ „Im Labor!“ rief die Ärztin hektisch und rappelte sich wieder auf. „Im… im Labor ist eingebrochen worden und alles ist zerstört! Die ganzen Geräte, die Blutproben! Und jemand hat Rhyme niedergeschlagen.“ Sofort eilten Morph und Mello los, um sich das näher anzusehen. Sie erreichten schließlich das Labor und sahen schon anhand der Tür, dass sie gewaltsam aufgebrochen worden war. Neben der Tür lag Rhyme, der eine blutende Wunde am Hinterkopf hatte und ohne Bewusstsein war. Während Mello versuchte, Rhyme wieder aufzuwecken, ging Morph im Labor nachsehen. Und was er sah, war ein einziges Bild der Zerstörung. Sämtliche Messgeräte, Glasbehälter, Mikroskope und weitere Utensilien waren komplett zerlegt worden. Mehrere Flüssigkeiten, die in den Reagenzgläsern aufbewahrt worden waren, verteilten sich in großen Pfützen auf dem Tisch und auf dem Boden und vermischten sich miteinander. Auch das Umbra-Blut war davon betroffen. Morph war erst mal vollkommen sprachlos, als er dieses Chaos sah und zuerst verstand er auch nicht so wirklich, was das zu bedeuten hatte und wieso jemand das Labor zerstören wollte. War es vielleicht Umbra gewesen? Nein, das war eher unwahrscheinlich. Es hätte Rhyme sofort getötet und nicht extra das Labor zerstört. Wieso denn auch? Tja… das mussten sie noch in Erfahrung bringen. Erst mal galt es, Mello von hier wegzubringen, bevor er noch ins Visier der anderen geriet. Außerdem musste er Alarm auslösen. Er wandte sich an den 24-jährigen, der sich noch um Rhyme kümmerte. „Mello, geh sofort wieder nach unten. Ich ruf gleich den Alarm aus und wenn sie dich noch hier finden, gibt es wieder nur Ärger. Und lass dich die nächste Zeit besser nicht mehr hier blicken.“ Da Mello lieber Schwierigkeiten vermeiden wollte, befolgte er Morphs Ratschlag und eilte zu den Aufzügen hin. Er beschloss, lieber nicht auf Leaks zu warten, sondern schnellstmöglich nach unten zu kommen. Irgendjemand hatte das Labor verwüstet und sämtliche Proben ruiniert. Irgendwie beschlich ihn das Gefühl, als wüsste er bereits, wer dahinterstecken könnte. Kaonashi und die anderen hatten ja angedroht, dass sie nicht zulassen würden, dass Helmstedter an das Umbra-Gen herankommen würden. Und nun war all das hier zerstört worden, wodurch weitere Forschungen nicht mehr möglich waren. Mello war sich sicher, dass das Kaonashis Werk war. Und Rhyme war in dem Moment leider zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Na hoffentlich war die Verletzung nicht allzu gravierend. Kaonashi und Horace waren durch den Lüftungsschacht dank Fivers Führung wieder sicher nach Pardarail gelangt, hatten sich aber, nachdem sie weit genug von Efrafa entfernt waren, doch ziemlich gestritten. „Wie oft soll ich dir eigentlich noch sagen, dass du dich da raushalten sollst?“ rief Kaonashi mit deutlicher Verärgerung in der Stimme, doch den Psychologen juckte das im Moment wenig. „Ich wollte dir helfen, klar? Alleine wärst du nie auf die Idee gekommen, Rhyme niederzuschlagen, damit er aus dem Schneider ist und der Verdacht nicht auf ihn fällt. Naja, zumindest wird das diese Pfeifen aus Efrafa von seiner Spur ablenken, aber Helmstedter wird wahrscheinlich erst mal misstrauisch bleiben. So leicht lässt der sich ja auch nicht an der Nase herumführen.“ „Trotzdem… deine Einmischung war mehr als unnötig und so langsam platzt mir auch echt der Kragen mit dir. Ich wäre echt dankbar, wenn du auch nur ein einziges Mal auf das hörst, was ich dir sage.“ „Jetzt sei doch nicht gleich so eingeschnappt. Ich kann auf mich aufpassen und ich weiß, wann es zu gefährlich ist. Aber du glaubst doch wohl nicht im Ernst, ich sitz einfach nur seelenruhig rum und lass dich alles allein machen. Wozu wären wir denn sonst zusammen? Doch wohl nicht, um nur miteinander zu schlafen.“ „Dir ist schon klar, dass Fiver alles hört, oder?“ Der 17-jährige, der vorausgegangen war, kroch einfach weiter und schien sich nicht sonderlich an dem Gespräch zu stören. „Er ist doch selber mit Sezru zusammen und er ist kein kleines Kind mehr. So und jetzt lass uns dieses leidige Thema doch einfach beenden. Es reicht schon, dass wir genug Zeit gewonnen haben. Bis die neues medizinisches Equipment zusammengesammelt haben, dauert es noch eine ganze Weile und mit dem Umbra-Blut kann Helmstedter auch nicht mehr herumspielen. Jetzt müssen wir uns nur überlegen, wie wir weitermachen sollen.“ „Erst mal abwarten. Die in Efrafa sind jetzt in Alarmbereitschaft und da wäre es eh gefährlich, wenn wir uns wieder dort blicken lassen. Und? Hast du Mello schon als Informant gewinnen können?“ „Ich denke schon“, antwortete Horace und gab Fiver Bescheid, dass sie weitergehen konnten. Sie erreichten nun den Schacht, der senkrecht nach unten führte und so begannen sie nun langsam mit dem Abstieg. „Nachdem ich ihm unser Vorhaben erklärt habe, hat er mir einige Informationen gegeben, die Matt betreffen und ich hab auch schon mit Clockwise darüber gesprochen. Ich erzähl dir aber gleich alles in Ruhe, wenn wir wieder zurück sind. Aber so wie es aussieht, scheint Helmstedter noch an etwas anderem zu arbeiten außer an Umbra. Nur ist mir nicht ganz klar, was das für einen Zweck erfüllen soll.“ „Erzähl es mir am besten jetzt, dann kann ich mir wenigstens schon mal ein paar Gedanken dazu machen.“ So erzählte Horace ihn von Mellos Informationen und dessen Beobachtungen, was Matts Verhalten anging. Hier aber hielt Kaonashi inne und auch wenn sein Gesicht nicht zu sehen war, so wusste Horace dennoch, dass das Gesicht seines Jugendfreundes sehr ernst geworden war. „Da klingelt bei mir etwas“, murmelte dieser schließlich und nun war auch der Schauspieler neugierig geworden. „Ach ja? Woran denkst du gerade?“ „Erinnere dich doch an den Komponisten. Bei ihm wurden doch bestimmte Teile seines Hirns mit denen seines Zwillingsbruders operativ transplantiert und wir konnten auch keinen genauen Sinn darin erkennen. Und jetzt entwickelt er eine Methode, mit der er verlorene Erinnerungen wachrufen kann…“ „Meinst du, darin besteht ein Zusammenhang?“ „Ich bin mir nicht sicher, aber es könnte zumindest sein, dass sie auf ein und derselben Idee beruhen, die Helmstedter verfolgt. Er will anscheinend irgendetwas über Erinnerungen herausfinden und ich vermute, dass ihm dies sogar noch wichtiger ist als das Umbra-Projekt.“ „Und woher willst du das wissen?“ „Keine Ahnung. Das sagt mir einfach mein Gefühl. Und ebenso sagt mir mein Gefühl auch, dass Mello speziell dafür nach Down Hill gebracht wurde: weil er beobachten will, ob es auch tatsächlich funktioniert. Vermutlich war Matt nur ein einfaches Testobjekt gewesen so wie der Komponist, aber trotzdem sollten wir verstärkt ein Auge auf ihn haben. Man weiß ja nie, was der Doktor als Nächstes im Schilde führt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)