Warum erwachsen werden von Amunet ================================================================================ Kapitel 42: Kapitel 42 ---------------------- Er träumte. Von süßen Küssen und von sanften Händen, die zärtlich über seinen Körper strichen. Ihn berührten, als wäre sein Leib etwas ganz besonders, als wäre er etwas ganz besonderes. „Warte“, sagte er, denn er wollte wissen, wer da war und ihn so liebevoll behandelte. Fast glaubte er, dass es Samantha, seine Verlobte, wäre, doch die großen Augen, die ihn ansahen, gehörten zu einem hübschen Knaben. „Wer bist du?“, wollte er wissen, doch der Junge lächelte ihn nur keck an und fragte stattdessen: „Wer bist du?“ „Ich… Ich weiß es nicht.“ Der Träum löste sich langsam auf. Bäume und Gräser, sogar der kühle Bach, in dem er saß, verwandelten sich in weiche, weiße Wolken. Doch bevor auch er sich verwandeln konnte, erwachte er. Sonne blendete ihn. Es musste später Nachmittag sein. Er blinzelte ein paar Mal, ehe er bemerkte, dass er auf einem Schiff war. Seinem Schiff. Der Jolly Roger. Trotz des Nachklangs seines Traumes wusste er, wer er war. Er war Kapitän James Hook, Schrecken der Meere, Pirat aus Ehre. Erst als ein Geräusch aus dem anderen Ende des Zimmers zu hören war, erkannte er, dass er sich nicht alleine im Raum befand. „Wer da?“, begehrte er und richtete sich auf. Schmerz, der seine Atmung lähmte, brachte ihn dazu, erneut in die Kissen seines Bettes zu sinken. „Ich bin es, Kapitän.“ Smee schob sich in sein Blickfeld. „Was ist passiert?“ „Wir haben Euch zurück aufs Schiff gebracht. Blackbeard… hatte Euch verletzt.“ Hooks Arm, an welchem der Haken fehlte, wollte zu seiner Verletzung tasten, doch war es ihm nicht möglich. Aber er brauchte es auch nicht. Selbst ohne hinzusehen, wusste er, dass Blackbeards Dolch die Narbe, die er Samantha verdankte, aufgerissen hatte. Seine Wunde war geöffnet und schmerzte mehr wegen der seelischen Komponente, als vor körperlichem Schmerz. Es kostete viel Energie, um weiterhin mit Smee zu sprechen. „Ist Blackbeard vernichtet?“ „Aye, Kapitän. Blackbeard ist wie alle anderen Geister in der Höhle verdampft. Pan war es, der die Idee mit den Spiegeln hatte.“ „Pan“, sagte James leise und riss sich wiederum zusammen. „Wie lange war ich bewusstlos?“ „Drei ganze Tage.“ „Drei Tage“, wiederholte er die Worte, als hätten sie eine Bedeutung. Blackbeards Frage hallte in seinem Kopf. „Was glaubst du, wie lange Pan sich noch an dich erinnert?“ James musste es wissen. Musste wissen, ob Pan gegangen war. Ob er ihn vergessen würde. Den Mut, zu fragen, hatte er jedoch nicht. Smee seinerseits, war schon von jeher gut darin gewesen, die Gedanken seines Kapitäns erahnen zu können. Also sprach der Bootsmann von alleine, als er den traurigen Blick Hooks bemerkte, welchen dieser so dringend zu verbergen versuchte. „Er ist zurück zu den verlorenen Jungen. Wir haben ihn gehen lassen.“ „In Ordnung“, krächzte James, dessen Kehle mit einem Mal staubtrocken war. Peter hatte ihn also verlassen. Irgendwie glaubte er nicht, dass der Junge nochmals zu ihm zurückkehren würde. Nur auf die Wucht des Schmerzes war er keineswegs vorbereitet gewesen, den diese Erkenntnis mit sich brachte. Das war doch lächerlich! Er war James Hook, der erklärte Feind von Peter Pan. Weshalb schmerzte sein Herz dann so, weil dieser verführerische Teufel weg war? „Ihr solltet etwas essen und trinken, damit Ihr wieder zu Kräften kommt“, meinte Smee und stellte ein Tablett mit Speisen auf den Nachttisch, nur um Hook einen Kelch mit Wasser an die Lippen zu führen. Gierig trank James, bis er sich verschluckte. „Wie viele Männer haben wir dort verloren?“ „Drei. Wir hatten großes Glück.“ „Wir sollten schleunigst neue Männer anheuern. Bei den Indianern haben wir auch schon ein paar Mann verloren.“ „Aye, Kapitän. Ich werde mich darum kümmern.“ „Gut. Jetzt lass mich alleine.“ „Wie Ihr wünscht, Kapitän“, entgegnete Smee und ging zur Tür. Den Griff bereits in der Hand, drehte er sich nochmals zu James, der ihn verwundert ansah. „Was noch?“ „Ihr sollt wissen, dass das, was Blackbeard in der Höhle sagte, nicht wahr ist. Wir wussten immer, dass er Euch nicht entehrt hat. Wir wussten, dass Ihr niemals seine Hure wart. Und selbst wenn er Euch gezwungen hätte, das Lager mit ihm zu teilen – ein Mann mit größerer Ehre, als Ihr sie tragt, ist mir noch nie begegnet.“ James fühlte sich merkwürdig bei diesen Worten. So viel Demütigung hatte er unter Blackbeard ertragen, so viel Verachtung gefürchtet. Nun zu hören, dass es immer jemand gab, der im Stillen an ihn geglaubt hatte, war erleichternd. „Danke, Smee“, sagte er und in einem weiteren stillen Einverständnis nickten sie sich zu, ehe Smee die Kajüte verließ. Nun war es an James, sich einen dieser wenigen Momente zu gönnen, in dem er seinen Gefühlen freien Lauf ließ. Er hielt die Tränen, die aus seinen Augenwinkeln flossen, nicht auf. Lediglich seinen Arm legte er über die Augen. James weinte stumm und ruhig. Er weinte vor Erleichterung, weil er wusste, dass der Mann, der ihn so viele Jahre tyrannisiert hatte, endgültig besiegt war. Weinte, weil sein früheres Leben als James Anthony Malloray und sein Leben als James Hook sich vermischten und ihn durcheinander brachten, aber er weinte auch, weil Peter Pan gegangen war. Und während sein Kummer ihn gefangen hielt, schlief er abermals ein. oooOOOooo Peter saß am Lagerfeuer und sah den verlorenen Jungs zu, wie sie halbnackt darum tanzten. Sie imitierten die Tänze und den Gesang der Indianer auf eine recht treffende Art und Weise. Er selbst tanzte nicht mit, doch er spielte auf seiner Flöte. Wie lange hatte er dies schon nicht mehr getan? Die Melodie war fröhlich, vermischte sich mit dem Lachen der Jungen und doch fühlte sie sich falsch an. Ohne dass Peter es bemerkte, veränderte sich sein Spiel. Die Töne, zuvor stark und kräftig, wurden weicher, fast schon zart. Erst jetzt war es sein Herz, das die Musik erschuf. Sein Spiel schwebte sanft zwischen dem Trommelschlagen und war kaum zu hören, doch die Magie, welche er dabei erzeugte, liebkoste die verlorenen Jungen, die sich seltsam an die warme Umarmung ihrer Mütter erinnert fühlten. Trommeln und Tanzen verstummte und die Jungen, die sich mit einem Mal nach der Nähe eines liebenden Menschen sehnten, setzten sich um das Feuer, Hand in Hand. Sie sprachen nicht, denn ein jeder von ihnen hing seinen eigenen Gedanken und Erinnerungen nach. Red Curly sah sich im Garten seines Elternhauses auf einer weißen Decke sitzen. Seine Mutter saß hinter ihm und während seine ältere Schwester ganz aufgeregt von dem netten, jungen Mann erzählte, der ins Nachbarhaus gezogen war, kämmte seine Mutter ihm die roten Locken. In seiner Erinnerung konnte er zwar nicht die Gesichter erkennen, aber er konnte sich durchaus daran erinnern, wie weich und liebevoll die Hände seiner Mutter in seinem Haar waren. Der kleine Tweety, der sonst kaum eine Minute seinen Mund halten konnte, schwieg, während er an die Vögel dachte, die im Wohnraum seines Zuhauses lebten. Es waren keine exotischen Vögel, wie sie auf Nimmerland lebten, sondern schlichte, freche Spatzen, so wie sie im Sommer auf den Bäumen saßen und die Kirschen klauten. Aber Tweety hatte die Vögel immer besonders geliebt und ihnen heimlich Brotkrummen in den Käfig geworfen, die er beim Frühstück gesammelt hatte. Seine Mutter hatte ihn mehr als einmal dabei erwischt, aber mit einem neckischen Zwinkern hatte sie das Geheimnis für sich behalten. In Kugels Gedanken schwebten Torten. Große Torten, kleine Torten. Bunte Torten und einfarbige. Kugels Eltern waren Inhaber einer kleinen Konditorei und während Kugels Vater den Ofen feuerte, um die Böden zu backen, hatte Kugel immer im Verkaufsraum helfen dürfen, wo seine Mutter, eine kleine, rundliche Frau, die Waren feilsch geboten hatte. Sie hatte ein warmes, helles Lachen und immer, wenn Vater nicht hingesehen hatte, hatte sie Kugel etwas Süßes zugesteckt und ihn zum Spielen nach draußen geschickt. Marti und Danny hatten keine Mutter, denn sie waren in einem Waisenhaus aufgewachsen und dort gab es nur eine Mutter Oberin. Mutter Oberin war eine strenge, harte Frau. Keines der Kinder im Heim bekam eine Extrawurst. Sie wurden alle gleich behandelt, von den großen zu den ganz kleinen. Ein jeder hatte seinen Beitrag zu erbringen und wer gegen die Regeln verstieß, wurde bestraft. Aber Marti und Danny hatten rasch gemerkt, weshalb Mutter Oberin so war. Ihr Herz war voller Liebe und Mitgefühl und sie ertrug es nicht, wenn es einem Kind auch nur schlecht ging, so hatte sie von ihrem eigenen Ersparten Marti die Brille gekauft und aus ihrer Mitgift, welche sie als Nonne wahrlich nicht länger gebrauchte, Danny die Kuscheldecke geschenkt. Sie beide dachten an die Opfer, welche Mutter Oberin für sie erbracht hatte. Sleepy hingegen war in einem wohlhabenden Haushalt aufgewachsen. Er hatte alles besessen, wovon Kinder nur träumen konnten. Puppenwagen, Bälle und sogar ein Fahrrad. Doch was ihm stets gefehlt hatte, waren seine Eltern. Immerzu waren diese beschäftigt und so hatte Sleepy sich angewöhnt, viel zu schlafen, denn wann immer er schlief, waren seine Eltern bei ihm. In seinen Träumen hielt seine Mutter ihn im Arm und summte ihm ein Lied, während sie ihn hin und her wog. Daran erinnerte sich Sleppy am liebsten. Peters Lied verebbte mit leisen Tönen. Ein Seufzen stahl sich auf seine Lippen und als er die Augen, welche er in den letzten Minuten geschlossen gehalten hatte, öffnete, sah er, dass seine Freunde eingeschlafen waren. Es sah so drollig aus, wie sie aneinander gekuschelt vor dem Feuer lagen und selig schlummerten. Das Lächeln, das über sein Gesicht huschte, war schwermütig. Obwohl er hierhin gehörte, fühlte er, dass er sich verändert hatte. Seine Zeit mit Hook hatte ihn geprägt. Fast war es, als würde ein Teil von James in ihm stecken. Ihn erfüllen und deshalb hatte er auch das Gefühl, dass ihm der Mann fehlte. Er stand auf, sah zum Himmel. Die Nacht war dunkel, aber klar. Sterne funkelten belustigt zu ihm hinunter, als wollten sie ihn mit ihrem Strahlen aufheitern, doch Peter lächelte nicht. Seine Gedanken hingen noch immer bei James. Tief atmete er die frische Nachtluft ein. Etwas in seinem Inneren erfüllte ihn und er erkannte ein Wort, welches ihm bisher von der Bedeutung fremdgeblieben war – Sehnsucht. Peter war nicht entsetzt über seine Erkenntnis, doch er wollte dieses Gefühl loswerden. Vielleicht sollte er einfach eine Runde fliegen. Nirgends spürte er die Freiheit stärker als in den Momenten, in denen er durch die Lüfte glitt. Mit einem wehmütigen Blick sah er auf die verlorenen Jungen, die noch immer selig schliefen, und schob seine Flöte in die Tasche an seinem Gürtel. Es kam ihm so unendlich lange vor, dass er das letzte Mal neben seinen Freunden gelegen und geschlafen hatte, obwohl in Wahrheit erst wenige Tage vergangen waren. Mit einem Ruck straffte er sich, vertrieb jeden weiteren melancholischen Gedanken und erhob sich. Augenblick spürte er einen Hauch von Erlösung. Je höher er stieg, umso losgelöster wurde er. Mit geschlossen Lidern schoss er nach oben, drehte sich um seine eigene Achse, bis er abrupt die Arme ausbreitete und sich rückwärts fallen ließ. Aber Peter fiel nicht. Er trieb durch die Luft, ähnlich einem Schwimmer, der rückwärts schwamm. Sein Blick ruhte nun auf den weiterhin funkelnden Sternen. Jetzt erst erwiderte er ihr Lächeln. Und obwohl er wieder die Freiheit fühlte, konnte er James nicht aus seinem Kopf drängen. Die Bilder waren nun jedoch andere. Peter durchlebte die Momente süßer Verzückung von neuem und ihm wurde ganz warm ums Herz. Eine Möwe schrie, aufgeschreckt von seinem Arm, der eine der Palmen streifte. Ohne es zu bemerken, war Peter langsam abgesungen und hatte den Strand erreicht. Er drehte sich, damit er sah, wo er sich befand und sein Herz machte einen Hopser. Nur wenige hundert Meter vom Strand entfernt ankerte die Jolly Roger. James war zum Greifen nahe. Alles was es bedurfte, war, dass Peter über seinen Schatten sprang. Angespannt kaute er auf seiner Unterlippe. Sollte er wirklich an Bord gehen? Was, wenn James nun wirklich Hook war? Wenn er ihn erneut gefangen nahm? Sein Verstand schrie laut und deutlich „Nein“, aber sein Bauch… Sein Bauch sagte „Ja“ mit einer Vehemenz und einer Zärtlichkeit, die seinen Verstand niederdrängte. Peter flog auf die Jolly Roger zu. Fortsetzung folgt… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)