Was wirklich wichtig ist von Marron (Wettbewerbsbeitrag) ================================================================================ Kapitel 8: ----------- Das Glas unter meinen Fingern ist kalt, aber das bemerke ich kaum. Stattdessen starre ich auf die Person, die da im Bett liegt. Ich bin nicht darauf vorbereitet gewesen, dass er eine Sauerstoffmaske trägt. Als der Arzt meinen Gesichtsausdruck gesehen hat, hat er mir erklärt, dass Takaos Lungenflügel zusammengefallen sei durch die Verletzung und auch eine Lungenarterie getroffen wurde. Nicht allzu schlimm, aber doch heftig genug, um lebensgefährlich zu sein. Jetzt müssen sie abwarten, ob sich seine Lunge erholt. Ich presse die Hand fester an das Glas und trete näher. Blass ist er – was wohl auch kein Wunder ist. Aber ich sehe, wie sich seine Brust hebt und senkt und das beruhigt mich ungemein. Der Seufzer lässt das Glas beschlagen, so nah stehe ich daran. „Wie lange wird es dauern, bis er wach wird?“, frage ich mich selbst und springe beinahe hoch, als mir jemand antwortet: „Etwa Morgen oder Übermorgen, denke ich. Je nachdem, wie er die Sache verträgt“ Ich sehe über meine Schulter und der Arzt von eben sieht mich entschuldigend an. Scheinbar weiß er, dass ich ihn völlig vergessen hatte. „Ich wollte Sie nicht erschrecken, junger Mann. Ihr Freund hat gute Chancen, er wird es schon schaffen.“ Ich nicke nur und sehe noch einmal in das Zimmer. Hatten sie, diese Weißkittel, das mir nicht auch schon damals gesagt? Mein Vater ist trotzdem gestorben...Ich schlucke schwer und zwinge meine Gedanken in eine andere Richtung. Takao ist nicht mein Vater, welcher damals nicht mehr leben wollte, er ist mein bester Freund. Meine Gedanken bleiben an diesem Begriff hängen. Mein bester Freund. Sind wir nicht schon was anderes? Er weiß doch noch gar nicht, dass ich sein Geheimnis kenne, wieso sollte er auch? Ich werde also mit ihm reden müssen... „Gehen Sie besser und ruhen Sie sich aus. Ihr Freund würde nicht wollen, dass Sie alle hier bleiben.“ Eigentlich hat der Mann Recht, aber ich kann mich nicht richtig hier losreißen. Am liebsten würde ich in das Zimmer gehen und mich neben Takao setzen. Ich will seine Hand halten, will da sein, wenn er aufwacht. Aber ich bin so erschöpft und emotional mitgenommen, dass ich wohl für heute wirklich nicht mehr viel hinkriegen würde. Also nicke ich und begebe mich zurück zu den Anderen. Zwei Tage später haben sie Takao auf ein Einzelzimmer verlegt und warten darauf, das er aufwacht. Die Polizei war da, weil sie klären wollten, ob es wirklich nur ein Unfall war. Dass die überhaupt davon wissen liegt daran, dass Hitoshi verzweifelt eine Vermisstenanzeige hatte aufgeben wollen. Dank Takaos Bruder sitzen uns also diese Nervensägen im Nacken. Wir sind abwechselnd in seinem Zimmer, immer ein oder zwei von uns zur selben Zeit. Der Rest kümmert sich um Takaos Großvater, der durch die Umstände einen schweren Schock bekommen hat und sich erst erholen muss. Hauptsächlich Hiromi macht das, wobei ich denke, sie würde eine wundervolle Krankenpflegerin abgeben. Ich habe ich darauf bestanden, allein hier zu sein. Wenn er aufwacht, will ich nicht, dass alle sehen, wie ich dann aussehe. Jetzt sehe ich aus dem Fenster und beobachte die Leute unten im Park, der hier angrenzt. So viele Familien gehen dort spazieren, so viele Paare. Wieso habe ich nie bemerkt, wie viele Leute wirklich Hand in Hand durch die Gegend laufen? „Wie lange willst du noch da stehen und schweigen?“ Ich mache einen Satz nach oben und fahre auf dem Absatz herum. Takao liegt zwar immer noch im Bett, aber seine Augen sind offen. Ein schwaches Lächeln ziert sein Gesicht und er spielt mit den Fingerspitzen an der Bettdecke herum. „Hey“, macht er leise. Mein Kopf ist wie leer, was immer ich auch sagen wollte, ich habe es vergessen. Ich hole Luft, öffne meinen Mund und überlege, was ich sagen soll. „Hey“, entfährt es mir dann dämlicherweise, „Wieder wach?“ Na großartig, stell ruhig das Offensichtliche klar, Hiwatari! Manchmal bin ich echt ein Idiot. „Ja, ich denk schon. Aber ich bin irre müde.“ Ich schnaube leise. Er sollte froh sein, dass er überhaupt noch hier ist. Ich bleibe am Fenster stehen – irgendwie möchte ich im Moment noch Abstand zu ihm haben, ich will meine Gefühle kontrollieren – und verschränke die Arme vor der Brust. Mit einem mahnenden Blick sehe ich ihn an und er zieht den Kopf leicht ein. „So schlimm?“, fragte er, aber ich gehe auf seinen Tonfall nicht ein. Er will sich bewegen, zuckt dann aber zusammen. „Au! Was ist denn passiert?“ Oh ja, spiel ruhig das Klischeè des Opfers mit Amnesie aus! „Du bist eine Klippe runtergesaust und hast dich selbst aufgespießt!“, sage ich tonlos. Er sieht mich an und schweigt, ich ebenfalls. Nach vollen fünf Minuten erst erhebt er wieder die Stimme, als er wegsieht. „Na schön, sag's ruhig.“ „Was soll ich sagen?“, frage ich. Er zieht einen Schmollmund. „Dass ich ein Idiot bin, der es besser wissen müsste. Dass ich mit meiner Aktion mal wieder Blödsinn gemacht habe. Sowas in der Art.“ Ich hebe eine Augenbraue hoch. „Was sollte das bringen? Du hörst doch eh nicht auf mich.“ Er schweigt wieder und nestelt beinahe manisch an der Decke herum. „Hast du dir Sorgen gemacht?“, fragte er. Meine andere Augenbraue geht mit hoch diesmal. „Natürlich, was dachtest du denn?!“ Er beißt sich auf die Lippe und seufzt. Bilde ich mir den Funken Freude gerade ein? „Aha, gut zu wissen.“ Ich lege den Kopf in den Nacken und stöhne auf. „Wir haben uns alle gesorgt. Der Rest genauso, wie ich auch.“ Jetzt dimmt es seine Freude etwas. „Oh, na klar. Ja, danke.“ Ich begreife, dass er meine Worte falsch gedeutet hat. Er denkt, ich sehe in ihm nur einen Freund, sonst nichts. Soll ich das ändern? Habe ich überhaupt ein Recht dazu, jetzt daran zu denken? Oder sollte ich nicht besser schweigen? Ich denke kurz nach und sehe ihn dabei an. Die Traurigkeit, die er zu verstecken versucht, nimmt mir meine Entscheidung ziemlich schnell ab. Ich gehe zu ihm und setze mich auf den Stuhl neben seinem Bett. „Hör mal, ich hab dich gefunden, also sag mir, was los ist.“ Takaos Blick schnellt zu mir. „Du?“ Er klingt ungläubig. „Ja, du Hirni! Und jetzt rede mit mir!“ Natürlich läuft es nicht so, wie ich das gerne hätte und natürlich bin ich sauer. Ich atme tief durch und versuche, meine Gefühle in meine Stimme zu legen: „Du hast mich furchtbar erschreckt.“ Takao wird doch tatsächlich rot. „Oh, das wollte ich nicht. Ich dachte nur, wir könnten ja alle mal so trainieren, wie normalerweise nur die anderen. Also, ich wollte so trainieren, wie Ray das normalerweise bei sich zu Hause tut, im Wald. Aber ich bin in einen Teil gekommen, wo ich mich nicht mehr auskannt. Und dann war Dragoon weg.“ Ich nicke, das klingt logisch bis hier hin. Er spricht zögernd weiter: „Und ja, ich erinnere mich an die Klippe. War nen ziemlicher Plumps, ich habe ein paar Minuten gebraucht, um wieder aufzustehen. Aber ich wollte wieder hoch klettern, um zu euch zurück zu kommen, da muss ich wohl abgerutscht sein.“ Er sieht mich an und wartet wohl darauf, dass ich ihm den Rest erzähle. Ich seufze schwer. „Tja, dabei muss du auf einen Stein gefallen sein. Der steckte in deiner Schulter.“ Seine Augen werden groß. „Oh, echt?“ Ich nicke erneut. „Puh!“ „Das kannst du laut sagen, du Dummkopf!“ Er lacht leise und stöhnt dann leicht auf. „Au, Mensch, sogar lachen tut gerade weh!“ Er klingt richtig empört, was niedlich ist. „Dann musst du eben aufpassen“, sage ich und überlege, dass ihm bestimmt wieder langweilig werden wird. „Ich könnte ja was lesen, bis ich wieder fit bin. Dann nervt mich Hiromi auch nicht so sehr.“ Takao grinst mich an und ich denke, dass müsste mein Stichwort sein. „So, wie das Buch, dass du heimlich gekauft hast?“ Bei seinem entsetzten Gesichtsausdruck muss ich lächeln. „D-das hast du gesehen?“ Ich verbeiße mir ein Lachen. „Ja.“ Er überlegt lange. Wahrscheinlich, was er sagen will. „Und auch drin gelesen?“ Jetzt lache ich auf. „Ja.“ Er wird erst rot, dann blass. Ängstlich weicht er ein Stück zurück. „Das war nicht – du darfst das nicht falsch verstehen! Also, ich wollte-“ „Halt doch mal die Klappe!“, unterbreche ich ihn. Takao schweigt und sieht mich an. Jetzt müsste ich eigentlich was sagen, aber ich weiß nicht, wo ich den Mut hernehmen soll. Wie haben das nur all die Menschen vorher hinbekommen? Wie war das mit meinen Eltern? Woher kam deren Mut? Ich hole Luft, halte sie an und stoße sie dann wieder aus. Was jetzt? Takao wird unruhig, er will wissen, was los ist. Ich begreife, dass er genauso nervös ist, wie ich. Wahrscheinlich leidet er gerade tausend Tode, weil ich nicht reagiere. „Weißt du, ich bin froh, dass ich es gesehen habe.“ Seine Augen werden groß und er hebt den Kopf. „Was meinst du damit?“, fragt er atemlos und hoffend. Das Klopfen an der Tür rettet mich vor einer zu kitschigen Antwort. Ray kommt herein und sieht überrascht aus. „Takao! Du bist wieder wach! Oh, super, das müssen die anderen wissen!“ Ich stehe auf und nicke. „Ich sag's ihnen“, meine ich nun und gehe aus dem Zimmer. „Kai!“, kommt es von dem Japaner und ich muss grinsen, während ich nicht stehen bleibe. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)