Was wirklich wichtig ist von Marron (Wettbewerbsbeitrag) ================================================================================ Kapitel 7: ----------- Wie lange sitzen wir schon hier und warten? Ich weiß es nicht, aber es kommt mir vor, als wäre es eine Ewigkeit. Selbst Hiromi hat schon aufgehört zu schniefen, weil es so lange dauert. Ich sitze neben ihr und daneben sitzt Makkusu. Ray sitzt ihm gegenüber und den letzten freien Stuhl belegt Hitoshi, der mittlerweile auch hier ist. Am Anfang hat er ziemlich rumgemosert und geflucht, warum wir dieses oder jenes nicht getan hätten, aber es ist nun mal so gelaufen. „Warum haben wir eigentlich Takao nicht auf dem Handy angerufen?“, fragt Ray plötzlich und wir sehen ihn alle an. „Was?“, fragt Makkusu zurück. „Sein Handy. Kyoujou hat ihn doch auf dem Handy angerufen und er ist das eine Mal rangegangen. Wieso eigentlich nicht noch mal?“ Der Braunhaarige schnauft. „Das habe ich versucht, aber es kam die Ansage, er sei nicht zu erreichen. Wahrscheinlich war sein Akku alle, das ist er fast immer.“ Ich schnaufe leise. Typisch Takao, der vergisst immer, sein Handy aufzuladen! „Und warum habt ihr nicht gleich einen Notarzt gerufen?“, braust Hitoshi zum zweiten Mal auf. „Weil wir nicht klar denken konnten!“, wehrt Ray sich und sieht zu mir. Ich nicke müde. „Ich habe nur daran gedacht, ihn zu finden“, sage ich ehrlich und sehe auf meine Hände, die ich zu Fäusten geballt habe. Erschöpft sackt Hitoshi wieder zurück in seinen Sitz und streicht sich über sein Gesicht. „Immerhin ist er jetzt hier, das ist alles, was zählt.“ Na, das hat er aber früh gemerkt! Ich sehe erneut zu der verschlossenen Doppeltür hinüber, als mich ein Gedanke sticht: Was mache ich eigentlich, wenn Takao wieder aufwacht? Und er wird aufwachen, da bin ich mir ganz sicher. Soll ich überhaupt mit ihm reden? Der Rest wird ihn eh vereinnahmen. Ich setze mich auf und überlege. Wenn ich daran denke, dass ich Takao verlieren könnte (und solange ich nur hier sitzen kann, ist das durchaus im Bereich des Möglichen), durchzieht meine Brust ein stechender Schmerz, der mir das Atmen schwer macht. Nein, ich will ihn nicht nur nicht verlieren, ich kann ihn nicht verlieren. Ich brauche ihn, damit ich leben kann. Das ist mir jetzt klar, wo ich Zeit habe, darüber nachzudenken. Mein Blick geht zu Ray, der mir gestern noch etwas gesagt hat. Ein Ereignis, das mich klar sehen lässt. War es wirklich erst gestern gewesen? Es kommt mir so weit weg vor. Die Türen gehen auf und wir springen alle auf. Ein Arzt sieht in die Runde. „Takao Kinomiya?“, fragt er und wir treten einen Schritt näher. „Ich bin sein Bruder“, erklärt Hitoshi fest. „Dann kommen sie mal kurz“, meint der Mann und sie gehen ein Stück. Jetzt erst sehe ich, dass es zwei Türen gibt, die in einem gewissen Abstand zueinander angebracht sind und die Intensivstation mitsamt OP vom Rest des Krankenhausganges trennen. In diesem Zwischenraum stehen Takaos großer Bruder und der Weißkittel jetzt und unterhalten sich. Aus der ersten Miene des Mannes kann ich nichts schließen und ich sehe Hitoshi an. Der wirkt erst entsetzt und ich werde schon nervös. Dann wandelt sich sein Gesichtsausdruck zu ernst und schließlich zu erleichtert. Ich entspanne mich nur minimal – bis ich Takao gesehen habe und selbst höre, dass er wieder wird, werde ich gar nichts glauben und schon gar nicht der dummen Hoffnung nachgeben. Bisher wurde ich immer verletzt, wenn ich gehofft habe, ich bin es leid. Nach ein paar Minuten kommt Hitoshi wieder. Er streicht sich die Haare aus der Stirn und seufzt. „Er hat gesagt, Takao hätte die Operation gut überstanden. Noch sei nicht alles im Lot, aber er hat gute Chancen. Er ist auf jeden Fall erst einmal außer Lebensgefahr.“ Ich stoße den Atem aus, den ich unbewusst angehalten habe. Takao lebt! Das ist das Einzige, was jetzt zählt. „Gott sei Dank!“, murmelt Hiromi neben mir und Makkusu lacht erleichtert auf. „Das ist gut zu hören“, meint Ray. Hitoshi sieht ihn und dann auch mich an. Ich ziehe eine Augenbraue hoch, als ich dem Blick standhalte. „Was?“, frage ich. „Danke“, sagt er und sieht weg, „Dass ihr so schnell reagiert habt. Und dafür, dass du ihn gefunden hast, Kai.“ Ich blinzele verwirrt. Was soll ich damit anfangen? Was sagt man auf sowas bitte?! Solche Worte haben mir noch nie gegolten, ich bin nicht der Typ, bei dem man sich bedankt. Meine Wangen werden warm, hoffentlich sieht das niemand. „Ehm,...schon gut.“ Ich sehe weg und seufze leise. „Woher wusstest du eigentlich, wo er ist?“, fragt Makkusu und sieht mich neugierig an. Bin ich jetzt dank Hitoshi zum interessantesten Gegenstand mutiert, oder was? „Das Vogelgezwitscher war auf der anderen Seite der Leitung. Da habe ich gedacht, er ist wohl im Wald.“ Ich sage es einfach, ich habe nicht mehr die Kraft heute, noch lange Erklärungen abzugeben. Eigentlich will ich nur meine Ruhe haben. „Er hat dir gesagt, dass er schon mal im Wald da oben war? Da gehen die wenigsten Leute hier hin.“ Können sie nicht wann anders danach fragen? Ich bemühe mich, meine Stimme unter Kontrolle zu halten: „Ja, du und er, ihr seid doch ständig da oben gewesen, um vor eurem Opa zu flüchten, oder nicht? Daher wusste ich es“ Hitoshi mustert mich mit einem verwirrten Blick. „Aber...das haben wir nie jemandem erzählt. Weil es unser geheimes Versteck war und so. Seit wann weißt du das?“ Ich hebe die Schultern. Keine Ahnung mehr. „Wollen wir eigentlich hier bleiben?“, fragt Hiromi in die Runde, „Wenn wir eh nicht zu ihm können und es noch ein paar Tage dauert, können wir hier auch nichts ausrichten, oder?“ „Ich möchte kurz zu ihm“, erkläre ich völlig unvermittelt. Alle sehen mich an, als hätte ich den Verstand verloren, aber ich fixiere erneut Hitoshi. Ich habe Takao gefunden, er ist mir was schuldig dafür. Der sieht mich überrascht an, lenkt dann aber ganz plötzlich ein: „Okay, okay, wenn du unbedingt willst, kann ich mal fragen. Erhoff dir aber nicht zu viel“ Ich nicke und sehe zu, wie er durch die Türen verschwindet. Eine lange Diskussion später kommt er wieder. „Du darfst nur bis zur Zimmertüre und ihn durch das Fenster sehen, alles andere geht nicht. Willst du immer noch?“ Es scheint so, als hoffe er, dass ich nein sage. Aber ich erhebe mich und nicke. Hätte nie gedacht, dass ich noch einmal durch diese Türen gehe... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)