Was wirklich wichtig ist von Marron (Wettbewerbsbeitrag) ================================================================================ Kapitel 6: ----------- Von da an geht alles ganz schnell. „Makkusu, Kyoujou, ihr bleibt hier und gebt den anderen Bescheid! Ray, du kommst mit mir!“, sage ich schlicht und renne los. Ich höre, wie der Chinese mir folgt und beschleunige noch etwas. „Weißt du, wo wir hin müssen?“ „Ja“, sage ich über die Schulter und sehe ihn aus den Augenwinkeln nicken. Er vertraut mir!, denke ich und bin irgendwo froh darum, Sie alle vertrauen mir. Tatsächlich weiß ich wirklich, wo ich hin muss – zumindest die Richtung stimmt. Takao hatte mir vor langer Zeit mal erzählt, dass er und sein Bruder sich vor dem Schwerttraining in den Wald geflüchtet sind, welcher nahe ihres Hauses beginnt. Das Vogelgezwitscher kam bestimmt von dort, jedenfalls fällt mir nichts anderes ein. Ich spurte den Hügel rauf und weise nach links. „Nimm du die Seite, ich kümmere mich um die andere, wenn du was findest, ruf mich an!“ Ray nickt und verschwindet zwischen den Bäumen. Ich wirbele herum und laufe ebenfalls los. Leider sind die Bäume hier sehr dicht und ich sehe kaum fünf Meter weit. Das dichte Gestrüpp macht es auch nicht besser. Obwohl...ich bleibe stehen und zwinge mich zur Ruhe. Ja, wirklich, hier sind einige Äste abgebrochen und es finden sich grasfreie Stellen am Boden. Takao war hier! Ich spurte weiter, eine beißende Dringlichkeit sitzt mir im Nacken. Meine Gedanken beschäftigen sich mit immer neuen Horrorszenarien, laufen im Kreis und stechen wie ein Schwarm Bienen. Die Zeichen, welche ich voller Hoffnung immer wieder finde, führen mich immer tiefer zur dunkelsten Stelle, die ich hier je gesehen habe. Warum müssen sie eigentlich immer genau da hinrennen? Ich muss ein völlig unpassendes Murren unterdrücken. Wenn der Trottel sich nur verlaufen hat und ich ihn nach Hause bringen soll, werde ich ihn so richtig leiden lassen! Der Gedanke, dass es sich um eine solche Lappalie handeln könnte, ist schön beruhigend und lässt meinen Magen entspannen. Ich mache einen Satz über einen niedrigen Busch – und finde mich wild mit den Armen rudern und um Gleichgewicht bemühend am Rande eines Abhangs wieder. Als ich wieder sicher stehe, blicke ich über die Stadt. Huh, so hoch sind wir also schon? Ich habe die Ansteigung kaum bemerkt. Doch ich sehe Takao nicht. Ein, zwei Mal rufe ich seinen Namen, aber es kommt keine Antwort. Meine Hände umfassen Dranzer in meiner Tasche fester. Wo soll ich ihn denn noch suchen, Partner?, frage ich mein Bitbeast stumm und spüre eine sanfte Wärme. Wenigstens mein Bitbeast scheint mich zu verstehen. Der Bitchip leuchtet auf und ich runzele die Stirn. Was für ein Feuerwerk hat Dranzer denn jetzt vor? Weit unten nehme ich allerdings ein zweites Leuchten wahr. Es ist blau und der Aufschrei, welcher kurz ertönt, erinnert mich verdammt an Dragoon. Mein Blick fliegt nach unten und da liegt er. Auf einem Vorsprung, bewusstlos und in einer dicken Blutlache, die seine Kleidung noch dunkler erscheinen lässt. Ich halte die Luft an, doch trotzdem entweicht mir ein entsetzter Aufschrei. „Takao! Oh mein Gott!“ Mein erster Instinkt ist es, sofort nach einem Weg zu suchen und nach unten zu stürzen, damit ich ihm helfen kann, aber ich atme tief durch und versuche, normal zu denken. Immer eins nach dem anderen, sage ich mir und schnappe mir mein Handy. Ray geht schon nach dem ersten Klingeln ran. „Ich habe nichts. Du vielleicht?“ „Komm rüber!“, herrsche ich ihn an, „Ich habe ihn – und es sieht schlecht aus!“ Glücklicherweise habe ich bei dem Baum, an dem ich die ersten Anzeichen entdeckt habe, einen Pfeil mit Dranzers Metallring gemacht. Genauso, wie bei jeder Richtungsänderung, den Weg findet Ray also sicherlich. Doch bis er da ist, renne ich auf und ab und sehe immer wieder runter zu dem Blauhaarigen, der sich gar nicht mehr zu bewegen scheint. Nach scheinbar ewigen Minuten prescht Ray durch die Büsche und ich muss ihn festhalten, damit er nicht auch nach unten segelt. Er sieht mich fragend an und ich nicke nach unten. Sein Gesicht wird weiss, als er unseren Freund so sieht. „Wir müssen da runter!“ „Und wie?“, frage ich nervös. Ray sieht sich um und dreht sich ein paar Mal im Kreis dabei. Schließlich deutet er auf einen Baum, dessen Wurzel bis über den Rand gewachsen sind. „Wir sollten daran herunterklettern und uns dann von dem Vorsprung dort“, er deutet auf ein anderes Stück Stein ganz in der Nähe von Takao, „weitergehen. Mit einem kleinen Sprung geht das. Schaffst du das?“ Er sieht mich an und ich nicke nur, presse die Lippen fest aufeinander und beäuge die Wurzeln. Ein schöner Weg wird das nicht gerade, aber es muss sein. „Wie genau kriegen wir ihn eigentlich wieder rauf?“, frage ich dann, während ich mit beiden Händen die Wurzel fest umschlinge und nach unten den Abstand zu Ray schätze, der schon vorgeklettert ist. „Wir rufen einfach einen Notarzt, aber vorher sollten wir klären, wo Takao verletzt ist, meinst du nicht auch?“ Ich schnaufe, als ich mich fallen lasse und unten ankomme. Ray ist so ruhig, dass ich mir fast hysterisch vorkomme, so unsicher kenne ich mich selbst gar nicht. Aber es ist gut zu wissen, dass ich die Kontrolle auch ruhig mal abgeben kann. Takao atmet zwar noch, aber das viele Blut lässt bei mir Übelkeit aufkommen, als wir uns zu ihm knien. Meine Hände fahren in der Luft über seinem Körper hoch und runter und ich will schon seine Schulter anheben, als Ray mich aufhält. „Seine Schulter!“ Ich sehe genauer hin und entdecke einen spitzen Stein, der nach oben ragt und sich in den Japaner gebohrt hat – direkt unter seinem Schlüsselbein ist er wieder zum Vorschein gekommen und spießt ihn regelrecht auf. „Das Ding muss raus!“, meine ich mit fester Stimme, aber erneut hält der Chinese mich zurück: „Nein, Kai! Takao würde verbluten! Am besten ist es, wenn wir seine Beine hochlegen und ihn warm halten, damit ist ihm am Besten gehölfen!“ Ein schneller Blick sagt mir, dass hier nichts ist, worauf wir seine Beine legen könnten, also ziehe ich meine Jacke aus und knautsche sie zusammen. Vorsichtig schiebe ich sie unter seine Beine und seufze leise, als seine Hände zucken. Er scheint nur bewusstlos zu sein, aber noch nicht soweit, gleich zu sterben. Ray zieht seine Jacke ebenfalls aus und legt sie sacht um Takaos Wunde herum auf dessen Oberkörper. Ich hole tief Luft und sehe ihn an. „Glaubst du, du kommst zurück?“ Er nickt nur, sein Gesicht ist genauso angespannt, wie meines. „Dann geh und sag den anderen Bescheid. Ich bleibe hier und warte so lange. Ruft einen Notarzt und schickt ihn her.“ Ray nickt und erklimmt den Weg wieder zurück, was ihm nicht schwer fällt, hat er doch in einem Bergdorf gelebt. Oben bleibt er allerdings stehen. „Wie sollen wir dich finden?“ Ich unterdrücke ein neues Schnauben. „Sag Kyoujou, er soll mein Handy orten, das geht am Schnellsten!“ Er nickt und verschwindet. Ich jedoch wende mich um und sehe in das blasse Gesicht, welches ich so lieb gewonnen habe. So viel Blut, wie kann da noch etwas in seinem Körper übrig sein? Ich weiß zwar, dass ich ihn nicht berühren sollte, aber ich presse trotzdem meine Hand auf die Wunde, achte aber darauf, den Stein nicht zu berühren. „Wag es ja nicht, jetzt zu sterben, kapiert?“ Ich spüre, wie Tränen in mir aufwallen. Ich hätte nie gedacht, dass alles so kommen würde. Vor wenigen Tagen war mein Leben noch so, wie ich es kannte. Ich hatte meine Freunde, ich hatte mein Training, ich hatte meine Sicht der Dinge. Was bin ich doch für ein Dummkopf!, denke ich und muss zynisch lächeln,Meine Weltansicht geriet ins Wanken, du hast mich verändert und ich weiß nicht mehr, was richtig ist. Mein Gefühl? Meine Vernunft? Ich will es wissen, aber du gibst keine Antwort. Während mir sein Blut über die Finger läuft und ich die Uhr für Takao lauter ticken höre, hoffe ich auf das Beste. Wenn du es jetzt nicht schaffst, wer soll dann das Licht für meine Dunkelheit sein? Ich beuge mich über ihn und presse meine Hände fester nach unten. Tu mir das nicht an, wenn ich dich doch brauche! Wo bleiben sie? Irgendwo, weit in der Ferne, höre ich die Sirenen näher kommen, während über uns die Vögel fröhlich singen...Sie haben einen Hubschrauber geschickt, denn ich höre eindeutig Rotorblätter, die schnell schlagen. Über mir höre ich Ray aufgeregt rufen. „Hier, hier sind sie!“ Ich sehe nach oben und entdecke den schwarzen Haarschopf. Neben ihm kommt Hitoshi zum Vorschein. Als er uns sieht, wird er grünlich im Gesicht. „Outoto!“, brüllt er und beugt sich so weit nach vorne, als wolle er nach hier unten springen. So muss ich vor wenigen Minuten auch ausgesehen haben, als ich Takao entdeckt habe. „Bleibt oben!“, herrsche ich ihn an. Es bringt uns überhaupt nichts, wenn sich Hitoshi jetzt auch noch verletzt. Eine fremde Männerstimme: „Ich sage meinen Kollegen Bescheid.“ Die Stimme entfernt sich etwas mit Richtungsangaben. Der Hubschrauber taucht direkt vor uns auf und ich werfe mich halb über Takao, damit er vor dem Wind geschützt ist. Keine Ahnung, ob das wichtig ist, aber ich will nicht, dass die Kleidung an der Wunde zerrt. Ich hocke noch immer so da, als sich einer aus dem Ding mit der Winde herablässt und neben mir in der Luft hängt. „Ganz ruhig, Junge, wir wollen deinem Freund nur helfen.“ „Das weiß ich“, erwidere ich durch zusammengebissene Zähne. Ich bin vielleicht im Moment besorgt und leicht panisch, aber ich bin nicht blöd. Mit zitternden Armen richte ich mich auf und gebe ihm genügend Platz. Der Mann sieht sich alles fachmännisch an und zückt eine Art Zange, mit der er unter Takaos Körper geht und den Stein durchzwickt. Ich muss mir auf die Lippe beißen, als ich sehe, wie die Wunde stärker blutet und spüre mein Frühstück in meinem Magen rumoren. Meine Sicht verschwimmt und ich nehme nichts mehr wirklich wahr, bis ich neben Takao im Helikopter sitze und auf die Trage herunter starre, auf der er liegt. Fast ohne meinen Willen finden meine Hände einen von seinen und ich halte sie fest umschlungen, versuche, ihm etwas von meiner Wärme zu geben, denn seine Finger sind eiskalt, beinahe wie die einer Leiche. Wir fliegen direkt zum Krankenhaus, ich sehe die anderen also nicht wieder, bis ich vor der Tür der Intensivstation stehe und nicht weiß wohin mit mir. „Kai“, höre ich eine Stimme und als ich mich umdrehe, steht Hiromi mit tränenverschmiertem Gesicht vor mir. „Ist es schlimm?“, fragt sie und wischt sich erfolglos über die Wangen. „Takao schafft das schon“, gebe ich monoton von mir und sehe zurück zur Tür, die mir wie das Tor zu einer anderen Welt erscheint. Ich balle die Hände zu Fäusten und höre das Blut in meinen Ohren rauschen. Genau, sage ich mir, Takao schafft das schon. Er wird mich nicht allein lassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)