Was wirklich wichtig ist von Marron (Wettbewerbsbeitrag) ================================================================================ Kapitel 5: ----------- Erst, als ich am nächsten Tag den Dojo betrete, merke ich, dass etwas nicht stimmt. Ich habe ernsthaft überlegt, mich für die nächsten Tage nicht mehr blicken zu lassen, wie ich es früher auch schon getan habe. Immer, wenn ich nachdenken will, will ich dafür allein sein, aber etwas zieht mich wieder hier hin. Ganz, als ob er ein Magnet sei, der mich zum metallischen Gegenpart gemacht hat. Ich betrete das Grundstück ganz normal, höre aber nicht die typischen Kampfgeräusche. Sofort werde ich leicht wütend, weil sie ohne mich anscheinend nicht ordentlich trainieren. Mit einer Strafpredigt auf den Lippen zerre ich also die Tür zum Dojo auf und sehe mich um. Kyoujou sitzt in der Ecke und umklammert seinen Laptop, Makkusu sitzt im Schneidersitz auf dem Boden in einer anderen Ecke und sieht missmutig aus. Ray steht an die Wand gelehnt da und beißt sich gerade sorgenvoll auf die Lippe. „Was ist los?“, frage ich und nur Ray sieht auf. „Ach, du bist das“, murmelt er, in Gedanken wohl wo anders. Ich hebe eine Augenbraue und warte. „Takao ist nicht da.“ Ich unterdrücke bei Makkusus Einwurf ein Schnauben. Natürlich, ich habe schon längst gesehen, dass er nicht da ist – worüber ein Teil von mir ganz froh zu sein scheint. Ich bin erleichtert, ihn noch nicht zu sehen. Daichi und Hiromi fehlen auch, aber die zwei interessieren mich nicht. „Und?“ „Er ist nirgens“, erläutert Ray und klingt ehrlich besorgt. Meine andere Augenbraue wandert nach oben. Kyoujou meldet sich zu Wort: „Wir haben uns heute morgen gewundert, wo er bleibt. Als Hitoshi nachsehen ging, fiel ihm auf, dass Takaos Zimmer leer ist. Und er ist jetzt schon seit zwei Stunden überfällig, da sind Hiromi, Daichi und Hitoshi suchen gegangen. Bis jetzt ohne Erfolg.“ Er lässt den Kopf hängen und seufzt traurig. Mein Magen zieht sich zusammen. „Handy?“ „Er geht nicht ran“, meint Makkusu und bewegt sich sonst nicht. Merkwürdig, das ist doch sonst nicht seine Art. Wo ist der schon so früh hin? Ich drehe mich wortlos um und gehe ins Haus. Ich will mich selbst davon überzeugen, dass er nicht da ist. Im Erdgeschoss ist nichts, außer einem sehr besorgten und ängstlichen Großvater. Ich nicke ihm zu und setze meinen Weg fort. Ich denke nicht, dass etwas passiert ist, wahrscheinlich ist Takao irgendwo unterwegs und hat einfach nur die Zeit vergessen. Im ersten Stock steht seine Zimmertür leicht offen. Wie schon am Vortag gehe ich hinein und sehe mich um. Wie gehabt ist alles unordentlich – bis auf den Schreibtisch, welcher jetzt nahezu perfekt sauber ist. Irritiert gehe ich dort hin und sehe das Buch, das mich gestern so verwirrt hat, auf einem Stapel oben auf liegen. Ohne zu wissen, warum, schlage ich es auf und sehe die Seiten durch. Da ich gestern nicht auf die Seitenzahlen geachtet habe, weiß ich nicht, wo nach den Zeichnungen ich suchen muss und blättere eher nur so durch, als mir eine Seite ins Auge fällt und ich den Atem anhalte. Anscheinend ist das ein Gespräch zwischen den beiden Hauptfiguren gegen Ende der Geschichte. Ein Dialog ist dick unterstrichen: “You know, I didn't expect you to sing and dance when I'm gone, but what are you depressed about?“, he asked and looked at the youth right in front of him. „You don't know?“, was the bitter retort. A look of sheer surprise crossed the face of the older one. „What should I know?“ „That without you, I'm nothing. You changed me and I can not go back to who I was before. You're here and I'll smile because I am happy. You leave and I'll lose it.“ „Lose what?“ „The reason to be happy. Somehow, everything good is now connected to you being here. I want you to stay, I want you to feel like I do.“ The older one smiled slightly and decided to speak the truth: „Don't you know that you have altered me already? The day when you reached out to grab me, I felt safe for the first time. You pulled me out of my own darkness. I want to be here as much as you want me to stay.“ The younger looked up and a faint smile played around his lips. „I have nothing that could hold you.“ „You are everything that keeps me alive.“ He reached down and kissed his young companion softly on the lips. Ich starre erneut auf die Worte. Der Text des Älteren erinnert mich an den Moment, als ich am Baikalsee beinahe untergegangen wäre. Takao hat seine Hand ausgestreckt und mich gerettet. Ich muss daran denken, wie ich mich gefühlt habe. Akzeptiert, beschützt, sicher. Wie kommt es, dass ich so viel in diese Worte hinein interpretiere, welche von einem unbedeutenden Kerl einfach so dahingeschrieben worden sind? Seit wann kümmert mich das alles? Ich werfe das Buch wieder zurück auf den Schreibtisch und verschwinde in den Dojo. Dort sieht mich Ray erwartungsvoll an, aber ich schüttele nur den Kopf. Enttäuschung macht sich bei ihm breit und ich rolle mit den Augen. „Er ist sechzehn Jahre alt, er wird schon klar kommen.“ Meine Worte scheinen ungehört zu verhallen und ich beginne damit, sie alle zum Training aufzuscheuchen - welches nur schleppend vorangeht. Makkusu und Ray sind nicht bei der Sache, das merkt man sofort, Kyoujou sieht mehr auf sein Handy als auf seinen Laptop und je mehr Zeit verstreicht, desto unruhiger werden wir alle. Acht Minuten seit ich da bin. Makkusu ist raus und ich bin noch nicht einmal fähig, ihn anzufahren. Zwölf Minuten – Ray verzichtet auf eine Revanche und ich blicke schon wieder zur Uhr. Vierzehn Minuten – ich ertappe mich dabei, wie ich nervös meine Hände knete. Langsam aber sicher ergreift auch mich die Sorge. Sicher, Takao ist ein Chaot und nicht gerade für seine Pünktlichkeit berühmt, aber er ist noch nie einfach ohne Nachricht so lange fort geblieben. Zwanzig Minuten – Verdammt, Takao, wo bist du?! Mein Blick verliert sich und ich bin in Gedanken, wo er sein könnte, als Kyoujou aufkeucht. „Takao! Bist du da? Sag doch was!“ Ich fahre zu ihm herum wie jeder andere auch und sehe ihn an. Das Handy klebt an seinem Ohr und er wedelt hektisch mit der freien Hand. Wieder ruft er den Namen unseres vermissten Freundes. Ich gehe auf ihn zu und reiße ihm das Mobiltelefon aus der Hand, lege es an mein Ohr und höre doch nur Rauschen und Vogelgezwitscher. „Ich habe einfach noch mal angerufen, ich dachte, vielleicht hört er es ja doch. Jemand ging dran, aber es kommt sonst nichts“, erklärt der Junge mit der Brille und ich hebe eine Hand. „Sht!“ Ich lausche genauer und presse das Ding stärker an meinen Kopf. „Takao?“, frage ich und erhalte als Antwort einen Laut, der meiner Einschätzung nach ein Schmerzenslaut sein muss. Dann herrscht wieder Stille und ich erstarre. „Takao!“ Ich kann mich nicht halten, ich brülle in den Hörer hinein, meine Stimme überschlägt sich vor Sorge. Ein weiterer Laut: „...Kai? Hilfe...“ Mein Magen zieht sich zusammen und mir kommt beinahe mein Frühstück wieder hoch. Takao ist in Gefahr, hat auf jeden Fall Schmerzen – und er bittet mich um Hilfe! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)