70th Floor von ChiyoKa ================================================================================ Kapitel 1: Eine lange Nacht --------------------------- Nun waren wir schon so weit. Schon mehr als zwei Drittel der Ebenen hatten wir bereits gemeistert. Nun waren wir tatsächlich im 70er Bereich. Es war ein tolles Gefühl, so weit zu sein, doch je mehr wir schafften, umso höher wurde auch die Gefahr. Die Gefahr zu sterben. Dies wusste auch mein Mitkämpfer Kirito. Doch wenn wir nicht weiterkämpfen würden, würden wir ewig in diesem Spiel feststecken. Am nächsten Tag wollten wir also Ebene 70 in Angriff nehmen. Ich wusste nicht wieso, aber immer, wenn ein Level mit einer runden Zahl bevorstand, hatte ich besonders große Angst. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken, wenn ich nur daran dachte. Kirito wirkte äußerlich immer ziemlich taff, doch ich war mir sicher, dass auch er sich sehr vor den Level fürchtete. In dieser Nacht bekam ich wieder einmal kaum Schlaf. Es ging mir immer so, wenn ich ihn am meisten brauchen konnte. Ich ging zum Fenster des Schlafzimmers, um mir den dunkelblauen, mit Sternen versehenen Nachthimmel anzusehen. Er sah zwar wunderschön aus, doch in dem Wissen, dass es nur eine Computergrafik war, fand ich ihn gleich nicht mehr so toll. Da er mir keinen Trost schenkte, schloss ich das Fenster wieder und legte mich ins Bett. Dort konnte ich jedoch nicht lange bleiben, denn ich war unruhig und hatte den Drang, mich zu bewegen. Also drehte ich Kreise in meinem Zimmer. Bei jeder Runde ich auch übers Bett kletterte und versuchte an etwas Schönes, Beruhigendes zu denken. Ich kam mir irgendwie lächerlich vor, aber da mich keiner sehen konnte, war mir das egal. Nach einer Zeit legte ich mich wieder hin. Ich wusste nicht, wie lange ich im Kreis gelaufen und über das Bett gestiegen war, doch es muss mehr als eine halbe Stunde gewesen sein, denn ich war leicht erschöpft. Als ich auf die Uhr sah, war es erst 23:00 Uhr. Ich hatte eher etwas wie halb eins erwartet. Diese Nacht würde wohl noch lange dauern. Als ich eine Weile ruhig im Bett gelegen war, setzte ich mich auf. Ich saß etwa eine halbe Minute ruhig dort, denn erst dann bemerkte ich leise Atemzüge aus der hintersten Ecke des Zimmers. Vorsichtig sah ich dort hin. Da stand ein Wesen, welches mit dunklen Schuppen versehen war, die leicht im Mondlicht glänzten, dass durch das Fenster meines Zimmers fiel. Doch noch auffälliger als die Schuppen waren die Augen. Sie waren in strahlendes Weiß getaucht mit einer elliptischen Pupille und starrten mich an. Wie konnte das nur sein? Ich war doch sicher in einem Haus! Wie konnte dort ein Monster des Spieles eindringen? Zumindest hielt ich dieses Wesen für ein Monster. Ich wollte nach meinem Schwert greifen, das gleich neben meinem Bett auf dem Boden lag. Doch ich hatte Angst, dass mich das schuppige Tier angreifen würde, wenn ich mich bewegte. Also beschloss ich, dass ich meine Bewegungen zeitlupenartig machte. So bewegte ich mich ungefähr einen cm in 20 Sekunden. Irgendwann schien das Wesen zu merken, dass ich mich in einer anderen Position befand. Es tat einen Schritt nach vorne und neigte seinen Kopf näher zu mir. Ich konnte Flügel auf dem Rücken der Kreatur erkennen und stellte fest, dass es sich um einen Drachen handeln musste. Ich schwitzte vor Angst und wusste nicht, ob ich mich weiter in Zeitlupe bewegen sollte, schnell nach meinem Schwert greifen oder mich gar nicht rühren. Ich bewegte mich nicht, während ich darüber nachdachte. Mein Blick ruhte angestrengt auf der beflügelten Echse. Ich wusste, ich musste handeln, also stürzte ich mich schnell vom Bett und fasste mein Schwert. Ehe ich es hatte, war der Drache auch schon bei mir. Er stieg mit seinen Füßen, die mit riesigen Krallen besetzt waren auf mich. Um abzuwehren stieß ich mein Schwert hinein. Daraufhin stieß das Fabelwesen einen schrecklichen, lauten Schrei aus. Ich erschrak, doch mir war klar, dass ich keine Zeit während solchen Schockmomenten verlieren durfte. Mit einer flinken Rolle unter mein Bett zog ich mich und mein Schwert unter der Klaue des Drachen weg. Für wenige Sekunden war ich so sicher. Ich hatte einen Plan. Mein Feind war verletzt und ich war hier kurz sicher. Unter dem Bett rollte ich weiter bis ich auf der anderen Seite herauskam. So schnell ich konnte sprang ich auf, mit dem Schwert voraus, direkt auf den Drachen zu. An der Stelle, als meine Waffe ihn durchdringen sollte, stieß ich auf eine harte Stelle, die ich nicht hineinstechen konnte. Gleichzeitig erklang ein mir sehr bekannter Ton, als würde Metall auf Metall treffen. So etwas hatte ich nicht in meinen Plan einberechnet. Ich fiel zu Boden. Wieso konnte mein Schwert in den Fuß der Bestie stechen, jedoch nicht in den Rücken? Der Drache fing nun auch noch an Feuer zu speien. Ich hatte verloren. Als mein Gegner den Feuerstrahl auf mich richtete fiel mir die Lösung auf meine Frage ein. Kapitel 2: Was hast du denn geträumt? ------------------------------------- An der Unterseite des Fußes waren keine Schuppen! Für einen kurzen Moment war ich verwirrt. Ich lebte noch? Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, und ich mich umsah, bemerkte ich, dass ich auf dem Fußboden neben meinem Bett lag. Ich war schweißgebadet. Es muss wohl alles ein Alptraum gewesen sein und ich war dabei anscheinend heruntergefallen. Das war ein schrecklicher Traum, doch etwas Positives hatte die Sache allerdings. Denn ich war irgendwie vollkommen ausgeschlafen und hellwach. Von der Sonne war bereits ein dünner roter Streifen am Horizont zu sehen. Ich ging im Schlafanzug nach unten, wo Kirito bereits Umgezogen am Frühstückstisch saß. Darauf standen mehrere Marmeladengläser, ein Korb mit ein paar Scheiben Brot und Butter. Kirito schien ebenfalls ausgeschlafen zu sein. Als ich mich zu ihm setzte begrüßte ich ihn mit einem munteren „Guten Morgen!“. Er gab darauf zurück: „Bist du auch so wach wie ich? Ich hatte zwar keinen sehr schönen Traum, aber ich fühle mich bestens!“ „Geht mir genauso“, meinte ich und lächelte dabei, „Was hast du denn geträumt?“ Kirito antwortete: „Es war irgendwie seltsam. Ich dachte erst, ich wäre noch gar nicht eingeschlafen, sitze aufrecht im Bett. Da fällt mir plötzlich eine Gestalt ins Auge. Es war ein Drache. Ich habe gegen ihn gekämpft, aber am Ende doch verloren. Deshalb wundert es mich auch so, dass ich nach diesem Albtraum so ausgeschlafen bin. Vor allem in diesem Spiel!“ Mit jedem Satz zog sich mein Grinsen, das eben noch in meinem Gesicht lag, mehr zurück. Meine Gesichtszüge deuteten immer mehr auf Verwirrung hin. Doch beim Letzten Satz konnte man dort eindeutig den Schock erkennen. Für einen kurzen Moment hielt ich inne, um nochmal über Kiritos Worte nachzudenken, doch dann fuhr ich hoch und wiederholten fast kreischend seinen Satz: „Vor allem in diesem Spiel!“ Kirito erschrak. Ihm fiel das Marmeladenbrot, das er gerade genüsslich in den Mund schieben wollte auf seine schöne Kampfuniform. Natürlich lag die Marmeladenseite unten. Doch in dem Moment störte mich das nicht. Ich musste Kirito erst erzählen, warum ich so aufgedreht war. „Ich hatte denselben Traum!“, brach es aus mir heraus, „Und dieser Satz… überleg doch mal!“ Kirito konnte mir nicht ganz folgen. Doch dann wechselte seine Mine, wie meine vorhin, von Verwirrung auf Schock. „Du meinst, es ist vom Spiel so bestimmt?“, fragte er. Ich nickte überzeugt. Dann stellte Kirito Vermutungen auf: „Es könnte ein Tipp sein. Aber warum sollte uns der Hersteller einen geben? Vielleicht ist es ja auch eine Ablenkung und wir sollen denken, dass es ein Tipp war, damit wir einen vollkommen falschen Gegner erwarten…“ Ich grübelte mit: „Es könnte auch sehr gut sein, dass es tatsächlich ein Kampf gegen einen Drachen wird, wir aber falsche Informationen über ihn bekommen haben…“ Ich lief während ich das sagte hektisch hin und her. Kirito saß auf seinem Stuhl, wuschelte sein Haar immer wieder durch und schien das Marmeladenbrot vergessen zu haben. Als keiner von uns mehr etwas sagte, blieb ich stehen. Man hätte man eine Stecknadel fallen hören können, so ruhig war es. Etwa eine halbe Minute lang hielt diese Stille an. Ich unterbrach sie, indem ich sagte: „Wir sollten am besten auf alles gefasst sein und uns nicht so viele Gedanken machen, dann wird sicher alles klappen.“ Anschließend setzte ich mich und Kirito kratzte die Marmelade von seiner Kleidung. Ich musste dazu einfach eine Bemerkung abgeben: „Ich habe dir schon mal gesagt, dass das Brot immer mit der Marmeladenseite nach unten fällt.“ Dabei kicherte ich ein bisschen. Kirito sah mich leicht genervt an, doch er wusste, dass ich ihn nur ein bisschen ärgern wollte. Danach räumten wir das Besteck und die Lebensmittel auf und ich ging nach oben, um mich umzuziehen. Der Kampf rückte schließlich immer näher… Kapitel 3: Noch ein Traum? -------------------------- Da wir eigentlich noch recht viel Zeit hatten, beschloss ich noch einmal zu baden bevor wir aufbrechen wollten. Ich dachte dabei wieder an Kiritos und meinen Traum. Das einzig logische wäre, dass es ein Tipp gewesen war. Doch, wenn ich genauer überlegte, erschien es doch wieder am unwahrscheinlichsten. Wieso sollte man uns in so einem hohen Level noch einen Tipp geben? Schließlich sagte ich zu mir selbst: „Hör‘ auf, dir darüber Gedanken zu machen. Das ist alles egal!“. Dann sank ich tiefer in die Wanne und schloss die Augen, um mich zu entspannen. Nach einer Weile öffnete ich sie wieder, um auf die Uhr zu sehen. Zumindest wollte ich das. Denn als ich die Augen auftat, erblickte ich aus dem Augenwinkel erneut einen Drachen. Doch da man seine Träume für gewöhnlich nicht steuern konnte, wusste ich nicht, dass dies nicht real sein konnte. Was sollte ich nur tun? Ich hatte keine Waffe in meiner Nähe. Langsam blickte ich so gut es ging im Raum umher. Der einzige Gegenstand, mit dem ich mich verteidigen könnte, war eine Vase aus Ton, die nur etwa einen Meter entfernt von mir auf einem Schrank stand. Doch um sie zu greifen müsste ich schnell genug aufspringen und ob ich das schaffen würde, wusste ich nicht. Da ich aber wohl kaum eine andere Wahl hatte, musste ich es versuchen. Mein Herz pochte so laut und stark, dass ich Angst bekam, der Drache könnte es hören, doch er stand immer noch still da, wie eine Statue. Auf meiner Stirn bildeten sich Schweißtröpfchen und ich zitterte, als ich in meinem Kopf ganz langsam bis drei zählte. Die Zahlen gingen in Zeitlupe durch meinen Kopf und nach „zwei“ machte ich eine sehr lange Pause. Schließlich sprang ich auf und schrie wie einen Kampfruf: „Dreeeeiiiiii!“ Der Drache, der scheinbar fast eingeschlafen sein musste, schreckte in diesem kurzen Moment zurück. Das gab mir Zeit, um mir die Vase zu schnappen und dann war er auch schon wieder bei sich. Obwohl der Raum so klein war flog die geflügelte Echse und versuchte mich von oben anzugreifen. Mit der Vase schlug ich auf alles, was ich von dem Drachen erreichen konnte, doch dies waren nur die Füße. Es schien keine Wirkung zu haben, denn das Unterteil der Tonvase brach ab, ohne auch die kleinste Verletzung. Es erklang dabei lediglich der Ton, wenn Metall auf Metall trifft. Ich hatte jetzt nur noch den Hals der Vase in der Hand. Nun war ich für einen Moment verwirrt und der Drache hätte eine Sekunde Zeit gewonnen, mich anzugreifen, doch er verpasste sie. Als ich wieder bei mir war, fiel mir nichts Besseres ein, als die Hände schützend über den Kopf zu halten und in die Knie zu gehen. Doch ich wusste, dass dies nichts brachte. Dieses schuppige Tier flog schließlich direkt über mir. Mir war klar, dass ich verloren hatte. Ich saß unter dem Drachen ganz angespannt, doch er tat nichts und flog nur weiter auf der Stelle über mir. Nach etwa fünf Sekunden wagte ich es schließlich aufzuspringen, sehr hoch aufzuspringen. Mit dem abgebrochenen Flaschenhals stach ich tief in den Bauch des Drachen. Dort konnte ich ohne Probleme hineinstechen. Erneut war ich durcheinander. Doch diesmal gab der Drache mir keine Zeit nachzudenken. Er flog hinunter auf mich und erwürgte mich, da er mit seinem Vorderbein auf meinem Hals gelandet war. Ich konnte es nicht auf die Seite schieben und mich auch nicht wehren. Der Vasenhals steckte noch im Bauch des Drachen. Dickflüssiges Blut tropfte von dieser Stelle hinunter und wurde anschließend vom weißen Badezimmerteppich aufgesogen. Mir wurde schwindelig. Auf einmal sah ich alles nur noch verschwommen, zumindest so lange, bis ich gar keine Luft mehr bekam und die Augen schloss. Kapitel 4: Wir haben uns selbst den Kampf erschwert --------------------------------------------------- Noch Unterwasser öffnete ich die Augen und fuhr sofort ruckartig hoch. Ich atmete schnell ein und aus, um möglichst viel Luft zu bekommen. Nach einigen Sekunden beruhigte sich mein Atem. Aufrecht saß ich im inzwischen nur noch lauwarmen Badewasser, von dem ungefähr die Hälfte überall im Badezimmer verteilt war. Voller Schreck sah ich auf die Uhr. Wie lang hatte ich hier denn geschlafen und wie hatte ich das überhaupt hinbekommen? Ich bin doch noch nie beim Baden eingeschlafen. Es war keine Zeit jetzt das Bad sauber zu machen. Ich war hier fast eine Stunde drin! Schnell sprang ich heraus und zog mich an. Ich entschied mich dafür, die Haare lufttrocknen zu lassen, schließlich hatten wir es eilig. Ich rannte die Treppe hinunter, nahm immer zwei Stufen auf einmal und wäre fast hingefallen, hätte Kirito mich nicht aufgefangen. „Wir sind jetzt zwar schon später dran als geplant, aber das ist doch noch kein Grund, sich schon vor dem Kampf umbringen zu wollen“, scherzelte er mit diesem frechen Lächeln, das ich so an ihm mochte. Ich grinste belustigt zurück. „Jaja, wir sollten jetzt aber wirklich losgehen“, meinte ich darauf, doch Kirito wehrte ab: „Wenn wir schon außerhalb des Zeitplans sind, dann trockne doch wenigstens noch deine Haare! Nicht, dass du dich erkältest, falls das in diesem Spiel möglich ist.“ „Dann kann ich auch gleich noch das Bad putzen! Ich hab mich extra beeilt!“, sagte ich dazu und fing dabei schon fast an, zu schreien. Kirito antwortete im gleichen Tonfall: „BEEILT!? Eine Stunde nennst du „BEEILT“! Und wie kommst du darauf, dass du das Badezimmer putzen solltest?“ Eine kleine Pause der Stille entstand, dann sagte ich Kirito in einem ruhigen Ton, was geschehen war. Ich erzählte ihm, dass ich eingeschlafen war und von dem Traum. Mit jedem Wort, das ich sagte, wurde ich mir sicherer bei meiner Vermutung, die sich in meinem Kopf dabei bildete. Ich erinnerte mich daran, wie ich versucht hatte, den Drachen, der dem aus dem ersten Traum sehr ähnlich sah, in den Fuß zu stechen. Doch im Gegensatz zum vorherigen Traum ließ er sich dort nicht verletzen. Ich bemerkte nicht, wie sich meine Stimme verlangsamte und meine Augen ohne zu zwinkern in eine Richtung starrten. Schließlich stoppte ich mitten im Satz komplett, als wäre ich eingefroren. In meinem Kopf sammelten sich sämtliche Informationen, Vermutungen und Ideen und schlossen sich zu einer Lösung. Ich musste nur die Träume verbinden und… Schließlich winkte Kirito mit seiner Hand vor meinem Gesicht und holte mich mit einem „Noch da?“ wieder in die – auch wenn man das hier nicht wirklich so nennen kann – Realität zurück. Ich zwinkerte ein paar Mal. Wo war ich stehengeblieben? Egal! Ich musste Kirito sofort sagen, was hier Sache war, denn falls meine Vermutung stimmte, durften wir auf keinen Fall Zeit verlieren. „Was wolltest du zuletzt sagen?“, fragte er mich, doch ich antwortete nicht darauf. Stattdessen stellte ich ihm hektisch eine ungenaue Frage: „Hast du ihn getroffen?“ So deutlich, wie ich sie gestellt hatte, konnte Kirito natürlich mit nichts anderem antworten als einem verwunderten Blick und einem „Was ist los?“. Vor lauter Aufregung konnte ich nicht die richtigen Worte finden und stotterte ein paar Buchstaben vor mich hin, bis ich das richtige Wort fand: „D… dr… d… d… DRACHE!!!“ Sicherlich wirkte ich wie eine Verrückte, aber meine Entdeckung war mindestens genau so krank. Kiritos Blick sah immer verunsicherter aus, doch dann fand ich wieder die passenden Worte und sprach sie immer noch mit hoher, aber schon etwas geringerer Geschwindigkeit aus: „Hast du den Drachen in deinem Traum irgendwie getroffen?“ Kiritos Gesichtszüge wurden nachdenklich, aber dennoch verwundert. Schließlich antwortete er mit einem „ja“. Es klang, wie ich auch, ein wenig hektisch. Wahrscheinlich hatte ich ihn gerade mit diesem Tonfall angesteckt. Ich fragte ihn weiter: „Und wo hast du ihn getroffen? Also, an welcher Körperstelle?“ Erneut musste Kirito überlegen, doch dann sagte er: „Das muss irgendwo am Rücken gewesen sein oder so, aber warum willst du das denn überhaupt wissen?“ Mit diesem Satz hatte sich meine Vermutung bestätigt. Die Stelle, die ich in meinem ersten Traum mit dem Drachen mit dem Schwert nicht durchbohren konnte, war am Rücken. Außerdem saß Kirito bereits am Tisch und frühstückte, als ich nach Unten kam. Das heißt, sein Traum muss vor meinem zu Ende gewesen sein. Genau an der Stelle, an der Kirito den Drachen getroffen hatte, war er nicht verwundbar, am Fuß hingegen schon, da ihn dort noch keiner verletzt hatte. In meinem zweiten Traum hatte ich den Drachen erst an den Füßen getroffen. Ich konnte ihn an der Stelle nicht verletzen. Wahrscheinlich, weil ich ihn schon im ersten Traum dort verwundet hatte. Am Bauch hingegen hatte ihn noch keiner getroffen, daher war es für mich möglich, ihn dort zu verletzen. Das konnte die Lösung sein. Nein, das musste die Lösung sein! Ich war genial! Man könnte mich „Sherlock Asuna“ nennen. Doch eigentlich war es egal, wie gut ich war, denn ändern konnte ich Kiritos und mein Schicksal dadurch auch nicht. Akihiko Kayaba war einfach noch besser als wir. Es war zu spät, um noch etwas dagegen zu unternehmen zu können. Mit einem unheimlich leeren, schockierten Blick starrte ich wieder ein wenig neben Kirito. Irgendwann riss er mich schließlich aus meinen Gedanken. „Asuna, was ist denn jetzt eigentlich genau los?“, fragte er mich voller Verwirrung und ein bisschen Panik war in seiner Stimme auch zu finden. Mein Blick veränderte sich erst nicht, doch dann starrte ich Kirito direkt in die Augen und er zuckte zusammen. Es musste vermutlich etwas gruselig herüberkommen sein, als ich ihn so ansah und ihm mit zitternder Stimme direkt ins Gesicht sagte: „Kirito… Ich glaube, wir haben uns selbst den Kampf mit unserem Gegner erschwert.“ Kapitel 5: Die Skizze --------------------- Wir schwiegen uns an, beide mit angstgeweiteten Augen. Auch wenn Kirito noch nicht einmal wirklich wusste, was ich damit meinte, er merkte, dass wir in großen Schwierigkeiten waren. Er fand als erstes, wenn auch nur leise und stotternd, seine Stimme wieder. „Was haben wir getan?“, waren seine Worte. Mit der gleichen Lautstärke, wie die, in der er sprach, antwortete ich ihm. Ich wünschte mir, ich konnte schneller reden, doch es ging nicht. Mit großer Mühe erklärte ich Kirito, was sich hier abspielte. Ich war gerade erst an der Stelle, als ich den Drachen am Rücken traf, als er mich unterbrach: „Asuna… Wir brauchen einen Plan! Wir müssen herausfinden, wo unser Feind noch verletzbar ist und uns das auch so gut wie möglich merken. Wenn uns Kayaba schon die Möglichkeit gibt, unseren Gegner vor dem Kampf so gut zu kennen, sollten wir diese doch auch nutzen.“ Über diese Worte war ich sehr glücklich. Damit fühlte ich mich viel besser. Natürlich war Akihiko Kayaba wirklich schlau, uns unseren Feind selbst unverwundbar zu machen, aber das hatte natürlich auch seine Nachteile, die mir Kirito gerade deutlich klargemacht hatte. So konnten wir unseren Feind besser kennenlernen, als je zuvor! Auf Kiritos und meinem Gesicht war nun deutlich ein rachsüchtiges Grinsen zu erkennen. Schnell holten wir uns Papier und einen Stift und skizzierten den Drachen. Genauere Beschreibungen zu dieser Zeichnung sollte ich wohl besser nicht abgeben… Es musste eben schnell gehen. „Also sind die Füße und der Rücken sind bisher unverwundbar, oder?“, fragte mich Kirito. „Nein, weil du mich vorhin nicht ausreden lassen hast, kennst du die dritte Stelle nicht“, neckte ich ihn ein wenig. Mit einem Lächeln auf den Lippen und einer Verbeugung sagte er ganz höflich: „Es tut mir wirklich sehr leid, dass ich Sie vorhin unterbrach, Asuna-sama. Ich versichere Ihnen, dass es nicht noch einmal vorkommen wird. Können Sie mir noch einmal verzeihen und mir verraten, an welcher Stelle der Drache aus unseren Träumen noch verwundbar ist?“ Natürlich spielte ich mit und antworte, als wäre ich eine Herrscherin oder ähnliches: „Also ich weiß wirklich nicht, ob ich Ihnen nun noch trauen kann, aber ich denke, eine Chance haben Sie sich noch verdient.“ Dann sprach ich wieder in einem gewöhnlichen Ton: „Also, die Stelle, an der ich ihn in meinem zweiten Traum getroffen habe, war der Bauch. Den Traum hatte ich übrigens in der Badewanne. Eigentlich schlafe ich nicht beim Baden ein. Glaubst du, das war auch irgendwie gesteuert? Das ist doch eigentlich nicht möglich, oder?“ Kirito meinte dazu, während er den Bauch des Drachen auf dem Bild markierte, nur kurz: „Vielleicht hat Kayaba ja irgendein spezielles Wasser eingestellt oder so. Wäre zwar seltsam, aber logisch. So gewinnt er immerhin noch eine Möglichkeit, den Drachen weniger leicht besiegbar zu machen.“ Ja, das musste es wohl sein, dachte ich mir. Aber unheimlich war es irgendwie schon. Ich warf einen Blick auf die Skizze. Kirito erklärte dazu: „Die besten Stellen, die wir treffen können sind Augen und Hals. Die Beiden Körperteile dürften am meisten Schaden anrichten.“ Augen. Bei dem Gedanken verzog es mir das Gesicht. Aber so lange es funktionierte, war es in Ordnung. Kirito fuhr fort: „Der Ganze Rest wäre aber auch OK, solange es nicht Rücken, Füße oder Bauch ist.“ Kirito sah mich entschlossen an. Ich nickte kaum merklich mit einem ebenso sicheren Gesichtsausdruck, wie seinem. Dann gab es nur noch eines für mich zu sagen: „Los Kirito-kun! Wir werden es Kayaba und seinem Drachen jetzt zeigen!“ Mit diesen Worten machten wir uns auf den Weg zu Ebene 70. Kapitel 6: Der Kampf gegen den bekannten Gegner ----------------------------------------------- Nun standen wir direkt davor, vor dem Tor, durch das man in den Kampf eintreten konnte. In diesem Kampf war Treffsicherheit das Allerwichtigste. Wir mussten Skills verwenden, mit denen man den Gegner zielsicher treffen konnte. Kirito sah mich fragend an, während er mit den Händen bereits den Türgriff festhielt. Ich wusste, dass er sich damit bei mir erkundigen wollte, ob ich bereit war, einzutreten. Obwohl mein Herz mir mit starkem Pochen signalisieren wollte, dass ich nicht zustimmen sollte, nickte ich. Mein Blick war dabei auf den Boden vor dem Tor gerichtet. Ich merkte, dass auch Kirito vor dem Kampf Angst hatte, denn obwohl seine Hände fest den Türgriff umklammerten, konnte man deutlich erkennen, dass sie etwas zitterten. Er zögerte lange, bis er das Tor endlich öffnete. Mein Kopf neigte sich nun nach oben und ich sah in den Raum. Er war dunkel und das Licht, das hineinfiel erreichte nicht alle Ecken. In einer von ihnen musste unser Gegner stecken, denn er war noch nirgends zu sehen. Während Kirito und ich in den Raum eintraten zogen wir unsere Schwerter heraus, um jederzeit auf einen Angriff gefasst sein zu können. Jeden Schritt gingen wir mit höchster Vorsicht. Vom Gegner war eine lange Zeit nichts zu sehen oder zu hören, bis plötzlich dieser seltsame Schrei ertönte. Er klang nach einem Löwen, doch hatte etwas Metallenes an sich. Blitzartig drehten wir uns um. An der Wand über dem Tor, durch das wir eingetreten waren, krallte sich ein nachtblaues Wesen fest. Auch wenn wir bereits darauf vorbereitet waren, dass unser Gegner ein Drache war, so war es dennoch ein großer Schock. Vielleicht auch gerade weil er uns so bekannt vorkam. Erneut stieß dieses Wesen einen grausamen Schrei aus. Dann flog es mit hoher Geschwindigkeit auf uns zu. Erst war ich nicht fähig, zu handeln, da ich immer noch nicht glauben konnte, dass tatsächlich der Drache aus dem Traum vor mir stand. Glücklicherweise warf sich Kirito schützend vor mich und wehrte mit seinen beiden Schwertern das Feuer, das der Drache speite ab. Doch ganz konnte mein Mitstreiter es nicht ableiten und er verlor einen geringen Anteil seiner HP. Nun war jedoch auch ich bereit zu handeln und dies tat ich auch. Während Kitito Angriffe in Richtung Kopf wagte, versuchte ich möglichst unbemerkt hinter die riesige Echse zu rennen, um sie von dort aus anzugreifen. Doch das war leichter gesagt als getan, denn der Drache schwenkte seinen langen, stachelbesetzten Schweif wild umher. Als ich gerade versuchen wollte, ihm einen tiefen Schnitt zu verpassen, traf er mich mit ihm und schleuderte mich ein gutes Stück nach hinten gegen eine Wand. Dadurch verlor ich etwa die Hälfte meiner HP. Bei Kirito schien es auch nicht besser zu laufen, denn als ich zu ihm sah, lag auch er am Boden, dem Drachen ausgeliefert und hatte nur noch ein Drittel seiner HP. Es war ein grausamer Anblick und ich musste schnell handeln. Dadurch, dass der Drache nun ruhig dastand, konnte ich einen perfekten Skill anwenden, bevor er Kirito noch etwas antun konnte. Mein Schwert zog eine gerade Linie vom schuppigen Schwanz des Drachen bis zum Rücken. Der Drache schrie schrecklich auf, doch für mich war es ein gutes Zeichen. Eigentlich hätte ich das Schwert noch weiter ziehen wollen, doch stattdessen bestätigte sich nur Kiritos und meine Vermutung: Der Rücken war unverwundbar. Dennoch hatte ich ein gutes Stück geleistet und vor allem Kirito gerettet. Als ich den leuchtenden Streifen sah, der zeigte, wo ich den Drachen verletzt hatte, erinnerte ich mich plötzlich an die Träume. Etwas darin war anders, als es für dieses Spiel typisch war. Es stellte eine Verbindung zur Realität her. Erst konnte ich nicht herausfinden, was es war, doch dann sah ich diesen deutlichen Unterschied. Erst sah ich den leuchtenden Streifen auf dem Schweif des Drachen vor meinem geistigen Auge, dann das Blut aus dem Traum, das auf den Teppich tropfte. Blut… auch wenn es eigentlich nichts Schönes war, es wieder zu sehen wäre nach dieser langen Zeit in diesem kranken Spiel eine wahre Erlösung und für sie lohnte es sich zu kämpfen! Diese Gedanken huschten schnell durch meinen Kopf und ich war sofort wieder bei der Sache und zwar noch entschlossener als zuvor! Kirito war inzwischen auch wieder sicher auf den Beinen und hielt seine Schwerter fest in der Hand. Gleichzeitig nickten wir uns zu, er mit einem erschöpften, ich mit einem aggressiven Gesichtsausdruck. Ich wollte dieses Viech zerstören und der Freiheit näher kommen! Mit diesem Gedanken und einem wütenden Schrei rannte ich auf den Drachen zu, der seinen Kopf, welcher auf einem länglichen Hals saß, reflexartig zu mir drehte. Nur eine Sekunde nach mir rannte auch Kirito auf den Drachen zu, dessen Aufmerksamkeit mir galt. Er lief mit seinen großen Beinen auf mich zu, um mich anzugreifen, doch ich war nur zur Ablenkung da, denn während der Drache sich darauf konzentrierte, mir zu folgen, konnte Kirito rechts neben ihn gelangen, gefährlich nah am Kopf. Wenn mein Mitkämpfer jetzt noch näher käme, könnte der Drache ihn bemerken und ihm vermutlich auch noch seine letzten HP rauben. Ich versuchte, links neben den Drachen zu gelangen, um Kirito auf der rechten Seite viele Möglichkeiten zu bieten, doch diese Echse mit Flügeln war einfach zu groß, um schnell genug neben sie zu laufen. Der Drache war mir inzwischen bedrohlich nah gekommen und ich geriet in Panik. Wann griff Kirito denn endlich an? Die Echse speite Feuer in meine Richtung und senkte meine HP damit in den roten Bereich. Ich fiel zu Boden, während sich der Drache nur noch mehr näherte. „Kirito-kun!“ rief ich mit schriller Stimme. Kapitel 7: Wer wird siegen? --------------------------- Ich war mir sicher, nun käme mein Ende. Ich senkte den Kopf und war den Tränen nah. Nun war ich mir sicher, der Drache würde mich jetzt endgültig umbringen. Andererseits dachte ich auch, dass das doch nicht möglich sein konnte, von einem Moment auf den Anderen tot zu sein. Meine Gedanken waren so unterschiedlich und ich wusste nicht, was nun tatsächlich geschehen würde, doch die Wahrscheinlichkeit, dass ich nun sterben würde, war leider höher. Doch dann hörte ich diesen unverkennbaren metallenen Schrei. Voller Hoffnung hob ich meinen Kopf, sprang auf und drehte mich um. Kirito hatte dem Drachen mehrere Schnitte in den Hals geschnitten. Ich wusste sofort, was ich nun tun sollte, schließlich war die geflügelte Echse so nah an mir, wie sie es nie wieder sein würde. Auch wenn der Drache gerade nicht mehr auf mich achtete, war es riskant, den Kopf anzugreifen, doch er war so nah an mir, also dachte ich mir, ich sollte es versuchen. Also wagte ich es tatsächlich. Es waren nur wenige Schritte, die ich voller Angst, so schnell wie möglich rannte. Mein Kopf signalisierte mir, ich sollte es sein lassen, doch ich hörte nicht auf ihn. Vor allem war es zu spät, um anzuhalten, stattdessen hob ich mein Schwert. Als ich bei dem Drachen ankam, richtete er nur noch seine schrecklichen Augen auf mich, ehe ich seinen Kopf durchbohrte. Ich hatte es tatsächlich geschafft! Kiritos und mein Gegner zersprang, wie immer nach einem Sieg, in viele leuchtende Teilchen. Ich konnte es nicht glauben, doch es war tatsächlich vollbracht. Ich stach mein Schwert, in den harten Boden und sank, während ich mich auf ihm abstützte langsam auf die Knie. Dabei atmete ich erleichtert aus. Mit meinen Händen hielt ich den Griff des Schwertes fest und meinen Kopf lehnte ich an die Klinge, natürlich nicht an die scharfe Seite. Ich sah durch meinen Pony, der mir ins Gesicht hing, wie Kirito auf mich zu kam. Er streckte seine Hand nach mir aus, um mir aufzuhelfen. Erst wollte ich sie nicht nehmen, weil ich gerade so gemütlich dasaß, aber schließlich nahm ich sie doch. Am Schwert und an Kiritos Hand abgestützt stand ich, ebenso langsam wie ich mich gesetzt hatte, auf. Hand in Hand verließen wir wortlos den Saal und kehrten erst einmal wieder in unser Haus zurück. Ich war mir sicher, Kirito war genau so glücklich wie ich, diese Ebene gemeistert zu haben. Auch wenn es noch lange nicht das Ende dieses schrecklichen Spiels war, es war ein Schritt, dem Ende näher zu kommen, der Freiheit, die alle Spieler sich so sehr wünschten. Deshalb konnte ich nur sagen, wir sollten uns stärken und schon so bald wie möglich, egal ob wohl oder übel, zu Ebene 71. Was auch immer uns dort erwarten wird, wir werden auf alles gefasst sein müssen und alles Mögliche erwarten, denn man kann nie wissen, was dieses Spiel noch alles für uns bereithält. Aber jetzt sollten Kirito und ich uns erst erholen und ich glaube, bevor wir Ebene 71 beschreiten, sollte ich jetzt wirklich mal das Bad putzen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)