Dunkler als schwarz von Leira (Shinichi x Ran) ================================================================================ Kapitel 48: Zug zwei -------------------- Kapitel 48 – Zug zwei Shiho stieß wieder zu ihnen, als sie gerade aus den völlig überfüllten Räumen des Einkaufstempels traten. Hinter ihr standen Heiji und Kogorô – und sie alle drei schauten zu Ran, die ihren Blicken kurz auswich, bevor sie ihre unausgesprochene Frage beantwortete. „Er hat schon angerufen.“ Sie seufzte, zwang sich ein Lächeln auf die Lippen, das Kogorô fast das Herz brach. „Er wird bald nachkommen, Mausebein.“, murmelte er. „Du wirst sehen – er wird den Fall bald abgeschlossen haben und dann hält ihn garantiert nichts mehr…“ Ran sah ihn an – hätte nie gedacht, diesen Ausdruck einmal in seinem Gesicht zu finden. Sorge. „Ich weiß.“, sie lächelte immer noch tapfer, schaute dann auf die Uhr. „Ich schätze… wir müssen dann langsam…?“ Sie drehte sich um zu Yukiko. „Sie… wahrscheinlich kommen Sie nicht mit…?“ Shinichis Mutter lächelte sie warm an. „Du, Ran. Wir waren doch beim Du.“ Dann nahm sie sie in die Arme, drückte sie fest an sich. „Und nein… ich bleibe hier. Ich fahre jetzt zurück zu Yusaku… dann müssen eure Aufpasser auf einen Kopf weniger aufpassen. Agent Starling wird bei uns bleiben, also mach dir keine Gedanken.“ Sie ließ Ran wieder los, schaute sie ernst an, ihre Hände hielten ihren Kopf fest, sanft, als sie ihr eindringlich in die Augen blickte. „Es wird alles gut werden, du wirst sehen, Ran. Wir sehen uns alle ganz bald wieder.“ Yukiko versuchte, zuversichtlich zu klingen – und sie hoffte, dass man es ihr abkaufte. Tatsache war, sie war unruhig, und sie sah Ran an, dass sie es auch war. Sie wusste, wie sehr sich die junge Frau wünschte, er wäre jetzt da. Wie sehr sie sich wünschte, ihn einfach an der Hand nehmen und mit ihm nach Hause fliegen zu können. Diese wenigen Minuten heute Morgen hatten ihr alles gezeigt, alles gesagt. Aber das ging nicht. Noch nicht. Und so sah sie ihnen zu, wie sie in ihre Taxis stiegen, winkte ihnen lächelnd hinterher, und konnte doch das penetrant zwickende Gefühl im Bauch nicht abstellen, das sich immer dann meldete, wenn Unglück in der Luft lag. Jodie neben ihr sah sie nur an, sagte nichts. Dann rief sie sich zur Raison. Nein. Diesmal nicht. Irgendwann muss er auch einmal auf der Siegerseite stehen… es kann nicht sein, dass er bei diesem Spiel immer nur verliert. Sie reisten nur mit Handgepäck heim – ihre Koffer würden Heiji und Kogorô später mit ihren zusammen aufgeben – und so kam es, dass die vier jungen Frauen und ihre drei Begleiter mit sehr leichtem Handgepäck im Terminal standen, sich ein gemütliches Plätzchen suchten und gerade beratschlagten, von welcher Coffeeshopkette man sich ein Stückchen Kuchen und einen Becher Kaffee holen wollte, bevor man sich durch die Sicherheitskontrolle begab – dort würden die drei jungen Frauen alleine sein, deshalb schob man diesen Moment soweit hinaus, wie möglich, um die Zeit, in der sie ohne ihre drei Aufpasser sein würden, so kurz wie möglich zu halten. Sobald sie erst im Flugzeug saßen, waren sie in Sicherheit. Die Entscheidung, welches Café sie wählen sollten, war nicht eben abhängig vom Angebot der Cafés, sondern viel mehr von der Länge der Schlange, die sich vor ihren Kassen bildete, sowie dem Grad der Besetzung der Tische, die sie ihren Gästen zum Genießen der erstandenen Heißgetränke und Gebäcke anboten. Tatsache war, sie wussten immer noch nicht, ob sie das kleinere Übel gewählt hatten, als sie sich schließlich in eine Schlange stellten – aber nach einigen Minuten geduldigen Wartens hatten sie es geschafft, ihre Bestellungen aufzugeben. Ran war die erste, die ihre Bestellung abholen konnte – und ihr fiel damit die verantwortungsvolle Aufgabe zu, nun einen Platz für sie zu suchen und zu besetzen. Die junge Frau seufzte, schaute sich nach einem Tisch um, der Platz für sie alle bot, was ein durchaus nicht als einfach zu nennendes Unterfangen war. Sie hing mit ihren Gedanken immer noch in ihrem Telefonat mit Shinichi fest, konnte nicht vergessen, wie besorgt er geklungen hatte. Und momentan wünschte sie sich, sie hätte ihn doch gebeten, zu kommen – sie war nervös und ängstlich, und ihr fehlte die Ruhe, die Sicherheit, die er ihr immer vermittelt hatte. Sie wollte mit ihm verschwinden von hier, und nie wiederkehren, alles hinter sich lassen. Jetzt sofort. Glücklich sein, mit ihm. Allein. Dann erspähte sie eine Bank und einen Tisch an der Rückwand des Abschnitts, in dem sich ihr Café ausbreiten durfte, wollte sich gerade setzen, als ihr ein ekelhafter Schauer über den Rücken kroch, der ihre Alarmsirene schrillen ließ. Sie fuhr herum, ließ ihre Augen über die Menge gleiten, schluckte. Wahrscheinlich wurde sie schon paranoid. Sie alle warteten doch darauf, dass die Organisation zuschlug, da sah sie bestimmt in jedem Schatten einen von ihnen. Sie seufzte, nippte an ihrem Latte macchiato, krallte ihre Finger noch ein bisschen fester um die Tüte mit ihrem Scone und beobachtete Shiho, die noch auf ihr Getränk wartete. Und dann sah sie ihn. Groß. Schlank. Die Haare im Nacken zusammengebunden, eine schwarze Sonnenbrille auf der Nase – und sie verlor schlagartig jedes Gefühl in ihren Fingern. Gin…! Er stand auf der Galerie der Terminallobby – eigentlich war sie noch geschlossen, die Bauarbeiten waren noch nicht fertiggestellt. In seinen Händen hielt er ein Gewehr mit Zielfernrohr. Wie versteinert sah sie ihm zu, wie er ansetzte, zielte… Ran merkte nicht, wie ihr der Kaffee aus den Fingern glitt, zu Boden fiel und ihr ihre helle Hose ruinierte, als beim Aufprall auf dem Boden die braune, heiße Flüssigkeit hochspritze. Immer noch die Greifbewegung machend, obwohl ihre Finger ins Leere griffen, drehte sie sich um, suchte nach Akai, Heiji oder sonst irgendjemanden – und fand den Agenten, der neben Sonoko wartete, die gerade noch bezahlte. „Shuichi!“ Sie schnappte angsterfüllt nach Luft, ihre Stimme brach mitten in ihrem Ruf – der Agent hörte sie trotzdem. Sah ihr angsterfülltes Gesicht, und ihre gestikulierende Hand – und sah ihn. Ran nahm wahr, wie er hektisch und kurz Heiji und Kogorô eine Anweisung gab, und sich dann selber so schnell wie möglich durch die Menge wühlte, unauffällig nach seiner Waffe greifend. Und anfing, zu rennen. Sie hörte den Schuss kaum, und auch die anderen Reisenden, die sich in der Lobby tummelten, schreckten nicht auf – ihre eigene Geräuschkulisse und das Gedudel aus den Lautsprechern, eine Mischung von Musik und Flugaufrufen, gemischt mit den gängigen Sicherheitshinweisen, verschluckten das scharfe, vom Schalldämpfer zusätzlich minimierte Geräusch des Schusses, reduzierte es auf ein schnalzendes Zischen. Was sehr wohl Aufmerksamkeit erregte, war ihr kurzer, heller, scharfer Schrei – so hell und scharf, dass er ihnen allen wie mit einer Stecknadel in die Ohren stach – und der Mann, der sie umriss. Ran merkte, wie sie der Schüttelfrost packte, als sie sah, wie sich Shihos Augen vor Schmerz dunkel färbten. Akai hatte sie mit sich zu Boden geworfen, als er sie aus der Flugbahn der Kugel hatte bringen wollen – ganz hatte er es nicht geschafft. Shiho hielt sich den Arm, ihr Teint mit einem Mal aschfahl, zwischen ihren zitternden, verkrampften Fingern quoll ihr Blut. Ran schluckte, löste sich nur langsam aus ihrer Starre, wollte anfangen zu laufen, merkte erst jetzt, wie schwerfällig ihre Glieder geworden waren, wie wenig ihr ihre Beine gehorchen wollten. Sie beobachtete, wie sie alle zu Shiho eilten, sah die Leute panisch werden, weil sie nach der Ursache für die Verletzung der jungen Frau suchten, die zu Boden gegangen war. Angstschreie drangen an ihre Ohren, als der zweite Schuss durch die Luft zischte, Shihos Bein traf – und spätestens jetzt war alles vorbei. Sie sah Shiho, die schrie, sich an Akai klammerte, er sie hochhob, um mit ihr in Deckung zu gehen. Sie spürte Leute, die liefen und drängten, die zu den Ausgängen stürzten, ohne Rücksicht auf Verluste. Hörte die Schmerzensschreie derer, die zu Boden stürzten, auf die die Menge, blind geworden für die Nöte des Menschen neben ihnen, trat, und die nicht die geringsten Anstalten machte, auf die Anweisungen zu hören, die das Flughafenpersonal zu geben versuchte. Ran zitterte, wollte zu ihrem Vater, zu Heiji, laufen, merkte, wie ihr die Luft wegblieb, als sich die Menschen an ihr vorbeidrückten, konnte sich kaum bewegen, kaum einen eigenen Schritt vorwärts machen, und musste stehen bleiben, als vor ihr ein Kinderwagen kreuzte, ihr den Weg zwischen den Tischen blockierte. Sie schaute um sich, zitternd, ihre Augen über die Köpfe fliegend, versuchte die anderen zu finden und sah doch keinen von ihnen. Die Menschenmasse hatte sie verschluckt. Hektisch wandte sie sich um, fühlte, wie in ihr die Panik hochkochte, als sie eine Hand an ihrem Arm spürte. Sie sah auf, blickte in das Gesicht einer Frau mit Sonnenbrille, die die Uniform einer Flughafenangestellten trug. Kurz senkte die Frau ihr Kinn, soweit, dass Ran einen Blick auf ihre Augen erhaschen konnte – und sie erstarrte. Und gerade, als sie losschreien wollte, nach der Frau treten wollte, hob sie nur ihren Finger und brachte sie zum Verstummen. „Du willst ihn doch nicht unglücklich machen.“ Ihre Finger griffen fester um Rans Handgelenk. „Er…“, begann Ran, drehte ihre Hand und erstarrte, als sie etwas Hartes, Kaltes zwischen ihren Rippen spürte. „… er ist momentan in Scotland Yard und verhört unseren armen Komplizen, Ran. Rate, woher wir das wissen.“ Die junge Frau hielt plötzlich still. „Fein, ich sehe, ihm ist nicht nur gutes Aussehen sondern auch ein bisschen Grips wichtig bei einer Frau. Ein Mucks, und unser Mann im Yard wird dafür sorgen, dass…“ Sie lachte leise, als sie Rans Kapitulation bemerkte, steckte ihre Waffe weg, hakte sich bei Ran unter, führte sie wie ihre beste Freundin rund um den Coffeeshop in einen anderen Gang, bahnte sich den Weg durch die Menschenmenge, die gegen sie drückten, sie im Strom mit sich zogen. Kaum ein paar Meter weiter und sie waren außer Sichtweite der anderen, aber immer noch eingequetscht zwischen Menschenleibern um sie herum. Selbst wenn sie hätte flüchten wollen, Ran wäre nirgendwohin gekommen. „Du weißt natürlich, warum wir dich mitnehmen…“ Chianti stöckelte munter neben ihr her. „Weil wir genau wissen, dass wir ihn immer noch am leichtesten über dich kriegen… er wird weich wie Butter in der Sonne, wenn man ihm nur damit droht, dir etwas anzutun. Ich frage mich ja immer noch, warum er sich diesen Luxus leistet, der ihn doch sein Leben kostet… Liebe. Dich zu lieben…“ Sie ging mit ihr langsam raus aus dem Terminal, immer noch fröhlich plaudernd. Ran wurde langsam schlecht, merkte, wie ihr die Knie weich wurden. Sie spürte, wie sich Chiantis Griff verhärtete, als sie sie in die Bereiche führte, die eigentlich nicht für die Besucher gedacht waren, sondern für das Personal vorbehalten waren. Fakt war, sie waren menschenleer – jeder einzelne Angestellte stand wohl in der Lobby und versuchte, die Massenpanik unter Kontrolle zu bringen. Ran atmete gepresst ein und aus, starrte auf den Boden, zitterte immer noch. Aus den hellen Fliesen starrte ihr dunkel ihr Antlitz entgegen, zeigte ihr ihr völlig verängstigtes Gesicht, ihre vor Furcht weiten Augen. Du hattest Recht, Shinichi… dein Gefühl hat dich nicht getrogen. Dann hörte sie eine fremde Männerstimme. „Is she alright? The mass panic… I’ve heard, a young woman was shot…!“ Sie blickte auf, schaute in das junge, besorgte Gesicht eines Flughafenmitarbeiters, der sie kurz musterte. Sie hatte nicht bemerkt, wie er aufgetaucht war. Auch in seinen Augen las sie Angst – gepaart mit dem entschlossenen Willen, sich nicht einschüchtern zu lassen, nicht den Verstand zu verlieren, sondern zu handeln. „Ah, no.“ Ran hörte Chiantis schmeichelnde Stimme an ihrem Ohr. „No. She’s just a bit shocked and sick, she saw the shot woman sink down on the floor. I’ll get her out of here, fetch her something to drink…” Sie schaute zu Ran, die pflichtbewusst eine Hand auf Chiantis Schulter legte, sich festhielt und einen leichten Schwächeanfall simulierte. „Yes. It… it was terrible. Hearing the shot and seeing her body falter and…” Sie rutschte ein wenig in die Knie, ließ sich von Chianti um die Hüfte greifen, um sie zu stützen. „That woman said, she’d bring me somewhere safe to lie down a bit…“ Rans Stimme klang wacklig – was ihre angeblich angeschlagene, physische Konstitution nur noch mehr unterstrich. „Ah! That’s alright then. I wish you a good recovery. I hope nobody else was hurt!“ Damit eilte er an ihnen vorbei, mit langen Schritten in Richtung Lobby. Chianti griff Ran ein wenig fester am Arm. „Sehr artig.“ Ran verkniff die Lippen kurz, streifte Chiantis Hand von ihrer Taille. „Ich mach das nicht für Sie.“ „Das weiß ich, meine Liebe.“ Die Frau lachte kurz auf – gehässig und spöttelnd. Ran merkte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss, wandte den Kopf ab, fing fast an sich zu schämen für ihre Gefühle – und ahnte erst jetzt so richtig, was er gemeint hatte, er würde verletzbar durch sie. Allein der Spott dieser Frau über sie, weil sie ihn so sehr liebte, dass sie ohne Gegenwehr mitging wenn man ihn nur in Ruhe ließ – obwohl sie wohl ahnte, dass das kein Dauerzustand sein würde, waren sie doch hinter ihm her, und darüber hatte Chianti auch keinen Zweifel gelassen – ließ ihn ihr ein böses Gefühl der Scham hochkriechen, langsam, schleichend und stichelnd. Im gleichen Moment vertrieb sie es, verscheuchte es, konzentrierte sich darauf, was der Gedanke an ihn, an seine Liebe für sie ihr gab - Stärke. Mut. Entschlossenheit. Das war es, wovon sie ihn so dringend überzeugen hatte wollen… dass ihre Gefühle für einander ihnen nicht schadeten, wenn sie es nicht zuließen. Denn das war es, was sie wollten – sie versuchten, sie ins Wanken zu bringen. Versuchten, ihnen die Hoffnung zu nehmen, den Glauben. Sie durfte jetzt nicht einknicken. Sie musste durchhalten und stark sein. Sich durchbeißen, nicht aufgeben, für ihn. Weil sie wusste, dass sie es war. Die Motivation, die ihn antrieb. Und sie glaubte an ihn. Du wirst das schaffen, Shinichi… du wirst mich retten, diesmal, ich weiß es. Damit ging sie weiter, nun deutlich aufmerksamer – allerdings begegnete ihnen niemand mehr, bis sie zu den Aufzügen gelangten, die in die Tiefgarage führten. Dort stand er – und wartete. Allein. Sie bemerkte dieses Grinsen auf seinen Lippen und schloss die Augen. Spürte, wie er über ihre Wange streichelte, wich seiner Berührung unwillig aus. Sein kaltes Lachen tat weh in ihren Ohren, sein nach kaltem Rauch stinkender Atem biss in ihrer Nase. „Wie ich sehe bist du brav, dieses Mal. Ich hoffe das bleibt so, damit ersparst du uns viel Ärger.“ Er tätschelte ihr den Kopf, und sie wehrte sich nicht, als sie mit ihr das Flughafengebäude verließen. „Konntest du Akai abhängen?“, fragte Chianti schließlich. „Kinderspiel.“ Er grinste. „Der war so besorgt um seine kleine Shiho… gut, sah auch nicht nett aus. Hab sie am Oberschenkel und an der Schulter erwischt. Gab ein hübsches kleines Chaos, wie du vielleicht mitbekommen hast – allerdings war ich schon längst über alle Berge, bis die Flughafenpolizei aufkreuzte.“ Ran geriet aus dem Tritt, starrte mit aufgerissenen Augen in die Luft vor ihrer Nase. Gin lachte hässlich. „Schau nicht so erschrocken, Mädchen. Du weißt, dass wir nicht zu den Guten gehören.“ Damit betraten sie die Tiefgarage, fuhren in einem engen Fahrstuhl hinunter ins unterste Parkdeck. Gin wandte sich ihr zu, schaute ihr ins Gesicht, umgriff ihr Kinn mit einer Hand. „Immer noch so ein hübsches Ding…“ Ein kühles Lächeln kräuselte seine Lippen. „Ich kann fast verstehen, was er an dir findet, weißt du. Allerdings kann es mir egal sein… solange es ihn das tun lässt, was wir von ihm wollen.“ Er trat näher, zwang sie an die Wand der Kabine, so weit, bis sie mit ihrem Rücken gegen das Metall stieß. Sie spürte seinen Körper, der sich gegen ihren drückte, hart. Ekel schüttelte sie, raubte ihr die Luft zum Atmen, blanke Panik stieg in ihr hoch, nahm jedem vernünftigen Gedanken in ihrem Kopf den Platz weg. Sie spürte seine Hand, die langsam an ihrer Körperseite entlang nach unten strich – um dann in ihre Handtasche zu greifen. Ran ließ ihren Kopf gegen das Metall sinken, konnte kaum mehr Luft holen, spürte Gins Atem an ihrem Hals und fragte sich nur am Rande, was er in ihrer Tasche suchte – als er es gefunden hatte jedoch, drückte er ihr einen Kuss auf den Hals, trat einen Schritt zurück und bemerkte mit Genugtuung, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Er liebte die Angst und die Abscheu in ihren Augen. Dann hielt er ihr ihr Handy vor die Nase. „Es wird Zeit, dass wir ihn wissen lassen, was wir vorhaben, nicht wahr?“ Sie merkten erst im Krankenzimmer, als man Shiho erstversorgte, dass sie fehlte. Sonoko hatte ihr gerade etwas sagen wollen – wie viel Glück sie gehabt hatten, dass nicht mehr passiert war – als ihr auffiel, dass sie nicht da war. Ran? Sie drehte sich einmal um die eigene Achse. Sie sah Kogorô, Kazuha, die sich an Heijis Arm klammerte. Akai, der an Shihos Bett stand und sie beobachtete, während man ihr eine Infusion verabreichte und die Druckverbände anlegte, um sie im Anschluss ins Krankenhaus zu fahren. Keine Ran. Sonoko spürte, wie ihr Herz ihr bis zum Hals zu schlagen begann, fühlte, wie ihre Finger zu zittern anfingen, eiskalt und schwitzig wurden und hatte kaum ihre Stimme unter Kontrolle, als sie diese eine Frage stellte. „Wo ist Ran?“ Heiji fuhr herum, und auch Kogorô, und beide schauten sie erschrocken an – nichts im Vergleich jedoch zu dem Gefühl, das in Shihos Augen auftauchte, als sie sich auf der Liege hochstemmte, auf die man sie gelegt hatte. „Ist sie nicht bei dir? Ich dachte, sie wäre…“ Sie fühlte, wie ihr die Sinne schwinden wollten, als ihr diese schreckliche Befürchtung vor Augen trat. Sie schaute zu Shuichi, der sich ebenfalls zu Sonoko umgedreht hatte. „Sie hatte ihn auf der Brüstung gesehen. Bemerkt, dass er auf Shiho zielte, nach mir gerufen, damit ich darauf aufmerksam werde. Sie stand bei den Tischen…“ Kazuha schaute ihn an. „Dann stand sie ein wenig abseits… vielleicht konnte sie uns nich‘ gleich folgen, hat uns aus den Augen verloren und wartet jetzt…“ Heiji schaute sie zweifelnd an. „Ich geh sie such’n. Und lass sie ausrufen, das machen die sicher. Vielleicht…“ Er ließ Kazuha los, trat nach draußen auf den Gang, schilderte dem dort wartenden Polizisten ihre Situation. „Ran Môri, bitte begeben Sie sich zur Erste-Hilfe-Station in Terminal 2. Ran Môri, please …“ Ran seufzte lautlos, als sie die angenehme Frauenstimme ihren Namen nennen hörte. Sie ahnte, dass ihr Vater, Heiji und die anderen nun festgestellt hatten, dass sie nicht bei ihnen war. Ein müdes Lächeln glitt ihr über die Lippen. Die Durchsage drang an ihre Ohren, hallte über das Flughafengelände. Gespannt warteten sie – die Tür stand offen, der Gang war leer. Kein Laut, außer Shihos gelegentliches Stöhnen, war zu hören. Und sie warteten. Ran kam nicht. Nach ein paar Minuten kehrte Heiji zurück, schaute ernst von einem zum anderen. „Sie hat sich auf die Durchsage nicht gemeldet. Es gibt ein paar Leute, die sie dort stehen haben sehen, wo auch du sie gesehen hast, Shuichi. Wohin sie verschwunden ist, weiß niemand. Die Überwachungskameras haben sie gefilmt… mit einer Frau, die auf sie zutrat und sich mit ihr in Richtung Ausgänge bewegte, allerdings geht sie in der Menge der Menschen verloren, und die Kameras überwachen nur den offiziellen Bereich… sollt‘ sie den verlassen haben, is sie…“ Kogorô war blass geworden, hatte sich abgewandt. Sonoko fing an zu weinen, leise, sank auf Shihos Bett, während Kazuha auf ihn zutrat, sich an ihn drückte, zitternd. Shiho krallte ihre Finger in die dünne Decke, merkte, wie es in ihr wühlte. Schüttelfrost hatte sie gepackt, und eine einzelne Träne rann ihr aus dem Augenwinkel. Und er sprach aus, was sie alle dachten. „Das war ein Ablenkungsmanöver, das einzig und allein dazu dienen sollte, sie zu entführen…“ Akai starrte an die Decke, merkte, wie in ihm sein Schuldgefühl erwachte – ein lang vergessenes Gefühl. Er hatte sein Versprechen nicht halten können. „Wir sollten zu ihm fahren.“ Shinichi war den Gang entlang zurück in sein Büro gegangen. Nachdem er dort ein paar Runden im Kreis gelaufen war, hatte er sich hinter seinen Schreibtisch gesetzt und sich die Schläfen massiert. Jenna saß wieder bei Brady, das wusste er; Black war wahrscheinlich bei Montgomery, wo er sich entweder informieren ließ darüber, was sie herausgefunden hatten, oder aber sich die Beschwerden seines Vorgesetzten über seine Wenigkeit anhören durfte. Jodie sollte mit seiner Mutter auf dem Weg zu seinem Vater sein, die anderen am Flughafen… Und er saß da und zermarterte sich das Hirn. Draußen ging die Sonne langsam unter – vor ihm lagen seine Notizen, ergänzt um die letzten Bilder und Informationen von heute Morgen und gerade eben. Die Sache mit den Blumen machte ihm immer noch zu schaffen – er hatte keine Ahnung, was ihm das alles sagen sollte. Er hatte alles, was ihm dazu einfallen wollte, auf einen separaten Stapel gelegt - angefangen von den kunstgeschichtlichen Erläuterungen, über die Notizen, die er sich über Hamlet und Shakespeare gemacht hatte bis hin zu den Werken in Kunst und Literatur, die irgendwie damit zu tun hatten. Es passt alles so ein bisschen… Er seufzte. Also, zurück auf Anfang. Wir haben eine Reihung von schwarz zu weiß. Wir haben eine Folge von… Leben zu Tod. Und wenn man bedenkt, dass weiß in unserem Kulturkreis die Farbe des Jenseits und des Todes ist, dann passt das. Aber... Warum noch diese verdammten Blumen?! Er zuckte zusammen, als das Telefon klingelte, getrieben vom Vibrationsalarm ein wenig über die Tischplatte rutschte, wo er es abgelegt hatte, als er sein Büro betreten hatte. Überraschung zeichnete sich auf seinen Zügen ab, als er den Namen des Anrufers auf seinem Display las. Ran…? Solltest du nicht schon im Flieger sitzen…? Er hob ab. Im selben Moment wusste er, dass etwas nicht stimmte. Shinichi stand auf, unfähig, sitzen zu bleiben, drückte sich sein Mobiltelefon ans Ohr, hielt den Atem an. Vom Gang drangen gedämpfte Schritte in sein Büro, die sich näherten und wieder entfernten, irgendwo klingelte ein Telefon – er jedoch hörte nichts von dem. Er hörte nur das Geräusch von gepresstem Atem an seiner Ohrmuschel, von dem verzweifelten Versuch, Tränen zurückzuhalten, als ein einzelnes, leises, gepresstes Wimmern sich durch den Äther zitterte. Ihm fiel das Telefon aus der Hand, als er in seinen Fingern jegliches Gefühl verlor. Sein Herz setzte volle drei Schläge aus, ehe es sich doch dazu entschloss, seinen Dienst noch ein wenig fortzusetzen, ließ ihn schwindelig und blutleer zurück. Shinichi schnappte nach Luft, rang um Atem, als er versuchte, Angst und Panik niederzuringen, um nicht völlig den Verstand zu verlieren – es gelang ihm nur teilweise. Seine Augen waren aufgerissen, schienen versuchen, alles zu sehen und sahen doch nichts. Und in seinem Ohr hämmerte neben seinem Herzschlag, der sich nun in Frequenzen schraubte, die seinen Adrenalinschüben unter dem Einfluss des HLZGs Konkurrenz machten, nur ein Name. Hallte wider in seinem Kopf, tausendfach. Ran…! Wie in Zeitlupe beugte er sich nach unten, griff nach seinem Telefon, dessen Display nach dem Sturz zersprungen war- es interessierte ihn nicht. Er sah, dass die Verbindung noch stand, und das reichte ihm. „Ran?!“ Er wünschte sich, seine Stimme möge fester klingen – sie tat ihm den Gefallen nicht. Und es schien auch keinen zu interessieren, denn er bekam keine Antwort. Nicht im herkömmlichen Sinne, zumindest. Er hörte ein ersticktes Keuchen, ein scharfes Ziehen, leises Ratschen wie das Geräusch von kleinen Plastikzähnchen, die sich in einem gerillten Kunststoffband verhakten – ein Kabelbinder. Er hörte ein reißendes Geräusch, ein kurzer Aufschrei einer hellen Stimme, dann ein gedämpftes Stöhnen. Das leise metallische Klicken einer Autofernbedienung. Das leise Knacken eines Autoschlosses, das leise Zischen einer Kofferraumhydraulik, das dumpfe Geräusch, das ein Körper machte, den man in den Kofferraum warf, ein lauteres, verängstigtes, ersticktes Wimmern und das laute, scharfe Schnappen, als die Heckklappe ins Schloss geworfen wurde – und das Aufheulen eines Motors; das charakteristische Dröhnen und Rumpeln eines ganz bestimmten Motors. Und er wusste genau, was er hörte. In seinem Kopf lief der Film zu diesem Soundtrack, in Farbe und gestochen scharf. Dann drang sein Lachen an sein Ohr. Kalt, gefühllos, triumphierend. Gefolgt vom leisen Knacken, als die Verbindung unterbrochen wurde und dem Freizeichen, dass in rascher Wiederholung seinem Herz den Takt vorgab. Shinichi legte das Handy auf den Tisch, als er zurück in seinen Stuhl sank, kraftlos. Ran… Er wusste nicht, wie lange er so in seinem Sessel hing. Irgendwann war sein Oberkörper nach vorn gesunken, sein Kopf lag auf der Tischplatte, seine Wange an das kühle Plastik gepresst, während seine Hände nutzlos nach unten baumelten. Sein Kopf war leer, gestattete ihm nicht einen zusammenhängenden Gedanken. Irgendwann hatte auch das leise Tuten aufgehört – sein Handy zeigte wieder brav die Uhrzeit an und tat, als wäre dieser Anruf nie passiert, gäbe es da nicht den Sprung, der das Display zeichnete – den Wendepunkt dieses Tages markierte. Shinichis Augen blickten immer noch starr in die Luft. Er konnte sie förmlich vor sich sehen – wie sie sie in die Garage führten. Ihr die Hände mit dem Kabelbinder auf den Rücken fesselten, mit Klebeband knebelten, damit sie nicht schrie. Was ihn beunruhigte war, dass er nicht einen Laut von Gegenwehr gehört hatte. Er richtete sich auf, langsam, massierte sich die Schläfen. Sie hatte nicht geschrien. Nicht seinen Namen gewispert. Sie hatte sie machen lassen, ohne sich zu wehren, und das Schlimme war – er wusste genau, warum. Sie hatten ihr gedroht, ihm etwas anzutun, dessen war er sich sicher. Dabei ist es umsonst, Ran, und du weißt das. Du kannst mit ihnen keinen Pakt schließen, um mein Leben zu retten. Sie wollen kein entweder oder. Dann klopfte es an der Tür – Shinichi rappelte sich hoch, stand auf, ging selber zur Tür um sie zu öffnen. Wortlos ließ er die Truppe eintreten, die sich vor seiner Tür versammelt hatte, schaute sie nicht an – ihm fiel nur auf, dass nicht nur sie fehlte. „Sagt mir nicht, sie haben auch Shiho…“ „Nein.“ Heiji schüttelte den Kopf. „Shiho ist im Krankenhaus, sie… wurde angeschossen. Nicht lebensgefährlich, aber…“ Shinichi schaute von einem zum anderen – und erst jetzt ging ihnen auf, dass sie es ihm gar nicht mehr sagen mussten. Kogorô schluckte – er wusste nicht, ob ihn das erleichterte oder nicht. Shinichi war blass im Gesicht, seine Augen dunkel, der Zug um seine Mundwinkel verspannt. Seine Hände hatte er wohl zu Fäusten geballt – das zumindest verrieten die Ausbeulungen seiner Hosentaschen. Dann ging die Tür noch einmal auf – herein trat James Black, der offenbar von Akai über die Geschehnisse informiert worden war. Und genau ihn suchte er – und fand ihn. „Du hast versprochen…“, fing er an. Leise und gefährlich klang seine Stimme, und Sonoko schauderte. Sie hatte Kudô noch nie so reden gehört – erst Recht nicht zu einem Mann, der ihr mindestens genauso viel Respekt einflößte – Shuichi Akai. Der FBI-Agent trat vor, wich seinem Blick nicht aus. „Ich weiß.“ „Schön!“ Shinichis Stimme klang immer noch leise, war kaum mehr als Zischen, in dem man die nur mühsam verhohlene Wut deutlich hörte. „Schön, dass du es weißt, Shuichi – warum hast du es nicht getan? Warum hast du nicht auf. Sie. Aufgepasst?!“ Er schnaufte mühsam, holte schnappend Luft. „WIE KONNTE DAS PASSIEREN, VERDAMMT NOCHMAL!?“ Er trat näher, sein Gesicht sogar noch eine Spur blasser. „Du hast versprochen, auf Ran aufzupassen…! Du hast es mir versprochen, weil ich es selbst nicht konnte, du hast…!“ Akai schluckte hart. „Sie haben auf Shiho…“ Shinichi wandte sich ab. „Ja, hast du dir denn nicht denken können, dass sie das versuchen werden, Shuichi?! Wie lange arbeitest du schon an diesem Fall – Ablenkungsmanöver sind ihr Steckenpferd. Sie wussten genau, wo dein wunder Punkt ist, wie sie auch wissen, wo meiner ist – und kaum hatten sie dich da, wo sie dich wollten, holten sie sich Ran…“ Seine Stimme verlor sich. „Ich versteh’s nicht, erklärt’s mir bitte, ihr wart zu dritt – und ich hätte auch von dir erwartet, dass du auf deine Tochter besser -…“, fing er zu Kogorô gewandt an, seiner Panik Luft zu machen. Der jedoch ließ das nicht so einfach auf sich sitzen – die Angst um seine Tochter stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. „Du hast kein Recht, uns solche Vorwürfe zu machen, Kudô. Du kannst nicht ernsthaft glauben, dass wir unsere Aufgabe nicht ernst genommen hätten! Und wenn ich dich daran erinnern darf – auch in deinem Beisein wäre Ran schon fast umgebracht worden, weil DU es warst, der nicht auf sie aufgepasst hat und es war Glück…“ Er wusste noch, bevor er den Satz beendete, dass er zu weit gegangen war. Shinichi hatte den Atem angehalten, blinzelte kurz. „Weil ich unter Drogen stand, und das weißt du.“ Seine Worte waren kaum mehr als ein Wispern, seine Stimme klang unglaublich kalt. Kogorô schluckte hart. Er musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass Sonoko und Kazuha verwirrte Blicke tauschten. „Kudô.“ Heiji trat vor, legte seinem Freund eine Hand auf die Schulter – Shinichi wich zurück, schüttelte sie ab, kommentarlos. „Ich bin mir sicher, das hat er nich‘ so gemeint. Wir sin‘ alle besorgt um Ran, Kudô, das weißte! Wir versteh’n, wenn dich das mitnimmt, aber bitte werd‘ nich‘ unfair… du darfst jetzt nicht durchdrehen, das kannste nicht brauchen, damit hilfste keinem – erst Recht ihr selbst nich‘…“ Shinichi schaute ihn nur an, schluckte hart. Dann schaute er Heiji mit müdem Blick an. „Sie haben mit ihrem Handy angerufen, nichts gesagt, Heiji. Ich durfte… mir nur anhören, wie sie sie fesseln und knebeln und in einen Kofferraum werfen. Sie haben keinen Grund, nicht mit ihr zu machen, was sie wollen. Erzähl mir nichts von Fairness. Oder Vernunft. Ihr Plan ging auf, wieder einmal. Ihr wisst, dass es das ist, was sie wollten, und ihr wisst, dass es das war, was ich befürchtet hatte. Und du weißt auch, dass das nicht hätte passieren dürfen. Wir –…“ Abrupt brach er ab, als ihn die Erkenntnis traf, was nun zu tun war. Ohne ein weiteres Wort trat er an ihnen allen vorbei, verließ sein Büro ohne sich noch einmal umzublicken. Und fing an zu laufen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)