Dunkler als schwarz von Leira (Shinichi x Ran) ================================================================================ Kapitel 19: Die feinen Künste ----------------------------- KAPITEL 19 – DIE FEINEN KÜNSTE Heiji und Jenna standen nun schon seit geschlagenen zehn Minuten im Büro des Dekans und warteten. Seite an Seite, still schweigend, Augen geradeaus. Und seufzten synchron, als die Uhr wieder um eine Minute weitertickte, die sie beide nun seit elf Minuten im Auge behalten hatten – die große Pendeluhr, die ihnen gegenüber hinter dem Schreibtisch über dem schweren Ledersessel des Dekans hing. Jenna drehte sich zu Heiji, entlockte dabei dem alten Parkett mit ihrer Gewichtsverlagerung ein leichtes Knarzen, und warf ihm einen fragenden Blick zu. Er konnte sehen, wie sie mit sich haderte, ihren Satz im Kopf vorformulierte, umwarf, neu formulierte, ehe sie die wahrscheinlich vierte oder fünfte Version endlich für spruchreif erachtete. „What do you think… what’s going on there?“ Heijis Lippen kräuselten sich zu einem schiefen Grinsen, während sich seinen Augen zu Halbmonden verengten. Er wusste sofort, worauf sie anspielte. „They are about to batter in their heads, I suppose.“ Er wandte sich ihr zu. „Something I’d like to do now, to be honest, especially with this odd saint of a dean here, or principal, or whatever the title is called that he maintains. Kudô was right, he is a rather tough nut. Any idea where that guy has vanished just now? Could’nt be possible that he lets us wait almost half an hour, just to fetch the atelier plans and lists of students who are using them?!“ Jenna schaute ihn an, strich über die Mappe mit dem Durchsuchungsbefehl. „True.“ Dekan Hammersmith seinerseits eilte durch die Gänge, getrieben von Panik, als wäre er die sprichwörtliche arme Seele, hinter der der Teufel höchstpersönlich her war. Tatsache war, dass er wohl eher eine arme Seele retten wollte – er war auf der Suche nach Eduard Brady. Der Junge hatte sich bei ihm noch nicht blicken lassen – und nun musste er auch noch aufpassen, dass ihm die Polizei hier nicht zuvor kam. Seine Studenten starrten ihm überrascht hinterher – so eilig sah man die Vogelscheuche im Anzug, wie er scherzhaft wegen seiner hageren Statur und seiner Vorliebe für Anzüge genannt wurde, selten durch die Gänge fliegen. Am Ende des Ganges des Werkstättentrakts riss er eine Tür auf, die in ein kleines Kabuff führte, das aus zwei Räumen bestand – einer kleinen Abstellkammer und einem etwas größeren Raum, in dem ein bildhübsches, blutjunges, lateinamerikanisches Mädchen saß. Sie war wirklich ausgesprochen schön – schwarz und glänzend rollten ihre Locken über ihre Schultern, aus ihrem Gesicht blickte ein Paar haselnussbrauner Rehaugen, umrahmt von dichten Wimpern. Sie lächelte ihn an mit sinnlichen Lippen, trug einen Traum von einem hellgrauen, bestickten Wildseidenkleid. Eduard hatte sich umgedreht, stand mit Pinsel und Palette vor seiner Leinwand, und wollte offenbar gerade anfangen, die Untermalung auf die Vorzeichnung aufzutragen. „You. Go home.“ Hammersmith deutete mit seinem Zeigefinger auf das Mädchen, wedelte mit der Hand. Eduard starrte seinen Dekan verständnislos an, legte dann den Pinsel beiseite. „It’s okay, Juniper. You can change clothes behind that curtain. Could you come back at about eighteen o’clock?” “Sure.” Die junge Frau nickte, verschwand dann hinter dem Vorhang, legte die gelbe Fenchelblüte, die sie in ihrer Hand hielt, auf das Dreibein, auf dem sie Platz genommen hatte für die Porträtsitzung. Eduard seinerseits wandte sich dem Dekan zu. „What is the reason for your visit, Dean Hammersmith? I know, you wanted a word with me, I wanted to visit you in the evening…“ Hammersmith schluckte hart. Er war blass geworden, als er das Mädel in dem Kleid gesehen hatte. „Make a guess who is waiting in my bureau to search the ateliers. The police, Eduard. Scotland Yard. And I suppose it is you, they are looking for. They have been here yesterday, Eduard, Sherlock Holmes himself was here, searching for students who paint portraits in the manner of the old netherlandish masters. He showed me the fotos. The pictures looked very much like this.” Er wischte sich über seinen fliehenden Haaransatz. Der Schweiß war ihm aus allen Poren getreten, seine Augen hafteten auf dem Bild, das auf der Staffelei stand. Dann wandte er sich um, fixierte seinen Studenten mit ernstem Blick. „I do not know what the hell you are doing here, Brady. I do not even know if I want to know into what kind of trouble you have got yourself into again. But you will follow me now. And take that… thing… with you.“ Hammersmith gestikulierte in Richtung der Leinwand, die immer noch auf ihre Bestimmung wartete. Eduard war bleich geworden, nickte nur, griff sich die Leinwand. Juniper, die mittlerweile wieder ihre Alltagsklamotten trug, verabschiedete er mit einem kurzen, sehr gezwungenen Lächeln, dann trat er mit dem Dekan auf den Gang, wollte sein Atelier abschließen, als ihn Hammersmith zurückhielt. „If it is locked, they’ll break in the door. You go and hide in my flat, this is the key for the door. You will wait there, until I come home. And don’t you dare to go anywhere else. Now, leave!“ Der alte Mann schaute dem jungen Künstler mit ernster Miene hinterher, als der um die Ecke bog. Ihm war der Wechsel seiner Gesichtsfarbe nicht entgangen, auch nicht der Anflug von Schweiß auf seiner Stirn. Er war einfach ein zu guter Beobachter – geschult, jedes Detail aufzunehmen, denn es waren die Details, die das Bild ausmachten. Er hatte schon beim ersten Besuch des Superintendents erkannt, wer das Bild gemalt hatte. Bradys künstlerische Handschrift war unverwechselbar – derart klar und scharf malte nur er. Gestochen realistisch jede Pore zeigen, jeden Makel offenlegen und dennoch jeden Menschen wunderschön darstellen, das schaffte nur er. Er zeigte sein Modell von seiner schönsten Seite, ließ jeden, der seine Bilder sah, ergriffen davor stehen bleiben. Man verliebte sich in die Menschen auf den Bildern, wollte sie kennenlernen, begann, sich für sie und ihr Leben zu interessieren, zu erfahren, was sie zu denen gemacht hatte, als die das Bild sie zeigte. Good lord, Eduard. Into what mess have you got yourself this time? Murder… murder! Dead girls… Offenbar war er irgendwie in diese Mordfälle verwickelt – dass es zwei waren, wusste er von der jungen Polizistin, die ihm gerade den Durchsuchungsbefehl unter seine lange Hakennase gehalten hatte. Zusammen mit den Bildern und den Fotos von den Kleidern. Er ahnte, wer sie geschneidert hatte – sie trugen einfach zu deutlich Meredith Rowlings Handschrift, für jemanden, der sie kannte. Diesen Balanceakt zwischen elfenhaften Stoffen und gesellschaftsfähigen Schnitten und Verarbeitungsweisen bekam nur sie hin. But you two are no murderers, Eduard. Not you, and not Merry Rowling either. Of all people… she could’t even hurt a fly. Literally. Er würde mit ihnen reden müssen. Zuerst aber… würde er in den sauren Apfel beißen müssen und die beiden Beamten seine Schule auseinander nehmen lassen. Sie hatten jedes Recht dazu. Und er dankte Gott auf Knien, dass er heute nicht dabei war. Mr. Sherlock Holmes. Als die Tür zum Büro wieder aufging, und er zusammen mit ein paar leicht geknitterten Blättern in seiner linken Hand wieder eintrat, wunderte es den Dekan nicht, dass sich ein leicht genervter Ausdruck in die Gesichter der Beamten geschlichen hatte. Zwar war dieser Ausdruck bei keinem von beiden wirklich offensichtlich – er als Japaner war die Höflichkeit selbst, sogar, wenn er eigentlich vor Ungeduld überkochte, und das verriet dem geschulten Auge ein Blick auf die Haltung des jungen Mannes – und ihr war als Britin höfliche Gelassenheit mit der Muttermilch eingeflößt worden. Dennoch, das wusste er aus ihren Blicken zu deuten, würden sie nicht länger warten. „Were you able to find the plans you were looking for?“, fragte Heiji höflich in so sauberem, akzentfreiem Englisch, dass Jenna ihm einen verblüfften Blick zuwarf. „Yes. Yes, indeed.“ Der alte Mann im schwarzen Anzug reichte ihm ein großes Stück Papier, das Heiji an Jenna weiterreichte, die es auseinanderfaltete. „All floors, with all atelier rooms, along with the names of those who are using them, as far as they have occupied them officially. Some just take every empty room they can get. You may keep the copy. I hope you find what you are searching for, if you busy yourself with that Sisyphus’ task…” „Yeah.“ Heiji winkte ab, zeigte nun doch etwas deutlicher sein angegriffenes Nervenkostüm. „Thank you. We’ll find the door for ourselves.“ Jenna lächelte, nickte höflich. „Goodbye, Sir. We will, of course, stay in touch with you, if necessary.“ Der Dekan sah sie an, unbehaglich. Sure. You’ll stay in touch with me if necessary. That means, if you need more information from me… Where he lives, for example… Er schluckte, sah die beiden aus seinem Büro verschwinden und kam nicht umhin zu merken, dass sich ein sehr flaues Gefühl in seiner Magengegend auszubreiten begann. Jenna blieb stehen, nachdem die Tür zum Büro des Dekans ins Schloss gefallen war. „He has been alerting someone.“ Heiji schaute sie an, grinste breit. „I’d bet he has, Jenna. So what does that mean for us?“ „That those ateliers, which seem currently abandoned, are most interesting for us. Ateliers, where no picture is shown or worked at.“ Heiji grinste noch breiter. „Exactly.“ „And why are you grinning, Sir?“ Heiji grinste noch breiter, verschränkte die Arme hinter dem Kopf, atmete aus und wieder ein, schaute sie aus dem Augenwinkel an. „You know, I can understand why Kudô likes working with you. You are, for sure, a bright brain.” Langsam ließ er die Arme sinken, nahm Jenna die Karte ab, die vor Verlegenheit glühte wie ein Stückchen brennende Kohle und studierte sie kurz. „Well, let’s begin to investigate, Sergeant Watson!“ Bis zu diesem Moment hatte Heiji keine Ahnung gehabt, was ein Kunststudent eigentlich den lieben langen Tag machte. Jetzt, nachdem er geschätzte zwanzig Ateliers durchgeforstet hatte, und mit dieser Sorte Mensch sehr rege Kontakte hatte knüpfen können, wusste er, soviel musste er sich eingestehen, immer noch nicht wirklich besser Bescheid. Einige der Studenten waren sauer gewesen, fühlten sich offensichtlich in ihrem künstlerischen Schaffen und ihrem Tänzchen mit dieser launischen Göre namens Muse gestört. Sie ließen sich auch durch die Marke wenig beeindrucken, gaben patzige Antworten und hatten Heiji und Jenna schneller wieder rauskomplimentiert, als sie „Durchsuchungsbefehl“ sagen konnten. Andere lagen halbkomatös auf einem mehr oder weniger heruntergekommen Sofa (die in Form, Farbe, Größe und Erhaltungszustand wirklich stark differierten) und schliefen ihren Rausch oder etwas anderes aus. Dritte wiederum arbeiteten in völliger Stille im fast keimfreien Reinraum, mit minutiöser Genauigkeit, Engelsgeduld und haarfeinen Pinseln, Kratzern und Stiften, gelenkt von einer Akribie, die Heiji Staunen machte. Von einer vierten Spezies rührte ein orangener Farbspritzer her, der wie ein Wundmal quer auf seiner Brust prangte – als er die Tür geöffnet hatte, hatte der junge Kerl, der dahinter stand, gerade sehr gestisch seine Leinwand bearbeiten wollen, die an eben jener Tür hing – wie jeder Zentimeter dieses kleinen Ateliers mit Leinwand zugepflastert worden war. Einen Porträtmaler, wie sie ihn suchten, hatten sie noch nicht gefunden. Und nun standen sie hier, in Zimmer Nummer 331. Auf den ersten Blick sah es aus wie jedes andere Atelier jedes anderen konventionellen Malers hier. Und roch auch so. Heiji betrat den Raum als erster, sog die Atmosphäre auf. Jenna folgte ihm auf den Fuß, bog als erstes in den kleinen Nebenraum ab, aus dem sie bald wieder auftauchte. „Nobody here.“ Heiji nickte unmerklich, trat dann ans Fenster, musterte es gedankenverloren. Ein wenig Staub wallte auf, als er den Raum durchmaß, das alte Parkett knarrte unter seinen Sohlen. Der Raum war fast leer, das Fenster etwas abgehängt mit einem weißen Tuch, das das Licht filterte und es milchig-dunstig auf die Einrichtung fallen ließ. Auf einem Tisch an der Wand lagen Farbtuben verschiedener Größe und Farbe, standen zugedeckelte Blechbüchsen mit Aufschriften wie „Balsamterpentin“, „Verdünner“ und „Firnis“. Und genau das, schätzte Jenna, war es auch, was die Luft hier drin schwängerte. Wie das Licht hier drin etwas dichter, schwerer zu sein schien, fühlte sich auch die Luft in ihren Lungen träge an, benebelte ihre Sinne ein wenig. Sie trat an den Farbtisch, begutachtete die Paletten. Eine davon war noch klebrig, die Farbe frisch herausgedrückt. Sie hob sie hoch, zeigte sie Heiji. Der zückte seinen Fotoapparat, schoss ein Foto. „Take a sample, Jenna. Write down the colours and chemicals, their brands as well. Perhaps…“ Sie nickte nur. Heiji unterdessen trat an die Staffelei. Ein Stückchen Kohle lag auf der Ablage. Sein Blick fiel auf das kleine Dreibein, das in der Mitte des Raums stand, dort, wo das Licht vom Fenster sich sammelte. Eine Fenchelblüte lag darauf. Seine Augenbraue rutschte hoch, als er näher trat, damit ihm der Geruch des Gewürzkrauts in die Nase stieg. Erneut holte er seinen Fotoapparat, fotografierte die Blüte, ehe er sie mit seinen behandschuhten Händen hochhob, die gelben, kleinen Blüten genauer besah. „Jenna. You may have them better in mind than I. Didn’t the girls in the pictures carry …“ Jenna hatte sich umgedreht, als er sie angesprochen hatte, klemmte sich ihren Stift hinters Ohr, trat näher. „Flowers in their hands. Indeed, Sir, they did. It was that pansy for Ayako and rosemary for Erin.“ Ihre Blicke trafen sich. „Whose atelier is this?“ Die junge Frau zog das Blatt Papier aus ihrer Umhängetasche. Heiji beobachtete sie dabei, sah das Licht auf ihren Locken tanzen, bemerkte die Weichheit ihrer Haut, die dieses samtene Licht zauberte – und wusste, ohne zu fragen, dass hier auch ihre beiden Bilder gemalt worden waren. Das hier war der Raum. „Eduard Bradys, Sir.“ Jennas Augen wurden groß, als sie den Namen erkannte. Heiji lächelte bitter. „Eddie.“ Bestückt mit Farbproben, Fotos und den Namen der Farbherstellern verließen sie das Atelier, ließen sich jedoch nichts anmerken. Als sie um die Ecke bogen, um in den Trakt mit den Schneidern zu gelangen, bemerkte Heiji aus dem Augenwinkel eine schwarze Gestalt – natürlich konnte er sich täuschen, aber er ahnte, dass es der Dekan gewesen war. Er hatte keinen Plan, was der alte Mann mit diesem Brady hier zu tun hatte, und inwiefern er in ihre Mordserie verwickelt war – aber ganz offensichtlich hatte er ihn gewarnt. Da drinnen war bis vor kurzem noch gearbeitet worden. Die frische Farbe und die vom Verdünner noch nassen Pinsel hatten eine deutliche Sprache gesprochen. Und kein Künstler verließ freiwillig seinen Schaffensort, wenn er sich gerade seine Farbe zurechtgemischt hatte. Die junge Schneiderin zu finden gestaltete sich wesentlich schwieriger. Jenna hatte sie nur aus weiter Entfernung gesehen – und, das musste sie wohl einsehen, leider passte auf die Beschreibung „jung, schlank, blonde Haare“ mehr als nur ein Mädchen auf dem Campus. Sie gaben dennoch nicht auf, ließen sich von allen, die da waren, ihre Sachen zeigen – Kleider, wie sie sie suchten, waren nicht darunter. Als sie schließlich heraus aus dem muffigen Bau in den sonnenbeschienen Innenhof traten, war ihre Freude über ihren Fang etwas gedämpft. „We cannot prove anything. Even, if the colour of his atelier matches the colour the pictures were painted with. If we just had found a picture…“ „Yeah.“ Heiji seufzte, nickte langsam. „A picture would have been the ultimate proof. But there was nothing. Not even an empty canvas. And I dare to bet that he has taken his latest work with him, our dear friend Brady - this is completely out of question. And I’m sure that someone has taken his girlfriend and brought her somewhere else, before we came to look for her.” Er rieb sich die Nase unwillig. „Though, better than nothing. We have a name, nevertheless. And if necessary, we go and fetch this guy and ask him some questions…“ Er schaute auf die Uhr, zuckte mit den Schultern. „It’s almost five o’clock. Let’s go and look after Kudô. They will have returned by now, too.“ Jenna nickte, schlug mit ihm gemeinsam den Weg zu ihrem Wagen ein. Sie waren fast am Scotland Yard Hauptquartier angekommen, als ihm einfiel, was er noch hatte tun wollen. Shinichi seufzte, fuhr den Wagen auf den Parkplatz, schaute Kogorô einen Moment lang schweigend an. „Sagen Sie, Herr Môri…“ „Nenn mich Kogorô.“ Der ehemals schlafende Meisterdetektiv schaute ihn sachlich an. Er ahnte, dass er sich auf eine Ebene begab, die zu betreten Shinichi ganz sicher noch nicht bereit war; immerhin hatte er ihm und Ran durch seine Lügen das Leben so ziemlich ruiniert. Andererseits fand er es gerade deswegen unpassend, dass er ihn immer noch siezte. Sie beide sollten auf Augenhöhe sein, und ebenso auch kommunizieren. „Mir ist klar, wir werden nicht die besten Freunde.“ Er nuschelte die letzten Worte, blickte ernst geradeaus. „Aber du bist ein erwachsener Mann und ich duze dich immer noch. Also entweder tust du’s jetzt auch, wir kennen uns lange genug, oder ich geh über zu Herr Kudô.“ „Herr Kudô ist mein Vater.“ Shinichi lächelte müde. „Wenn, dann Superintendent Kudô. Oder…“ Er zögerte, verdrehte die Augen. „Mr. Holmes. Das haben die hier besonders gern – und das ist, was ich mit Ihnen besprechen muss.“ Er fing sich Kogorôs Blick ein, seufzte dann leise. „Also schön. Mit dir besprechen muss.“ Shinichi klopfte kurz mit den flachen Händen einen Rhythmus auf das Lenkrad, ehe er anfing. „Ich weiß nicht, ob… du… die Zeitung schon gesehen hast, aber seit vorgestern wühlen sie ein wenig in meiner… Vergangenheit. Wie die Presse so ist, tut sie ihre Arbeit gründlich – was auch darin seinen Niederschlag findet, dass sie hinter mir herschnüffelt, in Form einer sehr karriereorientierten jungen Frau namens Victoria Shelley von der ausgezeichneten und durch ihre äußerst sachliche Berichterstattung bekannten Zeitung Reporter.“ Shinichis Stimme troff vor Zynismus. Kogorô schaute ihn ironisch grinsend an. „Seit wann stört dich das?“ „Ganz konkret seit heute Morgen, als das Bild Ihrer – deiner – Tochter auf der Titelseite erschien.“ Er merkte, wie die Anspannung, die er seit heute Morgen mit Mühe kontrollierte, sich in seinem Körper ausbreitete; es kribbelte unter seinen Fingerspitzen, in seinem Nacken prickelte einen Anflug von Kopfschmerzen, der nur darauf brannte, sich auszubreiten. Ihm war sehr wohl klar, was er fürchtete. Wenn es heute ganz London weiß, und morgen vielleicht Japan, dann werden auch sie Wind davon bekommen. Wenn sie es bis jetzt noch nicht wussten, dass sie noch lebt, dann werden sie es spätestens morgen erfahren. Es sei denn, sie… sind bereits hier. Sein Mund wurde trocken. Aber es hilft nichts, jetzt kopflos zu werden. Ich muss die Augen aufhalten und Ran aus den Nachrichten wieder rausbekommen. Mit etwas Glück erkennen sie sie einfach nicht wieder… Wobei… Wem versuch ich hier, etwas vorzumachen. Er hob die Hand, massierte sich die Stirn, die sich in unwillige Falten gelegt hatte. Kogorô verschluckte sich, hustete, starrte ihn an. „Doch wieder das Sie, Herr Môri?“ Shinichi schaute ihn ruhig an, wandte dann nachdenklich den Blick ab. „Ich hatte keine Gelegenheit mehr, mit ihr darüber zu reden. Wir… haben uns gestern auf dieser… Brücke, auf der Westminster Bridge, zum ersten Mal wieder gesehen, seit… du weißt schon.“ Er schluckte hart. „Ich war nicht sehr… ach, Mist.“ Shinichi lächelte bitter. „Ich war vollkommen überfordert und wollte, dass sie geht. Ich sagte es Ihnen“, er unterbrach sich, „dir ja schon, ein paar von denen laufen immer noch rum, und als ich sie gestern sah, da gingen die Pferde mit mir durch. Nun, sie hat geweint, und genau den Moment haben sie abgelichtet. Was heißt, ich habs im Prinzip nur noch schlimmer gemacht; wäre ich nicht gewesen hätte Ran sie gar nicht interessiert. Jetzt aber kann ich mir sicher sein, sie werden versuchen, mit ihr zu reden, und…“ Er rieb sich die Finger, schüttelte den Kopf. „Kaum ist sie auch nur zehn Meter in meiner Nähe bring ich sie in Schwierigkeiten. Also, worauf ich hinauswill – hast du etwas dagegen, zu schauen, wo sie ist, damit ich das kurz klären kann…?“ Kogorô antwortete nicht – er schnallte sich wortlos wieder an, was Shinichi als Zeichen deutete, wieder vom Parkplatz zu fahren. Sie hatten Glück – sie trafen die vier jungen Damen an, als sie gerade das Hotel verlassen wollten. Und an Sonokos wenig begeisterten Blick, als sie ihn sah, las er ab, dass auch sie die Zeitung sehr wohl schon gesehen hatte. Shinichi seufzte, trat zögernd näher; Kogorô überholte ihn glatt, schloss seine Tochter in die Arme, die seine Umarmung erwiderte und dabei ihre Augen nicht von Shinichi ließ. Sie schien nicht überrascht, ihren Vater hier zu sehen, und so schlussfolgerte er daraus, dass Eri es ihr am Telefon erzählt hatte, irgendwann. Shinichi wurde zunehmend heiß unter Rans Blick - er bemerkte die Hoffnung in ihren Augen, die Freude darüber, dass er gekommen war. Er kniff die Lippen zusammen, seufzte, trat erst dann zu ihr, als Kogorô beiseitegetreten war. „Ich nehme an… du hast die Zeitung heute schon gelesen, Ran.“, fing er an, ohne Umschweife, seine Stimme jedoch erstaunlich leise – die unausgesprochene Bitte um Entschuldigung schwang in ihr mit. Er wollte das Gespräch hier so kurz wie möglich halten und er legte auch keinerlei Wert darauf, dass es unter vier Augen stattfand. Allerdings, als Sonokos wütende Stimme in seine Ohren stach, bereute er das kurz. „Ja, hat sie, sag mal konntest du nicht besser…“ Shinichi zuckte zusammen. Ran legte Sonoko ihre Hand auf den Oberarm, brachte sie so zu schweigen. „Es war sicher keine Absicht. Und gerade du solltest wissen, wie die Zeitungen arbeiten, Sonoko, deine Familie hatte auch schon oft genug Ärger mit diesen Klatschblättern.“ Sie warf ihrer Freundin einen milden Blick zu, wandte sich dann wieder ihm zu. „Ja, ich hab sie gelesen, Shinichi.“ Sie lächelte traurig. „Ich… kann mir denken, dass das nicht gerade das ist, was man bei euch haben möchte…“ Er schüttelte den Kopf, schnitt ihr damit das Wort ab. „Das auch, aber darum geht’s mir nicht. Ich will, dass du so schnell wie möglich aus dem Fokus ihres Interesses verschwindest, damit nicht noch wer anderes auf euch aufmerksam wird.“ Er schluckte hart. „Du glaubst…“, murmelte Ran leise. „Ich glaube gar nichts.“ Shinichi seufzte. „Was ich… sagen will, ist, dass… du weißt, was ich die letzten Jahre dachte. Mit etwas Glück waren andere genauso blind. Ich hätte gerne, wenn dem so ist, dass es dabei bleibt. Abgesehen davon käme es meinem Chef wohl wirklich gelegen, wenn sich die Presse nicht über seinen Superintendent und seine amourösen Abenteuer das Maul zerreißt.“ Er lächelte sie beruhigend an, stopfte seine Hände jedoch in seine Hände in seine Hosentasche, um seine Nervosität zu verstecken. Ran schaute ihn nachdenklich an; ihr war die Geste keineswegs entgangen, und sie ahnte, dass mehr dahinter steckte, als er zuzugeben bereit war; allerdings wusste sie auch, dass er nichts sagen würde, was er nicht sagen wollte, erst Recht nicht vor so vielen Mithörern. „Was… möchtest du also, dass ich sage, wenn sie auf mich zukommen sollten?“ Ran sah ihn an, mit so viel Verständnis im Blick, dass ihm heiß und kalt wurde. „Streite bitte ab, das wir uns kennen.“, murmelte er leise. Ran starrte ihn an, und er hielt diesem Blick einfach nicht stand. Er sah ihr an, dass sie es hatte kommen sehen, dass er sie darum bitten würde. Und Shinichi erkannte auch, dass sie verstand, warum er das verlangte, dennoch fühlte er, wie weh ihr das tat. Er atmete tief durch, schüttelte traurig den Kopf. „Ich will das klarstellen, es ist… mir völlig egal, welche Märchen die über mich schreiben. Damit komm ich klar, kam ich immer, das weißt du, damit bin ich aufgewachsen. Ich will, dass dein Bild so schnell wie möglich raus aus der Presse ist, Ran. Und dein Name am besten gar nicht erst reinfindet. Ich will kein Risiko eingehen, wenn die erfahren, dass du…“ Shinichi ballte unruhig die Fäuste. „Das ist es auch, was ich meinem Chef heute morgen berichtet habe; er ist sauer genug, weil ich ihm verschwiegen habe, dass Heiji und ich uns kennen, bis es ihm dann ein Journalist auf der Pressekonferenz unter die Nase gerieben hat. Ich will aber nicht, dass du mehr von diesem Fall, von meinem Leben, betroffen bist, als es sein muss, also bitte… antworte nicht auf die Fragen, die man dir stellt, geht den Reportern aus den Weg. Und wenn es sich gar nicht vermeiden lässt, erzählt ihnen, dass ihr Heijis Bekannte seid und wir uns nur flüchtig kennen. Über ihn. Punkt. Ich hoffe, so verlieren sie das Interesse am schnellsten.“ Ran blinzelte, war blass geworden. Sie sah ihn an – und auf einmal sah er nicht mehr so aus wie der toughe Ermittler von Scotland Yard, als der er gestern aufgetreten war. Vor ihr stand einfach nur Shinichi. „Wenn ich dir damit helfen kann.“, flüsterte sie leise. Er sah auf, sein Blick traf den ihren; er sah die Angst, die Sehnsucht und die Sorge in ihnen und schauderte. Er lächelte traurig, schüttelte den Kopf. „Es geht nicht darum, mir zu helfen, Ran, sondern dir. Ich habs dir gestern gesagt. Ich… wünsche mir nichts mehr, als das du gehst und irgendwo in Sicherheit bist und glücklich wirst. Nur… dieser Ort ist einfach nicht hier. Und er ist wohl… niemals in meiner Nähe.“ Er schluckte hart. „Danke für dein Verständnis.“ Damit drehte er sich um. Kogorô folgte ihm schweigend. Erst im Auto brachte er es über sich, etwas zu sagen. „Und du glaubst, das funktioniert?“ Shinichi schaute ihn aus den Augenwinkeln kurz an, ehe er den Rückwärtsgang einlegte. „Hast du eine bessere Idee?“ „Nein.“ Kogorô seufzte. „Aber musst du es ihr so schwer machen? Siehst du nicht, wie sehr sie dich… vermisst… sich…“ Er schaffte es nicht, den Satz zu beenden. Es hatte ihn selber völlig aus dem Tritt gebracht, seine Tochter, seine Ran, in seiner Gegenwart zu erleben. Er hatte gewusst, sie liebte ihn immer noch. Sehnte sich nach ihm. Das aber zu sehen, wenn der, den sie so sehr vermisste, greifbar und für sie doch unerreichbar vor ihr stand, nicht weil jemand sie zurückhielt, sondern weil er sie nicht ließ, weil die Angst ihm nichts anderes erlaubte, hatte ihn wie ein gut gezielter Haken eines Profiboxers in der Magengrube getroffen. Mausebein… Ein bitteres Lachen ließ ihn aus seinen Gedanken hochschrecken. „Das sagt der Richtige.“ Shinichi blickte über die Schulter, fädelte den Wagen ein. „Schließlich warst du es doch, der ihr fünf Jahre verkauft hat, die Liebe ihres Lebens hätte sie eiskalt im Stich gelassen. Und jetzt verurteilst du mich dafür, dass ich sie von mir fernhalten will, weil ich eine Gefahr für sie darstelle?“ Er sah, dass der Satz gesessen hatte, schüttelte den Kopf. „Ich dachte, du willst, dass sie sicher ist? Du weißt es doch genauso wie ich… das ist sie nicht bei mir. Nicht, solange die noch rumlaufen. Das ist… etwas, das ich hart gelernt habe.“ Shinichi seufzte bedrückt, Sorge umwölkte seinen Blick. „Ich kann sie nicht beschützen, vor ihnen…“ Damit schwieg er. Stumm fuhren sie zurück zu Scotland Yard, gingen in sein Büro und beschäftigten sich still, jeder für sich, mit dem Fall, warteten auf die Rückkehr von Jenna und Heiji. Die beiden kamen etwa eine halbe Stunde später, fanden Shinichi und Kogorô in Shinichis Büro, sich immer noch anschweigend; während Shinichi seinen Bericht tippte, saß Kogorô ihm gegenüber, hielt Einsicht in die Fallakten und schlürfte an seiner Tasse Kaffee, als Heiji und Jenna eintraten. Shinichi blickte auf, zog fragend eine Augenbraue hoch. „Bitte sag mir, dass euer Tag besser war als unserer.“ Heiji zog sich einen Stuhl heran. „Inwiefern?“ Shinichi seufzte. „Warte kurz. Ich mach das hier grad noch fertig.“ In den nächsten paar Minuten hörten sie nur das schnelle Klappern der Tastatur, und das sprudelnde Geräusch von Mineralwasser, als Jenna ihnen etwas zu trinken besorgte. Als schließlich das abschließende Klopfen auf zwei Tasten gleichzeitig zum Speichern der Datei hörbar wurde und hinter Shinichis Schreibtisch der alte Drucker rumpelnd zum Leben erwachte, um widerwillig ein DIN A4 Blatt zu bedrucken und aus sich heraus zu schieben, legte Kogorô seinen Ordner beiseite. Shinichi nahm dankend das Wasser, das Jenna ihm reichte, trank einen Schluck. „We went to interview Erin’s fiancée, as you might remember. That… interview turned out to be very short. We just came in time to prevent him committing suicide. I doubt the amount of sleeping pills and beer would have been sufficient to poison him, but he could have suffocated by his own vomit rather easily.“ Er wischte sich über die Augen. Dann beschrieb er in aller Kürze und für Jenna in recht schnellem Englisch in welchem Zustand sie Erin Shaughnessys Verlobten gefunden hatten und wie der Tag diesbezüglich verlaufen war. Heiji griff nun ebenfalls nach seinem Wasserglas, als er merkte, wie ungeheuer trocken sein Mund wurde. Sein Blick wanderte zu Kogorô, der mit größter Aufmerksamkeit seine Fingerspitzen zu studieren schien. „Wow.“, murmelte er dann. Heiji nickte knapp. Kogorô reagierte praktisch nicht – er hob nur den Kopf, schaute Shinichi lange an. Der seufzte wiederum, fuhr sich kurz über die Augen, schaute dann Heiji und Jenna abwechselnd an. „Well, this was it. How was your day?“ Heiji kratzte sich am Hinterkopf, warf Jenna einen fragenden Blick zu. „Well, I have gathered proof for what I knew before… I will never become a friend of the fine arts. Not in this life, at least.“ Er machte eine bezeichnende Geste über sein Sakko – Shinichi beugte sich an seinem Bildschirm vorbei, sah erst jetzt, wie es um die Klamotte seines Freundes bestellt war, grinste dann breit. „Looks awesome. How is it called? Art Saccó? Why didn’t you let the artist sign it, eh? What, if he becomes famous…“ „Idiot.“ Heiji warf ihm einen genervten Blick zu – in seiner Schläfe pochte es. Shinichi hingegen grinste immer noch, lehnte sich dann zurück und legte seine Fingerspitzen aneinander. Jenna zog die Augenbrauen hoch. Sherlock Holmes, listening to the report of his Bakerstreet Irregulars… “Danke für dein Mitleid, mein Freund. Da geht man mit vollem Körpereinsatz an die Lösung des Falls und was bekommt man dafür? Höhnische Worte, Spott, einen feuchten Händedruck als Dankeschön…“ „Heiji.“ Shinichi schaute ihn etwas ungeduldig an. „Ich habs kapiert. Noch was gefunden außer einer Horde verrückter Selbstverwirklicher?“ „Nein. Ach ja, doch. Vielleicht, heißt das.“ Nun war es an Heiji, breit zu grinsen, während er Jenna auf die Schulter klopfte, und seinen nächsten Satz extra wieder für Jenna in wohl gesetztem Englisch vom Stapel ließ. „Your extraordinary well educated Watson and me, well… we have possibly found the painter of your pictures…” Shinichi fuhr hoch. „Was sagst du da?“ Nun war es an Heiji zu grinsen. Jenna tat es ihm gleich. „Wie?“ „Wir waren in seinem Atelier. Gut, wir können es ihm noch nicht beweisen. Aber immerhin haben wir Farbproben von seinen Farbtuben und Malmitteln genommen und ins Labor gebracht. Und wir haben den hier…“ Er zog seinen Fotoapparat heraus, drehte ihn in der Hand um und streckte seinen Arm quer über den Tisch, so dass Shinichi das Bild betrachten konnte. „… gefunden.“ Shinichi sog scharf die Luft ein, und Heiji wusste, er dachte sofort das gleiche wie er. „Eine Blume.“ Wir müssen endlich herausfinden, was es mit diesem Symbol auf sich hat. Ich kann nicht glauben, dass das nichts weiter zu bedeuten hat… „Und wie heißt unser Mann?“ Und diesmal verstand Jenna die Frage auch auf Japanisch. Sie zog ihren Block heraus, las den Namen ab. „Eduard Brady.“ _______________________________________________________________________________ Nun denn :) Viel Vergnügen damit! Ich danke euch sehr für die Kommentare zum letzten Kapitel und hoffe, das Duo Hattori/Watson hat euch gefallen ;) Beste Grüße, eure Leira Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)