Dunkler als schwarz von Leira (Shinichi x Ran) ================================================================================ Kapitel 4: Seide und Farbe -------------------------- KAPITEL 4 – SEIDE UND FARBE Es dämmerte bereits, als er aus dem Gebäude der Universität schritt. Seine Tasche wog schwer auf seiner Schulter, der Stiftkasten, der ihn ein kleines Vermögen gekostet hatte, ratterte leicht darin, als die einzelnen Stifte in ihren Lagern ein wenig hin und her gerüttelt wurden. Es war erstaunlich warm für einen Apriltag in London; und obwohl seine Stimmung nicht unbedingt die Beste war, genoss er die Sonnenstrahlen. Schien die Sonne, erstrahlte die Welt in einem anderen Licht, befand er. Schien die Sonne, erschien alles gleich nicht mehr so düster. Das war seine Regel. Für jede Regel gab es eine Ausnahme. Die Sonne brach durch das Laub über ihm, warf wirre Muster auf den Boden, ein Muster, das ständig in Bewegung war, sich treiben und formen ließ vom Wind, der sanft durch die Äste strich. Interessiert beobachtete er das Spiel auf dem Boden, als er am Kiosk vorbeikam und wie jeden Tag seinen Blick über die Warenauslage schweifen ließ, dort stehen blieb, um Schokolade und Zigaretten zu kaufen. Schokolade für Meredith, die Zigaretten für sich. Wie immer griff er zielgerichtet nach der Marke seiner Wahl sowie einem Schokoriegel für seine Freundin, als sein Blick über die Titelblätter der Tageszeitungen glitt. Er spürte die kühle Brise in seinen Haaren, auf seinem Gesicht, und er fror. Aber nicht der Wind war es, der ihn Zittern machte. Die Zigaretten glitten ihm aus den Fingern, als er nach der aktuellen Ausgabe des Reporter griff. Das Papier raschelte, als er seine Finger in die dünnen Papierseiten krampfte, so fest, dass er sie fast zerriss. Seine Hände bebten vor Anspannung, sein Kiefer begann zu schmerzen, so fest biss er die Zähne aufeinander. Wie der Schokoriegel in seiner anderen Hand schmolz, bekam er nicht mehr mit. Er stand nur da, zitternd, wagte kaum zu atmen und war blind und taub für alles um ihn herum. Für die langsam zu murren anfangende Schlange an Leseratten, die sich, wie er, an diesem Kiosk vor dem Victory Tower Gardens ihre Tageszeitung für den Weg in die Tube holen wollten, und auch für die langsam immer eindringlicher werdende Stimme des Zeitungsverkäufers. „Sir! Would you please pay the paper and leave?“ Eduard, oder Eddie, wie man ihn nannte, spürte eine Schweißperle, die langsam unter seinem trotz seines jungen Alters schütter werdenden Haaransatz hervorkroch, langsam seine Schläfe hinabrann. Er starrte nur auf das Foto in der Zeitung, und die Schlagzeile, die darüber prangte, auf Seite eins. Ihr Foto. Für alles andere war er blind und taub. Dann riss ihn doch etwas aus seiner Schockstarre – nämlich die fest zupackende Hand des Kioskverkäufers, die an der Zeitung zog. „SIR! Would you either pay that paper or go without it?! There are other consumers waiting!“ „Sorry! O-oh… p-p-please excuse me…“ Eddie wischte sich die Schweißperlen mit fahrigen Händen aus dem Gesicht. Dem Verkäufer entging sein Zustand nicht, nun, da das Antlitz seines Gegenübers nicht mehr von der Zeitung verdeckt wurde. „Are you okay, Sir?“ „Yeah, yeah.“, brabbelte der junge Mann lautlos, während er in seinem Portemonnaie die nötige Anzahl an Pennymünzen zusammenscharrte, um für die Zeitung und das, was vom Schokoriegel noch übrig geblieben war, zu bezahlen. „Please, excuse my behaviour. Have… have a nice day.“ Damit legte er die Münzen auf der Theke ab, griff sich die mitgenommen aussehende Zeitung und verschwand eiligst und mit eingezogenem Kopf in der Menge. YOUNG GIRL MURDERED – NEW CASE FOR SHERLOCK HOLMES? Kein Zweifel, das war sie. Lebendiger, als er sie in Erinnerung hatte, man hatte ihr Bild anhand ihrer Leiche und dem Gemälde rekonstruiert – darunter prangte der Zusatz „Do you know this woman?“- aber das war Ayako. You promised that this won’t become public! You assured that you were only hunting after one special fish… Er musste reden, mit ihnen. Mit diesem seltsamen Duo, auch wenn sie ihm nicht geheuer waren. Auch wenn seine Knie bei dem Gedanken an sie jetzt schon schlotterten und sich wie mit Wackelpudding gefüllt anfühlten. Meredith must not see this, not be bothered by this, that was my only begging… And you promised! You promised to leave her untouched… Innerlich starb er an die tausend Tode, als er daran dachte, dass die Zeitung schon seit heute Morgen im Umlauf war. Seit dem Morgen! Wie wahrscheinlich war es, dass seine Freundin die Nachricht noch nicht gehört oder gelesen hatte? Mit zitternden Fingern fischte er in den Taschen seines zerschlissenen, an vielen Stellen bereits kunstvoll geflickten Mantels (Merry machte das immer für ihn), bis er sein ramponiertes, altes Handy zu fassen bekam. Er schaute auf das Display – kein Anruf, keine Kurznachricht. Merry hätte sich sicher schon gemeldet, wüsste sie etwas. Ganz sicher. Er rollte die Zeitung zusammen, kaute auf seiner Unterlippe, bis er Blut schmeckte. Diese Sache war jetzt in den Medien, und Merry würde es sehen, und dann… dann hatte er besser eine Erklärung. Merry würde am Boden zerstört sein, dieses zartbesaitete, zauberhafte Wesen, das er seine Freundin nennen durfte. Meredith. Er hielt inne, blieb beim U-Bahn-Aufgang stehen. Auch wenn sich in ihm alles sträubte, es schien sinnvoll, gleich zu gehen. Wer wusste schon, ob er später den Mut noch einmal würde zusammenkratzen können. Never put off till tomorrow what you can do today. Damit straffte er seine mehr als schmalen Schultern und eilte die Treppe zur Tube hinab. Er saß an seinem Schreibtisch, neben sich eine große Tasse tiefschwarzen Kaffees und lächelte zufrieden, als er seine eisgrauen Augen über die Seiten gleiten ließ. The detective in charge, probably the incarnation of London's most famous fictional detective Sherlock Holmes, has not shown himself yet to provide us with a statement or to confirm his work on this case. It seems though, that Scotland Yard cannot cloak themselves in secrecy for long, not, if there is a cruel murderer among us all, hunting for young women, being a threat to our daughters, sisters and friends… Ohne aufzublicken tastete er nach seinem Zigarettenetui aus gehämmertem Silber und klappte es auf, zog einen Glimmstängel heraus. Immer noch ohne seine Augen von der Zeitung abzuwenden, steckte er sich die Zigarette zwischen die Lippen und zündete sie an, zog genüsslich daran, ließ den Rauch dann durch seine Nasenflügel entweichen. Als er es rascheln hörte, sah er auf; in der Tür stand sie, ihr Astralkörper gehüllt in einen Jumpsuit aus schwarzem Leder. Chianti. Soweit er wusste, waren sie beide die letzten, bis auf Bourbon. Und sie waren nun hier, um ihr Versprechen wahr zu machen. Sie hatten gewartet, bis es schien, als habe er Fuß gefasst. Gewartet, bis er und alle anderen sie fast vergessen hatten. Es hatte ihn Geduld gekostet, und Nerven. Aber er wollte es. Er wollte ihm Bröckchen hinwerfen. Ihn zermürben. Ihn auf seine Fährte setzen und wieder davon abbringen, an sich selbst zweifeln lassen, andere an ihm zweifeln lassen, er wollte ihn demontieren, bloßstellen, an den Rand dieses Abgrunds treiben und dann würde er ihn hinunterstoßen und nicht so blöd sein wie dieser Romanbösewicht Moriarty und nicht auf Nummer sicher gehen oder gar selber Fallen. Nein. Er wollte dieses Spiel. Er wollte ihm die Hölle auf Erden machen, ein letztes Mal. Er wollte dieses letzte Tänzchen mit Kudô, auch wenn es ihn juckte, in den Fingern, und zwar gewaltig. Er wusste, wo er wohnte, wo er arbeitete, kannte seine tägliche Routine… Es wäre so leicht. So leicht. Aber er beherrschte sich. Und sie gleich mit, denn auch sie war ein eher impulsives Wesen – Selbstkontrolle war nicht ihre Stärke. Gin musterte Chianti kühl. Er konnte diese Frau nicht ausstehen. Ihr affektiertes Gehabe, die Art, wie sie redete, diesen Schmetterling auf ihrem Auge – es gab fast nichts, das er an ihr nicht hasste, aber es gab eines, das er schätzte, an ihr. Ihre unabdingbare Skrupellosigkeit. Diese abgrundtief schwarze Seele, die in dieser nicht weniger schwarzen Hülle hauste. Und ihr nicht abzusprechendes Geschick an der Waffe. Und nun würden sie ihn zurückreißen in diesen schwarzen Alptraum, aus dem er, und dafür würden sie sorgen, nie wieder erwachte. Und die Gelegenheit war nun endlich zum Greifen nah. Nun, da sie ihn aufgespürt hatten. Nun, da ihr Plan perfekt war. Kudô… „Wir werden bald Besuch bekommen, Gin.“, hörte er sie schließlich sagen. Sie trat näher, so nahe, dass er den Duft ihres ekelhaften Parfums riechen konnte. Sie tippte mit einem Finger auf das Foto in der Zeitung; ihr langer, schwarzer, unechter Fingernagel klapperte auf der Glastischplatte. „Unser süßer kleiner Maler wird heute heftig die Hosen voll haben, schätze ich.“ Gin pustete eine formvollendete Rauchwolke in die Luft, lehnte sich genüsslich zurück. „Ah,… er soll nur kommen.“ Der Weg ins Loft seiner Auftragsgeber im Nobelstadtteil Kensington zog sich im Feierabendverkehr. Die Zeitung hielt er fest in seiner Hand – so fest, tatsächlich, dass er glaubte, die Druckerschwärze würde nicht nur auf seine Haut abfärben, sondern in sie einziehen, sich in die Poren fressen, so tief – so tief, dass er sie nie wieder abwaschen können würde, diese drei Wörter. Young girl murdered. Er rannte die Treppe aus der U-Bahn nach oben, tauchte auf ins Tageslicht, atmete heftig ein und aus. Er schwitzte und fror gleichzeitig – aber er, Eduard Brady, war immer noch wild entschlossen, sich Antworten zu holen. Und so ging er mit weit ausholenden Schritten die breite Promenade entlang, sein Blick stur geradeaus gerichtet. Eddie fand das Haus ohne Probleme; ein altes Fabrikgebäude, umgebaut in komfortable Appartements für betuchte Leute. Leidlich atemlos vor Nervosität kam er im Dachgeschossloft an, hämmerte mit beiden Händen an die Tür. Wie erwartet kam er nicht selbst, um ihn hereinzulassen. Sie war es. Diese Frau. Eddie erschauderte, als er sie ansah – wie immer. Und wie immer konnte er kaum den Blick von ihrem Auge wenden – diesem tätowierten Auge. Der Schmetterling flatterte kurz; ein breites Lächeln zog ihre Lippen auseinander, ließ ihre Zähne blitzen. Ein Lächeln, das mehr an ein Zähnefletschen erinnerte als an diese freundlichkeitsverheißende zwischenmenschliche Geste, die es eigentlich darstellen sollte. „He’s awaiting you.“ Ihre Stimme klang amüsiert. Eddie warf ihr einen unsicheren Blick zu und drückte sich an ihr vorbei, ohne sie aus den Augen zu lassen. Dann schritt er durch den offen gehaltenen Wohnbereich, der immer noch sehr an die Fabrik erinnerte, die vorher in diesen Hallen gewesen war. Dicke Betonpfeiler standen im Raum, die Fenster waren groß, viereckig und schlicht, ohne Vorhänge. Überhaupt sah hier alles sehr spartanisch aus – kaum Textilien, kaum Holz, nur Beton, Stein, Glas und Metall soweit das Auge rechte. Eddie schritt durch den Raum, merkte, wie er langsam gegen einen Widerstand zu laufen schien – Kälte umfing ihn, und mit ihr die Angst. Angst vor dem Mann, dem er gleich gegenüberstehen würde. Ohne zu klopfen schob er die Tür auf. „Eduard.“ Die Stimme klang eisig und seltsam hallend durch den Raum. Eddie blieb beim Klang seines Namens wie angewurzelt stehen. „What a pleasure. What’s on your mind, my friend?“ Der junge Student schluckte, versuchte vergeblich, all seinen Mut zusammenzukratzen. Ihm entging der trockene Spott im Tonfall seines Gegenübers nicht und er fragte sich gerade, was zum Henker ihn geritten hatte, als er sich dazu entschlossen hatte, hierherzukommen. Und Fragen zu stellen. Ask a question! This man! Good Lord, Eduard, you must be either suicidal… or have lost your senses…! „Did you read the paper today? The girl…“ Seine Stimme bebte sacht, als er es endlich über sich brachte, seinen Mund zu öffnen. Dann vernahm er etwas, das ihm einen Schauer über den Rücken laufen ließ – genauso, wie beim ersten Mal auch. Leises Lachen. Kaum hörbar, aber so kalt, so intensiv, so böse… so unsagbar böse. Und dann fiel sein Blick auf das, was vor diesem Mann auf dem Tisch lag. Die Zeitung. Und es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Das alles… war geplant. Schon immer gewesen. YOUNG GIRL MURDERED Seine Knie schlotterten. I don’t know, who you are… but I know, what you are… The devil himself, that’s it. That’s what you are. And I’ve sold my soul to you, without knowing… But now it’s too late, I guess… Too late… Er fürchtete ihn, den Mann, der irgendwo in diesem undurchdringlich, fast greifbar schwarzen Schatten saß. Er sah ihn nicht, er spürte ihn mehr, als er ihn erahnen konnte – seine schemenhafte Gestalt kaum mehr als eine Silhouette im Schatten; hochgewachsen, schlank, der Umriss eines Hutes – mehr konnte er nicht erkennen. Einzig eine silberblonde Haarsträhne, die ihm auf die Brust geglitten war, verriet etwas über sein gegenüber. Er hatte nie sein Gesicht gesehen; nie in die Augen des Mannes geblickt, der ihn und seine Freundin bezahlte. You are slim, pretty AND looking for easy made money? CALL US! WE, that is an arts student in his eight semester and a design student in her seventh, WANT YOU for our project – painting and tailoring united in a beautiful artistic collaboration. TAKE PART IN OUR SYNTHESIS OF THE ARTS! Ein bitteres Lächeln huschte ihm über die Lippen. An artistic collaboration, a synthesis of the arts,… sure. Merry dachte tatsächlich, sie machten Kunst. Einen Bildband über ihre Zusammenarbeit, ein Gesamtkunstwerk. Eine Gemeinschaftswerk – ihre Kleider, getragen von Models, die sie über diese Anzeige suchten, junge hübsche Dinger, die leichtverdientes Geld suchten; und seine Bilder. Vereint zu etwas Großem, Ganzem. Und er hatte das auch gedacht, auch wenn er ihren Geldgeber etwas dubios gefunden hatte. Aber hey! – wer fragte schon nach, wenn man an so unverschämt viel Geld kommen konnte, mit dem, was man am liebsten tat. Mit Kunst. Diese Frau hatte sie getroffen, als sie den Campus verlassen hatten; Merry hatte eine ihrer Kreationen über den Arm geschlungen getragen, einen Traum aus schwarzer Wildseide. Der ein Vermögen kostete, und eigentlich konnten sie sich den Stoff nicht leisten. Aber Meredith etwas abschlagen? Nein… Meredith hatte Talent, und sie brauchte… diese Stoffe, um sich zu entfalten. Nun, die Frau hatte offensichtlich ihre Gesichter gesehen, die wohl nur zu deutlich nach Trübsal, Hoffnungslosigkeit und leerem Portemonnaie ausgesehen hatten, und sie angesprochen; eine Frau in schwarzen, hautengen Klamotten, eine Asiatin, auf ihrem Auge dieses auffällige Tattoo, das sie schnell unter einer großen Sonnenbrille versteckte. Sie hatte begonnen, Merrys Kleid zu bewundern – und damit offene Türen eingerannt. Dann hatte sie sich weitere Kreationen zeigen lassen, und schließlich auch seine Gemälde, und am Schluss – hatte sie gelacht, überlegen, triumphierend. „You two are exactly the kind of artist my partner is looking for…“ Und dann… hatte sie sie mit ihm bekannt gemacht. Das Geld war ein sehr überzeugendes Argument gewesen; und er musste gestehen, das Mädchen, Ayako, sah traumhaft aus in Merrys Kleid, und sie zu malen war eine Freude gewesen. Merrys fröhliches Summen, ihr eifriges Arbeiten hatten ihn beflügelt – sie war seine Muse, und wenn es ihr gut ging, dann ging es ihm auch gut. Fristgerecht hatten sie die Arbeiten abgeliefert, er hatte das Mädchen mitgebracht, schließlich wollte der Mann sie treffen. Und dann war es geschehen. Das Bild stand ihm noch heute deutlich vor Augen. Ayako, die bewusstlos zu Boden sank. Ayako, die langsam verblutete, in der Badewanne. Ayako, die er allein nachts in den Hyde-Park gefahren hatte. Ayako… die nie mehr ihre blauen Augen öffnen würde. Er hatte geholfen, gezwungenermaßen, dieses Mädchen zu töten, aber er hatte sich ausbedungen, dass nichts in die Medien gelangte; das Geld war lang nicht mehr der Köder. Der Köder, an dem er angebissen hatte, war Merry. Der Grund, warum er zum Komplizen geworden war, warum er noch mitmachte, warum sie immer noch Mädchen suchten, warum er der Polizei nichts gesteckt hatte… war Meredith. „You know, she would look like the princess of your dreams in one of her own dresses…“ Er hatte nur gelacht. Und Eduard hatte gewusst, dass er aus der Nummer nicht herauskam, bis diese beiden ihren Fisch gefangen hatten. Die Jagd war eröffnet worden, auch wenn er nicht wusste, auf wen. Und dann hatte er heute die Zeitung gelesen, das Bild gesehen, von Ayako. Und er wusste, sie waren Tagesgespräch, heute. Ihm war kotzübel geworden, war es immer noch. Und nun - nun stand er hier, bleich und zittrig, ein schmutziges Häuflein Elend, um Antworten zu bekommen. „She is dead!”, brach es schließlich aus ihm heraus, und er schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Er ließ die Zeitung auf die Tischplatte fallen; auf der ersten Seite prangte deutlich ihr Bild, in Farbe. Das Lachen ebbte leise ab. „Tragical, indeed.“ Er machte eine Pause, ündete sich eine Zigarette an, zog in aller Ruhe an ihr und ließ den Rauch aus seinem Mund entweichen, als er weitersprach. „Very sad. But I wonder – why does this fact astonish you? You attended her death. And you helped washing and dressing her, and you alone, my dearest of all friends, have carried her, along with that fabulous picture you painted, to that cosy place underneath the trees at the shores of the Serpentine Lake.“ Edward merkte, wie die Ohnmacht in ihm wuchs. Aus seinem Gesicht wich sämtliche Farbe. „I – I know.“, hustete er heiser. „But…“ „But what?“ Eduard schlotterte. Gins Stimme hatte scharf und bissig geklungen, drohend, und nun sah er ihn an, genoss sichtlich die Angst, die er in dem jungen Mann erzeugte. „That was the deal. You help us – and we help you. And if you are removing your traces carefully, nobody ever will find or suspect you…“ „You told me, that this would not become a public matter! You promised…!” Gin lachte laut; sein Gelächter hallte von den schmucklosen Wänden wieder, übertönten den Hall von Eduards nervösem Schreien ohne Mühe, fegte über den zitternden Studenten hinweg, ließ ihn schwanken wie ein Halm Weizengras im Wind. „What is it, that you want me to tell you…?“ Gins Stimme klang immer noch ruhig. Stille breitete sich aus, ein unbestimmtes Frösteln ergriff den jungen Kunststudenten. „Wherever dead people emerge, there will be an investigation. The investigation is always led by the police. If you look for information, you are at the wrong address, I’m afraid. Not even you can be foolish enough to believe that a dead girl will not cause further actions.“ Eddie schien wie aus seiner Schockstarre zu erwachen. „I know. I just thought… Merry does not know anything… und it’ll kill her, if she knew…” „Well, Eduard. Then better go and take care of her ignorance, if this will be weighing so heavily upon her beautifully innocent soul… Or you have to worry about something else that might kill her.“ Es war nur ein Hauch – nur ein winziger Hauch von Bedrohlichkeit in seiner Stimme zu hören, als er sprach. Eduard zuckte merklich zusammen. Leises Lachen ertönte aus den Schatten. „You are not doubting our aims, are you, Eduard? Or don’t you like the results of your work? Or the money you earn with it?“ Wohldosiert hatte Gin seine Stimme lauter werden lassen, ein leises Knurren, eine gewisse Schärfe beigemengt. Er wusste, wie er mit diesem Wicht umzugehen hatte, um ihn wieder gefügig und schweigsam zu machen. „No! Yes! I- I mean…“ Der Kunststudent fuhr hoch, stammelte unkontrolliert, ärgerte sich über seine Unfähigkeit, sich artikulieren zu können, wenn er nervös war… oder sich fürchtete. Momentan traf beides zu, und das nicht zu knapp. „No… It’s just… I was scared. Freaking out. I am sorry.“ Er schluckte, verabscheute seine Feigheit, seine Angst, sein Zaudern. Verachtete sich selbst. Und konnte doch nichts ändern. Er war so. You despicable coward, Eduard. What did you want here? Justice? Answers? Ha! And what now? Pussing out like little bunny, that’s what you’re doing. A cucumber shows more backbone than you. „Well, then, my dear friend, I take that our deal is still consisting?“ Der junge Mann nickte eingeschüchtert. „We meet Erin this afternoon. I’ll send you a note about everything else.“ Er schluckte hart, merkte, dass seine Kehle wie ausgedörrt war. „You stick to our plan, I hope. You know, we need five of them. And you know about the dates and the places you have to deliver your packages…” „Sure. I… I’ll hurry up. It – I promise. I’ll take care of everything.“ Dann drehte er sich um und ging – nein, stolperte vielmehr hinaus. Raus aus diesem Loft, aus diesem Gebäude. Nur weg. Die Zeitung warf er noch auf dem Weg zur U-Bahn in eine Mülltonne an der Straße. In der Tube saß er wie betäubt, hätte fast seine Station verpasst; in ihm herrschten Aufruhr und Ratlosigkeit. Er verabscheute sich, verabscheute sich seit den Minuten, als er damals mit Aya, die Merediths Kleid über den Arm geschlungen trug, um es später anzuziehen, und seinem Gemälde bei Mr. Kurosawa und seiner Partnerin aufgetaucht war. Er war gekommen, um ihnen, wie vereinbart, ihre erste Arbeit vorzustellen – und gegangen war er als Komplize eines Mordes. In ihm erstarrte alles zu Eis, als er daran dachte. Als er sich an den angsterfüllten Blick Ayako erinnerte, deren Augen starr und aufgerissen vor Angst auf den Degen, oder was auch immer das für eine Waffe in Kurosawas Händen gewesen war, gerichtet gewesen waren. Ihre Augen waren groß geworden, ihre Hände hatten angefangen zu zittern. Edward war fast zusammengebrochen, als er sie erblickt hatte – die tödliche Waffe, die der Mann locker in der Hand hielt. Und geahnt hatte, dass es ihm nicht darum ging, ein Liebhaberstück seinem eingeschüchterten Publikum zu präsentieren. Dann war in Ayako Bewegung gekommen, als der Mann auf sie zutrat. Sie hatte geschrien, nach der Vase gegriffen, die neben ihr gestanden hatte und sie mit voller Wucht gegen ihn geworfen, der sich ihr näherte, mit langsamen Schritten und einem eiskalten Lächeln auf den Lippen. Kurosawa war dem Geschoss ausgewichen, das neben ihm auf den Boden zerplatzt und geborsten war, hatte die umherfliegenden Splitter mit einer lässigen Handbewegung zur Seite gewischt und – gelacht. „Na, wer wird denn?“ Er hatte sie an der Hand gegriffen, als sie hatte fliehen wollen, hatte sie sie eisern festgehalten, als sie sich wand, nach ihm trat, um sich zu befreien. Er hatte sie nur angelächelt, sich nach vorn gebeugt, um ihr ins Ohr zu flüstern. „Es ist dein großes Pech, dass du aussiehst wie sie...“ Sein Gesicht hatte sich wieder etwas von ihrem entfernt; der Blickkontakt jedoch war nicht abgerissen. Eduard hatte kein Wort verstanden, von dem, was er sagte – er redete japanisch mit dem Mädchen. Aber er konnte sehen, dass seine Worte nicht unbedingt beruhigend auf sie wirkten. „Du siehst ganz und gar bezaubernd aus in diesem Kleid, meine Schöne, ich hab das Foto gesehen – und freue mich darauf, es gleich in natura bewundern zu können. Und es wird ein ganz und gar köstlicher Schock werden für ihn, dich zu finden… die du ihr so ähnlich siehst, seiner… Ran. Du bist der Garant, dass er den Fall übernehmen wird…“ Sein Lächeln wurde noch einen Tick kälter. „Fühle dich geehrt, Mädchen, du bist der Auftakt zu Sherlock Holmes‘ neustem Fall…“, wisperte er leise in ihr Ohr, seine Stimme scharf und schneidend. Dann riss er an ihrer Hand, zog sie zu sich; Ayako, die wie paralysiert in seine eisblauen Augen gestarrt hatte, hatte aufgeschrien, als sie es spürte. Sie hatte zusehends das Gefühl in ihren Beinen verloren, Schmerz hatte sich von ihrer Taille aus in ihrem Körper ausgebreitet, hatte ihr Denken benebelt. Eduard wollte schreien, als er dabei zugesehen hatte, wie ihr Blut warm an ihrer Seite hinunter geronnen war – und dennoch hatte nicht ein Laut seine Lippen verlassen, nicht einer. Wie paralysiert hatte er einfach nur zugeschaut, wie ihr Teint schlagartig erbleicht war, ihre Augen matt und immer matter geworden waren. Eduard hatte in diesen Sekunden aufgehört zu atmen. Niemals hatte er etwas derart Entsetzliches gesehen. Niemals hatte er sich derart schlecht gefühlt, hatte er einen so zwingenden Drang, sich zu übergeben, gespürt. „Leb wohl.“ Damit hatte Gin sie losgelassen, das Schwert aus ihrem Körper gezogen. Ayako hatte aufgestöhnt, war haltlos zusammengesackt und auf dem Boden liegengeblieben. Niemals würde er das vergessen. Ihren Schrei, die Anklage in ihren blauen Augen, als er zusah, wie sie starb, ihr nicht half… Keinen Krankenwagen rief, nicht ihre Wunde versorgte, sondern wie paralysiert nur dastand und zusah… wie sie starb. Und selbst glaubte, in diesem Moment zu sterben. Schließlich hatte sie aufgehört zu atmen, war tot vor seinen Füßen gelegen mit glanzlosen Augen, die immer noch voll Unverständnis und Vorwurf in eine Welt jenseits der seinen blickten - und er hatte aufgesehen in Kurosawas eiskaltes Gesicht, dessen Lippen ein hämisches Lächeln kräuselte. Hinter ihn war die Frau getreten. Und dann hatten sie ihm erklärt, was seine Rolle war, in diesem Spiel. Er war ihr Handlanger geworden, ihr Komplize, weil er wusste, sie brachten sonst Meredith um. Er brachte ihnen die Bilder und die Mädchen, und er schaffte sie am Ende auch wieder weg. Fünf sollten es werden – und an fünf verschiedenen Orten würden sie deponiert werden, alles Orte, an denen man die Mädchen schnell finden würde. Das alles hatte System, Methode und Plan – denn diese Leute verfolgten ein Ziel. Und er war ihr Komplize in diesem Spiel geworden – sie hatten ihn durch das Beobachten des Mords an Ayako zum Mitwisser gemacht, durch seine Aktion, sie am Fundort zu deponieren, zu ihrem Komplizen. Und sie erpressten Sie mit dem einen, das ihm im Leben am Wichtigsten war – mit Meredith. Also hatte er Ayako mitten in der Nacht in seiner kleinen Rostlaube in den Hyde-Park gefahren, die Karre am Eingang stehen lassen und sie auf Händen weitergetragen, um sie bei dem Baum am See zu deponieren – und dabei versucht, nicht zu heulen wie ein Schlosshund, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Er hatte sich verflucht, dass er ihr dieses Unglück gebracht hatte. Und dachte doch die ganze Zeit an Meredith, die daheim in ihrem Bett lag und selig schlief. Lebendig. Daneben hatte er das Bild deponiert, gelehnt an den Baumstamm, der seine Äste ins Wasser hängen ließ – das Bild, in das er ein Stiefmütterchen hatte malen sollen. Ein Stiefmütterchen. Ayako stammte aus Osaka, das wusste er, und die Wappenblume Osakas war ein Stiefmütterchen. Allerdings, ob diese Leute soweit dachten, ihr eine solche Ehre zu erweisen, bezweifelte er. Wofür also die Blume? Aber – er hatte getan, was sie verlangten, und nicht nachgefragt. Und so schwankte er jetzt aus der Tube, fast wie ein Betrunkener, zog seine Oyster-Card nachlässig über die Lesestelle an der Schranke, ließ sich von den Menschen nach oben treiben und machte sich zu Fuß auf den Weg zu seiner Wohnung, den er bewältigte wie ein Schlafwandler. Als er ankam, wartete eine Überraschung auf ihn; Meredith öffnete ihm, bevor er klingeln konnte, strahlte ihn an. Neben ihm stand, in einem rauchgrauen Traum von einem Kleid, eine junge, rotblonde Europäerin. „Das ist Erin! Sieht sie nicht einfach zauberhaft aus, Eddie? Hast du Zeit, kannst du sie malen?“ Er lächelte nur, winkte sie beide ins Atelier, erwiderte pflichtbewusst den Kuss, den Meredith ihm auf die Lippen drückte und starb innerlich seinen tausendsten Tod, als er das Mädchen vor das neue Set drapierte und anfing, sie mit Kohle auf seine Leinwand zu skizzieren, wusste er doch… was sie erwartete. Er fühlte Merrys Wärme, roch ihren Duft, als sie wie üblich, fast zitternd vor Aufregung, neben ihm kauerte, dicht an dicht, und ihm bei der Arbeit zusah, musste sich nicht umwenden, um zu sehen, dass ihre Augen vor Bewunderung glänzten. So wie sie es immer taten, wenn sie ihn beobachtete. Er schluckte, brach das erste Stückchen Kohle ab, als er zu fest aufdrückte, schüttelte den Kopf. A lie, Merry, just for you. A big, fat lie. How would you react, if you knew what I’ve done… what I’ve become? Er hasste sich dafür. Hasste diese Menschen für das, was sie taten. Sie hatten Merries Kleider für ihre Zwecke benutzt… Und sie benutzten ihn. Sie machten aus ihm einen Komplizen ihrer Morde, und sie zerstörten das, was immer sein Lebensinhalt gewesen war, neben seiner Meredith… die Malerei. Sie besudelten sie mit dem Blut ihrer Opfer, nur um an ihr Ziel zu gelangen. Beschmutzten alles, was ihm lieb und teuer war. Get a grip, stupid. You’ve begun it, you’ve got to finish it now. And perhaps, you can… perhaps there is a chance to save her… somehow… Er biss sich auf die Lippen. Dann setzte er neu an, atmete durch. Studierte sein Modell, zeichnete rasch die wichtigsten Linien, ehe er zur Palette griff, die zähen, pastosen Ölfarben aus den Tuben auf das von Farbresten und Lösungsmittel gezeichnete Holz presste, träufelte den Balsamterpentin in ein Näpfchen, das er sich an die Palette klemmte, um mit der ersten Schicht anzufangen. Er würde langsam malen, diesmal. Er würde es hinausziehen, bis es nicht mehr ging. Er würde es zumindest versuchen. Und langsam merkte er, wie er ruhiger wurde. Klammerte sich an den Gedanken, etwas tun zu können. Hoffte, Erin retten zu können, indem er nur lange genug brauchte. Der Geruch des Terpentins stieg ihm in die Nase, und er merkte, wie er ihm die Sinne leicht benebelte. Tief atmete er ein. ___________________________________________________________________________________________________________ Hallo, meine verehrten Leser! Ich freue mich ehrlich, dass euch die Englischanteile der Geschichte so gut gefallen haben; die große Mehrheit der Leser war dafür, es beizubehalten und dem komme ich sehr gerne nach. Ich bemühe mich redlich, korrekt zu schreiben und auch die nicht-Englisch-Leser durch die Gedanken der Akteure und die Rahmenhandlung an der Geschichte mit Genuss teilnehmen zu lassen. Abgesehen davon - so viel Englisch wirds auch wiederum nicht werden. Wenn kein englischsprachiger Charakter dabei ist, wird auch nicht englisch geredet. Wem ein Fehler auffällt, schreibt ihn mir gern als ENS! Ich lern gern dazu – und hoffe für euch auf amüsante Weise diese Sprache ein wenig auffrischen zu können. Englisch ist wichtig, Leute. Ich merks grad selber im „real life“. So – heute mal die andere Seite der Medaille – „The Artist“ stellt sich vor, und ist wahrscheinlich ganz anders, als ihr dachtet. Ich hoffe, es gefällt euch trotzdem. Die Zusammenhänge sind komplex und werden der Reihe nach entschlüsselt. Kommentare wie immer sehr erwünscht! Lasst mich wissen, was ihr über meine Geschichte denkt! In diesem Sinne – schöne Unterhaltung! Eure Leira   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)