Ich fiel von deinen Flügeln. von In-Genius (1-ый час »Я упал с твоих крыльев.«) ================================================================================ Kapitel 3: Läuterung auf dem Friedhof ------------------------------------- Langsam kriecht blauer Schein tief über den Boden; sie müssen das nasse Laub unter ihren Füßen riechen. Oft hält der Schleier inne, wabert geduckt und wartet geduldig; sie müssen den rauen Wind in ihrem Gesicht sehen. Das Blau flimmert trüb und mit kleinen Flecken unsteten Lilas; sie müssen das Pfeifen zwischen den Ästen der hohen Tannen fühlen. Der blaue Schein quietscht leise aber schrill, zweistimmig; sie müssen ihre Angst aus den Gräbern steigen hören. Vorweg vibriert unüberhörbar das kräftige rote Leuchten dummen Mutes; sie müssen den trügerischen Alkohol in ihrem Blut besingen. Immer vorwärts drängend strahlt das Rot ohne Zögern, ohne Skrupel; sie müssen sich dem Geschwätz der Alten entgegenstellen. Sie sind Kinder aus Isborsk.           this will never end cause I want more Unter den Menschen des Dorfes Isborsk gilt mein Friedhof als unheimlich und verflucht. Sie munkeln, das Klagen und Wehen der Verstorbenen sei in stillen Nächten zu hören, selbst bei Tag könne das Schluchzen und Weinen nicht nachlassen. Seit Äonen verspotten die Jungen den Aberglauben der Alten und fordern ihn mit diesen Mutproben heraus, es ist ihr Brauch um ins Erwachsenenalter einzutreten. Stur und ignorant wie ihre Väter und ihre Söhne müssen diese drei Seelen nun ebenfalls über meinen Friedhof schleichen. Der Status Quo ist dem Menschen näher als Vernunft: Ausgerechnet diese drei Kinder seien auserwählt den Fluch zu erkennen, indem sie dem überalterten Brauch folgen? Lächerlich. Noch jeder beugt sich der Weisheit der Alten. Widerstrebend ziehen die beiden verängstigen Seelen weiter, blaue Schlieren bleiben zäh auf ihrem Weg zurück. Ihre Töne schwellen zu unsäglichem Jaulen großer Aufregung an und ab. Ihre Furcht und ihre Unsicherheit wächst mit jedem Schritt, den sie sich vorwärts zwingen. Dem Geschmack nach stehen sie nah ihrem Ziel: dem Mittelpunkt des Friedhofs, dem Ort des sogenannten Fluches. Gellend lacht das rotgleißende Leuchten, fühlt sich stark und verwegen. Immer erregt und laut erreicht diese Seele kein Alter, das Rot von Ärger verbleicht nicht und dieses Kind vergeudet sich an schlechter Arbeit, hässlichen Frauen und reudigem Alkohol; eine Familientradition. Ein lausiger Riss.           more, give me more, give me more Dieses ist weder der Ort noch der Zeitpunkt eine der drei Seelen zu holen. Diese Nacht bildet ein belangloses Zwischenspiel in ihrer Vita, ihr ganzes Leben ist ein belangloses Zwischenspiel. Nicht jedes Kind kann die Welt der Menschen verändern, ihr Geruch bleibt ohnehin gleich: Blau in Angst riecht fade, Rot in Übermut riecht verdorben und beides ist nicht außergewöhnlich. Über Sinn und Unsinn ihrer Existenz entscheide nicht ich, sie öden mich an. Den Seelen von Isborsk bei der Bewältigung oder Unterdrückung ihrer Instinkte und Emotionen zuzusehen, füllt weder Zeit noch Ewigkeit. Es sind die immer gleichen Farben: Rot und Blau. Ich hole mir jede Seele. Egal welche Farben sie fühlen, egal welchen Geruch sie atmen, egal wie sie ihr Leben verschwenden – all ihre Seelen sind mir versprochen. Isborsk ist mein Territorium, nicht ausgefallen aber genügend. Beständig begraben die Menschen ihre Toten auf meinem Friedhof, ein Ort so viel älter als der Name dieses Dorfes. Natürlich denken diese drei Kinder, ihnen gehöre der Ort – Familientradition. So entsteht der Brauch, den angeblichen Fluch zu suchen und zu bezwingen; dummer Gedanke, dass bloße Menschen das schaffen können. Ihre gedankenlosen Spiele vertreiben nur die Zeit, ihre Einfalt und Eitelkeit schafft ein weites Reich, Sinn und Sinnlosigkeit erreichen Deckungsgleichheit. Menschen sind klein, ihre Seelen flackern nach Zeit. Ich bin ewig.           this will never end cause I want more Ein Blick auf meine Erscheinung, sobald ich sie hole, festigt die Lüge der Alten. Sie halten mich für den Fluch. Sie sagen, ich hänge als göttliche oder teuflische Strafe über dem Dorf, mit den abegeschnittenen Ohren soll ich das Röcheln der Sterbenden hören, mit dem Glanz hinter den vernähten Lidern soll ich die Sünden ihrer Herzen sehen, mit der Stimme hinter den vernähten Lippen soll ich sie in meine Arme circen. Die Seelen der Verstorben klagen und weinen um meinetwillen, heißt es, einst Mensch und nun verdammt meine Nachfahren in den Tod zu holen. Falsch und wahr. Mythen, Sagen, Legenden und Märchen verlieren viel Ehrlichkeit zwischen den Menschen. Ich bin der Tod von Isborsk. Ihre Seelen hole ich nicht aufgrund eines albernen Fluches, sondern ich nähre mich an ihnen. Hier bieten sie keine Vielfalt, manchmal bedauerlich, an sich bedeutungslos. All die anderen Farben: Grün, Rosa, Braun, Violett, Beige, Türkis, Orange, Grau, Schwarz, Weiß und die vielen Nuancen dazwischen duften mal stärker, mal schwächer, mal aufregend, mal langweilig. In dieser rot-blauen Einöde sind sie alle selten, nur Braun in Orthodoxie und Grau in Melancholie glimmen immer wieder in kleiner Abwechslung dazwischen. Ihr Duft ist verzichtbar, Grau meist von geringem Eifer und nährt nur für eine kurze Spanne. Nichts duftet so verlockend wie gelbe, wildvergnügte Seelen.           more, give me more, give me more In Isborsk wachsen wenige gelbe Seelen heran, das Leben hier – oder was die Menschen dafür halten – begünstigt ein heiteres Gemüt nicht. Ihr Duft ist zutiefst betörend, sie zu holen verschafft mir dieses besondere Hoch, dass ich fast wieder Lust auf blutige Abenteuer und sinnliches Vergnügen schöpfe. Sie befeuern das restliche Gemüt aus einem anderen Leben und das Sehnen, Wünschen, Hoffen aus menschlichen Erinnerungen brennt in meiner Kehle, bis ich in altem Größenwahn ersticke. Aber diese Tristesse gebiert eben nur wenige Farben, ein sich selbst erhaltender Kreis. Ausbruch aus dem immer Gleichen ist das immer Gleiche. Diese Kinder denken ebenso wenig. Die drei Seelen stehen in der Mitte meines Friedhofs, bestaunen mit ihren dummen Augen den polierten Marmor eines Kreuzes. Darunter liegt kein Grab, denn das Kreuz und die Statuen sind das Grab. Kurz blitzen ihre Seelen blau und rot auf. Die Kinder hören es: das jämmerliche Klagen eines Engels. Der Fluch betrifft keinen Menschen, er bestraft einen Engel und einen Dämon. Die Seele des Dämons ist rau und hart, leuchtet Grün mit Eifersucht und Schuld. Selbst für eine dämonische Seele zu marode und zu brüchig. Es wispert, er liebe den Engel. Unmöglich. Er verlässt des Engels Seite nicht, obwohl ihn das von hier befreit. Töricht. Seine Seele kann er in die Hölle mit zurücknehmen, mich macht sie krank. Er bleibt – für sie. Liebe ist ein Menschengut, falsch und misslich.           if I had a heart I could love you Der Engel jedoch ist weich und anschmiegsam, die Seele schreibt scharfe Konturen. Ich kann die Flügel sehen. Sie schwelt in einem zarten, traurigen Grau, das manchmal ihre anderen Farben überstrahlt. Rosa in Schwäche und Türkis in Neid, ungewöhnliche Farben. Ein verwirrter, kleiner Engel sitzt hier und weint. Es wispert, sie liebe den Dämon nicht mehr. Trotzdem weint und schluchzt sie auf meinem Friedhof. Fraglos nach einer anderen Liebe, die sie sich einbildet. Ihre Seele hole ich mir wie jede andere, mitten im Schnee unterm Nordlicht und ihre Überraschung besitzt eine fruchtige Note. Rosa riecht zwar zäh, aber ihre Leidenschaft wertet das auf. Mit ihrer grenzenlosen Energie steigert sie sich in alles hinein, sicher auch in den Dämon. Das hält lange vor. Liebe ist eine menschliche Erfindung, anmaßend und unehrlich. Es braucht ein Herz, sie zu fühlen und von ihr verführt zu werden, mit ihr zu blühen und unter ihr zu verzweifeln, sich nach ihr zu sehnen und sie zu verfluchen. Liebe ist … Was kann ich dazu sagen? Ich sehe die Seelen in Isborsk, immer wieder glühen und strahlen sie in Liebe auf, ein farbenfrohes, diverses Gefühl: Weiß, Schwarz, Orange, Türkis, Grau, Gelb, Violett, Beige, Rosa, Grün, Braun, Rot, Blau. Liebe gibt es in jeder Farbe, sie ist ein wandelbares Gefühl. Das einzige Gefühl dieser Art. Sie kann eine Seele plötzlich in ihr Gegenteil verkehren, unzählige Lieder, Gedichte und Geschichten kennen Menschen über sie. Sie ist immer das Gleiche und dennoch jedes Mal anders.           if I had a voice I would sing Aus Liebe kann der Mensch sprechen. Ich sage kein Wort. Jeder Tod ist stumm. Liebe kommt selten allein, in ihrem Hofstaat stehen Mitleid und Nachsicht, welch anmaßenden Eigenschaften für einen Tod. Wir dienen, wir holen, wir schweigen. Nur so ist unsere Aufgabe zu erfüllen. Jeden Menschen ereilt der Tod ohne Unterschied, ohne Grenzen. Es darf kein Mitleid und keine Nachsicht geben, es darf kein Begehren und keine Absicht geben; es zählen allein die Seelen. Wir sind keine Wesen mit Herz. Ein Herz verzerrt einem jeden Gedanken, es ist eine Bürde. Sehe ich die Seelen in Isborsk, ist Liebe Irrsinn. Sehe ich die Seele des Dämons und des Engels, ist Liebe Wahn. Meine Lippen schweigen ewig. Jetzt ist die rote Seele ebenso blau wie ihre Freunde. Furcht taucht den ganzen Friedhof in dunkles, diffuses Licht. Übermut und Radikalismus verschwinden schnell, wenn der menschliche Horizont gesprengt wird. Blinder Zorn und absurde Angst bleiben zurück. In diesem Kind überwiegt die Furcht, angesteckt von seinen Freunden. Das Weinen eines Engels reißt jedes Herz auf und Traurigkeit und Buße füllen dieses Loch aus. Die drei Seelen erstarren in ihrer Menschlichkeit, unfähig die Situation zu verstehen. Ihr Mitgefühl für das Klagen und Wehen nährt ihre Furcht: vor dem jammernden Wesen und vor sich selbst. Sie wollen helfen und können nichts tun.           after the night when I wake up Untätig stehen sie vor der blass glühenden Statue, gefangen von den lauten Tränen des Engels. Das Entsetzen sitzt tief in ihren Leibern. Für einen kurzen Moment liegt Stille über dem Friedhof und das Pfeifen des Windes erinnert sie zu handeln. Mit rasenden Herzen flüchten die drei Kinder über die niedrige Mauer, das Klagen des Engels beginnt von vorn. Hinter der Einfriedung reißt die Stimme endgültig ab, nur der raue Wind bleibt zurück. Die drei jedoch hasten weiter ins Dorf Isborsk. Die Worte der Alten und den Fluch meines Friedhofs verlachen sie nicht mehr. Auch ihre Seelen hole ich hierhin zurück. Nur der grüne Schimmer und das rosa Leuchten der beiden Gefangenen bleiben hier. Eindringlinge auf meinem Friedhof, die nicht mehr gehen. All die Seelen aus Isborsk, welche über die Zeit hinweg meinen Friedhof betreten, um ihren falschen Mut zur Schau zu stellen oder ihren Toten zu gedenken, besitzen den Anstand wieder zu gehen. Aber Himmel und Hölle sind ignorant und narzisstisch, in fremdes Land zu marschieren und meinen Jubel zu erwarten.           I'll see what tomorrow brings Weder Himmel noch Hölle haben Macht über mich, weder die ewigen Wolken noch die ewige Hitze haben Wert für mich. Ich gehöre allein Smrit. Dennoch muss ich diese Dreistigkeit ertragen. Der Klang ihrer Leidenschaft durchsetzt meine Glieder, an guten Tagen ist das erfrischend, jedoch an schlechten Tagen ist es abscheulich. Die Seele des Engels ist gerade Entschädigung genug; wäre sie doch gelb und fidel. Büße endlich, Engel! Dieser Friedhof ist mein Reich.                       * * *   Die Klinge meines Schwertes stand in der Erde, das Heft lag einige Schritte entfernt und um mich herum winselten die Sterbenden. Der Geruch von Tod hing tief über dem Feld. Blut tropfte von meinen Händen, sie zitterten vor Schwäche. Ich sah auf, mein Bruder trat auf mich zu. Hinter seinem blutverschmierten Bart grinst er höhnisch, wie gewöhnlich. „Truvor.“ Er humpelte, ein Pfeil im rechten Bein. „Fürst Truvor von Isborsk für dich.“ Meine Lungen schmerzten bei jedem Atemzug. Mein Bruder hob sein Beil. „Truvor, du lernst es nie.“ Der Krieg war verloren.   Schwarz. Nur Schwärze überall. Dazu Krach, durchdringend, schrill. Nur Schmerz. Alles an meinem Körper tat weh. Ein brennender, zerreißender Schmerz, der in jedem meiner Knochen saß, jeden meiner Muskeln befiel, meinen ganzen Körper lähmte. War dieser Krach meine Stimme? Ein blendendes Aufblitzen. Heftiges Stechen an meinem Hals. Ich wusste: Ich war nicht mehr geköpft. Eine Hand streichelte meine Wange. Sollte das trösten? Wieder ein blendendes Aufblitzen und der Krach verebbte. Endlich Ruhe. Ich wusste: Ich würde nie mehr hören. Der Schmerz wütete in meinem Kopf. Die Hand streichelte meine Lippen, sanft und unnachgiebig schloss die Hand meinen Mund. Ein Kuss. Plötzlich war der Schmerz eisig und verschmelzend. Ein langer Kuss. Danach war ich leer.           if I had a voice I would sing Erneut blitzte es hell auf. Der Schmerz fror mein Rückgrat ein. Ich wusste: Ich würde nie mehr sprechen. Die Hand streichelte wieder meine Wange, dann stach sie in meine Augen. Ich wollte fliehen, meine Glieder rührten sich nicht. Die Hand schabte meine Augenhöhlen aus, sorgfältig und behutsam. Ich spürte warmen Atem auf meinem Gesicht. Ich wusste: Ich würde nie mehr sehen. Die Hand strich durch meine Haare und riss sie aus. Der Schmerz echote in der Schwärze. Dann sah ich sie, vielmehr ihren Umriss im Nichts. Ihr Name war Smrit und sie küsste meine Nase liebevoll. Ich erstickte, aber der Schmerz ließ endlich nach. Ich wusste: Ich würde nie mehr Luft holen. Ich holte Seelen.                       * * *   Ich werde meine Ziele im Leben nicht erreichen, vorher wird mein Bruder mich töten, indem er den Kopf von meinem Hals schlägt. Dann wird es Zeit sein, meine Seele zu holen. Ungeachtet des Neides meines Bruders, werde ich Isborsk zu einem Fürstentum erheben. Ich werde meinem Sohn sein erstes Pferd schenken und sein Lachen genießen. Fast wird es unmöglich sein, meinen Vater zu überzeugen mir Isborsk zu überlassen. Alles für meinen Sohn.           dangling feet from window frame Ich werde auch meine Tochter lieben. Voller Stolz und Freude werde ich den ersten Schrei meines Sohnes hören. Mein Erbe, mutig und stark. Tagelang werden wir feiern, dass meine geliebte Frau schwanger ist. Endlich werde ich auf meinem Pferd sitzen, das Schwert ziehen und kämpfen. Das erste Mal Blut auf meiner Klinge, das erste Mal dem Tod ins Auge sehen, das erste Mal Leben nehmen. Hier werde ich meine Seele holen. Meine Seele wird ein wilder Strudel aus Rot und Gelb sein, voll Kraft und Frohsinn. Auf dem Rücken eines Pferd wird sie besonders hell leuchten und mit dem Schwert in der Hand wird sie vor Leidenschaft tönen. Die erste Schlacht meines Lebens wird mein glücklichster Moment. Denn noch wird alles neu und aufregend sein, Begeisterung strömt durch meinen Körper. Das Rot seelischer Hitze und das Gelb neugierigen Erfindungsgeistes werden zu einer zügellosen Flamme, die mich mein ganzes Leben lang wärmt. Dies, wenn ich das erste Mal mit meinem Schwert einen Menschen töte, wird der Moment, der mich zum Mann macht.           will they ever, ever reach the floor? Diese Lebenskraft werde ich holen. Jetzt wird sie am größten und stärksten sein und meine Seele wird so hinreißend nach Macht und Ruhm duften. Sie wird endlich reif sein. Die Ekstase meines ersten Kampfes wird mich verschlingen. Gelbe Seelen berauschen. Diese erste Lust auf blutige Abenteuer wird mich blenden und die Euphorie wird in meinen Gliedern brennen. Alles wird neu. Meine Seele wird beenden, was Smrit begann, und mich zu einem ihrer Diener wandeln. Ich werde schweigen, ich werde holen, ich werde dienen. Mein Name wird Tod sein und jetzt werde ich zum ersten Mal eine Seele holen: meine Seele. Im richtigen Moment werde ich an die Seele herantreten, je näher ich stehe, desto herber wird ihr Geschmack. Ich werde meine Hand nach ihr ausstrecken und sie berühren, heiß und zart werden meine Finger jede menschliche Regung in ihr spüren. Manche Seelen werden sich gegen meinen Griff wehren, diese jedoch nicht. Sie wird es wissen. Fest werde ich sie halten und in ihrem Leuchten wird meine Hand weiß und entmenschlicht erscheinen, nur in diesem Augenblick. Dann werde ich mich hinabbeugen, meine Lippen geben Schlitze zwischen den Fäden frei und tief werde ich die Seele in meine Kehle ziehen. Ich atme.           more, give me more, give me more Erfrischend wird die Seele in meinen Kopf steigen, meine Gedanken verdrehen und meine Sinne stolpern lassen. Ich werde die Erinnerungen an mein Leben sehen, alles Vergessene wird mir das Herz vorspielen, das nicht mehr in meiner Brust schlägt. Dieser Moment wird punktuell aber ewig sein. Ich werde genießen, wie die Seele meine Kehle streichelt, wie sie in meinem Hals weht und bis in meine Glieder rinnt. Ihr gelbes Strahlen wird in mir sein und dort aufhören. Um mich herum wird die Schwärze zurückkommen, blass stehen all die anderen Seelen. Auf meinem Friedhof werde ich den letzten Duft meiner Seele auskosten.     Ein warmes Bett in unserem Schloss, Olya wird alt. Noch lange nach mir wird sie Isborsk regieren, dabei hartnäckig unserem Sohn seine Würde sichern und unsere Tochter lohnend verheiraten. Sie wird eine kluge, geschickte Fürstin und sie wird eine warme, strenge Mutter sein. Meinem Bruder wird sie nicht nachgeben, auch wenn er ihr und unseren Kindern droht. Ihr wird mein Tod schwer auf dem Herzen lasten; menschlich. Mit Stolz und Liebe wird sie mein Schwert aus dem blutigen Gras ziehen und weiter an meiner statt kämpfen.           cushion filled with all I found Sie wird fürchten, dass ich der Gier meines Bruders zum Opfer falle. Unerschütterlich wird sie an meiner Seite stehen, wenn ich uns die Fürstenwürde gebe. In Isborsk wird sie unsere Tochter zur Welt bringen. Die Monate auf den Flüssen unseres Landes wird sie lieben und während wir einander Treue vor den Göttern schwören, trägt sie unseren Sohn in ihrem Herzen. Wenn ich um ihre Hand halte, wird sie lachen vor Freude. Ihre Liebe zu mir wird ihre Seele ein Leben lang ausfüllen. Dies wird mein Moment. Ihre Seele wird eine Melange aus gelben und blauen Schlieren. Ihre Farben werden über- und untereinander fließen, in- und umeinander drehen, als würden sie miteinander tanzen. Freude wird von ihr in aller Helligkeit ausstrahlen, ihre Seele lacht ebenso wie sie. Meine Stimme und meine Hand erfüllen all ihre Wünsche, all die Hoffnungen auf ihre Zukunft werden zu einem festen Teil ihres Herzens. Es wird keinen besseren Augenblick geben, ihre Seele zu holen. Kraft und Wille werden nie wieder so stark sein wie jetzt, so angefüllt mit all ihrem Begehren und Verlangen. Das Gelb ihres Lebensmutes lässt jede andere Seele erblassen.           underneath and inside, just to come around Mittendrin das brillante Blau ihrer Liebe und Treue. Es wird glitzern und blitzen wie ein Lockmittel, als ob ich sie holen soll. Die ersten fünfzehn Jahre ihres Lebens wird das Blau ihrer Liebe zu mir wachsen, Olya wird immer an meiner Seite stehen und ab diesem Moment wird es sie definieren. Dieses Blau wird hell strahlen. Mit starkem Puls wird sie für mich leuchten und mich zu sich rufen. Also werde ich sie holen. Ich werde meine Hand in ihre Seele strecken, sie zu mir ziehen und tief Atem holen, sauge sie tief in meine Kehle. Sie wird mich wärmen. Ich werde ihre Erinnerungen sehen, unser Leben aus ihrer Sicht und mit ihren Gedanken hören. Olya wird so ein lebhaftes Kind sein. Immer wird sie mir nachlaufen, bei meinen wahnwitzigen Ideen mitspielen und mit uns Jungs über das Land toben. Aufgeweckt wird sie die Welt sehen und ihre Neugier wird ihr viele Türen öffnen. Sie wird nichts bereuen. Ihre Seele wird herrlich laut schwingen, wenn ich sie jetzt hole. Ihr Puls wird schnell sein, ihre Farben werden unverdrossen leuchten, alles um sie herum wird ebenfalls Gelb und Blau sein. Sie wird ihr Leben lieben, denn nichts kann ihre Seele trüben.           more, give me more, give me more Junge Seelen duften am stärksten, am aufregendsten, am besten. In ihren ersten Jahren werden Seelen noch voll Energie und Überschwang sein, genau dann werde ich sie holen. Sie werden genug von der Welt wissen, um sich vollkommen auf sie zu freuen, und doch nicht genug, um bereits von ihr enttäuscht zu sein. Gerade richtig. Wenn es in ihrem Alter soweit ist und ich sie hole, werde ich für jede Seele durch ihr Leben gehen und den richtigen Moment abwarten. Ich werde alles von ihnen sehen und alles über sie wissen, nur so kann ich es bis zu ihrem Höhepunkt bringen.                       * * *   Das Feld lag in Blut getränkt zu den Hufen meines Pferdes, überall lagen tote Freunde und sterbende Verwandte. Ihre Gräber ruhten auf meinen Schultern. „Truvor“, keuchte es von unten herauf. Mein treuester Freund. Seit Kindertagen stand er mir zur Seite, jetzt fehlte ihm ein Bein und seine Därme lagen im Schlamm. „Truvor … hilf mir.“ Er würde mir nie mehr beistehen. Für ihn und für so viele andere meiner Kämpfer gab es nur noch eine Hilfe: Ich hob mein Schwert und stach ihm in die Brust, mitten ins Herz. Musste all dieses Blut vergossen werden? Es musste. Nur Dank mir war Isborsk ein Fürstentum, niemand anderes als ich würde es führen. Erst recht nicht mein Bruder. Dafür duldete ich den Tod meiner Gefährten. Dafür veräußerte ich das Leben meiner Getreuen – bereitwillig. Auf der anderen Seite des Feldes sah ich meinen Bruder. Ich trieb die Sporen in die Flanken meines Pferdes.   Kalt spürte ich ihren Blick auf mir. Von Augen ohne Gefühle. In der wabernden Schwärze glaubte ich, ein zufriedenes Lächeln zu sehen. Nun war ich wirklich der Tod. Hatte ich zu oft getötet? Nun war ich zu einem ihrer Gehilfen geworden. War nicht jede Tötung richtig gewesen? Nun hieß ich Sluga, Diener des Todes. Hätten noch mehr sterben müssen, um meinen Sieg zu erlangen? Sie wies mir den Friedhof von Isborsk zu, wo meine Leiche die erste Bestattung war. Endlich herrschte ich über mein Fürstentum auf alle Zeit, meine Bestimmung war erreicht. Dies war jedes Sterben wert. Ich diente Smrit. Ich holte Seelen. Ich schwieg für immer. Dann lösten sich die Fesseln von meinen Gliedern.           if I had a voice I would sing Dies war mein Reich. Ich opferte jedes Leben für meine Fürstenwürde, trotzdem regierten Himmel und Hölle über mich. Gehörte ich nicht auf ewig Smrit? Ich musste beide erdulden, musste ihre Ignoranz und ihren Narzissmus ertragen, musste ihre Impertinenz und ihre Niaiserie aushalten. Ich sah machtlos zu, wie sie in mein Land marschierten. Sie ordneten mich an Wache zu halten. Ein Engel und ein Dämon verbüßten ihre Strafe ausgerechnet auf meinem Friedhof. Jahrtausende gingen ins Land, ohne dass sich jemand für Isborsk interessierte. Allerdings war über den Wolken und unter der Hitze jeder Ort auf dieser Welt gleich, Isborsk so gut wie Konstantinopel. An all diesen Orten war Liebe nur eine menschliche Idee. Ich schwieg. 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