Säureherz von ambertree ================================================================================ Kapitel 2: Nächstes mal ----------------------- Vor dem Fenster waberte noch Dunkelheit als Adrian, um sechs Uhr, den vorausgegangenen Abend Revue passieren ließ. Die Fingerkuppen seiner linken Hand wiesen noch immer die Abdrücke der Stahlsaiten auf. Mit den Jahren waren sie, durch die Hornhaut, beinahe wie betäubt. Was ihm mehr zu schaffen machte, war seine Kehle. Der exzessive Konsum von Tabak und Alkohol forderte allmählich seinen Tribut. Als wäre seine Luftröhre mit einem dickflüssigen Mantel aus Teer überzogen, fiel ihm an manchen Tagen das Atmen schwer. Zu diesem Problem gesellten sich, in diesen Stunden, auch Heiserkeit und ein unbarmherziger Juckreiz in seinem Hals. Zu verdanken hatte er dies dem Umstand, dass er sich allein aus Prinzip nicht mit Gesangstechniken auseinandersetzen wollte. Somit reizte jede Probe, jede Aufnahmesession und jeder Auftritt seine ohnehin schon lädierte Gesundheit. Zwar spürte er die Auswirkungen seines Lebensstils in diesem Moment, doch mit den Gedanken war er woanders. Vor seinem inneren Auge sah er noch immer das Lichtgewitter, welches für Sekundenbruchteile den Club erhellte. Den Großteil der Auftritte verbrachte er damit sich auf sein Gitarrenspiel und den röhrenden Gesang zu konzentrieren. Oftmals verlor er im Rausch der Klänge und blitzenden Farben den Bezug zur Realität. Vor Jahren noch klang die Band lediglich wie die Summe ihrer einzelnen Teile. Durch ständige Proben und Herzblut aber, waren die vier Mitglieder eine Einheit geworden. Etwas das nur sie selbst nachvollziehen konnten. Für die Dauer eines Songs schien es, als würden sie in einer höheren Bewusstseinsebene schweben. Wie im Rausch, von der Welt entfernt, spürten sie, dass die Musik geradezu aus ihnen herausströmte. Das Dauerfeuer der Bassdrum in den Eingeweiden, die klirrenden Gitarrensoli in den Ohren, der warme Bass in den Kniekehlen. Sie spürten jeden Ton. Als sie in dieser Nacht ihre Zugabe beendeten und verschwitzt im Backstageraum verschwanden, hatte Adrian seinen Entschluss schon gefasst. Schwer atmend, als wäre er einen Marathon gelaufen, sackte er in der ledernen Couch zusammen. Sein platinblonder, strohiger Pony bedeckte das Gesicht, während das blutrot gefärbte, hüftlange Haupthaar an seinem Rücken klebte. Nach über zwei Stunden auf der Bühne sahen die Musiker aus, als wären sie soeben aus einer Sauna gekommen. Drei Minuten später waren noch die Forderungen des Publikums nach einer Zugabe zu hören. Doch statt zum dritten mal an diesem Abend auf die Bühne zu gehen, öffnete Isa das erste Bier. Die große Bassistin mit dem orangenen Sidecut, lächelte in die Runde. »Ich bin komplett im Eimer«, bemerkte sie, bevor sie den ersten Schluck nahm. Die Piercings an ihrer Unterlippe klirrten geräuschvoll an der Glasflasche. Nach einigen Sekunden Stille fügte sie »War doch geil, jetzt lasst uns anstoßen«, hinzu. Statt dabei in die Runde zu schauen, blickte sie auf Charly. Der hagere Gitarrist ließ sich selten auf Rauschzustände ein. »Lass mich noch kurz entspannen«, erwiderte er mit erschöpfter Stimme und geschlossenen Augen. Der fensterlose Raum wurde kurz darauf von einem süßlichen Duft erfüllt, der ihn aufmerksam werden ließ. Mit skeptischen Blick aber belustigtem Lächeln schaute er zu Noah. »Alter. Sitzt der Assi da hinten und zieht einen durch..« Der gemeinte Drummer, mit dem schwarzen Haar, setzte einen unschuldigen Blick auf. Statt zu antworten, ließ er seine Augen in alle Richtungen schnellen und unterdrückte ein Lachen. Während Isa laut losprustete, schüttelte Charly grinsend den Kopf. »Ich glaub' das war echt 'n gutes Ding, heute«, warf Noah in die Runde als er den Joint an Isa weitergab. »Wir bringen immer gute Dinger«, fügte diese hinzu und atmete den zuvor inhalierten Rauch aus. Von den vier Bandmitgliedern war sie die Optimistin. Während ihre männlichen Kollegen oftmals an ihren eigenen Fähigkeiten zweifelten, nahm sie jede Krise locker. Nicht nur einmal gab es deswegen Diskussionen mit Adrian, welcher mit seinem Perfektionismus dafür sorgte dass der Band einige Auftritte entgingen. Charly, der ihm nähesten stand, vermittelte für gewöhnlich zwischen den beiden gegensätzlichen Persönlichkeiten. Der soeben beendete Gig kam nur zustande weil er ohne Adrians Wissen zugesagt hatte. »Ach komm, gelohnt hat es sich doch«, hörte der erschöpfte Sänger eine tiefe Stimme neben sich. Der Strippenzieher lächelte ihm gutmütig zu. »Ohne unsere Prinzessinnen hätte das Publikum doch gar nichts zum Gaffen.« Isa und Adrian waren schon immer der Blickfang für die Zuschauer gewesen. Mit ihrer figurbetonten Lederkleidung und dem aufwendigen Make Up, schufen sie einen Kontrast zu Noah und Charly, die mit ihrer zerissenen Kleidung und den besprayten Motorradjacken aussahen, als kämen sie von einem Straßenkrieg. Ironischerweise wirkte Adrian femininer als seine Kollegin, was nicht selten zu angespannten Situationen führte wenn ihm ein betrunkener Zuschauer, nach einem Konzert, unsittlich berührte. Auch wenn Adrian nicht antwortete und stattdessen müde auf den Boden starrte, hatte Charly recht. Sie waren an diesem Abend die dritte von fünf Bands, welche im Club spielten. Während die Zuschauer, bei den zwei Gruppen vor ihnen, verhalten reagierten, forderten sie bei den vier Punks Zugaben. »Vielleicht kriegen wir jetzt endlich mal was geschissen«, sprach Charly nochmals seinen Sänger an. Mit heiserer Stimme gab dieser ein »Selbst wenn es so wäre«, als Antwort. Kraftlos beugte er sich nach vorn um ein Bier zu öffnen. Während Isa und Charly nachdenkliche Blicke austauschten, griff Noah nach der Flasche der Bassistin und sprach an den Sänger gerichtet: »Mach dir doch nicht wieder Gedanken. Ich weiß, es war nicht alles perfekt aber wir haben jetzt vielleicht endlich mal 'nen Lauf. Wenn ich daran denke was wir früher für 'ne Kacke gebaut haben..« Als der Drummer seine Ansprache mitten im Satz ausklingen ließ, begann Isa zu lachen. Einige Stunden später, während die letzte Band des Abends ihr Set beendete, standen die vier Kumpel vor Charlys Transporter. Die Instrumente, welche sie soeben darin verstaut hatten, sollten nun in den Proberaum zurückgebracht werden. Bevor der langhaarige Gitarrist den Motor anließ, fragte er nochmals ob seine Freunde sein Angebot ausschlagen wollten. »Seid ihr sicher dass ich euch nicht mitnehmen soll? Nicht dass ihr wieder irgendwo besoffen auf die Schnauze fallt und euch den Arsch abfriert..« »Geht schon klar, Mama. Wir gehen noch 'ne Runde saufen und nehmen den Bus«, antwortete Isa, angetrunken und stoned. »Jedem Erfolg sollte ein Absturz folgen«, fügte Noah scherzend hinzu. Charly ging auf den Halbkreis seiner drei Musikerkollegen zu, um diesen zu vervollständigen. Als sie sich zum Abschied in den Armen lagen, wurden Adrians Augen feucht. Das Gekicher der Bassistin, Charlys Fürsorge und das zufriedene, benebelte Grinsen des Drummers jagten ihm einen Schauer über den Körper. Mit geneigtem Kopf sprach er in die Runde. »Danke dass ihr das mit mir durchgezogen habt..« Nach einem Moment der Stille fragte Noah trocken »Werden wir jetzt alle sentimental?« Der Wind wehte kalt um die Punks, welche sich in den Armen lagen. »Mach dir keinen Kopf, Prinzessin« wandte Charly das Wort an Adrian, bevor er sich an die Gruppe richtete. »War 'n geiles Ding! Ich muss los. Passt auf euch auf, ihr Penner!« Als sich der Transporter vom Parkplatz des Clubs entfernte und sich die beiden Rhythmusinstrumentalisten, mit roten Augen, auf den Weg in die nächste Kneipe machen wollten, schaute Adrian in den Nachthimmel. Keine Wolke war zu sehen. Nur der Mond blickte auf ihn herab, während sich klirrende Kälte über die Stadt legte. Die Hände tief in den Taschen seiner Lederjacke vergraben, drehte Noah sich noch einmal zum Sänger um. »Ey, Alter«, begann er und lenkte den Blick des Angesprochenen auf sich. »Du kommst eh wieder nicht mit, oder?« Adrian lächelte ihm zu. Der Schlagzeuger holte eine Zigarettenschachtel aus seiner Innentasche um selbige dem Wortkargen in die Hand zu drücken. Mit einem »Dann mach dir wenigstens alleine 'ne schöne Nacht«, unterstrich er seine Geste. Während Isa sich schon von den beiden entfernte, bedankte Adrian sich mit einer weiteren Umarmung, welche zugleich als Abschied diente. »Bis später«, fügte er hinzu und bekam als Antwort den Humor des Schwarzhaarigen zu spüren. »Bis später«, äffte dieser ihn nach und streckte ihm, als Kontrast zu seinem Lächeln, den Mittelfinger entgegen. Als der Gedanke an Noahs Abschied die Erinnerung an den Abend abschloss, ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen. Verstaubte Regale, Bandposter, zwei E-Gitarren, Spinnennetze, ein alter Fernseher. Vor ihm stand eine gepackte Reisetasche. Langsam erhob er sich von der Couch, atmete einmal tief durch und schaute auf sein altes Handy. Neben der Uhr, welche ihm verdeutlichte dass er sich auf den Weg machen sollte, zeigte das Display auch eine ungelesene SMS an. Ein Grinsen zog sich über sein müdes Gesicht, als er las von wem sie kam. Isa hatte ihm schon vor einigen Stunden geschrieben. »Der bengel is am tresen eingepennt! Hat dauernd was von irgendwem ausegeben gekrigt der unsere mukke mag. Nächstes mal kommst du mit!« Statt das Handy einzustecken, legt er es auf den Tisch und schwang die Reisetasche über seine rechte Schulter. »Nächstes mal.« Noch einmal schaute er durch das Zimmer. Das Lächeln war verschwunden als er das Licht ausschaltete und die Wohnungstür hinter sich schloss. Der Weg zum Hauptbahnhof war nicht weit aber die Wetterumstände machten ihn dennoch nicht angenehm. Die Stadt war in das orangene Licht der Straßenlaternen und die Dunkelheit des Februar getaucht. Unheilvoll schien sich der Himmel auf den Beton zu drücken. Mit einer Zigarette im Mundwinkel, stapfte Adrian durch den Schnee, wobei der Wind ihm in das geschminkte Gesicht blies. Selbst unter seinem Kapuzenpullover und der schweren, mit Bandpatches verzierten Lederjacke, fror er. Die Verkehrsgeräusche an diesem jungen, dunklen Wintermorgen, nahm er kaum wahr. Als er am Ziel ankam, hatten sich dort bereits mehrere Personen eingefunden. Der Parkplatz des Bahnhofes war in den Geruch von Abgasen gehüllt. Während sich einige seiner künftigen Mitreisenden von ihren Lieben verabschiedeten, musterten andere ihn argwöhnisch. Nach einem letzten Zug an der Zigarette, begab er sich zur Fahrertür des Fernbusses, an welcher sich eine kleine Schlange bildete. »Lange Reise«, entgegnete ihm der Fahrer lächelnd, als Adrian ihm sein Ticket reichte. Auf diesem war der Abfahrt- und der Zielort gedruckt, woraus hervorging dass der müde Musiker einmal quer durch das Land reisen würde. Als der letzte Mitreisende sein Ticket vorzeigte und daraufhin das Gepäck verstaut wurde, suchte sich Adrian einen Platz im Bus. Zu seinem Glück waren an diesem Tag nur Wenige im Begriff, das Transportmittel zu nutzen, was ihm eine Sitzreihe für ihn allein bescherte. Schon kurz nachdem die Fahrgäste Platz nahmen, startete der Fahrer den Motor um die Reise zu beginnen. Daraufhin folgte die obligatorische Einweisung, welche der Mann mittleren Alters durch das Mikrofon verlauten ließ. »So, dann kommen wir ja pünktlich weg«, begann er seine Ansprache. »Ich muss euch gleich darauf hinweisen, dass im Bus Anschnallpflicht herrscht. In letzter Zeit gab es viele Kontrollen und wer erwischt wird, darf einmal kräftig in sein Portemonnaie langen.« Adrian kam der Anforderung träge nach. Sobald der Gurt eingerastet war, lehnte er seinen Kopf an das beschlagene Fenster. Das Gemurmel seiner Mitfahrer drang dumpf in die Gehörgänge, während seine Augen langsam zufielen. Das letzte was er wahrnahm, waren die verschwommenen Konturen hinter dem Fenster. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)