Von Abenteuern und dergleichen von Yosephia (Die Geschichte eines Hobbitmädchens) ================================================================================ Kapitel 15: Fernweh oder Heimatangst ------------------------------------ Die Zungen der Zwerge stehen nicht still, wenn sie über ihre eigenen Werke berichten, heißt es. – Glóin Das Flüstern von fliegenden Pfeilen und das stetige Tschonk ihres Eintreffens im Ziel durchbrach die Stille, die über dem Übungsplatz der Stadtwächter von Minas Tirith lag. Gelegentlich sprach Legolas, gab seiner kleinen Schülerin Hinweise zu Körperhaltung und Zielvorgang. Goldfranse wiederum hörte immer aufmerksam zu und stellte nur wohl überlegte Fragen. Ihre Miene war von einem Ernst, der für ein Hobbitmädchen in den Tweens aus behüteten Verhältnissen nicht so recht passend schien. Mit ebenfalls ernster Miene beobachtete Gimli, wie sein Elbenfreund Goldfranse im Bogenschießen unterrichtete, während er selbst am Rand saß. Kaum dass die Gepflogenheiten es nach der Hochzeit zugelassen hatten, hatte Goldfranse sich an Legolas und Gimli gewandt mit der Bitte, sie zu unterrichten. Sie hatten zuerst angenommen, das Mädchen wolle Sprachunterricht erhalten, aber es hatte ihnen mit todernster Miene erklärt, dass es darüber hinaus auch den Umgang mit der Axt und mit Pfeil und Bogen erlernen wollte. Zunächst hatten sie mit sich gehadert, ob das tatsächlich zu verantworten sei. Dass etwas mit Goldfranse im Argen lag, hatten sie Beide schon beim Treffen am Anduin bemerkt. Sie waren letztendlich überein gekommen, dass dies vielleicht eine Möglichkeit bot, die Beweggründe des Mädchens zu erleuchten. Außerdem waren sie in Sorge, dass sie andernfalls auch ohne ihre Hilfe versuchen würde, den Umgang mit den Waffen zu erlernen, und sich dabei selbst gefährden würde. Gimli hatte mittlerweile so viel Zeit mit Elben verbracht und dabei oft genug ihre Schützenkunst beobachtet, dass er erkannte, dass Goldfranse zwar die korrekte Technik für den Umgang mit Pfeil und Bogen erlernen konnte, dass es ihr jedoch an der richtigen Einstellung dafür mangelte. Sie war von einem inneren Druck ergriffen, der ihr die Ruhe und Sicherheit nahm, die so dringend notwendig waren. An ihrer Haltung oder ihrer Aufmerksamkeit fand sich dabei kein nennenswerter Makel, aber es war für Gimli klar ersichtlich, dass das Mädchen nicht über den derzeitigen Stand, das Ziel im Allgemeinen zu treffen, hinaus wachsen konnte. Nicht so lange es nicht mit sich selbst ins Reine gekommen war. Ganz ähnliche Probleme sah Gimli bereits in Bezug auf die Lehrstunden mit der Axt kommen. Die Meisterschaft im Umgang mit der groben Waffe erforderte ein Loslassen vom eigenen Selbst und den Gedanken, die nicht unmittelbar mit dem Kampf in Verbindung standen. Gimli bezweifelte, dass Goldfranse dazu in der Lage war. Die langen Jahre des gemeinsamen Reisens offenbarten dem Zwerg, dass Legolas ganz ähnliche Zweifel und Sorgen umtrieben. Die Tochter ihres alten Freundes war innerlich erkrankt. Es mochte auch an ihren Zwistigkeiten mit Faramir liegen, aber eben diese Zwistigkeiten hatten ihren Grund teilweise in etwas tieferliegendem. Als alle Pfeile verschossen waren, drehte Goldfranse sich mit einer Art fiebrigen Glanz in den Augen zu ihrem Lehrmeister um. Legolas blieb ruhig und nickte beifällig. „Du hast die Grundlagen der Technik gemeistert. Das kannst du mit Übungen ausbauen.“ „Und wenn ich bewegliche Ziele habe?“ Wenn vorher noch der geringste Zweifel an der Existenz eines Problems bestanden hatte, so war er hiermit ausgelöscht. Dass ein Hobbitmädchen in den Tweens aus wohl geordneten Verhältnissen in friedlichen Zeiten ernsthafte Gedanken über Krieg und Kampf hegte, war zutiefst beunruhigend. „Glaubst du denn, dass das notwendig sein wird?“, erwiderte Legolas, während Gimli aufstand und sich zu ihnen gesellte. „Vielleicht…“ Goldfranse machte ein Gesicht, als fühlte sie sich ertappt, aber zugleich lag der Trotz in ihren Augen. „Wenn ich durch Mittelerde reisen will, muss ich mich verteidigen können.“ „So, so, du hast also Reisepläne?“, hakte Gimli nach. „Wohin willst du denn reisen?“ „Überallhin“, war die prompte, beinahe hitzige Antwort. Goldfranses jugendliches Gesicht begann zu glühen und der fiebrige Glanz in ihren Augen wirkte nun beinahe bedrohlich. „Mittelerde ist so unendlich groß. Ich will alles sehen und erleben und lernen!“ „Hast du das jemals mit deinen Eltern besprochen?“ Ein finsterer Ausdruck trat in ihre Augen, ohne jedoch den Fieberglanz zu vertreiben. „Vater und Mutter haben mich immer in Hobbingen gefangen gehalten. Sie würden mir die Reise nie erlauben.“ „Und deshalb hast du sie in Angst und Schrecken versetzt und bist bei Nacht und Nebel davon gelaufen.“ Eine Spur Missbilligung lag in der melodiösen Stimme des Elben. Goldfranse blinzelte heftig, erzitterte, dann straffte sie die Schultern und schob das Kinn vor. Der Glanz in ihren Augen war sogar noch intensiver geworden. Es wirkte beinahe, als befände sie sich im Delirium. „Wie wäre es dann“, begann Gimli einer Eingebung folgend, „wenn du mit uns kommst? Einmal dem Anduin bis in den Norden folgen. Lotlorien besuchen. Streifzüge durch den Düsterwald, durch Seestadt und durch den Einsamen Berg. Derweil können wir auch an deinen Kampf- und Sprachfertigkeiten arbeiten.“ Wie Gimli es erhofft hatte, schwand der fiebrige Glanz und wurde von jenem kindlich warmen Leuchten abgelöst, das er noch von seiner ersten Begegnung mit dem Mädchen in Erinnerung hatte. Jetzt verstand er allmählich, was es mit ihrem Betragen auf sich hatte, und er sah, dass auch Legolas es nun verstand. Es tat Gimli Leid, seinem alten Freund Sam Kummer zu bereiten, aber wenn er überhaupt etwas für dessen Tochter tun konnte, dann nur so. Er hoffte, dass Sam ihm dieses eigenmächtige Verhalten eines Tages verzeihen konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)