Von Abenteuern und dergleichen von Yosephia (Die Geschichte eines Hobbitmädchens) ================================================================================ Kapitel 3: Ein Mädchen auf Abwegen ---------------------------------- Es ist eine gefährliche Sache, Frodo, aus deiner Tür hinauszugehen. Du betrittst die Straße, und wenn du nicht auf deine Füße aufpasst, kann man nicht wissen, wohin sie dich tragen. – Bilbo Beutlin Es war eine wolkenlose, milde Sommernacht. Feine Mondstrahlen fielen durch Frodos Fenster auf seinen Schreibtisch. Die schwarze Feder, mit der Frodo immer seine Beobachtungen zu allem festhielt, was mit der Gartenpflege zu tun hatte, schimmerte geheimnisvoll. Der zurückgezogene Vorhang raschelte beinahe lautlos im seichten Wind. Im Flur war ein Knarren zu hören. Unwillkürlich hielt Frodo die Luft an, lauschte angestrengt nach draußen. Als auch nach mehreren Sekunden nichts zu hören war, seufzte er – erleichtert und besorgt zugleich. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte ein kleiner Teil von ihm schon gehofft, dass Goldfranse erwischt wurde. Doch er hätte es niemals übers Herz gebracht, seine kleine Schwester zu verraten. Also hatte er geschwiegen, als er heute Nachmittag begriffen hatte, was sie vorhatte. Er hatte es ihrem Glück und Geschick überlassen, ob ihr die Flucht gelang oder nicht. Nun hatte sie es geschafft. Sie würde Merry und Pippin folgen und mit etwas Glück würde sie all jene Orte sehen, von denen Frodo ihr vom Tage ihrer Geburt an immer aus den vielen Aufzeichnungen Bilbos und Frodos hatte vorlesen müssen. Der Gedanke, wie vielen Gefahren sie dabei ausgesetzt sein würde, bereitete dem jungen Gärtner Bauchschmerzen, aber er wusste auch, dass es viel schlimmer wäre, Goldfranse weiterhin zu zähmen. Daran würde das lebenslustige Hobbitmädchen auf lange Sicht zugrunde gehen. Wie ein Singvogel in einem Käfig. Hoffentlich würden ihre Eltern das auch bald verstehen… Behaglich saßen Merry Brandybock und Pippin Tuk an ihrem Lagerfeuer und rauchten Pfeife. Nach ihrem Aufbruch von Beutelsend waren sie im gemütlichen Schritt nach Osten geritten. Weit waren sie heute nicht mehr gekommen, aber die alten Freunde hatten es nicht eilig, den Brandywein zu überqueren. Sie waren erst am Nachmittag aufgebrochen und es gab keinen Grund, zur Eile anzutreiben. Immerhin hatten sie ein halbes Jahr Zeit, um nach Minas Tirith zu gelangen. Das war genug Zeit, um an einigen denkwürdigen Orten Halt zu machen, die sie schon lange nicht mehr besucht hatten. Für ihre Söhne war es die erste große Reise. Bislang waren Eomer Brandybock und Faramir Tuk nie über die Grenzen des Auenlandes hinaus gekommen, aber sie galten auch so schon als besonders umtriebig. Seit fünf Jahren erkundeten sie alle Winkel des Auenlandes, vom Bockland bis zur Westmark, von Langgrund im Süden bis Langcleeve im Norden, wo die Familie von Faramirs Mutter Juweline lebte. Die Fernen Höhen und die Weißen Höhen hatten die beiden Burschen erkundet, sogar in den Turmbergen waren sie unterwegs gewesen. Für Merry und Pippin hatte es außer Frage gestanden, ihre Söhne gewähren zu lassen. Das Auenland war ihre Heimat und irgendwann würden sie einige der wichtigsten Titel dieses Landes erben. Faramir als Tuk und Tain und Eomer als Herr von Bockland würden genau wie ihre Väter vor ihnen Ratsherren im Nordkönigreich werden. Es war nur rechtens, dass sie zuvor das Land kennen lernten, für das sie später einmal so viel Verantwortung tragen würden. Nun würden die Beiden die Gelegenheit haben, einige der Orte kennen zu lernen, von denen ihre Väter ihnen schon so oft erzählt hatten. Sie würden ihre Namenspatronen König Eomer von Rohan und Fürst Faramir von Ithylien kennen lernen, König Elessar von Gondor, den Merry und Pippin vor so vielen Jahren unter dem Namen Streicher kennen gelernt hatten, und die wunderschöne Königin Arwen, die sich gegen das unsterbliche Leben der Elben entschieden hatte. Der Gedanke machte Merry stolz, aber zugleich bedauerte er es, dass Sam ihnen allen guten Zuredens zum Trotz nicht erlaubt hatte, Goldfranse mitzunehmen. Die anderen Gamdschie-Kinder hatten kein Problem damit, die Wunder Mittelerdes nicht kennen zu lernen, aber solange Merry sich erinnern konnte, hatte gerade Goldfranse, das sechste Kind von Sam und Rose, sich immer nach genau diesen Wundern gesehnt. Zum Glück hatte sie nichts von der geplanten Unternehmung erfahren, sonst wäre sie wohl am Boden verstört. Ganz gewiss lag es nicht in Sams Absicht, seine Tochter unglücklich zu machen. Er liebte sie voller Hingabe, wie er jedes seiner Kinder liebte. Für seine Familie würde der gutmütige Gärtner noch mal bis zum Schicksalsberg laufen oder sogar kriechen, wenn es sein müsste. Reine Sorge um das Wohl seiner Tochter trieb ihm an, da war Merry sich sicher. Im Grunde konnte er das sogar sehr gut verstehen, aber gutheißen konnte er das in Goldfranses Fall nicht. Dennoch hatten er und Pippin entschieden, sich nicht über Sams Wünsche hinweg zu setzen. Sie hatten dem Mädchen nichts von der Reise erzählt und dafür gesorgt, dass auch ihre Söhne nichts dergleichen taten, die gut mit Goldfranse befreundet waren. „In Bockland rüsten wir uns für die Reise aus“, durchbrach Pippin die Stille im Lager und blies eine Rauchwolke in die Luft. „Es liegt ja schon alles bereit, wir müssen nur noch den Proviant einpacken.“ „Wir werden uns nicht lange dort aufhalten“, ergänzte Merry und klopfte den Ruß aus seiner Pfeife, ehe er damit drohend in Richtung seines ältesten Sohnes deutete. „Aber unterstehe dich, deiner Schwester viel davon zu erzählen. Ich will nicht, dass Eowyn uns nachläuft.“ „Ich auch nicht“, erwiderte Eomer mit leidiger Miene. Als die fünfjährige Eowyn vor drei Monaten Eomer und Faramir heimlich gefolgt war, als sie zu den Fernen Höhen aufgebrochen waren, musste das für die Beiden ein genauso großer Schrecken gewesen sein wie für Merry, als dieser das Verschwinden seiner Tochter bemerkt hatte. Zwar war dem Mädchen nichts passiert und die Jungen hatten es auf schnellstem Wege zurück nach Hause gebracht, aber auf ein weiteres Abenteuer dieser Art konnten sie alle verzichten. „Vielleicht sollten wir erst in Bockland einkehren, wenn Eowyn schon im Bett liegt“, schlug Pippin mit einem schiefen Lächeln vor. „So wie in Beutelsend“, murmelte Faramir, der Gedanken verloren ins Feuer starrte. Unwillig verzog Pippin das Gesicht und setzte schon an, etwas zu sagen, als ihn etwas aufhorchen ließ. Faramir und Eomer ließen nicht erkennen, ob sie etwas bemerkt hatten, aber Merry richtete sich ebenfalls auf und blickte hinter sich, ehe er die Stimme erhob: „Zeige dich! Heimliche Zuhörer sind hier nicht erwünscht!“ Überrascht fuhren Eomer und Faramir herum, als ausgerechnet Goldfranse mit dem Pony ihres Vaters aus dem Dickicht trat. Das musste Merry ihr dabei lassen: Ihr war nicht einmal in Ansatz so etwas wie Reue anzusehen. Sie war ganz offensichtlich wild entschlossen. „Also hast du doch etwas mitbekommen“, stellte Pippin nüchtern fest. „Ich bin nach Hause gekommen, als ihr mit Vater im Arbeitszimmer gesprochen habt. Für ein paar Minuten konnte ich lauschen.“ „Nicht gerade die feine Art, aber sehr hobbitmäßig“, stellte Merry erheitert fest, ehe er ernst wurde. „Sam will nicht, dass du mit uns kommst. Er macht sich Sorgen um dich.“ „So sehr, dass er mich verheiraten will“, entgegnete Goldfranse erbittert, ehe sie rebellisch den Kopf schüttelte. „Aber ich habe andere Pläne! Ich will auch nach Gondor.“ Merry ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und packte sorgfältig seine gesäuberte Pfeife wieder ein, ehe er Goldfranse unnachgiebig in die Augen blickte. „Wir nehmen dich aber nicht mit. Du wirst zurück nach Beutelsend gehen.“ „Wollt ihr mich zwingen?“, fragte Goldfranse entrüstet. „Und wenn wir dich in einem Sack verschnüren müssen, du kehrst heim.“ Im Nachhinein fragte Faramir sich, wie es nur so weit hatte kommen können. Eigentlich hatte er mit der ganzen Angelegenheit nichts weiter zu tun haben wollen. Weder hatte er Goldfranse erzürnen, noch für sie Partei ergreifen wollen. Dennoch hatte sein Vater letztendlich entschieden, dass er es sein sollte, der die gefesselte Goldfranse auf ihrem Pony zurück nach Beutelsend brachte. Die Fesseln waren gerade fest genug, damit das Mädchen sie nicht abstreifen konnte, aber eigentlich nicht wirklich fest – doch es tat Faramir dennoch Leid. Oder vielleicht täte es ihm Leid, wenn Goldfranse ihm nicht schon seit Stunden ein Ohr abkauen würde. Jeden noch so kleinen Gefallen, den er ihr schuldete, rief sie ihm in Erinnerung. Sie stocherte sogar in der peinlichen Geschichte herum, als er als kleiner Junge Reißaus vor einer gewöhnlichen Blindschleiche genommen hatte. „Schluss jetzt!“, knurrte er schließlich und zügelte beide Ponys. „Vater hat mir befohlen, dich nach Beutelsend zu bringen. Ich finde das auch nicht lustig, ich werde den ganzen Weg nach Bockland traben müssen, um Vater und die Anderen einzuholen.“ „Du könntest mich einfach schon hier absetzen, dann würdest du schneller wieder aufholen“, schlug Goldfranse patzig vor. „Als ob du brav nach Hause reiten würdest“, schnaubte Faramir und trieb sein Pony wieder an. „Selbst wenn du mich dort absetzen würdest, würde ich euch wieder folgen. Ich werde niemandem verraten, dass du mich nicht ganz dorthin gebracht hast.“ „Und dann willst du uns den ganzen Weg nach Gondor folgen?“ „Vielleicht. Oder vielleicht reite ich auch nach Westen und besuche die Grauen Anfuhrten und danach die Turmberge. Auf alle Fälle will ich nicht mein ganzes Leben lang in Hobbingen versauern.“ Damit hatte sie einen wunden Punkt bei Faramir erwischt. Von Anfang an hatte er ein schlechtes Gewissen gehabt, weil Goldfranse von ihrem Vater regelrecht gefangen gehalten wurde, während er und Eomer das gesamte Auenland erkundeten. Mehrmals hatte er Sam ohne Goldfranses Wissen vorgeschlagen, dass seine Tochter sie ja begleiten könnte, dann hätte jemand ein Auge auf sie – doch Sam hatte jedes Mal abgelehnt. „Wenn du mir versprichst, wirklich nicht nach Bockland zu reiten, lasse ich dich hier gehen“, seufzte Faramir schließlich. Überrascht sah Goldfranse ihn an, ehe sie heftig nickte. „Ich verspreche es!“ Schon wieder seufzend lenkte Faramir sein Pony herum und hielt direkt neben Goldfranse, um ihre Fesseln zu lösen. Sie verdrehte den Kopf, um ihn dabei beobachten zu können. Für einige Sekunden begegneten ihre Blicke einander und Faramir wünschte sich, die Dinge lägen anders zwischen ihnen. Schnell senkte er den Blick auf das Seil und rollte es sorgsam ein, ehe er es in seine Satteltasche stopfte. „Also dann… pass’ gut auf dich auf“, verabschiedete er sich lahm. „Du auch“, murmelte sie und lenkte ihr Pony nach Westen. Erst nach mehreren Sekunden schaffte Faramir es, den Blick wieder zu heben, um Goldfranse hinterher zu schauen. Ihr Rücken wirkte steif, ansonsten war ihr nicht anzumerken, wie enttäuscht sie war. Es hinterließ einen bitteren Beigeschmack, zu dieser Enttäuschung beigetragen zu haben. Schweren Herzens wendete Faramir sein Pony nach Osten und trieb es an. Er fühlte sich auf einmal, als hätte er tonnenschweres Gepäck auf dem Rücken… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)