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Aus dem Leben eines Meisters der Dunkelheit

Oder: Piedmons Alltagsprobleme [Trailer online]
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallihallo und willkommen zu meiner FunFic, in der ich mal versucht habe, was Humorvolles über die Meister der Dunkelheit zu schreiben. Ich weiß, ich sollte eigentlich an New Reign arbeiten, aber die Ideen zu dieser FF sind mir so nebenbei zugeflogen. Die nächsten Kapitel werden auch kürzer sein.
Viel Spaß, ich hoffe, es gefällt euch! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ein kleines Nachwort zum letzten Kapitel, das ich vergessen habe: Die Idee, dass Piedmon eines schönen Tages seine unsichtbaren Schwerter nicht mehr findet, stammt von Miliko - danke dafür! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Mir ist gestern Abend spontan eine Idee für ein weiteres Kapitel eingefallen, das heute dann Form angenommen hat. Es würde ja auch zum Valentinstag passen, aber bis dahin dauert es mir zu lange^^ Viel Spaß mit einem eeeetwas Out-of-Character-Piedmon! Komplett anzeigen

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Der Tag, an dem Piedmon seinen neuen Geschirrspüler einräumen wollte

Auch ein Meister der Dunkelheit muss sich mit schmutzigem Geschirr herumärgern. Vor allem, wenn er gelegentlich drei andere Meister der Dunkelheit in seinem Haus auf der Spitze des Spiralbergs mit Tee und einem guten Tropfen Rotwein (und allem Gebäck, das erwartet wird) bewirten muss. Und noch vor dem, wenn nicht jeder dieser anderen Meister der Dunkelheit mit richtigen Händen ausgestattet ist. Den Futtertrog von MetallSeadramon zu reinigen, war ja ganz einfach – einfach ein Bakemon als Putzfetzen verwenden und ordentlich schrubben –, aber die Sauerei, die Machinedramon jedes Mal hinterließ, was grauenhaft.

Zusätzlich sollte man nicht vergessen, dass Puppetmon die Manieren und Zappeligkeit eines kleinen Kindes hatte und nicht nur mit seinem Essen spielte, sondern auch mit dem Essen der anderen. Kurz: Piedmon war das Einzige von ihnen, das sich wirklich als im Besitz von Tischmanieren rühmen durfte.

Seinen Tisch betreffend hatte Piedmon bald eine Lösung gefunden. Immer, wenn die anderen Meister der Dunkelheit auf einen Plausch und ein paar Snacks vorbeikamen, deckte es den Tisch mit einem neuen Stofftuch, und wenn sie wieder bei der Tür hinaus rauschten, entsorgte es das Tischtuch wieder. Das funktionierte erstaunlich gut, und sein Tisch aus echtem Digi-Mega-Chrom blieb unbefleckt – bis auf gelegentliche Flecken, die entstanden, wenn sich Machinedramon zu gierig auf sein Essen stürzte und versehentlich Löcher in den Stoff stach.

Blieb noch das Problem mit dem schmutzigen Geschirr. Piedmon war ein Meister der Verwandlung, sowohl von sich selbst als auch von anderen Dingen, beweglich wie unbeweglich. Aber, vertrackt und verteufelt, es hatte bisher noch keine Möglichkeit gefunden, dreckige Teller wieder sauber zu zaubern. Es konnte Teller auf Schwerter spießen, ohne dass sie Risse bekamen, auf Bällen gestapelt tanzen lassen, in Feuerreifen vor sich hin schmelzen lassen oder die Teller in Schlüsselanhänger verwandeln – was zugegebenermaßen eine ziemlich blöde Idee und nicht gerade nützlich war –, aber sie von Schmutzig auf Sauber zu bringen war ein Kunststück, das Piedmon nicht vollbringen konnte. Es half alles nichts: Ein Geschirrspüler musste her.

Nun war nicht etwa das Problem, dass den Meistern der Dunkelheit das Geld für solcherlei Einrichtungsgegenstände fehlte. Es fehlte ihnen tatsächlich, denn sie hatten für ihre große Aufgabe erstaunlich wenig finanzielle Mittel bekommen, aber da sie hochoffiziell und zweifellos über die gesamte DigiWelt herrschten, standen ihnen auch alle Möglichkeiten offen, derlei gratis zu bekommen.

Der Hund lag woanders begraben. Man muss wissen, dass auch alle Dinge des täglichen Gebrauchs, die es in der DigiWelt gibt, erst hergestellt werden müssen. Alles muss erst irgendwo zusammengebastelt werden, und es soll sogar Fabriken geben, die Dinge zusammenbasteln, mit dem einzigen Ziel, sie hinterher wieder zu zerlegen. Die Digimon, die Geschirrspüler herstellten, waren meist Maschinendigimon, die gern aßen. Wie das zusammenpasste, sollte Piedmon nie erfahren.

Weiters muss man wissen, dass die Machtübernahme der Meister der Dunkelheit nicht allzu friedlich verlief. Als sie die DigiWelt verformten und den Spiralberg errichteten, starben viele Digimon, die gegen die Meister kämpften oder einfach nur das Pech hatten, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Und – nennt es einen Zufall oder einfach Schicksal – unter den Opfern schienen sämtliche Geschirrspülerhersteller gewesen zu sein, die etwas von ihrem Handwerk verstanden. Zwölf schmutzige Tage brachte Piedmon damit zu, dies herauszufinden.

Eine Neuanfertigung kam also nicht infrage; es musste ein gebrauchter Geschirrspüler her. Piedmon sah sich dazu ein wenig in Machinedramons Gebiet um, das alle Behausungen, in denen je etwas wie maschinell saubergewaschenes Geschirr sein Dasein gefristet hatte, in den Städtestreifen des Spiralbergs einverleibt hatte.

Machinedramon war dafür bekannt, eine Vorliebe für menschliche Bauwerke zu haben. Möglichst alte und große menschliche Bauwerke. Natürlich verspotteten die anderen Meister der Dunkelheit es dafür – wer wollte schon Dinge haben, die einst mickrige Menschen errichtet hatten? Vielleicht mochte Machinedramon diese Bauwerke auch nur, weil sie so groß waren und es sich somit kleiner fühlte. Manche Digimon entwickeln Komplexe, weil sie sich für zu klein halten. Bei Machinedramon war es umgekehrt.

Was immer der Grund für Machinedramons Leidenschaft für Menschenbauwerke war – von der Piedmon erst merkte, dass sie doch nicht so weit ging wie gedacht, als Machinedramon seine Schätze in seinem suizidalen Plan Z zerbombte –, es hatte alle Gebäude der DigiWelt, die denen der Menschen nachempfunden waren, ins Herz seines Reiches gebracht. Die Tower-Bridge, das Brandenburger Tor, die Golden Gate Bridge, der Tokio Tower, der Eiffelturm, alles reihte sich auf kleinstem Raum aneinander. Dummerweise mochte Machinedramon vor allem alte Sehenswürdigkeiten, in denen selten Gebrauch von einem handelsüblichen Kleinfamiliengeschirrspüler gemacht wurde. Abgesehen davon hätte sein Kollege Piedmon nie erlaubt, sich an seinen Schätzen zu bedienen.

Die kleineren Häuser, die enthielten, was Piedmon brauchte, lagen außerhalb von Machinedramons Herzstück, und dummerweise bedeutete außerhalb, dass sie alle als Zielscheiben auf einem endlosen Truppenübungsplatz seiner Großen Imperialen Metallarmee dienten. Piedmon ging zwei Wochen lang den Spiralberg auf und ab, aber es hätte sich seinen Geschirrspüler genauso gut von einem Schrottplatz holen können.

Nach diesen zwei Wochen, die die Tage, in denen Piedmon in bereits stinkenden Tellern ertrank, auf mittlerweile sechsundzwanzig erhöhte, fiel seine Wahl endlich auf ein verbeultes, rostiges, würfelförmiges Stück, das seine Arbeit aber vermutlich ganz gut erledigen würde. Es steckten keine Granatsplitter darin, das war schon mal was. Aber schwer war das Ding allemal. Piedmon musste es auf dem Rücken den halben Spiralberg hochschleppen. Auf dem Rücken seiner Vilemon, versteht sich.

Man sah es ihm zwar nicht an, aber Piedmon war handwerklich sehr geschickt. Das musste es auch sein, denn schließlich führte es so etwas wie einen Ein-Mann-Haushalt (die Vilemon kamen ihm nicht ins Haus, und bis dato hatte es auch noch keine mit Vorliebe Schwarz tragende Haushälterin). In null Komma nix war der Geschirrspüler angeschlossen und betriebsbereit. Strom konnte man in der DigiWelt durch ein einfaches Programm erzeugen, das Wasser zapfte Piedmon einfach von MetallSeadramons Meer-Spirale an. Hätte das Seeschlangendigimon das je erfahren, wäre es vermutlich stinksauer gewesen.

Als Nächstes galt es also, das schmutzige Geschirr zu seinem Erlöser zu schaffen. Ein Karren wäre hierbei unumgänglich gewesen, aber den hätte jemand schieben müssen. Eine Haushälterin gab es wie erwähnt noch nicht, die Vilemon waren zu schmutzig für den Innendienst, und Piedmon machte gerade eine etwas eitle Phase durch. Keine launische Dauerpubertät wie Puppetmon, versteht sich, sondern einfach eine Zeit, in der es es für unter seiner Würde erachtete, einen Schubkarren voller scheppernder, schmutziger, teils schon übelriechender Teller durch sein Haus zu schieben. Ein ähnlicher Anfall von Eitelkeit sollte übrigens später dazu führen, dass Piedmon die DigiRitter in Schlüsselanhänger verwandelte und sie nicht etwa auf seine Schwerter spießte oder sie auf ähnliche Weise einem wenig bis sehr grausamen Tod auslieferte. Immerhin würde sonst jemand die Blutflecken wegputzen müssen, und außer den Vilemon würde es zu diesem Zeitpunkt niemanden mehr geben, der das für Piedmon erledigen könnte.

Aber ob Piedmons plötzlich auftretende Marotten letztendlich seinen Untergang bedeuten sollten, sei dahingestellt. Für den Moment war sein größtes Problem, das Geschirr zum Geschirrspüler zu bringen. Piedmon hätte das Gerät ja in der Nähe des Küchentisches aufgebaut, aber das hätte optisch wenig hergemacht.

Schienen in seinem Haus zu verlegen und ein Trailmon mit dieser Aufgabe zu betrauen, schien ihm dann noch etwas zu viel des Aufwands. Also bediente es sich einfach Puppetmons Verspieltheit. Es lud das Puppendigimon zu sich nach Hause ein mit der Begründung, ein neues Spiel namens Diskuswerfen auszuprobieren. Wenn man die Worte „neu“ und „Spiel“ neben Puppetmon in einem Atemzug verwendete, konnte man sicher sein, dass es einem für den Rest des Tages auf Schritt und Tritt folgte, bis entweder das Spielzeug kaputt war oder es erkannte, dass das Spiel zwar neu, aber wenig aufregend war. Letzteres musste Piedmon so lange wie möglich hinauszögern.

Es fragte Puppetmon nie, ob es nicht misstrauisch geworden war. Jedenfalls durfte das Puppendigimon sich auf den Tisch stellen, die Teller aufklauben und so kräftig es konnte in die Küche werfen. Piedmon hatte eine Diskokugel besorgt, damit das Spiel etwas von einer Disko-Bowlingbahn hatte. Es selbst stand vor der Anrichte neben dem Geschirrspüler und fing gekonnt – mit einem sauberen Tuch natürlich, schließlich waren die Teller schmutzig – alles auf, was Puppetmon nur annähernd in seine Richtung warf, was sich auf immerhin fast zwei Drittel seines gesamten Gedecks belief. Die Scherben des restlichen Drittels würde Piedmon irgendwie durch Magie zum Verschwinden bringen.

Nachdem die Teller zur Neige gegangen waren, folgte das Essbesteck. Dann kam für Puppetmon ein Motivationstief. „Mir ist langweilig“ war das erste Signal. Bald würde „Ich gehe nach Hause“ folgen, und das wäre das Aus für Piedmons praktisches Beförderungsmittel. Um Puppetmon bei Laune zu halten, versprach es ihm, ein Spiel seiner Wahl mitzuspielen, solange es nur weitermachte.

Nach weiteren zehn Minuten – über all die Sitzungen hatte sich schließlich ein ganzer Stapel an schmutzigem Geschirr angesammelt – war alles, was in den Spüler sollte, auf der Anrichte daneben gestapelt. Das letzte Kuchenmesser traf die Diskokugel, und die herabregnenden Scherben schienen gleichsam den fallenden Vorhang zu simulieren.

Puppetmon konnte sehr beharrlich sein, also musste Piedmon erst sein Versprechen einlösen, ehe es sich in Ruhe an die Arbeit machen konnte. Das Spiel, das Puppetmon sich wünschte, beinhaltete im Grunde nur, dass Piedmon ihm beim Ärgern von MetallSeadramon und Machinedramon helfen sollte, aber diese Geschichte soll ein anderes Mal erzählt werden. Zu sagen bleibt nur, dass Piedmon hinterher schmutzig und verschwitzt war und seine Haare angesengt wurden, sodass es sich letztendlich wünschte, doch einfach das Geschirr in einen Karren geladen und selbst in die Küche gebracht zu haben.

Aller Schweiß ist bekanntlich vergessen, wenn man kurz vor der Beendigung einer Arbeit steht – und dieses Unterfangen zog sich nun schon viel zu lange hin. Mit genüsslicher Genugtuung öffnete Piedmon den Geschirrspüler, wobei es fast meinte, feierliche Fanfarnstöße im Hintergrund zu hören. Das Innere schien schon zu glänzen vor dem Versprechen an die baldige Sauberkeit, die es bieten würde. Piedmon zog die beiden Körbe heraus und ordnete sorgfältig das Geschirr ein. Nur nicht zu viel auf einmal, damit es auch sauber wurde, aber ganz langsam und andächtig.

Die Probleme waren jedoch noch nicht vorbei. Kaum war die Geschirrspülmaschine fertig eingeräumt, passiert es: Als Piedmon den unteren Korb, der auf mehreren Plastikrädern lief, in den verheißungsvollen Schlund zurückschieben wollte, verkeilte er sich kurz mit der geöffneten Klappe, und eines der Räder löste sich und kullerte über den Küchenboden. Piedmon war sich eines wüsten Fluchs zu schade, also hob es das Ding geduldig wieder auf. So weit war es gekommen, dieses Rad würde seinen Geschirr-Hochglanz auch nicht verhindern!

Der hintere Teil des Plastikrads, das nicht größer war als ein Tischtennisball, war gesprungen. Natürlich, es war ja auch eine alte Maschine. Piedmon steckte es zurück an seinen Platz und versuchte den Korb erneut in den Spüler zu schieben. Wieder eckte er irgendwo an, das Rädchen eierte und löste sich erneut. Piedmon entkam schließlich ein Seufzer.

Beim dritten Versuch wollte es den Korb so schnell und mit Gewalt in den Spüler schieben, dass das lästige Rad gar keine Zeit fand, die Flucht zu ergreifen. Der Plan fruchtete jedoch auch nicht – zwar schepperten die Teller, als würden sie im nächsten Moment zerspringen, aber das lockere Rad blieb wieder an der Schiene hängen, und fast wäre Piedmon der ganze Korb um die Ohren geflogen. Das Rad rollte hartnäckig wieder über den Boden, und in Piedmon erwuchs der Wunsch, die vermaledeite Maschine mit seinen Schwertern zu durchbohren.

Obwohl seine Geduld am Ende war, versuchte Piedmon es als Nächstes ganz sanft und langsam. Millimeter um Millimeter drehten sich die sechs Rädchen, die ersten küssten zart wie Sonnenstrahlen die Schienen und glitten lautlos darauf hinweg, wie ein frühmorgendlicher Hauch warmen Südwinds über glitzernden Tau auf saftig grünen Blättern …

Und das dämliche Rad blieb wieder hängen.

Piedmon war der Verzweiflung nahe. Es war ein Meister der Dunkelheit geworden, um die DigiWelt zu erobern, neu zu gestalten, zu beherrschen und vielleicht ein paar DigiRitter zu töten, aber das Einräumen einer gewöhnlichen, wenn auch leicht demolierten Geschirrspülmaschine bedeutete eine völlig neue, hinterlistige Art von Herausforderung. Zum Glück war Piedmon so selbstbewusst, sonst hätte es vor lauter Frust über seine eigene Unzulänglichkeit sein Dasein als bösartiges Digimon an den Nagel gehängt und wäre ein von Wurzeln und Gräsern lebender Einsiedler auf dem Berg der Unendlichkeit geworden, mit einem Bart, der die gleiche Farbe hätte wie sein Haupthaar.

Beim achten Versuch kullerte das Rad wenigstens nicht mehr davon, auch wenn es von der Schiene rutschte und der ganze Korb schief hing. Piedmon trat wütend dagegen. Ob es an der ungewöhnlichen Form seiner Clownsstiefel lag oder nicht: Das Wunder geschah. Der Korb ruckelte, das Geschirr schepperte, das Rad eierte, aber letztendlich sprang alles an seinen vorherbestimmten Platz.

Piedmon konnte es erst gar nicht glauben, dann schmiss es mit triumphaler Endgültigkeit die Spülmaschinenklappe zu.

Kurz darauf öffnete es diese wieder, weil es vergessen hatte, das Waschpulver einzufüllen.

Der erste Waschgang war die Mühe wert. Piedmon war von dem Glanz seiner Teller schier geblendet. Vielleicht lag es auch daran, dass es keine Ahnung gehabt hatte, wie viel Pulver es verwenden sollte, und auf gut Glück die halbe Packung hineingeleert hatte. Diesmal war es sich sogar nicht zu schade, das Geschirr in die Schränke und Schubladen einzuräumen. Es war ein so wundervoller Gedanke, endlich wieder saubere Teller, Stäbchen, Messer, Gabeln, Löffel und Küchengeräte zu besitzen, dass Piedmon überlegte, ob es nicht auch seine Schwerter einmal in seinem neuen Geschirrspüler waschen sollte.

Danach fiel sein Blick jedoch auf die Anrichte, und sein Mut sank, als es an das kaputte Rad dachte. Schätzungsweise ein Sechstel seiner gesamten Schmutzkeramik war gesäubert worden. Noch fünf Waschgänge lagen vor ihm, fünf verzweifelte Kämpfe gegen so etwas Kleines wie ein Plastikrädchen, das, richtig eingesetzt, vermutlich ganze Nationen zu Fall bringen konnte.

Piedmon würde sich ihm nicht beugen. Und wenn es die ganze Nacht hindurch schuften musste.
 

Am nächsten Tag schmerzte sein Kreuz, und Piedmon hatte Ringe unter den Augen – einen schwarzen auf der weißen Seite seines Gesichts, einen weißen auf der anderen. Aber es war vollbracht. Sämtliches Geschirr, das sich über Wochen angesammelt hatte, war blitzblank. Piedmon würde sich einen ordentlichen Vorrat an Waschpulver zulegen müssen, doch es war zufrieden – denn heute würde eine neue Sitzung in seinem Haus stattfinden. Die perfekte Gelegenheit, mit dem überwältigenden Strahlen seines Tischgedecks zu prahlen.

Die Plätzchen und der Tee waren bereit, Croissants und Kuchen dampften noch neben eisgekühltem Schmieröl für Machinedramon. Die anderen kamen, als Piedmon noch dabei war, den Tisch zu decken. Es faltete das neue Tischtuch auseinander und breitete es schwungvoll auf seinem Digi-Mega-Chrom-Esstisch aus.

Und vor den verdutzten Augen der Meister der Dunkelheit verschwand dieser, noch bevor Piedmon Gelegenheit hatte, das Essen aufzutragen.

Eine Minute des Schweigens fand statt, in der Piedmon eine kühle Ahnung packte. Als es das Tuch vom Boden nahm, wurde sie zur kalter Gewissheit: Dort lag, niedlich und längst nicht mehr so eckig wie früher, der massive Tisch in Form eines winzigen Schlüsselanhängers. Piedmon hatte aus Versehen eines seiner Verwandlungstücher mit einem handelsüblichen weißen Tischtuch verwechselt.

Da der Tisch die einzig Gelegenheit in Piedmons Haus war, wo sie gemütlich bei Tee und Kuchen ihr übliches Meister-der-Dunkelheit-Getratsche abhalten konnten, mussten die Sitzungen verlegt werden. Fortan trafen sich die Meister der Dunkelheit in Puppetmons Haus, und die Bewirtung der Gäste lag nicht mehr in Piedmons Händen. Zwar hatte es so viele Mühen auf sich genommen, um sein nun unnütz gewordenes Geschirr zu säubern – Piedmon selbst bevorzugte es nämlich, auswärts essen zu gehen –, aber es musste nur an ein gewisses Rad aus Plastik denken, und schon fand es das Ungeschick mit dem Verwandlungstuch gar nicht mehr so schlimm.

Der Tag, an dem Piedmon keine Lust auf Spaghetti hatte

Als gemeiner Superschurke hat man es bekanntlich nicht leicht. Auf jeden Fall nicht leichter als die Streiter des Guten, die man zu bekämpfen hat. Und am wenigsten leicht hat man es, wenn besagte Streiter des Guten noch gar nicht auf den Plan getreten sind. Dann nämlich ist der Alltag eines Superschurken vor allem von Langeweile geprägt.

So ergab es sich, dass, als es an der Zeit war, Gennai und seine Helfer in ihrem Versteck beim Tor zur Welt auszuräuchern und die Wappen, die sie so mühsam angefertigt hatten, zu stehlen, alle vier Meister der Dunkelheit darüber diskutieren, wer von ihnen denn nun den Vorstoß leiten sollte. Auf der einen Seite war der Angriff keine große Sache, und von einem Meister der Dunkelheit erwartete man, dass es ihm aufs Äußerste zuwider war, sich mit einem so kleinen Fisch abzugeben. Auf der anderen Seite war es, wie gesagt, im Moment stinklangweilig; es gab noch keinen Spiralberg und kein lustiges DigiWelt-Zerlegen-und-Herumschieben, und so brannte insgeheim jeder der vier darauf, die Mission für sich zu ergattern. So auch Piedmon, und die beiden Hälften seines Gesichts hätten vor Scham die Farben getauscht, hätten die anderen es auch nur ansatzweise durchschaut.

Puppetmon schlug vor, die Sache ganz demokratisch durch ein Spiel zu lösen. Das war zu erwarten gewesen, und deshalb hatte Piedmon die Würfel, die sie benutzen würden, gezinkt. Manch einer wird sich fragen, wie es möglich ist, Würfel zu zinken, sodass einem selbst die höchsten Zahlen beschieden sind, aber man sollte dabei nicht vergessen, dass Piedmon nebenberuflich so etwas wie ein Zauberer war. Darum zeigten auch alle vier Würfel sechs Augen, als Piedmon sie über den Tisch in seinem alten Zirkuszelt rollen ließ. Wie gesagt gab es damals noch keinen Spiralberg, und somit auch kein Hauptquartier auf dem Spiralberg. Daher fanden die Besprechungen der angehenden Meister der Dunkelheit in einem Zirkuszelt auf irgendeinem Hügel in irgendeinem abgelegenen Teil der DigiWelt – der natürlich trotzdem irrsinnig düster und gefährlich war – statt.

Die anderen warfen nur niedrige Zahlen. Machinedramon vier Zweien, MetallSeadramon vier Einsen, und Puppetmon schaffte es dank Piedmons gezinkter Würfel sogar, mit vier Würfen nur zwei Punkte zu machen. Diese erstaunliche Rechnung sollte ihm noch Jahre zu denken und letztlich den Ausschlag dafür geben, dass das Puppendigimon dem Glücksspiel den Rücken kehren und lieber zu begreiflicheren Spielen wie Räuber und Gendarm oder Mit-Bleikugeln-auf-DigiRitter-Schießen greifen würde.

Wie auch immer, Piedmon gewann und durfte mit einer Horde Blechbüchsen das Labor im Keller jenen Gebäudes aufmischen, das später von einem größenwahnsinnigen, sexistischen und erstaunlich langlebigen Vampirdigimon bewohnt werden würde.

Kaum dass sie eingebrochen waren, sah sich Piedmon mit einem unerwarteten Problem konfrontiert. Das Zerstören des Labors war zwar weniger langweilig als nur im Zelt herumzusitzen, allerdings trotzdem noch langweiliger als über Puppetmons Angebot nachzudenken, nach getaner Arbeit in einem Digitamamon-Restaurant Spaghetti essen zu gehen. Die Sache war nämlich die: Piedmon hatte diese Woche bereits zweimal Spaghetti gegessen, notgedrungen, weil es sich beim Zubereiten der ersten Portion bei der Menge der Nudeln gehörig verschätzt hatte. Es hatte von Spaghetti also bedingt die Nase voll. Bedingt deshalb, weil die Spaghetti von Digitamamon doch ein Stück weit anders, würziger und wohlschmeckender waren als seine eigenen.

Während die Guardromon und Mekanorimon also die hilflosen Kapuzenträger in mehrere Teile schossen, wägte Piedmon gewissenhaft das Für und Wider ab. Ein Essen mit den anderen Meistern der Dunkelheit war stets lebendig und weniger langweilig, als eine traurige Single-Mahlzeit zu verzehren, allerdings wurde es mit Konsorten wie Puppetmon auch recht bald anstrengend.

Das Labor war nun so gut wie ausgeräuchert. Vor Piedmon erhob sich, korrekt an eine Wand gerückt, der Glaskasten mit den DigiEiern und Wappen. Da Piedmon böse bis aufs Blut war, musste es bei Schandtaten ähnlich wenig nachdenken wie andere beim Kauen, Atmen oder Radfahren. Seine Gedanken kreisten um Spaghetti mit dunkelroter Soße, Spaghetti mit Rahm und Kräutern und Spaghetti mit so viel Parmesan, dass man davon ins Würgen kommen konnte. Die anderen drei Meister der Dunkelheit waren verrückt nach italienischer Küche. Böse Zungen behaupten, dass sie, wären die DigiRitter Italiener gewesen, sie mit offenen Armen empfangen und eine Art kulturbedingten Waffenstillstand geschlossen hätten.

Nebenbei zerstörte Piedmon also das Glas vor dem Kasten, nahm die Wappen heraus und erinnerte sich daran, dass Puppetmon, als sie zuletzt auswärts essen waren, die Unverfrorenheit besessen hatte, seine Nudeln zu einem langen Strang zusammenzuknüpfen und Piedmon damit quer über den Tisch hinweg Soße ins Gesicht zu klatschen. In dem Moment fällte Piedmon die Entscheidung. Sollten sich MetallSeadramon und Machinedramon allein mit dem ungezogenen Kind herumärgern.

„Nein“, sagte es bestimmt. Aufmerksame Beobachter mögen sich, lange Zeit später, als die DigiRitter den einseitigen Kampf über eine aufwändige 3D-Projektion nachverfolgten und Mimi fragte, ob sie nicht verhindern könnten, dass Piedmon die Wappen stahl, die Frage stellen, wie es sie wohl aus der Zukunft hören und ein Nein zur Antwort geben konnte, aber Tatsache ist, dass Piedmon mit seinen Gedanken rein bei peitschenden Nudeln und spritzender Fleischsoße war.

Zum Abschluss lieferte es sich noch ein kleines Gefecht mit Gennai. Somit hatte der Tag doch noch ein wenig Unterhaltungswert. Dass Gennai mitsamt den DigiEiern und DigiVices ihrer schlimmsten Feinde entkam, fand Piedmon in dem Moment auch nicht weiter schlimm. Schließlich würde es noch dauern, bis es sich vor seinen Mitschurken rechtfertigen musste – und mit etwas Glück verfluchten Machinedramon und MetallSeadramon Puppetmon dann so sehr, dass Piedmons kleines Missgeschick niemandem auffiel.

Der Tag, an dem Piedmon seine Brokkolifrisur bekam

Als die Meister der Dunkelheit noch jung waren, zumindest jünger als zu der Zeit, in der sie schließlich die DigiWelt eroberten, hatten auch sie ihre Sturm- und Drangphase. So etwas wurde natürlich von einem Meister der Dunkelheit erwartet, und vermutlich hätte Apocalymon sie gar nicht erst gesponsert, wäre es anders gewesen.

Neben einer gewissen aggressiven Ader und Rebellion gegen alles Gegenwärtige gehörte natürlich auch der passende Musikgeschmack dazu. MetallSeadramon und Machinedramon waren selbstverständlich beide eingefleischte Metalheads, und Puppetmon, das eher ein Faible für Holzblasinstrumente besaß, wurde von den beiden ordentlich verspottet. Aber auch Piedmon kehrte seiner geliebten, trällernden Zirkusmusik den Rücken und stieß in härtere Musikgefilde vor. Die schwarzweißen Gesichtsbemalungen mancher Digimon-Bands machten es ihm leicht, sich einzugewöhnen.

Wollte man zu jener Zeit damit angeben, mir einer gewissen Musikrichtung verheiratet zu sein, so tat man das nicht, indem man laut Songs johlend die Straße hinunter tanzte, auch nicht indem man Konzerte besuchte, die Musik selbst spielte oder auch nur hörte. Wer wirklich in die Szene gehören wollte, brauchte einen passenden Haarschnitt, so einfach war das.

Der in diesem Fall vom Schicksal bevorzugte Meister der Dunkelheit war MetallSeadramon, dessen Mähne eindrucksvoll beim Headbangen – in seinem Fall eher: Bodybangen – schwang. Puppetmon geriet auch darüber in geringfügige Depressionen. Lange Zeit hatten die anderen Meister gerätselt, was es unter seiner roten Mütze verbarg – vielleicht ein riesiges Astloch oder eine schlimme Termitennarbe? Die Wahrheit war ebenso naheliegend wie schlicht: Puppetmons hölzerner Schädel war völlig kahl.

Machinedramons Frisur, die naturgemäß ebenfalls nicht vorhanden war, veranlasste es zu den Worten, die der Digimon-Metalszene noch lange im Gedächtnis blieben und irgendwann Kultstatus erlangten: „Ich bin so sehr Metal, dass sogar meine Haare ein Metallpanzer sind.“ Irgendwie kam es mit dieser Ausrede durch.

Piedmon hatte es einfacher. Man muss wissen, dass seine Haare ursprünglich nicht einem orangegelben Brokkoli nachempfunden waren, sondern in ordentlichen Locken über seine Schultern fielen. Hätte Piedmon es gewollt, hätte es vielleicht sogar einen Schönheitswettbewerb gewinnen oder zumindest Server’s Next Topvillain werden können, so füllig und prachtvoll – wenn auch ungewöhnlich bunt – war sein Haupthaar. Genau genommen hatte es das auch einmal versucht; nachdem es einen der Juroren nach der ersten bissigen Bemerkung mit seinen Schwertern an die Wand genagelt hatte, war es jedoch rausgeworfen und die Show aus Personalgründen abgesetzt worden.

Piedmon war mit seinem wallenden Haar dennoch nicht ganz zufrieden: Es war zu lockig. Glatte Haare wären cooler, kämpferischer und entsprachen ganz allgemein eher dem damaligen Modebewusstsein. Es musste also etwas daran geändert werden, und zwar schnell.

Sein modischer Berater wurde MetallSeadramon. Auch dessen Haare kräuselten sich gerne, doch es war praktischerweise sein eigenes Glätteisen. Man darf nicht vergessen, dass MetallSeadramon Feuer spucken kann. Der einfache Glättungsprozess begann damit, dass es seine beiden metallenen Schwanzspitzen vor sein Maul brachte, ein paar Minuten Feuer darauf pustete und dann wieder so weit abkühlen ließ, dass es die betreffenden Haare nicht gleich verbrutzelte. Es war schwierig, den richtigen Zeitpunkt beim Aufheizen zu erwischen, aber in der Abkühlphase konnte MetallSeadramon schon bald den rechten Augenblick zwischen glühend rot und ozeankühl abpassen.

Sobald die Schwanzspitzen die richtige Temperatur erreicht hatten, nahm es Piedmons Haare damit in die Zange und verfuhr wie mit einem normalen, wenngleich etwas großen Glätteisen. Dabei beobachtete es sein Werk akribisch genau. Was für andere Szenenfreaks das Tätowieren von sich selbst oder anderen war, war für MetallSeadramon das Glätten von welligem Haupthaar. So ergab es sich, dass sein gigantischer Schädel während der gesamten Prozedur nur einen halben Meter von Piedmons Gesicht entfernt war.

Die Eintracht, die zwischen zwei Meistern der Dunkelheit zu jener Zeit nur selten herrschte, störte wieder einmal Puppetmon, das in dem Moment Piedmons Zirkuszelt betrat. Es war aus zweierlei Gründen schlecht gelaunt. Zum einen, weil niemand mit ihm spielen wollte, zum anderen, weil Machinedramon es heute wieder aufgrund seiner Glatze und mangelnder Gruppenzugehörigkeit gehänselt hatte. Erstens, hatte es gesagt, würde Puppetmon mit Haaren eindeutig dämlich aussehen, zweitens sähe es ohne Haare jedoch genauso dämlich aus. Drittens würde es niemals ein Metalhead werden, sondern immer ein Holzkopf bleiben. Viertens wäre es ein kleines Kind, das erst noch wachsen müsste – etwa auf Machinedramons Größe –, ehe man es ernst nehmen könnte. Fünftens hätte es ja wohl Holzwürmer. Sechstens sähe es ohne Haare dämlich aus – ja, diesen Punkt brachte Machinedramon zweimal. Siebtens wäre das Einzige an ihm, das entfernt etwas mit Metal zu tun hätte, seine Nase, und was entfernt mit Rock zu tun hätte, seine Intelligenz, die Machinedramon mit der eines Steins verglich. Achtens sähen Puppetmons Hosenträger absolut kindisch aus, neuntens wäre auch der Rest an ihm kindisch. Zehntens wäre es eine Schande für alle Meister der Dunkelheit, elftens schwach mit seinen dünnen Astärmchen, zwölftens müsste es ja wohl über sein Level lügen, da es auf keinen Fall höher als Rookie sein könnte, dreizehntens wäre es total uncool, vierzehntens ein Loser, fünfzehntens ein kleines Würstchen. Sechzehntens könnte es ja nicht mal headbangen, wenn es wollte, da sein Kopf sicher nur angeschraubt wäre und irgendwann davon kullern würde, siebzehntens müsste es sich vor jeder heißen Rockerbraut in Acht nehmen, da es allein dadurch in Brand geraten könnte, achtzehntens würde es, sollten sie einmal gegen ernsthafte Gegner kämpfen müssen, sicher als Erstes sterben, neunzehntens hätte es keine Freunde – eine Aussage, die übrigens einen tiefgehenden Komplex in Puppetmon auslöste, dem es schließlich nur mit eiserner Verdrängung beikommen konnte –, zwanzigstens wäre sogar sein Haus – damals nur eine Hütte mit zwei Zimmern – furchteinflößender als es selbst, einundzwanzigstens könnte es die Digimon-Mädels nur heiß machen, wenn man es zu Holzkohle verarbeitete, zweiundzwanzigstens wäre es ein Hinterwäldler, dreiundzwanzigstens sollte es gefälligst was arbeiten, anstatt immer nur Spiele zu spielen, und vierundzwanzigstens bedachte Machinedramon Puppetmon mit einer Behauptung, die in der Menschenwelt wohl äquivalent dazu wäre, dass es ungefähr so wichtig war wie Klopapier neben einem Pissoir.

Man muss dazu sagen, dass Machinedramon zu jener Zeit ziemlich gemein war – richtig gemein nämlich, auf jeden Fall viel gemeiner als zu Zeiten der DigiRitter. Hätte es nicht all seine Gemeinheit schon viel früher an seinen Mit-Meistern der Dunkelheit aufgebraucht, hätte es die DigiRitter allein mit einer Welle aus purer Gemeinheit töten können. Man kann sich vorstellen, dass Puppetmon an diesem Tag äußerst mies gelaunt war und die Gelegenheit daher nur zu perfekt für einen Streich fand.

Während MetallSeadramon sich mit der zweiten Hälfte von Piedmons Haaren zu beschäftigen begann, schlich Puppetmon sich von der Seite an es heran, mit einem Tuch in der Hand, das es hinter sich her zog. Zwischen MetallSeadramon, das auf dem Höhepunkt seiner Konzentrationsfähigkeit balancierte, und Piedmon, das sich einen Spiegel herbeiwünschte, um die Fortschritte an seiner megacoolen Frisur zu begutachten, schnellte Puppetmon schließlich in die Höhe. „Kommt her, spielt mit mir!“, rief es, weil ihm nichts Besseres einfiel, und schwenkte das Tuch.

Eigentlich hatte es nur vorgehabt, MetallSeadramon abzulenken. Man muss jedoch wissen, dass Piedmons Zirkuszelt kaum bis nie von ihm geputzt wurde und der Staub daher allgegenwärtig war – einer der Gründe, warum Piedmon sich in absehbarer Zeit eine Haushälterin zulegen wollte. Puppetmons Tuch wirbelte daher eine gewaltige, graue Staubwolke auf, die mächtig in MetallSeadramons Nase kitzelte.

Das Unglück war unvermeidlich. Wer MetallSeadramon einmal niesen gesehen hatte, wusste, dass das keine ungefährliche Körperfunktion war. Aus nächster Nähe pfiff Piedmon ein mittlerer Powerfluss ins Gesicht; das Donnern des Niesens ließ die Zeltplanen flattern und schließlich das ganze Zirkuszelt in sich zusammenbrechen.

Als sich die drei Meister der Dunkelheit aus dem Chaos von Stoff und Metallstangen hervor arbeiteten, tränten MetallSeadramon die Augen, der Bommel an Puppetmons Mütze war verbrannt und Piedmon Frisur war – erraten: Der Powerfluss hatte sie in einer brokkoliartigen Form nach hinten gekämmt und bewies auch einen derartigen, wenngleich unerklärbaren Einfluss auf seine Haarwurzeln, dass sie nie wieder ihr altes Aussehen annehmen würde, egal was Piedmon auch versuchte.

Vor jenem Ereignis waren alle Meister der Dunkelheit untereinander per Du. Nach diesem Tag jedoch schlug Piedmon stets ein reserviertes Ihr an, wenn es mit Puppetmon sprach, das zum Ausdruck bringen sollte: Eigentlich kenne ich dich nicht.

Der Tag, an dem Piedmon sein Kunststudium begann

Es gab eine Zeit, da suchte Piedmon etwas, um sich zu profilieren. Eine Art Secret Talent, könnte man sagen. Machinedramon zum Beispiel war irrsinnig intelligent und konnte es mit den besten Computerprozessoren aufnehmen. MetallSeadramon war sehr schlau, was es bei diversen Jagdübungen mit seiner Deep Server-Armee unter Beweis stellte. Puppetmon war ... nun ja, es war immerhin verspielt. Aber Piedmon hatte es ohnehin längst aufgegeben, sich mit ihm zu vergleichen.

Die Sache war die: Meister der Dunkelheit mussten einfach bestimmte Eigenschaften wie überdurchschnittliche Intelligenz besitzen, frei nach dem Motto: Böse sein kann jeder, aber böse Megalevel-Digimon werden nur die Klügsten. Darum war die Laufbahn von Digimon wie einem gewissen DemiDevimon denkbar kurz, wie man weiß. Oder man nehme ein gewisses Etemon als Beispiel, das erst sterben musste, um das Mega-Level zu erreichen, und dessen intellektuelle Glanzleistungen sich zu Lebzeiten darauf beschränkten, ein extrem störanfälliges Netzwerk zu warten, das den einzigen Zweck hatte, eine tote, öde Wüste zu überwachen. Piedmon wollte nicht in diese Kategorie fallen, es brauchte etwas, in dem es wirklich gut war, eine Herausforderung, neue Erfahrungen. Ob man‘s glaubt oder nicht, zu dieser Zeit war noch nicht viel von seinem sprichwörtlichen Selbstbewusstsein vorhanden.

Piedmon war nicht gänzlich ohne Interessen. Die unterhaltenden Künste verstand es in der Tat zu genießen. Es hatte allerdings eine Aversion gegen Unterhaltung, die auf Zaubertricks fußt - ein Umstand, der einem erst seltsam erscheinen mag. Jedoch gibt ein richtiger Zauberer nie seine Tricks preis, wie man weiß, und Piedmon konnte es nicht ausstehen, wenn es besonders vertrackte Zaubertricks nicht zum Nachahmen erklärt bekam. Viele Wizardmon mussten wegen einem gewissen unzufriedenen, maskieren Clown im Publikum ihr Leben lassen, aber das ist eine andere Geschichte. Was Piedmon gern mochte, waren Gemälde, Skulpturen, die bildenden Künste eben. Und diese Vorliebe öffnete ihm die Tür auf seinem persönlichen Weg zum institutionalisierten Erwerb von Wissen.

In jener Zeit war die Erste Interkontinentale Universität auf Server errichtet worden, weil Bildung in der DigiWelt recht rar war. Gäbe es so etwas wie eine Pisa-Studie, hätten die Digimon extrem mies abgeschnitten, was wahrscheinlich auch der enorm schlechten Auswirkung von Digimon wie Numemon oder Sukamon – Letztere mit bekanntlich nur einem halben Gehirn – zu verdanken gewesen wäre. Um diese Schmach zu beseitigen, wurde jene Universität eröffnet.

Die erste Hürde war allein der Bau. Da es keinen einzigen Verantwortlichen gab, sondern mehrere Initiatoren, die lediglich der Schrei nach Bildung vereinte, wurde die Universität das wohl kunstvollste Patchwork-Gebilde, das die DigiWelt je gesehen hatte. Die zweite Hürde war die Leitung: Natürlich sollte für diese intellektuelle Einrichtung ein Dekan gewählt werden, der selbst über beachtliche geistige Kapazitäten verfügte. Das alles trug sich zu einer Zeit zu, als man in der DigiWelt noch dachte, Größe sei alles – und so bekam ein Vademon aus der Gegend den Posten, das als einziger Bewerber tatsächlich beweisen konnte, ein überdimensioniertes Gehirn zu besitzen.

Es gab in diesem Anfangsstadium der Universität natürlich nur wenige Anwärter, weshalb Piedmon in Minutenschnelle inskribieren konnte. Zwei, drei Schwertstiche später hatte es sogar seine Wunsch-Matrikelnummer – eine große, schlanke Eins. Erst danach verbot die Studienleitung den Studenten, ihren toten Kommilitonen die Matrikelnummern zu stehlen.

Die Aufnahmeprüfung war allerdings ein harter Brocken für Piedmon. Für ein Kunststudium war es Voraussetzung, dass man einer Kommission eine Probe seines Könnens vorstellte. Wer sich an die zeichnerische Qualität der Bildergeschichte erinnert, mit der Piedmon in absehbarer Zeit acht DigiRitter begrüßen würde, der wird verstehen, warum die Kommission von seinem selbstgemalten Gemälde nicht überzeugt war.

Aber Piedmon gab nicht auf. Entschlossen, die Datensplitter seiner künftigen Professoren nicht durch die Gänge der Universität wehen zu lassen, versuchte es sich als Nächstes als Bildhauer. Das Ergebnis war ganz passabel, fand Piedmon zumindest.

Um die Präsentation seines Meisterwerks zu pointieren, verbarg es die Skulptur unter einem Tuch und zerrte sie auf einem Karren vor die Prüfungskommission. Schon als es an der Zeit war, den „Gaukler“, wie es sein Werk nannte, zu enthüllen, kam er ihm plötzlich merkwürdig klein vor. Nichtsdestotrotz zog es mit einer glamourösen Geste das Tuch fort.

Die Kommissionsmitglieder beugten sich erwartungsvoll vor. „Nun gut“, sagte Vademon, das neben dem Dekansposten natürlich auch den des Kommissionsvorsitzenden innehatte, „ein sehr fein gearbeiteter Schlüsselanhänger mit dem Motiv einer Clownsstatue, aber so etwas gehört in einen Souvenirladen und nicht auf eine Universität.“

Nun wusste Piedmon nicht mehr weiter, weigerte sich aber standhaft, aufzugeben. Es suchte widerwillig Hilfe bei seinen Mitmeistern der Dunkelheit. MetallSeadramon hatte von Kunst ungefähr soviel Ahnung wie ein Kieselstein vom Schuhebinden, daher fiel es von vornherein nicht in die engere Auswahl. Piedmons nächste Adresse war Machinedramons finsteres Fabriks-Hauptquartier.

Das Maschinendigimon hatte tatsächlich Rat parat. Getreu seinem Spezialgebiet, berechnete es mit der Präzision eines Supercomputers den Weg, mit dem Piedmon die höchsten Chancen auf ein erfolgreiches Bestehen seines dritten Prüfungsantritts erzielen könnte. Dieser lag in der abstrakten Kunst: Für beide nachvollziehbar ergaben Machinedramons Berechnungen die Theorie, dass Piedmon, bar jeden Zeichentalents, mit einer inhaltslosen Kritzelei am ehesten zu einem Kunststudium zugelassen werden würde – immerhin bestand die Möglichkeit, dass das fragliche Kunstwerk an das Innerste eines der Kommissionsmitglieder rührte. Piedmon machte sich eifrig ans Werk.

Ein simpler Umstand pfuschte ihm auch dieses Mal ins Werk: nämlich dass Maschinen bekannter Weise keine Ahnung von Kunst hatten. So stieß auch Piedmons abstraktes Kunstwerk „Blut meiner Feinde, oder: Blutsurrogat, weil meine Feinde nicht lange genug leben, als dass ihr Blut sich nicht in Daten auflösen würde“ auf wenig positive Resonanz.

Piedmon war verzweifelt. In seiner Not wandte es sich an Puppetmon, dessen Talent zum Puppenbauen es sich wieder entsann. Wenn es noch Hilfe gab, dann von seinem verspielten Finsterniskollegen.

Natürlich legte Piedmon seine Karten nicht offen auf den Tisch. Stattdessen schlug es die Wette vor, dass Puppetmon es nicht schaffte, eine lebensgroße Puppe nach Piedmons Abbild zu schaffen, und stellte diese Wette als Spiel hin. Puppetmon war sofort Feuer und Flamme, und keine Stunde später präsentierte es sein Werk.

Piedmon gefiel sich nicht wirklich, aber die Puppe stand auf ihren eigenen Beinen und war besser als alles, was es je selbst gebastelt hatte. Die Stiefel waren recht realistisch aus Filz genäht, in ebenfalls genähte Hosen und Jacke war Stroh gestopft worden. Die Schwerter hatte Puppetmon durch ein schlichtes Holzkreuz, wie es selbst eines trug, ersetzt, doch Piedmon wollte nicht kleinlich sein. Der Kopf war ein Football-Kürbis, auf den eine weiße und eine schwarze Bodenfliese gekleistert waren, das Gesicht war gemalt. Den krönenden Abschluss bildete ein großer Pilz, der in den Football genagelt und in den Farben von Piedmons Haupthaar gestrichen war.

Piedmon gab widerwillig zu, dass Puppetmon das Spiel gewonnen hatte. Dieses war davon so erfreut, dass es gar nicht merkte, wie Piedmon sich mit seiner Puppe davonstahl.

Alles lag nun an Piedmons viertem und letztem Antrittsversuch. Die Prüfungskommission, allen voran Dekan Vademon, überlegte lange hin und her. Schließlich wurde entschieden, dass Piedmons Abbild seiner selbst als Kunst durchgehen konnte – zu dieser Zeit nahm man es in der DigiWelt mit Plagiaten noch nicht so genau.

Für Piedmon war es der schönste Tag dieser Woche. Mit der Matrikelnummer 0000001 trat es in das Unileben der Ersten Interkontinentalen Universität der DigiWelt ein.

Der Tag, an dem Piedmon wieder mit seinem Kunststudium aufhörte

Seine Aufnahme in die Erste Interkontinentale Universität der DigiWelt feierte Piedmon, indem es die allererste Studentenparty besuchte, die man in der DigiWelt je gesehen hatte. Seine Kommilitonen waren eine willkommene Abwechslung zu den Digimon, denen es sonst begegnete; sie fürchteten sich nicht vor ihm, allenfalls zeigten sie verhohlenes Misstrauen. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte sich Piedmon, als wäre es zu Hause, als hätte es endlich Seelenverwandte gefunden, es fühlte sich geborgen und zugehörig, hatte seinen Platz in der Welt gefunden ...

Oder eher, es hätte all dies vielleicht empfinden können, hätte es nicht bekanntermaßen ein Herz aus Stein gehabt (oder, wie Puppetmon einmal im Scherz betonte, ein Herz, das noch viel kleiner war als das tätowierte auf Piedmons Stirn, von dem Piedmon selbst übrigens keine Ahnung hatte, wie zum Teufel es eigentlich dort hin gekommen war).

Jedenfalls war der Abend fröhlich und flüssig. Die Party fand in dem Studentenwohnheim statt, das an die Universität angebaut war und in dem nun auch Piedmon wohnte. Es hätte zwar problemlos zuhause schlafen können, vor allem, da es zu der Zeit ein Zirkuszelt auf Rädern besaß, aber wenn schon Student, dann richtig.

Am nächsten Tag ergab es sich, dass Piedmon mit solchen Kopfschmerzen aufwachte, dass es zunächst glaubte, seine eigenen Schwerter würden ihm im Schädel stecken. Es sah sich in dem Zimmer um und bemerkte, dass es nicht alleine war: Ein Crusadermon schlief friedlich neben ihm – im selben Bett.

Nun war es zu der Zeit so, dass Crusadermon – und generell alle Digimon, die komplett in Rosa gekleidet waren, gern an Blumen rochen, wie Pfaue umher stolzierten und sich viele Gedanken um ihr Aussehen, wörtlich, ihre Schönheit, machten – in der DigiWelt, zumindest in den Kreisen, in denen Piedmon verkehrte, als vom anderen Ufer galten. Entrüstet ob der Dreistigkeit dieses Digimons, sich einfach zu ihm ins Bett zu legen, warf Piedmon es hochkant zur Tür raus (während selbige noch geschlossen war; man kann sich Crusadermons Erwachen also als äußerst unangenehm vorstellen) und drohte ihm, es mit seinen Schwertern an die Wand zu nageln, sollte es noch einmal auf dumme Gedanken kommen. Dass Piedmon selbst es gewesen war, das in seinem Rausch nicht die richtige Tür gefunden, sich in ein wildfremdes Bett geschmissen und wie ein Stein geschlafen hatte, fand es erst viel später raus.

Der Unialltag rief, und Piedmon hatte gleich zu Beginn ein Riesenproblem. Dass es seine vier Schwerter für den Kampf unsichtbar machen konnte, ist kein großes Geheimnis. Nur wenige wissen allerdings, dass es die Schwerter danach auch selbst nicht sehen konnte, auch nicht spüren oder etwas anderes. MetallSeadramon hatte es einmal danach gefragt, und Piedmon hatte gemeint: „Unsichtbare Schwerter zu spüren ist nichts als idiotische Esoterik!“

Nun waren genau jene Schwerter verschwunden. Offenbar hatte Piedmon sie irgendwann zwischen neun Uhr Abends und dem Zeitpunkt seines Aufwachens – so lange dauerte nämlich sein Filmriss – verschwinden lassen, aus welchen Gründen auch immer. Wo steckten sie nur – wortwörtlich? In den Scheiden schon mal nicht, auch nicht in der Wand, im Türrahmen oder in irgendeinem unglücklichen Digimon, das ihn gereizt hatte, denn dann hätte ja wohl irgendjemand irgendeine Bemerkung gemacht. Piedmon sah unter dem Bett nach, unter dem Schreibtisch, in sämtlichen Schubladen und noch einmal unter dem Bett. Ganz sicher würde es nicht ohne seine Schwerter auf den Campus gehen! Man hatte schon am Vorabend davon gesprochen, dass es Studentenvereinigungen und altmodische Schwertduelle geben würde, und immerhin waren seine vier blitzenden Tödlichkeiten so etwas wie Piedmons Markenzeichen!

Es half alles nichts, die unsichtbaren Schwerter blieben verschwunden. Die ersten beiden Vorlesungen an seinem ersten richtigen Uni-Tag brachte Piedmon damit zu, in einem Zimmer im Studentenwohnheim, das genau genommen nicht einmal sein eigenes war, seine Waffen zu suchen. Irgendwann entdeckte es sie, mehr durch Zufall: Natürlich waren ihm die vier Kerben in der Wand, knapp unter der Decke, aufgefallen, aber es hatte ihnen wenig Bedeutung beigemessen. Ein seltsamer Wandschmuck, vielleicht, oder Auswirkungen des gestrigen Abends, an den Piedmon sich nicht mehr erinnern konnte. Erst als es sich den Kopf an einem Schwertgriff stieß, entdeckte es, dass die Schwerter immer noch in den Kerben, die sie selbst gebohrt hatten, steckten!

Ein wenig peinlich berührt zog Piedmon sie aus den Wänden, machte sie sichtbar und schob sie in die entsprechenden Scheiden. Nun wollte es gar nicht wissen, wie genau der gestrige Abend ausgeartet war.

Die dritte Vorlesung in seinem Stundenplan besuchte es schließlich. Da bekanntermaßen die braven Digimon in der vordersten Reihe saßen – Piedmon stützte sein Wissen hier auf zufällige Beobachtungen von Digimonschulen, von denen es ja einige gab –, nahm es selbst in der letzten Reihe Platz. Das Baronmon, das den Professor mimte, erklärte ihnen das Stoffgebiet der Vorlesung, die „Eigenheiten, Besonderheiten und weitere Merkmale der Digimonkategorien“ hieß. In dieser Doppelstunde würden sie Pflanzendigimon durchnehmen, das nächste Mal Insektendigimon, dann Mutantendigimon und so weiter. Einer der Studenten sprach schließlich die Frage aus, die Piedmon auf der Zunge lag: Was hatten verschiedene Digimon-Arten mit einem Kunststudium zu tun?

Die Antwort lautete: Studieneingangsphase. Es solle einmal jedes Digimon, das irgendwas studieren wollte, auf den gleichen Wissensstand gebracht werden. Nun gut, dachte sich Piedmon, das war zu verschmerzen. Am Nachmittag sollte immerhin die erste Kunststunde anstehen.

Zu Mittag gab es Essen in der Mensa. Brei mit Pilzen, nicht das, was Piedmon gewohnt war, doch so war sein Studentenleben gleichsam ein Urlaub vom Alltag. Während es aß, beobachtete es zwei Gazimon – die ihre Intelligenz durch das Tragen von dicken Hornbrillen unter Beweis stellen wollten –, wie sie sich gegenseitig anstupsten und kicherten. „Was ist denn so lustig?“, fragte Piedmon, das sich ein wenig angegriffen fühlte, hier in der neuen Umgebung mit all ihren neuen Begebenheiten.

Es stellte sich heraus, dass sie nicht wegen Piedmon lachten, sondern einen Streich planten, sich aber beide nicht wirklich trauten, ihn durchzuführen. Eines der Gazimon hatte Iss-mich-und-du-vergisst-alles-Pilze dabei, die sie in die Küche schmuggeln wollten. Piedmon zeigte ihnen kurzerhand, wie man so etwas machte. Es nahm die Pilze, stapfte in die Mensa-Küche, schlug den Monzaemon-Koch nieder und streute die Pilze eigenhändig auf die nächsten fünf Portionen Brei.

„Und jetzt gebt Ruhe“, sagte es zu den Gazimon, die es verehrend anblickten, als es sich wieder zum Essen hinsetzte.

An diesem Tag schieden fünf Digimon aus dem Uni-Leben aus, weil sie sich nicht mehr erinnern konnten, was sie hier überhaupt taten.

Nach dem Essen hatte Piedmon zwei Stunden frei. Es liebte die universitäre Lehre jetzt schon. Um sich die Zeit zu vertreiben, spielte es Karten mit seinen Kommilitonen.

Man muss dazusagen, dass Piedmon es liebte, Karten zu spielen. Wenn es ein Spiel gab, das es mochte, dann auf jeden Fall etwas mit Karten. Sogar Puppetmon wusste das und hatte oft mit ihm gespielt. Die anderen beiden Meister der Dunkelheit taten sich verständlicherweise schwer dabei, Spielkarten zu halten.

Nur war sein Gegner nicht Puppetmon, gegen das er all seine Kartentricks und Trumpfkarten ausspielen konnte (metaphorisch natürlich, denn die Essenz eines Kartentricks war für Piedmon ein Luftstoß, der selbst Felsen mitriss, und „Trumpfkarte“ war in Piedmons persönlichem Wörterbuch schließlich ein Synonym für „Schwert“), ohne dass es den Betrug bemerkte. Ungeheuerlicher Weise bezichtigte das Piedmon gegenübersitzende Revolvermon es, geschummelt zu haben, nur weil Piedmon beim Pokern plötzlich sieben verschiedene Asse auf der Hand hatte.

Einen kleinen Streit (und ein weiteres, unfreiwillig vom Studentenleben ausgeschiedenes Digimon) später machte sich Piedmon auf die Suche nach einem Duellgegner. Es brauchte nur drei Minuten, um die erste Digimon-Studentenverbindung zu überzeugen, dass es der ideale Neuzugang war, und weitere fünf, um auf dem Innenhof schon seinem ersten Gegner gegenüberzustehen – und das Praktische war, dass es nach diesen sehr überzeugenden Minuten sein Schwert schon in der Hand hielt und infolgedessen gar nicht mehr zu ziehen brauchte!

Sein Gegner war – Ironie des Schicksals – das Crusadermon, das er heute Morgen aus dessen eigenem Zimmer geworfen hatte. Es kämpfte mit einem stahlharten Band, Piedmon mit seinem Schwert.

Nun stellte sich aber heraus, dass Crusadermon der bessere Schwertkämpfer war. Piedmon war unbesiegbar im Schwertwerfen, Schwert-unsichtbar-machen und dergleichen, aber einen herkömmlichen Kampf, Klinge gegen Klinge, war es nicht gewohnt. Es verlor haushoch. Nach den Regeln der Verbindung müsste es nun einen Schnitt in die Wange erdulden. Da Piedmon aber sehr eitel war und sich diesen Makel nicht erlauben wollte, zückte es schließlich doch sein ganzes Repertoire an Schwerttricks, um einerseits Eindruck zu schinden, andererseits um sein Gesicht zu schützen. Als es endlich in die Kunstvorlesung schwebte – knapp über dem Boden, was es gerne tat, wenn es zufrieden war –, war ein Crusadermon aus dem Unileben ausgeschieden – zusammen mit einer Studentenverbindung von siebzehn weiteren Digimon, die den Grund für sein plötzliches Verschwinden hätten bezeugen können.

Endlich, so dachte Piedmon, könnte es gewöhnlichen Kunstunterricht genießen, wie es ihn sich ausgemalt hatte. Da es zu der Zeit einen Mangel an Lehrenden gab, hielt dasselbe Baronmon die Vorlesung, das Piedmon schon vom Vormittag kannte.

Es würde Prüfungen geben, erklärte es, und Hausaufgaben. Außerdem Anwesenheitspflicht und benotete Gruppenübungen. Was Baronmon in seiner Funktion als Universitätsprofessor sagte, war absolut. Was es lehrte, die einzige Wahrheit, die jeder zu akzeptieren hatte. Kurz: Das Verhältnis zwischen dem Professor und den Studenten war ein diktatorisches, und man musste sich Baronmon mehr oder weniger unterwerfen.

Piedmon war nun natürlich nicht so naiv, die Sinnhaftigkeit dieser Form der Lehre anzuzweifeln. Schließlich lag es in der Natur der Sache, dass der Lehrer seine Schüler belehrte und ihr Wissen abprüfte, und nicht etwa umgekehrt. Piedmon hatte sich diesen Umstand nur nie so befremdlich, widernatürlich und ganz und gar unausstehlich vorgestellt. Sich einem niederen Champion-Digimon unterzuordnen war natürlich ein absolutes No-Go für einen Meister der Dunkelheit. In dem Eingangstest, mit dem Baronmon das Wissen seiner neuen Studierendenschar über berühmte Digimon-Künstler abfragen wollte, ließ Piedmon daher statt Antworten einen seiner Dolche zurück, packte seine Sachen und verließ die Universität, noch bevor die Kunstvorlesung überhaupt zu Ende war. Das Studieren war eben doch nicht das Richtige für es, und es hatte vom Feiern bis zum Schwertduell immerhin bereits alles getan, was es sich für seine Studienzeit vorgenommen hatte.

So schrieb fortan niemand mehr die Matrikelnummer 0000001 auf ein Anwesenheitsblatt, und Piedmon kehrte in seinen Alltag zurück.

Manch einer mag sich fragen, warum es die Erste Interkontinentale Universität der DigiWelt zu Zeiten der DigiRitter nicht mehr gab. Das ist schnell erklärt: Als die Meister der Dunkelheit schließlich mit ihrem Eroberungs- und Veränderungsfeldzug begannen, erinnerte sich ein gewisses Vademon daran, dass ein gewisses Piedmon einst an seiner Uni inskribiert war. Wie es sich für einen ehrwürdigen Dekan gehörte, schrieb es einen formvollendeten Brief an den Meister der Dunkelheit und bat ihn, das Universitätsgelände so zu belassen, wie es war, damit auch in einer Welt der Finsternis die Bildung nicht vernachlässigt wurde.

Die Meister der Dunkelheit versuchten zur gleichen Zeit, ihr Image ein wenig aufzupolieren, indem sie übermäßige Bürokratie und lange Verwaltungswege installierten. Jedes Schreiben an einen der Meister der Dunkelheit ging vorher durch die Hände der anderen drei. (Man muss dazu sagen, dass es sich bei diesem System lediglich um ein Experiment handelte, das einer betrunkenen Idee von MetallSeadramon entsprungen war und sich auch nicht durchsetzte.)

MetallSeadramon, noch verkatert vom Vortag (und man kann sich vorstellen, dass ein derartiges Digimon jede Menge Alkohol schlucken kann), las den Brief als Erstes und empfand es als eine tiefe Beleidigung, dass es offenbar als Einziges keine Ahnung davon gehabt hatte, dass Piedmon überhaupt Student geworden war! So flog es los und verwüstete die Universität und die ganze angrenzende Landschaft binnen weniger Sekunden.

Dies war das Ende der Ersten Interkontinentalen Universität der DigiWelt, und man könnte sagen, an jenem Tag schieden alle übrigen Studenten, Professoren und Verwaltungsdigimon aus dem Unileben aus. Wortwörtlich.

Der Tag, an dem Piedmon endlich eine Haushälterin bekam

Ein Megalevel-Digimon zu sein bedeutet zwangsläufig, schon etliche Jahre auf dem Buckel zu haben. Nur die Besten werden alt, das war ein Sprichwort, das die Selbsthilfegruppe der von ihrem Alter frustrierten Greise, angeführt von einem Jijimon, euphorisch gebrauchte. Auch wenn sich selbstverständlich niemand traute, es den Meistern der Dunkelheit ins Gesicht zu sagen, so war es doch eine Tatsache, dass sie alle nicht mehr die Jüngsten waren.

Am ehesten schaffte es noch Puppetmon, über die Länge der Zeitspanne zwischen seinem Schlüpfen als unschuldigem Baby-Digimon aus einem ungefähr ebenso unschuldigen Ei und dem Hier und Jetzt hinwegzutäuschen. Manche meinen, dass es das exzessiv getan hätte und in Wahrheit gar nicht so ein Kindskopf wäre, aber ob dies wahr ist oder nicht, sei nun erst mal beiseite gestellt.

Betrachtet man nämlich Piedmon, so hatte es nie das Problem, dass andere es für alt gehalten hätten. Vielleicht lag es daran, dass nur wenige ein Treffen mit ihm überlebten, oder die viele Schminke täuschte über die Jahre auf seinem Buckel hinweg. Sein Problem war, dass es sich selbst nicht wirklich davon überzeugen konnte, immer noch jung und frisch zu sein.

Das begann bereits am Morgen, wenn es mit seinen Schwertern trainierte. Seine Gelenke knacksten, und nach einer ungeschickten Trumpfkarte erwischte es ein gewaltiger Hexenschuss. Gebückt verzog es sich wieder in das Hauptquartier. Die Anstrengung, den Spiralberg hochzuziehen, steckte ihm zu jener Zeit noch tief im Kreuz.

Auch in seinen eigenen vier Wänden wartete so viel Arbeit, dass es sich nicht erholen konnte. Wer böse Digimon näher kennt, weiß, wie anstrengend es sein kann, böse zu sein. Meistens gibt es auch keinen Kurort, an den man fliehen kann. Piedmon war ein einziges Mal mit den anderen Meistern der Dunkelheit auf Erholungsurlaub zu einer heißen Quelle gefahren. Zuerst hatte der Tag ganz vielversprechend ausgesehen: Machinedramon wollte nicht ins Wasser, weil es fürchtete, zu rosten; Puppetmon wollte nicht ins Wasser, weil es fürchtete, morsch zu werden. Piedmon hatte sich schon auf ein entspannendes Becken für sich allein gefreut, allerdings fühlte sich MetallSeadramon in der Quelle geradezu pudelwohl. Und es war groß, so groß, dass Piedmon ein winziger Bereich blieb, der nicht mit Metall vollgestopft war. Im Endeffekt war es verkrampfter aus der Quelle gestiegen, als es hineingeklettert war.

Piedmon sah sich den Saustall an, der wieder einmal in seinem Wohnzimmer herrschte. Es übte sich in seiner Freizeit gerne im Zaubern, und wenn ein Zaubertrick fehl schlug – oder im Gegenteil wirkungsvoller war als erhofft –, konnte schon einmal das eine oder andere Möbelstück kaputt gehen. Außerdem gehörte dringend mal wieder geputzt, und Piedmon hasste diese erniedrigende Arbeit. Seit es letzte Woche fast eines seiner In-Schlüsselanhänger-Verwandel-Tücher als Kopftuch für den Hausputz verwendet hätte – die Folgen wären nicht auszudenken gewesen – verzichtete es sogar ganz darauf.

Dass Piedmon kein Meister der Putzmagie war, ist bekannt. Es beherrschte zweifellos eine Menge nützlicher Zaubertricks; es konnte Zirkusbälle und Schwerter aus dem Nichts erschaffen und Menschen in Schlüsselanhänger verwandeln. Es konnte sogar Schlüsselanhänger in Menschen verwandeln – das Ergebnis hieß Klaus-Jürgen und gammelte in einem Verlies unter dem Spiralberg vor sich hin, weil er genauso anhänglich war wie der Gegenstand, der er einmal gewesen war. Aber Sauberzumachen war, selbst nachdem Piedmon das Problem mit seinem Geschirr gelöst hatte, nach wie vor ein schwieriges, kräfteraubendes und vor allem nichtmagisches Vorhaben.

An diesem Tag fasste Piedmon, mit schmerzenden Knochen, einem Stechen im Kreuz und dem Auftauchen seines ersten grauen Haars den Entschluss, zu seinem Alter zu stehen und nicht mehr alles selbst zu machen. Eine Haushälterin musste her.

Nun wollte Piedmon aber nicht einfach irgendeine Haushälterin. Es war ein Meister der Dunkelheit, also musste sie mindestens so böse sein wie es selbst. Arme und Beine wären auch ganz gut; Piedmon hatte von Numemon gehört, die weder das eine noch das andere besaßen und beim Putzen mehr Dreck als spiegelnde Oberflächen erzeugten. Dann musste das Digimon natürlich auch levelmäßig etwas hermachen – wie konnte ein Meister der Dunkelheit sich mit etwas Geringerem als dem Ultra-Level zufrieden geben?

Piedmon setzte also eine Stellenanzeige auf, in der es all seine Kriterien erläuterte. Am nächsten Tag hatten sich einige potentielle Bewerber auf dem Spiralberg versammelt. Es gab eigentlich nicht viele Möglichkeiten, wie seine künftige Haushälterin aussehen würde, aber Piedmon hatte dennoch einen steinigen Weg vor sich, als es ein regelrechtes Casting veranstaltete.

Der erste Bewerber war Puppetmon, das es für ein lustiges Spiel hielt, sich zu verkleiden und auf Stelzen zu gehen. Piedmon erkannte es an seiner Nase und ließ es rauswerfen. Als zweites kamen einige Numemon dran, die sich in ein riesiges Monsterkostüm gehüllt hatten. Das Ganze gefiel Piedmon recht gut, die Einzelteile aber eher weniger. Da seine Vilemon gefüttert werden mussten, dankte Piedmon den Digimon und bat sie, sich für eine angebliche zweite Castingrunde hinter dem Hauptquartier einzufinden.

Alle weiteren Anwärter waren – nach menschlichen Maßstäben gesehen – weibliche Digimon: Lillymon, Lilamon, Rosemon, das volle Programm. Manch einer wird sich fragen, warum diese Digimon auf Piedmons Annonce reagiert hatten, suchte es doch eine düstere, bösartige Haushälterin. Das ist schnell erklärt.

Zu der Zeit, als der Spiralberg errichtet wurde, fand in der DigiWelt verständlicherweise ein großer Umbruch statt. Dieser pflanzte sich auch in dem Identitätsbewusstsein der Digimon fort, in Trends und Mode – sogar in der Architektur, was man Jahrzehnte später als den Vier-Meister-Stil bezeichnen würde und sich durch allerlei Spiralen und gewundene Skulpturen und Türmchen auszeichnete, aber das nur nebenbei. Der Zeitgeist und die bösen Digimon, die plötzlich als die VIPS schlechthin an der Spitze standen, brachten etliche Bewegungen ins Rollen und krempelten Schönheitsideale um. Das brave Pflanzen-Girl der frühen Neunziger (in Menschenzeit gerechnet) war out. Düster, schwarz und fies, das war die neue Devise. Eine gewaltige Gothic-Welle schwappte über die zerstörte DigiWelt. Zeitzeugen erwähnen in diesem Zusammenhang gerne die Prophezeiung von der File-Insel: „Eine große Dunkelheit wird über die DigiWelt kommen.“ Verfechter der Szene und Geschichtskritiker versuchen seit jeher zu widerlegen, dass Apocalymon damit gemeint war.

Außerdem lockte das Bild von der Befreiung des wahren Ichs durch rauere Umgangsformen. Literarische Bestseller wie Fifty Shades of Greymon taten ihr Übriges. Lack und Leder ersetzten Blumenkleider und Engelsfedern, Digimon änderten ihre Attacken von effektiven Vernichtungsschlägen zu langwierigen Prozeduren, die vor allem Schmerzen erzeugen sollten.

Und so durfte sich Piedmon durch eine Schar aus Digimon schlagen, die im Grunde gutartig und freundlich waren, aus Imagegründen aber Schwarz trugen, blass geschminkt waren und sich selbst klingende Namen wie DarkLillymon, BeatThemAllToDeathLilamon oder EvilMistressRosemon gaben. Bei FallenAngewomon wurde es Piedmon schließlich zu viel und es scheuchte die Bewerberinnen wütend davon. Es wollte eine Haushälterin, die durch und durch böse war. Harte Schale, harter Kern, nichts anderes.

Am Ende blieb ein einziges Digimon stur in seiner Empfangshalle stehen. Piedmon hatte an dem Tag schon mehr als genug falsche LadyDevimon gesehen; sie entsprachen in dieser Zeit der Veränderung quasi den It-Girls der Menschenwelt. Piedmon wollte das Digimon eben mit einem künstlerisch vollendeten Zauberschuss ins Jenseits befördern, als es sagte: „Und hier soll ich die Putze spielen? Was für ein dreckiges Loch. Schmiert Euch das in die Haare!“

Und da wusste Piedmon, dass es das richtige Digimon für seine Drecksarbeit gefunden hatte. LadyDevimon hatte auf die Stellenanzeige für eine Putzkraft reagiert, nur um ihm zu sagen, dass es ihm hier zu schmutzig wäre. Solche Dreistigkeit war genau das, was Piedmon gesucht hatte, genau die tiefgreifende Art von Bosheit, die es in der DigiWelt verbreiten wollte. Vom Fleck weg stellte es LadyDevimon ein.

Bis zu seinem Ableben putzte LadyDevimon übrigens tatsächlich nicht. Es war eine gute Gesellschafterin in einsamen Stunden, ein mehr oder minder treuer Streiter gegen die DigiRitter und auch sonst eine große Hilfe für einen alternden Meister der Dunkelheit, aber nicht ein einziges Mal sah man es mit einem Putzlappen. Ob es Stolz war oder einfach nur die Fülle an Schmutz, die es davon abhielt, ist nicht bekannt. Dienstgeber und Haushälterin einigten sich einfach darauf, das Hauptquartier stets so finster wie möglich zu halten, damit man möglichst nicht erkennen konnte, wie es darin aussah.

Der Tag, an dem Piedmon sich entgegen aller Widrigkeiten und Wahrscheinlichkeiten zum ersten Mal verliebte

Wie ja allseits bekannt ist, wirken sich diverse Ereignisse und Erscheinungen der DigiWelt auch auf die Menschenwelt aus. Es ist also wenig verwunderlich, wenn ab und zu einmal das Umgekehrte passiert. So ergab es sich, dass es in der Menschenwelt einmal einen gewaltigen Sonnensturm gab, der auf der Erde fröhlich die Polarlichter flackern ließ und etliche technische Geräte kurzzeitig außer Gefecht setzte. Diese Störung – wenn man es nun überhaupt so nennen will – wirkte sich auch auf die DigiWelt aus und sorgte für allerlei merkwürdige Empfindungen. Genauer gesagt, die DigiWelt fiel in einen DigiWelt-weiten Liebestaumel.

Auch Piedmon, seines Zeichens noch nicht ganz der gefürchtete Tyrann, der es einst sein würde, blieb davon nicht verschont. Man darf sich das nicht so vorstellen, dass das tätowierte Herz auf seiner Stirn plötzlich zu glühen und zu pulsieren begann oder dass Piedmon anfing, mit Rosen um sich zu werfen und anderen Digimon reihenweise die Hand – oder etwas anderes – zu küssen. Die Veränderung offenbarte sich bei ihm viel subtiler, man könnte sagen, schleichend. Zu jener Zeit waren die Meister der Dunkelheit in den Vorbereitungen ihres Eroberungsfeldzugs – was übrigens eine viel anstrengendere Sache als der Feldzug selbst war – und mussten im Vorfeld einige Digimon aus verschiedensten Gründen töten, sei es, weil sie ihren Plänen im Weg standen, weil sie sich gut für eine Demonstration ihrer Stärke eigneten, weil die Meister der Dunkelheit damit die Moral andere Digimon zu brechen hofften oder weil ihnen schlicht und ergreifend langweilig war, weil sie schon länger niemanden mehr abgemurkst hatten (Letzteres traf vor allem auf Puppetmon zu, das gern genau diese Wortwahl verwendete).

Piedmon hatte an diesem Tag also schon mehr als genug Digimon mit weiblichen Merkmalen getroffen, einige davon zweifellos selbst für die Maßstäbe der Menschen ganz hübsch, und hatte sie genauso plattgemacht, wie es ein Sukamon plattmachen würde (und später, wie wir uns erinnern, auch tat). Aber dann, gerade als es am wenigsten damit rechnete, geschah es, und zwar als es unverhofft nach getaner Arbeit in einem Fastfood-Lokal der DigiWelt (ja, auch Meister der Dunkelheit müssen etwas essen, und in einer hektischen Zeit hat man eben oft keine Zeit, sich in Restaurants bedienen zu lassen oder gar selbst zu kochen. Selbstredend wurde auch erwähntes Fastfood-Lokal von einem Digitamamon geleitet) ein Rosemon traf.

Für Piedmon war es eine himmlische Begegnung – oder was auch immer das dunkelheitische Äquivalent für diesen Ausdruck war. Rosemon war genau die Mischung aus reifer Frau und Haudraufmaschine, gepaart mit einem betörenden Rosenduft – den Piedmon wohlgemerkt nur an jenem sonnensturmgeplagten Tag ausstehen konnte – und verführerischen weiblichen Rundungen, um in Piedmon dieses Gefühl zu wecken, das der Mensch als Liebe bezeichnen würde, von dem Piedmon im ersten Moment allerdings glaubte, irgendetwas oder jemand hätte eine gefährliche Attacke auf es geworfen. Außerdem sah Rosemon in seinen roten Klamotten – die übrigens aus verwobenen Rosenblütenblattfasern bestanden, aber das nur nebenbei – gerade so nuttig aus, dass es jemanden wie Piedmon damit beeindrucken konnte.

Um ganz sicherzugehen, dass es sich nicht doch um einen perfiden Angriff handelte, verwandelte Piedmon die Hälfte aller Kunden in Datenreste, während die andere Hälfte schreiend davonlief. Das Gefühl blieb. Und nun beschloss Piedmon, es näher kennenzulernen.

Rosemon war im Lokal geblieben und lächelte Piedmon an. „Darf es noch eine Gratis-Apfeltasche dazu sein?“, war das Erste, das es zu seinem neuen Verehrer sagte. Ja, ihr habt richtig gelesen: Rosemon arbeitete für das Digitamamon hinter dem Tresen seines Fastfood-Lokals und war heute mit der Essenausgabe betraut.

Um diesen für ein Megalevel-Digimon etwas zweifelhaften Job etwas näher zu erklären: Rosemon stammte aus einer überaus armen Pflanzendigimon-Familie. Das Dorf, aus dem es kam, lebte quasi nur von Wasser und Sonnenlicht. Rosemon selbst war in dieser Hinsicht viel ambitionierter und wollte es unbedingt zu etwas Großem bringen. Darum – und weil es so herzensgut war, nicht einfach die neunzig Prozent der Digimon in der DigiWelt, die schwächer waren als es selbst, zu verprügeln –, nahm es jeden Gelegenheitsjob wahr, den es kriegen konnte, um sich seinen großen Traum zu erfüllen: eine eigene Gärtnerei aufzumachen, mit exotischen Pflanzen, vielen, vielen Rosen und einem wunderbaren, fröhlich plätschernden Springbrunnen in der Mitte, in dem verspielte Baby-Digimon nach Lust und Laune planschen konnten. Digitamamon ließ Rosemon natürlich trotz dieses schönen Traumes für einen Hungerlohn schuften. Das Geschäftsleben ist schließlich kein Honigschlecken, wie die eiförmigen Digimon stets sagen.

Und um zu erklären, warum Rosemon überhaupt nicht misstrauisch oder verärgert war, weil Piedmon eben seine halbe Kundschaft abgeschlachtet hatte: Man rufe sich ein Bild von Rosemon vor Augen und erkenne, dass diese Digimon offenbar keine Augen haben – oder sie unter der Blütenkrone verstecken. Tatsächlich ist Letzteres der Fall, und alles, was Rosemon sehen, erscheint ihnen quasi durch die Blume, durch ihre ureigene rosa Brille. Und irgendwie scheinen die Blütenblätter einen Stoff zu beinhalten, der visuelle Signale (in der DigiWelt auch nur Daten, wie alles andere) filtert, die ihren Besitzer verstören oder verärgern oder sonstwie negativ beeinflussen könnten. Wie das genau funktioniert, darüber streiten sich die Wissenschaftler noch; fest steht, dass Rosemon im Allgemeinen ihr ganzes Leben hindurch gut drauf sind, aber auch keinen Blick für jegliches Elend in der DigiWelt haben.

Piedmon wiederum war von den Worten seiner Flamme betört. Noch nie hatte ihm ein anders Digimon etwas schenken wollen – zumindest nicht unter Drohungen. Es nahm überglücklich die Apfeltasche und berührte dabei die blütenzarten Finger von Rosemon … In Piedmons Kopf, wo üblicherweise nur wenig Platz für sensibles Getue war, entfaltete sich eine traumhafte Szene. Es fühlte sich, als stünden sie beide, Piedmon und Rosemon, auf einer Blumenwiese, Blütenblätter wehten wie ein Sturm aus Rosa und Rot um sie herum, Glockenklang hallte sanft aus dem Nichts und um sie herum tanzte im Kreis ein Chor aus Lucemon und sang mit klaren Kinderstimmen von der Schönheit des Lebens (selbstverständlich stellte sich Piedmon hier die Kinderform von Lucemon vor. Immerhin war das das einzige Digimon, das einem Unschuldsengel – ironischerweise – am nächsten kam).

Auch Rosemon war von Piedmon angetan – wenn nicht sogar fasziniert. Die Blütenblätter vor seinen Augen zensierten das bösartige Digimon nämlich zur Gänze, wodurch es für Rosemon praktisch unsichtbar war – der Sonnensturm ließ aber auch Rosemons Sinne schwirren und sagten ihm eindeutig, dass an dieser Stelle ein Digimon stand, zu dem es sich nur hingezogen fühlen konnte.

Piedmon hielt sanft die Rosenhand fest und setzte einen Kuss aus seinen blutroten, vollen Lippen darauf. „Würdest du mir nach dem Essen erlauben, dich auszuführen? Wir könnten unschuldige Digimon vernichten und ein bisschen was zerstören. Ich stelle mir das in deiner Gegenwart unvorstellbar romantisch vor.“ Man kann unschwer erkennen, dass Piedmon, wenn es wollte, sehr galant sein konnte, auf der anderen Seite wenig Erfahrung damit hatte, sich romantische Ideen für ein Date einfallen zu lassen.

Nichtsdestotrotz antwortete Rosemon, geradezu aphrodisiert von dem Digimon, für das sein Herz entbrannt war, mit „Ich will!“, und die beiden liefen Hand in Hand – tatsächlich, und das während Rosemons Schicht! – aus dem Lokal und über die nächstbeste Blumenwiese.

Den Rest des Tages verbrachten sie in trauter Zweisamkeit. Es wurde gar nicht so viel gemordet und zerstört, wie Piedmon vorgehabt hatte, stattdessen pflückten sie Blumen, erzählten sich Witze und lachten gemeinsam, legten einander ihre großen Ziele dar – wobei Piedmons nachvollziehbarerweise sogar ein Stück größer waren als Rosemons – und schworen sich zu heiraten, sobald sie sie erreicht hatten. Sie würden gemeinsam durchbrennen, die anderen Meister der Dunkelheit vom Spiralberg werfen (der zu jener Zeit schon geplant war) und dort alleine wie die Könige hausen. Piedmon fühlte sich an diesem Nachmittag jünger, als Puppetmon sich an gewöhnlichen Tagen gab. In fester Überzeugung, dieses Gefühl würde ewig anhalten, ließ es in der DigiWelt das Valentinsjahr ausrufen und beauftragte ein paar Gotsumon – natürlich unter Morddrohung –, mit ihren steinernen Körpern ein Kunstwerk zu schaffen, das Rosemon und Piedmon in inniger Umarmung zeigte (das war übrigens das erste Mal, dass Rosemon sah, wie Piedmon aussah).

Als die Sonne den Rand der Welt küsste und sie mit einer Flut aus Ocker und Gold überschwemmte, saßen die beiden auf einem Hügel und Rosemon begann plötzlich zu weinen (was übrigens sehr seltsam aussieht, wenn man bedenkt, dass Rosemons Augen quasi innen sind). Es meinte, dass es alle Verbindungen zu seiner Vergangenheit trennen müsste, um mit Piedmon zusammen sein zu können, und das wäre schwieriger als gedacht. Erstens würde sein Chef Digitamamon sauer sein und es feuern. Zweitens wäre es außerdem schon jemand anderem versprochen. Rosemons Vater – hier bezog es sich eher auf eine Art Vormund; wie bekannt ist, schlüpfen Digimon ja elternlos aus Eiern – hatte es mit einem reichen Monzaemon verkuppelt. Da Rosemons Heimatdorf wie erwähnt sehr arm war und Monzaemon reich, war es eine passende Partie für eine arrangierte Hochzeit, die sich die Pflanzendigimon aus der Menschenwelt abgeguckt hatten.

Piedmon, seines Zeichens Mann der Tat, zauderte nicht lange und löste das Problem, wie ein Meister der Dunkelheit eben Probleme löst. Mit einem Aufgebot seiner Vilemon-Handlanger stürmte es das Fastfood-Lokal und danach die Villa von Monzaemon, und fortan hatte nie wieder jemand etwas von Digitamamon, Monzaemon oder dessen ganzer Dienerschaft gehört.

Aus Piedmon und Rosemon wurde übrigens trotzdem nichts. Die Auswirkungen des Sonnensturms verebbten und das Leben ging wieder seinen gewohnten Gang. Piedmon stand gerade in den Überresten von Monzaemons Villa, als ihm der Gedanke kam, dass es irgendetwas vergessen haben könnte. Es schob den Gedanken mit einem Achselzucken von sich – immerhin stand es hier in auf einem verwüsteten Schlachtfeld, also war dies ein Tag wie jeder andere in der Zeit der Weltherrschaftsvorbereitung. Um ganz sicherzugehen, zerstörte es noch den ganzen angrenzenden Landstrich und kehrte dann zu seinen Mitmeistern der Dunkelheit zurück.

Was Rosemon anging, so erlitt es keine Verdrängung wie sein Geliebter-Für-Einen-Tag, sondern saß lange Zeit hinter dem Tresen eines zerstörten Fastfood-Lokals und träumte von dem Moment, in dem sein Liebster zurückkehren würde, nachdem er versprochen hatte, sich um all die Probleme zu kümmern, die ihnen im Weg standen. Irgendwann wurde es Rosemon aber trotzdem zu blöd und es zog in einen anderen Teil der DigiWelt. Was aus ihm wurde, ist jedoch unbekannt.

An diese kurze Episode erinnert heute nichts mehr – allerdings gibt es ein Gerücht, dass irgendwo, in den Tiefen der DigiWelt, eine immer noch ängstliche Skulptur aus Gotsumon, die zwei gewisse sich liebende Megalevel-Digimon bilden, vor sich hin zittert; selbst heute noch.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Das war's auch schon wieder. Hoffe, es hat euch gefallen - das nächste Kapitel heißt: Der Tag, an dem Piedmon sein Kunststudium begann ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das war's auch schon wieder - hoffe, es hat euch gefallen.
Ich möchte mich an dieser Stelle (weil ich es nicht geschafft habe, es persönlich zu tun) bei allen bedanken, die so nett waren, einen Kommentar beim letzten Kapitel zu hinterlassen - danke! :)
Das nächste Kapitel heißt - erraten - "Der Tag, an dem Piedmon wieder mit seinem Kunststudium aufhörte" ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Irgendwie ist das hier mein momentanes Lieblingskapitel. Weiß auch nicht, warum^^
Im nächsten Kapitel: Der Tag, an dem Piedmon endlich eine Haushälterin bekam ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und wieder hoffe ich, dass euch das Kapitel gefallen hat :) Es ist übrigens das letzte, das ich in petto habe, darum habe ich die FF vorsorglich auf "abgeschlossen" gestellt. Theoretisch kann es natürlich sein, dass mir noch weitere Ideen kommen und ich neue Kapitel hochlade. Es ist eher unwahrscheinlich, aber nicht ganz ausgeschlossen.

Einstweilen also: Man liest sich! Und ich hoffe, dass ihr diesen kleinen Exkurs in Piedmons Privatleben amüsant fandet.
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Kommentare zu dieser Fanfic (17)
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Von:  EL-CK
2015-11-19T15:23:50+00:00 19.11.2015 16:23
Geniales Kapitel.....ich stell' mir gerade die armen Gotsumon vor - vermutlichen sind das die letzten Digimon die sich an dieses Ereigniss erinnern können... omg wir müssen sie unter Schutz stellen XD
Antwort von:  UrrSharrador
19.11.2015 17:06
Unter Denkmalschutz, ja XD
danke für deinen Kommi mal wieder :)
Von:  fahnm
2015-11-19T00:54:27+00:00 19.11.2015 01:54
Hammer Kapitel
Mach weiter so
Antwort von:  UrrSharrador
19.11.2015 17:06
danke für deinen Kommi^^
Von:  fahnm
2015-06-10T02:28:42+00:00 10.06.2015 04:28
Lady Devimon?
Also ich an ihrer Stelle hätte es auch so gemacht.^^
Wer will schon für so einen Stress Clown Arbeiten wo dazu noch die Bezahlung sicher Mies ist.^^
Antwort von:  UrrSharrador
10.06.2015 09:02
Ja, nicht wahr? :D
Danke für deinen Kommi^^
Von:  EL-CK
2015-06-09T07:48:57+00:00 09.06.2015 09:48
Ein tolles Kapi.... sollte da noch weiter Kapis folgen - würde es mich freuen... ;)
Ich hab mich ja schon immer gefragt wie LadyDevimon wohl zu Piedmon kam.... ich muss zugeben... das passt ;)

Bis bald mal wieder...
Antwort von:  UrrSharrador
09.06.2015 10:06
Heute mal pünktlich - danke für deinen Kommentar ;)
Ganz auszuschließen ist es ja nicht. Mal sehen^^
Von:  fahnm
2015-05-12T21:36:28+00:00 12.05.2015 23:36
Das kommt davon wenn man Feiert wie die Ober Irren.
Am nächsten Tag rächt es sich mit einem Fiesen Kater.^^

Antwort von:  UrrSharrador
08.06.2015 22:29
Mit ziemlicher Verspätung - danke für deinen Kommentar!
Ja, offenbar sind nicht mal Digimon davor gefeit^^
Von:  EL-CK
2015-05-12T06:31:29+00:00 12.05.2015 08:31
Ich kann verstehen, dass du dieses Kapitel aktuell so sehr magst.... mir geht es da ähnlich. .. ;)
Antwort von:  UrrSharrador
08.06.2015 22:29
Ich vergesse iwie ständig, die Kommentare bei dieser FF zu beantworten ... Danke also mal wieder^^ Freut mich, wenn es dir auch gefällt :)
Von:  Maloich
2015-05-09T12:34:53+00:00 09.05.2015 14:34
Komme etwas spät mit dem Kommentar, aber muss einfach trotzdem mal sagen, dass das eine gute FF ist. Ich habe jedesmal ein Grinsen im Gesicht, wenn ich was über Piedmon lese... wahrscheinlich liegt es auch daran, dass es zu meinen lieblings Digimon gehört, v. a. als Lieblings-Bösewicht.
Antwort von:  UrrSharrador
13.05.2015 10:51
Und hier auch nochmal danke! Freut mich, wenn es dir gefällt. Ich glaube, nachdem ich das geschrieben habe, kann ich Piedmon auch nicht mehr ernst nehmen^^
Von:  fahnm
2015-04-25T01:36:46+00:00 25.04.2015 03:36
Das Kapitel ist Super gewurden.
Mach weiter so
Antwort von:  UrrSharrador
25.04.2015 13:24
Danke :)
Von:  EL-CK
2015-04-23T17:17:26+00:00 23.04.2015 19:17
>>Erst danach verbot die Studienleitung den Studenten, ihren toten Kommilitonen die Matrikelnummern zu stehlen.<< Irgendwie verständlich XD

bin mal gespannt warum Piedmon aufhören muss...ob der Plagiats-"Versuch" aufgeflogen ist??? Oder ist sind die Profs alle samt Piedmons Launen zum Opfer gefallen....
Antwort von:  UrrSharrador
24.04.2015 11:22
Danke für deinen Kommi^^
Hehe, nein, was viel Banaleres ;)
Von:  Mad-Dental-Nurse
2015-04-05T18:43:59+00:00 05.04.2015 20:43
Bwahahahahahahahaha
*Sich vorlachen vom Stuhl schmeiß* Das ist einfach zu komisch...armer Piedmon...


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