Aus dem Leben eines Meisters der Dunkelheit von UrrSharrador (Oder: Piedmons Alltagsprobleme [Trailer online]) ================================================================================ Kapitel 5: Der Tag, an dem Piedmon wieder mit seinem Kunststudium aufhörte -------------------------------------------------------------------------- Seine Aufnahme in die Erste Interkontinentale Universität der DigiWelt feierte Piedmon, indem es die allererste Studentenparty besuchte, die man in der DigiWelt je gesehen hatte. Seine Kommilitonen waren eine willkommene Abwechslung zu den Digimon, denen es sonst begegnete; sie fürchteten sich nicht vor ihm, allenfalls zeigten sie verhohlenes Misstrauen. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte sich Piedmon, als wäre es zu Hause, als hätte es endlich Seelenverwandte gefunden, es fühlte sich geborgen und zugehörig, hatte seinen Platz in der Welt gefunden ... Oder eher, es hätte all dies vielleicht empfinden können, hätte es nicht bekanntermaßen ein Herz aus Stein gehabt (oder, wie Puppetmon einmal im Scherz betonte, ein Herz, das noch viel kleiner war als das tätowierte auf Piedmons Stirn, von dem Piedmon selbst übrigens keine Ahnung hatte, wie zum Teufel es eigentlich dort hin gekommen war). Jedenfalls war der Abend fröhlich und flüssig. Die Party fand in dem Studentenwohnheim statt, das an die Universität angebaut war und in dem nun auch Piedmon wohnte. Es hätte zwar problemlos zuhause schlafen können, vor allem, da es zu der Zeit ein Zirkuszelt auf Rädern besaß, aber wenn schon Student, dann richtig. Am nächsten Tag ergab es sich, dass Piedmon mit solchen Kopfschmerzen aufwachte, dass es zunächst glaubte, seine eigenen Schwerter würden ihm im Schädel stecken. Es sah sich in dem Zimmer um und bemerkte, dass es nicht alleine war: Ein Crusadermon schlief friedlich neben ihm – im selben Bett. Nun war es zu der Zeit so, dass Crusadermon – und generell alle Digimon, die komplett in Rosa gekleidet waren, gern an Blumen rochen, wie Pfaue umher stolzierten und sich viele Gedanken um ihr Aussehen, wörtlich, ihre Schönheit, machten – in der DigiWelt, zumindest in den Kreisen, in denen Piedmon verkehrte, als vom anderen Ufer galten. Entrüstet ob der Dreistigkeit dieses Digimons, sich einfach zu ihm ins Bett zu legen, warf Piedmon es hochkant zur Tür raus (während selbige noch geschlossen war; man kann sich Crusadermons Erwachen also als äußerst unangenehm vorstellen) und drohte ihm, es mit seinen Schwertern an die Wand zu nageln, sollte es noch einmal auf dumme Gedanken kommen. Dass Piedmon selbst es gewesen war, das in seinem Rausch nicht die richtige Tür gefunden, sich in ein wildfremdes Bett geschmissen und wie ein Stein geschlafen hatte, fand es erst viel später raus. Der Unialltag rief, und Piedmon hatte gleich zu Beginn ein Riesenproblem. Dass es seine vier Schwerter für den Kampf unsichtbar machen konnte, ist kein großes Geheimnis. Nur wenige wissen allerdings, dass es die Schwerter danach auch selbst nicht sehen konnte, auch nicht spüren oder etwas anderes. MetallSeadramon hatte es einmal danach gefragt, und Piedmon hatte gemeint: „Unsichtbare Schwerter zu spüren ist nichts als idiotische Esoterik!“ Nun waren genau jene Schwerter verschwunden. Offenbar hatte Piedmon sie irgendwann zwischen neun Uhr Abends und dem Zeitpunkt seines Aufwachens – so lange dauerte nämlich sein Filmriss – verschwinden lassen, aus welchen Gründen auch immer. Wo steckten sie nur – wortwörtlich? In den Scheiden schon mal nicht, auch nicht in der Wand, im Türrahmen oder in irgendeinem unglücklichen Digimon, das ihn gereizt hatte, denn dann hätte ja wohl irgendjemand irgendeine Bemerkung gemacht. Piedmon sah unter dem Bett nach, unter dem Schreibtisch, in sämtlichen Schubladen und noch einmal unter dem Bett. Ganz sicher würde es nicht ohne seine Schwerter auf den Campus gehen! Man hatte schon am Vorabend davon gesprochen, dass es Studentenvereinigungen und altmodische Schwertduelle geben würde, und immerhin waren seine vier blitzenden Tödlichkeiten so etwas wie Piedmons Markenzeichen! Es half alles nichts, die unsichtbaren Schwerter blieben verschwunden. Die ersten beiden Vorlesungen an seinem ersten richtigen Uni-Tag brachte Piedmon damit zu, in einem Zimmer im Studentenwohnheim, das genau genommen nicht einmal sein eigenes war, seine Waffen zu suchen. Irgendwann entdeckte es sie, mehr durch Zufall: Natürlich waren ihm die vier Kerben in der Wand, knapp unter der Decke, aufgefallen, aber es hatte ihnen wenig Bedeutung beigemessen. Ein seltsamer Wandschmuck, vielleicht, oder Auswirkungen des gestrigen Abends, an den Piedmon sich nicht mehr erinnern konnte. Erst als es sich den Kopf an einem Schwertgriff stieß, entdeckte es, dass die Schwerter immer noch in den Kerben, die sie selbst gebohrt hatten, steckten! Ein wenig peinlich berührt zog Piedmon sie aus den Wänden, machte sie sichtbar und schob sie in die entsprechenden Scheiden. Nun wollte es gar nicht wissen, wie genau der gestrige Abend ausgeartet war. Die dritte Vorlesung in seinem Stundenplan besuchte es schließlich. Da bekanntermaßen die braven Digimon in der vordersten Reihe saßen – Piedmon stützte sein Wissen hier auf zufällige Beobachtungen von Digimonschulen, von denen es ja einige gab –, nahm es selbst in der letzten Reihe Platz. Das Baronmon, das den Professor mimte, erklärte ihnen das Stoffgebiet der Vorlesung, die „Eigenheiten, Besonderheiten und weitere Merkmale der Digimonkategorien“ hieß. In dieser Doppelstunde würden sie Pflanzendigimon durchnehmen, das nächste Mal Insektendigimon, dann Mutantendigimon und so weiter. Einer der Studenten sprach schließlich die Frage aus, die Piedmon auf der Zunge lag: Was hatten verschiedene Digimon-Arten mit einem Kunststudium zu tun? Die Antwort lautete: Studieneingangsphase. Es solle einmal jedes Digimon, das irgendwas studieren wollte, auf den gleichen Wissensstand gebracht werden. Nun gut, dachte sich Piedmon, das war zu verschmerzen. Am Nachmittag sollte immerhin die erste Kunststunde anstehen. Zu Mittag gab es Essen in der Mensa. Brei mit Pilzen, nicht das, was Piedmon gewohnt war, doch so war sein Studentenleben gleichsam ein Urlaub vom Alltag. Während es aß, beobachtete es zwei Gazimon – die ihre Intelligenz durch das Tragen von dicken Hornbrillen unter Beweis stellen wollten –, wie sie sich gegenseitig anstupsten und kicherten. „Was ist denn so lustig?“, fragte Piedmon, das sich ein wenig angegriffen fühlte, hier in der neuen Umgebung mit all ihren neuen Begebenheiten. Es stellte sich heraus, dass sie nicht wegen Piedmon lachten, sondern einen Streich planten, sich aber beide nicht wirklich trauten, ihn durchzuführen. Eines der Gazimon hatte Iss-mich-und-du-vergisst-alles-Pilze dabei, die sie in die Küche schmuggeln wollten. Piedmon zeigte ihnen kurzerhand, wie man so etwas machte. Es nahm die Pilze, stapfte in die Mensa-Küche, schlug den Monzaemon-Koch nieder und streute die Pilze eigenhändig auf die nächsten fünf Portionen Brei. „Und jetzt gebt Ruhe“, sagte es zu den Gazimon, die es verehrend anblickten, als es sich wieder zum Essen hinsetzte. An diesem Tag schieden fünf Digimon aus dem Uni-Leben aus, weil sie sich nicht mehr erinnern konnten, was sie hier überhaupt taten. Nach dem Essen hatte Piedmon zwei Stunden frei. Es liebte die universitäre Lehre jetzt schon. Um sich die Zeit zu vertreiben, spielte es Karten mit seinen Kommilitonen. Man muss dazusagen, dass Piedmon es liebte, Karten zu spielen. Wenn es ein Spiel gab, das es mochte, dann auf jeden Fall etwas mit Karten. Sogar Puppetmon wusste das und hatte oft mit ihm gespielt. Die anderen beiden Meister der Dunkelheit taten sich verständlicherweise schwer dabei, Spielkarten zu halten. Nur war sein Gegner nicht Puppetmon, gegen das er all seine Kartentricks und Trumpfkarten ausspielen konnte (metaphorisch natürlich, denn die Essenz eines Kartentricks war für Piedmon ein Luftstoß, der selbst Felsen mitriss, und „Trumpfkarte“ war in Piedmons persönlichem Wörterbuch schließlich ein Synonym für „Schwert“), ohne dass es den Betrug bemerkte. Ungeheuerlicher Weise bezichtigte das Piedmon gegenübersitzende Revolvermon es, geschummelt zu haben, nur weil Piedmon beim Pokern plötzlich sieben verschiedene Asse auf der Hand hatte. Einen kleinen Streit (und ein weiteres, unfreiwillig vom Studentenleben ausgeschiedenes Digimon) später machte sich Piedmon auf die Suche nach einem Duellgegner. Es brauchte nur drei Minuten, um die erste Digimon-Studentenverbindung zu überzeugen, dass es der ideale Neuzugang war, und weitere fünf, um auf dem Innenhof schon seinem ersten Gegner gegenüberzustehen – und das Praktische war, dass es nach diesen sehr überzeugenden Minuten sein Schwert schon in der Hand hielt und infolgedessen gar nicht mehr zu ziehen brauchte! Sein Gegner war – Ironie des Schicksals – das Crusadermon, das er heute Morgen aus dessen eigenem Zimmer geworfen hatte. Es kämpfte mit einem stahlharten Band, Piedmon mit seinem Schwert. Nun stellte sich aber heraus, dass Crusadermon der bessere Schwertkämpfer war. Piedmon war unbesiegbar im Schwertwerfen, Schwert-unsichtbar-machen und dergleichen, aber einen herkömmlichen Kampf, Klinge gegen Klinge, war es nicht gewohnt. Es verlor haushoch. Nach den Regeln der Verbindung müsste es nun einen Schnitt in die Wange erdulden. Da Piedmon aber sehr eitel war und sich diesen Makel nicht erlauben wollte, zückte es schließlich doch sein ganzes Repertoire an Schwerttricks, um einerseits Eindruck zu schinden, andererseits um sein Gesicht zu schützen. Als es endlich in die Kunstvorlesung schwebte – knapp über dem Boden, was es gerne tat, wenn es zufrieden war –, war ein Crusadermon aus dem Unileben ausgeschieden – zusammen mit einer Studentenverbindung von siebzehn weiteren Digimon, die den Grund für sein plötzliches Verschwinden hätten bezeugen können. Endlich, so dachte Piedmon, könnte es gewöhnlichen Kunstunterricht genießen, wie es ihn sich ausgemalt hatte. Da es zu der Zeit einen Mangel an Lehrenden gab, hielt dasselbe Baronmon die Vorlesung, das Piedmon schon vom Vormittag kannte. Es würde Prüfungen geben, erklärte es, und Hausaufgaben. Außerdem Anwesenheitspflicht und benotete Gruppenübungen. Was Baronmon in seiner Funktion als Universitätsprofessor sagte, war absolut. Was es lehrte, die einzige Wahrheit, die jeder zu akzeptieren hatte. Kurz: Das Verhältnis zwischen dem Professor und den Studenten war ein diktatorisches, und man musste sich Baronmon mehr oder weniger unterwerfen. Piedmon war nun natürlich nicht so naiv, die Sinnhaftigkeit dieser Form der Lehre anzuzweifeln. Schließlich lag es in der Natur der Sache, dass der Lehrer seine Schüler belehrte und ihr Wissen abprüfte, und nicht etwa umgekehrt. Piedmon hatte sich diesen Umstand nur nie so befremdlich, widernatürlich und ganz und gar unausstehlich vorgestellt. Sich einem niederen Champion-Digimon unterzuordnen war natürlich ein absolutes No-Go für einen Meister der Dunkelheit. In dem Eingangstest, mit dem Baronmon das Wissen seiner neuen Studierendenschar über berühmte Digimon-Künstler abfragen wollte, ließ Piedmon daher statt Antworten einen seiner Dolche zurück, packte seine Sachen und verließ die Universität, noch bevor die Kunstvorlesung überhaupt zu Ende war. Das Studieren war eben doch nicht das Richtige für es, und es hatte vom Feiern bis zum Schwertduell immerhin bereits alles getan, was es sich für seine Studienzeit vorgenommen hatte. So schrieb fortan niemand mehr die Matrikelnummer 0000001 auf ein Anwesenheitsblatt, und Piedmon kehrte in seinen Alltag zurück. Manch einer mag sich fragen, warum es die Erste Interkontinentale Universität der DigiWelt zu Zeiten der DigiRitter nicht mehr gab. Das ist schnell erklärt: Als die Meister der Dunkelheit schließlich mit ihrem Eroberungs- und Veränderungsfeldzug begannen, erinnerte sich ein gewisses Vademon daran, dass ein gewisses Piedmon einst an seiner Uni inskribiert war. Wie es sich für einen ehrwürdigen Dekan gehörte, schrieb es einen formvollendeten Brief an den Meister der Dunkelheit und bat ihn, das Universitätsgelände so zu belassen, wie es war, damit auch in einer Welt der Finsternis die Bildung nicht vernachlässigt wurde. Die Meister der Dunkelheit versuchten zur gleichen Zeit, ihr Image ein wenig aufzupolieren, indem sie übermäßige Bürokratie und lange Verwaltungswege installierten. Jedes Schreiben an einen der Meister der Dunkelheit ging vorher durch die Hände der anderen drei. (Man muss dazu sagen, dass es sich bei diesem System lediglich um ein Experiment handelte, das einer betrunkenen Idee von MetallSeadramon entsprungen war und sich auch nicht durchsetzte.) MetallSeadramon, noch verkatert vom Vortag (und man kann sich vorstellen, dass ein derartiges Digimon jede Menge Alkohol schlucken kann), las den Brief als Erstes und empfand es als eine tiefe Beleidigung, dass es offenbar als Einziges keine Ahnung davon gehabt hatte, dass Piedmon überhaupt Student geworden war! So flog es los und verwüstete die Universität und die ganze angrenzende Landschaft binnen weniger Sekunden. Dies war das Ende der Ersten Interkontinentalen Universität der DigiWelt, und man könnte sagen, an jenem Tag schieden alle übrigen Studenten, Professoren und Verwaltungsdigimon aus dem Unileben aus. Wortwörtlich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)