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Between the Lines

The wonderful world of words
von

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Ich weiß nicht, was ich wollen soll

Kapitel 26 Ich weiß nicht, was ich wollen soll
 

Jeffs blaue Augen funkeln mir entgegen. Diesmal bin ich mir sicher, dass er von keiner meiner lang zurückliegenden Eskapaden spricht oder von Sina. Nein, diesmal meint er das, wovor ich mich schon so lange drücke. Jeff wartet darauf, dass ich etwas erwidere, aber ich kann nicht. Stattdessen sehe ich dabei zu, wie mein Kindheitsfreund hartnäckig seine Lippen aufeinanderpresst und jeden Moment wie ein Ballon anschwillt und abhebt.

„Und?“, entflieht ihn mit einem geblähten, ausstoßenden Laut.

„Es ist nicht, was du denkst“, sage ich aus der Gewohnheit heraus und bringe es nicht über die Lippen, es nur Sex zu nennen oder es überhaupt irgendwie zu benennen.

„Ach komm! Ist das dein Ernst, nicht mal jetzt kannst du es zugeben?“, blafft er wütend zurück. Er streicht sich fahrig durch die ungemachten Haare und schüttelt seinen Kopf.

„Ich weiß es schon eine ganze Weile… also lass es. Und ich verstehe es nicht.“

„Was genau verstehst du nicht?“

„Wieso du es mir nicht gesagt hast.“

„Was willst du denn jetzt hören?“, watsche ich zurück. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, warum ich es ihm nicht gesagt habe. Am Anfang war es Sex und nichts anderes. Nichts, was ich Jeff jemals brühwarm aufgetischt hätte. Nie habe ich und nie werde ich.

„Die Wahrheit wäre ganz nett.“

„Hey, komm...“, entgegne ich angepisst, “Ich habe dich nie belogen und du bist doch genauso selbstverständlich davon ausgegangen, dass es mir vollkommen egal ist, dass du schwul bist und einen Freund hast. Also, bitte ... ich ging von der gleichen Annahme aus. Meine Sexgeschichten haben dich sonst auch nicht interessiert.“ Seine Überreaktion regt mich auf und das soll er wissen. Auch, wenn dieses `So, wie du mir, so ich dir` ziemlich kindisch ist.

„Ganz toll. Du gibst mir die Schuld, weil ich dir nicht sofort gesagt habe, dass ich schwul bin und einen Freund habe? Wärst du nicht so ein ignoranter Idiot, hättest du es von allein gemerkt. Und die Tatsache, dass du mir das mit Kain nicht erzählt hast, zeigt doch deutlich, dass du nicht denkst, dass es mir egal ist.“ Langsam dreht sich mein Schädel. Ich brauche von der letzten Tirade eine Kurzfassung.

„Was?“, entflieht mir demzufolge genervt und Jeff antwortet mir prompt.

„Du hattest nicht den Arsch in der Hose und es ist dir nicht egal, was ich denke“, bellt er mir das Resümee zu. Wäre ich nicht so verwirrt und sauer, würde ich ihm danken. Er hat Recht. Erst war es mir nicht wichtig und dann hatte ich einfach nicht den Mut.

„Nein, ist es nicht und es gibt gar nichts zu erzählen. Es ist Sex.“ Nun hab ich es doch gesagt.

„Sex mit Kain!“ Der ausgesprochenen Namen des schwarzhaarigen Mannes setzt in meinem Körper eine seltsame Regung in Gang. Alles beginnt zu kribbeln. Doch gerade ist es mir unangenehm. Ich wende mich frustriert von meinem Mitbewohner ab, fahre mir seufzend durch die Haare und einmal übers Gesicht. Wie heißt es noch mal? Fidibidiverschwindibus? Klappt nicht. Jeff holt gerade wieder Luft.

„Du vertraust mir nicht. Was denkst du denn, was ich getan oder gesagt hätte?“

„Keine Ahnung. Vermutlich, dass du es überdramatisierst und Dinge hineininterpretierst, die nicht stimmen. Genauso, wie du es jetzt machst“, pampe ich ihn an, als ich mich wieder umdrehe.

„Das mache ich nur, weil du mir nie etwas erzählst und mit Kain schläfst.“

„Kannst du damit aufhören!“

„Womit?“

„Na, es ständig auszusprechen!“

„Was, dass du mit Kain schläfst? Ihn vögelst? Dass ihr den Nacktboogie tanzt. Ihr beide miteinander fickt?“ Wie lautmalerisch.

„Oh, bist du endlich fertig?“, belle ich genervt, „Ja, genau das! Lass das.“ Wenn Jeff noch einmal ausspricht, dass ich mit Kain schlafe, dann werde ich garantiert zum Grinch. Mein Kindheitsfreund schaut mir unentwegt und seltsam entschlossen entgegen und mir wird deutlich, dass unser Gespräch noch lange nicht beendet ist. Ich wappne mich für einen weiteren hysterischen Jeffanfall und schiele unauffällig zu der Schublade mit meinen geräuschunterdrückenden Kopfhörern. Irgendwo habe ich auch noch Ohropax und ein Eis könnte ich auch gebrauchen. Oder Pudding. Jeff holt tief Luft und atmet dann zu meinem Erstaunen einfach nur langsam und beruhigend aus.

„Klär mich auf, bist du jetzt ... bi, schwul...pan? Und wieso Kain?“

„Was? Wie bitte...Was ist das für eine Frage?“ Ich stoppe mich selbst, als ich für einen Augenblick darüber nachdenke, dass die erste Frage durchaus berechtigt ist. „Keine Ahnung. Ist das wichtig?“, stottere ich erst energisch, dann seufzend resigniert. Grundsätzlich hadere ich mit den richtigen Worten. Denn mir fällt eindeutig auf die Füße, dass ich selbst noch nicht über all das nachgedacht habe. Verdrängen war so viel einfacher gewesen. Noch dazu stellt sich mir die Frage, ob ich mich wirklich kategorisieren lassen muss. Auf den zweiten Teil antworte ich nicht.

„Und das mit dir und Kain ist was genau?“

„Ähm...pff...eindeutig... Wahnsinn.“, druckse ich rum. Ich blase während meiner Erklärung ein paar Mal kurz die Wangen auf. Jeff starrt mich verbissen an. Anscheinend ist es nicht das, was er von mir hören will. „Okay, es war Neugier. Reine nackte Neugier.“ Jedenfalls zu Beginn, aber nackt sind wir definitiv.

„Neugier? Nackte Neugier.“, wiederholt er knurrend, „Verdammt Robin, willst du mich verarschen. Weißt du eigentlich, wie schwer es für mich gewesen ist? Wie oft ich früher vor Verzweiflung am liebsten geheult hätte? Ich habe das Jahre lang mit mir rumgeschleppt, gehadert und gezögert und du sagst, dass du einfach so aus reiner Neugier mit Kain fickst? Fuck, wie oft wollte ich dir...“, bellt er mir haltlos entgegen und stoppt. Jeff beißt die Zähne zusammen und schnauft. Er gesteht mir ein Teil seiner vergangenen und gegenwärtigen Gefühlslage und ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Ich sehe ihn eindringlich an und hoffe inständig, dass es nicht das ist, was ich denke.

„Das kann nicht dein Ernst sein! Verdammt Koch, wenn du mir jetzt erzählst, dass du in mich...“, werfe ich ihm erschrocken an den Kopf.

„Was? Nein!!!“

„Gut!“

„Gut!“, knallt er mir ebenso energisch entgegen. Wir beide halten kurz die Luft an. Ich spüre, wie ein wenig der angestauten Anspannung von mir abfällt und atme deutlich in die Stille hinein. „Na ja, vielleicht ein bisschen...“, hängt er mit einem Mal leise ran und mein Magen macht eine direkte Kehrtwende. Was ist das Gegenteil von Looping? Rückwärts, quer und dreimal um die eigene Achse.

„Jeff, was zum Teufel?“, entflieht mir entsetzt. Das ist ein Albtraum.

„Früher, okay!“, entgegnet er schnell, „Ich hatte eine Phase, da war ich ein bisschen in dich verliebt. Ich meine, du bist die Person, die mir neben meiner Mutter immer mit am nächsten war und als ich merkte, dass meine Mädchen-sind-doof-Phase nicht in eine Mädchen-sind-doof-aber-geil-Phase umschwenkte, da war ich ... na ja...eine Weile in dich verknallt.“ Ich starre ihn die ganze Zeit über ungläubig an.

„Verknallt?“, wiederhole ich apathisch.

„Alles ganz harmlos.“, versichert er mir.

„Harmlos?“ Ich kann es immer noch nicht fassen.

„Ja. Es waren nur ein paar Fantasien und es gab mir die Möglichkeit, mich mit dem Ganzen auseinanderzusetzen. Und mittlerweile weiß ich, dass du ganz und gar nicht mein Typ bist“, plappert er, „Aber du bist mein bester Freund und ich dachte nach dem ganzen Chaos mit Abel, dass wir endlich ehrlicher zueinander sind.“ Als er endet, erfüllt nur unser Atem den Raum. In meinen Ohren dröhnt er. Jeff dreht sich um, geht auf sein Bett zu und lässt sich rücklings darauf fallen. Ein Sockenknäul hüpft hoch und rollt zu Boden. Ich sehe dabei zu, wie es unter seinen Schreibtisch liegen bleibt und sehe dann erst zurück zu meinem Jugendfreund. Er stützt sich auf beiden Armen hoch und sieht mich an. Ich lasse mich achtsam auf meinen Schreibtischstuhl nieder und erwidere seinen Blick nur halbherzig. Meine Gedanken kreisen. Ich denke an all die Situationen, die mir hätten einen Hinweis geben können. Es gab sie. Etliche. Mit einem Mal kommt mir auch unser Kuss wieder in den Sinn. Zehnte Klasse. Es war eine verlorene Wette meinerseits und Jeff hat sich ganz uneigennützig zur Verfügung gestellt. So aufopfernd war er wohl doch nicht gewesen.

Ehrlicher sein. Jeffs Wunsch. Jeffs Vorstellungen. Er war schon immer ehrlicher, anhänglicher, nervig interessiert und hin und wieder sogar kuschelig. Er ist vertrauenswürdig und das schätze ich sehr an ihm. Auch, wenn es mein Leben manchmal schwerer macht, weil er das auch von mir fordert.

„Wow, ich hätte nicht gedacht, dass ich dir das jemals erzähle“, beichtet er und klingt dabei mehr als erleichtert. Mein Magen rumpelt lautlos, aber deutlich. Diese Art des Gesprächs ist mir unglaublich unangenehm und ich muss stark gegen meinen Fluchtreflex ankämpfen.

„Und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass du es mir nie erzählt hättest“, gebe ich in gewohnter Weise knirschend retour. Jeff neigt seinen Kopf hin und her und ich bin mir sicher, dass er mich in seinen Gedanken nachäfft. Vermutlich habe ich das genauso verdient.

„Schon klar.“, kommentiert er dennoch. So sehr ich mich auch dagegen wehre, aber im Grunde überrascht mich die Offenbarung gar nicht. Jeff hat Recht, wenn ich all die Jahre aufmerksamer gewesen wäre, dann wären mir viele Dinge früher aufgefallen und mit Sicherheit hätte ich ihm damit einiges erträglicher gemacht. Aber so bin ich nicht und so werde ich auch nie sein.
 

Dieses Gespräch war wirklich lange überfällig und so sehr ich es auch verabscheue, umso mehr schätze ich Jeffs Offenheit und verteufele meine Rumdruckserei. Doch, was hätte ich ihm sagen sollen, wo ich doch selbst nicht weiß, was ich mit dem Schwarzhaarigen für eine bizarre Geschichte habe. Ich weiß noch nicht einmal, was ich von dieser Ausgehidee halten soll und am wenigsten verstehe ich, was Kain damit bezweckt. Er kann doch unmöglich denken, dass ich... dass wir...

„Okay, also Neugier und Sex... und das heute ist was? Ihr geht zusammen essen... also, ein Date?“ Jeffs Fragen lassen mein Gedankenkarussell innehalten. Fast sofort kippt mein Kopf verdrießlich nach vorn. Für einen winzigen Moment lang hatte ich die Hoffnung, es endlich überstanden zu haben.

„Was um Himmelswillen lässt dich diese Annahme treffen?“, frage ich fast schon entsetzt, aber allen voran genervt. Ich habe nichts Derartiges angedeutet, noch habe ich erwähnt, dass ich mich mit Kain treffe. Wie kommt überhaupt irgendjemand darauf, dass Kain und ich ein Date haben könnten? Na ja, abgesehen von Kain selbst.

„Wieso solltest du sonst ein Geheimnis darum machen wollen? Du triffst dich doch mit Kain, nicht wahr?“, kontert Jeff und lässt dabei seine Füße wackeln. Er hat Unrecht, denn ich mache aus allem ein Geheimnis. Ganz besonders dann, wenn es um so eine Thematik geht. „Außerdem ist Kain nicht so der Typ für lockere Sachen“, ergänzt er mutmaßend. Das hat er schon einmal gesagt und schon damals wusste ich nichts mit dieser Information anzufangen, außer, dass es mir egal war. Kain ist ein erwachsener Mann.

„Bist du jetzt auch Verhaltensexperte? Woher willst du das so genau wissen?“, erwidere ich ungerührt. Ich spare mir die Argumentation, dass, entgegen jeder Erwartung, Kain das lockere Fickverhältnis vorgeschlagen hat. Nicht ich. Und es hat auch recht lange funktioniert. Eigentlich war auch Kain derjenige, der mich verführte. Doch je angestrengter ich darüber nachdenke, umso mehr Momente fallen mir ein, in denen es weit intensiver war, als nur der Akt selbst. Und ich bin nicht ganz unschuldig daran, denn auch ich habe ihm mehr Raum zugestanden, als ich wollte. Außerdem habe ich es weitaus mehr genossen, als ich es dürfte.

„Also kein Date, oder doch?“ Ich stoße geräuschvoll die Luft aus und versuche, meinen Jugendfreund bestmöglich zu ignorieren. Gar nicht so einfach. Zudem interpretiert Jeff mein Schweigen als Bestätigung.

„Ist das eigentlich dein erstes... richtiges...?“, hakt er nach und lässt sich bei jedem Wort eine Unmenge Zeit. Ich unterbreche ihn als ich begreife, worauf es abzielt.

„Jeff! Du willst doch nächstes Jahr nochmal Geburtstag haben, oder?“ Der Name meines Jugendfreundes perlt resigniert von meinen Lippen.

„Ich frag ja nur...“

„Wir sind lediglich zwei Menschen, die sich der obligatorischen Nahrungsaufnahme widmen. Und jetzt hör auf zu fragen“, warne ich, nachdem ich dabei zusehe, wie Jeffs Augenbraue beeindruckend weit nach oben wandert. Im Grunde ist es genau die Definition, die ich Kain einmal per Nachricht geliefert habe, als ich mich über sein und Marvins Date lustig gemacht habe. An die Tatsache, dass Kain ebenso von einem Date sprach, als er mich fragte, versuche ich in diesen Augenblick nicht zu denken. So oder so, es ein Date zu nennen, macht es keineswegs einfacher oder sinnvoller für mich. Genervt wende mich nach einem kurzen Blick auf die Uhr meinem Kleiderschrank zu. Obwohl ich der Überzeugung bin, dass es sich nicht um eine wirkliche, echte Verabredung handeln kann, sollte ich wenigstens ein sauberes Oberteil anziehen. Damit spiele ich allerdings Jeffs fabulöser Schnapsidee nur noch mehr in die Hände.

„Du ziehst etwas anderes an!“, stellt er fest und schiebt noch ein Interessant hinter her. Ich lasse das Kleidungsstück in meiner Hand bezeichnend sinken.

„Und?“, entflieht es mir mit deutlich überstrapazierten Nerven.

„Ich könnte dir etwas Ordentliches von mir leihen“, schlägt er vor. Ich schnaufe.

„Ich weiß, dass ich in deinen Augen eine modische Katastrophe bin, aber nein... das ist nur ein Essen.“

„Klar“, erwidert er knapp und bleibt danach auffällig still. Ich drehe mich wieder zum Schrank und krame darin rum. „Wenn man es nur oft genug sagt...“, hängt er murmelnd mit ran. Ich verstehe es jedoch deutlich und ignoriere ihn. Jeff erhebt sich vom Bett und setzt sich zurück auf seinen Schreibtischstuhl. Seine Beine schlägt er übereinander. Sofort wippt sein Fuß unruhig auf und ab und verursacht dabei ein sehr nerviges reibendes Geräusch. Nach dem dritten aussortierten Shirt wende ich mich wieder um, weil der Laut immer penetranter wird.

„Okay... Was?“

„Nichts.“, sagt er. Zu schnell. Zu spitz. Jeffs Bein stoppt. Ich starre ihn an und sein Fuß zuckt. Danach seine Zehen.

„Sag einfach, was du sagen willst“, harsche ich ihn an.

„Okay!“ Abwehrend heben sich seine Hände in die Höhe. „Ich schnalle es einfach immer noch nicht.“ Erneut entsteht eine Pause.

„Was schnallst du nicht?“, frage ich, als Jeff allein keine Anstalten macht.

„Na, du und Kain. Wie kann es sein, dass ihr zwei Heten auf einmal auf die Idee kommt, miteinander ins Bett zu gehen? Im Ernst, Neugier, mehr nicht? Einfach so?", fragt er skeptisch. In Ermangelung einer plausiblen Erklärung nicke ich. Jeffs Blick straft mich voller Unglauben und ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Denn genauso ist es gelaufen. Kain klopfte an meiner Tür, offenbarte mir, dass Jeff schwul ist und nachdem er mich in Grund und Boden genervt hat, haben wir uns betrunken der frivolen Bettwühlerei hingegeben. Das nenne ich eine Geschichte, die man definitiv nicht seinen Eltern erzählt und besser auch niemand anderen.

„Du machst mich fertig, weißt du das?“, entfährt ihm geschafft, „Wie genau muss ich mir das eigentlich vorstellen?“

„Was bitte willst du dir vorstellen?“ Am liebsten wäre mir, wenn er sich gar nichts vorstellt. Niemals. Eine, der kleinen Warnleuchten in meinem Kopf beginnt zu rotieren. Das machen sie nicht allzu oft. Jeff streicht sich, bevor er mir antwortet, ein paar imaginäre Fusseln vom T-Shirt.

„Na, ist das nur so ein bisschen grabbeln, rubbeln und Frotting a la Highschool zwischen euch oder geht’s so richtig zur Sache?“ Ich beiße die Zähne zusammen und kann nicht verhindern, dass bei Jeffs Umschreibung mein Kopf verzweifelt nach vorn kippt. Frotting? Wieso macht er sich über sowas Gedanken?

„Wer liegt bei euch oben?“, fährt er fort. Nicht sein Ernst? Mir entflieht ein weiteres Mal sein Name und ich bin immer wieder begeistert, wie vielfältig die Betonungsmöglichkeiten sind. Diesmal ist es eine herzhafte Mischung aus Entsetzen und Genervtsein. Es ist tief und langgezogen mit einer passenden Welle nach dem Vokal. Ich atme tief durch, ordne die Reste meiner Fassungslosigkeit hinter meiner Fassade der Gleichgültigkeit ein und versuche, das Gespräch schnellstmöglich in eine andere Richtung zu lenken. Es zu beenden, hat ja leider nicht funktioniert.

„Woher weißt du es überhaupt?“, frage ich, statt ihm zu antworten. Ich werde jetzt nicht anfangen, irgendwelche Details mit ihm zu sprechen. Außerdem interessiert mich brennend, ob Abel seine Klappe nicht halten konnte oder ob Jeffs Intuition und Kombinationsgabe wirklich so herausragend ist, wie er gern behauptet. Ich würde Variante eins bevorzugen und Abel bei der nächsten Gelegenheit gern eine reinhauen. Dafür braucht man keine Intuition und Kombinatorik.

„Ich hab meine Quellen“, gibt er prompt von sich und sieht dabei mächtig überzeugt aus. „Hast du?“, hake ich ungläubig nach.

„Ja! Und entgegen deiner Überzeugung, bin ich nicht bescheuert. Die Zeichen waren eindeutig. Du warst noch geheimnisvoller als sonst, ständig weg und da waren die Knutschflecke und die Nachrichten“, präsentiert er mir seine Ermittlungsarbeit. Nichts weiter als Indizien und alles keine Erklärungen dafür, wie er auf Kain kommt. Immerhin war ich auch mehrmals weg, als Kain bei Jeff war. Eismesse sei Dank. Es hat mir das Zombiemassaker erspart.

„Muss ich dich jetzt Sherlock nennen?“

„Pff, Jefflock bitte und weißt du was? Es gab sogar Tage, da warst du derartig entspannt, dass es mir Angst gemacht hat... wie hätte ich also nicht drauf kommen können?“, fährt er fort. Ich verdrehe die Augen. Jeder ist mit regelmäßigem Sex entspannter. Selbst grummelige Steine, wie ich. „Und was ist das nun wirklich mit dir und...“

„Sag ich dir, wenn ich es raus gefunden habe.“ Diesmal unterbreche ich ihn, bevor er eine weitere dieser peinlichen Fragen stellen kann. Zu bestreiten, dass es überhaupt irgendwas ist, scheint bei Jeff sowieso nicht zu fruchten. Also lasse ich es. Mein Kindheitsfreund steht wieder auf, lässt sich zurück auf sein Bett fallen und reibt sich den blanken Bauch. Vermutlich war sein Pizzawunsch nicht nur so daher gesagt.

„Werden wir jemals normal darüber reden können?“ Jeff schmatzt leise.

„Wenn du aufhörst, nach Sex zu fragen... möglicherweise.“

„Witzbold.“ Ich kann nur ein leises `Das ist doch das Spannende` hören, reagiere aber nicht darauf. Er versteht, dreht sich murrend auf den Bauch, vergräbt sein Gesicht ins Kissen und beginnt danach zu meinem Leidwesen, irgendein Zeug zu plappern. Wenigstens scheint er nicht mehr sauer zu sein oder zu mindestens hebt er sich seine Rache für einen Moment auf, in dem ich nicht mehr damit rechne. Drauf hätte er es. Ich lasse die Geräuschuntermalung kommentarlos über mich ergehen, während ich ein halbwegs passables T-Shirt finde, über das ich mir letztendlich einen Pullover ziehe. Logik ist heute ausverkauft.
 

Bevor ich das Zimmer verlasse, vibriert mein Telefon. An der Tür bleibe ich stehen, ziehe es aus der Hosentasche und entdecke eine Nachricht von Kain. Im ersten Moment zögere ich, sie zu öffnen. Mein Herz stolpert blindlinks vor Aufregung. Etwas, was ich schon lange nicht mehr gespürt habe. Das Display wird wieder schwarz, bevor ich die Nachricht lesen kann. Was, wenn er absagt? Was wenn ihm klar geworden ist, dass es eine Schnapsidee ist, mit mir auszugehen? Ich weiß nicht, warum es mich derartig beunruhigt. Dann eben nicht, sage ich mir. Es wäre mir doch egal. Oder? Ich unterdrücke jeden weiteren Gedanken daran, schalte das Handy wieder ein und öffne seine Nachricht.

-Muss noch schnell ein Buch wegbringen. Die Bibliothekarin hat mir auf die Finger gehauen. Lauf nicht weg- Untermalt wird das Ganze von mehreren Zwinkeremojis. Unwillkürlich fange ich an zu lächeln und wische mir selbst mehrmals über den Mund, um es wieder weg zubekommen. Jetzt werde ich auch noch zum grinsenden Volldeppen.

Nicht weglaufen. Leichter gesagt als getan.

-Komme dir entgegen-, antworte ich ihm. Ganz ohne Smileys.

„Viel Spaß“, flötet mir Jeff zu, den ich, nach einem kurzen Blick zurück, grinsend und zurückgelehnt auf seinem Stuhl entdecke. Ich antworte ihm diesmal mit meinem Mittelfinger und verschwinde aus dem Wohnheim.

Fast automatisch ziehe ich draußen meine Packung Zigaretten hervor und stocke, bevor ich mir wirklich eine zwischen die Lippen stecke. Das feine Kribbeln in meiner Lunge ist nur ein Schatten meines sonstigen Bedürfnisses. Also schiebe ich die Zigarette zurück in meiner Hosentasche und atme stattdessen die abendschwere Luft ein.
 

Ich schaffe gerade die Hälfte der Strecke, als sich mein Handy erneut zu regen beginnt. Diesmal ist es ein Anruf. Seufzend versuche ich ihn so lange wie möglich zu ignorieren. Doch mein Anrufer ist hartnäckig.

„Ich bin nicht in Stimmung“, sage ich ohne lästige Begrüßung oder fadenscheiniger Freundlichkeit, als ich den Anruf meine Lektorin annehme. Ein unbeeindrucktes Kichern antwortet mir.

„Gut, dass mir das herzlich egal ist, mein kleiner luftiger Cronut. Also blas dich ruhig weiter auf.“ Ich kann nicht verhindern, dass ich mir genau das vorstelle und versuche seufzend die Szenerie aus meinem Kopf zu verbannen. Brigitta fühlt sich urkomisch und macht mir das geräuschvoll deutlich.

„Kriegst du Bonusmeilen für jeden unnötigen Anruf?“

„Schön wäre es. Dann hätte ich dank dir schon einen Freiflug nach Australien und wieder zurück. Und keiner meine Anrufe ist unnötig.“ Mit Sicherheit. „Mohnkringel, ich lass dich ja gleich wieder in Ruhe. Ich möchte nur ein paar Dinge wegen des Wochenendes mit dir abklären.“

„Wenn es sein muss.“ Sie startet noch einmal mit dem Ablauf des Treffens und fragt mich, auf welchem Stand ich bin. Allerdings erst, als ich den Vormittag schon im Quadrat kotzen kann. Wie sie richtig vermutet, habe ich irgendwann aufgehört, ihre Änderungsmails zu lesen und habe mich stattdessen mit Kain beschäftigt. Es war meiner Laune deutlich zuträglicher, als zum wiederholten Mal zu lesen, dass sich die Pause um eine halbe Stunde hin und her verschiebt. Solange ich meinen Pudding bekomme, ist es mir egal, wann ich ihn bekomme. Und ich bin der Überzeugung, dass ich das meiner Lektorin auch irgendwann auf die Mail antwortete. Brigitta bestätigt mir, dass ich das dem gesamten Verteiler kundgetan habe.

„Es werden noch drei weitere Autorinnen teilnehmen.“ Sie nennt mir ihre Namen. Mir kommt keiner davon bekannt vor. “Hoffentlich bekommen wir einen guten Austausch zustande und können einen ersten Fahrplan festlegen. Es wird bestimmt ganz toll.“

„Großartig!“ Meine Begeisterung lässt sich kaum bändigen. Mein internes Sarkasmuseinhorn macht einen doppelten Toeloop. Heute nenne ich es Vinny. Er kriegt nur 8 von 10 Punkten, denn der Abgang ist bitter.

„Und als letztes! Denkst du bitte daran, gute Laune mit zubringen“, mahnt mich meine Lektorin wenig subtil an.

„Ich dachte, sie sollen mein wahres Ich kennenlernen?“, bemerke ich trocken und kann mir nicht verkneifen, dass ich bei dem Gedanken kurz mit den Augen rolle. Sowas absurdes.

„Mein liebster Karamellbonbon, du sollst keinen beruflichen Selbstmord begehen. Sei einfach du selbst, mit ein bisschen mehr Flausch, Spaß und rosa Wolken.“

„Du willst also meine Hülle gefüllt mit Toffifee, Zuckerwatte und Karies.“

„Ganz genau!“, flötet sie melodisch. Ihre klare, direkte Antwort lässt mich resigniert seufzen. Das kann nicht ihr Ernst sein? Unwillkürlich streiche ich mir massierend über die Wangen, weil ich jetzt schon den Muskelkater vom vielen scheinheiligen Rumgelächele spüre. Mein Tod in Plüsch und rosafarbenen Salztoffis. Das Wochenende wird mein Untergang oder sie merken, dass es keineswegs sinnvoll ist, mich auf zahlende Kundschaft loszulassen. Wenn ich Glück habe, tritt die Erleuchtung noch vor der Mittagspause ein und ich kann mir einen Muskelkrampf ersparen.

„Ich glaube daran, dass du dich bestmöglich präsentieren wirst.“ Ja, als Ebenezer Scrooge des Verlags.

„Gut, dass das nur intern ist“, kommentiere ich und streiche mir durch die Haare. Ich bleibe zwischendrin hängen. Ich hätte sie mir vielleicht noch mal kämmen sollen. Überhaupt habe ich nicht noch mal in den Spiegel gesehen und fahre mir nun als Resultat dessen mit der Hand über meine stoppeligen Wangen.

„Du solltest mehr Vertrauen in dich selbst haben. Du wirst das sicher gut machen“, versichert sie mir euphorisch. Ich zweifele nur weiter. Brigitta kann mit mir umgehen. So als Geist meiner vergangenen, gegenwärtigen und beruflichen Zukunft. Viele können das nicht und für gewöhnlich endet das mit Tränen und ohne Eis für Robin.

„Ich muss jetzt los“, sage ich das Einzige, was mir noch dazu einfällt.

„Uuh, das Date?“

„Wieso sagst du das... so?“

„Also ist es eins?“, fragt sie prompt zurück. Ich hätte lieber auflegen sollen. In meinem Kopf ist es einen Moment seltsam leer, weshalb eine schnelle, ablehnende Erwiderung ausfällt. „Ah, fantastisch. Ich hoffe doch mit dem Schnuckelchen, den ich bei dir im Wohnheim getroffen habe! Der charmante Adonis mit diesem herrlichen dunklen Haar. Wie hieß er doch gleich? Matt... André...Es war etwas Kurzes...“ Brigitta klingt wie ein Fangirl. Ich kriege Zahnschmerzen und das nur vom Zuhören. Nur ungern denke ich an den Moment zurück, als mir Brigitta im Wohnheim entgegen stöckelte und sie ausgerechnet Kain meine neuen Bücher ausgehändigt hat. Der richtige Name des Schwarzhaarigen folgt erst nach einer erstaunlich langen Liste an Möglichkeiten, die mich so gleich erschüttert, als auch mit etlichen Fragen zurücklässt, die ich keines Wegs stellen werde.

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“

„Du meinst von wem?“, korrigiert sie belustigt und quietscht erneut.

„Mal im Ernst, bist du zwölf? Und ganz ehrlich, das passt überhaupt nicht zu mir, also höre auf, dir das vorzustellen.“

„Ach, wie könnte ich nicht? Vor allem, wenn mein liebster Schokodrops endlich begreift, dass ein soziales Leben nichts Gefährliches ist.“ Dem möchte ich energisch widersprechen, komme nur nicht dazu, weil meine nun angeheizte Lektorin weitere zutreffende Spitzen verteilt.

„Ich habe...“

„... ein soziales Leben? Nein Zuckerspatz, grummelig ab und an mit mir ein Eis zu essen, ist keine soziale Aktivität. Egal, wie zauberhaft deine Lektorin und die junge Bedienung sind.“ Ich schmatze resigniert. Sie spielt auf Luci an. Auch bei ihr sollte ich mich langsam wieder melden und ein Eis könnte ich auch gebrauchen. Vielleicht ist nach dem Essen noch etwas Zeit, geht es mir durch den Kopf, bevor ich von Brigitta zurückgeholt werde, die eine weitere Kariesbombe über mir explodieren lässt. Irgendwann finde ich ihr zuckriges Notizbuch und werde es verbrennen!

„Bist du fertig?“

„Hach, wenn du mich nur lassen würdest...“, flötet sie und ich bin mir sicher, dass sie mir noch etliche weitere Lebensweisheiten mitteilen könnte, die ihrer Meinung nach mein Leben bereichern würden, wenn ich sie nur lasse.

„Niemals...“

„Ich weiß. Ich wünsche dir einen wundervollen Abend voller Amour und la Passion! Wir sehen uns morgen und dann will ich alle Details, mon petit four.“ Weitere Zuckrigkeiten folgen und diese sind alle auf Französisch. Noch mehr ertrage ich nicht.

„Ja. Ja.“, gebe ich von mir und lege auf, während ich weitere französische Säuseleien höre. Wenn Brigitta wüsste, dass ich schon längst unzählige Details habe, dann würde sie mich nicht mehr aus ihren Fängen lassen und wahrscheinlich nie wieder mit ihrem unmelodischen Französisch aufhören.
 

Als ich das Telefon in die Hosentasche zurückschiebe, streifen meine Finger erneut die Packung Zigaretten. Meine Lunge britzelt, schreit, doch der Geschmack auf meiner Zunge wird schon jetzt bitter. Also lasse ich die Zigarettenpackung an Ort und Stelle und gestehe mir ein, dass ich an einen ganz anderen Geschmack denke. Ich streiche mir über die unruhigen Lippen. Mehrmals, ohne eine Besserung zu verspüren.

Okay, ich bin nervös. Ich weiß nicht, wieso, aber ich bin es und es geht mir auf die Nerven. Noch dazu verstehe ich absolut nicht wieso. Immerhin ist es nur Kain. Und es ist nur ein Essen. Ein stinknormales und nichtssagendes Essen. Mittlerweile habe ich es so oft gesagt, dass ich es glatt glauben könnte. Nur tue ich es nicht. Immerhin hat auch Kain mehrmals dieses böse Wort mit vier Buchstaben in den Mund genommen und ich habe es ihm beim Nachfragen auch noch bestätigt. Ein Date. Ja, ein Date. Was habe ich mir dabei nur gedacht?

Erst das lauter werdende Geklacker von hochhackigen Schuhen auf Asphalt holt mich wieder ins Hier und Jetzt zurück. Ich sehe auf in der Annahme, eine dieser Barbies durch die Gegend stöckeln zu sehen, doch es ist noch viel schlimmer. Der Campus ist so gut wie ausgestorben. Nur noch wenige Studenten sind hier und mein Weg kreuz ausgerechnet den des großen roten Drachens. Wo ist der alles dahinraffende Virusausbruch, wenn man ihn braucht? Die Horde Zombies? Ich male mir aus, wie sie stolpert und... hach, soviel Blut. Leider bleibt meine Fantasie Fantasie.

Ich habe die beruhigenden Glimmstängel zu schnell ausgeschlossen. Vielleicht brauche ich sie doch. Denn sie hat mir gerade noch gefehlt. Meine Hand wandert zu meiner Hosentasche. Unauffällig beobachte ich, wie sie mich ebenfalls bemerkt, als sie von ihrem Handy aufsieht, kurz stockt und dann, wie sie ihren Weg fortsetzt. Vielleicht geht sie einfach an mir vorbei und ich kann mir Nerven und Stimme sparen. Zu meinem Leidwesen bleibt sie wirklich auf meiner Höhe stehen und ich schaffe es nicht, ein eindeutig unwilliges Raunen zu unterdrücken. Die Rothaarige verschränkt ihre Arme vor der Brust und bleibt augenscheinlich unbeeindruckt. Mein Blick wandert zu ihrer Tasche, die lässig auf ihrem linken Unterarm hängt. Ich mache demonstrativ einen kleinen Schritt zurück und behalte unablässig die Schwungwaffe im Auge. Diesmal ist es eine andere, als beim letzten Mal. Sie sieht wesentlich weicher und leichter aus. Auch sie mustert mich wie immer mit diesem despektierlichen Glanz.

„Ich entschuldige mich nicht“, sagt sie schnell und hoch. Ihre Nasespitze neigt sich dabei nach oben.

„Hab ich auch nicht erwartet...“

„Und ich meinte, was ich sagte. Ich werde Kain nicht einfach so aufgeben.“

„Klar! Findet er sicher ganz toll, seine verrückte Ex ständig im Nacken zu haben“, kommentiere ich abschätzig. Das ist doch verrückt. Wie kann man nur so verblendet sein? Die Rothaarige knurrt.

„Ich liebe ihn und ich bin mir sicher, dass ihm das noch etwas bedeutet. Es ist also vollkommen egal, was du ihm erzählst oder wie oft du ihm sagst, dass ich dumm bin“, palavert sie. Ich höre es mir an und schnaufe missbilligend. Unter anderen Umständen wäre ihre Entschlossenheit bewundernswert, doch in diesen Moment ist es einfach nur absurd. Sie beobachtet mich ganz genau und ihre Hände ballen sich wie schon beim letzten Mal zu Fäusten. Auch das wirkt einfach nur lächerlich.

„Du hast ein bisschen zu viele von diesen kitschigen Liebesromanen gelesen, oder?“

„Du meinst von dem Schund, den du schreibst.“ Obwohl ich es nicht zeigen will, trifft es mich trotzdem, wenn sie so über meine Bücher spricht. Ich schreibe schließlich keine Groschenromane.

„Mal im Ernst, Obsessionen sind nur in Büchern und Filmen attraktiv und das auch nur bis zu einem gewissen Grad. Hast du mal überlegt, dich untersuchen zu lassen? Du gibst eine gute Psychopathin ab.“

„Du kannst nur beleidigen, oder?“ Und erstaunt gucken, weil sie es verstanden hat.

„Immerhin... und was kannst du? Ehrlich, du bist fernab jeder annährend realistischen Charakterentwicklung.“

„Du treibst keinen Keil zwischen uns“, wiederholt sie wie eine Endlosschleife an Dummheit und Ignoranz und ich verdrehe wenig galant meine Augen. Es ist, als würde man einem Hunde Sitz zu rufen und er macht einen Purzelbaum.

„Erklärst du mir mal, wieso du überhaupt auf die Idee kommst, dass ich nur eine Minute damit verschwende, mit Kain über dich zu reden? Glaub mir, ich habe eindeutig besseres zu tun. Und ich weiß nicht, was es ist, was er je an dir mochte, aber du solltest langsam verstehen, dass auch er seine Gründe hatte, sich von dir zu trennen und du machst es nicht besser, indem du ihm auf die Nerven gehst“, knalle ich ihr deutlich vor dem Latz und für meine Verhältnisse sogar relativ freundlich. Sie geht mir auf den Kreisel. Dabei begrenzt sich unser Kontakt nicht mal auf das Nötigste und schon das könnte meiner Meinung nach noch weniger sein. Die Rothaarige beißt die Zähne zusammen. „Und die schlechteste Idee von allen ist es, mich damit zu behelligen“, lasse ich weniger freundlich folgen.

„Ich weiß das, du daran schuld bist, dass Kain sich von mir abwendet, denn bevor du auf der Bildfläche erschienen bist und dich in sein Leben gedrängt hast, wollte er wieder mit mir zusammenkommen.“ Ihre Stimme zittert. Vor Wut? Ärger? Erneut ballen sich ihre Hände angestrengt zusammen. Sie schnieft leise, versucht sich aber zusammenzureißen. Sich derartig vor mir zu entblößen, ist vermutlich das Letzte, was sie will.

„Sag mal, hast du ein Sprung in der Platte? Fass dir endlich an die eigene Nase und frag dich, wieso er mit mir mehr Spaß hat, als mit dir.“

„Ich werde kämpfen und ihn zurückgewinnen.“

„Wow, klar... Tu, was du nicht lassen kannst und spiel weiter die verrückte Ex. Die Rolle deines Lebens. Aber belästige mich nicht damit und ...“, setze ich an, doch dann breche ich es ab, “Nein, weißt du was, ich gehe jetzt einfach. Das ist mir zu dumm.“ Den letzten bezeichnenden Rest kriegt sie nur noch zurückgerufen zu hören, denn ich bin bereits beim Reden losgelaufen. Ich höre sie ein quietschendes Geräusch von sich geben und wie einer ihrer hochhakigen Schuhe klackend auf dem Boden knallt. Sie hat tatsächlich mit dem Fuß gestampft, wie ein kleines Kind. Ich bin nur halb so belustigt, wie ich es gern wäre. Sie geht mir so sehr auf die Nerven. Vor allem, weil sie Kain nicht in Frieden lässt. Noch ein weiterer Punkt mehr, der gegen den Ausbau unserer Verbindung spricht. Sie wird nicht locker lassen und ich würde sie irgendwann erwürgen. Ich hätte im Knast sicher keine Chance.
 

Als ich vor der Bibliothek ankomme, lasse ich mich ermattet auf eine der Bänke fallen. Trotz fortgeschrittener Tageszeit ist es noch immer warm und ich ziehe meine Jacke aus. Ich schließe für diesen Moment die Augen und genieße die Ruhe vor dem Sturm.

Das Gespräch mit Jeff steckt mir in den Knochen. Ich verstehe seine grundsätzliche Enttäuschung darüber, dass ich nicht früher erwähnt habe, was der Schwarzhaarige und ich manchmal so treiben. Immerhin empfand ich das Gleiche, als ich von Kain erfahren musste, dass Jeff auf Männer steht und seit einem halben Jahr mit einem Kerl liiert ist. Trotzdem ist es nicht vergleichbar. Kain und ich sind kein Paar und bisher war es wirklich nur Sex gewesen. Ich bin bis vor kurzem nicht mal auf die Idee gekommen, darüber nachzudenken, ob es mehr ist. Auch jetzt kann ich es mir schwer vorstellen. Doch auch Kain hat so etwas in der Art angedeutet. Ich hätte so gern eine Anleitung, die mir beschreibt, was die nächsten Schritte sind. Darüber muss es doch Bücher geben? Ratgeber oder Selbsthilfelektüre. Ich war schon lange nicht mehr so verunsichert. Auch die erneute Auseinandersetzung mit der rothaarigen Hexe macht ihr Übriges. Ich seufze leicht. Wenigstens scheint Kain sein Interesse an ihr wirklich runtergefahren zu haben. Ihre Verzweiflung spricht deutliche Bände und ich verspüre eine schaurig schöne Genugtuung. Es erheitert und erleichtert mich. Letzteres mehr, als ich dachte.

Ich bin so in Gedanken, dass ich nicht merke, wie sich jemand neben mich auf die Bank setzt. Ich zucke zusammen, als ich seinen warmen Atem an meinem Ohr spüre und sich augenblicklich die gesamte Fläche meines Halses hervorpellt.

„Buh…“

„Fuck, Kain“, gebe ich verärgert von mir. Der Schreck wandert in Form von bibbernder Haut von meinem Hals bis zu meiner Brust.

„Oh, ich habe eigentlich auf eines von diesen niedlichen ´Huch`s gehofft...“, kommentiert er. Ich schaue ihn entgeistert an und muss zum Glück nichts darauf erwidern, weil im selben Moment sein Telefon zu klingeln beginnt. Er schaut nur missmutig aufs Display und lässt es wieder sinken. Ich positioniere meine Augenbraue in eine fragende Stellung und zucke mit den Schultern, weil ich nicht weiß, was er mir mit seinem Blick andeuten will. Das Klingeln reißt nicht ab, also geht Kain ran und murmelt nach einem Augenblick den Namen der Rothaarigen. Sein freier Arm legt sich über seinen flachen, trainierten Bauch. Er kommt nicht zu Wort und ich bin mir sicher, genau zu wissen, was sie ihm da gerade ins Ohr wettert. Ich äffe sie von Kain unbemerkt nach, lasse meine Augen unbeeindruckt durch die Gegend wandern. Ich wiege dabei meinen Kopf leicht hin und her. Als ich zu ihm zurückblicke, beobachtet er mich ganz genau. Okay, er hat es doch bemerkt. Neckend tippt er mir an die Wange und lächelt. Der Mann macht mich fertig.

„Merena, hol tief Luft, geh shoppen oder baden. Ich habe jetzt keine Zeit für sowas.“ Damit legt er auf und überrascht mich im selben Moment. Kein umfangreiches Gespräch. Kein großspuriges Schönreden und Beschwichtigen. Er hat einfach aufgelegt. Mit dem Telefon in der Hand dreht er sich wieder zu mir und macht dabei einen seltsamen kleinen Ruck, so dass sein Knie gegen meins stößt und dort verweilt. Ich sehe auf die Stelle unserer Berührung und kann nicht verhindern, dass mir noch eine Spur wärmer wird.
 

„Du warst wieder unvergleichbar charmant, wie ich höre“, berichtet er mir.

„Ich weiß nicht, was du meinst“, sage ich ausweichend und weiß ganz genau, wovon er spricht. Ich suche mir einen neckischen Punkt in kurzer Entfernung und starre ihn an. Er fährt mit seinen Augen mein Profil ab, sucht nach der richtigen Antwort und wird keine finden.

„Wieso schafft ihr es nicht, euch wie Erwachsene zu benehmen?“

„Liegt nicht an mir“, watsche ich den Vorwurf ab, „Sie fordert mich jedes Mal praktisch heraus.“ Kain schnaubt belustigt. Er versteht nicht, was mein Problem mit ihr ist. Wird er vermutlich auch nie. Ich verstehe es manchmal selbst nicht. Immerhin kann sie mir eigentlich reichlich egal sein.

„Womit? Ihrer bloßen Anwesenheit?“ Ich nicke energisch. Kain greift sich an die Stirn und seufzt. „Du kannst einfach nicht damit aufhören, oder? Du provoziert und provoziert.“ Seine Stimme ist ruhig und gefasst und trotzdem höre ich die leise Verzweiflung heraus.

„Das ist nun mal meine Titelmelodie und jeder braucht ein Hobby“, kläre ich ihn abermals auf, ohne auf den Vorwurf einzugehen, dass auch er denkt, dass ich daran schuld bin. Kain sieht mich verständnislos an und ich bin mir sicher, dass er längst weiß, dass seine Rothaarige und ich niemals Freunde werden. „Ist dir klar, dass sie denkt, dass ich verhindere, dass ihr wieder zusammenkommt und du dir tief in deinem Herzen nichts sehnlicher wünscht, als sie zurück zu erobern?“ Den letzten Teil gebe ich mit besonders übertriebener Schnulzenstimme von mir und mache direkt danach ein Würgegeräusch. Danach blicke ich in verwundertes Braun.

„Wie kommt sie darauf?“

„Das fragst du mich?“, kontere ich baff, „Ich bitte dich! Allerdings hätte ich ein paar Theorien.“

„Na, die will ich hören“, entgegnet er prompt. Kains Arm legt sich auf die Rückenlehne hinter mich und er macht es sich gemütlich. Oberflächlich gesehen ist es nur eine einfache, legere Haltung. Doch ich spüre seine Finger, die meine Schulter treffen. Ein feines Streicheln. Nur ab und an. Sehr unauffällig und doch scheint jeder dieser kleinen, bedachten Berührungen durch meinen Körper zu explodieren und schwingen, wie ein Donnerhall. Die Härchen an meinem linken Arm richten sich angeregt auf, streichen über den Stoff des Pullovers und für einen Moment wünsche ich mir, ihn mir einfach über den Kopf ziehen zu können, damit Kain meine blanke Haut trifft.

„Als erstes Dummheit!“, starte ich meine Argumentationskette.

„Zu platt“

„Gut. Arroganz...“, schlage ich als nächstes vor. Kain schüttelt nur ablehnend den Kopf. „Wahrscheinlich sendest du ihr unklare Signale.“

„Welche Signale?“, hakt er amüsiert nach. Ich zucke symptomatisch mit den Schultern.

„DVDs gucken. Tanzen. Küsse. Gemeinsamer Urlaub.“ Die Aufzählung verlässt meine Lippen ohne, dass ich wirklich darüber nachdenke. Infolgedessen strafft Kain seine Schultern und ihm entflieht ein geräuschvolles Murren, während er sein Handy zurück in seiner Hosentasche schiebt.

„Komm schon, das habe ich alles erklärt und sie weiß auch, dass nichts davon eine Bedeutung für mich hatte und es war kein gemeinsamer Urlaub.“ Daran glaub ich nicht. Für sie waren seine Signale mehr als eindeutig, denn für mich waren sie ebenso missverständlich.

„Scheinbar versteht sie es nicht. Wie so vieles!“

„Ich rede mit ihr.“

„Genauso wie die letzten Male?“

„Nein, ich sage ihr deutlich was Sache ist.“ Nun bin ich es, der lacht. Kains Finger tippen mir sanft in den Nacken. Sie streicheln sich kreisend über die feinen Härchen, die am Haaransatz spitz zusammenlaufen.

„Und was bitte ist Sache? Du willst ihr doch nicht ernsthaft erzählen, dass du dich in anderen Gewässern tummelst.“

„Wieso nicht? Ist immerhin die Wahrheit und Interessen können sich wandeln, das ist menschlich“ Noch einmal fahren seine Fingerspitzen mein Genick entlang. Diesmal gleiten sie bis zu meinem Ohr, treffen dort auf die feinbehaarte Helix. Das Kitzeln ist intensiv und dringt tief in mich ein. Ich spüre es am gesamten Körper und mit Sicherheit kann Kain eine weitere Reaktion auf meinem Hals erkennen. Er ist mir ein Rätsel. Ich bin so durcheinander wie lange nicht mehr und er sitzt neben mir und sagt, dass er kein Problem damit hat, wenn es scheinbar jeder erfährt. Macht er sich gar keine Gedanken? Es ist absurd und ich kann es nicht vollkommen ernst nehmen.

„Wenn du meinst. Ich habe ihr jedenfalls gesagt, dass ich nichts beeinflussen kann und dass ganz allein du die Entscheidung triffst, ob du wieder mit ihr zusammen kommst oder nicht. Aber sie ist total verbohrt und verblendet... so eine blöde Kuh.“ Während ich das sage, wende ich meinen Blick ab, beuge mich leicht nach vorn und entgehe so auch seinen zärtlichen Berührungen. Etwas entfernt läuft ein Pärchen an uns vorbei, welches mit ihrem Hund spazieren geht. Sie halten Händchen. Sie unterhalten sich leise. Ich sehe ihnen nach. Kain beugt sich ebenfalls vor, greift mir unters Kinn und zwingt mich so, ihn anzusehen.

„Glaubst du das auch?“, fragt er mich. Ich zucke mit den Schultern.

„Was weiß ich.“

„Was, wenn ich dir sagen, dass du es sehr wohl beeinflussen kannst?“ Er beugt sich näher an mich heran. Für einen kurzen Moment spüre ich seine Lippen an meinem Mundwinkel. Nur als Hauch und als das Wegfliegen eines allesversprechenden Schmetterlings.

In meinen Büchern wäre das einer dieser Momente, in denen die Protagonistin versteht, was sie wirklich fühlt oder sich mit einem Mal ihrer Gefühle sicher ist. Ich merke das feine Kribbeln an der berührten Stelle, weiß, dass es etwas ist, was ich nur mit ihm fühle, aber ich verstehe noch immer nicht, was es genau bedeutet. Vielleicht kann ich es nicht verstehen oder will es auch nicht.
 

„Jeff, weiß es übrigens“, erzähle ich leise, breche damit den intensiven Moment und gebe das preis, was mir schon die ganze Zeit Kopfschmerzen bereitet. Kain hält in seiner Bewegung inne. Seine Finger, die eben noch meinen Hals berührten, sinken auf seinen Schoss zurück.

„Was genau?“ Ich mustere sein Gesicht. Mir fällt es schwer, in den dunkelbraunen Augen zu lesen. Ich verstehe bei ihm so vieles nicht.

„Er weiß, dass wir beide miteinander ficken“, kommentiere ich und betone es dabei deutlich. Kain zieht scharf die Luft ein. Ob er das wegen des Umstands macht, dass Jeff es weiß oder wegen meinen drastischen Worten, ist mir nicht klar. Allerdings merke ich, wie er neben mir ein paar Mal unruhig hin und her rutscht.

„Und er macht jetzt sicher Freudensprünge?“, fragt er mit zusammengebissenen Zähnen und einem übertriebenen Grinsen.

„Er war ziemlich sauer, weil ich es ihm verheimlicht habe. Er meinte, er würde nicht verstehen, wie wir zwei Heten auf die Idee kommen, miteinander ins Bett zu gehen“, gebe ich zum Besten. „Oh und noch dazu hat er mir gestanden, dass ich anscheinend seit der Schule hin und wieder Hauptakteur in seinen Fantasien gewesen bin. So viel zu den Freudensprüngen.“

„Bitte was?“, hakt Kain nichtverstehend nach.

„Soll ich dir ein Bild malen?“ Ich lasse es mir nicht nehmen, meine Worte mit einer eindeutigen Geste zu untermalen, bei der ich meine locker gefasste Faust über meinem Schritt auf und ab bewege.

„Oh... scheinbar ein sehr intensives Gespräch, was ihr da hattet. Und Lena hat also recht.“ Kain entweicht ein seltsames Lachen. Er streicht sich durch die schwarzen Haare und lehnt sich zurück.

„Früher. Ich bin nicht mehr sein Typ... und Lena hat keineswegs Recht“, entflieht es mir mit der gesamten Situation überfordert. „Verdammt! Sicher hat Abel gequatscht und glaub mir, wenn ich ihn das nächste Mal sehe, dann werde ich ihn...“ Kurz deute ich einen Punsch an, lasse die Hand aber wieder sinken. Ich lehne mich wieder nach vorn und stütze meine Arme auf den Knien hab, während ich mein Gesicht in die Handflächen fallen lasse.

„Er weiß es von mir...“, sagt er unvermittelt. Ich drehe meinen Kopf zu dem anderen Mann und erblicke nur sein Profil. Kains Mund bewegt sich unruhig hin und her und ich bin mir sicher, dass er sich auf die Wange rum beißt.

„Kannst du das wiederholen?“ Das muss ein Scherz sein. Ein schlechter noch dazu. Kain schließt seine Augen und seufzt.

„Ich befürchte, er weiß es von mir.“

„Wie bitte?“ Nun scharf. Unbewusst versteifen sich meine Schultern und ich setze mich aufrecht hin.

„Entschuldige! Ich... ich hab mich wohl verplappert.“

„Zu welcher Gelegenheit kann man sich bei sowas verplappern?“, frage ich entgeistert und schwelend sauer. Der Schwarzhaarige zuckt fahrig mit den Schultern und schlägt seine langen Beine übereinander.

„Im Gespräch halt.“

„Worüber?“ Kain stöhnt. Hat er wirklich gehofft, dass ich es mit der Begründung ruhen lasse?

„Jeff hatte sich irgendwann mal darüber beschwert, dass Abel nach dem Sex fast nie mit ihm kuschelt und wie scheiße er das findet und da rutschte mir raus, dass du auch so bist.“ Kain entschlägt seine Beine wieder und beugt sich nach vorn, um seine Arme abzustützen. „Ich habe mich gleich verbessert und erklärt, dass ich denke, dass du auch so bist... aber... na ja, er hat sich seinen Teil wahrscheinlich gedacht.“ Natürlich hat er das.

„Großartig. Wieso hast du nichts gesagt?“, frage ich anklagend. Nun weiß ich, wieso Jeff andauernd so seltsame Kommentare abgelassen hat und wieso er in der letzten Zeit so neugierig gewesen ist. Kain schenkt mir einen Blick, der mir sagt, dass meine Frage mehr als überflüssig ist.

„Okay, ich ziehe die Frage zurück.“ Er hat es mir nicht gesagt, weil er ganz genau wusste, dass ich sauer werde. Was ich ja auch bin. So offenkundig und klar, dass Vinny die Hufe aneinander schlägt und wiehernd im Kreis galoppiert. Da soll noch mal einer sagen, ich vertrage keinen Sarkasmus.

„Warum redet Jeff mit dir über sowas?“

„Mit wem soll er sonst reden. Immerhin kann ich etwas zu Beziehungsproblemen sagen und du nicht.“

„Ich kann dir auch etwas dazu sagen.“

„Ach ja?“

„Ja, wenn du keine hast, hast du auch keine Probleme.“

„Nicht hilfreich, Spatz!“, seufzt er mir entgegen und lehnt sich wieder zurück. Sein Arm wandert hinter meinen Rücken zurück und ich spüre fast sofort seine warme Hand in meinem Nacken. Die kitzelnden Finger. Die feinen Schauer.

„Mir Spitznamen zu verpassen ist auch nie hilfreich und dennoch machst du es andauernd“, erwidere ich schwach und weniger ablehnend, als jemals zuvor. Kain verdreht die Augen und geht nicht weiter auf meinen stupiden Ausbruch ein.

„Und was hast du ihm nun gesagt?“, hakt er nach und lässt ein weiteres Mal seine Finger über meinen Nacken tanzen. Das entstehende Prickeln beginnt im unteren Bereich meiner Rippen und zieht bis in meinen Kiefer, wo es mich beinahe schnurren lässt. Doch ich reiße mich zusammen. Auch, wenn es mir fast schon schwerfällt. Stattdessen beiße ich die Zähne zusammen.

„Ich hätte ihm lieber weiterhin gar nichts gesagt.“ Aber Jeff musste mich ja so lieb nerven. Ich werde weich.

„Das wollte ich nicht wissen… Also…“ Er macht eine dazu passende auffordernde Geste.

„Also….“, äffe ich ihn leise nach, „Nichts weiter. Nur, dass wir aus Interesse angefangen haben, miteinander zu schlafen.“ Schlicht und einfach wahr. Jeffs verwunderte Worte kommen mir in den Sinn und dass er sich nicht vorstellen könne, dass nur Neugier ausschlaggebend war. Als ich zu Kain sehe, merke ich, dass er mich mustert.

„Neugier?“, wiederholt Kain. „Das hat er dir abgekauft?“

„Ich denke schon, dass er mir das abgenommen hat. Schließlich war es Neugier, Alkohol und Geilheit.“, gebe ich die unrühmlichen Gründe unseres erstes Sexgetümmels wieder und vermeide den Gedanken an Kain als großer geiler Wolf. Trotzdem kann ich nicht verhindern, dass ich dämlich grinse.

„Weißt du, dass er mir vorgeworfen hat, dass ich ihm nur deshalb nichts erzählt habe, weil er mir seine Beziehung zu Abel verheimlicht hat? Als wäre ich derartig kindisch. Und dann wollte er wissen, ob wir jetzt ein Paar werden“, sage ich und lasse es so grotesk klingen, wie ich es empfinde. Ich lehne mich komplett zurück und lasse auch meinen Kopf nach hinten kippen. Der Baum, unter dem wir sitzen, scheint aus dieser Position heraus riesig zu sein. Doch die Stille neben mir lässt mir keine Ruhe. Erst als ich mich ihm zuwende, bricht Kain sein Schweigen.

„Okay, klär mich mal auf... was ist das hier für dich? Abgesehen von einer kompletten Lachnummer“, fragt er gerade heraus und deutete zwischen uns hin und her. Der Ton seiner Stimme sagt mir, dass er es nicht so witzig findet, wie ich. Hätte ich doch lieber die Klappe gehalten. Ich puste geräuschvoll Luft aus und lasse mein linkes Bein hin und her kippen, grabe dabei mit dem Hacken ein Kuhle in den Boden des Weges.

„Passabler Sex...“, gebe ich das erste von mir, was mir einfällt und was nicht unbedingt nett ist. Das beschreibende Adjektiv ist kreativ dazu gedichtet. Kains braune Augen sehen mich wie erwartet gekränkt an.

„Mal abgesehen davon, dass das beleidigend war, ist das keine richtige Antwort.“

„Komm, können wir einfach essen gehen. Ich habe keine Lust, auch noch mit dir darüber zu diskutieren.“ Ich stehe auf und werde direkt von Kain zurückgehalten, weil er nach meinem Arm greift. Ich lasse mich seufzend zurück auf die Bank fallen.

„Gut, keine Diskussionen, dann antworte mir einfach. Was ist das hier für dich?“ Kains fragender Blick durchdringt mich.

„Okay, wirklich befriedigender und abwechslungsreicher Sex. Ich hab wirklich Spaß mit dir. Besser?“, gebe ich noch immer leicht witzelnd von mir. Ich mache es mir einfach und hoffe, dass es wie immer damit erledigt ist. Der Schwarzhaarige sieht es anscheinend anders. Sein Blick wendet sich bei meinen Worten zur Seite. Er hat wissen müssen, dass ich genau das sagen werde, aber warum sieht er dann so niedergeschlagen aus? Was soll dieser verletzte Blick?

„Sex...“, wiederholt er und klingt dabei seltsam enttäuscht und ganz und gar nicht zufrieden. „... und wieso hast du dem hier zugestimmt?“ Ich zucke zunächst nur mit den Schultern, doch damit scheint mein Gegenüber nicht zufrieden zu sein.

„Keine Ahnung, sehr wahrscheinlich ist es sexumnebelter Wahnsinn…“, erkläre ich in klassischer Robinmanier und kann mir nicht mal ein dümmliches Lachen verkneifen. Hormone sind verteufelte kleine Biester. Kain starrt mich ungläubig an und ich fühle mich genötigt, noch mehr zu erwidern. „Herrje, wir gehen doch nur etwas essen und das mit dem Ausgehen ist doch aberwitzig“, stoße ich genervt aus.

„Du siehst das hier nicht als richtiges Date?“, pariert er augenblicklich hinterher und trifft damit den Kern meiner vorigen Diskussion mit Jeff.

„Richtiges Date“, wiederhole ich und schnaufe leise, was auch Kain bemerkt.

„Du nimmst es überhaupt nicht ernst. Es bedeutet dir nichts…“, stellt er fest und klingt dabei eigenartig verletzt. Ich stoße wiederholt angestrengt die Luft aus.

„Ich...ich weiß ehrlich gesagt nicht mal, was das heißen soll, ein richtiges Date. Date klingt einfach nur ernst. Wo bleibt die Neugier und der Spaß?“, krame ich ein weiteres Mal die anfänglichen Plattitüden hervor, die auch Kain damals runter betete. Doch es ist nur mein verzweifelter Versuch, diese Diskussion zu deeskalieren.

„Ich finde, wir sind schon weit über Neugier hinaus, Robin.“

„Ach komm schon. Du hast es selbst genauso gewollt. Nur Sex. Etwas Unkompliziertes. Also, wieso willst du es jetzt kompliziert machen?“

„Weil ich mich ganz einfach geirrt habe. Ich mag dich und ich will alles. Alles, was dazu gehört. Nicht nur den Sex.“

„Ist das echt dein Ernst?“, gebe ich baff zurück, „Kain, mich datet man nicht. Mich mag man nicht... Ich... ich date nicht. Das ist doch echt lächerlich.“ Ich kriege die Kurve nicht. Mich zu mögen, bedeutet für ihn nichts weiter als Verzicht und deshalb sollte er es besser wissen. Kain ächzt auf und ich bemerke, wie sich etwas in seiner Körperhaltung ändert.

„Für dich ist alles, was mit Gefühlen zu tun hat, dumm, oder? Deshalb kannst du auch Liebesgeschichten hinklatschen, als wären sie ein schnöder Alltagsfakt“, knallt er mir ungehalten an den Kopf. Nein, nicht dumm, aber Gefühle sind mein ganz eigener persönlicher Angstgegner und ich bin nicht bereit für einen Endkampf.

„Was hat das jetzt mit meinen Büchern zu tun?“

„Alles!“, entflieht ihm laut, „Weißt du, du könntest wahrscheinlich besser als die jeweilige Person selbst die Gefühle niederschreiben. Sie in wundervolle Sätze packen. Du kennst so viele Worte und weißt um ihre Bedeutung, aber du verstehst sie nicht. Du glaubst, dass du Fiktion schreibst, dass es solche Gefühle und Emotionen in Wirklichkeit gar nicht geben kann, oder? Denkst du jemals darüber nach, was du da schreibst?“ Das Braun seiner Augen ist dunkel und seltsam tief. Ich reagiere nicht und ertrage nicht, dass er so verletzt aussieht.

„Das hat doch nichts mit dem hier zu tun“, flüstere ich gezwungenermaßen. Beim letzten Mal habe ich mir geschworen, dass ich nicht der erneute Auslöser sein will. Nicht einmal das schaffe ich.

„Doch hat es! Stell dir vor, es gibt wirklich Menschen, die sowas empfinden, die sich verlieben, die sich danach sehnen, die andere Person auch nur zu sehen. Sie berühren zu können oder die einfach nur wissen wollen, dass ihre Gefühle erwidert werden. Liebe ist keine Fiktion. Sie ist real, Robin. Hormone hin oder her und selbst du, ein Idiot erster Liga, wird geliebt, aber du hast nichts Besseres zu tun als anderen ihre Gefühle abzusprechen und alles ins Lächerliche zu ziehen.“

„Aber es ist lächerlich“, wiederhole ich matt und leise. Ich weiche seinem Blick aus, weil ich nicht Gefühle per se meine, sondern die Wahrscheinlichkeit, dass Kain welche für mich hat. Was hätte er auch davon, mit mir zusammen zu sein? Nichts, denn ich kann nur negative Empfindungen zum Ausdruck bringen. Ich würde ihn unglücklich machen und er würde unweigerlich irgendwann gehen. Und das würde mich brechen.

„Hast du mir auch nur eine Sekunde zugehört?“, fragt er verzweifelt, weil ich schweige. Anscheinend habe ich das nicht.

„Gut, weißt du was…“, seufzt Kain ermattet und stützt sich mit den Händen auf den Knien ab, um sich aufzurichten, „Du datest nicht, dann lassen wir es. Viel Spaß in deiner Blase der Gefühllosigkeit“, knallt er mir entgegen. Ein Stich. Er ist so präzise, dass er mich fast lähmt.

„Kain...“, setze ich an.

„Nein, Robin. Unsere Neugier ist gestillt. Meine ist es jedenfalls. Ich will und kann das so nicht mehr und wir ... nein, ich sollte aufhören, etwas von dir zu verlangen, was du nicht willst. Ehe ich noch mehr...“ Er stoppt, schluckt und streicht sich durch die dunklen Haare. Er wendet sich von mir ab, macht ein paar Schritte, bevor er wieder stehen bleibt. Noch mehr was?, schreit es in meinem Kopf nach der Beendigung seines Satzes. Ich spreche es nicht aus und trotzdem weiß ich, dass ich ihn nicht gehen lassen will.

„Okay, was genau willst du jetzt von mir?“ Auch ich stehe auf und mache die Schritte, die er sich von mir entfernt hat, wieder auf ihn zu.

„Du weißt, was ich will und eigentlich solltest du es schon länger wissen. Noch dazu habe ich es dir eben gesagt. Also die Frage lautet eigentlich, Was. Willst. Du?“ Während er das sagt, tippt er mir bei jedem Wort der Frage mit dem Zeigefinger gegen die Brust. Ich sehe auf den Finger, höre den Schrei in meinem Kopf, der mir entgegen brüllt, dass ich mein Herz zum Schweigen bringen muss und weiß nicht, was ich ihm antworten soll. Also sage ich nichts, spüre, wie der Stein in meiner Brust rast und kann mich nicht dagegen wehren, dass ich wie schon des Öfteren bei ihm nicht die richtigen Worte finde.

„Du weißt es nicht, oder?“, stellt er resigniert fest und ich falle zurück auf die Bank. Meine Ellenbogen bohren sich in meine Oberschenkel. „Nein, vermutlich weißt du es sehr wohl, aber du willst es nicht. Weil es dumm ist, lächerlich oder weil du sowas nicht brauchst.“ Ein weiterer Stich. So zielsicher und direkt, wie es nur Kain schaffen kann. Ich sehe auf.

„Das ist nicht wahr“, sage ich schwach.

„Ach nein? Wie ist es dann? ...Hm?“, stichelt er zurück. Die Wut in seinem Gesicht wechselt stetig mit der Enttäuschung. Wieder macht er ein paar Schritte von mir weg. Unruhig und angespannt

„Okay, sag mir, was ich wollen soll!“, rufe ich ihm entgegen, springe erneut auf und schließe die paar Schritte auf, die er sich von mir entfernt hat. Kain schüttelt den Kopf.

„So läuft das nicht, Spatz“, sagt er, streicht sich über den Mund. Er lässt mich erneut diesen Blick sehen, der mich innerlich verbrennt und geißelt. Wieder verpasse ich den Moment, denn er geht, murmelt etwas, was ich nicht genau verstehe. Muss ich auch nicht. Er geht, weil er gehen muss. Er geht, weil ich ihm keine andere Wahl lasse.

„Aber ich weiß doch nicht, wie es laufen muss…“, erwidere ich schwach, als Kain bereits außer Hörweite ist. Ich sehe ihm nach, fühle mich eigenartig gelähmt und zu nichts anderem im Stande, als einfach dumm dazustehen. Was ist gerade passiert? Das drückende Gefühl in meiner Brust wird mit jeder vergehenden Sekunde heftiger und nur langsam sickert die Bedeutung seines Abgangs bis in die kleinsten Zellen meines Gehirns vor.
 

Zurück im Wohnheimzimmer ist von Jeff nichts zu sehen und mich umfängt Stille. Im ersten Moment bin ich erleichtert. Dann verwundert. Ich versuche mich daran zu erinnern, wohin Jeff wollte und ob er wieder hierher zurückkommt. Schlagartig bin ich mir nicht mal mehr sicher, ob er es mir überhaupt gesagt hat oder ob ich es schlicht vergessen habe. Die Tendenz geht zu Variante zwei. Doch eigentlich habe ich das Gefühl, dass ich gerade gar nichts mehr weiß. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich will, dass Jeff zurückkommt. Die Vorstellung, dass er mich bei seiner Rückkehr mit irgendwelchen Fragen löchert, aktiviert meinen genetisch einprogrammierten Fluchtreflex. Ich ziehe mein Handy hervor und checke die Möglichkeit, früher zu dem nutzlosen Autoren-Plausch zu fahren. Keine Chance. Der letzte Zug fuhr vor einer halben Stunde und die nächste Variante, die mir angezeigt wird, bescheinigt mir mehrstündige nächtliche Bahnhofsaufenthalte an mindestens drei Umsteigepunkten. Ich wäre etwa eineinhalb Stunden vor meiner regulären Ankunftszeit da. Für einen kurzen Moment erwäge ich es tatsächlich. Es würde mich immerhin beschäftigen. Ablenken. Danach lasse ich mich mit dem Wissen, dass es völliger Quatsch ist, aufs Bett fallen und drücke mein Gesicht fest ins Kissen. Vinny wiehert und bleibt dann breitbeinig und Zunge raushängend am Boden liegen. Nicht mal mein Sarkasmuseinhorn weiß eine passable Antwort auf diese Situation. Ohnehin fühle ich mich zu nichts im Stande, als apathisch rumzuliegen. Doch das macht alles nur noch schlimmer.

Ich rolle kurzerhand vom Bett, lande auf allen Vieren, störe mich nicht daran, dass meine Knie schimpfen und ziehe den Basketball unter meinem Bett hervor. Ich presse ihn zwischen meinen Händen zusammen. Er könnte etwas Luft gebrauchen, aber mir fehlt gerade die Muse, um stundenlang unter dem Bett nach der Pumpe zu suchen. Ich greife meine Kopfhörer und verschwinde zum Ballplatz. Diesmal muss ich ihn mir mit einer kleinen Gruppe teilen. Doch es stört mich nicht. Mit den Kopfhörern höre ich ihre Zurufe nur gedämpft oder sie werden durch die Beats vollkommen geschluckt. Ich werfe einfach nur wieder und wieder Körbe. Ärgere mich nicht mal darüber, dass mehr als die Hälfte vorbeigeht. Eine Dreiviertelstunde lang. Für etwa fünf Minuten schaffe ich es, den Schwarzhaarigen aus meinem Kopf zu verbannen.

Danach finde ich mich wie von allein vor Kain und Abels Wohnheimtür wieder. Mein Puls rast. Nicht nur von den schnellen Schritten. Nicht von dem Sport. Auch nach dem dritten Klopfen bekomme ich keine Reaktion aus dem Innenraum, also tippe ich kurzentschlossen den Türcode ein. Bevor ich die Tür etwas aufstoße, warte ich einen Moment ab. Nichts. Also öffne ich die Tür vollständig. Das Zimmer ist leer und dunkel. Was habe ich erwartet? Dass er auf seinem Bett sitzt und nur darauf wartet, dass ich einen Sinneswandel habe? Habe ich denn einen? Ich bin mir noch immer nicht darüber im Klaren, warum ich hier bin. Kann ich ihm denn eine Antwort auf seine Frage geben? Will er sie überhaupt noch hören? Für ihn wäre es besser, wenn er es nicht mehr will. Ich muss es wenigstens versuchen. Daher schließe ich die Tür, rutsche draußen einfach die Wand hinunter und bleibe am Boden sitzen. Den Basketball lege ich auf meinem Schoss ab und starre die raue Oberfläche an. Die schwarze Markierung ist an einigen Stellen bereits abgerubbelt und auch jetzt reibe ich meinen Finger gegen einen der Buchstaben des Markenaufdrucks.

Ich frage mich, wohin er wohl gegangen ist. Ob er bei ihr ist? Dieser plötzliche Gedanke setzt mit einem Mal alles in meinem Kopf lahm und verursacht mir eiskalte Schauer. Würde er das wirklich tun? Möglich, immerhin haben sie nun wieder ein gemeinsames Thema, worüber sie reden könnten. Ich und meine Unzulänglichkeiten. Ich greife unruhig nach meinem Telefon, öffne unseren gemeinsamen Chat und lasse meinen Daumen über das Tastenfeld schweben. Ich lese seine letzten Nachricht.

Lauf nicht weg. Mein Herz stolpert unkontrolliert. Ich lasse das Telefon sinken und greife mir mit beiden Händen an den Kopf, versenke sie in meinen Haaren. Mit den Fingerspitzen raufe ich mir energisch die Kopfhaut. Danach kippe ich meinen Kopf frustriert nach hinten und starre an die Flurdecke. Sie hat auch schon bessere Zeiten gesehen und ich fühle mich augenblicklich seltsam mit ihr verbunden. Seufzend schließe ich die Augen, fasse mein Telefon fester und angele mit den Füßen nach dem Basketball, der während meiner Haarrauferei von meinem Schoss gekullert ist. Wo ist er nur? Das ist so lächerlich. Ich bin lächerlich. Wieder öffne ich unseren Chat und tippe die Frage nach seinem Aufenthaltsort ins Fenster. Lösche es wieder. Schreibe es erneut. Schicke es nach dem dritten Mal endlich ab. Ich bin erbärmlich. Dennoch kriege ich es nicht aus meinem Kopf. Sind wir längst über Neugier hinaus, so wie es Kain gesagt hat? Woran hat er es gemerkt? Wie lange weiß er es schon? Die ganzen Fragen in meinem Kopf ernüchtern mich nur noch mehr.

Es sind nicht nur Kains, die mir durch den Kopf geistern, sondern allen voran Jeffs. Braucht es wirklich eine Definition? Kann ich mich in einer der Kategorien wiederfinden, die er mir vorhin fragend an den Kopf geworfen hat? Bisher habe ich es nicht für nötig gehalten, darüber nachzudenken. Mein Beuteschema war einstweilen sehr eindeutig, wenn auch nicht anspruchsvoll. Einzig er, Kain, bildet hier eine Ausnahme und je mehr ich darüber nachdenke, umso weniger Sinn ergibt es für mich. Andere Männer interessieren mich nicht. Nur Kain. Nur er.

Tiefer. Immer tiefer, wiederholt sich in meinem Kopf. Das hat er geschafft. Kain ist so tief in mich eingedrungen, wie kein anderer und jetzt kriege ich ihn nicht mehr aus meinem Kopf oder das Bedürfnis, ihn zu spüren, aus meinem Körper.
 

Ich weiß nicht, wie lange ich vor dem Zimmer der beiden anderen sitze, doch als der vierte Tross an potenziellen Nachtschwärmern an mir vorbeizieht und blöd guckt, rappele ich mich mühsam auf und trabe mit dem Ball zurück in mein eigenes Wohnheim. Unterwegs begegnen mir weitere illustre Menschengrüppchen, die mittlerweile schon gut angeheitert sind. Meine Stimmung sinkt nur noch weiter.

Die Duschen sind bereits geschlossen, also hänge ich mich über ein Waschbecken, vollführe eine umfassende Katzenwasche, die mehr an Pandababygeplantsche erinnert und werfe mich aufs Bett.

Ich habe es verbockt. Ich habe es so sehr verbockt. Wieder einmal. Nun hat Kain die Geduld mit mir verloren und ich kann es ihm nicht mal verübeln. Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich jedes Mal die Enttäuschung in seinem Blick und mein Inneres beginnt zu rotieren. Wesentlich schlimmer sind jedoch die fortwährenden Gedanken, die mich auf eine zusätzliche Achterbahnfahrt schicken. Ich kann das nicht. Ich komme mit diesen Gefühlen einfach nicht zu recht.

Nach einer Weile unruhigem Hin-und-her-rollen, setze ich mich an den Schreibtisch. Ich öffne die Story, mit der alles begann, überfliege die bisherigen Seiten und empfinde ein stetiges Kitzeln, wenn ich bestimmte Passagen Wort für Wort vor mich hinmurmele. Wenn ich meine Augen schließe, kann ich sie teilweise noch immer fortsetzen. Ich kann nicht mal verhindern, dass sich in meinem Kopf jedes Mal einer der beschriebenen Körper in Kains wandelt. So sehr ich auch versuche, mir einzureden, dass er nicht das Vorbild gewesen ist. Tiefer. Immer tiefer. Ich stoppe bei der Zeile, die mir einen feinen, aber intensiven Schauer beschert.

´Das Gefühl seines heißen, bebenden Leibes über meinem. Ich spüre die Härte, die sich unentwegt gegen meinen willigen Körper drückt. Er hält sich bewusst zurück, lässt seine Lippen über meinen Hals wandern. Küssend. Beißend. Ich zergehe vor Gier. Ich strecke mich ihm entgegen, lasse ihn deutlich die Härte meiner eigenen Erregung spüren. Biete mich ihm schier an. Ich will ihn spüren. Ich will, dass er mich ausfüllt und fest nimmt. Tiefer. Immer tiefer.´. Kain hat es zitiert. Wort für Wort. Zeile für Zeile. Auch jetzt spüre ich, wie mein Körper vor Hitze und Erregung erbebt. Nicht nur, weil ich seine Stimme erinnere, die mir diese Textstelle heiß ins Ohr raunt, sondern weil ich genau weiß, wie viel Wohlgefühl es mir vermittelt hat. Doch die Erinnerungen daran werden von der Frage überschattet, die er mir zum Schluss gestellt hat. Was will ich? Wieder versucht sie am Schutzschild meiner Hilflosigkeit zu verebben. Doch diesmal lasse ich es nicht zu.

Was will ich?

Ich will meine Ruhe. Ich will mir nicht anhören müssen, was ich falsch mache. Ich will nicht verstehen müssen, dass ich es verbockt habe. Ich will diesen Schmerz nicht spüren müssen.

Was will ich wirklich?

´Meine Hände verweben sich in tiefem Schwarz, ziehen die glücksbringenden Lippen näher, sodass ich jeden Millimeter süßer Verlockung ertasten und erleben kann´. Genau diese Stelle geht mir in diesem Moment durch den Kopf und ich umfasse das Handy in meiner Hand fester. Ich will nicht, dass es vorbei ist.

Das will ich.
 

-Können wir reden?-, tippe ich in unserer gemeinsamen Chat und schicke die Nachricht ab, ohne länger darüber nachzudenken oder auf die feine Stimme zu hören, die mir einreden will, dass es vielleicht besser ist, es gar nicht erst zu versuchen.

-Bitte-, schiebe ich hinterher als ich bemerke, dass die vorige Nachricht direkt als gelesen markiert wird und bringe das Stimmchen dazu, zu verstummen.
 

______________________________________________________________
 

Ps: *auf die knie fall und verbeug* ENTSCHULDIGUNG! Ich weiß einfach nicht, wo das halbe Jahr hin ist T___T



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Kommentare zu diesem Kapitel (8)

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Von:  Ginji92
2020-08-24T16:41:33+00:00 24.08.2020 18:41
Oh gott das kapitel ist so gut und man kann nicht aufhören weiter zu lesen.
Mir spuken so schon ein paar enden im kopf wie es zwischen den beiden weiter gehen könnte umso mehr bin ich gespannt welche route du wählst.

Fühl dich gedrückt und mach weiter so
Lg
Von:  -Chiba-
2020-07-14T09:22:05+00:00 14.07.2020 11:22
Tatsächlich...schon ein halbes Jahr O_O
Aber ich fiebere noch immer mit, auch wenn ich immer mehrere Minuten benötige, um mich wieder daran zu erinnern, was in den vorherigen Kapiteln passiert ist.
Robin wird bestimmt noch einige Zeit brauchen um solche Gefühle zuzulassen. Ziwschen ihm und Kain gibt es bestimmt noch einige auf und abs wie in einer Berg- und Talbahn XD
Hoffentlich bleibt Kain am Ball und gibt seinen Spatz nicht so leicht auf.
Von:  Kayara
2020-07-11T17:54:44+00:00 11.07.2020 19:54
Huiuiuiui
Damit habe ich ja gar nicht gerechnet. Mach dir nichts draus. Ich glaube die letzten Monate sind an den meisten vorbei gezogen.
Das Kapitel ist bisher eines der interessantesten. Vielleicht entwickelt sich Robin jetzt und springt über seinen Schatten oder auch nicht. Da ich allerdings eine Romantikerin bin, hoffe ich auf eine Versöhnung. *Daumen drück*
Von:  Kyoto_Shirakawa
2020-07-09T09:15:23+00:00 09.07.2020 11:15
Das halbe Jahr warten hat sich aber auf jeden Fall gelohnt. Ein super tolles, spannendes Kapitel.
Ich freue mich schon aufs nächste und drücke Robin die Daumen, dass er einfach mal über seinen Schatten springen kann. Vielleicht hilft ihm das Treffen ja, wenn er sich mit seinen Kitschbüchern und denen von anderen auseinandersetzt.
Vielleicht versteht er dann ja mal wirklich, was er da schreibt. Denn da muss ich Kain echt recht geben. Robin macht es, versteht es aber nicht.

Liebe Grüsse
Von:  chaos-kao
2020-07-08T12:03:27+00:00 08.07.2020 14:03
Ach Robin ... Ist echt nicht einfach mit ihm. Jeff muss ein wenig masochistisch veranlagt sein, wenn er diese Freundschaft so lange hegt und pflegt. Robin sollte Jeff gegenüber echt mal netter sein. Jeff gibt sich echt Mühe. Robin tut mir in seiner Verwirrung aber echt leid, denn er weiß es ja wirklich nicht besser. Er war so lange in seinem Schneckenhaus und hat nichts an sich heran gelassen und war auch noch nie wirklich verliebt. Woher soll er also wissen, dass dieses Kribbeln und die Vorfreude auf Kain Hinweise darauf sind, dass er zumindest verknallt ist. Ich befürchte ja fast, dass Kain betrunken und/oder zu keinem Gespräch bereit sein wird und Robin mit furchtbar schlechter Laune zu dem Treffen fährt. Ich weiß, dass du noch anderes zu tun hast, aber das ist gerade echt ein fieser Cliffhanger, also lass uns bitte nicht wieder so lange warten! :D
Von:  Morphia
2020-07-07T21:47:08+00:00 07.07.2020 23:47
Oh mein Gott, in dem Kapitel ist ja viel los O.O
Ich bin so gespannt wie es weitergeht.
Hoffentlich finden die beiden zusammen.
Von:  Tharaia
2020-07-07T11:28:09+00:00 07.07.2020 13:28
Bemerkenswerte Spannungskurve. Ich bin ernsthaft frustriert.
Von:  z1ck3
2020-07-06T20:56:52+00:00 06.07.2020 22:56
Also huuj... Ich muss mich kurz sammeln...
dieses merkwürdige rufen einer Eule dass du gehört hast? Ja das war keine Eule, dass war mein Fangirl Gekreische, dass einmal durch ganz Deutschland gehallt ist.
und das Donnern danach, das war mein frustrierte Schimpfen.
verdammt Robin, du Bock, benimm dich endlich mal freundlicher deinen Freunden und vor allem dir selber gegenüber!

Und was ist das für ein Cliffhanger?! Ich gehe ein. Ernsthaft. Ich brauche Erlösung. Wenn Kain und Robin im nächsten Kapitel nicht händchendhaltend in den Sonnenuntergang reiten, geh ich mich verbuddeln!

Tut mir leid dass das hier so konfus ist. Ein Meisterwerk, wie die Kapitel davor.


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