Between the Lines von Karo_del_Green (The wonderful world of words) ================================================================================ Kapitel 24: Oxytocine mich! --------------------------- Kapitel 24 Oxytocine mich! Ich genieße das warme Pochen in meinen Gliedern. Es berauscht mich und es fühlt sich gut an. Ich versuche meine Atmung unter Kontrolle zu bringen, indem ich mich von ihm löse und mich an die Bettkante setze. Kain lässt sich schweratmend ins Kissen fallen. Ich beuge mich vor und angle nach meinen Klamotten, die neben dem Bett liegen. Ich ziehe mir die Hose auf den Schoss und blicke über meine Schulter hinweg zu Kain. Während ich ihn dabei beobachte, streichelt er sich mit der flachen Hand über den trainierten Bauch, lässt sie einen Moment auf seiner Brust verweilen und tastet dann nach der Bettdecke. Das Pulsieren unter meiner Haut scheint nicht weniger zu werden, wandert von Körperregion zu Körperregion. Von meinen Fingern zu meinen Zehen. Von dort direkt wieder in meine Körpermitte. Ich seufze schwer und versuche, den Eingang zu meiner Hose zu finden. „Bleib hier“, murmelt Kain hinter mir. „Und dann? Quetschen wir uns gemeinsam auf diesen Meter von Bett?“, frage ich skeptisch, aber erstaunlich sanft. Allein Kain nimmt im seitlichen Zustand mehr als die Hälfte des Bettes ein. Für diese Variante gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder ich kämpfe die gesamte Nacht mit dem Abgrund oder mit der Hölle in Form von Kain als Hitzekern. Die Hose scheint in meinem jetzigen Zustand unüberwindbar und frustriert lasse ich sie auf meinen Knien liegen. „Na ja, du kannst auch in Abels Bett schlafen, wenn dir das lieber ist oder du schleichst in der Kälte zurück“, kommentiert er gelassen. Die Kälte. Daran habe ich nicht mehr gedacht. Ich neige meinen Kopf in seine Richtung. Der Schwarzhaarige scheint so tiefenentspannt, dass er meinen Zweispalt nicht bemerkt. Nicht einmal seine Augen sind geöffnet. Ich sehe ein paar Strähnen seines schwarzen Haares zur Seite fallen. Ich weiß, wie weich sie sind, wie sie riechen. Ich spüre ein zartes Kribbeln in meinen Fingerspitzen, widerstehe dem, Drang sie zurück zu streichen und sehe zu dem Bett von Kains Mitbewohner. Es ist zerwühlt und sieht aus, als wäre Abel erst gestern dort aufgestanden. Allein die Vorstellung, dass es nach ihm riecht, verursacht mir Übelkeit. Niemals würde ich mich dort hineinlegen. Der Mann hinter mir erweckt, zu meinem Leidwesen, nicht den Anschein, als würde ich ihn so wie beim letzten Mal überreden können, mit mir die Plätze zu tauschen. Im Moment wirkt er, als würde er nicht mal mehr einen Zeh bewegen wollen. Für nichts auf der Welt. Vermutlich schläft er bereits. „Du wirst viel zu warm…“, beklage ich undeutlich als letzte mögliche Ausrede. „Wie bitte?“, fragt er leise, aber verwundert. Er schläft wohl doch noch nicht. „Warm... hochtemperiert… heiß“, wiederhole ich leise, stütze mein Kinn in die Handfläche und vernuschele dabei meine Beispiele. „Was?“ „DU. BIST. ZU. HEIß…“, murre ich laut und genervt. Zwei braune Augen blicken mich perplex an und mir wird klar, dass mein Ausruf eindeutig mehrdeutig war. „Du wirst extrem warm beim Schlafen…das ist unerträglich“, korrigiere ich schnell. Kain beginnt lauthals zu lachen und braucht einen Moment, um sich wieder zu beruhigen. Ich sehe ihm dabei zu, wie er seine Hand auf seinen flachen Bauch legt und wie er erheitert die Augen zusammenkneift. „Wir können die Decke weglassen“, entgegnet er versöhnlich und pattet auffordernd neben sich auf die Matratze. Ich antworte mit einem Brummen. Ich schwanke zwischen dem dringenden Bedürfnis, mich einfach fallenzulassen und dem gewohnten Fluchtreflex. Kain streckt seine Hand nach mir aus. Seine Fingerspitzen streicheln meinen Arm entlang bis zu der Stelle, wo er zu meinem Oberschenkel übergeht. Gespannt folge ich der Berührung und das nicht nur mit den Augen. Sie ist so zart, dass sie mir augenblicklich Gänsehaut verursacht. Auch er bemerkt das Aufrichten meiner Haut, das seine Berührung hinterlässt und interpretiert es falsch. „Wenn du noch länger da sitzt und auskühlst, wirst du dir meine Hitze bald herbeisehnen“, flüstert er verführerisch. „Vielleicht sogar erbetteln…“ Kain hat sich lautlos aufgerichtet und haucht mir den letzten Rest seiner Provokation direkt ins Ohr. „Und du nennst mich schamlos…“, erwidere mich. Er kichert leise, aber tief und brummend. Ich spüre es direkt in meiner Brust. Ich bin mir sicher, dass es nur der Alkohol sein kann, der aus ihm spricht. Federleicht haucht er mir einen Kuss in die Halsbeuge, greift mir in den Nacken und sorgt dafür, dass ich einfach seitlich umkippe und neben ihm zum Liegen komme. Ich ergebe mich meinem nächtlichen Schicksal. Mittlerweile bin ich auch zu müde, um mich meinem fruchtlosen Fluchtverhalten hinzugeben. Ich spüre die gesamte Länge seines Körpers an meinem. Wie er mich nackt und heiß ummantelt. Obwohl ich mich eben noch beschwerte, fühlt sich Kains Wärme unbeschreiblich wohltuend an. Genauso, wie die leichte Reibung von Haut auf Haut, wenn er eines seiner Gliedmaßen regt. Die feine Bewegung seine Brust, die sich beim Atmen gegen meinen Rücken schmiegt. Im Liegen werden meine Lider schwerer und ich bin so schnell eingeschlafen, dass ich mir keinen Gedanken mehr darum machen kann, dass mich Kains sanfter, ruhiger Atem im Nacken kitzelt. Am Morgen weckt mich ein betäubendes Pieken. Ich lokalisiere es nach komplizierter Hochrechnung mit meinem noch schlafenden Gehirn und geschlossenen Augen in meinem linken Arm. Der Versuch, meine Finger zu bewegen, verursacht einen weiteren heftigen Schub und lässt mich schmerzerfüllt wimmern. Meine Position zeigt mir, dass ich mich während der gesamten Nacht keinen Millimeter bewegt habe. Ich ziehe den tauben Arm unter meinem Körper hervor und jammere nur noch lauter. „Fuck...“, grummele ich. Ich schmule zu dem Oldschool-Wecker, der auf Kains Nachttisch steht und frage mich, wo sein heißgeliebter Hightec-Wecker ist, dessen Betriebsanleitung er so gern liest. Ich ignoriere die Gewissheit, dass ich in dieser Nacht zu keiner Zeit 4 Stunden am Stück geschlafen habe und richte mich mühsam seitlich auf. Ich höre meine Knochen lautstark knacken und erschrecke, als ich direkt wieder in die Horizontale befördert werde. „Huch,…“, gebe ich von mir und rudere hilflos umher. „Nicht weglaufen, Spatz“, sagt Kain mit rauer, schlaftrunkener Stimme. „Zum Laufen bräuchte man funktionierende Beine ….“ Meine Beine fühlen sich an wie funktionslose Holzstümpfe, die von einem Zitteraal umschlungen sind. Als ich mich im Liegen strecke, folgen weitere laute Knackgeräusche und außerordentlich mühsam stütze ich mich auf dem Arm ab. „Kommst du klar, alter Mann?“, fragt es kichernd hinter mir und ich sehe dieses kleine, schelmische Grinsen in seinem Gesicht, welches er zur Hälfte im Kissen zu verstecken versucht. „Frechheit“, entgegne ich unaufgeregt und sehe weiterhin zu Kain, der seine Augen geschlossen hält und vor sich hin lächelt. Ich wende mich ab, streiche mir durch die zerzausten Haare und starte einen weiteren Versuch, mich aufzurichten. Diesmal werde ich schon auf dem halben Weg zur Senkrechten gestoppt und zurückgezogen. „Noch nicht“ „Ich sollte zurück. Jeff wundern sich sonst, wo ich bin…“, seufze ich angesäuert. „Der schläft bestimmt selbst noch…“, mutmaßt Kain, greift mir an die Schulter und presst sein Gesicht in meine Halsbeuge, als ich wieder ins Kissen sinke. Er verteilt federleichte Küsse auf meiner Haut, die mich besänftigen und einlullen sollen. Und es gelingt ihm. Jedoch nur für einen Moment. „Ich meine es ernst…er ist sowieso schon misstrauisch…“, murmele ich und drehe mich von ihm weg. Ich keuche angestrengt auf. Ich würde es glatt genießen, wenn sich mein Körper nicht anfühlte, als würde er jeden Augenblick zu Staub zerbröseln. „Wegen mir?“, hakt er nach. „Nein, wegen meines überaus mitteilsamen Wesens...“, gebe ich sarkastisch von mir. „Ist ja gut... nur noch eine Sache…“ Er macht eine kunstvolle Pause, „Dreh dich auf den Bauch“, fordert er mich auf. „Wieso?“, frage ich misstrauisch. Der Gedanke gefällt mir ganz und gar nicht, denn wenn ich mich auf den Bauch drehe, liegt mein Rücken vollkommen frei und es ist tageslichthell. „Tu es einfach…“, murrt er leise, aber mitnichten angefressen. Ich zögere immer noch, was Kain zum Anlass nimmt, seiner Forderung physischen Ausdruck zu verleihen. Er greift mir an die Schulter und drückt sie nach vorn, so dass ich mich auf den Bauch legen muss. Da jegliche Gegenwehr ins Leere laufen würde, lasse ich es geschehen. Ich spüre, wie sich der größere Körper mit einem zufriedenen Raunen auf meine Oberschenkel niederlässt. Die Hitze seiner Haut trifft direkt meinen Hintern. Seine Hände streichen über mein Schulterblatt und meine Wirbelsäule. Nervös zucke ich wieder hoch und blicke zurück. „Was wird das?“, frage ich verunsichert. Erst, als er sich mir entgegen beugt, gelingt es mir, den anderen etwas zusehen. „Null vertrauen, oder? Denkst du wirklich, ich würde etwas Unschönes machen?“, stichelt er. „Das nicht, aber etwas unanständiges vielleicht“, säusele ich angestrengt und höre ihn lachen. Tief und voll. Ich stehe auf dieses Geräusch und mein Körper reagiert auf die feinen Vibrationen. Dass ich mich im Grunde nur wegen dem Tattoo unwohl fühle, erwähne ich nicht. Es ist auch albern. Er hat es längst gesehen und längst verstanden, für was es steht. „Ich möchte dich nur massieren...“, erklärt er, beugt sich dabei dicht an mein Ohr und ich erschaudere, „…ganz harmlos. Nur, so lange bis du wieder im Einklang mit deinen Muskeln bist.“ „Im Einklang mit meinen Muskeln?“, wiederhole ich amüsiert, als die Anspannung von mir abfällt. „Sportlereinmaleins“, begründet er überzeugt. „Du klingst wie ein Glückskeks.“ „Ein sportlicher Glückskeks und jetzt halt still.“ Kain knufft mir in die Seite. Ich zucke zurück und schnappe gigglend nach Luft. Ich sinke mit einem gleichmütigen Seufzen ins Kissen, während seine Hände zu meinen Schultern fahren. Erst ertastend, dann immer bestimmter. Sie kreisen, finden jeden einzelnen Muskelstrang und gleiten diese entlang, bis mir nichts anderes übrigbleibt, als ergeben zu keuchen. Seine Daumen fahren fest an den Seiten meiner Wirbelsäule entlang und jedes Mal, wenn er einen dieser festen Punkte trifft, presse ich mich seinen Berührungen bettelnd entgegen. Auch, wenn es schmerzt. „Fühlt sich gut an, nicht wahr?“, flüstert Kain, als er sich zu mir runter neigt. Sanft treffen seine Lippen mein Ohr. Ein Kuss. Ein zweiter an der Helix entlang. Sein warmer Atem. Ich keuche besänftigt auf. Es ist wirklich gut. Dann spüre ich seine Härte, wie sie unschuldig über meine Hintern streichelt. Nun entflieht mir ein erregtes Stöhnen. Kain küsst sich meinen Hals entlang, über meine Schulter, während er seine Körpermitte immer fester an mir reibt. Allein die Vorstellung und das Gefühl, wie sein Schwanz immer wieder zwischen meinen Pobacken entlang gleitet, versetzt meinen Körper in Aufruhre. Trotz unserer leidenschaftlichen Nacht fühle ich ein unbändiges Verlangen nach mehr. Nach mehr seiner Berührungen. Nach mehr von dem erfüllenden Gefühl. Ich richte mich wieder mehr auf, stütze mich auf meinen Unterarmen ab und drehe meinen Kopf zur Seite. Kains Lippen finden meine. Ganz ohne Worte. Er nimmt meine Unterlippen zwischen seine. Lockt mit seiner Zunge. „Fuck…“ Zur Untermalung des Ausrufes, fällt eine Tasche lautstark zu Boden. Kain und ich fahren erschrocken zusammen und direkt auseinander. „Ein Live-Porn nach meinem Geschmack.“ Beinahe instant habe ich das Gefühl, dass mein Herz etliche Etagen tiefer rutscht, als ich Kains blonden Mitbewohner im Bereich der Tür erkenne. Unwillkürlich ziehe ich die Decke höher, was allerdings nicht viel bringt, weil Kain mehr oder weniger drauf sitzt. „Fuck, Kain, das ist echt hardco…Robin?“ Nun ist es Abel, der erst mich und dann Kain perplex anstarrt. Ein Albtraum. „Fuck,…das ist...damit hab ich nicht gerechnet“, wiederholt Abel. Ich ringe nach einer Erwiderung, doch in meinem Kopf gibt es nichts als panische Leere. „Okay, lasst euch nicht weiter stören“, sagt er, dreht sich grinsend um und verlässt das Zimmer. Ich fixiere noch einen Moment lang die zurückgelassene Reisetasche. „Fuck, Fuck, Fuck, Fuck, Fuck, Fuck“, rattere ich runter, wie ein höhnendes Mantra, als sich mit einem Mal der Schock löst. In meinen Ohren scheint es übertrieben laut zu rauschen und so bekomme ich zwar mit, dass Kain etwas sagt, aber verstehe nicht, was es ist. Panisch falle ich fast aus dem Bett, als ich versuche aufzustehen. Ich greife nach meiner Hose und dem T-Shirt, welche am Boden liegen, ziehe mir die Hose über und stürze aus der Tür. „Robin…“, ruft mir Kain hinterher, doch ich bleibe nicht stehen. Während ich Abel über den Flur hinterher renne, ziehe ich mir das Shirt über den Kopf. „Abel warte!“ Er macht keine Anstalten, stehen zu bleiben und ich folge ihm notgedrungen mit schnellen Schritten. Ich erwische ihn erst am Ausgang. „Bleib stehen, verdammt…“ Als ich ihn erreiche, packe ich grob seinen Arm. Abel sieht mich im ersten Moment irritiert an und reißt sich dann los. Er schnauft. „Du fickst Kain…oder sollte ich sagen, er fickt dich“, entflieht es ihm grinsend, „Wie lange läuft das schon?“ „Spielt keine Rolle.“ „Jeff denkt, du vögelst mit Sina…“ Ich verdrehe die Augen und versuche ruhig zu bleiben. „Ja…“ Jeff hat es sogar schon vor mir geäußert. „…Aber ganz im Ernst…sie ist gar nicht dein Typ, oder?“, plappert er weiter. Woher will er wissen, was mein Typ ist? Abel weiß einfach gar nichts. Außer...Ich besinne mich auf das Problems des aktuellen Moments zurück. „Hör zu, ich…“ Jeffs Freund lässt mir keine Chance, mein Anliegen zu formulieren und ich bin mir nicht sicher, ob das seine immer dumme, unhöfliche Art ist oder böswillige Absicht. „…dann warst du der geile Blowjob“, grient Abel wissend und klatscht in die Hände. Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll. „Ich hätte es mir denken können. Merena weigert sich, seinen Schwanz auch nur anzusehen, geschweige denn, ihn in den Mund zunehmen.“ Ein weiteres Lachen hallt mir entgegen. Ich habe das Gefühl gleich zu explodieren und versuche, merklich ruhig zu atmen. Es fällt mir echt schwer. Gelaber. Sein dummes Gesicht. Ich verabscheue diese ganze verdammte Situation. „Abel…“, setze ich erneut an, doch er gibt mir wieder keine Möglichkeit, sondern greift mir ans Kinn und betrachtet mein blaues Augen. „Wo hast du denn das her?“, fragt er belustigt. „Geht dich überhaupt nichts an und nimm deine Griffel weg“, patze ich grimmig und ungehalten. Abel mustert mich abschätzig mit diesen matten blauen Augen, während ich mein Gesicht seiner Berührung entziehe. „Du solltest dringend damit aufhören, so mit mir zu reden und etwas netter zu mir sein. Ich denke nämlich, dass die Tatsache, dass du mir gefolgt bist, deutlich danach schreit, dass du nicht willst, dass jemand Bestimmtes davon erfährt.“ Sein Tonfall ändert sich schlagartig. Fast wird er drohend. Er macht einen Schritt auf mich zu, bleibt so dicht vor mir stehen, dass ich ein wenig aufsehen muss. Unter anderen Umständen hätte ich mich köstlich über die Tatsache amüsiert, dass der Blonde einen derartigen Satz zustande bekommt. Doch nun halte ich verbissen den Atem an. „Also, was kannst du mir bieten, damit ich den Mund halte?“ „Ist das dein Ernst? Du machst eine Erpressung daraus?“, presse ich brüskiert hervor. Abel grinst. „Wieso nicht? Du willst ja endlich mal etwas von mir.“ Die Überheblichkeit des Blonden ist wirklich das Letzte. Dann lacht er auch noch und ich möchte ihm dieses lächerliche Gesicht zu Brei schlagen. „Weißt du, es ist nicht gerade einfach, so ein irrsinniges Geheimnis für sich zu behalten vor der Person, mit der man ausgeht“, setzt er nach und leckt sich dabei ungeniert über die Lippen. Ich stoße geräuschvoll die Luft aus und mache einen Schritt zurück, so dass mir Abel nicht mehr derartig nahe ist. Seine Worte hallen nach. Ich sehe ihn an und bin mir sicher, dass ihm gar nicht klar ist, was er gerade gesagt hat. Seinem lüsternen Blick nach zu urteilen, jedenfalls nicht. „So ist das also“, kommentiere ich trocken. Absichtlich senke ich meinen Blick. „So ist was?“, fragt er dümmlich und bestätigt meinen Verdacht. Er hat es nicht bemerkt, nicht verstanden. Seine mattblauen Augen sehen mir inhaltsleer entgegen. „Du gehst mit ihm aus...“, wiederhole ich verächtlich. Abels Augenbrauen ziehen sich zusammen. „Jeff fände es sicher interessant, zu erfahren, dass er für dich nur irgendjemand ist, mit dem du AUSGEHST“, fahre ich fort. Jeff ist nicht die Person, die er liebt. Das erklärt einiges. „So habe ich es nicht gemeint…das weißt du…“ Schwach. Ein mehr als mangelhafter Versuch. „Weiß ich das? Tja, ich weiß nicht, ob ich es Jeff so rüberbringen kann, wie du es eigentlich meinst…“ Die Augen des blonden Mannes funkeln mir wütend entgegen, als er begreift, dass ich den Spieß umdrehe. Ich lasse mich nicht erpressen. Schon gar nicht von ihm. Heftig stößt mir Abel gegen die Brust und ich taumele zurück. Ich fange mich, mache drei Schritte vor und erwidere die Geste mit Nachdruck. Abel geht zu Boden, ist aber schnell wieder auf den Beinen. Er packt mich beim Kragen meines T-Shirts und drückt mich gegen die Wand. „Das tust du nicht.“ „Was willst du dagegen machen? Mich verprügeln?“ „Scheint dir ja nicht neu zu sein und vielleicht hältst du dann mal deine beleidigende Klappe.“ „Du kannst mich mal, Abel. Lieber beichte ich Jeff alles und glaub mir, ich beichte alles…vor allem, dass du mich mehrfach angegraben hast. Und dann wird er endgültig merken, was für ein gigantischer Fehler du bist“, belle ich ihm kampflustig zu. „Er wird dir nicht glauben.“ „Oh, mit Sicherheit mehr als dir. Meinst du es überhaupt ernst mit ihm? Bedeutet er dir etwas? Warst du jemals ehrlich zu ihm?“ Abels Kiefer pressen sich aufeinander und sein Blick ist verbissen, als ich ihm diese Vorwürfe mache. „Bist du es? Sicher nicht! Und was du sagst, wird er als das abtun, was es ist. Als Lügen, um uns auseinander zubringen, weil du mich nicht leiden kannst...oh oder stehst du selbst auf ihn?“ „Wie billig und dumm ist das denn? Jeff ist mein Freund, verdammt noch mal.“ „Würde aber einiges erklären...“ „In deiner verqueren Fantasiewelt vielleicht... und lass mich los...“, motze ich. Abel macht im ersten Moment keine Anstalten. Doch dann entlässt er mich aus seinen Fängen, streicht sich durch die wirren Haare. „Du bringst uns nicht auseinander...“ „Glaub mir, das schaffst du ganz allein, aber meine Worte wären die Kirsche auf der Sahnehaube deiner Vernichtung.“ „Was hast du eigentlich für ein verficktes Problem mit mir?“ Wieder stößt er mir seine Hände gegen die Brust, doch dieses Mal pralle ich nur wieder zurück an die Wand. Eine Wohnheimbewohnerin kommt aus ihrem Zimmer und beäugt uns kritisch. Als keiner von uns beiden Anstalten macht, erneut handgreiflich zu werden, geht sie Richtung Gemeinschaftsbad. „Begreif es endlich, du bist Geschichte, es ist nur eine Frage der Zeit...“, belle ich. „Ja, vielleicht, aber du... was denkst du, wie oft er sich noch wegstoßen lässt? Sag schon?“ Ich schweige. Einen Moment lang starren wir uns einfach nur an. Beharrlich und wütend. „Du hast viel mehr zu verlieren... nämlich deinen einzigen Freund.“ „Tja, wir sind wohl beide eine Enttäuschung für Jeff“, sage ich, versuche es fest und unbeeindruckt klingen zu lassen. Es bleibt bei dem Versuch. Wie heißt es so schön? Gegenseitige Zerstörung. Keine Gewinner, sondern nur Verlierer. Ich kann es nicht zugeben, aber die Vorstellung, dass sich Jeff von mir abwendet, reißt eine unangenehme Leere in mir auf. Abel ist der erste, der nach draußen verschwindet und ich folge ihm mit geringer Entfernung. Als der Blonde schnurstracks an Jeff und meinem Wohnheim vorbeigeht, atme ich erleichtert aus und bleibe stehen. Mit angespannten Fingern fasse ich an meine Hosentasche zu dem Ort, an dem normalerweise meine Zigarette sind. Doch ich ertaste nur Nichts. Ich trage noch immer meine Schlafhose und die hat nicht mal Taschen. Damit habe ich auch keine Zigaretten bei mir und mein Hirn kann so laut schreien, wie es will. Mit anhaltender Unzufriedenheit und wachsender Verunsicherung verschwinde ich rauf ins Wohnheimzimmer. Bevor ich den Code eintippe, bleibe ich kurz stehen. Ich versuche ruhig zu atmen, mich zu konzentrieren und mich nicht zu verraten. Wo ist das Pokerface, wenn man es braucht. „Hey, wo warst du denn?“, begrüßt mich Jeff verwundert und lehnt sich in seinen Schreibtischstuhl zurück, sodass er zur Tür sehen kann. „Ich habe gar nicht mitbekommen, dass du aufgestanden bist.“ „Hier könnte ein Hurrikan durchfegen und du würdest es nicht merken…“, kommentiere ich leise und lasse mich auf mein Bett fallen. Ich bin seltsam gefasst. Jedenfalls äußerlich. Mein Mitbewohner dreht sich nun vollkommen zu mir um und mustert mich. „Ist das nicht die Hose, mit der du sonst schläfst?“ Obwohl ich es nicht will und es auch nicht nötig ist, wandert mein Blick nach unten auf meine Knie. Ich betrachte den Stoff, der meine Beine bedeckt und auffällig knittrig ist. „Ja, und?“, erwidere ich. Mittlerweile ist Jeffs linke Augenbraue nach oben geklettert. „Warst du damit draußen?“ „Und?“ „Und?“, wiederholt er mit einer anderen Betonung, die auf pure Neugier hindeutet. Ich werde nervös. „Casual …Satur…day?“, stammele ich zusammen. Ich hätte mir vorher etwas Plausibles überlegen sollen, aber das Zusammentreffen mit Jeffs dämlichen Anhängsel hat mich innerlich ganz schön durcheinander gewürfelt. „Dein Ernst? Ich meine, ich verstehe schon, dass du mir nicht sagen willst, wo du gewesen bist…Aber das? Du warst definitiv schon kreativer.“ Ich murre als Antwort und stehe auf. Eine wirkliche Erklärung bleibe ich ihm schuldig. „Okay, du könntest mir sonst was erzählen und ich würde es dir nicht glauben.“ Vor meinem Kleiderschrank bleibe ich stehen und sehe zu ihm. In dem Moment zeigt er mit dem Finger auf mich und deutet einmal hoch und runter und zählt auf, „Schlafanzughose. Fickfrise.“ „Fick-was? Ich war nur Luft schnappen… nichts weiter.“. Ich deute mit meinen Fingern eine klassische Rauchergeste an und streiche ich mir danach durch die wirren Haare. „Klar.“ „Wirklich“, versichere ich. „Sicher!“, donnert er mir siegesgewiss zu. Die Taschen. Meine Hose hat keine Taschen. Jetzt noch umzuschwenken, reitet mich nur weiter rein. Ich seufze gequält auf, mache ich ihm deutlich, dass ich jede weitere Konversation ablehne und greife nach meiner Jeans. Jeff betrachtet mich amüsiert. Wenn er wüsste. Fast in Zeitlupe dreht sich seinen Stuhl wieder in die richtige Position. Seine Finger huschen übertrieben über die Tastatur seines Laptops, während sich sein Kopf, mich noch immer ansehend, nur sehr langsam in Richtung Schreibtisch wendet. Sehr effektvoll. Mein Mitbewohner hatte einen Clown zum Frühstück. Ich folge dem Schauspiel mit einem Schmunzeln. Vielleicht sollte ich es ihm einfach sagen. Grade heraus. Ohne Umschweife. Direkt. Ist doch gar nicht so schwer. Ich schlafe mit Kain. Direkt nach diesem Gedanken spüre ich, wie irgendwas in meinem Kopf Feuer schreit und mich augenblicklich Panik erfasst. Meine Hände zucken. Mein Herz rast, als wäre es mit einem Mal der Überzeugung, in einem Kolibri zu stecken. Zum Glück nicht in einer Etruskaspitzmaus, dann würde ich vollends zusammenbrechen. Okay, vielleicht ist es doch nicht so leicht. Ich versuche meine Atmung unter Kontrolle zu bekommen und starre auf eines der T-Shirts, das ich seit Jahren nicht mehr trage, weil es voller Löcher ist. Ich weiß nicht, warum ich es noch habe. Mit ungewöhnlich zittrigen Fingern ziehe ich es hervor, wende mich zum Schreibtisch und lasse es, so wie es ist, in den Papierkorb fallen. Gar nicht eigenartig, Robin. Mein Kindheitsfreund scheint es nicht mitbekommen zu haben und summt mit dem Lied mit, welches leise aus seinem Laptop dringt. „Oh, hast du schon gehört, dass Kaworus Schwester jetzt auch hier an der Uni ist?“ „Er hat eine Schwester?“, gebe ich zum Besten. „Sie spielt in einer Band.“ „Wow“, sage ich trocken und streife mir die Schlafhose von den Beinen. Darunter bin ich noch immer nackt. Noch während des Hosentauschs, meldet sich mein Handy. Unbewusst wende ich mich meinem Nachtisch zu, doch da liegt es nicht. Meine Augen wandern suchend dem Geräusch nach und ich entdecke es auf dem Schreibtisch. Ich greife nicht sofort danach, sondern blicke noch einmal zurück zu meinem Bett. Ich bin mir sicher, dass ich es dort liegen gelassen habe. Nicht am Schreibtisch. Fast sicher. Hatte ich es während Kains nächtlicher Aktion in der Hand? Ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Aber falls es so war, hätte ich es sicher mitgenommen und nicht da gelassen. Ich greife danach, sehe kurz zu meinem Mitbewohner und aktiviere das Display. Kain fragt mich nach Abel. Er ist nicht ins Zimmer zurückgekommen. Genauso wenig, wie ich. Er möchte wissen, wie es mir geht. Ich habe keine Ahnung, wie es mir geht. In meinem Kopf durchblättere ich eine Enzyklopädie möglicher Emotionen. Wut. Ärger. Bestürzung. Scham. Gleichgültigkeit. Nichts davon ist wirklich passend oder spiegelt das wider, was gerade in mir vorgeht. Ich will meine Blase der Ruhe zurück. Doch darauf kann ich lange warten und eigentlich sehne ich mich einfach nur nach dem zufriedenen Gefühl zurück, welches mir Kains Nähe in der Nacht brachte. Es müssen Nachwirkungen des Oxytocins sein. Nicht mehr und nicht weniger. Seltsam unbefriedigt, setze ich mich ebenfalls an den Schreibtisch und mache den Computer an. Unweigerlich beginnt es in meinem Kopf zu arbeiten. Was würde er sagen? Wäre er geschockt? Entsetzt? Wütend? Ich weiß es einfach nicht. Genauso wenig, wie ich weiß, weshalb mir der Gedanke solche Magenschmerzen bereitet. Wahrscheinlich würde es Jeff nicht mal stören. Er ist mein Freund. Warum sollte ihn die Nachricht, dass ich mit Kain schlafe, in irgendeiner Weise verärgern? Schließlich ist es auch nichts Ernstes. Nur ein Experiment. Nichts als Spaß. Einfach nur Neugier. Das sagt auch Kain. Obwohl ich versuche, es mir genauso einzureden, klingt es falsch. Das ist doch albern. Kindisch und absolut idiotisch. Ich drehe meinen Schreibtischstuhl so, dass ich geradewegs in Jeffs Rücken starren kann. Als würde er es spüren, wendet er sich zu mir um. Einfach grade heraus. Ohne Umschweife. Direkt. „Hey, hör mal…ich muss dir was sagen…“, beginne ich und werde genau in dem Moment von Jeffs singenden Handy unterbrochen. Kurz starrt er mich an und dann auf das Display. Mit einem erhobenen Finger, der mir andeutet, dass ich warten soll, steht er auf und geht ran. „Hey du…“ Die Stimme meines Mitbewohners klingt wie flüssiger Honig, während er sich mit der Hand durch die frisch gewaschenen Haare streicht. Er dreht sich ein wenig von mir weg, so als würde er befürchten, dass ich etwas sehe, was ich nicht sehen soll. Ich fürchte, dafür ist es längst zu spät. Schon an seinem Gesichtsausdruck kann ich sehen, dass es nicht Abel ist, mit dem er telefoniert, sondern jemand anderes. Jemand bestimmtes. Sie sprechen eine ganze Weile miteinander und in der Zwischenzeit tippe ich meinen Gedanken nachhängend auf meiner Tastatur Fantasiewörter zusammen. Nowibidi und Quibbeldiwob. Gerade bin ich mir nicht mal sicher, ob Jeff weiß, dass Abel schon wieder zurück ist. Ich höre Jeffs Verabschiedung und drehe mich unauffällig wieder zu ihm, als er aufgeregt quietscht. „Yes! Jake hat wohl einen Käufer für meinen Laptop.“ Klar, einen Käufer. Er kauft ihn vermutlich selbst. Ich behalte meinen Gedanken für mich und mache stattdessen eine freudige Geste. Die Faust schwingend vor meiner Brust und ich verziere das Ganze mit einem aufgesetzten Lächeln, was Jeff sofort durchschaut. Er zeigt mir mit einem ebenso übertriebenen Gesichtsausdruck den Mittelfinger. „Er hat mir angeboten, die alte Schüssel auf Vordermann zu bringen und alles ordentlich zu löschen“, plappert er munter und springt von seinem Stuhl auf. Ich kann dabei zusehen, wie es in seinem Kopf zu rattern beginnt und wie er sich hektisch nach vernünftigen Klamotten umsieht, die sein momentanes Couch-Potato-Outfit ersetzen. „Besser so. Nicht auszudenken, dass der Käufer deine geheime Pornosammlung entdeckt.“ Jeffs Kopf zuckt nach oben und dann sieht er einen verdächtigen Augenblick lang zu dem alten Laptop. Verräterischer geht’s kaum. „Jake macht sicher vorher eine Datensicherung, dann hat es sich für ihn wenigstens gelohnt“, sage ich grinsend. Falls er ihn nicht wirklich behält. „Nicht witzig.“ Bei dem Anblick meines verwirrten Mitbewohners kann ich mir ein Lachen nicht mehr verkneifen. „Vielleicht sollte ich…“ „..das schmutzige Zeug vorher löschen? Ja, solltest du“, beende ich den angefangen Satz. Jeff verdreht meisterlich die Augen. „Da ist nichts drauf, wofür ich mich schämen muss.“ Er zieht sich sein Gammelshirt über den Kopf und greift nach einem schwarzen, kurzärmeligen Hemd mit einem für mich seltsamen roten Blütenmuster. „Ooh, da will ich widersprechen…Sex and the City…Shopaholic…Greates Hits von Elton John und Celine Dion. Weißt du, mir wird immer unklarer, wieso mir nicht früher aufgefallen ist, dass du schwul bist.“ Mein Mitbewohner zieht sich bei der Aufzählung gerade eine gutsitzende, fast schon enge Jeans über die schlanken Beine und ich sehe ihm unverhohlen dabei zu. „Weil du unfassbar ignorant und manchmal schwer von Begriff bist?“, kontert er und ich nicke es einvernehmlich ab. „Schon möglich.“ „Eher genau auf dem Punkt...“, erwidert er keck, streicht sich durch die Haare und sieht mich an, als müsste ich ihm bestätigen, dass er vorzeigbar ist. Ich mache eine hilfelose Geste mit der Hand und Jeff scheint damit zufrieden. Er greift sich sein Schrottgerät, schiebt es in die Tasche und wirft einen Blick auf sein Handy. Jeff nickt und atmet tief durch. „Oh,..“ An der Tür dreht er sich zu mir um, „Reden wir später?“ Ich sehe seine Aufregung und dass es ihm Leidtut, dass er mich gerade irgendwie versetzt. „Klar.“ Das komische Gefühl in meinem Magen kehrt zurück und ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich später noch den Mut aufbringen werde. Immerhin ist er nicht bei Abel, wenn er bei IT-Jake ist. Ein kleiner Lichtblick, wenn auch nur kurz. Als Jeff die Tür schließt, greife ich nach meinem Telefon und lese Kains Nachricht erneut. Ich weiß noch immer nicht, wie ich das emotionale Wirrwarr in meinem Kopf einschätze. Bin ich bestürzt. Ja, irgendwie schon. Bin ich beschämt. Nein niemals. Bin ich sauer? Ja, das bin ich definitiv. Abels Dreistheit und sein dreckiges Grinsen machen mich rasend. Aber nicht nur das. Jeff bedeutet ihm nichts und auch wenn ich noch nie der gefühlsduseligste Freund war, verspüre ich das dringende Bedürfnis, dafür zu sorgen, dass Jeff schnellst möglich in den Armen eines anderen landet. Also, wenn Jake den beknackten Laptop nicht kauft, werde ich es. Und dann werde ich Jeff dazu bringen, die Neuanschaffung auch über den IT-Fritzen laufen zu lassen. So lange, bis Jeff sich gezwungen fühlt, sich besonders aufmerksam bei dem Kerl zu bedanken. Oh ja! Was ist nur los mit mir? Von meinen eigenen Gedanken überrascht und gleichwohl entsetzt, lasse ich mich vom Stuhl auf das Bett fallen. Im Grunde schafft es nur mein Oberkörper. Der Rest bleibt zwischen Boden und Bett hängen. Ich bin so erbärmlich. Und unsicher, wie ich mit allem umgehen soll. Wäre jetzt nicht der beste Zeitpunkt, das Ganze in den Limbus zu schicken? Das mit Kain vollends zu beenden. Unsere Neugier ist immerhin gestillt. Wir wissen, dass es sich gut anfühlt und dass es mehr als geil ist. Es ist zu dem ein Wunder, dass es bis auf Sina bisher niemand mitbekommen hatte. Dezent waren wir in der letzten Zeit nicht mehr. Mein Handy macht sich bemerkbar. Es ist Kain. Ich ignoriere den Anruf und wundere mich nicht, als er es direkt danach schriftlich versucht. -Können wir uns in einer halben Stunde vor der Mensa treffen? Wir sollten reden.- Keinerlei Emojicons. Kain meint es ernst. Ich richte mich wieder auf, sehe auf die Uhr und beschließe, in Ruhe duschen zu gehen. Als ich aus dem Gemeinschaftsbad komme, wird es mit der halben Stunde knapp. Ich schreibe Kain, dass ich mich verspäte und trotte mit der Begeisterung einer Bittermandel zum Treffpunkt. Der Schwarzhaarige hat es sich auf einer Bank gemütlich gemacht. Seine langen Beine sind in entspannter Pose von ihm fort gestreckt. Seine Augen sind geschlossen. In einiger Entfernung bleibe ich stehen. Ich spiele mit dem Gedanken, mir eine Zigarette anzustecken, doch ich komme wieder davon ab, als sich langsam der Geschmack von Zitrone und Ingwer auf meine Zunge schleicht. Es ist nur der Hauch einer Erinnerung und doch ist es intensiv und eigenartig erfüllend. „Schläfst du??“, ruft es mir entgegen. Ich erwache aus meinen Gedanken und schaue zu Kain. Er hat sich nach vorn gebeugt und seine Beine angezogen. „Kannst du es mir verübeln? Ich hab ja kaum geschlafen...“, rufe ich zurück. Ich streiche mir mit der Hand durch die Haare, die an den Spitzen noch feucht sind. „Mehr als ich...“, erwidert er ebenso laut. Ich verdrehe die Augen und verringere den Abstand zwischen uns, damit wir uns nicht mehr anbrüllen müssen. Hinsetzen werde ich mich nicht. Als auch Kain das merkt, steht er auf. Seine Hände schieben sich in seine Hosentaschen und er sieht mich an, als würde er erwarten, dass ich mit dem Gespräch beginne. Ich war noch nie gut darin und weiche diesen lästigen menschlichen Angewohnheiten lieber aus. Aber gut, ich komme nicht Drumherum. „Kain...“brüllt es uns entgegen und schon beim Klang dieser Stimme verdrehe ich genervt die Augen. Nicht sein Ernst! Marvin kommt mit wackelnden Armen auf uns zu. Als er fast bei uns ist, erkenne ich, wie er mich kurz mustert, um dann seine ganze Aufmerksamkeit Kain zu widmen. „Da ist ja der Mann der Stunde. Nein, des Tages.“ Der Muskelprotz breitet seine Arme aus. Sie wirken wie ein anabolikagetränktes Omen. Ich hätte an Kains Stelle bereits etliche Schritte zurück gemacht. Doch er lässt es ohne Widerstand geschehen und lächelt dabei. „Noch mal alles Gute, Großer. Du warst so schnell aus dem Club verschwunden, dass ich keine Zeit hatte, dir das noch zu geben.“ Marvin drückt ihm ein buchgroßes, grünes Päckchen in die Hand und bei mir fällt endlich der Groschen. Kain hat Geburtstag. Heute. Auch schon heute Nacht. „Danke, Mann“, erwidert er lachend und betrachtet das Geschenk. Er schüttelt es. Ein weiteres Rückenklopfen folgt, während Kain kurz zu mir sieht. Ich starre fassungslos zurück. „Kann ich es hier öffnen oder sollte ich das lieber allein im Zimmer tun?“, fragt er vorsichtig und sein bester Freund beginnt zu grinsen. Lachend und wissend steckt Kain es vorsorglich in die Tasche. Ich erinnere mich daran, dass Jeff vor kurzem noch davon gesprochen hatte, dass Kain bald Geburtstag hat. Aber ich hab es wie gewohnt überhört. „Heute lade ich dich mal zum Essen ein. Worauf immer du Lust hast!“ Marvins Blick ist starr auf Kain gerichtet. Mich ignoriert er weiter. „Bist du sicher?“, fragt Kain. Marvin nickt. „Okay, dann wirst du wohl indisch essen müssen. Schönes scharfes Chicken tikka masala und du wirst nach Luft hecheln und deine Augen werden tränen...“, schwärmt er und fängt nach den letzten Worten an zu lachen. Wie nett. Ich denke augenblicklich an die Snackorgie von Shari, wie lecker die Teigtaschen gewesen sind und nehme mir ein weiteres mal vor, ihr zu schreiben. „Du mieser Sadist!“ Marvin lacht übertrieben auf und hämmert seine Pranke ein weiteres Mal gegen Kains Schulter. Dieser scheint sich aber wirklich zu freuen. Nicht nur als Höflichkeit. Ich hätte längst blaue Flecke. Marvin stürmt bereits in die Richtung, in die ich das Lokal vermute, doch bevor auch Kain hinterhereilen kann, halte ich ihn zurück. Marvin beschwert sich lautstark. Ich ignoriere es. Kain signalisiert ihm, dass er sofort nachkommt und blickt mir lächelnd entgegen. „Wieso hast du nichts gesagt?“, frage ich, ohne den konkreten Grund noch mal aussprechen zu müssen. Kain lacht leise auf. „Die Phase, in der ich jedem freudig davon berichte, dass ich heute Geburtstag habe, ist schon seit gut 15 Jahren vorbei... Obwohl ich schon irgendwie auf die vielen Umarmungen stehe.“ „Du hast mich quasi auflaufen lassen“, beschwere ich mich, ohne auf den Umstand einzugehen, dass der Schwarzhaarige weich wie Butter ist. Doch als ich Kains verständnislosen Blick sehe, presse ich die Lippen aufeinander und wünschte, ich hätte es nicht ausgesprochen. „Okay, entschuldige, du solltest es gar nicht erfahren. Außerdem kenne ich deinen Geburtstag auch nicht. Wir sind also quitt.“ Er hat Recht. Mittlerweile habe ich sogar Jeff soweit, dass er trotz Folter niemanden verraten würde, wann ich Geburtstag habe. Dabei müsste Kain nichts weiter tun, als nach der zweiten Ziffer seines Türcodes einen Punkt zu setzen und schon hat er Tag und Monat. Doch das weiß er nicht und wenn es nach mir geht, wird er es auch nicht erfahren. Mir sind die vielen, unehrlichen Umarmungen nämlich zuwider. „Kain, komm endlich, sonst gibt es keinen Geburtstagskuchennachtisch“, ruft Marvin dazwischen. Wir sehen beide zu dem Blonden, aber nur ich fixiere ihn einen Moment länger. Sein Blick sagt mir deutlich, wie weniger er von mir hält. Er kann mich mal kreuzweise. Geburtstagskuchennachtisch, äfft es in meinem Kopf. So ein Idiot. „Lass uns später reden, okay? Ich melde mich“, sagt Kain und sorgt so dafür, dass ich mich ihm zuwende, aber seinem Blick ausweiche. Zum zweiten Mal werde ich versetzt. Auch jetzt nicke es ich es einfach ab. Kains Hand legt sich kurz auf meine Schulter und dann folgt er seinem besten Freund. Selbst in diesem Moment schaffe ich es nicht, ihn anzusehen, sondern starre den blonden Idioten an, der in der letzten Zeit scheinbar an Kains Seite zu kleben scheint. Hat er vorher schon so viel mit dem Blödmann zusammen gemacht? Ich weiß es nicht. Es hat mich bisher auch nicht interessiert, was Kain außerhalb der Uni unternimmt. Und mit wem. Warum also jetzt? Weil ich langsam den Verstand verliere, echot es in meinem Kopf. Mit diesem Gedanken fahre ich mir durch das Haar und widerstehe dem Drang, mir wie ein Verrückter die Haare zu raufen. Zurück im Wohnheim setze ich mich direkt an den PC. Mache ihn aber nicht an. Meine Finger klopfen unruhig neben der Mouse auf dem Tisch. Ich muss irgendwas machen, was mich ablenkt. Aufräumen. Ich sehe mich um. Unser Zimmer sieht trotz Jeffs Kleiderschrankaktion erstaunlich ordentlich aus. „Allgemeine Ablage“, flüstere ich euphorisch und merke selbst die Ironie dahinter. Doch das ist mir gerade egal. Ich sammle die auffindbaren Briefumschläge zusammen. Tantiemenschreiben vom Verlag. Rückmeldungsaufforderung der Uni. Die Reiseunterlagen, welche ich brummend über den Tisch schleudere und dann doch sorgsam wieder zusammenfächere. Brigitta macht mich noch mal wahnsinnig mit ihren Ideen und Vorstellungen. Ich hefte die wenigen Blätter ordnungsgemäß in meinen unbeschrifteten Aktenordnern ab und sitze schon wieder auf dem Trockenen. Seufzend hole ich das Buch für Pathobiochemie hervor und werfe mich aufs Bett. Ich muss drei Kapitel zurückgehen, weil ich mich beim besten Willen nicht mehr an die Inhalte erinnern kann. Ich unterbreche meinen Lesemarathon nur für einen Snack und ein Eis. Als es langsam dunkel wird, mache ich die Nachtischlampe an und sehe zum ersten Mal auf die Uhr. Jeff ist immer noch nicht zurück. Ob er vielleicht doch bei Abel ist? Mich erfasst ein Schauer und ich lasse das Buch sinken. Mein Blick richtet sich auf das leere Bett meines Mitbewohners und die Unruhe ist wieder zurück. Diesmal werde ich sie nicht durch intensives Lesen los und merke ab und an, dass ich ganze Absätze zweimal lesen muss. Immerhin schlage ich damit Zeit tot. Irgendwann am Abend schreibt mir Kain. Auf dem Display erkenne ich nur seinen Namen und die ersten Worte seiner Nachricht. Er ist von Essen zurück. Bravourös, wiehert das Sarkasmuseinhorn in meinem Kopf, welches ich heute Pascal taufe. Es ist mintgrün. Mir egal, dass er wieder zurück ist, denn ich stehe heute garantiert nicht mehr auf. Ich drehe mich schmollend zur Seite, ohne den gesimsten Text komplett zu lesen. Ich stürze mich wieder auf die Pathobiochemie, bis ich aus dem Schlaf erwache und meine Wange an der Buchseite fest geklebt ist. Müde rolle mich ich in die Bettdecke ein. Zum Glück bleibt mein Denkmotor abgewürgt und ich schlafe schnell wieder ein, bis mich beim nächsten Mal das Läuten meines Handys weckt. Auf dem Display sehe ich die Nummer meiner Mutter. Noch im Halbschlaf gehe ich ran und merke nicht mal, dass meine Mutter gegen unsere Abmachung verstößt. Es ist gerade so halb 9 Uhr. Ich setze mich langsam auf und wieder machen sich meine Knochen bemerkbar. Ich sollte mich mehr bewegen. „Hey Mama“, sage ich leise, streiche mir die Haare zurück und sehe zum Bett meines Jugendfreundes. Ein Berg Bettdecke regt sich langsam und ich spüre eine einnehmende Erleichterung, die sich bedächtig in meinem Körper ausbreitet. Jeff ist da und er hat mich nicht wütend in der Nacht geweckt, um mir den Kopf abzureißen. Das ist ein gutes Zeichen, denke ich jedenfalls. „Guten Morgen, mein Schatz“, ertönt die Stimme meiner Mutter heiter von der anderen Seite der Leitung, „Wie geht es dir? Und sag jetzt nicht wieder `Es lebe der Verfall´.“ „Das habe ich noch nie gesagt“, stelle ich gähnend klar und höre sie mit dem Kopf schütteln. „Na oder das, was du sonst immer sagst.“ „Ich atme, esse und unterliege dem Verfall“, kläre ich auf. Ein definitiver Unterschied. „Genau das. Mir wäre es allerdings lieber, wenn du Dinge sagst, wie: Ich bin gesund, glücklich…“ „Und mir scheint die Sonne aus dem Arsch?“, ergänze ich trocken. „Robin!!“, mahnt sie, doch ich höre sie leise lachen. „Was denn? Du hast es provoziert. Du weißt, ich würde sowas niemals sagen.“ Ich drehe mich zu Jeff, der mit hochgezogener Augenbraue und verschlafener Miene vor seinem Bett steht. Richtig wach scheint er nicht zu sein. Er streckt seine Hand nach ein paar zusammengerollten Socken aus und merkt erst danach, dass er welche an hat. Daraufhin streicht er sich durch die verwuschelten Haare und angelt nach einem abgelegten T-Shirt. Während er daran schnuppert, tritt er neben mich. „Einen wunderschönen guten Morgen Marianne“, flötet Jeff laut gegen mein Handy belegtes Ohr. Meine Mutter hätte ihn bei dieser Lautstärke auch am anderen Ende des Zimmers gehört. Zu meinem Leidwesen erwiderte sie den Gruß ebenso prompt und lautstark. Nur, dass Jeff es definitiv nicht hören kann. Menschen sind so unlogisch. Ich rolle mit den Augen. „Herrje, geht’s noch, Leute?“, murre ich ungehalten, aber kaum verärgert. Jeff stupst mir sachte mit dem Ellenbogen in die Seite und greift sich eine Hose. Noch während ich meiner Mutter dabei zuhöre, wie sie mir von den letzten Familiengeschehnissen berichtet, verabschiedet sich mein Kindheitsfreund in die Waschräume. Mein Onkel will wieder heiraten. Zum dritten Mal. Lena ist begeistert. Meine Mutter schwankt zwischen leiser Freude und irrsinniger Bestürzung. Ich hoffe nur, dass ich nicht dabei sein muss. Sie räuspert sich kurz und ein mulmiges Gefühl breitet sich in mir aus. Das Vorige war nur das Geplänkel und nun kommt der eigentliche Knaller. „Robin...Schatz...“, setzt sie verhängnisvoll an. Ich wappne mich innerlich schon dafür, gleich wieder lügen zu müssen, „Ich möchte dich bitten, noch einmal darüber nachzudenken, ob du nicht doch herkommen magst. Wir könnten gemeinsam…“ „Mama,…“, beginne ich flüsternd. „Es sind fast drei Jahre…seit wir das letzte Mal gemeinsam bei ihm am Grab waren.“ Ich erinnere mich. Ich erinnere mich genau an diesen Tag. Nur mache ich das nicht gern. Ich sehe sie nicht gern weinen, höre nicht gern dabei, wie sehr sie sein Lachen vermisst und ich verstehe den Sinn dahinter nicht, wieder und wieder daran erinnert zu werden. Das Prozedere ist keinesfalls heilsam, sondern eher mühsam. Sie kauft jedes Jahr Renés Lieblingssüßigkeit und stellt sie in einer kleinen Schale auf sein Grab. Dann redet sie. Über die Familie. Das Leben, welchem René nicht mehr beiwohnt und all die Dinge, die ihm vielleicht gefallen hätten. Dann weint sie. „Wir bezahlen dir auch die Fahrt“, bietet sie mir an, als ich schweige und reißt mich aus dem herbeigeführten Trübsal. Mein Blick fällt auf die Reiseunterlagen, die auf meinen Schreibtisch liegen. Ich strecke meine Hand danach aus, berühre mit den Fingerspitzen das glatte Papier. „Mama, ich kann nicht. Ich nehme an einer bezahlten Vortragsreihe teil und kann es nicht mehr stornieren." „Genau an dem Wochenende?“ „Ja.“ Und ja, ich bin ein Heuchler. Ich könnte am selben Abend bei meiner Mutter und Lena sein. Und bei René. Der Schmerz in meiner Brust wird mit einem mal so heftig, dass ich mich nach vorn lehne muss, um den Druck zu verringern. Es hilft nur nicht. Ich kann ihre Enttäuschung förmlich spüren, auch wenn sie nichts sagt und nicht bei mir ist. Sie atmet einfach. Leise, aber eindringlich. Dann atmet sie plötzlich laut ein. „Okay, mein Schatz. Tu mir nur den Gefallen und igle dich nicht ein, ja? Ich rufe sonst Jeff an, glaub mir!“, droht sie mir zärtlich. „Daran zweifele ich keine Sekunde.“ „Pass auf dich auf.“ „Mach ich.“ Als ich auflege, fühle ich mich fürchterlich. Jeff kommt erst nach einer Stunde zurück. Seine Haare sind nass. Er ist frisch rasiert, trägt nur ein Handtuch und ich kann sein Aftershave quer durch das Zimmer riechen. Noch bevor er vollständig eingetreten ist, echauffiert er sich lautstark darüber, dass Tobi aus dem Zimmer schräg gegenüber seine Zehnägel schneidet und die abgeschnitten Stücke einfach rumfliegen lässt. Ich bestätige seine Beschwerde mit dem angewidertsten Gesichtsausdruck, den ich parat habe und sehe dabei zu, wie er sich als erstes Socken anzieht und danach erst Unterwäsche sucht. Jeffs Tirade findet aber dadurch kein Ende. Mit jedem weiteren Kleidungstück scheint er eine weitere Ungeheuerlichkeit in dem kunterbunten Lebensraum aufzudecken, in dem er existiert. Die Unterwäsche begleitet der allgemeine Zustand der Wohnheime. Sie sind nicht mehr die neusten und welche Uni hat noch immer Gemeinschaftsbäder? Zimmer mit eigenen Toiletten und Küchen, das ist die Parole. Ich nicke beständig. Die Hose ist ein Zeichen für die unzumutbaren Qualitäts- und Quantitätsunterschiede der geisteswissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Fakultäten. Heute hat er seinen Motztag. Nun bin ich mir sicher. Immerhin lenkt es mich ab. Beim T-Shirt driftet er zu seinem eigenen Fachbereich ab. Geologie ist steinhart, felsenfest, wenn nicht sogar eisern. Ich hätte fast Mitleid, wäre da nicht der Umstand, dass er Steinchen dreht. Gut, es ist im Grunde noch viel mehr, aber das mit dem Mitgefühl ist bei mir eben so eine Sache. Ich liege währenddessen die ganze Zeit im Bett und verspüre keinerlei Bedürfnis, aufzustehen. Was seltsam und eigenartig ist, weil ich normalerweise derartigen Tiraden auszuweichen vermag. Beiläufig fragt er mich, ob ich weiß, ob der PC-Pool auch sonntags offen hat. Ich weiß es nicht und lasse es mir nicht nehmen, ihn daraufhin zu weisen, dass er, mein liebeswerter Mitbewohner, seit neusten an der Quelle sitzt. Er müsse sie nur nutzen. Jeffs Wangen färben sich unvermeidlich rot. Eine Reaktion, die ich schon lange nicht mehr bei ihm gesehen habe und erstaunlicher Weise weicht er dem Thema dieses Mal nicht aus, sondern berichtet mir von dem gestrigen Treffen. Selbst von den peinlichen Momenten, die es anscheinend reichlich gegeben haben muss. Aus alldem höre ich heraus, dass Jake nicht nach einem Date fragen wird. Vielleicht ist es eine gemeinsame Übereinkunft. Vielleicht eine stille Bitte. Ich vermute es nur. Doch irgendwas in mir will sich damit nicht zufrieden geben. Es muss doch eine Möglichkeit geben, Jeff von Abel zu Jake zukriegen, ohne dass mein Kindheitsfreund der Böse ist. Vielleicht sollte ich an Jakes inneren Macho appellieren. Oder an Jeffs in Ketten gelegten Nymphomanen. Er müsste nur ein klein wenig mehr Arschloch sein und dann würde er sich etliches ersparen können. So, wie ich. Wieder schießt mir durch den Kopf, dass jetzt der perfekte Moment wäre, um es anzusprechen. Doch mein Kopf scheint augenblicklich in einem akuten Stillstand verfallen zu sein. Nichts regt sich. Ich habe Angst vor seiner Reaktion. Seinen Worten. Angst vor dem, was ich mache, wenn es Jeff wirklich stören sollte. Ich sehe dabei zu, wie er murmelnd und flüsternd Unterlagen auf seinem Schreibtisch hin und herräumt, ohne, dass ich einen wirklichen Sinn dahinter erkennen kann. Jeff scheint wirklich durcheinander zu sein. Hin und hergerissen. In gewisser Weise kann ich es nachfühlen. Ich bin zurzeit auch kein gefestigtes Beispiel. Langsam wühle ich mich wieder aus der Bettdecke. Ich brauche frische Luft. Saubere, durch Nikotin und Teer gefilterte Luft. Und ich muss hier raus. Draußen stecke ich mir eine Fluppe zwischen die Lippen. Ich lasse das Feuerzeug klicken und nehme es runter, ohne die Zigarette entzündet zu haben. Was ist nur los mit mir? Ich stecke die Zigarette zurück, fahre mir durch die ungekämmten Haare und sehe mich um. Diese anhaltende Rastlosigkeit geht mir auf den Geist. In diesem Moment fällt mir Jeffs Frage wieder ein und nun habe ich immerhin ein gewisses Ziel. Ich setze mir die Kopfhörer auf und trabe los. Beim Hauptgebäude angekommen, gehe ich, ohne weiter beachtet zu werden, in die zweite Etage und bleibe vor dem PC-Pool stehen. Heute ist er geschlossen. Jeffs Frage ist damit beantwortet. Ich ziehe mein Handy hervor, tippe eine Nachricht an Jeff. Danach lese ich endlich auch Kains. Ich sehe, dass er online ist und prompt zu schreiben beginnt. - Wo bist du?- - Unterwegs-, gebe ich kurzangebunden zurück. -Wo?- Ich widerstehe dem Drang, etwas Dummes, wie Planet Erde oder Campus zu schreiben und antworte mit dem Tatsächlichen. Hauptgebäude. Ich erhalte keine Rückantwort, mache ein Foto vom Öffnungszeitenschild, weil Jeff danach fragt und trabe wieder zum Ausgang. Als ich die Treppen runterkomme, kann ich in einiger Entfernung den Schwarzhaarigen erkennen. Lässig lehnt er an der Spintreihe und schaut geradewegs in meine Richtung. Unweigerlich verlangsamt sich mein Schritt und die letzten Stufen nehme ich bedächtig und zeitschindend. Wie um alles in der Welt kann es sein, dass er genau jetzt auch hier in diesem Gebäude ist? Im Ernst? Wie? Er beobachtet mich, ohne irgendeine Geste zu machen. Er sieht mich nur an. Ich folge ohne Aufforderung und bleibe mit den Steckern in den Ohren vor ihm stehen. Seine Lippen bewegen sich. Ich lausche dem Takt der Musik. ´In your mind. Hold me like you never lost your patience. Tell me that you love me more than hate me. All the time. And you're still mine´. „…unhöflich ist…“ Ich höre nur die letzten seiner Worte laut, als er mir mit beiden Händen die Stecker aus den Ohren zieht. Er behält sie in seiner Hand. „Ist das eine Beschwerde?“, frage ich ruhig. „Vielleicht.“ „Ja oder Nein?“, hake ich nach. Kain schmunzelt und lässt die Kopfhörer los. „Du hast meine Nachricht ignoriert.“ „Ich war schon im Bett.“ Kains wachsame, braunen Augen mustern mich. Sie gleiten mein Gesicht entlang, so als würde er dadurch besser einschätzen können, ob ich schwindle oder nicht. Ich lüge nicht, denn ich lag im Bett. Ich habe nur noch nicht geschlafen, auch wenn meine Aussage derartiges impliziert. Seinem Blick halte ich stand. Das erste Mal seit langem. „Wie war dein Geburtstagskuchennachtisch?“, frage ich, als er einfach nicht weiter spricht. Ich schaffe es allerdings nicht, den spottenden Unterton zu kaschieren. „Schokoladig“, antwortet er ruhig. Fast Schmelzend. Nun weiche ich seinem Blick doch aus. „Mit viel Sahne?“, bohre ich weiter. Ich quäle mich eigentlich nur selbst. Kain atmet tief ein. „Wollen wir jetzt reden oder weiter dieses kleine Spielchen spielen?“ Sein Finger zeigt ein paarmal zwischen uns hin und her. „Weiß nicht, haben wir Zeit zum Reden oder planst du gleich wieder mit Marvin essen zu gehen?“ „Das Spielchen also.“ „Hm.“, erwidere ich zuckend. „Wenn ich es nicht besser wüsste, dann könnte ich denken, dass du auf meinen besten Freund eifersüchtig bist.“ „Gut, dass du es besser weißt…“ „Okay, verstanden, du kannst ihn nicht leiden.“ „Wohl eher er mich nicht...“, berichtige ich. Kain schaut mich fragend an und scheint sich an etwas zu erinnern. Anscheinend ist ihm der Umstand nicht neu. Und ich kann einen weiteren Namen auf meine Anti-Liste setzen. „Marvin kriegt sich wieder ein“, beschwichtigt er. „Ist mir egal...“ „Robin...“ Mein Namenperlt mit dieser besonderen Betonung von seinen Lippen. Ich spüre einen feinen Schauer, der sich über meinen Nacken bis zu meinem unteren Rücken zieht. Ich weiß nicht wieso, aber ich bleibe still. „Was hat Abel gesagt?“, fragt er gelassen, lehnt sich wieder zurück gegen den Spind und verschränkt die Arme vor der Brust. Ich hadere mit mir. Sollte ich ihm erzählen, dass mir Abel droht. Sollte ich ihm beichten, dass ich es ebenso tue? Dass wir uns gegenseitig fast an die Gurgel gegangen sind und dass meine Unterredung mit ihm im Grunde gar kein Ergebnis brachte. Abgesehen von dem offensichtlichem, dass ich Abel nur noch weniger mag. Nein, das muss er alles nicht wissen. Ich hole tief Luft, verschränke meine Arme ebenfalls und sehe überall hin, nur nicht ihn an. „Er meinte, dass es ihm sicher sehr schwer fallen wird, vor Jeff zu verheimlichen, was er gesehen hat“, sage ich so ausdruckslos, wie ich nur kann. Mein Gegenüber mustert mich kritisch. Ich zucke mit den Schultern. „Und da Arschkriecherei nicht in mein Repertoire gehört, nehme ich an, dass es bald jeder weiß“, ergänze ich und sehe, wie zur Bestätigung Kains Augenbrauen nach oben zucken. Er erwidert nichts, sondern schließt die Augen. Möglicherweise ist nun doch der Zeitpunkt gekommen, um das Ganze zu beenden. Schnell und schmerzlos. „Vielleicht sollten wir…“, beginne ich. „Nein!“ „Du weißt gar nicht, was ich sagen wollte.“ „Aber ich kann es mir denken…und nein!“ „Und wenn ich jetzt vorgeschlagen hätte, für einen Quicki auf Klo zu verschwinden?“ Kain sieht mich an, hin und her schwankend, ob er meiner Aussage Glauben schenken soll oder nicht. „Trotzdem nein“, sagt er und klingt dabei erstaunlich sicher. Wie kann er nur so ruhig sein? Es ist mir ein Rätsel. Stört es ihn nicht? Ich denke an nichts anderes mehr. Ich denke auch daran, dass es Sina weiß und dass mich das nicht ansatzweise aufgewühlt hat. Nicht mal ein bisschen. Doch dass Abel uns gesehen hat, macht mich rasend. Der Gedanke daran, dass Jeff es erfahren könnte, ausgerechnet von ihm, verursacht mir ungewöhnlich viel Unwohlsein. Ich weiß nicht mal wieso. Es ist schließlich nur Sex und Jeff hat mir selbst viel verheimlicht. Er braucht sich also nicht wundern, wenn ich damit bei ihm nicht hausieren komme. „Es scheint dich überhaupt nicht zu stören. Wieso nicht?“ Kain antwortet nicht sofort, sondern zuckt erstmal nur mit den Schultern und wirft die Hände in die Höhe. „Keine Ahnung, es ist nur Abel...“ „Der es Jeff sagt...“ „Und?“ „Das darf er einfach nicht“, belle ich aufgebracht. „Wieso ist es ein Problem für dich?“ „Wieso für dich nicht?“, frage ich Retour. Immerhin hat Kain mehr Image einzubüßen als ich. „Aber es ist doch nichts dabei. Es ist nur... Eigentlich wundert es mich nur, dass sie es nicht längst mitbekommen haben...Ich meine, Sina weiß es auch und wir sind nicht unbedingt zurückhaltend.“ Meine Gedanken hängen dem abgebrochenen Satz nach. „Ist es, weil du noch sauer bist, dass Jeff dir nicht selbst von Abel erzählt hat?“, fährt er fort. „Ich bin und war nie sauer, dass er mir nicht von Abel erzählt hat“, zische ich schärfer als gewollt. Kain legt bedeutungsvoll seinen Kopf schief. „Ich war sauer, dass er mir nicht anvertraut hat, dass er schwul ist. Abel hätte er mir ruhig verheimlichen können. Ich wünschte sogar, mir wäre seine Existenz auch jetzt noch unbekannt“, erläutere ich. Kain schnauft leise und schafft es nicht, sich das Grinsen zu kneifen. Ich verstehe es trotzdem nicht. Er sagt, es sei nichts dabei. Es sei eben nur Sex. Also nichts von Bedeutung, weshalb es ruhig jeder erfahren kann. Kain lehnt weiterhin gegen den Spind und schaut mich an. „Was?“, frage ich, weil ich seinen Blick nicht ganz deuten kann. „Ich weiß nicht, ich kann mir nicht vorstellen, dass dein und Abels Gespräch so gesittet abgelaufen sein soll.“ „Von gesittet habe ich auch nie etwas gesagt. Ich hab es dir nur grob zusammengefasst. Ich wollte ihn einfach nur bitten seinen Mund zu halten...“ Kain seufzt. „Was ist passiert?“ „Wie gesagt, ich wollte ihn einfach nur bitten seinen Mund zu halten... aber dann hat er etwas Fieses gesagt. Ich auch, dann wieder er und dann ich. Und dann hat er mich geschubst und ich ihn... Du weißt ja.“ Kains Augen weiten sich von Wort zu Wort. „Habt ihr euch...“, beginnt er und streckt seine Hand nach mir aus. Er zieht mich am Kragen meiner Jacke näher. Und obwohl ich seine Vermutung gestisch verneine, spüre ich, wie seine warme Hand vorsichtig den Kragensaum meines Pullovers runterzieht und er einen kurzen Blick auf die freigelegte Haut wirft. Kain schließt seine Augen und atmet tief ein. „Ich bin kein Wilder. Ein blaues Auge reicht mir“, beschwichtige ich. Mittlerweile leuchtet es schon Lila. „Lass mich raten, du hast trotzdem weiter provoziert...“ „Nicht mehr, als er mich...“ „Und denkst du nicht, dass das zur Eskalation beigetragen haben könnte?“ „Möglicherweise. Aber ich kann mir ja nicht alles gefallen lassen...“ „Ich meine ja nur, dass du dieses Verhalten besser dossieren könntest“, erklärt er hoch diplomatisch. Ich bin beeindruckt und würde applaudieren, wenn es nicht harte Kritik an meiner Art und Weise wäre. „Ab und an ein bisschen.“ Kain formt zur Verdeutlichung seines Maßnahmenvorschlags einen minimalen Abstand zwischen Daumen und Zeigefinger. Erweitert ihn, um ihn gleich darauf wieder zu verkleinern. Ich greife nach seiner Hand und ersticke die Geste im Keim. „Ich hab es verstanden.“ „Wirklich?“, hakt er nach und betrachtet mich kritisch. Ich drücke seine Hand mit beiden Händen wieder runter und behalte sie gefangen. Kain lächelt und zieht sie nicht zurück. Ich spüre die Hitze, die von ihr ausgeht an meinen Fingern. Auf meine Haut. Erst nach einem Moment entferne ich meine linke Hand und danach auch die Rechte. „Vielleicht“, relativiere ich, wie aus einem Zwang heraus. „Wieso diskutierst du dauernd mit mir, Spatz?“, fragt er und ich funkle ihn wegen des Spitznamens an, zucke aber mit den Schultern. Spaß. Freude. Vielleicht finde ich es auch geil. „Wäre doch sonst langweilig“, argumentiere ich flapsig. Kain sieht kurz an mir vorbei, packt mich ruckartig am Kragen und zieht mich zu sich heran. Ich stoße leicht quietschend die Luft aus, weil es mich überrascht. Mein Körper durchfährt ein aufgeregtes Kribbeln, welches sich in meiner Magengegend bündelt und dort verweilt. Kain grinst gewinnend und fährt dann mit seinen braunen Augen mein Gesicht ab. Diesmal als zärtliche Geste. „Du kannst einfach nicht anders, oder?“, flüstert er. „Wäre doch son...“, setze ich wiederholt an, doch Kain unterbricht mich mit einem gierigen Kuss. Ich fühle mich sofort wie benebelt. Das vertraute Aroma seiner Lippen wird durch das fieberhafte Verlangen in mir nur noch verstärkt. Mein Körper bettelt und giert nach seinen Berührungen und dem Gefühl, ihn ganz nah bei mir zu spüren. Wir hätte niemals damit anfangen dürfen. Das Küssen macht mich weich und schrecklich dumm. Wir hören eine Tür ins Schloss fallen und lösen uns augenblicklich voneinander. Kain räuspert sich und streicht mir die Jacke glatt. „Ich werde noch mal mit Abel reden. Vielleicht bin ich etwas besser in Kehrseite tätscheln, als du.“ In meiner Hosentasche vibriert es. „Wie eloquent du das ausgedrückt hast“, säusele ich und ziehe mein Handy hervor. Ein verpasster Anruf von Brigitta. Mehrere Nachrichten. Seit wann bin ich so beliebt? „Du solltest es Jeff einfach sagen“, rät mir Kain. „Was? Sonst machst du es? ...Ich muss los“, sage ich, schüttele den Kopf, ohne ihm zu erzählen, dass ich es gestern beinahe getan hätte und seither nur noch mehr zweifele. Ich wende mich ab und gehe ich ans Telefon. „Sei gegrüßt, Sahnebaiser...“, flötet meine Lektorin durchs Telefon. „Werden dir jemals diese zuckrigen Begrüßungen ausgehen? Sie sind scheußlich.“ „Niemals, mein kleiner Sour Drops.“ Ich stöhne gequält auf. Nicht nur wegen der sich anbahnenden Zahnschmerzen. „Hey,…wir könnten auch mal zusammen essen gehen…“, ruft mir Kain hinterher und ich drehe mich wieder zu ihm um, lasse das Telefon dabei kurz sinken. „Machen wir doch…ständig in der Mensa“, erwidere ich abschließend und ebenso laut. Ich lasse ihm keine Zeit, etwas zu erwidern und gehe schnurstracks Richtung Ausgang. „Okay, was willst du?“, frage ich ruppiger als nötig, als ich wieder rangehe. „Zuckerhase, du solltest das Angebot annehmen. Ein wenig Zerstreuung täte dir ganz gut...“ „Beim Mittagessen?“ „Für mich klang, dass nach einem Date.“ „Mach dich nicht lächerlich.“ Brigitta seufzt, als ich das sage und murmelt mehrere Male `Oh man, Oh man`. Ich kann mir vorstellen, wie sie ihre Brille zurück auf die Nasenwurzel schiebt und ihren Kopf schüttelt. „Hast du die Reiseunterlagen bekommen?“, erkundigt sie sich, ohne weiteren Small Talk. Ich weiß es sehr zu schätzen. Ich bin sowieso nicht ganz bei der Sache. „Ja.“ „Wirst du es schaffen?“ „Hab ich denn eine Wahl?“ „Du klingst, als würde ich dich zu einer Untat zwingen.“ „Ihr begeht die Untat, weil ihr mich auf naive Mädchen loslassen wollt. Ich werde Träume vernichten, das ist euch klar? Nicht, dass es mich stört“, erkläre ich wahrheitsgemäß und bleibe vor dem Wohnheim stehen. „Du bist gar nicht so hart, wie du immer tust...“ Ich ziehe mir wieder eine Zigarette hervor, schiebe sie mir zwischen die Lippen und zünde sie diesmal an. Aus den Augenwinkel heraus sehe ich Jeff und Abel im Foyer stehen und reden. Sofort wende ich meine volle Aufmerksamkeit den beiden zu. Ich spüre, wie mein Herz zu rasen beginnt, wie die Zigarette auf und ab wippt, weil meine Hände zittern. „...hast du gehört?“ Damit holt mich Brigitta kurz zurück. „Ehrlich gesagt nicht. Ich melde mich später noch mal, okay?“; sage ich und lege auf. Im selben Moment blickt Jeff zu mir und bewegt sich zur Tür. Als Abel erkennt, wen sein Freund entdeckt hat, ändert sich sein Gesichtsausdruck schlagartig. Ich könnte schwören, dass es in seinen matten Iriden zu funkeln beginnt. Nur für einen Moment, aber so intensiv wütend, dass sich mein Magen einmal mehr verdreht. Jeff drückt energisch die Tür auf. „Ist es wahr?“ ...................................................................................................................... PS: Ich danke euch von Herzen! Aufrichtig und ehrlich, auch wenn ich eine schrecklich lahme und unbefriedigende Kommiebeantworterin bin!! Es tut mir echt leicht T__T Ich verspreche, dass ich es morgen nachhole und hoffe, ich kann euch mit dem neuen Kapitel gnädig stimmen. Ihr seid die Besten Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)