Between the Lines von Karo_del_Green (The wonderful world of words) ================================================================================ Kapitel 21: Enemys at the kitchen floor --------------------------------------- Kapitel 21 Enemys at the kitchen floor -Brauche etwas Zeit- Drei einfache Worte. Kain bleibt seinen Emojis treu. Doch dieses Mal sagt mir das Emojicon mehr als es ein Wort je hätte sagen können. Am Ende prangt mir eine Spielkarte entgegen. Ein Joker. Eines meiner Vetos. Es ist wie ein Schlag. Das Kain davon Gebrauch macht, bedeutet nichts Gutes. Unwillkürlich greife ich an meine Hosentasche. Es befindet sich keine der Karten darin und dennoch entbrennt ein schmerzendes Bersten in meinen Fingerspitzen. Ich lese die Nachricht erneut. So oft, bis das stechende Gefühl dumpf wird, aber nicht verschwindet. „Hat sie mit dir Schluss gemacht?", spottet es mir von der Seite entgegen und ich lasse das Telefon in der Hosentasche verschwinden. Mandy ist mit ihrer Tochter aus dem Gästebad gekommen und beobachtet mich auffällig. Wir konnten uns noch nie wirklich leiden. Ich bin allerdings nicht ganz unschuldig daran. In der Grundschule kokelte ich unabsichtlich ihr Lieblingsstofftier an und verfütterte ein paar Mal ihre Hausaufgaben an den Nachbarshund. Alles im Sinne der Wissenschaft. Ich wollte wissen, wie effektiv die Verdauung von Tieren ist und wie hätte ich als 8- jähriger erahnen können, dass eine Lupe in Verbindung mit Sonnenschein gefährlich werden kann? Kinder sind einfach grausam. Allerdings habe ich in der 11. Klasse dann versehentlich ausgeplaudert, dass sie auf den Freund ihrer besten Freundin stand, weil ich noch nie sonderlich gut darin war, Gesichtern den passenden Namen zu zuordnen. Ich betone, es war ein Versehen. Es gab Drama ohne Ende und ich habe mich nie dafür entschuldigt. Wieso auch? Sie war auch nie nett zu mir. Mandy ist ein Jahr älter als ich und schien dadurch der Vorstellung zu unterliegen, dass sie höher gestellt war als ich. Die Tatsache, dass sie dazu auch immer körperlich größer gewesen ist, machte es nur noch schlimmer. Ein primitiver Klassiker und möglicherweise waren die Versehen nicht so versehentlich, wie ich es andeute. Ich werfe meiner Cousine einen genervten Blick zu und taste unbewusst erneut nach dem Telefon in meiner Hosentasche. Ich habe es versaut. „Ich kann mir das gar nicht vorstellen“, lästert sie weiter und holt mich aus meinen Gedanken. Sie schüttelt ihre dunkelblonde Mähne und wischt Spucke vom Mund ihres Kindes. Ich verziehe das Gesicht und trabe missmutig in die Küche. Mandys Ausruf lasse ich absichtlich unerfragt. Ich will keine Konversation führen und vor allem keine der sich andeuteten Diskussionen beginnen. Leider sieht es meine Cousine anders und folgt mir unaufgefordert in den Nachbarraum. „Du und eine Freundin…“ Sie lacht. Im Grunde eine Vorstellung, die mir selbst so fremd ist, dass mich ihr Gelächter kaum stört. Dennoch hat sie nicht das Recht, sich darüber zu amüsieren. „Wer ist nochmal der Vater dieses Kindes?“, frage ich bewusst rabiat und erziele einen Treffer. Mandys Kiefer spannt sich an und sie weicht meinem Blick aus. Versenkt. Mandys kleine Tochter quietscht zur Bestätigung und beginnt zu brabbeln. „Es ist trotzdem albern, was du tust.“ „Du weißt einfach nicht, wann Schluss ist, oder?“ „Und wenn schon, das ist nicht so peinlich, wie in deinem Alter seine Freundin zu verheimlichen“, sagt sie trotzig. Unser kindisches Spiel geht weiter. Wer wird das letzte Wort haben? Ich fühle mich nicht konzentriert genug, um effizient dagegen zu halten. „Wer verheimlicht seine Freundin?“, fragt Lena, die genau in diesem Moment die Bühne betritt. Großartig. Sie bleibt neben Mandy stehen und wobbelt dem Baby am Ohr herum. Danach nimmt sie drei Gläser aus dem Schrank. „Robin.“ „Du hast eine Freundin?“, fragt Lena belustigt und beobachtet meine Reaktion argwöhnisch. Sie wäre sicher beleidigt, wenn sie es durch jemand dritten erfahren müsste. Wobei es sowieso am wahrscheinlichsten ist, dass sie so etwas durch Jeff mitbekommt und nicht durch mich. „Nein, hab ich nicht.“ Ich nehme mir eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und übersehe absichtlich das hingehaltene Glas von Lena, als ich ansetze und daraus trinke. Selbst als das Glas direkt vor meiner Nase wackelt. Ich bin gnadenlos und lasse es meine Schwester wissen, indem ich ihr danach noch die frisch befeuchtete Zunge rausstrecke. „Und wer ist dann Brigitta?“, wirft Mandy nach einer Atempause ein und ignoriert gekonnt den nächsten Schwall Spucke, der von den brabbelnden Lippen ihres Babys fließt. Nun richten sich Lenas Augen aufmerksam auf mich. Denn auch sie hört den Namen zum ersten Mal. Ich fühle mich genötigt, zu antworten. „Brigitta ist... Wir arbeiten zusammen. Mehr nicht.“ Ich stoppe noch rechtzeitig, bevor ich die wahre Tätigkeit meiner Lektorin ausplaudere. Doch das verwendete Klischee macht das Ganze nicht wirklich besser. „Klar…“, mischt sich nun auch Lena skeptisch ein. Ich versuche sie mit meinem Blick nieder zu strecken, aber leider ist er nicht mehr so wirksam, wie vor 10 Jahren. „Es klang nicht wie eine Kollegin“, kommentiert Mandy und greift sich ein Glas. „Hat man euch schon mal gesagt, dass ihr nervt!“, gebe ich trotzig von mir. Ich kann auch noch 10. Klasse. Lena stemmt die Arme in die Hüfte, fixiert mich und kommt auf mich zu. Sie bleibt direkt vor mir stehen und drückt mir ihren Finger gegen die Brust. „Hat man dir schon mal gesagt, dass deine Geheimniskrämerei übertrieben und kindisch ist!“ „Ja, Jeff, täglich, doch es ist mir egal.“ „Du. Bist. Ein. Blödmann“ Bei jedem Wort wackelt ihr Kopf hin und her. „Und? Du bist ja auch nicht ganz dicht…“, gebe ich neckend retour und komme nicht umher, zu grinsen. „Aber ich bin immerhin niedlich…Und ist sie nun deine Freundin?“ Ich verdrehe nach diesem platten Versuch die Augen, greife meine Flasche und verkrümle mich zurück in mein Zimmer. Fast schon automatisch setze ich mich an den Computer, tippe mein Passwort ein und öffne das Buchskript. Ich beginne von vorn. Das erste Kapitel lese ich, ohne irgendwelche Korrekturen vorzunehmen. Danach lese ich es erneut und setze den virtuellen Rotstift an. Ich suche nach Wortdopplungen, nach präziseren Beschreibungen und entferne Worte, die nichts zur Stärkung des Satzes beitragen. An einigen Stellen frage ich mich, was ich mir dabei gedacht habe und kassiere den kompletten Absatz. So verfahre ich bis zum 10. Kapitel. Ich ignoriere den Aufruf zum Abendbrot. Auch die persönliche Aufforderung meiner Mutter, die bei mir an der Tür erscheint, wimmele ich mit einem Lächeln ab. Ich habe immer eine passende Ausrede parat. Es ist bereits dunkel, als ich das nächste Mal von Bildschirm aufblicke. Meine Finger sind eiskalt und mein Magen verdeutlicht mir, dass ich zu wenig gegessen habe. Meine Augen gleiten über die letzten geschriebenen Zeilen und ich spüre, dass ich fast fertig bin. Dieses besondere Gefühl bekomme ich jedes Mal wieder. Es ist eine Mischung aus Erregung, Spannung und Zufriedenheit. Auch Stolz. Manchmal auch mit einer Spur Scham. Doch dieses Mal ist da noch etwas anderes. Etwas Negatives. Ich denke nicht weiter darüber nach, speichere das Dokument und streiche mir über den flachen, grummelnden Bauch. Im Haus ist es ruhig. Meine Mutter und Hendrik sitzen scheinbar im Wohnzimmer. Ich höre die leisen Stimmen aus dem Fernseher, sehe das flackernde Licht und biege in die Küche ab. Ein langer Blick in den Kühlschrank. Ich bin unschlüssig. Mein Magen protestiert gegen die Leere, doch richtigen Appetit habe ich nicht. Unschlüssig greife ich mir die Käsepackung, Margarine und Senf. Ich krame zwei Scheiben Brot hervor und verteile das Streichfett und die Scheiben darauf. Ich stoppe, als ich Schritte vernehmen. Als ich zur Seite blicke, sehe ich Hendrik, der sich ein Bier aus dem Kühlschrank nimmt. „Möchtest du auch eins?“, fragt er mich ruhig und ich bin mir nicht sicher, ob er es ernst meint, oder mich nur testet. „Nein, danke“, lehne ich ab und verteile einen Klecks Senf auf meiner Käsestulle. Aus Bier mache ich mir sowieso nichts. Ich streiche den Senf überall hin. Danach klappe ich die beiden Enden zusammen und positioniere mich gegen den Küchentresen. Hendrik ist noch immer nicht gegangen, weshalb ich fragend zu ihm sehe. Mit der kühlen Flasche in der Hand lehnt auch er gegen dem Küchenschrank. Sein Daumen tippt gegen das feuchte Glas, bevor er einen Schluck trinkt. Er wiederholt es und sieht mich dabei an. „Was?“, entflieht mir mit der Geduld eines Toasts. Hendriks Schultern straffen sich augenblicklich. „Was ist los, Robin? Hast du mit irgendjemanden Ärger? Stress?“, fragt er endlich, bevor wir uns weitere 10 Minuten schweigsam anstarren. Ich seufze nur schwer als Antwort und knabbere appetitlos an den überstehenden Käseenden. Etwas Senf benetzt meine Lippen und ich lecke die Schärfe davon, während sich Hendrik strenger Blick tiefer in meine Zellen brennt. Seine vergangene und gegenwärtige Taktik, Antworten aus mir herauszubekommen. Damals, wie heute ein nutzloses Prozedere. Wenn ich nicht will, dann rede ich nicht. Es ist mir ein Rätsel, warum er es immer noch versucht, da es nie funktioniert hat. Aber es ist nicht das Einzige. Eigentlich hatte er es mit allem versucht. Freundlichkeit. Verständnis. Strenge. Wut. Nichts davon hatte wirklich geholfen, denn ich könnte und wollte keinen Vater in ihm sehen. Wie so vieles wurde er mir nach dem Verschwinden meines Vaters vorgesetzt. Meine Mutter sah in Hendrik die Möglichkeit, aus der tiefen, dunklen Grube herauszukommen, in der sie sich nach Renes Tod gefangen fühlte. Sie wollte einen Neubeginn. Sie wollte einfach wieder Leben und ließ dabei unbewusst mein kindliches Ich in der Dunkelheit zurück. Denn ich konnte nicht einfach wieder leben. Auch ein Stiefvater und eine kleine Schwester hatten nichts daran geändert. Damals hatte ich das Gefühl, dass die Zeit stillstand. Es schien kein Ende zu nehmen. Doch wenn ich heute zurückrechne, liegt zwischen Renes Tod und Lenas Geburt nur ein Flügelschlag. Erst jetzt nehme ich einen ersten richtigen Bissen von meiner traurigen Mahlzeit und kaue lustlos auf dem zähen Pamps herum, der sich kurz darauf in meine Mund bildet. Mein Hungergefühl ist schon wieder verschwunden und missmutig lege ich das Brot zurück auf das Holzbrett. „Hör zu, deine Mutter macht sich Sorgen…“, setzt mein Stiefvater an. „Muss sie nicht“, unterbreche ich ihn. Ich sehe aus dem Augenwinkel heraus, wie er einen Schluck aus der beschlagenen Flasche nimmt. Ich höre das feine Seufzen, welches von seinen Lippen perlt und vermute Resignation. „Sie ist deine Mutter. Für sie ist sich Sorgenmachen, wie atmen. Und ich merke es auch.“ „Was merkst du?“, frage ich unbeeindruckt und irgendwie unangebracht belustigt. „Dass es dir nicht gut geht. Ich meine, du warst noch nie der gesprächige Typ… schon klar, aber im Moment bist du…“ Er bricht unerklärt ab und seufzt erneut. „Geht es dir wirklich gut? Willst du über irgendwas reden?“ „Hendrik, es ist nichts. Nichts, was ich nicht allein lösen kann“, sage ich mit Nachdruck. „Okay.“ Er gibt endlich auf. Ich beiße ein weiteres Mal appetitlos von meinem Brot ab. Hendrik deutet mir an, dass ich ihm die rausgeräumten Lebensmittel reichen soll und stellt sie zurück in den Kühlschrank. Unschlüssig starre ich auf die Stulle und in meinem Kopf wiederholt sich die Frage nach meinem Befinden. Nein, es geht mir nicht gut. Das mit Kain belastet mich. Mehr als mir lieb ist. Ich würde gern mit ihm reden, mich erklären und mich vor allem noch mal entschuldigen. Aber wer weiß, ob das noch etwas bringt. Bevor sich Hendrik endgültig aus der Küche verabschiedet, kommt er an mir vorbei und drückt mir ein Eis in die Hand. Es ist ein Dominoeis. Meine Lieblingssorte. Ich sehe nicht auf, aber spüre, wie sich für wenige Sekunden seine kühle Handfläche gegen die Seite meines Kopfes legt, gegen meine Schläfe und wie sie sachte durch mein Haar streicht. Nur eine kurze liebgemeinte Geste, die mich tief in meinem Inneren wissen lässt, dass er allem Widerstand zum Trotz ein guter Ersatz gewesen ist. Zurück in meinem Zimmer hole ich das Eis aus der Verpackung. Ich lecke die ersten getauten Nasen zwischen den Waffelhälften davon und lasse meine Zunge tief in das cremige Eis eintauchen. Ich widme mich erst der Schokoladenhaube, als ich mir sicher bin, dass mir die untere Hälfte nicht so schnell davon schmilzt. Der feine Knack ertönt, als die Schokolade an einer Ecke bricht. Ich spüre den zarten Schmelz auf meiner Zunge. Die erst süße und dann herbe Note, die sich mit dem vanilligen Aroma des Eises paart. Ich genieße die Kälte auf meinen Lippen und das seltsam befriedigende Gefühl in meinen Fingerspitzen. Als ich mich genießerisch zurücklehne, koste ich ein weiteres Mal das aromatische Innenleben und schließe die Augen. Mit Eis ist alles einfacher. ~Energie setzt sich frei, die das Herz immer schneller schlagen lässt. Blut pumpt sich durch die Adern. Pulsierend. Heiß. Die Atemfrequenz steigt. Der Puls rast...Ein guter Kuss macht süchtig.~ Ein heißer Schauer arbeitet sich augenblicklich von meinem Nacken über meinen Rücken, als ich mich an die gehauchten Worte des Schwarzhaarigen erinnere. Schlagartig setze ich mich auf. Kains Stimme echot in meinem Kopf umher und ich könnte schwören, erneut seinen warmen Atem an meinem Hals gespürt zu haben. Fahrig streiche ich mir über genau diese Stelle und merke, wie sich meine Körpertemperatur erhöht. Nichts als Einbildung. Jetzt fange ich schon an, zu halluzinieren. Frustrierend. Und die ganze Ungewissheit darüber, wie sich Kain entscheiden wird, macht alles nur noch schlimmer. Er hätte einfach gleich sagen sollen, dass ich seine Gutmütigkeit vollends überstrapaziert habe. Genervt von dieser inneren Zerrissenheit wandere ich vom Arbeitsbereich weiter zum Bett und lasse mich samt Eisreste darauf fallen. Wiederholt blitzen Bilder unseres letzten gemeinsamen Zusammenseins auf. Es hat sich gut angefühlt und genau deswegen macht mich der Gedanke daran jedes Mal wieder wahnsinnig. Ich vertilge die letzten Reste der kalten Köstlichkeit und bleibe mit dem dezenten Aroma von Vanille auf dem Rücken liegen. Meine Hand lege ich auf den Bauch. Ich bin mir nicht sicher, ob das seltsame Gefühl darin Unwohlsein oder nur Hunger ist. Vielleicht ist es auch etwas anderes? Nein. Sicher nur Hunger. Eine Zigarette wäre jetzt gut. Nur sind meine geheimen Vorräte aufgebraucht und die Packung, die ich noch hatte, liegt ungeraucht in Jeffs Wagen. Ich streiche mir langsam über den Bauch, treffe nach einer Weile auf blanke Haut und den stoppeligen Pfad zu meinem Intimbereich. ~ Ein guter Kuss macht süchtig~, wiederholt sich in meinem Kopf. Wahrscheinlich ist es das. Mein Körper lechzt nur nach dem Dopamin, nach dem Serotonin. Nach diesem verräterischen Cocktail von Glückshormonen, der nach jedem Orgasmus meinen willenlosen Leib durchfließt. Er will einen weiterer Schuss Endorphine. Mehr nicht. Am späten Abend schickt mir Jeff eine reichlich belanglose Antwort auf meine ebenso nebensächliche Andeutung. Für einen Moment grübele ich darüber, ob er meine Anspielung nicht verstanden hat oder einfach nur nicht verstehen wollte. Ich entscheide mich dagegen, explizit nach zu bohren. Nach zwei weiteren Tagen ohne frivole Urlaubsimpressionen werde ich dennoch misstrauisch. Theoretisch kommen die beiden in zwei Tagen wieder und statisch gesehen ist Urlaub der größten Beziehungskiller schlechthin. Diskussionen ohne Ende, Unstimmigkeiten und Streit sind bekannte Symptome und die beiden Blonden sind schon ohne Urlaub um keinen Streit verlegen. Eine Trennung wäre der bestmögliche Ausgang für jeden. Jeff könnte sich endlich wieder entspannen. Ich wäre Abels dummes Gesicht los und wenn Kain wirklich beschließt, unser lockeres Arrangement zu beenden, dann hätte er auch keinen Grund mehr, bei mir zu übernachten. Etliche Probleme weniger. Alles könnte wieder so werden wie früher, bevor Jeff die Bombe hat platzen lassen. Ja, eigentlich ist mein Kindheitsfreund an allem Schuld. Ich seufze schwer und gestehe mir schnell ein, dass der Gedanke dumm und kindisch ist. Nur eine Ausrede, um mit meinen eignen Unzulänglichkeiten klar zu kommen. Am letzten Tag ihrer Reise bekomme ich etliche Impressionen nachgeliefert. Noch einmal Sonne, Strand und Meer. Jeff und Abel. Genaugenommen ist es mein Mitbewohner und ein kleiner dressierter Affe, aber die Ähnlichkeit ist bemerkenswert. Danach folgt noch ein Bild mit dem echten Abel. Ich sehe kaum einen Unterschied. Ich wünsche beiden einen guten Rückflug und bin mir nicht einmal sicher, ob Jeff zunächst zurück zum Campus fährt oder direkt zu seiner Mutter. Ich bin und bleibe ein schlechter Zuhörer. Zwei Tage später lehne ich mich neugierig zurück, als ich aufgeregte Stimmen im Flur höre. Lena ist am lautesten. Meine Mutter lacht. Dann vernehme ich Jeffs Stimme und lächele unwillkürlich mit. Ein paar Minuten später lehnt mein Kindheitsfreund keck grinsend im Türrahmen. „Aloha, du oller Stubenhocker! Bist du in den letzten Wochen überhaupt mal rausgekommen?" Jeff trägt kurze Hosen, die einen guten Blick auf seine braungebrannten Unterschenkel eröffnen. Eine Blumenkette um seinen Hals schreit förmlich nach Insel und billigen Plastik. Nur das langärmliche Shirt passt nicht wirklich in das Paradiesoutfit. „Na wenigstens muss ich mir keine Sorge über maligne Melanome machen.“ „Schon mal etwas von Vitamin-D-Mangel gehört?“, gibt er retour. Treffer. „Ist Aloha nicht hawaiianisch?“, frage ich ablenkend und richte meinen Blick zurück auf den Monitor, bevor sich Jeffs sonnengeküssten Arme um meinen Hals schließen. Seine Wange bettet sich gegen meine und ich nehme den vertrauten Geruch meines Jugendfreundes wahr. Er paart sich mit einem Hauch Kokosnuss und dem salzigen Aroma des Meeres. Bevor ich die Umarmungen erwidere, schließe ich meine Augen, erinnere mich an das Gefühl von Sand und Meer auf meiner Haut. Danach lege ich meine Hand gegen seinen Unterarm, streiche ein, zweimal leicht hin und her. „Ist es seltsam, wenn ich sage, dass mir dein notorisches Gegrummel gefehlt hat?“, sagt er witzelnd. „Es ist auf jeden Fall bedenklich“, merke ich ruhig an. Jeff drückt mich kichernd noch etwas fester und richtet sich dann wieder auf. Ich weiß, dass er lächelt. „Wo genau seid ihr eigentlich gewesen?“, frage ich, lehne mich zurück und folge mit dem Blick meinem Mitbewohner in die andere Hälfte des Zimmers. Jeff bleibt neben dem Bücherregal stehen. Genauso, wie es Kain getan hatte. Auch er streckt seine Hand nach einem Buch aus und zieht es mit dem Zeigefinger nach vorn. Es kippt nicht, sondern bleibt am darüber befindlichen Regalbrett hängen. Mit einem rumsenden Geräusch fällt es wieder zurück. „Fidschi Inseln. Es war traumhaft…Viel Sonne, warmer Sand und ununterbrochen leckere Cocktails.“ Mit diesem schwärmerischen Kommentar sieht er wieder zu mir. Sein Grinsen ist breit und übertrieben. Es wirkt gekünstelt. „Ja, dank deines Bildermarathons fühlte ich mich selbst ununterbrochen betrunken…danke dafür“, sage ich sarkastisch. Jeff lacht laut auf und weicht auffällig meinem Blick aus, indem er aus meinem Sichtfeld verschwindet. Es war nicht ganz das Paradies, was er suchte. „Und habt ihr euch da irgendwas angeguckt?“, hake ich nach und folge ihm notgedrungen in den anderen Teil des Zimmers. Jeff ist vor der schmalen Balkontür stehen geblieben und dreht sich um, als ich fast neben ihm stehe. „Na ja, wir waren hauptsächlich zum Rumliegen, Cocktails trinken und Vögeln da…von daher haben wir nicht viel gesehen. Abgesehen vom Pool. Dem Balkon. Dem Strand und einmal auch ein Boot“, kommentiert er zwinkernd meinen kleinkarierten Versuch, wirkliches Interesse an seinem Urlaub zu heucheln. Jeff grinst dümmlich und hat es nur in so einer Deutlichkeit gesagt, um mich zu ärgern. „Oh bitte…zu viel Information…“, sage ich weniger ablehnend, als es den Anschein erweckt. „Du hast gefragt, also komm damit klar.“ Mein Mitbewohner lässt sich schwungvoll aufs Bett fallen und angelt nach der Zeitschrift, die ich mir aus Langeweile von Lena geliehen habe. Es ist noch immer die Seite mit den Beziehungstipps geöffnet. Als seine Augenbraue fragend nach oben wandern, versuche ich, ihm die Zeitschrift wegzunehmen. Ohne Erfolg. Ich werfe mich ans Fußende und blicke zur Decke. Jeff studiert aufmerksam die Seite mit den Tipps für besseren und befriedigenden Sex. „Und hat es dir gefallen?“ „Es war sehr befriedigend…“ Ich verdrehe meisterlich die Augen und mir ist sehr wohl bewusst, dass er im Grunde meiner Frage ausgewichen ist. „Wo ist eigentlich Ben?“, fragt er hinterher, schaut sich kurz um und blättert einmal vor und wieder zurück. Anscheinend sind die Tipps lesenswert. „Hab ihn geraucht“, kommentiere ich trocken und betrachte ein paar Staubflöckchen, die sich im nicht spürbaren Luftzug bewegen. Ohne es zu sehen, weiß ich, dass für einen kurzen Augenblick Jeffs Gesichtszüge entgleisen. Obwohl er weiß, dass ich das seiner geliebten Grünpflanze niemals antun würde. Jeff wartet auf die Anzeichen eines Scherzes, doch ich rege mich nicht. „Bisschen krümelig, aber ansonsten sehr… aromatisch...“, lege ich nach und werde auf der Hälfte meines fiesen Spruches von einem angeflogenen Kissen unterbrochen. Es landet mitten in meinem Gesicht. „Oh, dafür lasse ich dich leiden…“, versichert er mir. Sein Blick spricht Bände und obwohl ich darüber lache, weiß ich, dass Jeffs Rache definitiv zu spüren sein wird. Jetzt mit der Anwesenheit meines Kindheitsfreundes wird es mit meiner selbst auferlegten Scheinisolation komplett vorbei sein. Wie schnell wird mir erst klar, als sein Handy summt und er nach dem lesen der Nachricht grinsend aufsieht. „Eigentlich wollte ich dich noch einen Tag schonen, aber jetzt…gehen wir aus.“ „Wann?“, frage ich wenig beunruhigt und reichlich desinteressiert. „Heute Abend.“ „Wohin?“ „In eine Bar.“ Ich sehe von der Zeitschrift auf, die ich mir heran gezogen habe. „Nee …“, gebe ich nach minimalistischer Bedenkzeit von mir und drehe mich samt Schundblatt von Jeff weg. Ein kurzer Blick auf die Seiten bestätigt meine schlimmsten Ahnungen. Darin stehen Tipps wie zeitintensives Kuscheln und ein gutes, ausgiebiges Vorspiel. Anscheinend hatte bisher keiner der Autoren einen guten Quickie. „Dir ist schon klar, dass ich dein ´Nee´ nicht gelten lasse.“ Jeff lehnt sich auf meine Seite und greift sich das Klatschblatt. Ich ächze übertrieben und gebe mich geschlagen. „Ezra und Marten haben mir vor einer Weile erzählt, dass sie ein eigenes Geschäft eröffnen wollen. Nun ist es so weit“ Ezra und Marten sind zwei ehemalige Mitschüler. „Hier in der Pampa?“ Entweder ist das die dümmste Idee des Jahrhunderts oder brillant. Der Laden könnte ein Hotspot der Jugend werden. Jedenfalls von den wenigen, die hier noch übrig sind. „Japp.“ „Eine Bar voller Dummquatscherei und gegeltem Haar“, deute ich. Die beiden gehörten immer zu der besonders schnöseligen Sorte und wir waren schon zu Schulzeiten nur damit beschäftigt, uns gegenseitig zu foppen. Ich habe kein Bedürfnis, das aufleben zu lassen. Und im Grunde hatte wir nie viel miteinander zu tun. „Frisch gezapftes Bier, Wodka und...Tequilaa…“, beginnt Jeff zu schwelgen. Er betont den Agaven-Brand besonders und in mir kommen Erinnerungen hoch, die eine brennende Zunge, einen Tag Übelkeit und malträtierende Kopfschmerzen enthalten. Trotz meiner mangelnden Begeisterung fängt Jeff an zu kichern und mimt ein hasenartiges Erdmännchen. Mein Blick bleibt skeptisch. Auch wenn mein Kindheitsfreund mittlerweile ein Meister im Machen dummer Gesichtsausdrücke ist. „Du nervst“ „Ja, ja. Du, mein Lieber, bist von allem genervt, was nicht gleich Männchen macht.“ „Männchen macht?“, hake ich irritiert nach. „Okay, wenn du mit mir zur Eröffnung kommst, dann...gehe ich mit Lena zu dem One-Direction-Konzert.“ Am besten war die dramaturgische Pause. Er präsentiert es als Idee des Jahrzehnts und leider muss ich zugeben, dass ich nicht abgeneigt bin. Großversammlung von kreischenden Teenwesen oder peinliches Aufeinandertreffen von alten Schulmenschen. Im Grunde ist es die Wahl zwischen Pest oder Cholera. Wobei aus medizinischer Sicht Cholera die eindeutig bessere Wahl wäre, denn das ist mit ausreichend Wasser und Elektrolyte relativ gut behandelbar. Genauso wie ein Kater. Die Frage, die bleibt, ist, woher er schon wieder von Lenas Plänen weiß. „5 seconds to summer“, berichtige ich, ohne mich wirklich für oder gegen seinen Vorschlag auszusprechen. In der Bar gibt es Alkohol und der Tequila klingt mit einem Mal sehr verlockend. Es bleibt Pest oder Cholera. „Dahin auch... Komm schon!“ Eben hieß es noch, er würde mich zwingen und nun blicken mir zwei bettelnde blaue Augen entgegen. Standhaft ist anders. Er sollte das dringend üben. Ich schrecke zusammen, als mit einem Mal Musik erklingt. Passende Barmusik. Den Titel erkenne ich nicht. Doch nach nur wenigen Takten ist selbst mir klar, dass es ein Handy sein muss. Meins ist es nicht. Bei Jeff dauert es etwas länger. „Oh, oh…wo ist es?“ Jeff beginnt zu suchen. Erst, nachdem er das Kissen zur Seite schiebt, wird das Geräusch lauter. Er blickt auf das Display und runzelt verwundert die Stirn. „Sag dem IT-Futzi endlich, er soll aufhören rumzulabern und dich nach einem Date fragen“, kommentiere ich in der Annahme, dass Jeffs eigenartiges Verhalten nicht durch den sonstigen Anhang ausgelöst wird. „Es ist nicht Jake….“, murmelt er errötet und geht ran, „Hey, Kain.“ Bei der Erwähnung des Schwarzhaarigen ist es an mir, beschämt zur Seite zu blicken. Zu meinem Glück bemerkt er die für mich untypische Reaktion nicht. Ich versuche, nicht genau hinzuhören. Natürlich funktioniert es nicht. Ich nehme nichts anderes mehr wahr, als die leise, gedämpfte Stimme Kains, die aus Jeffs Handy dringt. Es könnte jeder sein, der spricht, doch mein Kopf simuliert die vertraute Stimme des Biotechnologen, als würde er direkt neben mir stehen. Mein Körper reagiert und ich hasse ihn dafür. Ich schmule in Jeffs Richtung. Sein Kopf bewegt sich beim Telefonieren leicht hin und her und seine Hände beginnen, an irgendwas herumzufummeln. Als er mich ansieht, weiche ich seinem Blick aus. Jeff wünscht dem anderen Mann eine schöne Zeit, legt sich wieder hin und bettet seinen Kopf zurück an meine Schulter. „Was wollte er?“, frage ich beiläufig. „Er fährt morgen zurück zum Campus und wollte mich fragen, ob er mein Auto noch woandershin benutzen kann.“ Ich horche auf. „Woandershin?“, hake ich nach. „Jup,…“, erwidert er unaufgeregt und ich möchte ihn erwürgen. „Und wohin?“, bohre ich mit zusammengebissenen Zähnen weiter. Neugieriger, als ich wollte und aggressiver, als ich sollte. Das merkt auch mein Jugendfreund. „Keine Ahnung. Er hat es mir nicht gesagt und ich habe ihn nicht gefragt. Du kannst ihn doch selbst fragen“, wirft Jeff gerechtfertigt ein und in meinem Magen wird es flau. Ich denke an Kains Nachricht und setze mich auf. Jeffs Kopf rutscht auf das Laken. Ich denke nicht, dass Kain will, dass ich mich nach irgendwas erkundige. Noch weniger will er, dass ich meine absurde Neugier stille, nur weil ich jedes Mal wieder dieses schrecklich beißende Gefühl verspüre. Er braucht Zeit. Seine Nachricht echot in meinem Kopf umher wie ein höhnender Peitschenknall. „Hey…“, hakt Jeff verwundert nach. Anscheinend hat er mich etwas gefragt, doch ich habe es nicht einmal mitbekommen. Es ist zum Verrücktwerden. Gut, ich wähle die Cholera. „Heute Abend, sagst du? Ich komme mit und du zahlst…“, sage ich und gebe damit meine Einwilligung für den feuchtfröhlichen Abend. Jeff grinst, angelt zufrieden nach der Zeitschrift und versucht danach herauszubekommen, was für ein hypothetischer Beziehungstyp ich sein könnte. Ich bin mehr Typ, als Beziehung. Dank Jeff kommen wir nach der Eröffnungsansprache und der Lobhudelei bei der Bar an. Ich preise stillschweigend seine Unfähigkeit, sich für ein Outfit zu entscheiden an und will nichts weiter, als schnell an einen Drink kommen. Es sind bereits eine Menge Leute hier. Sie tummeln sich an der Bar, bilden kleine Grüppchen an Stehtischen und scheinen alle bester Stimmung. Meine hingegen scheint mit jedem weiteren Gesicht zu eskalieren. Ich habe schon drei Leute wiedererkannt. Jeff zieht mich zur Bar, wo wir nach nur kurzem Check vor Marten stehen. Die Begrüßung gleicht einer übertriebenen inszenierten Alte-Freunde-Zeremonie. Ich ergebe mich unwillig der aufgezwungenen Körperattacken und nicke wie ein braver Lemming, als Jeff ausplaudert, wie sehr wir uns freuen, an der Eröffnung teilzuhaben. Marten hat sich optisch kein bisschen verändert. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er dasselbe Sakko trägt, wie zu unserer Abschlussfeier. Es hat jedenfalls dieselbe Matschfarbe, wegen der ich mich schon damals fragte, wo sein Geschmack geblieben ist. Der gleiche Gedanke jagt auch jetzt durch meinen Kopf und erzeugt seltsame Assoziationen von tanzenden Lurchen. „Ah Moment, ich möchte eure Ausweise sehen!“, kommt es plötzlich von der anderen Seite und als wir uns umdrehen, kommt Ezra auf uns zu. Er war schon damals ein recht großer, breiter Kerl und hat noch etwas draufgelegt. Echt imposant. Er breitet seine Arme aus und die Begrüßungsphrasen beginnen von neuem. „Ihr zwei hockt also immer noch aufeinander? Wie 90er.“ Marten blickt in meine Richtung und zwinkert dann zu Jeff gewandt mit dem linken Auge. Der lächelt nur. „Und ihr teilt euch noch immer den Lebensvorrat an Hairstylingprodukten. Wie 50er“, kommentiere ich, nachdem mir beim besten Willen keine überzeugende Deutung für Martens Zwinkerei einfallen will. Von den beiden Männern mit Föhnfrise ernte ich dafür Gelächter und von Jeff einen beinahe unglücklichen Tiefschlag. „Schön, dass ihr hier seid!“, greift Ezra auf und lächelt. „Darauf sollten wir anstoßen.“ Marten schiebt uns 4 Gläser mit klarer Flüssigkeit und einer Scheibe Zitrone entgegen. Tequila. Das Salz folgt auf einen kleinen Holzteller. „Wie war das noch mal?“, fragt Jeff. Er greift nach der Zitrone führt sie zu seinen Lippen und deutet dann auf das Häufchen mit Salz. Danach deutet er einen Wechsel an. Wer in unserem Alter nicht weiß, wie man Tequila trinkt, sollte sich verbuddeln lassen. Ich kippe das Glas ohne Schnickschnack runter und ignoriere die fragenden Blicke der anderen. „So geht es natürlich auch“, kommentiert Ezra lachend. Ich genieße das Brennen in der Speiseröhre, welches bis in meinen Magen wandert und dort ein witzig kitzelndes Kribbeln erzeugt. Mein Magengeschwür feiert Fiesta. Genau das habe ich gebraucht. Ich hasse Smalltalk. Überhaupt hasse ich es, in belanglosen Erinnerungen zu schwelgen. Ich habe nicht umsonst keinen Kontakt mehr zu den Leuten aus meiner Schulzeit. Die Drei vollführen das übliche Prozedere und ich beginne zu bereuen, weichgeworden zu sein. „Jetzt im Ernst, was treibt ihr so nach all den Jahren?“, fragt Marten und brüllt gegen die laute Musik an. Im gleichen Atemzug schiebt er uns eine der durchgestylten Karten hin. Ich greife danach, überblättere das ganze Vorgeplänkel des Sinns und der Entstehung und stoppe beim alkoholischen Angebot. Es sind nur 4 Jahre vergangen, seit wir uns das letzte Mal begegnet sind. Ein Katzensprung. Was soll schon passiert sein? Die meisten von uns hängen wie Jeff und ich in Hörsälen ab oder wechseln zum zweiten Mal ihren Ausbildungsberuf. Kontinuität war noch nie ein Zeichen von Mittzwanzigern. Aus diesem Grund bin ich kein Fan von Klassentreffen. Es ist nichts weiter, als ein übererhebliches und stumpfsinniges Gebären von nicht selbst erbrachten Leistungen und unverhältnismäßigen Vorstellungen. Ich frage mich, wie viel von Marten und Ezra wirklich in dieser Bar steckt und wie viel von ihren gönnerhaften Familien. „Wir studieren beide an derselben Uni.“ Jeff platziert sich auf einen der leeren Barhocker am Rand des Tresens. Er schaut während der Erläuterung unseres bisherigen Werdegangs immer wieder zu mir, so als wolle er sich versichern, dass er nichts Falsches erzählt. Inwiefern er bei Lernen, Essen und Schlafen falsch liegen kann, ist mir ein Rätsel. Ich bin einfach nur froh, nicht reden zu müssen und studiere die Getränkekarte, gebe mich dabei ruhig und gleichgültig. Ich sehe mich um. Der Laden ist etwas zu gestylt für meinen Geschmack. Obwohl die Bar eine eigenartige Mischung aus modern und urig ist, wirkt es gewollt und nicht gewachsen. Aber wie sollte es auch? Zudem gibt es keine klare Linie. Wollen sie modern und hipp wirken oder rustikal und derb? Holzelemente treffen auf Metall. Eckkneipenidyll verbeißt sich in Industrieschick. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Mein Blick senkt sich zurück in die Karte. Sie ist umfangreich und enthält Unmengen an Cocktails, deren Namen ich noch nie gehört habe, teilweise nicht aussprechen kann und ich mir auch nichts darunter vorstellen vermag. Planters Punsch? Cucumber Elderflower Mule. Hä? Ich frage mich, wie man den nach zwei oder drei Cocktails bestellt. Es sind auch die Klischeehaften auf der Karte. Jeff bestellte vor einigen Jahren mal einen Sex on the Beach und kicherte nach jedem Schluck, wie eine Horde japanischer Schulmädchen in Harry Potter-Land. Es war durchaus erheiternd. Ich blättere weiter und lande bei den hochprozentigen Angeboten. Etliche Whisky- und Scotch-Sorten aus verschiedenen Ländern reihen sich neben ebenso mannigfaltigen Wodkas. Polnischer. Ukrainischer. Klassisch russisch. „Alle handverlesen und verkostet!“, merkt Ezra an und lehnt sich neben mich an den Tresen. Er tippt mit Zeigefinger auf einen schottischen Unblended Whisky, gleitet weiter zu einem irischen Pure Pot Still Whiskey. „Das hier sind meine Favoriten.“ Er beschreibt mir den Geschmack des Irischen und ich kann es mir beim besten Willen nicht vorstellen. Rauchig und samt? Bei fast 50 Prozent Alkohol ist Geschmack kaum vorstellbar für mich. C2H6O. Ethanol. Nichts weiter als eine Formel für Kopfschmerzen. „Ich hab nach dem Abschluss eine Rundreise durch die Destillen der Inseln gemacht. Oh man, echt raues Klima, aber kalt war mir nie.“ Er lacht bariton und lehnt sich in eine gemütlichere Position. Trotz des ganzen Trubels um ihn herum wirkt er seltsam entspannt. „Und deswegen die Bar?“, frage ich nach, obwohl es mich nicht wirklich interessiert. So kann Jeff nicht behaupten, ich hätte es nicht versucht. „Na ja, eigentlich hätte ich gern meine eigene Destille, aber meine Eltern wollten, dass ich etwas mit Zukunft mache...“ „Und da kamt ihr darauf, eine Bar zu eröffnen?“, erkundige ich mich erneut. Diesmal mit ironischem Unterton. „Ein wenig gastronomisches und kaufmännisches Chichi und voilá…“ „Ein Hoch auf den Alkohol. Den wird es immer geben“, kommentiere ich ein klein wenig zu enthusiastisch. Ezra scheint es nicht zu bemerken. „Genau das hatte ich Ihnen auch gesagt…“ Er lacht erneut. Vollmundig und laut. Dennoch scheint der größte Teil seines Gelächters in der lauten Musik zu verschwinden. Ich folge mit den Augen einer neu ankommenden Gruppe von Gästen, die in eine der hinteren Ecken verschwinden. Ich sehe zu Jeff, der Richtung Marten über den Tresen lehnt und sich verschiedene Biersorten vorführen lässt. Ich weiß nicht, was ich hier soll. Meine Tagesration an Small Talk ist vollbracht und zu mehr fühle ich mich nicht in der Lage. Zudem möchte ich, seit wir hier sind, am liebsten jeden anfallen, der den Eindruck erweckt, er könnte Zigaretten haben. Obwohl in dem Laden niemand raucht, scheint der Geruch von Tabak überall. „Er hat dich überredet, oder?“ Mein ehemaliger Mitschüler steht noch immer neben mir und ich beginne, ihn langsam zu bemitleiden dafür, dass er anscheinend die Aufgabe bekommen hat, mich zu bespaßen. Oder sich zu mindestens dazu verpflichtet fühlt. „Wie bitte?“ „Hierher zu kommen.“ Erwischt. „Wir haben einen Deal“, erkläre ich unaufgeregt „Was, musst du jetzt ein Semester lang seine Hausaufgaben machen?“, fragt er amüsiert. „Nein, es ist etwas spezieller.“ Ezras Augen fixieren mich. „Was gibt es bei euch etwa Sonderleistungen?“ Ich brauche einen Moment, um dem Begriff Sonderleistungen eine klare Bedeutung zu zuordnen und blicke meinem ehemaligen Mitschüler verdutzt entgegen. „Was? Nein…er…er begleitet meine Schwester auf ein Teeniekonzert. Das hätte sonst ich tun müssen“, gebe ich irritiert von mir und suche unvermittelt nach meinem Mitbewohner. Jeff sitzt noch immer an der Bar und hat mittlerweile drei Gläser Bier vor sich stehen. Alle haben eine andere Farbe. Ezra folgt meinem Blick. „Schon klar.“ Er stupst mir mit dem Ellenbogen gegen die Seite und grinst. „Das ist Jeffs Ding, nicht meins“, stelle ich mit wenig Nachdruck klar. Ich brauche eine Zigarette. Dringend. Ich bin im Grunde seit fast zwei Wochen auf Entzug. „Ich hätte ja nicht gedacht, dass es Themen gibt, die dich aus der Bahn werfen. Aber schön, dass sich Dinge ändern.“ Ich verstehe nicht, was er damit meint. Ezra sieht ein weiteres Mal kurz zu Jeff und dann wieder zu mir. „Entschuldige, du sitzt ja die ganze Zeit auf dem Trockenen. Was kann ich dir bringen?“ Trotz Blick in die Karte, weiß ich nicht, was ich darauf antworten soll. „Habt ihr einen Automaten für Zigaretten?“, frage ich stattdessen. „Sicher. Auf dem Gang zur Toilette.“ Er deutet in die Richtung, in die auch die kleine Gruppe verschwunden war. Der Automat schluckt mein Geld gierig, rödelt und wirft dann die Packung der ungesunden Glimmstängel aus. Ich weiß jetzt schon, dass meine Mutter es riechen wird, dass sie mich darauf anspricht und dass ich lügen werde. Immerhin kann ich behaupten, dass man in einer Bar kaum dran vorbei kommt. Am Geruch. Am Aroma. Sie wird trotzdem sauer sein, egal, was ich sage und ich kann es verstehen. Beim Zurückkommen sehe ich Ezra bei Jeff an der Bar. Ich stehle mich ohne Laut zugeben vor die Tür. Augenblicklich legt kühle Luft sich auf meine Haut und erst jetzt merke ich, wie warm es in der Bar gewesen sein muss. Während ich mit geschlossenen Augen die Abkühlung genieße, friemele ich die Plastikfolie von der Packung. Ich stecke mir die Zigarette zwischen die Lippen, sehe in den dunklen Himmel und zünde sie nicht an. Im ersten Moment, weil ich es nicht will und dann aus Ermangelung eines Feuerzeugs. Verdammt. Ich atme tief durch, ziehe etwas des Aromas des Tabaks mit ein und spüre, wie meine Lunge schreit. Was würde ich dafür geben, jetzt einfach ins Bett fallen zu können. Ich könnte mir die Decke über den Kopf ziehen und müsste niemanden mehr etwas vorspielen. „Interessante Methode.“ Ich erkenne Ezras Stimme und muss deswegen meine Augen nicht öffnen. „Angst, dass ich die Zeche prelle?“, frage ich mit der Zigarette im Mund und nuschele. „Nicht wirklich. Immerhin weiß ich, wo du wohnst. Na ja, zumindest, wo du…du weißt schon.“, sagt er lachend und ich höre, wie er das Rädchen eines Feuerzeuges bedient. Als ich zu ihm sehe, hält er es mir hin. Ezra stellt eine halbvolle Flasche Tequila auf den Fenstersims neben ihm ab, holt eine Packung Zigaretten aus seiner Hosentasche und zaubert zwei Schnapsgläser hinter seinem Rücken hervor. Wäre ich nicht so missmutig, würde ich applaudieren. „Bist du nicht etwas zu entspannt für euren Eröffnungstag?“, frage ich, als ein weiteres Grüppchen aus drei jungen Männern und zwei Frauen in die Bar tigern. Die Lokation scheint bald über zu quellen, doch Ezra zieht ohne eine auffällige Reaktion eine Zigarette aus der Packung und lächelt. Er ist tiefenentspannt. Sehr verdächtig. „Die größte Anspannung ist schon weg. Jetzt müssen wir es eh erst mal laufen lassen. Alles andere wäre unnötige Panikmache.“ „Scheint ja gut zu laufen... bisher...“ „Kleine Stadt und viel Mundpropaganda. Und wie du sicher noch weißt, gibt es hier nicht sonderlich viel Unterhaltungsprogramm.“ Soviel zum Thema Katastrophe oder Elysium. Im Moment scheint eher zweites zu zutreffen. Abgesehen von einer verqualmten Eckkneipe und dem Kino existiert in dieser Stadt nichts, was halbwegs zu Schandtaten einlädt. Der einzige Lichtblick unserer infantilen Rebellionen waren die Privatparties und die kleineren, die von der Schule organisiert werden. Der Brünette zündet seine Zigarette an und nimmt einen tiefen Zug. Ich sehe dabei zu, wie sich die Muskeln an seinem Hals bewegen, als sich der Rauch einen Weg über seine Lippen nach außen bahnt. Meine eigenen Geschmacksknospen ziehen sich zusammen, als ich mich an das Aroma der Zigaretten erinnere. Mein Gehirn rebelliert und schreit nach dem Nikotin. Trotz alledem lasse ich meine unangetastet. Statt einen erneuten Versuch, mit dem Feuerzeug zu starten, greift Ezra den Tequila und füllt die beiden Gläser. Er reicht mir eines davon. „Auf die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft.“ Wie theatralisch. Wir kippen den Agavenbrand gleichzeitig runter und während sich der Alkohol meine Speiseröhre entlang brennt, meldet sich schon wieder meine Lunge. Wo ist nur die Bettdecke, wenn man sie braucht. „Jetzt hast du dir extra Zigaretten gekauft und rauchst keine?“ Ezras lehnt sich an den Fenstersims und nimmt einen tiefen Zug. „Ich sollte eigentlich aufhören und wenn es nach meiner Mutter geht, hätte ich nie anfangen dürfen. Das Übliche.“ Ich lasse die einzelne Zigarette in meiner Hosentasche verschwinden. „Also Zwangsentzug?“ „Sozusagen…aber nicht nur deswegen.“ Ich denke an Kain. Er hat sich nie wirklich beschwert, aber gut findet er es sicher auch nicht. Unweigerlich denke ich an das Aroma fruchtigen Ingwers, welches ich hin und wieder bei dem Schwarzhaarigen schmecke. „Ich hab auch schon gehört, dass Aschenbecher küssen nicht das Wahre ist. Hast du eine Freundin?“ „Nein,…“ „Aber du hörst doch nicht wegen deiner Mama auf.“ „Nein, wegen der Gesundheit…“, sage ich ausweichend. Ezras Blick nach, glaubt er mir kein Wort. Er schenkt uns ein weiteres Glas ein. „Na dann, ein Hoch auf die Gesundheit….und die anderen Dinge, die uns bezwingen.“ „Lass das nächste Mal deine Sprüchebuch lieber zu Hause“, kommentiere ich diesen seltsamen Trinkspruch und kippe das nächste Glas weg. Wenn es in diesem Tempo weiter geht, dann werde ich morgen den schlimmsten Kater meines Lebens haben. „Hier seid ihr!“ Wir drehen uns beide um. Jeff stolpert die Stufe nach draußen fast runter. Ezra und ich greifen beide nach dem Blonden. Ich bin ein kleinwenig schneller. „Hey, vorsichtig…“, sage ich, ziehe meinen Kindheitsfreund in eine aufrechte Position und lasse ihn erst los, als ich sicher bin, dass er nicht über einen Fantasie-Elefanten fällt. „Die Stufe war da vorher nicht, oder? Ich stehe…“, beschwichtigt er und stellt sich für zwei Sekunden auf ein Bein. Die Logik von angetrunkenen Gehirnen ist großartig. „Wir haben das Gebäude extra 20 Zentimeter angehoben. Nur damit wir da eine Stufe hinbauen konnten“, erklärt Ezra mit einem deutlichen belustigten Unterton. Jeffs Stirn runzelte sich fragend, während er darüber nachdenkt, wie viel Wahrheitsgehalt in dessen Worten steckt. Vermutlich verhindert der Alkohol in seiner Blutbahn, dass das in einem halbwegs erfolgreichen Tempo geschieht. „Okay,…ihr verarscht mich.“ „Niemals“, kommentiere ich ebenfalls belustigt und lege dann kurz meinen Arm um den anderen Mann. Es scheint ihn aus zu söhnen. Er lächelt. „Lasst uns noch eine Runde Tequila trinken“, ruft er übertrieben in die Nacht hinein. Er weiß nicht, dass Ezra und ich bereits gut dabei sind. Jeff zieht mich wieder rein. Nach einer weiteren Stunde hat mich Ezra so weit, dass ich tatsächlich einen seiner favorisierten Whiskys koste. Ich schmecke das Rauchige, aber das Samtige bleibt mir verborgen. Nein, eindeutig nicht meine Welt. Jeff ist guter Laune. Genauso, wie die andere beiden. Ich muss zugeben, dass es schon etwas Spaß macht. Was zum einen an der Menge Alkohol liegt und zum anderen an Jeffs Kommentaren, die verdeutlichen, wie viel grandiosen Mist wir damals gebaut haben. Ezra und Marten erinnern sich zusätzlich noch an Dinge, die ich längst verdrängt habe und irgendwann zaubert einer von beiden das Tanzvideo hervor, bei dem auch Jeff und ich mitwirken. Ich wehre mich vehement dagegen, es anzuschauen und werde lachend überstimmt. Dirrty ist definitiv anders. An Marten habe ich gar nicht mehr gedacht. Doch auch er bewegt darin seine scheinbar unfähigen Beine hin und her. Der Einzige, der neben den Mädels einen wirklich souveränen Auftritt hinlegt, ist Jeff. Es folgen zwei weitere Runden Tequila und weitere frivole Details, über die ich niemals Bescheid wissen wollte. Auch Marten und Ezra hatten etwas mit Tabea. Ich halte mich zurück und bin dennoch einigermaßen erschüttert, aber nur für ein paar Sekunden. Die Augen waren es einfach wert. Es folgen noch etliche Schenkelklopfer und die Zeit vergeht, ohne dass ich es merke. Nur mein Kopf beginnt mich langsam zu warnen, dass ich genug getrunken habe und ich weiß, dass es bereits zu spät ist. Auch den anderen merkt man den vielen Alkohol an. Allen voran Jeff, dessen Kopf bereits verräterisch nach unten absackt. Ich ziehe die Reißleine. „Ich denke, wir sollten los“, merke ich an und taste meine Hosentaschen nach meinem Handy ab. In etwa 10 Minuten kommt der Bus, der uns direkt wieder nach Hause bringt und fast vor die Haustüren fährt. Einer der wenigen Vorteile, wenn man in einer kleinen Stadt wohnt. Alles relativ fußläufig und nah beieinander. „Wie kommt ihr nach Hause?“, fragt Ezra und schaut zu Jeff, dessen Kopf nur noch Millimeter über dem Tresen schwebt. Bevor seine Stirn endgültig auf das harte Holz prallt, schiebe ich meine Hand dazwischen. Mein Mitbewohner zuckt wieder hoch. „Noch nicht gehen…“ Wie aus dem Lehrbuch. „Kommt das nächste Mal vorbei, wenn ihr hier seid“ Mehr eine Aufforderung, als ein Vorschlag. Jeff bestätigt begeistert Termine für die kommenden 10 Jahre. Ich greife den brabbelnden Blonden am Jackenkragen und ziehe ihn trotz Gezeter zum Ausgang. Wir bekommen den Bus in letzter Minute. Ich bugsiere den Blonden auf einen der leeren Sitze und lasse mich auf den Platz neben ihn fallen. Ich spüre, wie der Alkohol in meiner Blutbahn langsam aber sicher meine Gehirnzellen lähmt und mich ins Traumland schickt. Zum Glück sind es nur ein paar Stationen. Jeff schmatzt und gibt hin und wieder kleine Seufzer von sich. So zufrieden will ich mich auch mal wieder fühlen. Selbst mit dem ganzen Alkohol in meinem Blut schaffe ich es nicht, mein Gehirn abzuschalten. „Was ist eigentlich los mit dir?“, nuschelt er ruhig und müde, als hätte er meine Gedanken gehört und nachdem er seinen Kopf auf meiner Schulter abgelegt hat. „Was meinst du?“ Es dauert eine Weile, bis Jeff antwortet. Vermutlich braucht es immer noch alles länger, bis es bei ihm ankommt. „Du wirkst so…“ Er stockt. „Mir fällt das Wort nicht ein… Ist es wegen René? Fehlt er dir? Ist nicht bald sein…?“ Die letzte Frage beendet er nicht. Trotz der vielen anderen, gebe ich Jeff keine klare Antwort. „Hm.“ Mehr sage ich nicht. Auch Kain erwähne ich nicht. Mein Jugendfreund schmiegt sich für einen Moment dichter an mich. Ein kleines Zeichen seiner Zuneigung und seine Anteilnahme. „Unausgeglichen…du wirkst unausgeglichen.“ Jeff strahlt mit geschlossenen Augen. Ich bin mir nicht sicher, was er damit meint und frage auch nicht nach, sondern mache nur ein hinnehmendes Geräusch. „Weißt du was?“ Jeff beginnt zu kichern und schmiegt seinen Kopf etwas mehr in meine Halsbeuge. Jeffs Haut fühlt sich warm an. „Was?“ Obwohl ich schrecklich müde bin, spiele ich mit. „Du hattest Recht! Jake will mit mir ausgehen.“ „Möchte er das?“ „Ja, will er. Also, er hat noch nicht gefragt, aber er will… ich denke jedenfalls, dass er es möchte…. also vielleicht.“ Die wirren Worte eines Betrunkenen. Ich komme nicht umher, zu lächeln. „Du hast aber einen Freund…“, erwähne ich, ohne dabei auch nur den geringsten Anschein einer Verurteilung zu erwecken. Nach Abel kann alles nur besser werden. „Jaaa…ich weiß, dass ich das nicht gut finden sollte…aber es ist auch irgendwie aufregend. Und er ist einfach echt heiß…“ Ich versuche mir den ITler vorzustellen, doch es gelingt mir nicht. Ich habe immer nur einen Stereotyp im Kopf. Vermutlich würde ich sowieso nie das sehen, was Jeff sieht. „Du solltest auch mal wieder mit jemanden ausgehen. Jemand heißen…“ Der Blonde wiederholt seine vorigen Worte kichernd. Der Kopf an meiner Schulter nickt übermütig und rutscht dabei weg. Ich mache meine Augen auf und sehe nachdraußen. „Fuck! Wir sind vorbeigefahren!“, sage ich aufgebracht und betätige schleunigst den Halteknopf. „Wir haben noch nicht einmal angehalten?“, stellt Jeff irritiert und verwirrt fest. Er versucht nach draußen zu schauen, aber ihm prangt nur sein reichlich verschwommenes Spiegelbild im verkratzten Fenster entgegen. „Ja, wenn niemand den Knopf drückt oder an der Haltestelle steht, dann hält der Bus nicht an, du Steinchenkrabbler. Komm jetzt! Hoch!“ „Steinchen…“, beginnt er zu murmeln, „wunderschöne Silikate und…Karbonate. Oh Oh...ich muss dir mal den Glimmerschiefer aus der Gesteinssammlung zeigen. Wirklich chic…“ Während Jeff begeistert rumquatscht, ziehe ich ihn in eine aufrechte Position und signalisiere den Busfahrer, dass er uns an der nächsten Haltestelle etwas mehr Zeit zur Verfügung stellen muss, damit ich den betrunkenen Blonden halbwegs sicher rausbekomme. Ein paar Minuten und weitere hübsche Funkelsteinchen später kommen wir bei Jeff an. Ich helfe dem Blonden aus den Schuhen und sehe dann dabei zu, wie dieser quer auf sein Bett fällt. Vorsorglich schiebe ich Jeffs Papierkorb in greifbare Nähe und sehe auf den Wecker auf Jeffs Nachttisch. Es ist mittlerweile 3 Uhr morgens und ich habe keine Lust, nach Hause zu laufen. Ich lasse mich auf die zerfledderte Couch fallen, auf der wir in der Schulzeit häufig zusammen Hausaufgaben gemacht haben. Trotz Müdigkeit kann ich nicht schlafen. Hinzukommt, dass der Alkohol die Funktionen meines Kleinhirns hemmt und somit die die Feinabstimmung meiner Körper- und Augenbewegungen behindert. Dreht sich der Raum oder vielleicht nur die Couch? Ich ziehe mein Handy hervor und lese zum wiederholten Male Kains Nachricht. Er braucht etwas Zeit. Zeit für was? Um endlich zu verinnerlichen, was für ein schlechter Freund ich bin? Ich dachte, dass wäre ihm längst klar. Meine Umgebung schwankt immer noch. Ich rutsche die Rückenlehne wieder hoch und bleibe sitzen. Das Zimmer wird langsamer, mein Blick klarer und ich erkenne, dass Kain gerade online ist. Mein sowieso schon unruhiger Herzschlag nimmt an Tempo auf. Meine erste Reaktion ist es, das Handy zur Seite zu legen. Doch gleich darauf greife ich wieder danach. Ich beginne zu tippen, aber schaffe es nicht, die Nachricht zu Ende zu bringen. Ich kann nicht. Und Kain will es nicht. Er will Zeit. Ich breche nach wenigen Worten ab und kippe zurück zur Seite. Jeff regt sich, dreht sich aus seiner Bauchlage in eine Rückenlage. Mit einem Mal setzt er sich auf und jagt mir einen heftigen Schrecken ein. „Fuck, Jeff…“, entflieht es mir aufgebracht, doch mein Kindheitsfreund stöhnt nur gequält und steht auf „Schlecht“, murmelt er, bevor aus seinem Zimmer herausstiefelt und hoffentlich im Badezimmer landet. Folgen tue ich ihm nicht. Irgendwann höre ich die Spülung. Danach ein weiteres Mal. Als Jeff endlich zurückkommt, setzt er sich zu mir auf die Couch. „Wieso hast du mich nicht davon abgehalten?“ Vorwurfsvoll. „Von deiner Bierverkostung?“ „Nein, vom Tequila…“ Jeffs Kopf kippt auf die Rückenlehne. Ich sehe zur Seite und betrachte sein Profil. Auch mein Kopf fühlt sich langsam immer schwerer an. „Du bist alt genug, um das allein zu wissen.“ Jeff dreht sich in meine Richtung und streckt mir die Zunge heraus. Ich rieche den Alkohol und dass er sich die Zähne geputzt hat. Ich würde es ihm gern gleich tun, aber meine Zahnbürste liegt etwas zwei Kilometer von hier entfernt. Allerdings könnte sie auch neben mir liegen und ich würde trotzdem überlegen, ob ich dafür wirklich aufstehen will. „Du hast vorhin meine Frage nicht beantwortet.“ „Welches mein Lieblingssilikatgestein ist? Ich bin da ehrlich gesagt nicht so festgelegt“, murmele ich schlaftrunken und schließe meine Augen. „Du bist doof! Das meine ich nicht…Was hast du im Moment? Familienüberschuss? Allgemeine Unzufriedenheit? Sexuelle Frustration?“ Wieder ein Fragenmarathon. Ich möchte ihm weiterhin nicht antworten. Wieso führen sich im Moment alle wie Samariter auf? Mir geht es gut. Wenigstens halbwegs, behauptet der Alkohol in meiner Blutbahn. „Eine Freundin streitest du ab, aber du verheimlichst mehr als sonst. “ Jeff lässt nicht locker. „Darf ich nicht auch meine Geheimnisse habe?“ „Sicher, aber…ich bin doch dein Freund…“ Ein Freund, der mir ein halbes Jahr lang seine Beziehung verschwiegen hat. Noch dazu mit wem. Ich bin ihm nicht mal mehr böse, aber das muss er ja nicht wissen. Nun kippt Jeffs Kopf auf meine Schulter. Er seufzt. Nur halb so theatralisch, wie sonst und dennoch weiß ich, dass er schmollt. Er riecht nach der Bar und nach Gummibärchen. „Wie spät ist es eigentlich?“ „Spät…“, antworte ich und merke, wie Jeff seinen Kopf von meiner Schulter nimmt. Ich sehe auf, als es mit einem Mal heller wird. „Oh, hast du dich mit Kain verkracht?“, fragt er verwundert. Der Blonde hat mein Handy ertastet und das Display aktiviert. Ich hatte den Chat mit Kain nicht geschlossen. Ich schrecke hoch und nehme ihm sofort das Gerät aus der Hand. „Nein.“ Ich schüttele verstärkend dazu den Kopf. Auch wenn Jeff es gar nicht sehen kann. „Wofür entschuldigst du dich dann?“ „Für nichts weiter.“ „Du hast dich noch nie für nichts entschuldigt…“, bohrt er weiter. Ich schlucke ungesehen und weiche Jeffs Blick aus. Selbst in der Dunkelheit merke ich, wie sich seinen blauen Iriden regelrecht in mein Gehirn bohren. „Ich hab ihn auf der Fahrt hier her genervt…Alles halb so wild.“ Nicht einmal unwahr. „Aha…“ Die Skepsis schreit mir förmlich aus den drei Buchstaben entgegen, die mein Kindheitsfreund hervorbringt. Mit angespannten Kiefer stehe ich auf und greife nach dem verräterischen Mistding von Telefon. Ich kann im Grunde froh sein, dass Jeff nicht zum Scrollen gekommen ist und die ganzen verräterischen Andeutungen und Bilder gefunden hat. Er packt mich am Handgelenk. „Dir ist schon klar, dass dich dieses dauernde Weggerenne nur noch verdächtiger macht.“ Mit diesen Worten zieht er mich zurück auf die Couch. Der plötzliche Wechsel von stehend zu sitzend, hat meinen Kopf gar nicht gefallen. Ich ächze unter dem hämmernden Kopfschmerz und sehe Jeff flehend entgegen. „Hältst du endlich die Klappe, wenn ich hier bleibe?“, gebe ich murrend von mir. Jeff drückt mit der flachen Hand mein Gesicht in die andere Richtung und steht von der Couch auf. Er wirft mir sein zweites Kissen zu. „Schlaf gut.“ Ich quetsche mir das Kissen zurecht und schaffe es nicht, die Stille so zu genießen, wie ich es möchte. Schlafen kann ich immer noch nicht. Das Erwachen startet genauso, wie der Abend endete. Mit Kopfschmerzen. Das grelle Tageslicht, welches unaufhörlich, gleißend und nervend in den Raum dringt, macht es nur noch schlimmer. Das Perfide an der Sache ist, dass nur an einer winzigen Stelle wirklich Licht durch die Jalousien dringt und genau dieser trifft mein Gesicht. Ich drehe mich auf der Couch um und drücke meinen Kopf in das abgelegene Polster. Als irgendwann einfach nicht mehr genug Sauerstoff in meiner Lunge ankommt, setze ich mich auf. Jeff regt sich nicht. Ich werfe das Kissen aufs Bett, treffe seine Kehrseite, doch auch das hat keine Regung zur Folge. Ich rappele mich hoch, höre wie scheinbar jeder Knochen in meinem Skelett zu knacken beginnt und ernte ein erstes Murren vom Schlafenden. Mehr jedoch nicht. Nach einer Katzenwäsche und gurgeln mit Zahnpasta, schleiche ich in die Küche. Ich treffe auf Jeffs Mama, die mich zur selben Zeit fragend, tadelnd und mitleidig anschaut. Ich glaube, das schaffen nur Mütter. Eine ihrer Spezialfähigkeiten neben dauerndes in Verlegenheit bringen und Überfürsorge. Auch sie fragt mich nach meinem Befinden. Ich beschreibe ihr eine Mischung aus draufgängerischem Pragmatismus und klassischem Runterreden. Kurz; ich atme, esse und unterliege dem Verfall. Marlis lacht immer gern über meine trockenen Witze. Ich genieße die lockere Konversation, während sie durch die Küche wirbelt und mir einen Teller mit Armen Rittern vor die Nase stellt. Bei meiner zweiten Portion trollt sich auch Jeff zu uns. Ich bin erst am Nachmittag wieder zu Hause. Donnerstagabend machen sich Jeff und Lena auf zum Konzert. Ich verbringe den Abend mit meiner Mutter, die dankbar ist, dass sie nun nicht fahren musste. Hendrik ist bei einer Firmenfeier. Wir teilen uns einen riesigen Becher griechischen Joghurt mit Honig, trinken Tee und plaudern. Ich philosophiere über die Eigenarten meiner Dozenten und Professoren, höre zu, wie meine Mutter über ihre eigenen Erfahrungen spricht. Anscheinend haben sich die Lehrkräfte in den vergangenen Jahren nicht verändert oder erlernen automatisch die gleiche Verschrobenheit. Ich erzähle ihr von dem Tutorium, von Shari und dem indischen Essen. Von Jeff. All die Kleinigkeiten, die eine Mutter gerne hört, damit sie sich nicht ausgeschlossen fühlt. Ich genieße die Einfachheit. Solche Momente sind für uns nur noch selten. Einfach nur so sein, kann ich nur allein. Als das Hauptkonzert startet, bekommen wir das erste Update. Jeff schickt mir ein Bild von Lena. Sie streckt ihre Daumen in die Kamera und grinst über beide Backen. Im Hintergrund erkenne ich die Bühne. Lichter. Instrumente. Eine Unmenge an kreischenden Teenager. Ich muss sie nicht einmal hören, um das zu wissen. Es folgt ein weiteres mit beiden. Gegen 23:30 Uhr sind sie wieder zurück. Sie sind aufgedreht und überschlagen sich gegenseitig bei ihren Erzählungen. Ich frage mich, wer von ihnen lauter kreischt und für einen Moment lang verspüre ich Wehmut, weil ich nicht Mäuschen spielte. Jeff und Lena sind eine beeindruckende und powergeladene Kombination. Für mich nur stufenweise erträglich. Die nächsten Tage bleiben angenehm ereignisfrei und am Samstagmorgen steige ich in den Zug zurück zum Campus und das, obwohl ich jedes Semester wieder die gleichen Diskussionen führe. Meine Mutter bittet mich länger zu bleiben. Samstag noch. Sonntag noch. Bis zu René Todestag. Auch meine Argumentation ist immer dieselbe. Drei Wochen Familie sind mehr als ausreichend und nur Samstag gibt es noch Möglichkeiten zum Einkaufen. Und ich denke auch ohne ein bestimmtes Datum jeden Tag an ihn. Auf der Hälfte der Strecke besorge ich mir einen Tee aus dem Speisewagon und schreibe Marie eine Nachricht, dass ich heute noch vorbeikomme. Sie antwortet nicht. Die restliche Zeit nutze ich dafür, die übrigen Kapitel des neuen Buches durchzugehen. Ich schicke es noch während der Fahrt ab. Vor der Zeit und eigentlich auch ohne bestätigtem Auftrag. Falls sie es nicht nehmen, ist es mir auch egal. Das rede ich mir jedenfalls ein. Vom Bahnhof aus fahre ich direkt zu meiner Bibliothekskomplizin. Freundlicherweise hat sie während meiner Abwesenheit für Jeffs heißgeliebten Ficus Pflanzensitter gespielt und ich empfand diese Variante als am tauglichsten. Minimal invasive Eingriffe hinsichtlich Standort, Transport und Pflege. Optimale Lösung. Jeff sah es ein wenig anders. Es ist nicht Marie, die mir die Tür öffnet, sondern einer ihrer Mitbewohner. Ein schlanker, müde aussehender junger Mann. Seinen Namen habe ich schon wieder vergessen. Auch er blinzelt mir erkennend, aber fragend entgegen und wir einigen uns stillschweigend darauf, dass Namen keinen weiteren Nutzen haben. Ich frage nach Marie und erfahre, dass sie bisher nicht auf meine Nachricht reagiert hat, weil sie am gestrigen Abend erst spät aus der Bibliothek nach Hause gekommen ist. Sie schläft. Ich bin versucht, sie zu wecken, doch ich möchte nicht daran schuld sein, dass sie irgendwann mit dem Gebäude verwächst. Außerdem braucht ihr Kopf schlaf, um zu funktionieren. Ben finde ich in der Küche. Ich begutachte ihn einen Moment lang argwöhnisch. Ich hatte ein vorher Foto machen sollen, damit ich auf der sicheren Seite bin. Der Ficus benjamina hat ein paar Blätter gelassen. Diese Pflanzen sind ziemliche Zicken. Jeder kleinen Irritation begegnen sie mit Kahlschlag und bitterer Selbstkasteiung. Photosynthese ersetzt eben keine Gehirnmasse. Wobei einige Menschen mit dem Syntheseprozess schon in neue Sphären aufsteigen könnten. Ein gewisser Blonder gehört definitiv dazu. Ich schlage einen obligatorischen Kaffee aus und bitte darum, Marie Grüße auszurichten. Ich werde mich in irgendeiner Weise bei ihr revanchieren. Mit der Pflanze unter dem Arm laufe ich zurück zum Campus. Micha begrüßt mich im Foyer. Ich frage mich, ob der arme Mann jemals nach Hause geht, denn im Grunde ist er immer da. Überschwänglich schiebt er mir meine Post zu und beginnt zu plappern. Ich lasse den Small Talk über mich ergehen, der mit der Frage nach der Pflanze in meinem Arm beginnt und mit der Klarheit endet, dass Micha verheiratet ist und Zwillingstöchter hat. Auf der Treppe stöpsele ich meine Kopfhörer wieder ein. Sina tritt aus der Gemeinschaftsdusche der Frauen und kommt auf mich zu, als sie mich im Gang erkennt. Ihre Kleidung besteht aus nicht mehr als einer bequemen Hose und ein Tanktop, unter dem sich deutlich die Konturen ihres Körpers abbilden. Ihre Haare sind noch feucht. Und aus irgendeinem Grund erwarte ich, dass im nächsten Augenblick auch Kati folgt, doch die Blondine bleibt allein. „Heute ohne deine brünette Kopie unterwegs?", frage ich wenig galant, nehme einen der Ohrstöpsel heraus und puste ein paar von Bens Blättern aus meinem Gesicht. Sina lächelt unbeeindruckt und bleibt neben mir stehen. „Kati ist bei ihrer Familie in irgend so einem Kaff am Ende der Welt. Freiwillig, 6 Wochen lang“, sagt sie fassungslos und in meine Richtung geflüstert, so als würde sie sonst jemand hören, der es nicht sollte. „Und wo ist deine Entourage?", hängt sie hinterher, als mir ihre Ausführung nur ein mildes Lächeln abverlangt. „Gesetzlicher Urlaubsanspruch. Immer nur Ärger mit dem Pack." Ebenso gleichgültig, greife ich ihre Beleidigung auf und führe sie weiter. Sina verdreht gekünstelt die Augen, kicherte amüsiert und deutet danach auf Ben ohne die Frage zu formulieren. „Lange langweilige Geschichte“, antworte ich und stelle das Bäumchen am Boden ab. „So, so. Du bist also doch ein braver Mitbewohner.“ „Bitte“, schmettere ich abwertend ab, „Was ist eigentlich aus eurem dämlichen Spiel geworden?“ „Was, willst du einen Nachschlag?“ Auf ihren Lippen entsteht ein amüsiertes Grienen. Kein richtiges Lächeln. Jede Regung ist vollkommen kontrolliert. Es ist Flirten für mein Niveau. Ich reagiere nicht auf reine Freundlichkeiten und das ist ihr mittlerweile sehr wohl bewusst. Sie kommt noch etwas dichter an mich heran. Ich gehe nicht darauf ein, sondern sehe dabei zu, wie sie direkt vor mir stehen bleibt. Nun rieche ich den feinen Duft von Seife, gemischt mit irgendeinem süßlichen Blumendeo und Zahnpasta. Ihre femininen Gesichtszüge unterstreichen auffallende Natürlichkeit. Sie trägt nur etwas von diesem schwarzen Wimpernzeug. Ungewohnt echt. Erfrischend ehrlich „Wieso versuchst du es immer wieder?“, erfrage ich stattdessen. „Du hast schon wieder diesen Blick und ich habe das Gefühl, dass du diesmal schwach werden könntest", erklärt sie selbstbewusst. Ich senke meinen Blick in ihr Dekolleté. Ihre Brüste scheinen makellos und ich erinnere mich noch immer gut daran, wie wunderbar sich dieses weiche und schöne Körperteil der Frau anfühlen kann. „Läuft’s nicht gut zwischen dir und Kain?", fragt sie, sieht absichtlich kurz zur Seite statt direkt zu mir. Ich spüre, wie mein Herzschlag aussetzt. Nur kurz, um dann im doppelten Tempo zu schlagen. Es macht mich wahnsinnig, weil ich deutlich spüren kann, wie sich die Vene an meinen Hals hervordrückt. „Da ist nichts zwischen mir und Kain", spule ich monoton ab. Es klingt falsch noch während ich es ausspreche. Ihr Blick ist intensiv. Ihre blauen Augen scheinen mich zu durchdringen. Sie weiß es. Durchschaut mich mittlerweile jeder? Sie stellt sich auf ihre Zehenspitzen und ich fühle, wie ihr warmer Atem über meinen Hals streicht. „Gut… dann fick mich doch", flüstert sie mir auffordert zu. Ihre Hand stoppt über meiner Gürtelschnalle. Ihre Aufforderung hallt durch meinen Kopf. Das Gegenecho schreit nein, doch mit jeder Wiederholung wird es leiser. Solange bis es vollends verstummt. Ich bin seit gut drei Wochen ohne Sex und ihre frivolen Einladungen offeriert mir eine durchaus befriedigende Nacht. Ich habe keine Verpflichtungen. Es könnte genauso sein, wie früher. Nur Sex. Sie wäre perfekt dafür. Sina stiehlt sich einen kurzen Kuss von meinen Lippen und wartet darauf, dass ich den nächsten Schritt mache. Ich merke, wie sich ihre weichen Brüste gegen meinen Oberkörper drücken. Ich spüre die Wärme, die von ihrem Körper ausgeht, aber ich fühle sie nicht. Ich fühle nichts. Nicht einmal das verlässliche Kribbeln, verursacht durch die Berührung körperfremder Glieder. Was will ich mir eigentlich beweisen? „Du bist echt in ihn verliebt, nicht wahr?“ Lüge. „Sei nicht albern… Du machst mich nur nicht an“, sage ich kalt und gehe an ihr vorbei. Ich greife mir den Ficus, der mich verächtlich zitternd empfängt. Sicher nimmt er mir übel, dass ich ihn stehen ließ. Er ist heute nicht der Einzige. Das Leben ist nun mal kein feucht warmes Gewächshaus. Im Wohnheimzimmer stelle ich die Pflanze zurück an ihren Platz, öffne das Fenster und lasse mich auf meinen Stuhl fallen. Ich blicke zur Decke und danach direkt wieder zu dem kleinen Baum. Ein weiteres Blatt. „Bist du jemals zufrieden?“, frage ich murrend in die Dunkelheit hinein. Ich rede mit einem Baum. Am Wochenende ertappe ich mich wiederholt dabei, wie ich mit Ben rede und mache mich daraufhin frustriert auf den Weg zu der hübschen Italienerin. Auch wenn mir die Inhalte unseres letzten Gesprächs noch immer auf den Magen schlagen. Doch im Café ist nichts von ihr zu sehen. Ich setze mich draußen auf die Bank bei den Bäumen und zücke mein Handy. -Mich dürstet es nach gefrorenen Köstlichkeiten, wo bist du, kleine Eismagd?- Die Antwort folgt schnell. -Sitze im Verließ und darf es erst wieder verlassen, wenn ich Merlin Konkurrenz mache.- -Versuchs mal mit Avada kedavra- Falscher Film. Es ist mir egal. Das erste Mal in meinem Leben bin ich versucht, einen traurigen Emoji zu benutzen. Frustrierend. Mein einziger Lichtblick des Tages ist hin. Ich bleibe noch sitzen und produziere Kohlendioxid. Auf dem Rückweg komme ich am Parkplatz des Hauptgebäudes vorbei. Es dauert einen Moment, bis mir der Wagen auffällt. Ich gehe extra ein paar Schritte zurück, betrachte das Kennzeichen und bin froh, dass ich wenigstens das meinem bewohnten Landkreis zuordnen kann. Es ist Jeffs. Kain ist also wieder hier. Meine Hand zuckt zur Hosentasche, in der sich mein Handy befindet. Ich atme kurz durch, sehe auf die Uhr und gehe statt zum Wohnheim zur Mensa. Als ich den Eingang zum Saal betrete, wähle ich Kains Nummer und höre im nächsten Moment, wie hinter mir ein Telefon zu singen beginnt. Die Melodie kommt mir bekannt vor, aber es dauert einen Moment, bis ich Teile des Gesangs verstehe. `… is aching me sadly. You know that it should make me happy…´. Kain drückt mich weg und auch der Song verstummt. ................................................................................. PS: Ich kann es nur wiederholen: SORRY!!!!! Entschuldigung!! Gomen nasai!!! Dafür das ihr immer so lange warten müsst. Aber die Uni macht mich echt fertig und lässt mir kaum Zeit um irgendwas anderes zu schaffen T____T Ich bitte um Verzeihung! Ps 2.0: Würde es irgendjemanden interessieren, wenn es von mir Updates und Kram bei Twitter gäbe? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)