Between the Lines von Karo_del_Green (The wonderful world of words) ================================================================================ Kapitel 3: Reden ist Silber und Schreiben ist Gold -------------------------------------------------- Kapitel 3 Reden ist Silber und Schreiben ist Gold 'Let me do what I want to do with you. Let me tie you down, pick you up' dringt es vielsagend aus meinen Kopfhörern und nur dumpf vernehme ich Kains Stimme, die zusätzlich in Form seines warmen Atems über meine Wange streicht. Mein Herz prallt wild gegen meinen Brustkorb und ich muss schwer dagegen ankämpfen nicht zu erstarren. Ich neige meinen Kopf zu ihm und fixiere die Bewegung seiner Lippen. Ich brauche seine Worte nicht verstehen, denn egal, was er sagt, das erste, was ich tue ist panisch das Dokument schließen. Im gleichen Atemzug ziehe ich mir die Kopfhörer von den Ohren und mache ein vermutlich dämliches Gesicht. Ich bin so überrascht, dass ich es nicht mal schaffe, böse oder verärgert zu gucken, so wie ich es sonst mache. Das Alles zusammen bescheinigt meine Unfähigkeit für Multitasking. Es wird eh überbewertet. "Verdammt, Kain!", presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und sehe den dunkelhaarigen Mann neben mir mit viel Mühe und Konzentration verärgert an. Kain lächelt und ich weiß nicht wieso. Er steht nur in Shorts hinter mir und sieht abwechselnd von meinem Bildschirmhintergrund, einer Mischung aus Retrolandschaft und Musikplakat, zu mir. Er stützt sich auf die Rückenlehne meines Stuhls und neigt mich damit etwas zurück. Genauso, wie es Jeff letztens getan hat. Ich spüre seine warmen Arme in meinem Nacken und eine Berührung an meiner Schultern. "Was schreibst du da?", fragt er unschuldig und geht nicht auf meinen erschrockenen Ausruf ein. Ich denke an den letzten Absatz meines Textes. Der Geschmack seiner Lippen und den stiller Wunsch sie zu kosten. Und plötzlich denke ich an die Ingwerbonbons in Kains Hosentasche und an die Tatsache, dass er in diesem Moment keine Hose an hat. Ob er irgendwas lesen konnte? Wie lange steht er schon hinter mir? Mein Puls klettert weiter nach oben und verursacht ein dumpfes Rauschen in meinen Ohren und das stetige Echo in meiner Brust lässt mich zusätzlich erschaudern. "Wörter", sage ich flapsig und ausweichend. Ich sehe dabei zu, wie Kains linke Augenbraue nach oben wandert, so wie sie es seltsam oft macht. Es verleiht seinem Gesicht etwas Spitzbübisches, fast Kindliches. Ob ihm das bewusst ist? "Wow, wäre ich nie draufgekommen", gibt er trocken von sich. „Und was für Wörter benutzt du? Lustige, wissenschaftliche oder vielleicht sogar schweinische?" Er lehnt sich zu meinem Bedauern noch mehr auf die Lehne meines Stuhls und nimmt mir damit jegliche Chance für einen schnellen Abgang. Ich fühle mich, wie ein Käfer, der es allein nicht schafft sich wieder aufzurichten. Passend dazu wackele ich unruhig mit den Beinen. "Subjekt, Objekt und Prädikat. Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Manchmal würze ich auch mit Adverbien und Adjektiven. Noch Fragen?", erwidere ich lapidar und bleibe meiner Spur treu. Leider hat es keinerlei dämpfende Auswirkung auf Kains Neugier. "Du schreibst ziemlich viel, oder? Was schreibst du Schönes? Schweinskram? Bist du einer dieser stillen Perversen, die in ihrem Kopf lauter lüsternen Fantasien haben?" Genauso einer bin ich, sagen werde ich ihm das natürlich nicht. Seine letzten Worte sind nur noch ein leises Raunen, welches mir durch Mark und Bein geht. Ein weiteres Rätsel ist, weshalb er ständig nach versautem Zeug fragt. Langweile? Ich versuche mir gerade krampfhaft einzureden, dass das, was er gelesen haben könnte, nicht allzu sexuell gewesen ist und dass er garantiert an den wenigen Sätzen nicht herausgelesen hat, über wen ich geschrieben habe. Ich bin verdammt gut darin mir Dinge einzureden. Ohne zu antworten ziehe ich den Stuhl wieder dichter an den Tisch, sodass Kain Halt verliert und sich sein Griff lockert. Er dringt zu sehr in meine Privatsphäre ein und das kann ich nicht dulden. Jeff weiß, dass er, sobald ich an meinem PC sitze und schreibe, nichts mehr in meiner Nähe zu suchen hat. Jeff respektiert meine verquere Anweisung, aber Kain weiß es natürlich nicht. Nichtsdestotrotz hat er sich nicht einfach an mich heranzuschleichen. "Wolltest du nicht schlafen?", frage ich barsch. "Ja, aber ich hab schlecht geträumt.", räumt er ein und nun bin ich es, der seine Augenbraue hebt und ihn verständnislos ansieht. Sind wir hier im Kindergarten? „Und das soll mir sagen, dass du mir jetzt die Ohren volljammern willst?" „Vielleicht ein bisschen." Kain grinst und beugt sich über mich. "Nicht dein Ernst?", entflieht mir deutlich genervt. Ich werde Jeff dafür, das er mir Kain auf gehalst hat, irgendwas antun. Ich habe eine Liste mit möglichen Gemeinheiten und diesmal werde ich sie definitiv benutzen. Ich habe auch genügend Fantasie um weitere Neue zu ersinnen. Ich könnte seinen Ficus killen oder die nervige CD von Jennifer Lopez verschwinden lassen. Unwillkürlich schweift mein Blick in Jeffs Zimmerteil. Der geliebte Ficus grünt lustig und unbedarft vor sich hin. Unschuldig und ahnungslos. Jeff schleppt ihn seit der Schulzeit überall mit hin. Manche Menschen haben eine tiefe, verquere und beängstigende Verbindung zu ihren Haustieren. Jeff hat diese Neigungen gegenüber dieser Grünpflanze. Er nennt ihn Ben. Wahrscheinlich von Ficus benjaminii. Vielleicht auch weil er den Namen schön findet. Warum auch immer. In meine Fantasie sehe ich, wie die Blätter in diesem Moment, wie vom Wind angefacht, wippen und tanzen. In der Realität ist das jedoch der warmen Heizungsluft geschuldet. Ich merke, wie mich Kain stirnrunzelnd beobachtet. "Beschäftige mich!", wiederholt er quengelig. Ich hasse ihn. "Alter, ich bin doch kein Kindergärtner! Werd erwachsen und höre auf, mich zu nerven." "Aber jetzt kann ich nicht mehr einschlafen und mir ist langweilig.", setzt er noch einen drauf und ich bin mir sicher, dass er so schnell nicht aufgibt. Ich rede mit einem Kleinkind. Grandios. Ich seufze genervt. „Dann nimm dir ein Buch und mach was Nützliches für deine Bildung." „Meine Bildung ist großartig und ich lese nichts, was ich nicht wegen des Studiums lesen muss", wiegelt er ab. Kain macht mir auch nicht den Eindruck als wäre er ein aktiver Leser. Bücher mit Bildern sind vermutlich das Höchste aller Gefühle. Mit seinem gesamten Körpergewicht lehnt er sich erneut auf meinen Stuhl und drückt mich weiter nach hinten, sodass ich fast waagerecht liege. Meine Finger krallen sich erschrocken in die Seitenlehnen meines Bürostuhls. Ich höre ihn ächzen und sehe Kain mit großen Augen an. „Kannst du das lassen", knurre ich ihm entgegen und richte mich hilfesuchend auf. Meine Füße berühren mittlerweile nicht mal mehr den Boden. Es behagt mir nicht. „Wie wäre es, wenn du mir was vorliest." Kain deutet minimal auf meinen Bildschirm und sieht wieder zu mir hinab. Nie und nimmer. Nur über meine Leiche. Sein Gesicht ist direkt über meinem. Nur verkehrt herum. Garantiert lese ich ihm nichts vor. Ich verkneife mir ein absurdes Lachen um es zu verdeutlichen. Wie kommt er auf diese Idee? Unglaublich. "Sehe ich aus, wie dein Großmütterchen?", kommentiere ich ablehnend und sehe in Kains abwartendes Gesicht. Er seufzt und lässt meinen Stuhl vorsichtig los. „Außerdem ist das nur ein Bericht über Oxidationsprozesse", kläre ich ihn zusätzlich auf. Meine Lüge klingt überzeugend. Aus meiner Sicht jedenfalls. "Oxidationsprozesse?", wiederholt er mit einem skeptischen Unterton und sieht mich noch immer an, wie ein nichts verstehendes Frettchen. Ich weiß, dass Kain ein ziemlich intelligenter Typ sein muss, denn er ist stets einer mit den besten Noten in allen belegten Vorlesungen und Seminaren. „Oxidation? Reduktion? Rost? Verwesung?", zähle ich erklärend auf und sehe, wie Kain die Augen verdreht. „Ja, ja, schon klar." „Wirklich?", frage ich ein klein wenig provozierend. "Dann hast du den Text deshalb so abrupt geschlossen, damit ich ja nichts dazu lerne?", fragt er sarkastisch von sich. Erwischt. ich merke, wie sich mein Puls augenblicklich beschleunigt. Er muss doch was gelesen habe. „Fall tot um Kain!" „Nö.", sagt er lapidar. Ich habe es gewusst. Von Anfang an. Ich würde diesen winzigen Moment Freundlichkeit von vorhin bereuen und siehe da, schon geschehen. Ich mache es garantiert nie wieder. „Es wäre eine absolute Verschwendung. Ich stehe in der Blüte meines Lebens, bin voller Manneskraft und Tatendrang. Außerdem ärgerst du dich so schön, wie könnte ich da aufhören?" Mit diesen Worten lässt er sich grinsend auf Jeffs Bett fallen, dreht sich auf die Seite und stützt seinen Kopf auf der Hand ab. Ich wiederhole still die Phrasen Manneskraft und Blüte des Lebens und habe das Bedürfnis mein Abendessen rückwärts zu genießen. Trotz alledem wandert mein Blick über den halbnackten Körper, den Kain mir förmlich auf dem Präsentierteller serviert und meine Augen haften sich zu meinem Leidwesen direkt an den Ort seiner Manneskraft. In meinen Fingerspitzen explodiert ein feines Kitzeln, welches zeitgleich in mehreren Stellen durch meinen Körper kribbelt. Es ist ungewohnt und neu. Schluss damit! Das ist zum Verrücktwerden. „Okay, ich denke, nun bin ich bereit eine Woche Rückenschmerzen in Kauf zu nehmen." Ich richte mich auf, lasse demonstrativ meine Finger knacken und kremple einen Ärmel meines Pullovers hoch. Kain sieht mir dabei zu und verzieht im ersten Moment keine Miene. Erst als ich auf ihn zu komme und richtet er sich auf. Vor dem Bett bleibe ich stehen. Er wirkt nicht sonderlich furchtvoll, aber das hilft mir vielleicht ihn zu überraschen. Ich habe genug von seinen Kindereien und bin angriffslustiger als man mir zu traut. Ich bin auch wesentlich bissiger als man denken könnte. Kain scheint den Ernst zuerkennen. "Hey Hey, ist ja gut. Bleib friedlich, Rambo! Und es wären garantiert zwei Wochen. Ich wiege gut zwanzig Kilo mehr." Kains Finger tippt leicht gegen meinen Unterbauch, während er mich mustert. Wie erwartet unterschätzt er mich. Das passiert oft. "Zwei Wochen sind auch okay, wenn ich dann endlich meine Ruhe habe." Ich packe seinen Zeigefinger und halte ihn fest. Das amüsierte Grinsen auf seinen Lippen ignoriere ich geflissentlich. Auf beiden Seiten herrscht noch keine Anstrengung. Wie starren uns nur an. Doch plötzlich greift Kain blitzschnell nach mir, schultert mich und drückt mich mit dem Bauch aufs Bett. Ich kann nicht reagieren und bin komplett übertölpelt. Demonstrativ setzt er sich über mich und zieht einen meiner Arme nach hinten. ich spüre seine warmen Oberschenkel an meiner Hüfte. Durch den Stoff meiner Jenas hin durch. „Du glaubst also, du könntest einen geschulten Ringer einfach so aus deinem Zimmer schmeißen?", gibt er amüsiert von sich und verlangt keinerlei Antwort. Ringer? Ich denke sofort an umeinander herum tänzelnden Typen mit seltsamen, knappen Outfits. Aber auch angespannte Muskeln unter schweißglänzender Haut. Keuchen und Stöhnen. Ringen ist ein lauter Sport. Außerdem ist Kain nur schwerer, weil er viel größer ist als ich. Kain ist größer als ale anderen hier auf dem Campus. „Ringer? Das sind doch die, mit den selten dämlichen Einteilern, oder?", spöttele ich. Diesmal kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen und versuche nach hinten zu linsen. Ich versuche meinen Arm zu befreien und verdrehe ihn mir damit nur selbst. Schnell lasse ich es wieder sein. Kain scheint darauf zu achten, dass er mir nicht weh tut. Wenigstens etwas. „In deiner Position bringst du es echt fertig, Witze über unsere Outfits zu machen? Mutig. Ich habe dich für wesentlich intelligenter gehalten!" Ein Trugschluss und ein Fehler, denn auch ich öfter mal selbst mache. Kain stößt ein deutliches Tze aus und steht auf. Ich schaffe es auf alle Viere, dann packt er mich erneut und dreht mich abrupt auf den Rücken. Mit einer weiteren Attacke habe ich nicht gerechnet und mir entflieht ein atemloses Huch. Er drückt mein linkes Bein nach oben und wirft es sich über die Schulter. Den rechten Arm dreht er mir über den Körper, sodass ich mich wieder kein Stück bewegen kann. Sein Gewicht drückt mich runter und mein Bein gleich mit. Ich sollte mich dringend öfter dehnen. Kain pinnt mich fest und beugt sich amüsiert lächelnd über mich. Alles mit einer Schamlosigkeit, die mir die Sprache verschlägt. Obwohl er schon eine Weile unbekleidet rumrennt, ist Kains gesamter Körper auffällig warm, fast heiß. Mein Herz pumpt pulsierendes Blut durch meine Adern und ich reagiere zusehend auf die Nähe seines Körpers. In meinem Kopf schreibt sich die Szenerie von ganz allein. Seine leicht geöffneten Lippen sind präsent und auffällig. Zartrosa Fleisch, das feucht zu glänzen beginnt als er seine Zunge langsam darüber gleiten lässt. Auffällig oft. Wie es sich anfühlt? Ein sanfter Biss auf seine Unterlippen und ein Lächeln, welches weiße, gerade Zähne offenbart. Ich stelle mir vor, wie er selbst das zitronige Bukett des Ingwers auf seinen Lippen schmeckt. Die Stränge meines Halses ziehen sich zusammen als ich das Aroma selbst fantasiere. Wie oft in letzter Zeit. Ich wende meinen Blick ab und versuche aus seinem Griff zu entkommen. Keine Chance. "Kain!", entflieht es meinen Lippen. Er packt mich nur fester. Ich seufze leicht auf und wackele mit den Fingern. „Glaubst du immer noch, dass du es einfach tun kannst?" „Was genau wollt ihr denn tun?" Kain und ich blicken beide verwundert auf als Jeffs unerwartete Stimme von der Tür zu uns dringt. Mein blonder Mitbewohner steht skeptisch blickend im Türrahmen und fixiert unsere verknoteten Körper. Auch Abel taucht hinter ihm auf und mustert die Szene. Das perfekte Timing für den falschen Zeitpunkt. Erdboden öffne dich! Bitte! „Na seht ihr denn nicht, wie mich Robin gerade rausschmeißt?", fragt Kain amüsiert und grinst. Er lässt meinen Arm los und richtet sich minimal auf. Mit der Hand hält er nun mein Bein auf seiner Schulter fest. „Eindrucksvoll", kommt es dümmlich von Abel. Noch dazu bildet sich ein fast dreckiges Grinsen in seinem Gesicht. Ich will mir nicht vorstellen, was gerade in seinem Kopf vorgeht und mache es leider trotzdem. Verdammt. Nicht, dass ich nicht gerade selbst eine solche Szenerie in meinem Kopf hatte. „Meine Position ist nicht halb so aussichtslos, wie es scheint", verteidige ich mich und ernte ein spöttisches Lachen von Kain. Auch Abel kichert. Nur Jeff reagiert nicht, sondern hebt auf beindruckende Weise seine Augenbraue. Verdammt noch mal. Ich versuche Kain ein weiteres Mal von mir runter zu bekommen und scheitere. Es ist aussichtslos. Ich verfluche diese verdammte Sportart und Kains lächerlich starken Körper. „Wovon träumst du nachts, Robin?", kommentiert Kain meine Bemühungen und beginnt mein Bein mit dem Knie ein paar Mal rhythmisch hoch zu drücken. Neckend beobachtet er meine Reaktion. „Was wird das, wenn es fertig ist?" Ich blicke an uns beiden hinab und beiße die Zähne zusammen. Kains Becken ist dicht an meinem und ich spüre das deutliche Ziehen in meiner Lendengegend. Nicht nur durch die unerwartete Dehnung. „Du bist ganz schön gelenkig, dafür, dass du dich kaum ein Meter von deinem Rechner weg bewegst." Ein weiteres Mal drückt er mein Bein hoch. "Robin ist sportlicher als du denkst!", sagt Jeff laut. Mittlerweile steht er am Bett und zieht Kain an der Schulter zurück. Ich bin endlich frei und nutze sofort die Gelegenheit um mich aufzurichten. In den letzten Jahren unserer Schulzeit spielte ich Basketball. Nur, dass ich so gar nicht der Typ für Mannschaftssportarten bin. Ich mag keine Menschen, befolge keine Anweisungen und mache oft, was ich will. Was dazu führte, dass ich mit dem Trainer und auch mit dem Rest des Teams andauernd in Konfrontation geriet. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass ich nicht lange Teil des Teams war. Ich bringe meinem Mitbewohner mit einem Blick zum Schweigen, eher etwas darüber ausplaudern kann. Niemand interessiert sich für unsere alten Schulgeschichten. Die Erinnerungen durchströmen mich dennoch. Vielleicht hätte ich Ringer werden sollen, dann würde jetzt Kain dumm aus der Wäsche gucken und nicht Abel. "Ach wirklich?" Mehr sagt Kain nicht dazu, trotzdem mustert er meine sehnige Silhouette eingehend. Ich fliehe von Jeffs Bett und sehe unwillkürlich zu Abel, der noch immer wie fehl am Platz in der Tür steht. Danach blicke ich zu Jeff. Sein Gesichtsausdruck ist eine Mischung aus Missfallen und Aufregung. Ich verstehe nur nicht warum. „Was wollt ihr eigentlich hier?", frage ich die beiden blonden Männer und lasse mich auf meinen Schreibtischstuhl nieder. Sicheres Territorium. Fürs erste. „Ich wollte nur mein Handyladegerät holen." Jeff deutet auf das schwarze Kabel, welches auf seinem Schreibtisch liegt. Er kramt nach irgendetwas in seinem Nachttisch und holt das Ladekabel hervor. „Du kannst auch meins benutzen. Es klemmt hinterm Bett. Abel weiß wo", schlägt Kain vor und kriecht zurück unter die Bettdecke. Sie nicken es beide ab. Trotz dessen rollt Jeff das Kabel in seine Tasche und auch etwas anderes. „Können wir euch wirklich allein lassen? Nicht, dass ich morgen früh zwei Leichen finde?", witzelt Jeff halbernst. Er bleibt in der Tür stehen. „Eine! Ich werde seelenruhig schlafen", kommentiere ich trocken und sehe zu Kain, der nur amüsiert kichert und sich die Decke über den restlichen Körper zieht. Jeffs Blick wandert von mir zu Kain und wieder zurück. Jeff weiß, wie ernst es mir ist. Ich erwidere seinen Blickkontakt nicht, sondern versuche Kain nur mit meinen Willen in Flammen aufgehen zu lassen. Leider erfolglos. „Okay, dann schlaft gut." „Du auch", sage ich, ohne aufzusehen. Es wird still als die beiden endlich die Tür hinter sich schließen. „Du kannst mich so lange anstarren, wie du willst, aber ich gehe nicht in Flammen auf", bemerkt Kain schmunzelnd, ohne sich zu mir um zudrehen. Es ist als hätte er meine Gedanken gelesen. Kurios. Wie hat er das hingekriegt? „Meine Schwester hat das auch immer versucht. Ich bin feuerresistent. Glaub mir." Ich starre ihn noch immer verwundert an. Doch als er sich zu mir umwendet, drehe ich mich schnell weg und blicke auf meinen Bildschirm. Ich speichere schweigend mein Dokument und schalte den Rechner aus. Meine Konzentration ist im Eimer. Ich lasse mich auf mein Bett fallen, ziehe mich um und setze mir demonstrativ die Kopfhörer auf ohne ein Lied abzuspielen. Eigentlich kann ich beim Musikhören nicht einschlafen, aber in diesem Fall hält es mir lästige Gespräche vom Leib. Für gewöhnlich klappt das auch. Allerdings scheint mit Kain nichts, wie sonst zu laufen. "Robin?" "Was?" Ich reagiere erst, nachdem er meinen Namen dreimal wiederholt hat. "Wie findest du das mit Jeff und Abel?" Wie bitte? Was ist das für eine Frage? Ich drehe meinen Kopf so, dass ich ihn theoretisch sehen können müsste, doch ich erkenne sein Gesicht nicht mehr. Mittlerweile ist es stockdunkel. "Ist mir egal", sage ich und verwende dabei akkurat Jeffs Wortlaut. Ich bin aber auch nachtragend und das erschreckt mich gerade selbst ein wenig. Das muss dringend damit aufhören. Dank Kain hatte ich heute genug Kindergartenfeeling. „Echt? Ich dachte, er ist dein Freund?", hakt der Schwarzhaarige lästiger Weise nach. „Und?" „Na, müsste es dich dann nicht brennend interessieren, mit wem er zusammen ist?" „Warum? Er muss doch mit dem Kerl leben und nicht ich", gebe ich knapp von mir und lege mich hin. Für einen kurzen Moment verweile ich auf den Rücken, doch dann drehe ich mich auf die Seite. Obwohl er nicht weiter nachhakt, spüre ich seinen Blick auf mir. Brennend und intensiv. Dennoch bleibt es still. Irgendwann ziehe ich mir die Kopfhörer von den Ohren und lausche nach Kains ruhigem Atem. Er schläft. Endlich. Ich genieße die Ruhe und schaffe es trotzdem nicht endlich selbst abzuschalten. Wenn Jeff mit Abel zusammen sein will, kann ich es schlecht verhindern. Ich sehe auch keine Gründe dafür etwas dagegen zu unternehmen. Ich kann Abel zwar nicht leiden und werde es auch nie, aber das heißt nicht, dass es für Jeff nicht gut ist. Oder weiß Kain mehr? Ist Abel ein Arsch? Wird er Jeff verletzen? Nun ärgere ich mich darüber, dass Kain einfach wieder eingeschlafen ist. Missmutig setze ich mich auf, hebe meine Kissen an und bin drauf und dran es zu werfen. Ich mag gleichgültig wirken, aber ich möchte dennoch nicht, dass Jeff verletzt wird. Meine Hand zuckt und das Kissen raschelt erwartend. Doch ich lasse es in meinen Schoß sinken. Wenn ich ihn wecke, dann wird er mich wieder nerven und vielleicht noch weitere blöde Fragen zu meinem Text stellen. Ich umarme das Kissen, bette meine Wange in den weichen Stoff und bleibe sitzen. Ich werde Abel im Auge behalten. An die Dunkelheit gewöhnt, erkenne ich den schlafenden Körper des schlafenden Mannes als ich erneut einen Blick auf das andere Bett werfe. Seine Schulter senkt sich, hebt sich mit starken Atemzügen. Ein gleichmäßiger Takt. Ruhig und leise. Jeff würde längst schnarchen. Noch ein Grund mehr, warum ich öfter mit Kopfhörern schlafe. In diesem Moment fehlt es mir fast und ich brauche ewig um einzuschlafen. Am Morgen werden wir durch das Klingeln von Kains Telefon geweckt. Ich schiebe mir die Decke über den Kopf und murre. Irgendwann reagiert auch Kain auf das nervtötende Geräusch und geht ran ohne darüber nachzudenken, dass er nicht allein ist. "Ja?... Oh, ja... guten Morgen auch... Ja, habe ich vergessen. Tut mir Leid... Hm. Okay, dann heute Abend... Nein, Merena, hör auf. Bis heute Abend!" Ihr Name lässt mich aufhorchen und ich blinzele unter der Bettdecke hervor. Es ist viel zu hell. Ich höre, wie er leise seufzt. Ich weiß immer noch nicht mit Sicherheit, was die beiden für eine Verbindung haben. Eine richtige Beziehung scheinen sie nicht zu führen. "Frauchen ruft?", frage ich spöttisch und setze mich angestrengt auf. Ich bin müde. "Ich habe vergessen, dass ich mich gestern Abend noch mal melden wollte. Wir gehen heute Abend zu einem Konzert ihrer Lieblingsband." Mehr Information als nötig. Ich streiche mir durch die verwuschelten Haare und blicke zu dem anderen Mann. Kain sieht ebenfalls zu mir und mustert mich verschlafen. "Was?", blaffe ich übertrieben. Kain antwortet nicht, sondern hebt nur abwehrend die Hände in die Luft. Er schließt seine Augen und bleibt regungslos liegen. „Ist sie eigentlich deine Freundin?", frage ich, weil mir noch immer ihr Name im Kopf rumspukt. „Nein, sie ist meine Ex. Aber der Einfachheit halber, gehen wir ab und an noch miteinander ins Bett. Momentan habe ich keinen Bock auf Beziehungen. Ich ficke." „Zu viel Information." "Du hast doch gefragt", erinnert er mich prustend. Habe ich wirklich und ich bereue es. Ich schlage die Decke zur Seite, weil es mir zu warm wird und streiche mir über den Nacken. Ein paar meiner Wirbel knirschen und knacken. Noch immer ruhen die Kopfhörer um meinen Hals, denn ich habe vergessen sie abzunehmen. "Okay, dann verstehe ich nicht, weswegen du dich wegen Jeff und Abel so aufregst. Sie machen nichts anderes als du und Mera. Sie vögeln." Hemmungslos und pausenlos. Ich bin wirklich froh, dass ich das noch nicht mit ansehen musste. "Ja, aber in meinem Zimmer und irgendwie ständig vor meinen Augen. Und das ist ein Unterschied. Außerdem heißt sie Merena", berichtigt er mich. Das werde ich mir nie merken. Kategorie nutzloses Wissen. "Findest du nicht, dass du wegen den beiden übertreibst?" „Sicher nicht, vor allem, weil ich seit Monaten damit konfrontiert werde. Irgendwann wird man einfach kirre und beziehungsphob." Er soll sich mal nicht so haben und dann lassen mich seine Worte stocken. Monate? Mehrzahl? Ich sehe ihn entgeistert an. Doch Kain scheint meinen fragenden Blick nicht zu bemerken. "Ich gönne ihnen ja den Spaß, aber die beiden sind wie Kaninchen...und nein, es ist kein Neid." Kain gestikuliert wild mit seinen Armen, während seine ebenfalls durcheinander geratenen Haare um seinen Kopf wuseln. "Warte, warte. Was meinst du mit Monaten?", hake ich nach, als ich es endlich schaffe mich aus der Schockstarre zu befreien. Nun ist es der Schwarzhaarige, der verdattert guckt. "Wie? Monate eben. Die beiden haben jetzt seit Dezember ihren Spaß miteinander, Robin!" Das sind jetzt gut fünf Monate. Fast ein halbes Jahr. Mir wird bitter kalt. Fünf Monate und ich habe wirklich nichts mitbekommen. Warum hat Jeff nichts gesagt? Ich lege mir die Hand auf den Bauch und spüre, wie sich mein Magen verknotet. "Sag bloß, das wusstest du nicht?" Für ihn ist es sicher absurd. Jeff und ich nennen uns Freunde und trotzdem scheint es, als ob ich so gar nichts von ihm weiß. Seit Dezember. Ich bin wirklich schockiert. Ich ignoriere Kains Fragen nach meiner plötzlichen Schweigsamkeit und stehe von meinem Bett auf. Fahrig streife ich mir meine Jeans über und krame einen dicken Pullover aus dem Schrank. Mehrmals ruft er meinen Namen. Ich greife mir meine Zigaretten, verlasse das Zimmer und falle wenig später auf eine der Banken vor dem Wohnheim. Die Zigarette entzünde ich unbewusst und automatisiert. Der erste Zug hat keinerlei Effekt. Erst der dritte scheint meinen Verstand aufzuklaren. Nach dem vierten Zug merke ich endlich wo ich bin und nach dem sechsten ist die Zigarette bereits aufgeraucht. Jeff macht mich fertig. Wie kann das sein? Was ist mit mir und Jeff passiert, dass ich nicht mal mehr merke, dass er schwul ist und einen Partner hat? Ich habe den Stummel noch in der Hand, als ich mir eine zweite Zigarette anstecke. Micha, der Aufseher kommt an mir vorbei. Er deutet auf meine Zigaretten und danach auf den Mülleimer. Er kriegt einen unschuldigen Blick von mir und ich widerstehe dem Bedürfnis, ihm meine ausführliche, weniger freundliche Antwort mit den Händen zu gestikulieren. Ich ernte von ihm diese typische Ich-habe-dich-im-Blick-Geste und es tangiert mich herzlich wenig. Als ich zurück ins Zimmer komme, ist Kain verschwunden und mein Blick fällt auf das leere Bett. Er hat das Bettzeug ordentlich zusammengeräumt und ans Ende gelegt. Sinnvoller wäre es gewesen, wenn er es abgezogen hätte. Ich entdecke Kains Socken am Boden. Er hat sie hier vergessen. Sie hellgrau. Langweilig und trist. Unwillkürlich sehe ich auf meine eigenen Füße und wackele mit beiden. Meine Socken sind bunt und niemals gleich. Ich nehme die Kopfhörer ab, werfe den Player auf mein Bett und sehe zurück zu den Strümpfen. Bevor ich mir überlegen kann, was ich damit mache, höre ich mein Handy klingelt. Wieder ist es eine mir unbekannte Nummer, doch als ich sie eine Weile anstarre, bin ich mir sicher, dass es die von Brigitta sein muss, mit der sie mich bereits gestern genervt hat. Demonstrativ lege ich das Telefon einfach zur Seite und ziehe mir etwas anderes an. Diesmal ist sie echt hartnäckig. Ich habe ihr das Skript erst gestern geschickt und mir ist nicht klar, was sie jetzt schon für ein Problem haben kann. Vielleicht ist es ihr nicht rosa genug oder ihr fehlen die klischeehaften Äußerungen am Schluss. das obligatorische Ich-liebe-dich, was man scheinbar nach nur zwei Wochen Beziehung empfinden muss. Für immer und ewig. Ein Ja zur Beziehung und sie bestellen schon einen gemeinsamen Grabstein. Realismus ist etwas Feines, hallt es sarkastisch durch meinem Kopf. Ich bin kein Freund von diesen kitschigen Schwachmunz und halte damit auch vor Brigitta nicht hinterm Berg. Eine Vibration kündigt mir eine Nachricht an. Ich öffne sie, obwohl ich weiß, dass sie nur von Brigitta sein kann. Sie bittet mich um Rückruf. Ich strecke dem Telefon meine Zunge entgegen und beschließe erst am Montag wieder damit genervt werden zu wollen. Basta. Das Telefon versteht meinen Wink nicht und klingelt munter weiter. Selbst als ich beim Zähneputzen im Waschraum entgeistert in den Spiegel blicke, ringt es als Phantom in meinen Ohren weiter. ich seufze fahrig und blicke zurück in die grün-blaue Augen, die mir aus meinem eigenen Gesicht entgegen schauen. Ich bin eigentlich ein ganz anschaulich, aber ich kriege selten den grimmigen Blick aus meinem Gesicht und das macht unattraktiv. Das sagt jedenfalls Jeff. Mit einem extra finsteren Gesicht streiche ich mir über die stoppeligen Wangen. Zahnpastareste kleben in meinen Mundwinkeln und ich lecke sie mit der Zunge davon. Der Geschmack der Minze mischt sich mit dem Rest des Aromas der Zigarette, der auf meiner Zunge haftet. Eine seltsame Mischung. Ein bisschen wie zu lange gezogener Pfefferminztee. Ich drehe mein Gesicht ins Profil. Vielleicht sollte ich mir einen Bart wachsen lassen. Es hätte etwas Verwegenes. Rowdyhaftes. Jeff meinte einmal, dass würde gut zu meinem ruppigen Verhalten passen. Auch Jeff fantasiert viel, wenn der Tag lang und heiß ist. Es war im Sommer unseres Abschlussjahrgangs. Damals schien ich Jeff noch zu kennen. Missmutig spucke den letzten Schaum ins Becken, spüle mir den Mund aus und lasse einen Schwall Wasser gegen den Spiegel klatschen. Nichts ist mehr, wie es war. Nichts ist, wie es mal war, wiederhole ich auf den Weg zurück ins Zimmer. Dort angekommen, beginne ich den Plot für ein neues Buch zusammen zu stellen. Mit diesem Credo. Normalerweise gönne ich mir zwischen zwei Bücher mindestens drei Wochen Ruhe, aber in meinen Fingerspitzen kitzelt diese Idee und ohne es bewusst zu wollen, entsteht in meinem Kopf ein chronologischer Abruf meiner bereits erschienen Büchern. Die Gesichter meiner Protagonisten mit all ihren Besonderheiten, Eigenheiten, Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Ihre Charakterzüge und die ineinander verwobenen Wege, die sich in jedem Buch zu einem glücklichen Ende verspinnen. Der Surrealismus in Reinform, wie ich so gern sage, denn nicht alle Liebesgeschichten haben ein zufriedenstellendes Ende und vielleicht wird es Zeit, eine solche zu verfassen. Die Möglichkeiten des Aufbaus von Liebesgeschichten sind im Grunde wenig vielfältig. Letztendlich begrenzen sie sich auf: Juchz, Heul und Tod. Natürlich sind geringfügige Abwandlungen möglich. Aber im Großen und Ganzen ist es dasselbe Schema. Sie kriegt ihn. Sie kriegt ihn nicht oder es nimmt ein jähes Ende durch frühzeitige Ableben eines der Protagonisten. Die dritte Variante kommt leider für meine Geschichten nicht in Frage. Brigitta würde es nicht zu lassen und jedes Mal wieder stelle ich mir vor, wie sie mich in einem solchen Fall geknebelt und am Stuhl gefesselt zwingt alles umzuschreiben. In einem Dominaoutfit samt Peitsche und mit irrem, rosafarbenen glitzernden Blick. Meine Lektorin kann zur Furie werden und sie hätte eine solche Aktion definitiv drauf. Ich wische die Gedanken schnell wieder davon, aber wie aufs Stichwort beginnt mein Handy erneut zu vibrieren. Eine weitere Nachricht. Die wiederholte Bitte um einen Rückruf, da sie mir einen Vorschlag unterbreiten will. Ich ahne Böses. Zumal mir das beigefügte Sternchenaugenemoji Gänsehaut macht. Ich lege das Handy ohne zu antworten beiseite und mein Blick wandert zurück auf das leere Dokument. Eine unglückliche Liebesgeschichte. Ich gehe die gängigsten Plotvarianten durch und schüttele den Kopf. Stereotyp Gradlinigkeit. Liebesgeschichten unterliegen meistens dem Drei-Akte-Schema. Sie trifft ihn. Sie verliert ihn. Sie bekommt ihn. Na ja, oder auch nicht, aber dann ist es eben keine kitschige, klischeehafte Romantik oder sie ist bewusst dramatisch. Ich persönlich empfinde es eher als frustrierend. Mir fallen zwei Charaktere eines meiner Bücher ein, die im Grunde den perfekten Hintergrund für eine tragische und unglückliche Liebesgeschichte hätten. Kindheitsfreunde. Ein gemeinsames Studium. Nein, nicht Jeff und ich. Nicht mal im Ansatz. Ich stehe auf, gehe zu meinem Bett und ziehe eine Kiste hervor, in der ich jeweils ein paar Exemplare meiner Romane aufbewahre. Nicht einmal Jeff weiß davon. Er weiß nicht mal, dass ich mich dahingehend professionell betätige. Das ist auch gut so. Er wäre sicher nicht damit einverstanden, dass ich die momentane Situation pseudo-verarbeite. Ich ziehe das gesuchte Buch heraus. Es ist der Dritte aus meiner Reihe in diesem Verlag. Aber es ist der vierte, den ich je schrieb. Ich gehe zurück zum Schreibtisch, nachdem ich die Kiste wieder tief unter das Bett geschoben habe. Ein einziges Mal habe ich eine existierende Beziehung als Vorlage genommen. Nein, es ist nicht ganz wahr. Ich habe es zwei Mal getan, aber ich zwinge mich nicht darüber nachzudenken. Das erste meiner Kitschbücher erzählt die abgewandelte Form der Geschichte eines unserer beständigsten Liebespaare im Abiturjahrgang. Sie ist die perfekt, klischeehafte Liebesschnulze, die sich kein Autor hätte besser fantasieren können. Liebe auf dem ersten Blick. Im Kindergarten. Eine gemeinsam verbundene Schulzeit. Ein unkaputtbarer Zusammenhalt trotz aller Widerstände. Nur ein einziger kleiner Makel. Die Tatsache, dass ich im letzten Jahr nach einem Streit der beiden mit ihr geschlafen habe. Das habe ich in dem Buch ausgelassen. Es hätte das perfekte Bild zerstört. Sich ein Leben lang nur an eine Person zu binden, ist meiner Meinung nach nicht möglich und mit Sicherheit auch nicht gesund. Es gibt immer irgendwas, was einen der Partner dazu veranlasst sich umzuschauen. Manchmal ist es nur ein schwacher Moment. Ein Kitzeln. Ein Funke und schon ist es geschehen. Verlassen werden und verlassen, das ist die Realität. Wahre Liebe ist Fiktion, dessen bin ich mir sicher. Der Biochemiker in mir erklärt nüchtern, dass Liebe eine chemische Reaktion zwischen Monoamin, Dopamin, Noradrenalin und Serotonin ist. Und damit ist es nichts weiter als eine Unmenge an Monoaminen, Neurotransmitter und Hormone. So schlicht und so einfach. Kein Mysterium. Im Grunde nichts, worüber es sich lohnt zu schreiben und dennoch tue ich es. Ich glaube, die beiden aus meiner Schule sind mittlerweile verheiratet. Sie wird es ihm nie erzählt haben und vermutlich ist das auch besser so. Die Geschichten, die danach folgten, entsprangen alle vollkommen meiner rosafarbenen Fantasie. Es gibt Tage, an denen ich mich so klebrig fühle, dass ich mehrere Mal angewidert unter die Dusche springe und man mich mit Süßigkeiten jagen kann. Ich bin seither auch regelmäßig beim Zahnarzt. Ich greife nach der Schachtel Zigaretten, die jetzt schon seit geraumer Zeit neben mir liegt. Ich habe so lange widerstanden, aber heute nervt mich Brigitta derartig, dass ich dringend eine rauchen muss. Draußen lasse ich mich wieder auf die Bank fallen und lehne mich zurück. Ich schlage die Beine übereinander und schließe die Augen. Meine Finger umfassen die Zigarette fester und ohne es zu merken, ziehe ich ein gutes Stück mit einem Zug weg. Warmer Qualm streicht über meine Lippen. Es kommt sogar etwas durch meine Nase. Im Trickfilm würde mir der Qualm jetzt noch zusätzlich aus den Ohren dringen. Mein Telefon bimmelt schon wieder. Ein feines Knurren rollt über meine Lippen und ich widerstehe dem Bedürfnis, es ins nächste Beet zu schleudern. Eine Wand habe ich leider nicht in unmittelbarer Nähe. Solche Aktionen haben mich im letzten Jahr drei Handys gekostet. Kein billiges Hobby. Ein genervter Laut und ich gehe ran. „Brigitta, du nervst. Ich melde mich, wenn ich Zeit habe..." „Wer ist Brigitta?" Die Stimme am anderen Ende des Telefons ist weiblich. Sie gehört aber nicht zu meiner Lektorin, sondern zu einer anderen Frau in meinem Leben. „Hey, Mama." Mir fällt wie in einem schlechten Film die Zigarette aus dem Mund. Sie kullert über meinen Oberschenkel und hinterlässt eine schwarze Aschespur. "Shit!", entflieht mir erschrocken und nicht unbedingt leise. Meine einzige, noch halbwegs passende Hose. Die anderen sind mittlerweile nur noch Jeansfetzen. Irgendwann sind Hosen mit Löchern wieder im Trend, dann krame ich sie wieder raus. "Ist alles in Ordnung bei dir, mein Schatz? Du klingst nervös." Meine Mutter klingt mehr als skeptisch. "Ja... nein...nein, alles bestens!", versuche ich sie zu beschwichtigen und trete den Stummel aus. "Rauchst du etwa wieder?" Oh nein. Unwillkürlich wende ich mich um, blicke von links nach rechts. Nichts. Um ganz sicher zu gehen, drehe ich mich noch mal komplett um und sehe ins Beet. Gelbe Tulpen und violette Stiefmütterchen, aber keine Mama. Ich starre kurz aufs Display, höre dumpf, dass meine Mutter irgendwas sagt, aber verstehe nicht, was es ist. Ich gehe wieder ran. "Schatz? Was ist denn los?" Nun klingt sie besorgt. Ich habe keine Ahnung, wieso sie anruft. "Alles fein. Nur etwas Stress. Was kann ich für dich tun?", frage ich schrecklich diplomatisch und hoffe, dass sie sich nicht weiter nach meinem Zigarettenkonsum erkundigt. "Du kannst mir versichern, dass es dir wirklich gut geht und wann wir in den Semesterferien mit dir rechnen können." "Okay. Ich lebe", sage ich schlicht zum ersten Teil und ernte ein verzweifeltes Ausrufen meines Namens. Meine Mutter kennt es nicht anders von mir und sollte mittlerweile daran gewöhnt sein. Auch Jeff hat mich vor ein paar Wochen gefragt, ob wir gemeinsam gen Heimat fahren. Doch mir ist nicht danach. Stunden lang allein mit Jeff im Auto. Im Moment ist mir ganz und gar nicht danach. Auch Freundschaften sind nicht immer für die Ewigkeit, greife ich meinen eigenen Gedanken von vorhin wieder auf. Seit fünf Monaten sind die beiden schon ein Paar und er hat es mir nicht gesagt. Ich kann es noch immer nicht wirklich fassen. "Ansonsten hab ich viel zu tun. Viel zu lernen. Ich weiß noch nicht, wie viele Hausarbeiten auf mich zu kommen und wann die Abgaben sind", sage ich vorsichtig ausweichend und es folgt ein schwerer Seufzer auf der anderen Seite. "Wir haben uns das letzte Mal zu Weihnachten gesehen, Robin. Ostern hast du dich schon gedrückt." "Ich sage ja nicht, dass ich nicht komme. Nur später." "Jeff ist viel öfter zu Hause. Warum kommst du nicht häufiger mit ihm mit, Schatz?" Der Vorwurf in ihrer Stimme ist unüberhörbar. Bei fast jedem Telefonat dasselbe. Jeff ist eben ein besserer Sohn. Zudem ist er ein Familienmensch und das bin ich nie gewesen. Jedenfalls bin ich es seit einigen Jahren nicht mehr. Am anderen Ende der Leitung wird es unangenehm still. "Mach es für René!" Nun spricht sie genau das aus, was ich nicht hören will. René schert sich nicht darum, ob ich da bin oder nicht. Trotzdem drückt sie die richtigen Knöpfe in mir. Im Hintergrund höre ich die Stimme meiner Schwester, gefolgt von der Antwort meiner Mutter, die ihr erklärt, dass sie mich gerade am Telefon hat. "Lieben Gruß von Lena. Wir fahren jetzt in die Stadt. Melde dich bitte noch mal, wann du kommst. Grüße Jeff und pass auf dich auf!", höre ich sie sagen, erwidere es fahrig und lege auf. Ich ziehe mir eine weitere Zigarette aus der Schachtel, doch als ich sie zwischen meinen Lippen spüre, erfasst mich dieses schuldbewusste Gefühl. Seufzend klemme ich sie mir hinters Ohr und gehe zurück aufs Zimmer. Im Flur kommen mir erneut die beiden Mädels entgegen. Ich sehe sie fast immer zusammen. Sie scheinen förmlich aneinander zu kleben. Ich nenne es die Unfähigkeit allein zu Handeln. Ob sie wohl eine Entscheidung treffen könne, ohne der anderen Meinung einzuholen? Ich bezweifle es. Die Hand der Brünetten streicht über den Arm der anderen und dann sehen mich beide an. Ich kann das leise Kichern nicht hören, aber ich sehe, wie die Mundwinkel der Blondine nach oben zucken, während ihre blauen Iriden auf mir ruhen. Ich sehe deutlich die Bewegung ihrer Lippen. Ein Flüstern. Ein Raunen. Ihre schlanken Körper lehnen sich aneinander. Ich würde lügen, wenn ich behaupte, dass es mich nicht interessiert worüber sie reden und ebenso, dass ich sie mir nicht ansehe. Beide sind nicht unbedingt mein Typ. Doch es ist sowieso selten, dass ich schon beim ersten Hinsehen an jemanden Interesse zeige. Ich habe so meine Eigenarten und dennoch bin ich kein Kostverächter. Ich stehe auf Sex und ich brauche definitiv Sex. Leider muss ich mir eingestehen, dass es auch schon eine Ewigkeit her ist. Vielleicht sollte ich heute ein paar Minuten früher duschen gehen, denn auf menschliche Nähe habe ich im Moment einfach keine Lust. Ich tippe geschwind den Code unserer Türverriegelung ein. Ein leises Piepen ertönt, dann kann ich die Türklinge betätigen. Im Gehen ziehe ich mir bereits den dicken Pullover über den Kopf, den ich vorhin übergeworfen habe. Ich stocke als feiner Lichtschein durch die Maschen meines Oberteils fällt und ich eine Gestalt an meinem Schreibtisch erahnen kann. Der Pullover fällt und ich erkenne Kain. „Was machst du da?", frage ich in die Stille des Raumes hinein und sehe zu Kain, der wie gebannt auf den Bildschirm schaut. Einer meiner Texte ist geöffnet und schon im nächsten Moment setzt mein Herz aus. Er dreht sich nicht sofort um, sondern atmet tief ein. Als nächstes kann ich sehen, wie sein Kopf ertappt nach vorn fällt. Danach wendet er sich zu mir um und blickt mir schuldbewusst entgegen. In seinem Gesicht steht das reine Unbehagen. „Robin, entschuldige. Ich..." Ich will keine Entschuldigung hören, sondern ich will nur, dass er aufhört meine Texte zu lesen. Er steht auf und ich bin schnell neben ihm. Der Pullover fällt unachtsam zu Boden. Ich erkenne auf dem ersten Blick, was genau er dort gelesen hat. Es ist der Text, den ich gestern Nacht weitergeschrieben habe und dessen Inhalt er unbedingt erfahren wollte. Das Unanständige. Das Versaute. Der Text dessen Hauptfigur eine unleugbare Ähnlichkeit mit ihm aufweist. Ich schließe das Dokument abrupt und beiße die Zähne zusammen. Kains Hand legt sich an meine Schulter und ich stoße sie energisch davon. Was zur Hölle? Meine Gedanken rasen. Mein Puls bebt. Wie kam er überhaupt hier rein? „Robin,..." „Hau ab." „Lass es mich bitte erklären und..." „Willst du etwas Bestimmtes?", frage ich kalt, nachdem ich seinen weiteren Erklärungsversuch gnadenlos unterbreche. Er schüttelt nur sachte seinen Kopf. „Gut, hab die Güte und löse dich auf", sage ich und spüre, wie meine Stimme leicht zu zittern beginnt. Wut. Zorn. Es ist mir unangenehm. Kain macht keine Anstalten zu gehen. „Verschwinde... Raus!!", belle ich mit Nachdruck und gehe zur Tür, um seinen Rauswurf zu beschleunigen. Er folgt mir ohne zu zögern, bleibt aber neben mir stehen und verhindert, dass ich die Tür öffnen kann. „Hör zu, es tut mir leid, dass ich einfach so an deinem PC rumgeschnüffelt habe, aber ich war echt neugierig. Du bist unentwegt am Schreiben und ich wollte gern wissen, was du eigentlich schreibst. Du wolltest es mir ja nicht sagen und..." „Es ist nichts, was dich angeht und jetzt hau endlich ab" Meine Hand umgreift die Türklinke fester und ich öffne sie dabei wenige Zentimeter. Doch Kain drückt sie wieder zu. Ich zucke zusammen als sich Kains Hand über meine legt. Sie ist trocken und kühl. Seine Fingerspitzen sind rau. „Du schreibst über mich!", sagt er schlicht, aber mit Nachdruck. Shit. Verdammt. Ich wechsele innerhalb von Sekunden vom Wutmodus in den Verteidigungsmodus. „Bitte? Schraub mal dein Ego runter, das ist absurd. Die Charaktere sind alle universell und haben keinen realen Personenbezug", spule ich ab und klinge als hätte ich es auswendig gelernt. Kain stupst mich mit der freien Hand gegen die Tür. Die andere liegt noch immer auf meiner. Ich bin zwischen ihm und dem Holz eingekeilt. „Universell? Dass ich nicht lache." Er wirkt seltsam aufgebracht. Nur warum? Nur ich habe allen Grund dazu. Mein Atem wird schwerer und hektisch. Ich habe das Gefühl, dass mir das Herz bald aus dem Brustkorb springt. Er entfernt sich etwas von mir und scheint sich zu sammeln. Niemand hätte diese Geschichte lesen soll. Niemand. Sie diente lediglich als Ventil. Nicht mehr und nicht weniger. Trotzdem fühle ich mich eigenartig entblößt. Warum musste er ausgerechnet diese öffnen. Warum? Jede andere hätte weniger über meine momentane Gefühlswelt offenbart. Ich bemerke zu spät, dass er wieder einen Schritt auf mich zu macht und ich immer noch keinen Platz habe um weiter zurückzuweichen. Beide Hände kommen auf der Tür zum Liegen und wieder pennt er mich fest. Seine Unterarme streifen meine Seiten und ich vergessen für einen Moment zu atmen. Es fällt mir schwer aufzusehen, doch dann tue ich es und blicke in intensives, warmes Braun. Kain fixiert mich. Sein Adamsapfel hüpft als er schluckt und ich beobachte, wie sie sich seine Pupillen weiten. „Der Geschmack seiner Lippen benebelt mich. Das Aroma von Kaffee und der Hauch von Ingwer auf seiner Zunge entfachen ein zitroniges Feuer und mein Geschmacksinn erblüht, wie tausende Knospen beim Empfangen erster Sonnenstrahlen. Explosionen der Sinne ausgelöst durch sanfte Berührung zarten Fleisches. Jeder Millimeter seines Mundes gleicht einer intensiven Sünde. Ich spüre, wie mein Körper zu gieren beginnt. Ich will mehr", zitiert er eine Stelle meines Textes und jedes Wort mündet in intensiver Gänsehaut. Keine Namen. Keine Zuweisung. Und doch wird allein durch diese Stelle deutlich, dass ich nur Kain damit meinen kann. Ich presse meine Zähne zusammen als er in seine Tasche greift und einen der Ingwerbonbons hervorholt. Ich fühle mich zu einer Erklärung genötigt. „Es ist nur eine Geschichte. Es hat nichts zu bedeuten." Ich klinge schrecklich unglaubwürdig. „In der ich einer der Figuren bin. Also, was bitte soll mir das sagen?" „Das hat überhaupt nichts zu sagen und die Ähnlichkeit bildest du dir ein", spiele ich runter. Ich weiche seinem Blick aus. Kain schweigt und das sorgt dafür, dass ich angespannt, aber neugierig zurück gucke. Genau darauf hat er gewartet. „Okay, dann lass es mich zu Ende lesen." Was? „Nein", erwidere ich schnell und deutlich. „Es hat doch nichts zu bedeuten, hast du selbst gesagt!" Er dreht mir die Worte im Mund um. „Nein!" Energischer. „Es ist nur eine Geschichte. Ich mag Geschichten. Lass sie mich lesen!" „Nein, verdammt. Es ist mein geistiges Eigentum." „Du benutzt mich für deine Fantasien und das berechtigt mich dazu es zu lesen!" „Bitte? Kein Chance und wozu?", erfrage ich seine Intention, denn ich verstehe einfach nicht, was er sich davon verspricht. Kain schließt die sowieso schon kleine Lücke zwischen unseren Körpern. Ich halte unbewusst die Luft an, so lange bis ich seinen Atem an meinem Ohr spüre. Ein heißer Schauer arbeitet sich über meine Brust. „Weil mich interessiert, ob er den anderen kriegt", raunt er mir entgegen. Ich erstarre. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)