Tollheit und Methode von kaprikorn (Weltenbummler Episode 1) ================================================================================ Kapitel 1: Rückkehr ------------------- Ich widme diese Geschichte jedem Klick. Jeder Klick bist Du. Also widme ich alles, was du liest Dir. **** |[T]| **** I want to build a memory I've never had 'cause I've yet tried to search for an usual past to hide high waves beyond the horizon [HIDE VINCENT · COLD WINTER SUICIDE] Satellit 5 explodierte. Seine Trümmer verteilten sich in der Unendlichkeit, wurden zu Sternenstaub und verloren sich in der Tiefe des Orbits. Für einen Sekundenbruchteil mochte man von der Erde aus ein Licht gesehen haben, einen Blitz vielleicht, der den übrigen Menschen das Leid und den Untergang verkündeten. Ob sie es in ihrer Lethargie ahnten und begriffen? Ob sie wussten, was sich auf den fünfhundert Stockwerken zu getragen hat, als die Daleks kamen und dass niemand den Angriff überleben sollte?  Oder würde ihnen lediglich auffallen, dass ihre Lieblingsserie abgesetzt worden war? **** |[T]| **** Als Rose zu sich kam und sich auf die Ellenbogen zurück in die Wirklichkeit stemmte, fühlte sich jeder Muskel in ihrem Körper an, als wäre sie einen Marathon gelaufen. Ihre Glieder schmerzten, ganz zu schweigen von Stellen, von denen sie nicht einmal ansatzweise gedacht hätte, dass es sie überhaupt gab. Ihrem Mundwinkel entwich ein dumpfes Stöhnen, indes ihre Erinnerungen sofort versuchten, nach dem verschwommenen Bild zu greifen, das für sie aus der Ferne ebenso wenig Sinn ergeben hätte, wie wenn es in voller Auflösung vor ihre Nase gehalten worden wäre. Sie konnte sich kaum an die Katastrophe und das Chaos erinnern – nur zum Teil und gerade bis zu dem Punkt, an dem sie der Doctor nach Hause geschickt hatte. Rose hätte schwören können, dass da mehr war, dass sie mit aller Gewalt und Sturheit versucht hatte, die TARDIS dazu zu bewegen, sie zurück auf den Satelliten zu bringen und offensichtlich – ja, ziemlich offensichtlich – musste es ihr auf abstrakte Art sogar gelungen sein. Der Doctor stand über der Steuerung gebeugt da und musterte konzentriert einen Punkt, den Rose von ihrer Position aus nicht erschließen konnte. Seine Stirn war gerunzelt, tief genug um erahnen zu lassen, dass er in seiner eigenen Gedankenwelt versunken und völlig abwesend war. Bei dem leisen Rascheln ihrer Kleider sah er schließlich zu ihr um und seine Mundwinkel kräuselten sich sanft unter ehrlicher Besorgnis: "Alles in Ordnung?", wollte er wissen und erntete ein Nicken. "Wie konnten wir fliehen? Ich mein' … nicht, dass ich einen Schimmer hätte, wie ich hier überhaupt gelandet bin …" Roses Brauen krümmten sich verloren, bevor sie in nachdenkliche Anstrengung verfiel. Sie rieb sich voller Erschöpfung mit dem Handballen das Auge: "Ich habe einen totalen Filmriss." Der Doctor gluckste; aber das Lächeln, das er ihr dieses Mal schenkte war unecht und verzerrte sein Konterfei höchstens zu einer grimmigen Fratze. Es dauerte eine weitere Weile, in der Rose um Erholung rang, bevor ihr auffiel, dass etwas nicht stimmte. Es war nicht nur so, dass sich der Doctor verhalten ruhig gab: denn außer dem gleichmäßigen Rauschen des Schiffes, ihren Motoren und ihrem sanften Flug durch den Zeitstrom, war es auffällig leise. Etwas fehlte, etwas, das ihr wichtig erschien. Rose stockte wie vom Donner gerührt vor Erkenntnis: "Wo ist Jack?" Die Blondine sah sich über beide Schultern um, als erwartete sie den feisten Tunichtgut durch einen der Gänge auf sich zu kommen zu sehen, sie zu begrüßen und einen unangebrachten Witz zu reißen, wie er es immer tat. Aber der TimeLord räusperte sich prompt ertappt, sichtlich unter wachsender Anspannung, die seine Finger zum Beben brachte. Er klammerte sich an die Steuerkonsole, bis seine Knöchel weiß unter der ohnehin blassen Haut hervor standen und Rose hätte schwören können, dass sie den doppelten Herzschlag, welcher den Doctor stets begleitete, durch die gesamte Schiffsbrücke hören konnte. "Zurückgeblieben." Der Dunkelhaarige blinzelte heftig und vertrieb einen Anflug ehrlicher Schuld mit einem wilden Kopfschütteln: "Ich hab' alles versucht, ich konnte ihn nicht retten. Wir hatten unverschämtes Glück, überhaupt davon gekommen zu sein … es …" Der Doctor atmete aus. "Es tut mir leid." Rose rappelte sich müßig auf die Beine, ihre Knie waren weich, weil der Schwindel einsetzte, gepaart mit übler Erschöpfung, die ihren Körper kennzeichnete. Ihre Sicht schwamm kurz, weshalb sie Halt an der Koralle suchte, die ihr am nächsten stand. Ein unerwarteter Stich machte sich in ihrer Brust bemerkbar: unverkennbarer Schmerz, aufsteigende Wut, Trotz und Trauer. Eine geballte Ladung an Gefühlen, die sie übermannte. "Du hast ihn zurück gelassen..?" Der Doctor zog den Kopf flüchtig zwischen den Schultern ein, einem Schulkind gleich das man beim Stehlen von Bonbons erwischt hatte. Allerdings richtete er sich gleichsam zu seiner vollen Größe auf und wandte sich ihr endlich zu, die Reue in seinem blauen Augenmerk sprach Bände, wo sie präsenter war denn je. Roses Herz zog sich eine Spur schmerzhafter zusammen: "Ich hatte keine andere Wahl", er klang verbraucht und heiser. "Er war bereits tot – ich habe mit angehört, wie die Daleks ihn erschossen." Die Lippen blutleer aufeinander gepresst, tat er einen halben Schritt auf sie zu; er raunte in einem beschwichtigenden Versuch ihren Namen, die Finger nach ihr ausgestreckt wie zu einer Aufforderung, oder einem Versprechen. Doch die Blonde wich seiner Taktik aus und vor ihm zurück. Rose wusste nicht, was schlimmer war, war sich nicht sicher, welche Richtung ihre Gedanken zuerst einschlagen sollten: die Tatsache, dass Jack tot war? Das Entsetzen darüber, dass der TimeLord mit ihrem gemeinsamen Verlust offenbar abgeschlossen hatte, ohne einen Blick zurück zu werfen, ohne sich davon zu überzeugen ob er mit seiner Vermutung richtig lag, nach allem, was sie zusammen durch gemacht hatten? Nach allem, was Jack für sie getan hatte? Die Britin schluckte schwer; der Kloß in ihrem Hals war unerträglich, ebenso wie die Situation, der Ausgang ihres Abenteuers. Roses Mund öffnete sich in ersticktem Protest, schloss sich wieder und schließlich wurden ihre Augenwinkel feucht. "Du hast es gehört? Sicher? Kannst du … kannst du nicht einfach zurück fliegen ..? " "Nein", erklärte der Gallifreyan hart und bestimmt, dass sein Bariton von den gewölbten Wänden der TARDIS widerhallte. Roses Magen verkrampfte sich bei der Vorstellung Jack auf dem Satelliten sich selbst zu überlassen – was, wenn der Doctor sich irrte? Sie hörte sich selbst kaum zu, als sie die Vermutung laut aussprach. "Dann kann er auf sich aupfassen!", war die einzige Reaktion, die sie erntete, heftiger jetzt. Begannen sie zu streiten? Wegen Jack? Oder um die wahllose Entscheidungsfreiheit und Bevormundung des TimeLords? Würde er sie auch einfach zurück lassen? Ein boshafter Gedanke kreuzte ihre innere Rage: hatte er das nicht? Hatte er nicht arrangiert, sie nach Hause zu schicken, ins sichere London des 21. Jahrhunderts? Roses Hände ballten sich zu trotzigen Fäusten. "Wie konntest du das nur tun? Wie konntest du dich nicht einmal überzeugen, dass … –" "Ich war umzingelt von einer Armee von Daleks! Von Jack war nicht mehr übrig als ein Haufen Staub!" Dieses Mal bellte der Doctor – und die Blonde merkte, wie gerne er wirklich gebrüllt hätte, wie sehr es ihn reizte seinen eigenen Zorn zu entfesseln und damit um sich zu schlagen, völlig entgegen seiner sonst beinahe besonnenen Art. Sie hatte diesen Ausdruck und diesen Ausbruch schon öfter an ihm erlebt, damals bei der ersten Begegnung mit dem Dalek im Museum und schließlich auch im Angesicht des Imperators am vergangenen Abend. Aber wenn Rose ein nahendes Tantrum und ein Wortgefecht erwartete, so wurde beides durch einen plötzlichen Schmerzenslaut des Gallifreyans erstickt, gefolgt von einem stockenden Keuchen. Der Doctor begann sich unerwartet unter seiner eigenen Last zu krümmen, die Arme um seine Mitte geschlungen wie ein angeschossener Soldat. Rose überriss erst was geschah, als die Beine des TimeLords nachgaben und er von einem Knie auf das nächste sank. Die Muskeln verkrampft, konnte man hören wie sein Kiefer mahlte. Für einen Moment blieb die Zeit in der TARDIS stehen. "Doctor!" Der Ärger auf ihn, gekoppelt mit der Trauer um Jacks unerwarteten Verlust, waren mit einem mal nichtig und verklärt in Hinblick auf den plötzlichen Zusammenbruch ihres Begleiters. Die Blondine machte einen Schritt auf ihn zu, wurde aber in der selben Regung von seiner kläglich erhobenen Hand aufgehalten. Er zitterte. "Bleib', wo du bist", mahnte der Doctor zwischen verschlossenen Zähnen, durch die er stoßweise seinen Atem hervor presste, offensichtlich Opfer seiner eigenen, siechenden Beherrschung, die er seit ihrer Flucht von der GameStation versuchte vor zu gaukeln. Rose entschied sich ob aufwellender Panik seine Warnung zu ignorieren und schloss die wenigen Meter, die sie trennten, mit zwei sicheren Schritten. Sie streckte wagemutig die Finger nach ihm aus und erschrak, weil seine Haut glühend heiß und fiebrig war, von dem glasigen blauen Augenmerk, das sie streifte, einmal abgesehen. "Was hast du? Was ist los?" Der Doctor kniff die Lider fest aufeinander, jede Silbe war ihm merklich zuwider. Hätte er sich gegen Roses stützenden Arm wehren können, so war sie sich sicher, hätte er es bestimmt getan. "Ich bin verletzt." Als er sich mit dem Sprechen Zeit ließ, biss sich die Blonde verunsichert auf die Unterlippe. Er sollte verletzt sein? Er, der Außerirdische, der anderen in so vielerlei Hinsicht überlegen war? Irgendwie klang allein die Vorstellung absurd. "Ich habe den Zeitstrom absorbiert", die Mundwinkel gekrümmt, schien er zu lächeln. "So etwas Dummes sollte man nicht tun, bringt einen buchstäblich um den Verstand…"  Von einem neuerlichen Krampf geschüttelt, igelte sich der hoch Gewachsene flüchtig ein: "Meine Zellen wehren sich, Rose … versuchen zu retten, was zu retten geht, bevor sie, bevor ich –…" Der TimeLord unterbrach sich selbst, schüttelte heftig den Kopf, zwinkerte zweimal und stierte ihr verklärt entgegen: "Hör zu, du musst hier fort … dort vorne unter der Konsole … drück' den roten Knopf; ein kleines Notfallprotokoll, hab' ich auf dich programmiert, es bringt dich nach Hause. Jetzt!", seine Aufforderung war ein gebellter Befehl, der Rose aus reiner Intuition ob seiner Launenhaftigkeit auf die Fußballen zurück manövrierte. Sie machte auf den Fersen kehrt, und suchte die Steuerung ab, wie geheißen. Ihre Glieder waren flau, ihre Schläfen pochten, vollgestopft mit Bildern, die sie nicht zuordnen konnte, mit der Sorge um den Gallifreyan, der einmal mehr zu stolz gewesen war, um ihr die Wahrheit zu sagen, sie vor vollendete Tatsachen zu stellen. Was, wenn er starb? Die Vorstellung war erschlagend und machte sie taumeln. "Ich hab ihn!", rief Rose als dann hektisch, doch als sie sich zu dem TimeLord umwandte, reagierte er nicht mehr. **** |[T]| **** Die TARDIS kündigte sich mit dem Geräusch ungelöster, rostiger Bremsen in der überschaubaren Gasse, im Schatten des Powell Estates an. Die Tauben kümmerte es nicht und die Gasse selbst war so verlassen, dass ihre Ankunft keine weitere Aufmerksamkeit erregte – außer die von zwei Personen, die im Laufschritt direkt darauf zu hielten, gezeichnet von Furcht und Vorfreude, Besorgnis und Verwirrung. Jackie Tyler und Mickey Smith waren beinahe synchron aus ihren Wohnungen gestürmt, hatten alles stehen und liegen gelassen bei der Rückkehr der Zeitmaschine, weil es bedeutete, dass Rose zu Hause war. Und das war gut so, dachte sich die Blonde, das Mobiltelefon in der Hand, mit der sie eine erstickte Vorwarnung geschickt hatte, weil sie die Hilfe von Mutter und Freund dringend benötigte. Der Kopf des Doctors lag inzwischen in ihrem Schoß, die Augen hatte er geschlossen; der stetige Druck seiner Hand in der ihren war das einzige Zeichen dafür, dass er noch am Leben war. Das sanfte Glühen, das sich durch seine Haut zog, wie goldene Fäden mit denen er gesponnen worden war, versetzte sie in Panik. Zum einen, weil sie nicht wusste, was es bedeutete und zum anderen, weil sie sich aus eben diesem Grund unglaublich hilflos fühlte. Mickey kam als erster in die TARDIS gestürmt und überbrückte die Distanz zwischen sich und Rose mit ausgreifenden Schritten. Er sagte nichts, sondern ging neben ihr in die Knie, versuchte zu verstehen, was er sah, weil er ahnte, dass Rose ihm keine Erklärung würde geben können. Ihre Unterlippe bebte indes, die Augen rot von den salzigen Tränen, die sich über ihre Wangen kämpften, seit sie die mögliche Erkenntnis erreichte, dass der Doctor in der Tat nicht mehr zu ihr zurück kommen würde. Dass er daran war zu sterben, weil er andere retten wollte, weil er sich in der Pflicht dazu gesehen hatte es zu tun, obgleich er immer die Wahl gehabt hatte, nach Roses Hand zu greifen und weg zu laufen. "Oh Rose", seufzte Mickey und zog sie soweit in seinen Arm, wie es ihm möglich war. Jackie hatte im Türrahmen der Zeitmaschine inne gehalten, entsetzt von dem Bild, das sich ihr bot und der Trauer, mit der ihre Tochter zu ihr zurück gekehrt war. "Los, wir schaffen ihn hier raus – und dann sehen wir weiter." Es dauerte etwas, bis Rose sich bewegte und zu ließ, dass ihr Freund aus Kindheitstagen den kraftlosen Körper des Doctors in eine Position manövrierte, die er heben konnte. **** |[T]| **** Andernorts in der selben Stadt wurde ein blasser Junge gerade Opfer einer Schlägerei. Das an und für sich war nichts besonderes. Der Junge selbst war ebenso wenig besonders – nur ein besonders beliebter Boxsack, vielleicht. Die Kerle, die ihn verprügelten, wie sie es jeden Mittwoch taten, rechneten jedoch nicht mit seiner plötzlichen Gegenwehr und seiner neu gewonnenen Kraft. Und ehe sie sich versahen, wurden sie von ihm geschubst, getreten und sogar gebissen, hemmungslos und wild, völlig ungezügelt. Sie ahnten noch weniger, dass sie durch ihre Provokation etwas befreit hatten, das gar nicht zu ihm gehörte – und das nur darauf gewartet hatte, endlich die Oberhand über ihn zu gewinnen.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)