Auftragsnummer YT1985M von xManja (Hosting by Yakuza) ================================================================================ Kapitel 1: Habe leider stinkreichen, gutaussehenden jungen Typen bekommen ------------------------------------------------------------------------- Kapitel 1 – Habe leider stinkreichen, gutaussehenden jungen Typen bekommen ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- 29.01.2015 . Auftragsnummer YT1985M Schwer seufzend lehnte sich der Musiker mit dem Kinn auf seine flache Hand und sah augenrollend über den Esszimmertisch hinweg zu seinem Vater. Auch das Kopfschütteln konnte er sich nicht unterdrücken, um deutlich zu machen wie daneben er dessen Aussagen schon wieder fand, und brummte nur noch entnerv auf. „Was meinst du denn schon wieder damit, ich solle mir endlich ‚einen ordentlichen Beruf suchen‘? Schau mich doch mal an, schau unsere Hallen an, alles ausgebucht – immer, verstehst du? Wir sind jetzt vielleicht nicht so groß wie die Scorpions, aber es reicht. Mit 40 hör ich auf und setz mich in Malibu zur Ruhe. Das ist alles chic alter Herr, mach dir keinen Kopf.“ Dem Vater entkam der laue Kaffee beinahe wieder durch die Nase, als er entsetzt darüber auflachen musste, weil der Sohnemann mit seinen 28 Jahren noch immer in Dimensionen schwebte, die nicht mehr tragbar waren im realen Leben, und brauchte somit einen Moment, ehe er Atmung und Getränk in sich sortierte. Die Hand vornehm rücklings an den Mund gehalten, blickte er nun augenrollend zu seinem Drittgeborenen und wollte einfach nicht glauben, dass er ebenfalls von ihm abstammte. „Du klingst so töricht. Komm mal hier her, auf meine Seite, und hör dir zu, was du sagst“, tadelte er fast spitz bemerkend, als die Mutter das Esszimmer betrat, um das Kuchenblech abzuräumen. „Jetzt hört doch auf, euch schon wieder so anzugiften. Kazuro, mensch, das ist doch fürchterlich mit euch“, stemmte sie eine Hand in die Hüfte, verzog den Mund und blickte mahnend auf ihren Mann herab. Eine Geste die sich nicht gehörte, aber Natsuko und Kazuro gehörten zu den Eltern die etwas cooler waren, wie Yasu fand, der zu Grinsen begann - welches allerdings sofort, wenn auch gespielt ertappt, aus seinen Zügen wich, nachdem die Mama auch ihn scharf anblickte. „Yasu. Dein Vater hat schon Recht damit, was er sagt, du brauchst gar nicht so unschuldig tun.“ „Tu ich nicht“, winkte der Musiker sofort belustigt ab und fühlte sich trotzdem von Mama verteidigt. „Mein Gott, Junge“, seufzte der Vater aus, „such dir doch endlich eine Frau und gründe eine Familie. Ich bin überzeugt davon, dass deine Synapsen dann wieder richtig arbeiten“, wedelte im nächsten Moment ein Zeigefinger kreisend vor dem Gesicht des Jungen umher, der nur die Stirn in Falten legte und erneut brummte. „Eine Frau …“, wiederholte er etwas knurrig und mit nun wahrlich genervten Zügen, was die Mutter dazu brachte den Mann einen seichten Klapps auf den Hinterkopf zu geben. Diese Freiheiten gab es bei ihm zu Hause tatsächlich. „Kazuro! Jetzt hör endlich auf. Akzeptiere es doch endlich, dass Yasu uns keine kleinen, süßen Enkelkinder schenken wird“, stocherte sie dennoch nach, und brachte die Brauen des Sohnes zum Heben. „Oooch, na wenn’s bloß das ist! Ich kauf euch welche. Ist doch heutzutage kein Problem“, sagte er so selbstgefällig, dass dem Vater die Gesichtszüge entglitten. Er konnte nicht deuten, ob sein Sohn das nun ernst meinte oder, so hoffte er, nur scherzte. „Wie wär’s mal zur Abwechslung mit einem Schokobaby?“ „Einem was?“ Noch immer spiegelte sich Entsetzen auf Kazuros Zügen, und Yasu genoss diesen Moment in welchem er seinen Vater etwas auflaufen lies. Einfach aus dem Grund, weil der es nicht lassen konnte, nach all den Jahren weiterhin zu hoffen dass sein Drittgeborener nur eine sehr lange Phase durchlitt. Er war 28 Jahre alt! Ausgewachsen! Hatte seinen Weg gefunden! Wann fand sein Vater sich endlich damit ab? „Aus Afrika“, zuckte Yasu mit den Schultern, als ginge es um Kaugummi aus einem bestimmten Laden. „Sind doch auch süß. Und angenommen, ich würde mit einer Afrikanerin ankommen, dann wäre das Kind wahrscheinlich auch eher dunkel. Wobei ich mir nicht vorstellen kann dass eine Kreuzung zwischen Afrikanern und Japanern gut aussieht.“ Als würde sich Yasu darüber ernsthafte Gedanken machen! „Ich kann mir nicht einmal annähernd vorstellen dass du überhaupt weißt, wie sowas funktioniert, Junge!“, feixte der Vater belustigt auf, nur um noch etwas mehr Salz in die Wunde zu streuen. Auch Natsuko konnte sich ein Schmunzeln diesbezüglich nicht verkneifen, doch war sie alles andere als darauf aus ihren Sohn aufzuziehen. Sie hatte sich, im Gegensatz zum Vater, zu 80% damit abgefunden, dass sie maximal einen gefühlten, weiteren Schwiegersohn bekämen, der die Familie bereicherte. Nicht jedoch eine Schwiegertochter, die eventuell süße kleine Nachkommen gebar. So schade es auch war. Yasu hatte nämlich ganz wunderbare Erbanlagen, wie auch Natsukos Mutter fand – die wiederum noch etwas abgebrühter war als Yasu selbst. Seine Oma, mütterlicherseits, war nämlich tatsächlich cool. So richtig, richtig cool. Als sie vor einigen Jahren erfuhr dass einer ihrer Enkel schwul war, war ihre erste Reaktion so derart unerwartet ausgefallen, dass selbst dem Vater die Augen aus den Höhlen fielen. „Versteh ich doch mein Schatz, versteh ich doch. Ich konnte auch nie etwas Attraktives an einem Frauenkörper finden, ich bin also völlig deiner Meinung. Achte nur immer gut auf die Gesundheit, die gerät schnell mal ins Vergessen beim süßen Schmerz. Und nimm den Mund nicht ganz so voll, hm?“ Und boxte ihn daraufhin kumpelhaft in die Seite. Ja … seine liebe Omi. Jetzt war sie leider schon sehr alt und krank. „Ganz ehrlich, Paps“, betonte er letzteres Wort etwas flapsig und überheblich, „ich möchte auch gar nicht wissen wie das funktioniert. Und außerdem reicht es doch, wenn deine anderen Kinder sich artgerecht fortpflanzen. Und wenn du mal ganz, ganz tief in dich reinhörst, dann sollte dir bewusst sein, dass du eigentlich Schuld daran hast, dass ich am anderen Ufer herumgondle.“ So. „Bitte?!“ Wieder war der Vater entsetzt, musste aber in seinem Entsetzen abermals auflachen und tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. „Was sind das denn jetzt für Thesen? Soll ich dir Schwimmflügel geben, dass du endlich an die richtige Seite schwimmst, oder was?“ Schade eigentlich dass der Gute manchmal nicht bemerkte, wie witzig er sein konnte. „Hach“, seufzte der Sohn theatralisch auf, und winkte ab. „Quatsch. Aber soviel ich weiß, wolltet ihr noch ein Mädchen – und dann kam ich. Und diesen Wunsch hast du unbewusst mit mir in die Eizelle eingepflanzt“, nickte Yasu völlig überzeugt, als sich die Mutter ein heftiges Auflachen hinter hervorgehaltener Hand verkniff, und das Kuchenblech nun hinaustrug. „Und deswegen“, zeigte nun ein Finger auf den älteren Mann ihm gegenüber, „und nur deswegen, bin ich eine Mischung aus Beidem. Na ja, oder sowas in der Art jedenfalls. Ist doch prima, meinst du nicht? Allerdings werde ich auch weiterhin keine Frauenkleidung tragen oder mich Mädchenhaft bewegen. Ich werde allerdings auch weiterhin keinerlei Interesse für Autos und Harleys aufweisen. Ich hoffe das ist in Ordnung? Und wenn es dich beruhigt … die ganze Welt ist der Meinung dass ich stock hete bin. Die Medien spekulieren derzeit sogar, ob ich etwas mit Misami Kagayami am laufen habe.“ Er kam nicht umher bei diesem Gedanken mit den Augen zu rollen. „Ist das nicht die Popsängerin, die sich so übertrieben rosa kleidet?“, wollte die Mutter wissen, die gerade zurückkam, und dem Sohn damit ein Nicken entlockte. „Wie alt ist die eigentlich?“ Yasu hob die Schultern. „Keine Ahnung.“ „Und warum ausgerechnet sie?“, hakte die Mutter nach, während sie sich auf ihren Platz, neben den Vater, niederließ und Yasu einen Moment musterte. „Wahrscheinlich, weil ich sie zweimal zum Studio gebracht habe mit meinen Wagen. Macht man ja nicht einfach mal so. Man bringt Leute generell zu deren Arbeitsstellen, wenn man sie heiraten will. Sonst nicht“, nippte er an seinen Kaffee, und sah mit erhobenen Brauen über die Tasse hinweg zum Vater, der nur sehr tief Luft holte, und das Thema schlussendlich beseufzte. Die Mutter fuhr dem Mann aufmunternd über die Schultern, als habe der eben eine schwere Nachricht zu tragen, und klopfte ihn anschließend einige Male auf den Rücken. „Na komm schon. Es gibt weitaus Schlimmeres, als einen Sohn der Musik macht, um sich mit 40 nach Malibu abzusetzen“, versuchte sie es scherzend, ehe sie Yasu etwas ernster ansah, und dann näher an den Vater heranrückte. „Vielleicht ist das sogar ganz cool, dann können wir kostenlos Urlaub am Meer machen, wenn wir alt und grau sind, oder sogar am Meer unser Ableben feiern. Also ich fände das toll.“ Und das meinte sie durchaus ernst. „Es ist dein Sohn“, seufzte der Vater fast weinerlich auf, und fuhr sich über die Stirn. „Es ist ganz eindeutig … dein Sohn.“ *** Besuche bei den Eltern … Yasu freute sich darauf sie hin und wieder zu sehen, war aber genauso froh das Elternhaus wieder zu verlassen. Besonders, wenn es die meiste Zeit darum ging, wie schwul er nun wirklich war und inwieweit sein fiktiver Plan mit Malibu Früchte trug. Als würde er tatsächlich nach Malibu ziehen wollen. Es zog ihn wohl an den einen oder anderen Ort – Malibu stand da aber nicht mit zur Debatte. Mit diesem Gedanke schritt er an jenem späten Winterabend durch die Straßen eines Szeneviertels Osakas, und konnte ein offensichtliches Kopfschütteln darüber nicht vermeiden. Malibu. Pha. Eher noch würde er tatsächlich nach Afrika auswandern, aber doch nicht zu den Amis. Die waren groß und laut und brachten sich ständig gegenseitig um. Darauf konnte er getrost verzichten, und schüttelte abermals den Kopf, wenn nicht gar den ganzen Körper, sobald das Gehirn Szenen aus amerikanischen Dramen abrief, von welchem Yasu überzeugt war, dass diese nicht unweit von der Realität entfernt lagen. Den Reißverschluss der Jacke noch etwas hochziehend, zog die andere Hand die Schachtel Zigaretten aus der Jackentasche hervor, um sich anschließend in gewohnter Manier einen der giftigen Glimmstängel aus der Verpackung zu klopfen, als seine Füße vor einen nobel wirkenden Laden hielten, welcher an der großen dunklen Tür gleich von vier Sicherheitsmännern bewacht wurde. Über ihnen das große Logo des Lokals “Arc♥ Angel“ , welches erst um 21:00 Uhr erleuchtete, sobald sich die Pforten offiziell öffneten. Wie ein altbekannter Kumpel gesellte sich der junge Mann zu einer der beiden Fraktionen und betrachtete das Logo. Schon unzählige Male stand der Musiker an jener Stelle und blickte aus diesem Winkel zu seinem Engel hinauf, welcher rücklings mit Pfeil und Bogen vor dem Schriftzug schwebte, und ein ihm unbekanntes Ziel fixierte. Ob Yasu es für gut befand, konnte er nicht direkt sagen, aber insgeheim wiederholte sich sein innigster Wunsch ein jedes Mal, beim Betrachten des kleinen Amors. Sein Pfeil sollte eines Tages seinen Mr. Right treffen und zu ihm bringen – so absurd und albern dieser Wunsch auch war, in Verbindung mit einem Hostclub betrachtet. Aber Yasu wünschte es sich. Dieser Club war sein zu Hause geworden. Hier bekam er kostenfrei ein Zimmer und war einer der wenigen Glückspilze, die sich solch einen vorteilhaften Luxus erarbeitet hatten in kurzer Zeit. Dementsprechend familiär war der Umgang mit dem ganzen Personal, und dementsprechend banal war der Wunsch, Mr. Right genau hier kennen zu lernen. Wer wusste das denn schon? Fraglich war nur, wie lange er noch bleiben konnte, gehörte er mit ende Zwanzig doch schon längst zum Urgestein in diesem Geschäft, worüber er kurz aufseufzen musste, und anschließend das Augenmerk auf die Security lenkte. „Was machst du denn hier? Musst du etwa arbeiten? Ich dachte ihr tourt?“, merkte man verwundert an und musterte den Jungen durch die schwarze Sonnenbrille. „Eigentlich hab ich frei…“, kratzte dieser sich am Hinterkopf. „Und wir touren auch nicht, das war nur ein mehrtätiges Festival, ich bin doch schon seit letzter Woche wieder hier. Eigentlich wäre heute Probe gewesen, aber die fällt aus und jetzt will mich der Boss sprechen“, erklärte Yasu, und warf einen Blick auf die Uhr. „Was war gestern mit diesem Kunden gewesen, habt ihr das geklärt?“ Einer der Security nickte mit hinter dem Rücken verschränkten Armen. „Selbstverständlich.“ „So ganz bei Sinnen war der aber auch nicht gewesen“, warf ein zweiter ein, und brachte die anderen drei zum Nicken und Yasu zum fraglichen dreinblicken. „Schätze mal ‚Magic-Wonderland-Bonbons‘“, klärte man ihn nur kurz angebunden auf, was dem Host allerdings genügte, und er mit leicht geöffneten Mund verstehend nickte. Zwar nahmen einige Hosts hin und wieder etwas ein, aber es waren eher harmlose Drogen – wobei das Wort „harmlos“ in Verbindung mit Drogen vollkommen fehl am Platz war. Aus diesem Grund waren die einzigen Drogen, die Yasu jemals zu sich nahm, Alkohol und Zigaretten. Vielleicht der ein oder andere Joint oder eine Runde Shisha blubbern, aber zu Härterem griff der Musiker nicht. Anders war da schon einer seiner Kollegen, der sich regelmäßig mit LSD vollpumpte und an manchen Abenden eine Line nach der nächsten zog. Am nächsten Tag klagte er oft über Nasenbluten, sodass sich Yasu stets darüber wundern musste, das dessen Nase nicht schon beim Anblick des Pulverpäckchens das Bluten anfing. Drogen gehörten also so gesehen dazu, und auch wenn es absurd erschien, gab es auch hierbei Regelungen. Amphetamine gehörten dazu, und waren verboten, ebenso war Crystal nicht gerne gesehen. Kunden, als auch Hosts, die damit erwischt wurden, wurden sofort des Hauses, und teilweise mit ordentlichen Geldstrafen, verwiesen. Hätte er zu jenem Zeitpunkt geahnt, dass ihm genau dieses Thema bald mehr denn je beschäftigen würde, wäre er eventuell noch wenige Minuten stehen geblieben, um dem Gespräch über genaue Auswirkungen dessen zu lauschen, und sich somit mehr Wissen darüber anzueignen. Vielleicht war es aber auch einfach das Beste, nicht zu wissen, dass man kommenden Donnerstag, kurz nach Sieben, von einer Dachlawine erschlagen wurde. *** Während Yasus Füße ihn einige Momente später die Treppen hinauftrugen, die normalerweise an jeder Stufe mit einer orange-roten LED-Leiste erstrahlten, ließ er den Blick über die Räumlichkeiten schweifen, und grüßte den ein oder anderen Kollegen, die sich schon daran machten die Gästezimmer und die beiden großen Gast- und Showräume herzurichten. Zwar war es gerade einmal 17:00 Uhr, aber es gab mitunter sogenannte „Privat-Buchungen“, sowie „Sonderbuchungen“, die je nach Buchungswunsch, schon ab 18:00 Uhr in den Club gelassen wurden. Heute zum Beispiel buchte eine Gruppe junger Mädchen ab 19:00 Uhr den kompletten zweiten Saal, und die Hälfte des Personals gleich mit. Da der Musiker heute frei hatte, war die Enttäuschung darüber, ihn nicht zu diesem Event buchen zu dürfen, bei den Mädchen groß gewesen. Böse war der 28-Jährige darüber allerdings nicht - lieber wäre es ihm dennoch gewesen, dann hätte er nicht nach ganz oben gemusst, weswegen sich das bislang gelassene Gemüt innerlich begann etwas aufzubauschen. Kleine Wellen der Nervosität schwappten durch die feinen Nervenbahnen des Körpers, der mehr und mehr in Unruhe geriet, je weiter die Füße ihn nach oben trugen. Was könnte der Chef wollen? Hatte er etwas falsch gemacht? Einen Gast verärgert? Unklug gehandelt? Gefiel ihm seine neue Haarfarbe nicht? Warf er ihn vielleicht sogar raus, weil er in den letzten Wochen intensiver mit der Band unterwegs war? Dabei hatte Yasu von Beginn an gesagt, dass er die Clubarbeit nur als Nebenverdienst wahrnehmen möchte. Fragen über Fragen, die sich hoffentlich in der nächsten Minute klärten. So kam der angespannte Körper mit einem tiefen Atemzug vor der hölzernen Tür zum Stehen, erhob die Hand, um anzuklopfen, doch just in jener Sekunde öffnete sich diese Schwungvoll und Kenta, der Barkeeper, trat mit ebenso überraschter Mine hervor, wie sie nun auch auf Yasus Zügen lag. Huch? „Was machst du denn hier?“, fragten sich die beiden Männer gegenseitig im selben Atemzug, ehe sie darüber zu Schmunzeln begannen. Kenta zog die Tür heran, deutete mit dem Daumen über seine Schulter hinweg und legte plötzlich eine Mimik auf, die mehr als nur Beachtung aussprach. „Weißt du noch, mein Apfel Martini den ich so ganz per Zufall entworfen habe?“, schmunzelte er den Jüngeren entgegen, der sogleich davon angesteckt wurde, und nickte. „Wird in die Karte aufgenommen, er fand ihn gut“, hibbelte er nun auf und ab, legte beide Hände an Yasus Oberarme und schüttelte dessen Körper ein-, zweimal vor Aufregung und Freude, was den Host nur aufglucksen ließ. Kenta war schwer in Ordnung, und zum Leidwesen manches Kunden tatsächlich einfach nur „der Typ hinter der Bar“, der sich nicht festlegen wollte, ob er lieber eine Frau oder einen Mann an seiner Seite haben wollte. Mit ganz viel Glück konnte der ein oder andere den 31-Jährigen nach Ladenschluss in den frühen Morgenstunden mit nach Hause nehmen – oder aber er nahm den ein oder anderen mit auf sein Zimmer. Das passierte allerdings selten, und wenn, dann unentgeltlich. „Was, echt jetzt?“ Yasu war erstaunt, freute sich aber für seinen Kollegen, und mittlerweile guten Freund, der nur erneut an seinen Schultern herumwackelte und vor ihm herumtänzelte. „Ohne Scheiß, man. Er’s gut drauf zur Zeit. Seitdem wir das Konzept etwas geändert haben läuft der Schuppen hier noch besser, als die Jahre zuvor. Ich möchte meinen geilen Arsch darauf verwetten, dass der mir nur ´n Vogel gezeigt hätte heute vor einem Jahr, wäre ich da mit meinem blöden Martini angetanzt. Aber jetzt? Ich musste nicht einmal was sagen, verstehst du?“ Kenta war ganz außer sich vor Freude und steckte Yasu regelrecht mit seinem breiten Grinsen an, als es im selbigen Moment aus dem Zimmer hinter ihnen unruhig wurde, und die tiefe Stimme des Chefs nach Yasu fragte. Der reckte den Kopf etwas, als könne er durch die angelehnte Tür sehen, und zog für einen kurzen Moment gespannt die Brauen, mit einem Seufzer, in Richtung Haaransatz. „Hat er dich herbestellt?“, wollte Kenta mit gesenkter Stimme wissen, woraufhin der Gefragte kurz angebunden nickte und an seinem Piercing zupfte, ehe er mit dem Finger unter der Nase entlangfuhr. „Hast du dein Zimmer nicht aufgeräumt?“ Die Frage klang so tadelnd ernst, dass Yasus Schmunzeln augenblicklich zurückkam, und er sofort auf das kleine Spiel einging, indem er sich schlagartig und überrascht einleuchtend an die Stirn griff. Selbst die Augen schloss er für einen Moment so hoch theatralisch, dass es nun Kenta war, der sich fragte wie viel Ernsthaftigkeit wirklich dahintersteckte. „Mist“, stieß Yasu aus. „Du hast Recht. Ich habe mein Bett heute Morgen nicht gemacht, und auch nicht Staubgewischt. Das wird’s sein.“ Ein dumpfes Geräusch erhellte Kentas Ohren, als sich sein Kollege die flache Hand an die Stirn klatschte, erst dann musste er verhalten über die Schauspielkünste des Jüngeren auflachen und klopfte ihn auf die Schulter. „Yasu-san, bist du das?“ Die Stimme des Clubbesitzers schlich sich erhaben, aber freundlich durch die Gehörgänge der beiden Männer, welche sich, nach einem weiteren stummen Blickaustausch, vorerst voneinander verabschiedeten, ehe der Host schließlich das Zimmer betrat und die Tür hinter sich zuzog. Sogleich kontrollierte der Chef die Uhrzeit, und bekam erst dann eine höfliche Verneigung seines Angestellten, als dieser etwas näherkam, und sein Blick auf dessen Wesen ruhte. „Sie wollten mich sprechen?“ Höflich, aber nicht zögerlich oder zu zurückhaltend kam die Frage des Jüngeren, dem im nächsten Moment mit einer stummen Handgeste der Platz auf dem Stuhl vor dem großen Schreibtisch angeboten wurde. Der hatte auch schon bessere Zeiten gesehen und wirkte, entgegengesetzt zum Club, alles andere als edel. Er war alt und abgenutzt, richtig spärlich, und hatte weiß Gott seine besten Zeiten schon hinter sich, sodass sich Yasu immer wieder fragte, was für eine Bedeutung wohl dahintersteckte. Denn wenn es um den Club ging, dann geizte der Chef nicht herum. Nur schien der Club für diesen ringsum um sein Büro zu existieren, denn dieses spiegelte absolut nicht das wieder, was man von außen und von den Räumlichkeiten des Anwesens kannte und gar schon erwartete. Nein, ganz und gar nicht. Während alles edel und auf den neuesten Stand war, war das Büro in die Jahre gekommen und erzählte fast schon ganz nostalgische Geschichten, die, sobald man sich setzte, eine stoische Ruhe auf den Körper ausstrahlten, sodass Yasus Herz schlagartig sehr viel weniger klopfte. „Ganz Recht.“ Der ältere, gut gekleidete Mann, lehnte sich in seinem Bürosessel zurück und legte die Fingerkuppen aneinander, über welche das dunkle Augenpaar hinweg auf seinen Gegenüber blickte. „Du hast eine private 12 Stunden Buchung bekommen. All inclusive. Dein Kunde wird gegen 20:00 Uhr hier sein, also möchte ich, dass du die Suite herrichtest und dich um das Essen kümmerst. Der Gast wünscht keinen Zimmerservice und hat ausdrücklich verlangt, von seinem Gastgeber bewirtet zu werden.“ Die linke Hand schweifte flach in einer Halbbewegung über den Tisch, um anzudeuten, dass Yasu sich um alles zu kümmern hatte, der etwas baff über so eine Buchung schien, dann aber zögerlich nickte. Eine private 12 Stunden Buchung setzte natürlich freie Tage außer Kraft. Auf Wiedersehen Käse-Flips, Cola und PS4 … *** Es passierte höchst selten, dass ein Kunde keinen Zimmerservice wünschte, wenn er die Suite buchte, aber … der Kunde war König. Und anscheinend auch stinkreich, was Yasu dann doch für einen Moment verunsichert dreinblicken ließ. Immerhin kannte er die Preise für solch eine Nacht, und bekam deswegen leichte Magenschmerzen. Etwa ein alter Sack? Mit Falten an den Falten? Igitt! Dann würde er sich noch eine kleine Helferpille besorgen müssen für die kommende Nacht, denn selbst er konnte nicht einfach so auf Knopfdruck mit jedem ins Bett - zumal das auch gar nicht jede Nacht oder jeden Abend vorkam – geschweige denn jede Woche. Seine letzte Privatbuchung lag über vier Wochen zurück. Seitdem war er nur unten im Club, und sorgte für Unterhaltung bei den Gästen - was meist doch der angenehmere Teil seines Nebenjobs war. Da konnte ihm egal sein, wie die Gäste aussahen. Mehr als flüchtigen Körperkontakt, ein paar Flirts, Wunschnachkommen und die Kunst des Schauspiels jemanden das Gefühl zu geben, er sei etwas ganz Besonderes und ihn einfach gut zu unterhalten mit kleinen Showeinlagen, gab es dabei nicht. Wobei er zugeben musste, dass seine letzte Privatbuchung nun auch nicht ganz so abscheulich war, weswegen er hoffte, dass auch die Heutige ganz ohne Nachhelfen vonstattengehen würde, und- „Hier.“ Der Chef reichte ihm einen Zettel, mit den wichtigsten Eckdaten der Buchung. „Harukaze Masao, 1980 geboren in Kyóto und jetzt die rechte Hand eines angesehenen Dienstleistungsunternehmens Osakas. Ich nehme an, er ist kein Kind von Traurigkeit, also sei höflich und zuvorkommend, er zahlt wirklich eine Menge“, klärte er Yasu auf, der nur immer überraschter dreinblickte, und dann fast einen Schock bekam beim Betrachten der Summe. Da stockte einem ja der Atem! „Beachtlich, nicht wahr?“ Der Chef fuhr sich leger durch das brünett gegelte Haar und stützte sich anschließend mit den Ellenbogen auf dem rustikalen Tisch ab. „Dennoch bekommst du bei seiner Ankunft Takano-san an die Seite gestellt. Sobald dein Gast sich ausgewiesen hat und alles okay ist, wird er dich dann alleine mit ihm hochgehen lassen. Sollte etwas Vorfallen, dann weißt du was zu tun ist, ja? Außerdem wird Watanabe-san heute Nacht oben in den Fluren sein. Laut Mamiya klang der Herr allerdings sehr seriös, und wenn Mamiya das sagt, lege ich schon seit Jahren etwas Wert auf ihre Worte.“ Unglaublich aber wahr – so sprach der Chef von seiner Frau – der einzig weiblichen Angestellten des Hauses, welche für die Buchungen zuständig war. Yasu nickte mit fest aufeinander gepressten Lippen und fuhr mit der Fingerkuppe des Zeigefingers über die, auf dem Papier, tonnenschwere Summe. Als könne er sie fühlen. Als würden daraus augenblicklich Geldscheine gedeihen. Dabei war er einfach nur so fasziniert davon, wie jemand, der rechnerisch gerade einmal fünf Jahre älter war, nur so viel Geld haben konnte, um es für eine einzige Nacht einfach mal für einen wildfremden Menschen, mal ganz herablassend betrachtet, beim Fenster rauszuwerfen. Immer noch unglaublich. „Wenn alles klar ist, dann würde ich vorschlagen, dass du dich an die Arbeit machst und wünsche dir eine angenehme Nacht.“ Mit diesen Worten verließ der junge Musiker das Büro des Chefs, und starrte noch immer wie gebannt auf die beachtliche Summe. Nicht dass sie plötzlich schrumpfte, oder er ausversehen das Komma an der falschen Stelle erblickte. Auch das Währungszeichen scannten die Augen immer wieder neu, aber es war und blieb das Yen-Zeichen. Selbst den Zettel drehte er ein paar Male in seinen Händen, als tauche ein großer dicker Haken auf, der ihn erschlug, aber … nichts. Kein Haken. Kein Haken, keine Dampfwalze, kein Dampfer oder Bus – nichts. Absolut nichts, was ihn auf irgendeine Art und Weise wie eine Flunder Mutter Erde gleichmachte. Keine extravaganten und unlösbaren Sonderwünsche - und zu allem Überfluss, auch leider kein Foto. So musste sich Yasu noch etwas gedulden, und was half besser gegen Ungeduld, als Arbeit? So machte er sich daran die Suite, wie gewünscht, herzurichten, und runzelte dabei nach und nach doch etwas die Stirn. Was für eine Art Mensch steckte hinter solchen Wünschen? Der Mann wollte drei Kerzen auf dem Nachttisch haben, sowie fünf auf dem Fenstersims, und wenn vorhanden, noch drei weitere auf einen beliebigen Schrank im Zimmer. Es mussten Teelichter sein, die sich in hübschen Windschutzgläsern entzünden sollten. Gut, das verstand Yasu nicht so ganz, der sich zudem fragte, was genau ‚hübsch‘ für diesen reichen Schnösel bedeutete. Des Weiteren wünschte dieser eine Nackenrolle in U-Form, und einen Fleece Bademantel in weiß. Japanisches Badesalz für die Wanne, die bitte gegen neun mit Wasser eingelassen werden sollte, und wenn möglich, begrüßte er ein Fläschchen japanisches Massageöl mit Vanillenote. Bislang alles kein Problem. Zum Abendessen wünschte der Herr sich ganz klassisches Sushi, wobei eine genaue Bestelladresse beistand, und die Anmerkung, dass neben Wasser, die Orderung eines guten Getränks nicht in Yasus Aufgaben lag. Allerdings sollte er noch sicherstellen, dass eine Musikanlage vorhanden war, die Musik von einem USB-Stick wiedergab – wäre das nicht der Fall, so sollte er sich darum bemühen, das Album ‚Symphony of Lights‘ von dem Berliner Künstler ‚The Dark Tenor‘ zu besorgen. Wer auch immer das sein sollte … laut Google jedenfalls erschien das Album im Oktober 2014. Nun, zugegeben, etwas extravagant war das schon, allerdings für die Summe noch total untertrieben, weswegen Yasu, nach der Abarbeitung der Liste, erneut den Zettel drehte und wendete, ja, sogar den Fußboden absuchte, ob er einen Zusatzzettel mit weiteren Anmerkungen verloren hatte - aber es schien tatsächlich alles zu sein. Er kam nicht umher diesbezüglich stutzig zu werden, glaubte er doch wirklich, dass da noch sehr viel mehr sein müsste, in Anbetracht der Summe, ehe sein Blick prüfend durch die Suite schweifte und schließlich für sich nickte. Das durfte zu diesem Zeitpunkt alles gewesen sein, und so verließ er die Räumlichkeit, um sich auf den Weg in ein Hinterhaus zu begeben, wo die Privatzimmer einiger Mitarbeiter lagen. So auch Yasus Zimmer, auf dessen Bett schon seine Flips, die Cola und die noch nicht angeschlossene PS4 warteten. Dabei freute er sich schon seit letzter Woche darauf, endlich einen Abend mal nichts zu tun und sich ganz ohne Sinn und Verstand der virtuellen Welt des Battlefield Hardline zu widmen. Aber Pustekuchen. Er konnte das traurige Bild einer netten Beschäftigung nur beweinen, ehe er schließlich wehmütig unter die Dusche stieg, um sich fertig zu machen. Doch genau da drehte sein Hirn gerne amerikanische Filme mit ihm, sodass er beim einmassieren des Shampoos in die Haare, gebannt die Fließen vor seiner Nase anstarrte, und nicht bemerkte, wie sich eine weiße Schaumschnecke über seine Stirn schlich. Wahrscheinlich war dieser Harukaze so Grotten hässlich, dass ihn niemand wollte, und musste notgedrungen mit so einer Summe arbeiten, um endlich mal einen abzubekommen? Oder noch viel schlimmer – der brachte eine Kamera mit, und verlangte einen Pornodreh von Yasu! Das Abartigste was sein Hirn allerdings projizierte, war eine Szene, mit einem stinkreichen, Bärtigen alten Sack, der Falten über Falten auf den Körper verzeichnete, und ihm beim Dreh des Films mit einer Peitsche ganz absurde Dinge abverlangte. Dem Musiker wurde ganz schlecht, und je mehr er darüber nachdachte, umso schlimmer wurde die ganze Szenerie in seinem Kopf, sodass er sich ganz ernsthaft die Fragen stellte, ob das überhaupt noch tragbar war was er hier tat. Geld hin oder her, aber das war definitiv erniedrigend. Das musste er sich nicht antun! Andererseits würde er dann auf der Straße landen, denn der Wohnungsmarkt in Osaka war leider nicht durch den Gang eines Kleiderschrankes ins Narnia gepflastert, wo er hätte leben können. Auch bei einen seiner Bandkollegen wäre kein Platz auf Dauer, und zu seinen Eltern … Nein. Schnell versuchte der junge Mann all die Gedankengänge, und die Schaumschnecke, fortzuspülen, konnte sich aber nicht so recht entscheiden, inwieweit hübsch er sich herrichten sollte. Er fand es viel zu schade für einen aufgeblasenen Taugenichts Make-Up und Haarspray zu verschwenden, auf der anderen Seite leuchtete der Geldbetrag immer wieder vor seinem inneren Auge auf, und machte ihn deutlich, dass das hier nicht zum Vergnügen gehörte. Manchmal hatte der Musiker damit ein Problem, welches überwunden werden musste, also begann er dieses zu lösen, indem er sich, nach sorgfältiger Auswahl seiner Abendgarderobe, doch dezent schminkte und stylte. Da lobte er sich den älteren Bruder, welcher als Make-Up Artist tätig war, und ihn und seiner Band immer zur Seite stand. So war es ein Leichtes eine gute Grundierung aufzulegen, und sich so zu schminken, dass es wie eine zweite Haut auflag. „Natura-Photoshop“, sagte sein großer Bruder immer dazu. Dieser Gedanke ließ ihn lächeln und einen Moment völlig vergessen, wo er war und wer er war. Denn Masahito, sein großer Bruder, war Yasus ein und alles. Er war auch der einzige Mensch in seinem Leben, der so ziemlich alles von ihm wusste, und ihn dennoch mit Stolz als seinen Bruder ansah. Er wusste, dass er hier lebte und arbeitete. Er wusste, wie es Yasu wirklich ging, der sich zwar nicht groß beschwerte, aber einfach noch eine Kleinigkeit zu seinem persönlichen Glück brauchte, um zufrieden zu sein. Außerdem zeugte der in der Familie wahrlich die schönsten Neffen. Blieb nur zu hoffen, dass die kommende Nichte auch so ein Augenschmaus werden würde. *** Die restliche Zeit, die ihm noch bis zur Ankunft seines Gastes verblieb, wollte er bei Kenta an der Bar verbringen. Einerseits, um sich etwas mit ihm zu unterhalten, andererseits, um sich schon einmal etwas Mut anzutrinken. Mut vor den Unbekannten. Eigentlich sollte er etwas abgehärteter sein was das betraf, denn im dem Grunde war seine ganze Zukunft und jeder Tag ein Mysterium. Besonders was seine Musik betraf. Im Moment stand die Band hoch im Kurs, war gut ausgebucht, aber man durfte sich deswegen nicht zurücklehnen und Däumchen drehen. Schon Morgen könnte es mit Ruhm und Ansehen vorbei sein – dessen war sich der junge Mann bewusst, der wohl so einen verlorenen Eindruck auf Kenta machte, dass der ihn sogleich einen seiner Apfel Martinis über den Tresen schob. Etwas irritiert und fragend hob Yasu den Blick, doch brauchte es keine weiteren Worte, und der Ältere winkte zwinkernd ab. „Ich lade dich ein.“ Na, wenn das so war. Die Hand umgriff das Glas, hob es an und prostete dem Barkeeper zu, der nickte, einige Gläser polierte, und sich anschließend beim Sortieren der Schnapsflaschen direkt gegenüber, hinter den Tresen, seines zuweilen einzigen Gastes und Kollegen stellte. „Nervös, hm? Wäre ich an deiner Stelle auch, wer weiß schon was das für ein Gollum ist. Am Ende hat er nur ein Auge, hier so, über der Nase, schielt und stinkt nach Altenheim.“ Er machte es einfach mal vor, doch konnte der Jüngere den Witz nicht so Recht weglächeln, und tippte sich stattdessen selbst an die Stirn. „Die Viecher heißen Zyklop. Und ich bin mir gerade ernsthaft unsicher, ob man mit nur einem Auge schielen kann.“ Wobei ihm gerade auffiel, dass es schier unmöglich war, dass der Kunde nach Altenheim roch. Der war 33 Jahre alt, also hatte der auch keine alten, labbrigen Falten! Der war kein alter Sack! Aber alle anderen abartigen Optionen blieben offen. „Klar man. Nach oben, nach unten, nach links, nach rechts – jeder kann schielen, egal wie viele Augen er hat.“ Jetzt musste Yasu doch auflachen, allerdings zeitgleich den Kopf schütteln und seufzen. „Unterhalten wir uns gerade ernsthaft über Dinge, die mit der Lage der Nation gar nichts zu tun haben?“ „Lage der Nation?“ Diesmal lag es an Kenta die Stirn belustigt in Falten zu legen. „Soooo angesehen bist du nun auch nicht, dass sich dein Gemütszustand auf das ganze Land ausbreiten würde, bleib mal am Teppich, und sei nicht Teppich, du Mausezähnchen.“ „Bitte was?“ „Ja, ja“, nickte Kenta kräftig. „Ein Mausezähnchen bist du.“ „Was bitte soll das sein?“ „Meine Güte …“, seufzte der Barkeeper augenrollend, „ der Junge hat keine Ahnung vom Schielen und Häkeln, aber vom Tuten und Blasen oder wie?“ Mit völlig überheblicher Schauspielkunst, sah Kenta Yasu mit erhobenen Brauen an, als wolle er ihn dazu bringen noch einmal genauer darüber nachzudenken, um sich nicht zu blamieren. Doch der Musiker schien nun wahrlich irritiert und blickte den Barkeeper abwartend an, der sich Daumen und Zeigefinger an das Nasenbein hielt, die Augen schloss und schwer aufseufzte. „Tze … mein Gott, Jungchen, was soll nur aus dir werden“, stieß er weinerlich aus. „Was habe ich nur falsch gemacht? Ich hätte dich in einen Hauswirtschaftskurs schicken sollen, und nicht auf die Musikschule. Ich sollte ein ernsthaftes Wort mit deiner Mutter reden, so geht das nicht weiter.“ Welch ein Schauspiel, es konnte nur belacht werden. „Alter, dir bekommt wohl die neue Getränkekarte nicht, oder was?“, feixte Yasu, hob den Hintern vom Hocker und beugte sich so weit nach vorn, dass er Kenta über den Tresen hinweg einen kumpelhaften Stoß gegen die Schulter geben konnte. „Ehrlich jetzt, ich habe noch nie im Leben das Wort ‚Mausezähnchen‘ gehört. Was soll das sein? Ein Kosename? Oder hast du das eben erfunden?“ Die Streichmusik des berühmten Geiger David Garrett spielte in jenem Augenblick ein, mit dem Stück Clementi Sonatina, welches Yasu sehr mochte, obwohl er eher zur Metallfraktion gehörte, und ließ sich damit wieder auf seinem Hosenboden sinken. Im vergangenen Jahr war er mit Masahito auf einem Konzert des Geigers. Anfangs war er nicht sehr davon angetan, doch bei diesem Song hatte der Künstler ihn schließlich abgeholt. Das Glas an die Lippen geführt und den Barkeeper noch einen sehr fragwürdigen, aber auch belustigten Blick geschenkt, stockte er beim Vorhaben sich einen weiteren Schluck des herben Getränks zu gönnen, als eine wirklich angenehme, aber bis dato fremde Stimme den Gehörgang streifte. „Mausezähnchen ist ein gezähntes Muster an der Kante einer Häkelei.“ Es klang so unnahbar und ruhig, dass sich der Körper kaum getraute eine Bewegung auszuführen. Erst als sich Takano-san im seitlichen Sichtfeld des Musikers abzeichnete, wagte der es sich zu bewegen, und wandte den Blick zu ihm. Allerdings war es nicht dieser gewesen, welcher die Aufklärung verlauten ließ. „Yasu-san, dein Gast ist soeben eingetroffen.“ Mit einem Fingerzeig deutete er auf einen jungen Mann, welcher mit angemessenen Abstand stehen blieb, und den Host nun auffällig, dennoch unaufdringlich, musterte und ein charmantes Lächeln aufsetzte, sobald dieser sich ihm zuwandte. „Verzeihung, ich bin etwas früher, es ist also völlig in Ordnung, wenn Sie ihr Getränk noch in Ruhe genießen möchten.“ In einem Comic wäre das der Moment, wo dem Protagonisten meist die Kinnlade auf den Boden fiel und die Augen übertrieben groß aus ihren Höhlen traten. Aber Yasu hatte Glück. Sein Körper deformierte sich in keiner Weise beim Anblick des wohl schönsten Mannes, der ihm seit Langem vor die Linse lief. Ja, wirklich, es war wie ein angenehmes Klavierstück, welches der Seele in ruhigen Zeiten zu Gute kam, als das Augenpaar den Gast vom Scheitel bis zur Sohle regelrecht abscannte, um nach Fehlern zu suchen. Tiefschwarzes Haar, definierte Gesichtszüge, ein seidenglattes Hautbild, glasklare Augen, fein geschwungene Lippen und eine wahrlich beneidenswerte Körperhaltung, in einem, sicherlich sehr teurem, dunklen Anzug. Die drei geöffneten Hemdknöpfe an der oberen Knopfleiste schienen das perfekte Bild eines seriösen Mannes zerstören zu wollen, doch in Yasus Augen war genau das schon, im wahrsten Sinne des Wortes, ein erster Einblick auf den wahren Charakter. Was für ein wunderschöner Mann … „Du … bist …“ Wow! Er verschlug Yasu regelrecht die Sprache. „Harukaze Masao, freut mich. Ist es denn okay, wenn wir uns duzen?“ Er reichte ihm die Hand, verneigte sich sogar, dabei war das Yasus Aufgabe, der augenblicklich, wie von der Tarantel gestochen vom Barhocker rutschte, und versuchte seine Begrüßungsfloskeln alle auf einmal abzuarbeiten - sich dabei allerdings total verhedderte. Sowohl mit dem Körper, als auch mit der Zunge. „Oh Gott, es tut mir leid, eigentlich hättest du – SIE! … Sie … eigentlich hätten Sie mir das Du anbieten müssen, und ich hätte Sie auch gerne angemessen in Empfang genommen, ich wusste nicht-“ Masao lachte verhalten auf. „Locker bleiben, wir sind schließlich nicht auf dem Wiener Kongress“, zwinkerte er kess. Das nicht, aber wir waren höchstwahrscheinlich Milliardenschwer! „Wooow.“ Ein Pfiff ertönte. „Mein lieber Scholli, ganz ehrlich“, lehnte sich Kenta völlig angetan über den Tresen und warf sein Wischtuch über die linke Schulter. „Wir dachten schon da kommt so ein richtig alter, hässlicher Zyklop. Weißt schon, diese Wesen aus der griechischen Mythologie. Yasu wollte sich gerade noch `n bisschen Mut antrinken, um die Nacht zu überstehen, aber da gibt’s ja gar nichts zu überstehen.“ Er musterte Yasus Gast ganz offensichtlich angetan - dem fielen nun aber beinahe die Auge aus den Höhlen, als Kenta mal wieder so mir nichts dir nichts, locker vom Hocker, einfach das sagte, was sein Hirn so dachte! War der nicht mehr ganz bei Trost!? „Kenta!“, fauchte der Jüngere deswegen mit ganz eindeutiger Gestik und Mimik, was Masao allerdings amüsiert und weich auflachen ließ. So, so. Ein hässlicher Zyklop also. Masao besaß zum Glück so viel Selbstbewusstsein, dass er darüber locker hinwegsehen konnte, und nicht einmal Ansatzweise darüber nachdachte, ob er jetzt besser aussah, als solch ein Wesen aus der griechischen Mythologie. Denn das tat er bei Weitem. Und Yasu sah wahrhaftig noch viel schöner aus, als auf dem gezeigten Foto, welches er bekam. So ein Mist aber auch. „Was denn? Ist doch wahr, schau ihn dir doch mal an, da kann man ja glatt neidisch werden. Hätten die Griechen ihn als Vorlage genommen, es gäbe nichts Schöneres als Zyklopen“, posaunte der Barkeeper weiter von sich, als sich Masao direkt neben Yasu niederließ und verschmitzt seine Unterlippe zwischen die Zähne zog. Den Blick dabei auf Kenta gerichtet. „Du kannst gerne mitkommen, so knausrig und verklemmt bin ich nicht“, bot er ihm an, brachte Kenta allerdings sofort verlegen darüber zum Abwinken. Ebenso verlegen über diesen Fehlstart sah Yasu auf die Uhr, die zwanzig vor Acht anzeigte. Wahrlich, noch reichlich Zeit, er hätte nicht gedacht dass Masao schon so dermaßen überpünktlich auftauchte und schickte Takano-san nun weg, bat ihn allerdings noch darum, wenn das Sushi käme, es bitte in den Kühlschrank der Suite zu bringen. Er hatte ausdrücklich darauf bestanden, dass die Lieferung Viertel vor Acht kam. „Was trinkst du da?“, wollte Masao neugierig wissen und nickte auf den Cocktail, ehe er seinen Gastgeber fragend ansah. „Darf ich kurz?“ Anscheinend wollte er daran schnuppern, also nickte Yasu und hätte auch kein Problem damit gehabt, hätte der andere seine schön geschwungenen Lippen an das Glas gelegt, um daran zu nippen. „Martini im vorgekühltem Glas, gerührt. Nicht schlecht“, stellte der Gast fest und erweckte den Anschein von der höheren Klasse zu kommen, die auf viele Kleinigkeiten achtete. Ganz bestimmt hatte er auch darauf geachtet, dass seine Unterwäsche mit seinem Anzug harmonierte – auch wenn man diese gar nicht sah. Noch nicht jedenfalls … „Wollen sie einen?“, erfragte Kenta Masaos Absichten, welcher an dem Getränk roch, und es anschließend zurückstellte. „Eine interessante Mischung von Wermut und Apfel. Gerne. Es sei denn sie verkaufen das nicht an Zyklopen, ich habe meinen Stammbaum leider nicht dabei, um diesen Ursprung auch wirklich zu 100% auszuschließen.“ Kenta war erstaunt und auch Yasu musste zugeben, dass dieser Mann ihn gerade fesselte. Doch Kentas herzhaftes Lachen durchbrach das Schwelgen des Hosts. „Und sie waren so vernünftig einen Haushaltskurs zu besuchen, ja? Soviel ich weiß sind Zyklopen da nicht zugelassen“, scherzte der Keeper beim Mixen seines Cocktails weiter, was unter stetiger Beobachtung des Gastes geschah, der einen Arm auf den Tresen legte, und sich amüsiert auflachend mit der Zunge über die feingeschwungenen Lippen fuhr, sowie den Kopf schüttelte. Ein ebenso amüsierter Laut brachte seinen Witz zum Ausdruck, dann zog er sein Handy hervor und drehte es in der Hand nach links und rechts präsentierend. „Gewiss nicht, aber ich weiß wie Google funktioniert. Im Übrigen … das Du gilt auch für dich, ich schätze du bist keine drei Jahre jünger als ich, wenn nicht sogar genauso alt, also … bitte.“ So. Er sah also nicht nur gut aus und war stinkreich – nein, er sprach sogar die Sprache der unteren Bevölkerung. Fließend! *** „Liebes Tagebuch, hätte mich heute über einen Zyklopen gefreut, da sowas nicht in mein Beuteschema fällt. Habe leider stinkreichen, gutaussehenden jungen Typen bekommen. Versuche ihn mir jetzt hässlich zu trinken! in Selbstmitleid zerfließend, Yasu“ *** „Na dann, Yasu“, hob Masao sein eben bekommenes Glas, und ließ den Host den hitzigen Kloß in seinem Hals schlucken, welcher es ihm gleichtat. „Auf eine schöne Zeit.“ Sein Lächeln war berauschend. Wo war bloß der Haken! Wo war bloß dieser verdammte Haken?! ---------------- Next? ---------------- Kapitel 2: Hör auf mich so anzubitchen verdammt, das macht mich aggressiv! -------------------------------------------------------------------------- Kapitel 2 – Hör auf mich so anzubitchen verdammt, das macht mich aggressiv! ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- 28.01.2015 - 20.08.2015 . Auftragsnummer YT1985M – extra Large Schallendes Gelächter hallte durch den Raum, wo normalerweise ganz andere Laute die Wände bezirzten - die eventuell noch kommen würden - doch in jenem Augenblick ganz bestimmt nicht. Zwar hatte Yasu nicht nur einen Martini getrunken, sondern drei, weil sie noch eine ganze Weile an der Bar blieben , aber dennoch. Dennoch war er blöderweise noch nicht betrunken genug , ja, noch nicht einmal annähernd angeheitert um nicht sofort wieder ein beklemmendes Gefühl in der Brust zu spüren, sobald das Hirn ihm mitteilte, dass man über ihn lachte. Masao lachte ihn herzlich aus – dabei befanden sie sich noch keine fünf Minuten in der Suite und Yasus schwerer Felsbrocken, der an der Bar endlich wegrollte und bröckelte, knallte von jetzt auf gleich auf sein Gemüt zurück und machte ihm das Leben schwer, als er einen Blick zur Tür hinter sich warf, als könnte Masao über jemanden anderen lachen. Aber sie waren allein. Der Ältere blickte ihn direkt an und belustigte sich – Zweifel ausgeschlossen. Martini hin oder her. Das Gemisch wirkte noch kein bisschen, und wenn, dann hatte es die Scham die ihm gerade durch Mark und Bein kroch einfach weggeschubst und dem Gehirn in die Warteschlange gedrückt. Mit ganz viel Glück war er vielleicht in zehn Minuten total besoffen, sobald sein inneres Wesen damit fertig war, sich in Grund und Boden zu schämen, ohne überhaupt zu wissen aus welchem Grund? Und das nur, weil man ihn gerade … auslachte? „Oh man. Sorry, aber das ist einfach herrlich“, erklärte der reiche Schnösel seinen Lachflash kurzerhand mit einem Schmunzeln. „Okay.“ Die Hand erhoben um abzuwinken blickte er Yasu schließlich an, den letzten Lacher hinunter schluckend. „Ernsthaft, lassen wir das höfliche Gequatsche endlich sein, ja? Weder du, noch ich, haben blaues Blut, und selbst wenn, würd’s mich tierisch nerven die ganze Zeit mit geschwollener Zunge zu reden.“ Masao schnaubte höchst amüsiert durch die Nase auf, als er währenddessen die Kerzen kontrollierte, die haargenau so angeordnet waren, wie er es verlangte, nahm eine davon und betrachtete das Windschutzglas, in welchem es stand – ebenso, wie verlangt - und spitzte entzückt die Lippen, während eine Braue belustigt in Richtung Haaransatz wanderte und der Blick anschließend zurück auf dem Musiker fiel. Dass dem das Ganze jetzt höchst peinlich war sah er aus drei Meter Entfernung, denn die Wangen Yasus hatten sich so enorm rot eingefärbt, dass selbst Masao am liebsten hineingekniffen, und wie eine Omi mit Zeigefinger und Daumen daran herumgezogen hätte. „Ich habe schon gehört dass der Laden hier wirklich alles möglich macht was die Kunden wünschen, insofern es angemessen ist, aber … Yasu, bitte“, stellte er das Lachen per Knopfdruck ein, die Kerze zurück an ihren Platz und ging unumgänglich zum Bett, nahm sich die Nackenrolle, und hielt sie dem Host mit einem Blick entgegen, dass der nun glaubte, es sei der größte Fehler seines Lebens gewesen. Mal abgesehen von seinem Herzklopfen, welches ihn gerade ziemlich zu schaffen machte, denn so enorm aufgeregt war er schon lange nicht mehr. Nur hatte man ihn auch schon Ewigkeiten nicht so offensichtlich … ausgelacht und sich über ihn belustigt, ja, ihn gar verarscht? War das hier eine Fakebuchung? „Bordeaux farbene Kerzen und eine gelbe Nackenrolle? Geht gar nicht“, meinte der reiche Schnösel dann genauso ernst, wie er ihn ansah, kam damit auf Yasu zu und drückte es ihm gegen die Brust. Mehrmals. Mit Nachdruck. Um das Schauspiel so glaubhaft wie möglich zu machen, doch war er sich nun, wo er direkt vor ihm stand, ziemlich sicher dass der Jüngere ohnehin in jener Sekunde weder warm von kalt unterscheiden konnte und sah ihn wahrlich böse an. Yasus Herz schlug ihm binnen Sekunden bis in den Hals und gab ihm das Gefühl jeden Moment daran zu ersticken. Er war kein Kind von Traurigkeit, war auch nie leicht einzuschüchtern, aber was die Arbeit im Hostclub betraf, war er seit einem Vorfall kurz nach seinem Einstieg sehr vorsichtig geworden und fühlte sich generell unwohl, wenn er eine Privatbuchung bekam. Man wusste immerhin nie wer der andere wirklich war und auch wenn er im Hinterkopf wusste, dass Takano-san heute Nachtwache hatte, so könnte man eine Hure leicht erschießen, vergiften, erstechen, erwürgen, ertränken – oh, da fiel ihm gerade so Einiges ein was Masao mit ihm tun könnte, bevor Takano-san hier wäre! Doch schluckte er die Gedanken ganz schnell samt Kloß im Hals hinunter, versuchte gefasst zu wirken, war aber auf der Hut. Gelb. Gelb und Bordeaux – nicht gut zusammen. Okay. Und wieder lachte Masao auf, fuhr sich über die Stirn hinweg durchs Haar und warf das Kissen schließlich zurück auf das Bett, zog Yasu an den Hüften gepackt zu sich und schmunzelte ihn frech an – der gerade sämtliche Sprachkenntnisse verlor, sowie ein Stück seiner Würde. Der perfekte Mann, der vor etwa einer Stunde unten an der Bar auftauchte und sich ihm als Kunden vorstellte, entpuppte sich gerade zu einer völlig neuen Person, sodass Yasus Körper vor Nervosität, aber auch vor Frust ganz hitzig wurde. „Du bist süß, wenn du rot wirst“, stellte Masao trocken und zugleich auch kess wirkend fest, schaffte es damit jedoch nicht dem anderen auch nur einen Ton oder eine Regung zu entlocken - der war gerade auf Standby, so wie es schien, und schaffte es gerade noch seinen Gegenüber direkt anzusehen, um zu signalisieren dass er noch am Leben war. „Lass mich raten, du fühlst dich gerade total verarscht, hab ich Recht?“ „TOTAL!“, blaffte er den Schönling an, ohne es gewollt zu haben, wobei sich selbst die Stimme etwas überschlug, und die Wangen damit noch etwas mehr anmalte. Yasu spürte die Hitze, welche seine Haut von innen heraus in Rot tauchte und wünschte sich augenblicklich eine Klimaanlage, um anschließend mit einer fetten Grippe drei Monate im Wachkoma zu liegen. Masao hingegen schien es zu gefallen, der nur wieder amüsiert auflachte und mit einer Hand über den roten Schimmer fuhr, als müsse er ihn fixieren. „Eigentlich … wollte ich nur testen, wie gewissenhaft du vorgehst und find’s schlichtweg faszinierend WIE gewissenhaft du tatsächlich auch bist“, lächelte dieser, strich mit dem Daumen sanft über den Wangenknochen Yasus, der nur aufschnaufte und den Blick abwendete, gar leicht den Kopf schüttelte. So ein blöder, dummer, dämlicher, arro- „Hast du etwa auch das Album besorgt von diesem komischen Tenor oder wie der hieß?“ Masao hob skeptisch die Brauen und musterte den Host weiterhin amüsiert. Der war aber auch niedlich, jetzt, wo er bockte und endlich die Information durchsickerte an seine Nervenbahnen, dass sie sich beruhigen konnten. Man würde ihn nicht umbringen und Masao schien ein normaler Typ zu sein, der sich eben einen Scherz erlaubte als Einstieg. Warum auch nicht? Hosts zu verarschen und ein bisschen bluten zu lassen war der Musiker ja gewohnt, aber dass dieser Typ wirklich … Moment mal. „HÄ?!“ Yasu war nahezu entsetzt über diese Frage und wollte das einfach nicht glauben, wie man ihn hier gerade aufzog! Und dafür sollte der andere sogar ein Album bestellt haben für den Abend, von einem Künstler, dessen Namen er nach wenigen Stunden längst wieder vergaß? Warum um Himmelswillen machte sich ein Mensch solch eine Mühe? Nur um das verzogene Gesicht des Jüngeren zu sehen und sich darüber köstlich einen ablachen zu können? Im Ernst? „WAS genau meinst du jetzt damit? Dass du einfach irgendwas rausgesucht hast, nur um echt zu testen, was- BOAH! Und jetzt kommt noch, dass du gar keine Kohle hast, ja? Was bist du wirklich? Bauarbeiter oder so und gebürtiger Inder?“ Letzteres war offensichtlich nicht der Fall, aber wer wusste schon, sobald der Anzug fiel, was darunter noch zum Vorschein kam? Da war er sich sicher den Haken gefunden zu haben. Masao existierte gar nicht. Es war eine dieser Fakebuchungen, von wegen verlorene Hetenwetten und solche Scherze. Reiche Schnösel, die nichts Besseres zu tun hatten, als sich über Leute, wie es Yasu im Moment war, zu belustigen, sie herum zuschubsen und sich daran aufzugeilen. Wüsste er nicht, dass die Kunden schon im Voraus zahlten, er wäre spätestens jetzt umgedreht und gegangen. Das musste er sich nun wirklich nicht bieten lassen! Wahrscheinlich vertrat dieser ebenso die Meinung, wie viele andere auch und wiegte sich in Sicherheit mit dem Gedanken daran dass Hosts schlichtweg Freudenmädchen wären, mit welchem man tun und lassen konnte was man wollte! Die ach so prickelnde Welt zerbrach in jenem Moment, als Yasu seinen Gegenüber musterte, welcher noch genauso schön war, wie vor einer Stunde. Nur leider rammte ihn der gesuchte Haken mit voller Wucht, sodass all seine Euphorie für diesen Mann schwand und eine erneut, unbeschreibliche Leere in ihm aufkam, welche durch Masao immerhin für eine Stunde verschwand. Er war nur einer von Vielen. Er war nur einer von Vielen, für die Yasu Dinge tun würde, welche gewünscht waren, um anschließend wieder zu verschwinden. Er würde ihn niemals wiedersehen – er war nur das Abendessen für diese Nacht und morgen würde etwas anderes auf den Tisch kommen. Innerlich ohrfeigte sich der Musiker für sein lachhaftes benehmen, für seine emotionalen Höhenflüge und seine verkorksten Träume, die er hegte, endlich einen Partner zu finden. Wenn er das wollte, dann doch sicherlich nicht hier. Was genau hoffte also tief in ihm drin, dass es doch endlich klappte und wieso war er gleich nach wenigen Minuten Feuer und Flamme, ohne ihn zu kennen und dann nur eine Stunde später, wie so oft, enttäuscht und verletzt, dass er von Wolke 5 auf dem Weg zu 7 wieder auf den Boden der Realität landete? Ach ja. Die Realität … manchmal war sie leichter verdrängt, als ein nachziehender Alptraum. Masao hingegen blickte den Host schmunzelnd an, versuchte aus dessen Mimik zu lesen und konnte die Unruhe deutlich spüren. Dennoch lachte er erneut auf, schüttelte den Kopf und schob seine Hand in Yasus Nacken, während die andere, welche noch immer an der Hüfte ruhte, nun mit dem Zeigefinger in eine Gürtelschlaufe schlüpfte, sich verhakte und den grazilen Körper näher an sich zog um das letzte bisschen Distanz zwischen ihnen zu schließen. „Sei nicht so herablassend“, raunte eine tiefer gestellte, aber auch sehr sanft klingende Stimme gegen die trockenen Lippen des Musikers. „Auch Bauarbeiter verdienen teilweise ziemlich gut.“ Yasu versuchte weiterhin gefasst zu wirken, wusste aber dennoch ganz genau, dass er ein wahnsinnig schlechter Schauspieler war und holte nun einmal tief Luft, in der Hoffnung die größte Enttäuschung in sich damit wegzuatmen. „Ja, vielleicht“, fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen mit einem Seufzen, sah den anderen anschließend direkt an. „Pass auf, rutsch von mir aus über mich drüber und dann geh. Ich werde das klären und lass dir das überschüssige Geld zurückzahlen.“ Überraschend hoben sich die Brauen, ehe sie sich unverstanden über solch einen Satz zusammenzog. „An der Bar hattest du wahrlich mehr Humor mein Hübscher.“ „Vielleicht war ich da auch einfach nur nett, weil du‘s auch warst.“ „Ach? Und jetzt nicht mehr?“ Masao war tatsächlich sehr überrascht und glaubte einen Wunden Punkt getroffen zu haben, der an Yasus Ego kratzte oder etwas Dergleichen. Das war höchst interessant, denn konnte er sich nicht erklären was genau es war. „Warum löst du dich dann nicht, ich halte dich schließlich nicht so fest, dass du nicht die Möglichkeit hättest einfach einen Schritt zurückzutreten.“ „…“ Yasu biss sich auf die Zunge, um nichts Falsches zu sagen, immerhin handelte es sich hierbei nach wie vor um einen Kunden, weswegen er erneut tief Luft holte und sich zur Besinnung rief. „Ist mein Job“, knauserte die Stimme aus der Kehle und blickte seinen Gegenüber auf direktem Wege an, der kaum größer war als er. „Du hast dafür bezahlt, also bekommst du die Ware auch.“ Haken gefunden – definitiv. Masao allerdings ließ Yasu entgegen dessen Erwartungen im nächsten Moment los, seufzte auf und griff sich mit einer überfordernden Geste an die Stirn, ehe er die Hände in die Hüften stemmte und den Jüngeren beinahe enttäuscht ansah. „Ich dachte wirklich du hast mehr Humor. Aber jetzt benimmst du dich dir selbst gegenüber sogar ziemlich abwertend, das macht mich nicht sonderlich an.“ „Ach nein?“, verschränkte Yasu die Arme vor der Brust und wusste in jenem Moment ganz genau dass er sich total daneben benahm. Das war auch gar nicht seine Art, und normalerweise konnte er Scherze ganz gut vertragen, nur … „Du bist nervös. Du scheinst das nicht allzu oft zu machen, hab ich Recht?“, fragte die Stimme des älteren ruhig und sachlich nach, sah den Host dabei weiterhin an und versuchte dessen Körpersprache richtig zu deuten, was Yasu ein sehr mulmiges Gefühl bescherte und das schlechte Gewissen nun anklopfen ließ, welches die Scham auch gleich mitbrachte zum gemütlichen Haare raufen mit sich selbst. Dieser verdammte – wer war er denn? Psychiater oder so? Die glaubten auch ständig in die Köpfe fremder Menschen reinsehen zu können, nur mit dem winzigen Unterschied, dass dieser Mistkerl bislang immer vollkommen ins Schwarze traf und schlichtweg einen ausgefeilten Scherz zur Begrüßung anbrachte. Dennoch konnte der Host seinen Kunden nicht einschätzen zu welcher Sorte Mann dieser gehörte, verschränkte die Arme fester vor der Brust und wandte sein Recht an nichts sagen zu müssen ohne seinen Anwalt - was Masao wohl verstand und abermals entzückt über dessen verhalten die Nase rümpfte mit einem seichten Lacher, bevor er abermals seufzend den Kopf schüttelte. „Ok, pass auf.“ Er griff in seine Gesäßtasche, holte sein Portemonnaie hervor, öffnete es und reichte Yasu seinen Ausweis. „Ich bin der Kerl, der dich gebucht hat. Komme eigentlich aus Kyōto, arbeite jetzt im Dienstleistungsgewerbe in Osaka und finde die Bauarbeiter die derzeit unsere Firmenauffahrt teeren wirklich sehr nett. Einer von denen fährt einen Porsche“, hob er aufklärend den Zeigefinger und nickte unterstützend. „Unterschätze also niemals deren Gehalt“, nickte der Kopf erneut, spitzte die Lippen und wartete auf eine besänftigende und einlenkende Reaktion. Verdammt nochmal! Harukaze Masao stand dort geschrieben. Mit Lichtbild versehen. Adresse. Geburtsdatum. Es blieb der steinreiche Zyklop – auch wenn er den Ausweis drehte und wendete, als prüfe er Falschgeld im Lichtschein – es blieb ein und derselbe Mann! „…“ Wie kam er aus der Nummer jetzt wieder raus? Schämen sollte sich Yasu! Schämen! „Ich war geschäftlich vor zwei Monaten in Europa“, fuhr Masao mit seiner Offenlegung fort und gewann wieder mehr Vertrauen zu Yasu, was dessen aufmerksamer Blick nun verriet. „Unter anderem in Österreich und musste mir notgedrungen ein Konzert von diesem … Tenor-Dingsda reinziehen. Ich fand das aber so öde, dass ich lieber gegoogelt habe, was hier zu Hause in Japan gerade los ist, habe aus Langeweile einige Festivalankündigungen angesehen, bin darüber hinaus von einem zum Anderen und landete irgendwann auf Partnervermittlungsseiten und diversen anderen Kram. Nicht dass ich gezielt nach sowas suche weil ich es nötig hätte, aber wie bereits erwähnt – es war langweilig. Um genau zu sein stink langweilig.“ Das musste unterstrichen werden mit einem Handabwedeln, was Yasus Braue nur nach oben schnellen ließ. So, so. Hatte er das also nicht nötig. „So kam ich jedenfalls auf die Website von eurem Club hier, hab dich gesehen und gedacht, wenn ich wieder hier bin, muss ich das mal ausprobieren. Tja … und hier bin ich also. Und weil auf der Website so schön angepriesen wird, dass kaum ein Wunsch unmöglich sei, wollt ich‘s eben wissen. Nur hättest du bei deiner Sedcard ruhig dazuschreiben können, dass du absolut keinen Humor besitzt, vielleicht hätte ich das gelbe Kissen dann gerade so durchgehen lassen“, deutete er nickend auf dieses und musterte den Jüngeren einen Moment lang, der weiterhin seine skeptische Brille trug, welche sich jedoch nach und nach klärte. Es war einfach nur ein Scherz gewesen. Ein blöder Jungenstreich … und Yasu hatte den Teufel an der Wand bereits ausgemalt. Wie peinlich. *** „Liebes Tagebuch, ich bin ein absoluter Vollidiot! Ich dachte wirklich ich kann einiges ab und hätte den Vorfall von damals endlich hinter mir gelassen – und ganz ehrlich, da war noch nicht einmal etwas krasses passiert! Und trotzdem bin ich am Panikschieben, nur weil sich jemand … einen Scherz erlaubt hat. Verstehst du? Ein Scherz … Und ich schiebe Panik weil ich dachte da steht wieder ein Fake vor mir. Lächerlich. Muss dringend meine ursprüngliche Coolness wieder raussuchen, hab die aber anscheinend seitdem ziemlich weit weg gelegt. Könnte mich Ohrfeigen – aber selbst dazu hab ich keinen Arsch in der Hose. Yasu“ *** Jetzt war es also Masao der überheblich abwinkte und Yasu ansah, als habe der einen Totalschaden und rollte sogar mit den Augen bezüglich seiner eben erwähnten Aussage und war überrascht, fast im fließenden Übergang prompt eine Antwort zu bekommen. „Nackenrolle“, brummte dieser verbissen korrigierend, und sah seinerseits wiederum Masao an, als habe der den Totalschaden von ihnen beiden, welcher mit der Korrektur im ersten Moment nichts anfangen konnte und reichte diesem seinen Ausweis zurück mit einem hochnäsigen Räuspern. „Es ist eine Nackenrolle, wenn du schon so oberpenibel, neunmalklug daherkommst.“ Die Arme vor der Brust verschränkend und längst verstanden über die Szenerie, welche sich ihm bot, ließ er Masao merken, dass er schlichtweg auf diese Ironie einging, welche man ihm entgegenbrachte, auch wenn er sich wie der letzte Arsch vorkam und eine Entschuldigung hinsichtlich seines Benehmens angemessen wäre. „Ohoo … na fein“, nickte der Ältere jedoch, trat wieder näher und räusperte sich hinter vorgehaltener Hand, verneigte sich im nächsten Moment andeutend und hielt dem Jüngeren seine Hand entgegen. „Dann verzeiht mir mein törichtes Verhalten, und die Falschbenennung eines stoffbezogenen Gebrauchtgegenstandes und gebt mir doch noch eine Chance angemessen mit Euch und eurem Körper umzugehen. Ich weiß eure Genauigkeit sehr zu schätzen, es stand gewiss nicht in meiner Absicht Ihnen Unbehagen erleiden zu lassen.“ Eindeutig. Der Kerl hatte einen Dachschaden! „Yasu, hör zu.“ Sanft legten sich die Hände abermals an die Hüfte, zogen den hübschen Körper an den eigenen während der Herzschlag wieder beschleunigte. „Ich mache das hier nicht, weil ich unbedingt eine Rutschmatte brauche, wo ich mal fix drüber kann. Und ich mache das hier auch nicht, um dich blöd dastehen zu lassen, okay? Ich bin schwul, frei, hab dein Bild gesehen, fand dich hübsch und wollte dich haben, dich kennenlernen“, hob er locker die Schultern, was dem Host nur die Lippen fest zusammenpressen ließ. Der Typ war ein Traummann - ein Traumkunde - und Yasu ein absoluter Vollidiot. „Und wo sollte ich dir jemals über den Weg laufen, um dich kennen zu lernen, wenn nicht gezielt hier? Hier MUSST du ja sogar mit mir reden, ob du willst oder nicht.“ Misstrauen – es stand dennoch geradezu ganz groß auf Yasus Stirn geschrieben, doch Masao lachte wieder. In seinem Job kam er höchst selten dazu, ehrlich zu lachen, weswegen er das ganze hier ziemlich locker sah und als willkommene Abwechslung begrüßte. Yasu schien ehrlich zu sein, emotional gelenkt. Masao mochte das. Weil es menschlich war. Er erfuhr nicht sonderlich viel Menschlichkeit in seinem Leben, umso anziehender wirkte also selbst ein bockiger Host auf ihn, dem er nun schmunzelnd eine Strähne zurückstrich und besänftigend anblickte. „Du weißt gerade nicht was du dir daraus nehmen sollst, hm? Kann ich verstehen, und es tut mir wirklich leid, wenn ich dich irgendwie beleidigt habe, das stand wirklich nicht in meiner Absicht. Aber bitte … Ich bin nur ein ganz normaler, stockschwuler, junger Kerl, so wie du auch. Wir beide müssen wohl andauernd anständig wirken, ich dachte einfach mal genau das sein zu lassen wäre ganz cool. Du bietest etwas an, was mir gefällt, also will ich‘s ausprobieren. Und nur weil alles so seriös gestaltet ist, darf ich mir keinen Scherz erlauben?“ Dieses Verhalten grenzte schon an Normalität mit Kirsch-Sahne-Häupchen! Schweres Seufzen entglitt dem Host, griff sich in den Nacken und presste die Lippen einen Momentlang schmal aufeinander. „Du … du hast Recht“, gab er verlegen zu. „Ich habe sowas hier wirklich sehr selten, eigentlich … um ehrlich zu sein, hatte ich noch nie die große Buchung und … eigentlich müsste ich mich jetzt für mein Benehmen entschuldigen, aber … ich… suche ehrlich gesagt den Haken an der ganzen Sache, weil ich bereits `ne beschissene Erfahrung gesammelt habe und prinzipiell misstrauisch bin seitdem und … ach na ja, gehört hier jetzt gar nicht her …“ Verschämt darüber blickte Yasu zur Seite. Masao hingegen sah ihn ganz genau an und hörte aufmerksam zu, als er verstehend nickte. Da war also der Wunde Punkt gewesen und der Blick des Musikers suchte nun wieder den seinigen auf. Entschuldigend lächelnd, was den reichen Schnösel ebenso zum Lächeln brachte, ehe sein Gegenüber Luft holte und sich räusperte. „Wie ich bereits sagte. Es ist mein Job, keiner zwingt mich das zu tun. Deswegen … entschuldige bitte“, winkte er schnell ab, fuhr sich über das Gesicht und legte anschließend beide Hände wiederum in Masaos Nacken, welcher noch immer sanft lächelte. Viel herzlicher als zuvor, weil Yasu wirklich süß war – und wie bereits gedacht, ehrlich. Ein ehrlicher, süßer Bock – mehr durfte sich Masao daraus nicht bilden und formen. Emotionen und Gefühle wurden schon vor Jahren verbannt, und er hatte nicht vor sie wieder in die Wohnung zu stellen. Sie waren Gift für Masaos Körper und würden ihn keine Nacht mehr ruhig schlafen lassen – erst Recht nicht nach so manchen erfolgreichen Arbeitsabschluss, weswegen er sich zur Besinnung rief und Yasus Satz verinnerlichte. Es war sein Job. „Du hast ja doch Humor.“ „Und ziemlich viel Talent heute mich bis auf die Knochen zu blamieren …“ Masaos Lächeln war bezaubernd - es führte zu erheblichen Herzrhythmusstörungen. Abartig tolles Gefühl. „Wie sieht‘s aus mit dem Badesalz und dem Abendessen?“ „Alles wie gewünscht …“, knauserte Yasu mit spitzer Braue, musste aber diesmal selbst darüber schmunzeln, während sich ihre Gesichter immer näher kamen, und eine angenehme Wärme durch seinen Körper floss. „Gut“, fuhren dabei zwei Zeigefinger des hübschen Mannes den Hosenbund entlang. „Du lässt das Wasser ein, ganz ernst gemeint jetzt, mit Badesalz, und ich kümmere mich ums Abendessen.“ Seine Stimme war gesenkt, klang erneut so sanft wie ein Klavierstück, welches Yasu ganz hinreisend fand, sodass dessen Stimme ebenso den Klang des Stücks annahm, um die aufkommende, sehr friedliche und entspannte Atmosphäre nicht mit einem Paukenschlag zu zerstören. „Im … Kühlschrank“, flüsterte Yasu, fixierte den Blick und schaffte es kaum die Lippen wieder richtig zu schließen. Diese Augen. Diese dunklen Augen, sie hatten etwas Mystisches, Geheimnisvolles und zugleich weckte es in Yasu das Gefühl von Schutz und Wärme, wie er es noch nie zuvor spürte. Was hatte dieses mystische Wesen bloß an sich, was ihn so völlig unrhythmisch laufen ließ? Yasu konnte es sich nicht erklären, aber er würde in jenem Moment auch gerne noch drei Teelichter besorgen, um sie mit Silberdraht in feinstem Dekogeäst zu integrieren, wenn der Gast es wünschte. … Tief holte der Host Luft, rief sich abermals an jenem Abend zur Besinnung und kam schließlich den ernst gemeinten Wunsch des Gastes nach. Ließ Wasser ein, gab das Badesalz hinzu und starrte dabei, auf den Wannenrand verweilend, vor sich hin, dachte kurz an seine Chips und seine Playstation und seufzte diesbezüglich auf. Er würde jetzt eigentlich einen ruhigen Abend vor der Konsole verbringen. Den Bildschirm beschimpfen, ihn mit Chips bewerfen und sich dann ganz arrogant mit viel Gelächter auf die Schulter klopfen, um sich zu loben, weil er es doch meisterte. Doch stattdessen saß er hier, ließ Badewasser ein auf Wunsch eines Wildfremden der seinen Körper für ein paar Stunden buchte. Würde er alleine von der Musik leben können, dann müsste er sich das hier nicht antun. Generell müsste er sich das hier nicht antun, wäre er noch anderweitig begabt, doch leider gab es da nichts. Seine Eltern hatten es zwar hinbekommen einen schwulen Jungen zu zeugen, aber diverse brauchbare Fertigkeiten von Männern und Frauen hatten sie dabei wohl vergessen. Er konnte weder kochen, noch kellnern, hasste telefonieren, war künstlerisch eine totale Niete und wusste bis heute noch immer nicht, wie um Himmelswillen man den Ölstand bei einem Auto kontrollierte, geschweige denn, wie man Reifen wechselte. Stets landete der Wagen dafür in der Werkstatt oder der große Bruder wurde heimlich angehauen, dass er sich von seinem Vater nicht noch mehr Geseufze über falschgondelnde Uferkinder anhören musste. Aber tanken! Tanken – das konnte er! Nur nagte die Frage an ihm, ob Masao ihn auch auf offener Straße angesprochen hätte, wenn er ihn doch angeblich so hübsch fand, wie er meinte, wobei der Musiker deutlich merkte, dass seine Hormone verrückt spielten. Viel zu schnell verliebte er sich andauernd, war hin und weg, hellauf begeistert und erlebte nur wenig später die große Überraschung und der ganze Zauber war dahin. Auch dieser Zauber, welcher ihn so eben umschmeichelte würde am nächsten Morgen versiegen. Masao war ein Kunde. Nur einer von vielen Kunden und sicherlich nicht darauf aus Amors Pfeil zu folgen, welcher auf Yasu ausgerichtet war. Und- „Du bist ja noch gar nicht nackt“, stellte dessen Stimme im selbigen Moment überrascht fest und durchbrach das Gedankenspiel des Jüngeren, dessen Augen sich weiteten vor Schreck, während der Körper erschrocken von der Wanne aufstand, als habe man ihn erwischt beim Versuch vom Beckenrand zu springen und entlockte dem Gast nur wieder ein Lachen. „Ich … was?“ Masao schüttelte amüsiert den Kopf, stellte das Tablett dann auf eine Vorrichtung, welche direkt an der gefliesten Wand angemauert wurde, und stemmte die Hände abermals in die Hüfte. „Also ... jetzt mal ganz im Ernst. Verstehst du Spaß?“ Yasu blinzelte auf, blickte vom Essen zur Wanne und anschließend zu Masao und stemmte dann ebenso die Hände in die Hüfte. „Alter … verarsch mich nicht schon wieder.“ Überrascht musste Masao darüber auflachen, denn die Mine von Yasu verdunkelte sich schlagartig, und er könnte meinen ganz genau auf dessen Stirn zu lesen, was im Hirn gerade vor sich ging, holte sehr tief und hörbar Luft und griff sich nun theatralisch an die Brust. „Hast du mich … gerade ‚Alter‘ genannt?“ Als sei er total betroffen davon. „…“ Und – oh ja – das hatte er! „Hach. Gott bist du süß“, stieß er übertrieben, zuckersüß aus. „Und wirklich außerordentlich misstrauisch wie ich feststelle. Oder aber … angespannt“, hob er die Braue nun seinerseits skeptisch, kam auf Yasu zu, dem das ganze schon wieder mehr als unangenehm war und nur wieder zur Seite sehen konnte deswegen. Auch dann, als er spürte dass der andere sich hinter ihn stellte und seine Hände auf die Schultern legte, sie begann zu massieren und mit den Lippen nahe an das Ohr herankam. Angenehmes Prickeln durchströmte den trainierten Körper des Musikers, begleitet von Angst, seine Gedanken könnten sich Mental zu seinem Gast übertragen. Doch ein Mensch konnte nicht, nichts denken. Genauso wenig, wie ein Mensch nicht, nicht kommunizieren konnte. Psychologie und Kommunikation – der einzige Kurs in seiner kurzen Studienlaufbahn, welcher ihn hellauf begeisterte und faszinierte. „Uuuh“, dehnte Masao jedoch nachfühlend aus. „Ziemlich, ziemlich angespannt, um nicht zu sagen, komplett verspannt. Habt ihr hier keinen Hauseigenen Masseur oder sowas?“ Die Frage war nicht ernst gemeint, aber er musste sich schließlich anstrengen um Yasus Sympathie zu bekommen, der wirklich außerordentlich verspannt schien. Wunderte Masao allerdings nicht. Er wusste bereits sehr viel über Yasu, doch es war ihm ein Leichtes seine Updates in die Warteschleife zu schieben, um ungezwungen, nach und nach das zu updaten, was er brauchte um die Software zum Laufen zu bringen. Das Zauberwort hieß in jenem Auftrag ‚Freundschaft‘. Er musste Yasus Vertrauen bekommen, oder ihn schlichtweg zum Reden bringen über Dinge, die sehr wichtig waren, der nun einen murmelnden Laut von sich gab, als würde er sich geschlagen geben, ehe er auflachte. „Ich bin im Moment eine Hure und keine Adelstochter“, meinte er etwas zynisch dazu und kniff im nächsten Moment die Augen zusammen, weil die Hände auf seinen Schultern ziemlich fest, wenn nicht sogar gezielt zudrückten an den Muskelsträngen. „Ich hab‘s dir gerade eben schon gesagt … ich stehe nicht drauf, wenn du herablassend von dir sprichst. Und ich kann mir auch ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass du das auch so meinst, wie du es behauptest“, raunte eine nun dunkle Stimme in das Ohr des Musikers, der schluckte und die Lippen aufeinanderpresste. Faszinierend. Wieso konnte der Kerl nur so unglaublich gut mit ihm reden? Wieso traf er andauernd den Nagel auf den Kopf? „Sag mal … bist du irgendwie … Psychiater oder … Hellseher oder sowas?“ Yasus Muskeln spannten sich noch etwas mehr an, denn diese Begegnung war mehr als seltsam. So unglaublich seltsam, wie zeitgleich unfassbar prickelnd. Doch hörte er den anderen wieder sanft hinter verschlossenen Lippen auflachen, während sich der Griff lockerte und die gekonnten Muskellockerungen fortsetzten. „Ich würde sagen, ein bisschen von beidem.“ War nicht einmal gelogen. „Sag schon … was ist das für ein Dienstleistungsgewerbe wo du bist?“, hakte Yasu wesentlich ruhiger wirkend nach, auch wenn er nach wie vor angespannt blieb und entlockte Masao ein Seufzen. „Ich nehme Aufträge entgegen, plane diese und setze sie in der vorgegebenen Zeitspanne um.“ Entsprach der Wahrheit. „Also doch Bauarbeiter…“, murmelte der Musiker, welcher glaubte zu verstehen, dass der andere das wohl cooler fand es noch nicht, oder gänzlich niemals zu erzählen. Damit musste er sich abfinden, es war sein gutes Recht. Sie waren Fremde und würden es auch immer bleiben. Nur lachte Masao bei diesem Gedankengang leicht auf, fuhr mit den Händen nun seitlich über die Schultern, den Armen hinab, legte seine Handinnenflächen auf Yasus Handrücken und verschränkte ihre Finger miteinander, während die Lippen seicht über die Halsseite fuhren und am Ohr schmunzelnd verweilten. Als habe er es gehört. Als habe er Yasus Gedanken erneut gelesen, welcher die Augen weiter öffnete, die bereits seicht geschlossen waren. „Komm“, raunte die sanfte Stimme ihn neckisch in die Ohrmuschel. „Du fragst so lange bis ich ‚ja‘ sage, stimmt‘s? Du stehst wohl auf Bauarbeiter“, zog er ihn auf, wollte die Stimmung wieder lockern, was zu funktionieren schien und drückte seine weichen Lippen auf die warme Haut unter dem Ohr. Nun schmunzelte auch Yasu, dessen Herzschlag erneut aufgeregt beschleunigte, sobald sich die Lippen mit seichten, nur angedeuteten Küssen ihren Weg bis zur Halsbeuge bahnten, um dort schließlich mit den Zähnen ebenso angedeutet hineinzukneifen. „Eigentlich … nicht so mein Fall, nein.“ „Hab ich ein Glück …“, flüsterte Masao amüsiert, gab den hübschen Körper vor sich zu verstehen, sich zu drehen, sodass er ihn direkt ansehen konnte und schlüpfte mit Zeige- und Mittelfinger unter den Hosenbund. „Wie wär‘s denn … wenn ich mich dir jetzt nochmal richtig vorstelle … und danach reden wir über diverse Berufsgruppen?“ Eine Augenbraue hob sich spitz, nahezu arrogant wirkend, doch Yasu schmunzelte – ebenso spitz. „Wenn du dich ordentlich vorstellst … is‘ mir eigentlich egal was du beruflich machst.“ „Oh, sieh an, sieh an. Kommt ausgerechnet jetzt der Humor zurück?“ Yasu lachte etwas auf, legte seine Hände in den Nacken des ihn noch immer völlig Fremden, der sich in jenem Augenblick schon so vertraut anfühlte, dass dieses intensive Gefühl, welches sich damit im Körper ausbreitete, kaum in Worte zu fassen war und kam kaum von seinem Schmunzeln los. Es fühlte sich so gut an. Bis morgen Früh sollte es bitte bleiben - dieses gute Gefühl. Denn er musste heute Nacht nicht funktionieren, wie er deutlich spürte. Er durfte einfach nur sein. Einfach nur Yasu sein, der eine wahrlich hübsche, und letzten Endes doch sehr, sehr, sehr nette Buchung bekam, welche sein Augenpaar nun anrüchig fixierte, während die Zunge über die eigenen Lippen fuhr, noch immer von einem Schmunzeln gezeichnet. „Ich hoffe du weißt dich zu benehmen?“ „Mmmh“, rollte sein Gegenüber daraufhin theatralisch wirkend mit den schönen dunklen Augen. „Ich bitte dich“, folgte die überheblich klingende Stimme mit einem Brauen Heben von Masao, der seine Lieblingsbuchung der nächsten beiden Quartale am Hosenbund gänzlich an sich heranzog und dessen Blick entgegennahm. „Nur weil das höfliche Gefasel eingestellt werden kann, heißt das nicht dass ich keine Etikette besitze junge Mann.“ Er arbeitete ordentlich – in jeglicher Hinsicht seines Lebens und brachte Yasu erneut zum Schmunzeln, welcher den Blick standhielt, am Nacken nachgriff und blind den Bewegungen der fremden Hände an seinem Körper folgte. Wie sie ganz geschickt den Gürtel seiner Hose öffneten, ihm das Jackett von den Schultern streiften, anschließend das Hemd begannen aufzuknöpfen. Es waren sachte Bewegungen, sachte Handlungen, gaben dem Musiker das Gefühl, den anderen tatsächlich zu gefallen, was zur Folge hatte dass er es war, welcher den ersten Kuss ansetzte. Sich nach vorn beugte, den Kopf neigte und allein mit seinem Blick um Erlaubnis bat. Er bekam sie. Er bekam so viel in jener Nacht, dass es sich einfach nicht vermeiden ließ, dass der Körper ihn an den nächsten Tagen quälen würde – das wusste Yasu ganz genau, sobald sich weiche, warme Lippen auf den seinen befanden … *** „Liebes Tagebuch, heute mal eine Annahme. Nehmen wir also an es gibt da einen gutaussehenden, talentierten Musiker – nennen wir ihn Fasu – der einen Nebenjob als Host nachgeht und eine echt wahnsinns Buchung bekommt, die einfach atemberaubend aussieht, weiß was sie will und wahrscheinlich Milliardenschwer ist, ja? Und nehmen wir mal an dass der Start zwischen den beiden etwas holprig war, sich dann aber alles löste und lockerte und schlichte Harmonie ohne Zwänge und Missfallen entstand – könntest du dir vorstellen dass die beiden es nicht die ganze Nachtlang getrieben haben? Ich auch nicht … wäre ich nicht dabei gewesen. Annahme Ende, Fasu Yasu“ *** „Was genau meinst du denn mit ‚wir haben die ganze Nacht geredet‘?“, wollte Kenta am nächsten Tag mit höchst skeptischer Mine wissen, als sie sich zum Frühstücken um kurz nach zwölf Uhr mittags im Gemeinschaftsraum trafen, welcher eigentlich kein einladendes Ambiente aufwies. Wie jeden ‚Morgen‘ standen benutzte Gläser auf den Tischen, daneben zerknüllte und benutzte Servietten, sowie abgekaute und ausgelutschte Zitronenschalen. Der Geruch derer vermischte sich mit den überlaufenen Aschenbechern, welche zu später Stunde Ascheringe schmückten.. Hinzu der Geruch von diversen alkoholischen Getränken, welcher aus nicht ausgetrunkenen Gläsern oder offenstehenden Flaschen entfloh und Yasu an jenem Morgen um die Nase schlich, als er einen Blick zu seinem Gegenüber warf und dabei einen der vollen Ascher beiseiteschob, welcher klirrend drei Gläser mitnahm, um genügend Platz für das Frühstück zu bieten. „Na, geredet eben. Brauchst gar nicht so übergestikulierend in Anführungszeichen setzen“, gähnte Yasu hinter hervorgehaltener Hand, nahm seine drei Päckchen Zucker zwischen Daumen, Zeige- und Mittelfinger, riss diese zeitgleich auf, nur um sie ebenso zeitgleich in seinen Kaffee rieseln zu lassen. Wie jeden ‚Morgen‘. Große Augen blickten ihn an, während eine Hand mehrmals in Folge mit dem Löffel auf die Tischplatte klopfte und sich die Augenbrauen des Barkeepers noch skeptischer zusammenzogen. „Geredet.“ Es entkam der Kehle so plump, wie es zu sein schien, doch Misstrauen schwang in der Stimme mit, weshalb der Musiker, erneut gähnend und nach seinem Löffel greifend um den Zucker zu verrühren, heiser auflachte. „Habe ich dir jemals etwas verheimlicht?“ „Eben nicht. Aber du scheinst gerade damit anzufangen. Bist du schwanger oder so?“, wedelte er den Löffel seinerseits vor Yasus Gesicht herum, welcher ihn total entsetzt und nahezu angewidert ansah. „BITTE? Bah, du hast ja kranke Fantasien!“ „Dann sag mir jetzt was ihr Versautes gemacht habt. Dein zufriedenes, wenn auch müdes Gesicht, lässt da einiges vermuten, aber Yasu, ganz ehrlich“, kreiste der Löffel umher. „REDEN steht da nicht geschrieben!“, und fuhr mit der Unterseite des Messings über die in Falten gelegte Stirn des Jüngeren, welcher im ersten Moment perplex dreinsah, darauffolgend jedoch in Gelächter ausbrach. „Alter. Wenn ich’s dir doch sage. Es ist einfach nichts passiert, okay? Gar nichts.“ „Gar nichts“, wiederholte Kenta die Worte erneut plump, musterte Yasu und lehnte sich zurück an die, mit weinrotem Leder bezogene Rückenlehne der langen Bankreihe, welche die gesamte Länge des linken Flügels einnahm. „Konntest du etwa nicht? Oder konnte er nicht?“ Yasu rümpfte die Nase, schmunzelte Spitzbübisch und wippte mit den Brauen. Er hätte gekonnt. Oh, und wie er gekonnt hätte. „Aha?!“, deutete der Zeigefinger des anderen auf ihn, als habe er ein Geheimnis aus ihm herausgelockt, doch schüttelte der Musiker sofort den Kopf, lehnte sich etwas nach vorn und umfasste mit beiden Händen Kentas Wangen. Drückte sie, ja, knautschte sie richtig zusammen, sodass die Lippen gezwungen wurden Fisch zu spielen. „Nix mit ‚Aha!‘. Es. Ist. Nichts. Passiert.“ Langsam und bedacht nickte der Kopf jedes der gesagten Worte ab, um die Aussage glaubhaft zu machen. „Okay? Es gab. Keinen Sex“, schüttelte er den Kopf und presste kurz die Lippen aufeinander. „Er hat mir einen geblasen und mich als Gast fühlen lassen, aber ich schwöre … es ist sonst absolut gar nichts passiert Kenta.“ Man mochte es kaum glauben, und auch Yasu selbst glaubte es kaum, doch es gab ihn wirklich nicht. Bedeutungslosen Sex. Stattdessen sanfte Berührungen, Küsse und so, so viel Interessantes von dem Anderen zu erfahren – es war einfach unglaublich wie sehr es Yasu erfüllte. „Wow“, blubberte das Fischlein hervor, löste sich von Yasus Händen und richtete sein Augenmerk zunächst auf das Frühstück mit aufgeblasenen Wangen. „Also doch mehr Schein als Sein, was? Ich dachte er sei nicht verklemmt?“ „Ist er auch nicht. Und glaube mir bitte, ich will‘s ja auch immer nie glauben wenn Samu mir erzählt das nicht alle Kunden auf Sex aus sind, obwohl sie dich privat buchen, aber jetzt …“ Er dachte an die vergangenen Stunden. Masao war kein Gentleman wie es erst schien - höflich und zuvorkommend - er war ein kleiner Aufreißer der wusste was er wollte, aber dennoch Facetten eines Gentlemans aufwies. Yasu war so angespannt gewesen, dass der Ältere ihn schlichtweg lockerte. In der Wanne massierte, sich hinter ihn setzte und mit seinen Händen und seinen Lippen oberhalb des Körpers für so viel Entspannung und Trunkenheit sorgte vor Wohlsein, dass auch die Lenden mit Freude an dem Ereignis teilnahmen. Angenehme Schwere hatte sich ausgebreitet mit wohliger Wärme, die noch immer nachwehte im Körper des Musikers, und ihn glücklich stimmte. Auch wenn diese dafür sorgte, dass Yasu den Moment verpasste, den anderen nackt zu sehen, da dieser vor ihn aus der Wanne stieg, während er noch auf Wolken schwebte, ehe der Körper dem Schönling nachschwebte - hinüber in das Schlafzimmer, wo sich Masao ausführlich um den restlichen Körper kümmerte. Yasu zerfloss wie Butter in der Sonne. War es doch normalerweise seine Aufgabe, Kunden zu entspannen und zu beglücken, aber Masao hatte den Spieß schlichtweg umgedreht. Er hätte alles mit ihm tun können in jenem Moment, aber er umschmeichelte seine Lenden geschickt mit Mund und Lippen, nutzte seine Hände, und sorgte für Tiefenentspannung bei dem Jüngling, welcher ihn währenddessen unter dem weißem Bademantel mit der Hand beglücken durfte, als sich der schöne und trainierte Körper des Älteren seitlich neben ihn platzierte, dass dies möglich war. Leider war das Vergnügen ab diesen Moment sehr schnell dem Ende geweiht, als die Finger ganz eindeutig ein Piercing an bestimmten Stellen erfühlten, und sobald die Augen die geschmückte Körperstelle zu Gesicht bekamen, wurde Yasu von aufkommenden Gefühlen und Emotionen hinfort gespült, da er sich vorstellte, wie es wohl wäre, wenn … „Und du willst mir sagen, blasen gehört nicht zum Sex und Masao ist ja gaaaanz anders, hm?“ „Ach, weißt du er … er hat durch seine Arbeit keinen festen Freundeskreis. Er sagte zwar damit klarzukommen, weil er sowieso eher der Einzelgänger-Typ sei, aber manchmal braucht auch er einfach Abstand vom Alltag und möchte sich unterhalten und nicht alleine sein. Ihm ging es wirklich nicht um Sex, Kenta.“ „Hat ER das SO gesagt?“ Masao wirkte so smart und cool, und schien nun ein kleiner Weichling zu sein, doch Yasu schüttelte abermals den Kopf, als er nach einem Hörnchen griff und davon abbiss. „Mh. Nein“, winkte er ab und leckte sich den Blätterteig von den Lippen. „Seine ganze Art und Weise hat mir das gesagt.“ „So, so …“ Kenta blieb skeptisch. „Und, seht ihr euch wieder?“ „Keine Ahnung. Er war schon weg als ich aufgewacht bin, dabei waren die 12 Stunden noch gar nicht vorbei.“ „Hm.“ Viel konnte sich Kenta daraus nicht nehmen. „Und dafür hab ich dich eingeladen gestern?“ „Ey“, protestierte der Musiker sofort und war es nun der den Löffel vor des anderen Gesicht herumwedelte. „Das Apfelwasser bringt ja mal gar nichts!“ „Entschuldigung?“, empörte sich Kenta. „Was heißt hier Apfelwasser? Hättest mal die ganzen Mädels hier rumstolpern sehen gestern. ‚Uhh, Kenta, schwill noch eien, büüüüdde.‘“, ahmte er eines davon nach, was Yasu herzlich zum Lachen brachte. Er sah es bildlich vor sich. „Aber jetzt mal im Ernst. Ich habe mir schon ein wenig Gedanken um dich gemacht.“ Yasu lächelte sanft, als eine Art des Dankes, war es schließlich nicht selbstverständlich heutzutage dass sich andere Gedanken um einen machten. Selbst dann nicht, wenn sie sich ‚Freunde‘ nannten. „Ich frage mich ohnehin wie du das machst – wie IHR alle das macht“, schüttelte Kenta seufzend den Kopf. „Ich mein … Sex haben weil man‘s will und Sex haben weil man bezahlt wird … Eigentlich müsste ich euch den Vogel zeigen, aber ich mag euch und bin selbst hier angestellt. Wäre also zu grotesk von mir.“ „Ach Kenta. Sex haben und Sex machen sind doch komplett zweierlei Welten. Du machst auch jeden Tag Sex hier, schließ dich also nicht aus“, schmunzelte der Musiker ihm über den Rand der Keramiktasse zu, und bekam ebenso ein Schmunzeln zurück, wenn auch begleitet von einem Augenrollen. Kenta war einer der wichtigsten Menschen für Yasu geworden, der soeben einen Restalki als Sitznachbarn bekam, zu welchem er sich belustigt wandte und Samu Kumpelhaft gegen die Schulter stieß. „Naaa?“, dehnte er extra nervend und lauter als nötig, während auch Yasu sich ein breites Schmunzeln, sowie einen Kommentar über das Alkoholüberbleibsel nicht verkneifen konnte. „Auf der Männertoilette ist Kotze, magst du die gleich wegmachen?“ Samu, welcher sich eben eine Aspirin einwarf und sich breitbeinig, nur in Unterhose bekleidet, nach hinten gegen das Leder sinken ließ, sah mit seinem zerzauselt brünettem Haar zu Yasu und wünschte ihm ganz deutlich die Pest an den Hals. „Wenn du nicht willst dass mehr dazukommt, dann halt einfach die Fresse Yasu“, knurrte dieser, setzte die Wasserflasche an seine Lippen unter belustigter Aufsicht des angeknurrten, und nahm einen kräftigen Schluck – wie jeden ‚Morgen‘. „Was war’n mit dein etepetete Typen gestern? Taugt der was?“, wollte Samu forsch wissen und grinste Yasu arrogant wirkend entgegen. „Er hat ein Frenulum“, warf der Musiker über den Rand seiner Tasse hinweg, wippte vielsagend mit den Augenbrauen, als habe der Restalki direkt danach gefragt, der sich wiederum die Lippen leckte und eine beachtliche Mimik aufwarf. „Ach, was? Du kleines Dreckstück hattest also richtig Spaß heute Nacht, oder wie?“, schmunzelte er abwertend klingend, aber einfach Samu-typisch beneidend von sich und brachte Yasu zum Auflachen. Genau diese Reaktion war zu erwarten. Ebenso wie die des Barkeepers, welcher unbemerkt von Samu den Kopf fragend schüttelte und stumm nachfragte, woher Yasu das wusste, wenn es doch angeblich nichts weiter gab, hob die Hand an den Mund und deutete eine eindeutige Geste an, und brachte Yasus Kopf amüsiert schmunzelnd darüber zum schütteln. Samu lehnte sich derweil erneut nach hinten, nachdem er sich Yasus Zigaretten krallte, die auf dem Tisch lagen, zündete sich eine an, und bemerkte – wie jeden ‚Morgen‘- das ihm diese Davidoff Stengel zu schwul waren. „Dann lern doch mal deine Kippen nicht andauernd an die Gäste zu verheizen“, warf Yasu ein, während er Kenta beiläufig eine Handbewegung aufzeigte, die ihm seine Frage beantwortete. Handarbeit – und Kenta verstand mit einer ‚Ah – ok! – Mimik‘. „Von wegen ‚nichts weiter gewesen‘“, echote er jedoch in seinen Kaffee und Samu, der sowieso nichts richtig schnallte, sah mit an die Stirn gelegter Hand zu Kenta hinüber und zog fraglich die Brauen ins Gesicht. „Alter, wenn ich‘s doch sage. Hab gestern kaum Kippen verheizt, die lieg‘n noch oben in meiner Bude. Bin doch aber nicht bekloppt und geh jetzt nochmal hoch ey“, tippte er sich an die Stirn und brachte seine Sitznachbarn damit zum auflachen. Der gute Samu. Er mochte forsch, beleidigend und oftmals abwertend klingen, aber im Grunde, wenn es drauf ankam, konnte man sich auf ihn verlassen. Genauso wie man sich darauf verlassen konnte, dass dieser alles was er sagte auch tatsächlich so meinte. Bei Samu wusste man woran man war, und das fand Yasu gut – auch wenn er beim ersten Zusammentreffen absolut gar nicht gut auf diesen Idioten zu sprechen war. Er war jünger und benahm sich enorm unhöflich, aber jetzt? Jetzt durfte Samu das. Weil er ein guter Kerl war. „Ey, deine Mädels sind aber auch ganz schön anstrengend. Die saufen wie ein Loch, das ist ja unfassbar“, griff sich Samu seufzend an die Stirn und brachte Yasus Braue belustigt zum heben, während er weiterhin an seinem Kaffee nippte. „Ayumi verträgt gut, hm?“, wippte er wohlwissend mit den Brauen und Samu stieß einen nicht begeisterten Laut diesbezüglich hervor. „Alter Schwede du. Die hat doch auch mit der Muttermilch schon hochprozentiges bekommen, ey. Schaut aus wie ein kleiner Engel, aber das ist ja so ein Biest.“ Wieder lachten der Barkeeper und der Musiker auf, als ein weiterer Host mit Restfahne zu ihnen stieß und sich schwer seufzend neben Yasu niederließ - im Mundwinkel eine Pall Mall klemmend und in der Hand einen Becher Kaffee vom Starbucks gegenüber. „Na, ihr Lutscher“, grüßte er lachend mit einem zwinkern und stieß Yasu mit der Faust gegen die Schulter, aufreizend nickend. „Was war’n das für’n Schnittchen gestern bei dir, hm? Ordentlich was gebracht?“ Yasu rollte mit den Augen, musste aber dennoch schmunzeln. Hosts waren nichts weiter als Tratschweiber. Alte, keifende Tratschweiber. „Neidisch?“, wollte Yasu als Gegenfrage wissen und der Kollege fuhr sich aufstöhnend durchs Haar. „Schon etwas, der sah richtig heiß aus.“ „Alles sieht heißer aus, als du“, entgegnete Samu abwertend und bekam eine ausgelutschte Zitrone an den Kopf geworfen. „Drecksack. Guck mal in den Spiegel, dagegen bin ich gerade voll die Beautyqueen“, beschwerte sich der Host und bekam einen halbwertigen Laut entgegen geworfen. „Du weißt doch noch nicht mal wie das geschrieben wird, Junge“, merkte Samu an und warf die Zitrone zurück auf dessen Platz, als die beiden selbst über ihre gespielten Anfeindungen lachen mussten und Yasu den Kopf abermals schüttelte. Die waren so doof. Aber er hatte sie gern. *** Drei Tage waren seither vergangen und es kam wie es kommen musste. Yasus Gedankenkarussell drehte sich und drehte sich, hatte nichts anderes im Kopf, außer Masao, von dem er weder einen Zettel vorfand, noch anderweitig eine hinterlassene Nachricht beim Aufräumen der Suite. Als er nach dem Aufstehen nach unten ging um mit den anderen zu Frühstücken und anschließend die Räumlichkeiten in Ordnung brachte, konnte er an nichts anderes, außer die blühende Hoffnung denken, dass er später etwas von Masao finden würde. Aber es schien, als sei er nie dagewesen. Der Zauber war vorüber. „Vielleicht hätte ich mehr Initiative zeigen sollen? Vielleicht hat er auch dabei nur getestet, wie der Service ist? Meinst du er hat beim Chef schon Beschwerde eingelegt, weil ich mich so gehen lassen habe? Aber er hat nichts gesagt, dass ich mehr tun soll, dass er sich gut fühlt. Wie gesagt, es ging ihm nicht um Sex. Oder ich hab’s nicht gerafft? Oh Gott, Kenta, vielleicht hab ich’s nicht gerafft? Wenn es doch um Sex ging und ich ihm zu langweilig war? Vielleicht hast du Recht und er konnte nicht, weil ich eine Niete bin?! Deswegen war er bestimmt auch längst weg, als ich aufgewacht bin, ich weiß nicht mal mehr wann ich eingeschlafen bin, und wieso! Ich glaub ich war einfach müde! Aber man darf doch müde sein, der Tag war lang und die Buchung kam so plötzlich. Ich weiß, das ist mein Problem, aber das gehört sich nicht. Er hat sich bestimmt beschwert! Ganz ehrlich, ich würde mich auch über mich beschweren. Ich tu’s ja gerade! Wenn ich den Job verliere, weiß ich nicht was ich tun soll. Ich hab dann keine Wohnung mehr, dann muss ich im Proberaum schlafen oder so, aber da ist gar kein Platz und außerdem sehen die das bestimmt nicht gerne. Kannst du dir vorstellen, wie ich mit einem MC Donalds Hütchen aussehe? Kenta, ich will kein MC Donalds Hütchen aufsetzen …“ Diese und andere Thesen sprudelte er am gleichen Abend von sich, während der Keeper den Kopf schüttelte, dann wieder nickte, mal mit den Augen rollte und die Geistesdrehungen seines Freundes schlichtweg über sich ergehen ließ. Wenn Yasu betrunken war hatte er eine blühende Fantasie und stand laut seinem Aussagen am Ende mit einem MC Donalds Hütchen auf dem Markt und verkaufte, nach Fisch stinkend, Zement an Bauarbeiter. Zusammenhang? Fehlanzeige. … Als sich seine Schwester allerdings am heutigen Tag nach Längerem wieder bei ihm meldete hob das Yasus Stimmung ein wenig, welcher auf den Weg zurück in den Club durch sämtliche Seitengassen Osakas schlich, um ein wenig Zeit zu gewinnen. Er war spät dran, weil sie heute gut drin waren und ein wenig länger probten. Allerdings hatte er auch im Hinterkopf heute im Showroom eingeteilt zu sein, was wiederum bedeutete, dass er auch mal zwei Minuten später antanzen könnte. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn heute hießen seine Arbeitsmaterialien „Pole-Dance-Stange“, „Tisch“ und „Schoß der Kunden“. Als Yasu das zum ersten Mal hörte hatte er ganz klassisch einen Transvestit Club vor Augen, wo Burlesque-Tänzerinnen hinter einem Vorhang in engen Korsetts und auf übertrieben hohen High Heels hervorkamen. Erhoben die Hände, tiefrot die Lippen, endlos lang und bunt die Wimpern, ebenso das Haar kunstvoll übertrieben gestaltet, mit Netzstrümpfen an den Beinen und Hasenbommel am Arsch. „DAS mach ich nicht!“, hatte er schockiert ausgestoßen und heftig den Kopf geschüttelt, als sein damaliger Senpai, und ja, es war Samu gewesen, ihn am zweiten Arbeitstag in den Showroom mitnahm. Doch der erste Schock verflog schnell und wandelte sich ungeahnt in Vorfreude. Es gab keine Hasenbommeln am Arsch. „Yasu?“, fragte eine Frauenstimme am anderen Ende der Leitung, als er schließlich abnahm. „Yurika?“, tat er es ihr gleich, fand diese Variante eines Gesprächsbeginns jedoch alles andere als Einfallsreich. Selten das mal die NSA bei ihm abnahm, wenn Yurika seine Nummer anwählte … „Heyyy…“, dehnte sie auch schon seufzend in den Hörer. „Du bist sicher etwas sauer, oder?“, wollte sie sofort wissen und bekam ein räuspern zu hören, ehe der kleine Bruder tief Luft holte. „Was heißt ‚sauer‘, definiere ‚sauer‘. Enttäuscht trifft‘s vielleicht eher.“ „Ja, ich weiß. Seitdem ich aus der WG ausgezogen bin hapert alles ein wenig“, gab sie kleinlaut zu, doch den kleinen Bruder fuhr genau dieser Satz von jetzt auf gleich in die Nase. „Ne“, wurde die Aussage straff dementiert. „Seitdem du mit diesem Luigi zusammen bist hast du uns total vergessen, das sage ich dir aber schon seit … hm, lass mal nachdenken - ach ja, seitdem du mit diesem Luigi zusammen bist. Um mich geht’s hier nicht mal, aber Mutter ist schon arg geknickt dass du anscheinend nicht mal mehr zu Hause anrufst. Sie meinte ICH schaffe es im Monat sogar öfter zu Hause vorbeizukommen, als du anrufst – und ganz ehrlich, das ist nicht viel, bis gar nichts manchmal“, meckerte er gleich los, weil seine Schwester sich seit längerem ziemlich veränderte. Das ist okay, wenn Menschen sich änderten, sich entwickelten, aber nicht, wenn es eine negative Richtung einnahm. Doch Yurika stöhnte sofort entnervt auf, während der Angerufene sofort eine dazugehörige Grimasse vor seinem inneren Auge sah. „Edoardo. Er heißt Edoardo, lerne es doch endlich mal, ich bin mit diesem Mann seit zwei Jahren zusammen, Yasu“, war das Einzige worauf sie Antwort gab, und was auch wiederum Yasu entnervt aufstöhnen ließ. Ja, er hasste ihn. „Das kann sich doch keine Sau merken. Bist du sicher dass der Name überhaupt existiert? Mich wundert dass du noch kein Spanisch sprichst, oder kann er mittlerweile Japanisch?“, bohrte er spitz nach und entlockte der Schwester nur wieder ein genervtes Stöhnen. „Oh, meine Güte, Yasu, ich BITTE dich! Er kommt noch immer aus Italien, und nein, ich spreche weder Spanisch, noch Italienisch“, umging sie genervt den Rest, und entlockte des Bruders Kehle einen amüsierten und auch hochnäsigen Laut. „Spanien, Italien … pf, ist doch alles dasselbe da drüben.“ „Bist du jetzt fertig damit über ihn abzukotzen? Wann akzeptierst du es endlich, dass ich mit ihm zusammen bin? Du bist doch kein Türke, der sich behaupten muss um die Schwester zu behüten! Weißt du, genau das ist der Grund, warum ich mich nicht mehr melde, ich hätte nie gedacht dass meine Familie so Ausländerfeindlich ist, ehrlich nicht. Mutter und Vater genauso, die haben auch keine netten Worte für ihn übrig. Und von deinen beiden Brüdern brauchen wir gar nicht erst anfangen, die sind schlimmer als du oder unsere Eltern“, erboste sich die Frau über das Verhalten ihrer Familie, schloss die beiden Brüder sogar sinnbildlich vom Stammbaum aus, was Yasus Sicherungen durchschmorrte, welcher seinen Schritten Einhalt gebot. „WAS?!“ Es war lauter als gewollt. „WIR SIND WAS? Sag mal, hörst du eigentlich noch wenn‘s Zwölf schlägt? Du hast schon noch auf dem Schirm, dass UNSERE Schwägerin Thailänderin ist? Du weißt schon, die Frau von UNSEREM Masahito? Soll ich dir ein Bild schicken, dass du weißt wovon ich rede? Hör doch auf dich selbst auszugrenzen, was stimmt denn nicht mit dir? Selbst wenn dein Elcodingsda aus Osaka käme und Takafumi hieße würde ich ihn nicht ausstehen können, kapierst du das denn nicht? Man, verdammt nochmal, was ist los mit dir? Du veränderst dich immer mehr und merkst es nicht einmal! Und das, seitdem du diesen Heinz da getroffen hast, der ja die Liebe deines Lebens ist! Weil man das nach fünf Minuten auch schon weiß mit 2,8 auf dem Kessel!“, schimpfte er erbost mit einem ungesehenen, viermal, Vogelzeig durch die Gassen Osakas und schüttelte nur immer wieder den Kopf darüber, lief sogar rot an vor Zorn. „Yasu, reg dich doch nicht über Dinge auf, von denen du keine Ahnung hast.“ Stimmt. Bei 2,8 konnte er weiß Gott nicht mehr mitreden. „Was willst du jetzt?“, knurrte er in den Hörer und hatte keine Lust mehr herumzustreiten. „Ich wollte dich fragen wie groß deine Wohnung ist.“ „Vergiss es, ich nehme deinen Vogel nicht nochmal, das blöde Viech hackt mir ständig die Finger ab und außerdem-“ „Nein, nein, nein!“ fuhr sie gleich dazwischen. „Ich brauche keinen Ara-Sitter, es wären ein paar Kisten die untergebracht werden müssten. Ich weiß ja nicht wo du jetzt wohnst, aber hast du einen Keller, wo ein paar reinpassen würden?“ „…“ Stille. Skepsis. Ja, gar angst – beim letzten Mal als Yurika meinte etwas Zwischenlagern zu müssen, war es eine ganze Palette voller Butter gewesen, die in den Mittagsstunden im Juli bei 30° Grad im Schatten ölig, fröhlich in Yasus damaliger WG vor sich hinschmolz. Es war hundsgemein dieses Malheur zu beseitigen, und entfachte damals ein riesen Drama. Von kühl lagern und Butter war niemals die Rede gewesen. „Ohhh man, Yasu, du machst mich wahnsinnig! Kisten, okay? Einfach nur Holzkisten, leere Holzkisten, jetzt sag schon, ob du Platz hast oder nicht?“ „Hör auf mich so anzubitchen verdammt, das macht mich aggressiv!“ „Ja, mein Gott, sei nicht so weibisch, du keifst doch gerade rum, als habe ich dir die Tampons geklaut. Hast du Platz jetzt?“ „Pha! Und DA frage ich mich WER hier jetzt nicht tolerant ist, hm?“ „Mir ist egal ob du schwul oder grau-weiß gestreift bist. Ich muss Kisten unterstellen und brauche jetzt deine Hilfe, also was ist? Hast du Platz?“ „Meine Fresse, wie viele denn? Und wie groß? Und was ist es wirklich?“ „Was weiß denn ich, das sind Bananenkisten, ungefähr 200 Stück. Leer, Yasu, verstehst du? Leeher!“ Völlig überfordert entließ der Musiker die Luft aus seinen Lungen, ehe er fraglich die Brauen ins Gesicht zog. „Welcher normale Mensch braucht 200 Bananenkisten, und wo hat er die her bitteschön?“ War die jetzt eigentlich komplett zerschossen im Synapsensystem? „Das ist doch jetzt scheiß egal, Yasu! JA oder NEIN?! Herr Gott nochmal!“ „Ja, na von mir aus, aber die kannst du in meiner Garage lagern, ich bringe den Schlüssel morgen vorbei und werfe ihn bei dir in den Briefkasten.“ „Ich dachte du hast dein Auto verkauft?“ „Was meinst du warum du deine Bananen in die Garage bringen sollst? Die Garage hab ich schon noch.“ „Hm … Ich hol den Schlüssel aber bei dir ab. Geht jetzt?“ „Hä? Nein, ich-“ ‚gehe jetzt gleich an der Stange tanzen‘, konnte er nicht sagen. Zwar wusste seine Familie dass er schwul war, aber wo er arbeitete und wohnte, das wusste keiner von Ihnen außer Masahito. „Ich muss jetzt arbeiten, in einem Club, und bin sowieso schon zu spät dank dir. Ich bringe dir den Schlüssel mo-“ „Aber morgen ist zu spät, ich will die jetzt noch wegräumen. Wo ist der Club? Ich komme vorbei.“ „Glaubst du ernsthaft ich habe spontan meinen Garagenschlüssel eingesteckt?“ „Ach, verdammt nochmal. Jeder normale Mensch hat seine Schlüssel alle beisammen an einem Bund! Mit dir kann man auch absolut nichts mehr anfangen!“ „Ja, entschuldige bitte dass mir nicht in den Sinn kam, dass du heute anrufst um spontan 200 Bananenkisten bei mir unterzustellen. Mein Fehler! Ich lege jetzt auf Yurika.“ „WARTE! Yasu, bitte!“ Sie schien zu merken dass der Bruder wenig begeistert über das Auftreten war und bereute die Art sofort. „Bitte, es tut mir leid, leg nicht auf. Ich habe nur so extrem viel um die Ohren, und ja, ich fahre leicht aus der Haut, das tut mir leid. Ehrlich, wirklich… aber dann bring den Schlüssel bitte morgen Vormittag sobald du aufgestanden bist bei mir im Theater vorbei okay? Ich habe die … ich habe die Kisten dort nämlich zwischen gelagert, und deswegen müssen die dringend weg dort. Bitte frage jetzt einfach nichts weiter, ja? Ich bin gestresst genug, ich wollte dich auch nicht wieder so anpatzen. Ich mag meinen kleinen schwulen Bruder, wirklich, ich habe doch kein Problem damit.“ Ihre Stimmungsschwankungen waren enorm, aber immer wenn die Frau am anderen Ende der Leitung mit dieser Masche ankam, die Yasu ihr wiederum abnahm, dann wurde er einfach weich. Es war seine Schwester … und sie schien mächtig Probleme zu haben. „Okay. Morgen Vormittag bringe ich den Schlüssel ins Theater und lass ihn in dein Fach legen. Aber Finger weg von dem Schlagzeug und den Boxen die eingepackt sind.“ „Danke. Und bitte sei nicht sauer, ja?“ „Melde dich zu Hause“, und damit legte Yasu auf, weil er es schlichtweg nicht länger ertrug mit ihr zu telefonieren. Dabei hatte er sich vor Zehn Minuten gefreut ihren Namen auf dem Display zu sehen. Jetzt hingegen war er erfreut beim Club angekommen zu sein, um sich direkt in die Arbeit zu stürzen. Der Showroom war perfekt um sich seinen Frust von der Seele zu tanzen. Er gab den Türstehern einen Wink zum Gruß, ging durch die Eingangshalle direkt hinter zu Kenta an die Bar und bestellte sich, fernab seiner Natur, einen Doppelten, was den Barkeeper höchst erschütterte, der große Augen machte. „Du bist spät. Kein ‚Hallo mein allerliebster Lieblingsbarkeeper‘? Stattdessen sowas? Ist etwas passiert?“ „Nein, nichts, ich habe einfach nur scheiß Laune. Gib her den Mist, mein aller liebstes Goldzähnchen, ich bin sowieso hinten“, nickte er in bedeutender Richtung und Kenta nickte ebenso, musterte Yasu eingehend und warf einen Blick auf die Uhr. „Hier“, stellte er das kleine Glas vor Yasu ab, welcher es in einem Zug leerte und angewidert das Gesicht verzog sobald sich die Kräuter auf seinen Geschmackssinnen entfalteten und die Hitze seiner Speiseröhre rauf und runterlief. „Mach noch einen. Ich hab bock dann jemanden einen zu blasen, scheiß egal wie er aussieht“, tippte er auf der Teke mit dem Boden des Glases ungeduldig auf und ab, und Kenta, der gerade dagegen sprechen wollte, weil Yasus Sinne vor Zorn vernebelt waren, fing dann allerdings spitzbübisch an zu grinsen. „Glaube mir. Du möchtest dabei nüchtern sein, wenn es doch etwas Feines ist“, zwinkerte er ihm entgegen und Yasu leckte sich über die Lippen, lehnte sich über die Theke und sah Kenta vielsagend grinsend entgegen. „Weißt du … WER etwas Feines wäre? Und weißt du, dass ich mir ganz, ganz, ganz sicher bin, das heute nicht – und generell niemals mehr, zu bekommen? Also – her damit, ich will irgendjemanden beißen!“ Der Barkeeper lachte auf, blickte an Yasu vorbei und nickte wohl jemanden amüsiert zu, ehe er ihn wieder ansah. „Wenn ich dir jetzt sagen würde, dass du aber heute genau das bekommst womit du mir seit drei Tagen die Ohren vollheulst? Masao ist nämlich ausgerechnet heute wieder hier, ich kann das ganz, ganz, ganz deutlich spüren, weißt du?“ „Kenta, bitte. Mach‘s doch nicht schlimmer als es ist, ich habe diesen Schwanz gerade schon wieder FAST vergessen“, maulte Yasu auf, welcher im nächsten Moment eine fremde Aura auf sich ruhen fühlte und inne hielt. Die Nackenhaare stellten sich auf als sich die Sicht verdunkelte und gerade als er herumwirbeln wollte, erstarrte der Körper mit einem wohligen Schauer. Hände auf seinen Augen. Angenehmer Duft. Angenehme Wärme. Sanfte Lippen an seinem Ohr. Yasus Herzschlag setzte aus, nur um heftiger als zuvor fortzusetzen. Konnte das sein? War es Realität? „Wenn das so ist, solltest du ganz dringend nochmal nachsehen, hm?“ SEINE Stimme! Sie war unverkennbar, sie war weich, sie war sanft, sie war fest, sie war einfach alles und gehörte eindeutig nur einem einzigen Mann auf diesem Planeten, zu welchem sich der Musiker nun umdrehte - die Hände dabei langsam von den Augen nehmend. „Masao …“ „Hey.“ Das wohl schönste Lächeln der Welt bekamen die Augen als Geschenk und Kenta rollte belustigt über diese Szene mit den Augen. Alleine schon deswegen, weil das Geheule des Freundes in den letzten Tagen unerträglich war, nachdem er die Coolness vom Frühstück ablegte und Kenta am Abend deprimiert und alkoholisiert beiseite zog. Mal von den ganzen Thesen abgesehen, musste der Keeper Fragen beantworten, die er dem besoffenem Freund so nüchtern und aufbauend beantwortete, ohne dafür Garantie auslegen zu müssen – denn Yasu merkte sich leider Gottes selbst im Suff alles. Ob Masao wiederkäme. Ob Kenta einen guten Eindruck von ihm hatte. Ob Kenta glaubte, Masao fände Yasu wirklich schön. Ob er ihm eine reinhauen konnte, weil er sich schon wieder verknallte, in einem ihm fremden Typen, von welchem er für wenige Minuten überzeugt davon war, der würde ihn umbringen und wäre ein Fake. Doch Kenta meinte nur, Yasu solle ruhig verknallt sein. Es sei etwas Schönes einfach durch die Galaxie zu schweben und jeden kleinsten Scheiß Wunderschön zu finden, nur weil man glücklich war. Aber genau darum ging es doch, oder nicht? Das man glücklich war? Und Yasu war es gerade, was dem Barkeeper ebenso zufrieden stimmte und er sich mit einem Zwinkern an Masao gewandt dem kleinen Mädels Trupp widmete, die ganz aufgeregt fragten, ob Samu schon da wäre, und ob Kenta heute nicht doch mal was mit ihnen trinken würde. „Büdde, büdde, büdde, Kenta …“ „Schon verbucht, oder noch frei?“, sprach Masao leise gegen Yasus Lippen, welcher sich von dessen Händen an den Hüften heranziehen ließ und den Blick nicht von diesen dunklen, fesselnden Augen löste. „Frei“, flüsterte der Host zurück, legte die Hände an des Schönlings Brust, hoffend, dass es kein Traum war. „Gut. Hab im Internet euren Arbeitsplan gelesen. Du bist heute im Showroom?“ Eher eine rhetorische Frage, die darauf hinwies, dass dem Gast dieser Arbeitsplan des Hosts heute sehr gut gefiel, welcher sich räusperte und hastig nickte. „Ich muss mich nur noch schnell umziehen gehen und dann… bin ich sofort da, okay? Du kannst gerne schon rübergehen, ich komme dann auf der anderen Seite rein, und-“ Masao schob Yasu einige Scheine in die Taschen seiner Jeansjacke, welche den Körper noch immer kleidete und zog ihn gänzlich an sich. „Und dann kommst du zu mir und lässt die Hüften für mich kreisen mein kleines Mausezähnchen.“ Yasu klemmte die Unterlippe zwischen die Zähne und schmunzelte angetan mit einem Blick auf die süßen Lippen, die so nah und doch so fern waren in jenem Augenblick. „Wenn … ich fragen würde wie lange du schon hier stehst …“ Er hob den Blick wieder. „Wär‘s mir dann peinlich?“ Masao lachte leise auf. „Definitiv.“ „Scheiße …“ *** „Liebes Tagebuch, mein Zyklop ist wieder da, und mein Hirn bringt es fertig das fast als Heiratsantrag anzuerkennen! Mache mir außerdem Sorgen um Yurika, weil dieser Elcurado (?) immer noch seine Finger im Spiel hat. Keine Ahnung was da läuft, aber sie fährt geradewegs auf eine Mauer zu und sieht sie nicht. Ich glaube sie weiß selbst noch nicht genau was sie will. Außer Bananenkisten in meiner Garage lagern … Wie dem auch sei … mein Zyklop wartet ♥ Yasu “ *** ---------------- Next? ---------------- Kapitel 3: Sorry, aber das Prinzesschen ist heute ziemlich bissig ----------------------------------------------------------------- Kapitel 3 und 4 – Sorry, aber das Prinzesschen ist heute ziemlich bissig ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- 21.08.2015 - 03.12.2015 . Auftragsnummer YT1985M – extra, extra xmas Large ;) „Man, wo bleibst du denn?“ „Echt, ey! Nur weil du hier die Clubprinzessin bist, brauchst du nicht denken dass man dir alles durchgehen lässt. Die anderen haben längst angefangen vor zwanzig Minuten!“ Hosts waren giftig, sobald sie nicht die Nummer eins waren oder zur Kategorie ‚Kumpel‘ zählten. „Habt ihr eure Tage, oder was?“, nickte Yasu arrogant auf, lachte nur darüber und zog sich noch während des Weges zu seinem Locker aus, um Zeit zu sparen. „Seit froh dass die anderen angefangen haben, sonst wäre im Showroom nichts los und wir wären alle am Arsch, hm?“ „Penner.“ „Ja, echt mal Yasu, du bist so ein Miststück!“ „Ach kommt schon, haltet die Fresse, ihr habt doch nur angst Secondhand Ware zu bekommen“, knurrte der Musiker von sich, entledigte sich seiner Klamotten komplett, um in eine frische Panty zu schlüpfen, welche kurz darauf von einer schwarzen, enganliegenden Lederhose überdeckt wurde, und warf einen Schulterblick zu einen seiner keifenden Kollegen, während hinter der Tür, welche zum Showroom führte, verheißungsvolle Musik in seine Ohren drang, sowie raumtypische Gastgeräusche und die Aufforderung nach mehr. Mehr Tanz. Mehr Bewegung. Mehr Sex. Yasu hatte bock. Yasu hatte richtig bock darauf, ganz besonders jetzt, wo sein Ölprinz auf ihn wartete, und ihm scheißegal war wie viel er heute einnahm und wen er da mit einem Happy End beglückte. Sein Abend war gesichert – so, oder so. „Sieh zu jetzt!“, zischte es erneut, als der Oberkörper von einem weißem Hemd bedeckt wurde, welches die Finger nur bis zum Beginn des Brustbeins schlossen und den Kragen beabsichtigt auseinanderzogen um genügend Sicht zu ermöglichen. Schnell noch ein Fingervoll Haargel, womit sich die Hand galant und gekonnt durch die Kupferfarbe fuhr mehrmals in Folge, die schwarzen Lackschuhe angezogen – und fertig. Chippendale Yasu war einsatzbereit. „Hast du‘s jetzt endlich?“ Yasu schmunzelte amüsiert, nahezu arrogant und hochnäsig. Vielleicht sollte er sich bei Yurika bedanken, denn jede Schattenseite hatte wohlwissend auch Sonnenstunden, nicht wahr? Dank ihr war er so geladen, dass er sich sicher war Masao jetzt vollkommen zufrieden zu stellen, ohne vorher reichlich anzutrinken. Ob man das nun mit Stolz oder Erbärmlichkeit vergleichen sollte wollte sich der Host nicht fragen, der ohnehin keine Zeit dafür hatte. Die Tür öffnete sich und damit das Tor einer erhofften, verheißungsvollen Nacht. Zum Tanz. Zur Anerkennung. Zum Sex. Der DJ wechselte von einer heißen Tanzrhythmik, zu einem verheißungsvollen Urban Sound, während sich die Blicke der im Raum befinden Personen auf sie richtete, begleitet von Motivationslauten sich zu bewegen - von Pfiffen und Handzeichen untermalt – als seien sie irgendwelche hochrangigen Stars. Etwas Besonderes, etwas Außergewöhnliches. Doch sobald Yasu begann darüber nachzudenken und den Blick schweifen ließ, wurde ihm immer wieder bewusst, wie billig und abgedroschen diese Welt war. Diese Welt, die nur aus Schall und Rauch bestand. Diese Welt, wo es gewiss nur um das Eine ging. Das Eine – die Sehnsucht, die Gier und das Verlangen in sich zu stillen die reale Welt für einige Stunden einfach auszublenden, um Teil einer nicht vorhandenen rosa Zuckerwattenwolke zu werden, von welcher jeder gerne naschte. Yasu liebte diese Welt. Liebte die Illusion, liebte es begehrt zu werden, obgleich es Tage und Stunden gab, wo all dies kaum auszuhalten und zu ertragen war. Ja, gar widerlich und abscheulich war es. Heute war es allerdings alles andere als abscheulich und der Blick des Musikers ruhte nun mit einem lasziven Lächeln auf dem Grund des ‚alles andere als abscheulich‘ seins. Denn er war da. Masao. In einem der vielen weinroten Ledersessel, welche organisatorisch halbkreisförmig im gesamten Raum angeordnet waren. In der Hand einen Drink, ein Bein angewinkelt, den Fuß auf einem Knie liegend, und mit dem rechten Ellenbogen locker auf der Armlehne abgestützt blickte er vielsagend, angetan zu Yasu auf. Trotz des Schwarzlichts, welches mit diffusem Licht vermischt den Raum einzig und allein gedimmt erhellte, konnte dieser dessen Züge genau erkennen, ehe er die Stange umgriff, die Hände über seinen Kopf an dieser nach oben schob, den Körper hingegen mit den Rücken an dieser hinabsank und die Beine spreizte. Den Blick direkt auf Masao gelegt, sich lasziv und anrüchig langsam mit der Zungenspitze über die Oberlippe fahrend und ihm vielsagend zunickend, während sich der Körper grazil dem Metall entlang nach oben schob. Masao sollte sein Stammkunde werden, auch wenn sich der Musiker darüber im Klaren war, dass das keine gute Idee sein würde. Aber der Kerl hatte etwas an sich, was ihn wie magisch anzog. Natürlich war er zum jetzigen Zeitpunkt mit einem Freudenmädchen auf gleicher Stufe, und natürlich verkaufte er seinen Körper. Wer behauptete ein Host käme nur oberflächlichen und angedeuteten Fantasien und Wünschen nach, der hatte keine Ahnung. Aber dennoch. Dennoch wollte sich der Musiker mit ein wenig Würde verkaufen und nicht so, wie es andere taten, die jedem Geldschein sofort Taten Folge leisteten. In anzüglicher Manier bewegte sich das Becken gegen das silber glänzende Metall. Allein durch die Musik und der Präsenz als Sänger auf einer Bühne zu stehen hatte der 28-jährige schnell gelernt, mit dem eigenen Körper umzugehen. Ihn in Szene zu setzen, so, dass es Wünsche hervorrief bei seinem Publikum. Die Fantasie weckte. So auch jetzt. Aufreizend, vielsagend tanzte der Körper mit der Stange, achtete auf die Rhythmik der Drums des Urban Sounds, um sich mit ihnen im Takt samt Silberglanz zu vereinen und behielt Masao mit einem stechendem Blick im Auge. Schon jetzt lagen viele Andere auf ihm - männlich, wie weiblich - doch Yasu tanzte nur für einen einzigen in diesem Raum. Diesem schien offensichtlich zu gefallen, was er sah, was Yasu den nötigen Antrieb gab seinen trainierten, musikalischen Körper aufreizend gegen die Stange zu bewegen, hielt diese versetzt umschlossen, ließ sich von ihr um eine halbe Drehung leiten und legte den Kopf in den Nacken, während der Oberkörper mehr und mehr nach hinten absank, das Becken jedoch rhythmische und vielsagende up and downs gen Metall schwang. Zu wissen, dass sein mythologisches Wesen jede noch so kleinste Bewegung haargenau beobachtete, trieb den Körper mehr und mehr an. Masao presste die Lippen schmal aufeinander, ließ keine der Bewegungen außer Acht und legte Zeige- und Mittelfinger angetan ans Kinn, fuhr sich darüber und gab dem Host nach einer ganzen Weile einen Wink zu ihm zu kommen, als sich ihre Blicke erneut trafen. Dieser zog den Körper jedoch gänzlich an die Stange zurück, hielt sie umfasst, sank ab, spreizte die Beine in der Hocke und rieb seine Lenden anzüglich daran – der Moment wo einige ihre Geldscheine zückten, Yasu nach vorn winkten, um sie ihm zuzustecken. Verführerisch fuhr die Zunge über die süffisant schmunzelnden Lippen, der Blick musterte die ausgestreckten Hände – anschließend auch Masao, der weiterhin auf seinem Thron verweilte. Er würde nicht aufstehen und den Host offensichtlich um seine Aufmerksamkeit bitten, doch war es genau das, was dieser wollte. Er wollte Einsatz sehen von seinem neuen Fang, holte tief Luft und fuhr sich erneut mit der Zunge über die Lippen, während er sich langsam von der Stange löste und den Blickkontakt brach. Wie eine Raubkatze auf Beutejagd im hohem Gebüsch, kam er auf die bittenden Gäste zu, strich ihnen durch das Haar, kratzte mit den Fingernägeln über den ein oder anderen Nacken und bekam dabei zahlreiche Geldscheine unter den Gürtel gesteckt. Wieder folgte ein spielerisch, provokanter Augenaufschlag in Masaos Richtung, welcher die Brauen arrogant wirkend hob und das Schauspiel weiterhin beobachtete. So einfach wollte er es ihm nicht machen. Yasu wollte es auskosten dass man sich um ihn bemühte, und ein folgender Blick hinüber auf die andere Seite zu seinem Ölprinzen verriet ihm, dass der nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen war. War er sich so sicher, dass Yasu zu ihm käme? Konnte man wirklich davon ausgehen, dass er leicht zu haben war? Glaubte Masao das? Dieser zückte nur einen weiteren Geldschein, hielt ihn zwischen Zeige- und Mittelfinger hoch, und schien die Konversation so im Raum stehen zu lassen. Spitz hoben sich die Brauen des Musikers, welcher von der Bühne hinabglitt, sich von den Händen anfassen ließ die auf ihn zukamen, den Körper gegen erhitzte Gemüter trieb, ihn im Takte der Musik anrüchig bewegte, begann mit ihnen zu tanzen – immer wieder den Blick herausfordernd zu Masao geworfen, welcher einen weiteren Schein zückte – ebenso herausfordernd nickte. Dem Drang der Aufforderung Folge zu leisten erwies sich außerordentlich schwer missachtet zu werden. Hosts waren in diversen Minuten und Stunden Freudenmädchen – ja. Aber man konnte nicht einfach tun und lassen was man wollte – nicht mit ihm. Nicht mit Yasu! Er war es, welcher diesmal den Spieß umdrehte und nicht auf seinen bereits zahlenden Kunden zukam, sondern diesen zu sich lockte. Er wollte begehrt und nicht bezahlt werden. Wollte Anerkennung, auch wenn diese nur Fiktion war und keinerlei Tiefe besaß. Sowohl in diesem Club, als auch auf der Bühne als Musiker. Es war egal. Es war vollkommen egal wie viel Hände an seinem Körper auf und abglitten, welcher bereits schwitzende Brustkorb sich gegen seinen Rücken drängte und wessen harter Schaft ihn so eben gegen den Hintern drückte und sich an ihn rieb. Hier ging es um nichts anderes, als Sex. Die Lippe zwischen die Zähne geklemmt, die Hände über den Kopf gehoben, drehte sich Yasu mit einem anrüchigem Hüftschwung zu seinem Hintermann, legte im fließenden Übergang die Hände in dessen Nacken, während er ihn direkt antanzte, Lenden an Lenden gedrängt. Ein Kuss andeutend und doch nicht vollzogen, biss er ausweichend in die Halsbeuge des Gastes, der um einiges Größer war als er selbst – und das galt nicht nur für dessen Lenden – ehe er seine Hand direkt auf die ausgebeulte Stelle der Jeans legte und fest darüber strich. Hände legten sich an Yasus Hüften, Geldscheine gesellten sich zu bereits gesteckten Wertpapieren. Erneut drängte sich ein Körper gegen den seinen, strich mit den Händen von der Hüfte aus nach vorn, über den Bauch und die Brust hinweg, fuhr mit flachen Händen in den weit ausgefallenen Kragen der weißen Bluse. Es war nicht Harukaze – dennoch duldete Yasu es, bewegte sich mit der Hüfte seinem Hintermann zu, während dieser ihn gegen seinen Vordermann drängte, welchem er fest im Nacken umgriff, sowie den harten Schaft unter dem Jeansstoff begann zu massieren, und sah erneut zu seinem thronendem Prinzen hinüber. Zigarettenrauch vermischt mit Alkohol und Schweiß stieg ihm in die Nase, sowie das plötzliche Gefühl des Versagens. Sein Ölprinz war verschwunden, saß nicht mehr auf seinem Platz. Hatte er das Spielchen zu sehr ausgereizt? Durfte er sich das einfach so rausnehmen? Eine vorbeilaufende Maid im knappen Kleidchen, mit Plateaustiefeletten, Netzstrümpfen und einem Tablett voller Wodkagläsern kam Yasu ganz gelegen, der sofort die Hand vom Nacken des Gastes nahm, Sie stumm bat kurz zu warten, und drei dieser kurzen Klaren exte - sich nebenbei umsah. Ausschau haltend nach seinem wunderschönen Zyklopen, aber er konnte ihn nicht orten. Er war gegangen. Verschwunden. Yasu hätte ihn wie einen König behandeln müssen, doch fing ein kleines Spielchen an, was dem Ölprinzen anscheinend missfiel. Mit einem dumpfen Geräusch, sowie reichlich Schwung landeten die leeren Gläser zurück auf dem Tablett und die Hand im Schritt des nicht gewollten Kunden. Nun war er noch aggressiver als zuvor, könnte sich mal wieder Ohrfeigen und begann die wachsende Härte in seiner Hand fester und fester zu reiben, sowie sein Becken fester gegen das seines Hintermannes kreisen zu lassen, welcher Gegendruck aufbaute und Yasu vollkommen unerwartet gegen den verschwitzten Körper vor sich drängte. Wer verstand hier keinen Spaß? Finger umspielten seine Brustwarzen, ließen ihn aggressiv hitzig werden. Frust und Wut trieben ihn dazu, sich gefallen zu lassen, was geschah. Trieben ihn dazu, sich den Gelüsten der beiden Gäste hinzugeben, seine Hände führen zu lassen, den Ekel zu unterdrücken welcher aufkam, sobald sich versoffene Lippen in seiner Halsbeuge wiederfanden. Hatte er eine schlechte Kindheit? Nicht genug Liebe bekommen? Immer wieder keimten in solchen Momenten die selben Fragen auf, und immer wieder konnte der Musiker sie verneinen. Seine Kindheit war von Reisen und Unternehmungen geprägt, von einer fürsorglichen Mutter und einem Papa der alles reparieren konnte, wenn etwas zu Bruch ging. Geprägt von typischen Geschwisterstreitigkeiten, aber auch von Geschwisterliebe. Warum also war er so unglücklich? Warum ereilten ihn immer wieder Phasen, in welchem er sich verloren fühlte, ungeliebt und einsam? Warum tat er sich das nur an? Warum hatte er Spaß dabei und fand es im nächsten Augenblick abstoßend und bedauerlich? Warum konnte er nicht total kitschig gedacht, eine stinknormale Beziehung führen, wie jeder andere auch? Warum fand er einfach keinen Partner, mit welchem eine gemeinsame Zukunft aufgebaut werden könnte? Auch wenn er Musiker war – fand sich denn niemals jemand, der nach einer Tour zu Hause auf ihn wartete? Ihn begleitete? Gab es wirklich keinen normalen Schwulen auf dieser Welt, der keine Kinder, aber total spießig an einem Winterabend zusammen auf der Couch kuscheln wollte, während man einen Film ansah? Gab es keine andere Plattenfirma, welche seine Homosexualität nicht verlangte zu verheimlichen? Völlig in Gedanken versunken sank der Körper mit handlichem Nachdruck auf den Schultern an dem erhitzten Gemüt vor sich hinab, wollte willenlos der stummen Aufforderung nachkommen, als man ihn unsanft am Handgelenk packte und zwischen den beiden Männern herauszog. Yasu reagierte kaum, taumelte gegen den nächsten Körper an welchem er forsch herangezogen wurde und wurde schlagartig von Wohlbefinden durchströmt. Es war der vertraute Duft, welcher die Nase umschmeichelte und den Ekel überdeckte. Es war die vertraute Handlung, die vertraute Art und Weise, wie sein Gegenüber ihn führte – wie er ihn küsste. Genauso forsch, genauso hart, wie er ihn hielt. Eine Szene, welche geläufig war, weswegen keinerlei Überraschung beiwohnte – eher gewohnte Manier, welche den Kuss wie selbstverständlich werden ließ. Samu schmeckte nach Cuba Libre, und je länger sich ihre Zungen umspielten, desto intensiver wurde der Geschmack, worin sich Yasu vollkommen verlor – wie in so vielen Dingen - der sich nun an den ehemaligen Senpai klammerte, und eigentlich schon rotzen voll schien. Morgen wäre eine Danksagung angebracht … „Übertreib es nicht Yasu“, fauchte Samu ihm ins Ohr. „Ich habe gesehen dass der Geldhahn da ist und dich rangewunken hat, also bewege deinen Arsch in dieses verflucht teure Schoß!“ „Mach’s doch selber, der will doch nur was zum Vögeln, so wie alle hier. Du hast auch ´n hübschen Arsch, zeig ihm den ruhig mal“, winkte er abwertend, ganz auf Samus Niveau befindend, welcher jedoch nur die flache Hand gegen Yasus Stirn schlug. „Er ist aber wegen dir hier. Verärgere ihn nicht, das könnte ein Langzeitkunde werden, der ja anscheinend mit deiner letzten Leistung zufrieden war! Also los, tu was er verlangt und spiel nicht das Aschenputtel!“ „Ohw … ich möchte aber so gern das weiße Puffkleid tragen Samu.“ „Und ich möchte dich darin so gerne anzünden du kleine Schnepfe!“ „Nnnaain“, schlug Yasu ihm aufglucksend ab, hielt sich an dessen Schultern fest mit einem süffisanten Schmunzeln. „Du traust dich ja nur nicht mich darin zu heiraten, weil mir weiße Puffkleider nämlich unlaublich gut stehen.“ „Unlaublich, ja.“ Ein schnippser an die Stirn folgte mit tiefen Augenrollen, dann nickte Samu in Masaos Richtung, welcher an der Bar stand, worauf sich gerade zwei Hosts halbnackt umgarnten, innig küssten und jenseits der Gürtellinie berührten. Alles was geschah zeichnete sich unter der engen Panty ab, sodass diese eher als schlechte Verpixelung galt, als wirklichem Geheimhalten, während Yasu die Maid erneut anhielt, um sich zwei Wodka zu nehmen, sie zu trinken, und abermals von fremden Händen und Körpern angetanzt wurde – blickte dabei allerdings zu seinem jüngeren Kollegen. „Versau’s nicht, noch ist er da“, zischte dieser ihm entgegen, doch Yasu schien nicht zu begreifen, gluckste nochmals auf und wandte sich ab. Er hatte längst zu viel auf einmal in kürzester Zeit getrunken und zu Abend nichts gegessen. Oft tat er das, um nicht ganz bei Sinnen zu sein. So verdiente er mehr Geld. Stolz war er darauf nicht, aber es war seine Methode sich immerhin ein wenig seiner Würde zu behalten, wenn ihm nicht ganz bewusst war was er zu mancher Stunde trieb. Schnell zog er sein bislang bekommenes Geld aus dem Gürtel, knüllte es etwas unbeholfen zusammen und steckte es in die Hosentasche, als bereits neue Scheine zwischen das Leder geklemmt wurden, und Yasu sich den ungeschickten Tanzversuchen anpasste, die diesmal von einer Frau ausgingen. Neben ihm tanzte sich ein ehemaliger Stammkunde näher, welcher schlichtweg so ziemlich jeden Host des Clubs für einen längeren Zeitraum vereinnahmte und schien wohl durch zu sein, um bei Yasu von vorn zu beginnen. Erklären konnte sich der Musiker dessen Auftreten immerhin nicht anders, und schien wenig begeistert darüber. Genau solche Kunden brachten ihn noch vor Schichtbeginn zu Kenta an die Bar, welcher ihn einen Schnaps zum Vorglühen aushändigen musste, wobei ihm einfiel, dass er heute schon einen Doppelten hatte und … wie viel Wodka? Ein erzwungenes Lächeln folgte hinüber zu diesem Koreaner-Mischling, welcher eine Bierflasche in der Hand hielt, sie anhob und einen kräftigen Schluck davon nahm, nur um die Fahne dessen anschließend fein säuberlich an Yasus Ohrmuschel zu kleben. Der unausstehlich, widerliche Teil seiner Arbeit – ging ja schneller als gedacht. „Na? Lange nicht gesehen. Hast du Lust nach hinten zu gehen?“ Auf einen der Sessel im abgedunkelten Bereich, wo Schößchen erlaubt war – für mehr würde er dem Host noch weitaus mehr Geldscheine zwischen Hose und Gürtel schieben müssen, was bedeuten würde, dass er mit ihm nach oben in einem der Gästezimmer verschwand. Doch ein Blick genügte und der Musiker verstand dass der Kunde wirklich ‚nur‘ nach hinten gehen wollte, als ein schweres, frauliches Seufzen seine Aufmerksam erhielt. „Schade dass du schwul bist“, durchbrach das Blondchen die Musik mit erhobener Stimme, wickelte eine blond gefärbte Locke um den Zeigefinger und machte eine schade findende Mimik. „Du bist so heiß, würdest du mir nicht wenigstens einmal die Brüste massieren?“ Oh bitte nein – dafür brauchte Yasu noch zwei Wodka mehr. Allerdings Flaschen. Zwei ganze Wodkaflaschen! Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, sah auf die beiden gut verpackten Brüste vor sich und konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie Heterotypen nur auf sowas abfahren konnten. Brüste waren das ekelhafteste was es gab und könnten in jenem Augenblick für den aufkommenden Schwindel und die gefolgte Übelkeit verantwortlich sein, weswegen die Hände über das erhitzte Gesicht fuhren und die Lunge einen tiefen Atemzug einforderte. Er musste dringend einen Momentlang an die Luft, sah sich hilfesuchend nach Samu um, welcher Brüste wiederum außerordentlich prima fand, ehe er der Frau vor sich eine übertrieben höfliche Ausrede an die Backe nageln wollte. „Würde ich, a-“ „Nicht jetzt und nicht heute“, legte sich ein Arm von hinten über seine Schulter und seine Brust hinweg, drückten ihn zurück an den Körper, welcher sich gegen ihn lehnte und die schönste Stimme der Welt beherbergte. Sein Herz begann zu rasen, die Übelkeit schwand, der Schwindel jedoch nahm zu. Hatte er etwa gewonnen? Ein schelmisches Schmunzeln stahl sich auf die Lippen des Musikers, als sich Masaos Kinn auf eine Schulter stützte und die seinigen wiederum gespielt entschuldigend anhob. Den ehemaligen Stammkunden schob er bei der Gelegenheit direkt von Yasus Körper. „Sorry, aber das Prinzesschen ist heute ziemlich bissig. Ich kümmere mich darum.“ Offensichtlich ließ er die Geldscheine mit der anderen Hand an Yasus Gürtel wandern, steckte einen nach den anderen zwischen Gürtel und Lederhose, den Blick arrogant heftend auf der Blondine gehalten, während sie ganz verlegen wurde und zugleich erstaunt darüber war, wie viel Geld der Host einnahm. Ebenso beachtlich sah der Mischling auch drein und Yasu warf diesem einen genauso geschauspielerten Blick der Verzeihung entgegen, als das Blondchen geschlagen aufstöhnte. Da konnte sie nicht mithalten, Yasu war zu teuer. Und Masao anscheinend wirklich nur auf ihn aus, was ein siegreiches Grinsen seitens des Hosts nicht verheimlichte, welcher Masao nun über die Schulter hinweg ansah und provokant nickte. Er war zu ihm gekommen, konnte er sich etwas darauf einbilden? „Ungeduldig und verzogen, hm?“ Yasu bezog es auf Masaos Art, ohne zu wissen, wie viel Geld er ihm da eigentlich gerade unterschob. Deutlich war allerdings, dass es wesentlich mehr Scheine waren, als von den beiden eben umdrehenden Kunden zusammen. „Einzelkind“, antwortete Masao nur simpel darauf mit einem smarten Lächeln, schob die Hand tiefer über die Brust hinweg, umgriff mit beiden Händen die Hüfte und presste den schönen Hintern seines Auftrages gegen seine Lenden, die bislang nichts verräterisches andeuteten. „Und jetzt tu etwas dafür, dass du diesen Schwanz nicht wirklich noch vergessen musst“, raunte er in sein Ohr, fuhr mit der Zunge die Ohrmuschel entlang, welche nicht nach Bier schmeckte und schmunzelte weiterhin schelmisch, als Yasu die Unterlippe angetan darüber zwischen die Zähne klemmte und sich wie auf Knopfdruck erneut zur Musik zu bewegen begann. Den Hintern fest gegen Masaos Lenden gedrückt, bewegte sich die Hüfte gekonnt, grazil und aufreizend gegen diese. Die Arme hoben sich über den Kopf hinweg, ruhten anschließend flach an Masaos Halsseiten, bevor die Finger kraulend über die feine Haut hinwegtanzten, während sich die Augen einen Moment lang genussvoll schlossen. Der Körper hinter ihm war so aufreizend, so anziehend, zog selbst einige Blicke von Kunden auf sich und machte Yasu regelrecht stolz, dessen Körper in jenem Augenblick selbst von zwei wundervollen Händen bewandert wurde. Sie schoben sich an den Seiten hinauf, glitten gen Bauchnabel nach vorn hinab und links und rechts am Schritt vorbei, um sich an die Innenseiten der Oberschenkel zu legen, während die Arme ihn noch mehr mit dem Rücken gegen den Körper des Älteren pressten. Dessen Hüfte folgte dem Rhythmus des süßen Hintern, begann das Hemd vom Saum ausgehend aufzuknöpfen – langsam und geheimnisvoll der Musik angepasst. Yasu sank die Arme, führte sie seitlich nach hinten und griff an Masaos Hintern, krallte sich wie eine Katze mehrmals mit den Nägeln in die Pobacken und schob anschließend die Handflächen an ihnen hinab, wieder hinauf und schließlich in die Gesäßtaschen der dunkelgrauen Jeans. Erneut massierten die Hände darunter den Hintern, drängten Masaos Becken gegen seinen aufreizenden Hüftschwung und schmiegte den Oberkörper mehr noch gegen seinen Hintermann, genoss die intensive Wärme, welche sich zwischen ihren Körpern aufstaute. Hände legten sich auf die frei geknöpfte Haut, strichen angetan über die leicht definierten Muskelstränge und begannen anschließend die Nippel zu umspielen. Sie flach mit der Handinnenfläche zu umkreisen, jeden Finger darüber streichen zu lassen und sie mit Daumen und Zeigefinger fest zu massieren, bis sie hart wurden. Diesmal vor Lust, welcher sich der Musiker hingebungsvoll auslieferte. War das billig? Wieder kam eine Maid an ihnen vorbei, doch diesmal war es Masao, welcher eine Hand von Yasus Körper nahm, um ein Glas vom Tablett zu nehmen, ließ den Inhalt komplett in seinen Mund fließen, und stellte das Glas zurück. Die schön geschwungenen Lippen glänzten verführerisch im diffusen Scheinwerferlicht, die Lenden wachten auf. Zeigefinger und Daumen schoben sich unter das Kin des Musikers, zwangen ihn in lieblicher Manier dazu zu ihm aufzusehen. Yasus Lippen öffneten sich einen Spaltweit, als er den Kopf seitlich an Masaos Brust lehnte und ließ sich die herbe Flüssigkeit übermitteln, ohne diese sündhaft schönen Lippen zu berühren. Sie folgten erst, nachdem Yasu schluckte und ließen ihre Geschmackssinne eins werden. „Dafür dass du mit deinem Humor knauserst, reißt du hier gerade ´ne Menge wieder raus“, raunte Masao ihm gegen die weich geküssten Lippen, leckte mit der Zungenspitze über die Unterlippe und wurde anschließend in eben jene gebissen, welche von den Zähnen umschlossen etwas gezogen wurde, begleitet von einem wohlwissendem Auflachen. Der Körper des Jüngeren drehte sich in der Berührung, Zähne knabberten an Masaos Schlüsselbein, noch immer schallte ein lustvoller Beat durch die Räumlichkeit, und noch immer konnte es Yasu nicht glauben dass er hier war. Bevor der Zauber auch diesmal erlosch, fuhr er mit den Händen zwischen offenem Blazer und ebenso weißer Bluse an den Seiten des Körpers entlang, legte diese an den etwas breiteren Rücken und ersetzte schlichtweg die Metallstange mit seinem Gast – bewegte sich nun an diesem aufreizend und verrucht hinab, fuhr dabei mit den Fingernägeln fester über dessen Rücken, blieb mit gespreizten Beinen in der Hocke vor seinem Ölprinzen am Boden und biss schließlich, während er herausfordernd, provokativ zu ihm aufblickte und seinen Blick einfing, in dessen Schaft, welcher sich offensichtlich begann hinter dem Stoff abzuzeichnen. Allein die Lippen tasteten die wachsende Härte entlang, erkundigten sich wortwörtlich nach der Lage. Erst als sich der Musiker sicher zu sein schien, begann er mit den Zähnen gezielt danach zu suchen. Nach diesem kleinen silbernen Schmuckbeisatz. Es dauerte nicht lange und das Piercing war durch Nachdruck mit den Lippen zu erfühlen, wurde durch die Textilien zwischen die Schneidezähne geklemmt, um andeutungsweise daran zu ziehen - hatte sich daran längst einen Narren gefressen. Masao hob die Hände, führte diese seitlich durch Yasus Haar hindurch, legte eine anschließend an dessen Wange, während die andere begann erneut durch das gegelte Haar zu streichen, wie es das Styling vorgab und blickte den vor ihn hinabgesunkenen Körper reichlich aufreizend an. Nötig hatte er es wirklich nicht, aber er musste sich eingestehen dass Yasu ein heißes Luder war. Zudem durfte die Tatsache nicht vergessen werden, dass er schlichtweg auch nur ein Mann war. Er durfte zwar sein Hirn benutzen, aber das missachtete der Körper sehr gerne zu 87% seines Lebens. „Ich hab so bock dir einen zu blasen.“ Masao schmunzelte, schob eine Hand unter Yasus Kinn, hob es an und weg von seinem verborgenen Schaft. Allein ein Blick genügte, ein Nicken, und der Host erhob sich elegant von seiner Position, wurde erneut an den Schönling herangezogen, dessen Hände über den Oberkörper hinabglitten und Yasus Gürtel öffneten. „So?“ raunte die dunkle Stimme diesen entgegen. „Ich hab so bock dich einfach hemmungslos zu nehmen“, war die Antwort, welche sich der Host sogar erhoffte, wie er nun erschrocken feststellte. Wer wollte nicht von seinem Verknalltsein-Opfer flachgelegt werden? Der Blick fiel auf Masaos geschickte Finger, und er hätte bei seinem angetrunkenen Zustand nicht einmal etwas dagegen, würde dieser seine Vorstellung jetzt und hier in die Tat umsetzen. Aber es war hier nicht gestattet. Nüchtern betrachtet auch mehr als Vernünftig. Allerdings warf er somit zeitgleich einen Blick auf das Bündel Geldscheine, welches Masao ihn eben zugeschoben hatte, hörte aber schon nach den ersten auf. Es war mehr als genug. „Damit könntest du mich … von vorn … von hinten … ja, von überall nehmen, wie du möchtest“, raunte er heiser gegen die Lippen, küsste diese und biss erneut in die Unterlippe, um daran zu ziehen. „Aber nicht hier.“ Masao öffnete die Gürtelschlaufe mit einem schelmischen Schmunzeln, sammelte blind die Geldscheine des Hosts ein, der sich sicher war keinen davon missen zu müssen, und sollte Recht behalten mit seinem Vertrauen diesbezüglich. Masao steckte sie allesamt in seine Hosentasche, bevor er den Gürtel gänzlich öffnete, ebenso den Hosenknopf, den Reißverschluss – um anschließend ohne Umwege direkt unter den Stoff dieser, und zeitgleich unter der enganliegenden Panty zu gleiten. Fest umschloss er den erhitzten, aber bereits harten Schaft, lockerten den Griff wieder, um mit der gesamten Handfläche nachdrücklich darüber zu streichen, Yasu einen Laut zu entlocken, ein lustverhangenes Gesicht zu zeichnen. Es funktionierte. Der Musiker war bereits hin und weg, sah kurz um sich, sah auf die kleine Bühne, zur Bar und zur abgedunkelten Ecke. Auch auf der Tanzfläche, wo sie in jenem Moment standen, sah er sich um, nickte dann allerdings fragend nach oben. „Oder was soll mir deine Summe sagen?“, brachte er seinen gegenüber zum Lachen, wurde somit fester herangezogen mit einer Hand. „Um sicher zu gehen, dass dich kein anderer vögelt. Ist doch so, oder? Wer am meisten hinlegt, bekommt den Bonus? Lohnt es sich denn hochzugehen?“ Yasu nickte nur schmunzelnd, drängte seinen Unterleib gegen Masaos Hand, welcher die pulsierende Härte wieder umschloss, diesmal auch begann sie unter dem engen Stoff so gut es möglich war zu massieren, während sie unbemerkt davon, noch immer in Bewegung waren mit ihren Körpern. Völlig im Einklang. „Zwei Stunden“, zeigte Yasu Zeige- und Mittelfinger tanzend auf, brachte den Schönling deswegen dazu nun nach oben zu nicken, als Antwort darauf, dass es sich lohnte. Er würde gerne mehr solcher Aufträge bekommen … *** „Harukaze! Wenn du das hörst ruf sofort zurück! Yurika scheint zurück in Japan zu sein! Hast du den kleinen Bruder schon am Wickel? Prügels aus ihm raus, ob das kleine Miststück schon die ganze Zeit über in Japan war! Das Biest führt uns an der Nase herum!“ Gerade als sie nach oben in einem der Gästezimmer verschwanden, entschuldigte sich Yasu für einen Moment, was Masao – welcher noch längst keinen Dampf hatte - nutzte, um seine Mailbox abzuhören. Der Blick dabei auf das kleine Badezimmer gerichtet, darauf bedacht, sobald sich ein Schatten vor die Lüftungsschlitze an der Türleiste schob, aufzulegen, als er schließlich tat wie ihm gehießen. Da die Dusche eindeutig zu vernehmen war hatte Masao wenige Minuten um seiner Akte ein Update hinzuzufügen. „Woher wisst ihr das, gibt’s Indizien?“ „Die Kisten sind weg. Allesamt!“ „Gówno!“, zischte er zornig auf Polnisch in den Hörer. „Głupiec! Wie kann das bitte sein?!“ „Die Kamera wurde abgestellt und an den Türen sind keine Einbruchspuren. Es muss also jemand gewesen sein, der genau weiß wo die Technik ist und zudem im Besitz eines Schlüssel zum Lagerraum ist. Wir sind nur drei Leute die Zutritt ins Lager haben und Schlüssel, sowie Technik haben und das sind Du, Ich und Yurika. Es geht gar nicht anders, jemand anderes kommt doch auch gar nicht ohne weiteres auf unser Gelände! Sie muss wieder da sein!“ „Kurwa …“, strich sich Masao wieder mit einem polnischen Ausdruck für ‚Hure‘ mit den Fingern über das Kinn und schielte schwer atmend zum Badezimmer. „Wir müssen Neidlos anerkennen, dass sie gut ist Harukaze.“ „Muss in der Familie liegen …“, grinste er dreckig in den Hörer mit gesenkter Stimme und kannte Yurika, sowie nun auch deren kleinen Bruder, welcher sich wusste zu bewegen – genau, wie die Schwester. Sie war flink, geschickt, ließ sich nie erwischen, traute sich nun anscheinend sogar still und heimlich wichtiges Hab und Gut zu entwenden, obwohl sie als verschollen galt. War das überaus dämlich oder tatsächlich grandios? Wie oft war Masao mit Yurika auf Streifzug um diverse Drogengeschäfte abzuhandeln, Massen zu stehlen und sie weiter zu verticken? Natürlich war es Yurika, welche die Bananenkisten entwendet haben muss – die Frage war nur wann und wie. Der Gedanke entlockte dem Yakuza ein hämisches Schmunzeln, denn er mochte solche Katz und Mausspiele. Erst Recht wenn er ganz genau wusste dabei auf dem Siegertreppchen zu stehen, und als sich die Badezimmertür öffnete, wusste Masao auch, wer ihn genau dahin bringen würde und klappte sein Handy ungesehen zu. Ein nackter Yasu hatte durchaus sehr viel mehr Reize als verschwundene Bananenkisten, welche Koks beherbergten. Abgesehen davon – er befand sich schließlich mitten in der Arbeit. Die Akte ‚Yasu‘ musste und wollte ganz offensichtlich dringend bearbeitet werden. Der lehnte sich mit vielsagendem Wimperklimpern gegen den Rahmen der Badezimmertür und präsentierte sich ganz offenherzig. Besoffen – aber sehr offenherzig. *** „Liebes Tagebuch, muss demnächst aufhören zu trinken bevor ich zu arbeiten anfange. Oder bevor ich sauer werde und mir komische Sachen denke. Oder bevor ich doch den Schwanz einziehe und nur tanze, statt Happy Endings zu verteilen. Oder bevor ich hemmungslosen Sex habe mit einem außergewöhnlich faszinierendem Wesen. *grübel, grübel und studier* Ich merke gerade dass ich vielleicht generell weniger trinken sollte. Gott, was ist mir schlecht … Yasu“ *** Yasu hatte noch keine argwöhnischen Sexgeschichten zu verzeichnen. Bislang lief alles unspektakulär ab oder war schlichtweg ganz weit in die Schublade ‚Geheimnisse 2010 bis 2015‘ abgeschoben. Doch diesmal würde er vielleicht eine weitere Akte dazulegen, ja, vielleicht sogar eine neue Schublade frei machen für ‚schmutzigen Sex‘ und ‚dirty Talk‘, der mehr reinknallte in die Blutbahnen, als der vorher getrunkene Wodka und ihn völlig Willenlos werden ließ. Die Seite war selbst ihm neu, hatte er sich bislang niemanden komplett hingegeben, hatte stets nachgedacht bei allem was er tat – selbst in Trunkenheit. Doch jetzt schaffte es Masao dass Yasu komplett abschaltete, sich im Laken hin und her wühlte, sich an seinem Körper festkrallte, sich an ihm klammerte, lauthals stöhnte ohne sich zurückzunehmen, während er ihn genauestens dabei fixierte, musterte und lüstern schmunzelte die ganze Zeit über. Yasu hatte sich so an seinem Piercing fasziniert, dass dieser nicht bemerkte, wie Masao in seine Hosentasche griff, eine kleine Pille hervorholte und sie wie eine Brausetablette auf der Zunge zergehen ließ. Der nachfolgende Kuss diente lediglich zur Übertragung des entspannungsfördernden Mittels, und es faszinierte wiederum Masao, wie furchtbar schnell Yasu High wurde. Er selbst war dieses Wundermittel längst gewöhnt, konnte auch nicht mehr ohne, denn dann würde er durchdrehen – die Emotionen und Gefühle, welche ein menschlicher Körper tief innen drin besaß würden hervorkommen, sein Gewissen verprügeln, ihn nie mehr schlafen lassen. Diese Happy Pils halfen ihm dabei entspannt und locker zu sein, gehörten längst zu seinem Leben, wie die Luft zum Atmen. Yasu allerdings hatte noch niemals Drogen genommen, kannte sich damit nicht aus, und Dank des Wodkas, der noch immer einen geschmacklichen Film auf seiner Zunge legte, hatte er nicht bemerkt wie er etwas süßliches zu gezüngelt bekam – fühlte sich urplötzlich einfach nur bis aufs äußerste erregt und entspannt zugleich, weswegen auch die Schmerzgrenze sehr viel höher lag, als gewöhnlich. Zwar achtete Masao darauf, dass sich der Muskel um ihn nicht verkrampfte, aber da Yasu keinerlei Protest startete, behandelte er ihn auch nicht wie ein rohes Ei, ließ sich aufnehmen, in die hitzige Enge treiben und so tief wie möglich aus der Hüfte heraus zustoßen. Das Gesicht des Musikers zierte mit jeder Sekunde mehr ein feiner Schweißfilm, sowie ein rötlicher, Rouge artiger Schimmer auf den Wangen. Der Kreislauf kam in Schwung, die Kehle tanzte mit der Lust, die sich auf die Stimmlippen legte, und die Klänge deutlich belegter zwischen den tiefroten Lippen hervorkamen, als normalerweise. Es klang schmutzig, dreckig, angeraut – es klang nach Sex. Entspannten, genussvollen Sex, wie ihn der Host lange Zeit nicht erleben durfte. … Masao hatte sich dem Latex entledigt, seinen Slip angezogen, sowie die Hose und saß nun mit noch offenem Hemd an der Bettkante um in Ruhe eine Zigarette zu rauchen, während Yasu völlig fertig auf der Matratze lag und sich nicht mehr regte. Seit Zehn Minuten lag er einfach nur da, die Arme von sich gestreckt ohne auch nur einen Ton von sich zu geben. Zeit, welche der Yakuza nutzte, um dessen Wesen ganz in Ruhe mit skeptischer Mine zu mustern. Klar, sein Ego befand, es war außer Frage, dass er gut war, aber noch nie hatte sich eine Liebelei danach selbst erledigt, weswegen er sich etwas nach vorn beugte, um den anderen genauer unter die Lupe zu nehmen. Außer einer kräftigen Atmung konnte er allerdings nichts feststellen, erhob sich daraufhin schulterzuckend um den Gürtel seiner Hose zu schließen, ehe er sich schließlich vor das Bett hockte und Yasus Lider mit dem Daumen anhob, um zu prüfen ob er noch auf Licht reagierte. Doch da kam schon ein mauliger Laut aus dessen Kehle, welche klang, als habe sie drei Tagelang stillgestanden. „Hey“, schmunzelte Masao amüsiert, strich dem Host durch das Haar, der sich noch immer nicht regte und erhob sich seufzend. „Verträgst wohl nichts weiter, hm?“ Die Zigarette landete mit festem Druck im Asher auf dem Nachttisch, das Augenpaar behielt den Host amüsiert im Auge. Keine Reaktion, einzig und allein ein kläglicher Versuch sich zu räuspern folgte, woraufhin der schöne Zyklop schwer seufzte. War wohl ein kleines Sensibelchen, dieser humorlose, aber sehr attraktive Musiker. „Die zwei Stunden sind gleich um.“ Wieder räusperte sich Yasu nur schwer, versuchte zu schlucken, doch seine Kehle war wie ausgezerrt, als habe sie Tagelang keinen Tropfen Wasser oder Speichel gesehen. Allmählich wurde Masao stutzig, der die Stirn fraglich in Falten legte und sein eben aufgehobenes Hemd in der Hand sinken ließ. „Yasu?“ Er beugte sich erneut über den Host, drehte dessen Kopf und begann ihn abermals eindringlich zu mustern, tätschelte ihm die Wange, dass er endlich die Augen richtig öffnete – tat er aber nicht. „Jetzt komm schon, du kannst unmöglich so derart betrunken sein, dass dich das bisschen vögeln so aus der Bahn wirft – auch wenn’s mich natürlich sehr ehrt“, scherzte er recht trocken, wollte in diesem Augenblick aufgeben und den Trunkenen schlichtweg ausnüchternd zurücklassen, als etwas tief in ihm gegen sein Vorhaben sprach. Irgendetwas war komisch. Lag es etwa an den Drogen? Hatte der andere Unverträglichkeiten, Allergien? Masao nahm längst täglich die dreifache Dosis, hatte selbst sicherlich von der kleinsten Menge vorhin einen Großteil im Körper behalten, weswegen er sich ziemlich sicher war, dass Yasu kaum darauf so stark reagieren konnte. Oder doch? Tatsächlich spürte der Yakuza eine Art Unruhe in sich, als Yasu die Augen nicht öffnete und stattdessen einen japsenden, nach Luft holenden Laut hervorbrachte, welcher ziemlich gequält klang. Sollte der ihm jetzt abnippeln, noch bevor er wusste wo Yurika sich aufhielt, wäre das strategisch gesehen völlig unvorteilhaft. Außerdem hatte er jetzt so gar keine Lust darauf eine Leiche aus dem Szeneviertel zu zerren, weswegen er sich schwer aufseufzend die Stirn kratzte, fast schon genervt schien. „Alter, verarscht du mich? Wenn ja, dann reicht’s jetzt langsam.“ Tiefes Luftholen folgte, anschließend zitterte der Körper des Musikers leicht und unkontrolliert, als würde er stark frieren. Sämtliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Ihm war so furchtbar schlecht. Ihm war so furchtbar kalt, dann wiederum so furchtbar heiß. Sein Herz stolperte, der Kopf pulsierte. Am liebsten wollte er schlafen. Eine ganz lange Zeit nur noch schlafen, drehte den Kopf erschöpft auf die eine, dann auf die andere Seite, sah zu Masao auf, als ein trockener Husten ihn heimsuchte und ihm die Tränen in die Augen jagte. Er wollte so gerne antworten, aber der Alkohol und sein altbekanntes Leiden lähmten Körper und Geist. Masao hatte sich währenddessen zurück an die Bettkante gesetzt, kniete mit einem Bein auf der Matratze, das andere hing darüber, stand mit dem Fuß auf dem Boden, als er sich abermals über Yasu beugte und diesmal sehr ernst dreinblickte. „Yasu? Verdammt was ist los mit dir? Hast du irgendwelche Medikamentenunverträglichkeiten?“ „…“ Nicht das er wüsste. Wieso fragte Masao überhaupt danach? „YASU!“ Ein Befehlston, der ihm die Augen öffnen lassen sollte, was nun auch glückte. Zwei glasige und dennoch kleine Augen blickten den Yakuza hilflos entgegen, der wiederum erneut die Wange des Hosts tätschelte, um ein Wegnicken zu verhindern. „Ist dir schlecht?“ „Ich …“ Ihm war furchtbar schlecht. Reden strengte an, die Stimme brach weg, weswegen erneut ein Räuspern folgte. Er musste sich mitteilen. Er musste sich unbedingt mitteilen, weswegen so viel Luft wie nur möglich in den Lungen landete, um damit genügend Kraft zu haben für das Ausschlaggebende Wort, was hoffentlich alles erklärte. „Unterzucker …“, presste er schließlich hervor, und Masao, welcher näher herangekommen war, zog zunächst angestrengt, um Yasu verstehen zu können, die Brauen tief ins Gesicht, ehe er ihn schließlich mit großen Augen ansah. Unterzucker? „Dein Ernst?“ Yasu nickte schwach, deutete nach oben, meinte den dritten Stock. Alles drehte sich in ihm. Sein Hirn, sein Magen, seine Zunge. Er war besoffen, noch ein wenig high und unterzuckerte gerade, was auch ein verräterischer weißer Rand um Mund und Nase langsam deutlich machte. Masao war dieses Phänomen bekannt. Yurika war ihm mehr als nur einmal unterzuckert, was ihm wiederum ein Rätsel war. Wer eine Krankheit hatte, kümmerte sich doch normalerweise darum. Die Geschwister schienen dabei jedoch eine Ausnahme zu bilden, weswegen der Yakuza unweigerlich mit den Augen rollte. Wie blöd waren die denn bitte? Oder konnte man solche Situationen ohnehin tatsächlich niemals vermeiden? „Hast du so‘n Messdings? Wo hast du‘s? Hey, guck mich an, wo ist das Blutzuckermessgerät?“ Noch immer herrschte Unruhe in Masao, doch er wirkte kontrolliert, bekam nur wieder einen Fingerdeut nach oben, woraus er sich nichts nehmen konnte – nicht, wenn er einer von vielen normalen Gästen wäre. Aber er wusste ganz genau dass Yasu hier im Hause wohnte. Im obersten Stockwerk. Das musste er riskieren, ansonsten wäre sein Job schneller erledigt, als geplant. „In deinem Zimmer? Alter, bleib wach, ich hab keine Zeit für Beileidsbekundungen. Wo ist dein verfluchtes Zimmer?!“ Ohne auf Antwort zu warten, hievte er den Host aus dem Bett, denn wo dessen Zimmer war, wusste Masao natürlich. Er könnte allerdings später behaupten, dass Yasu ihm all das selbst sagte und zeigte, er würde es ohnehin nicht mehr wissen. So packte er den Host über die Schulter, in der Decke eingewickelt und verließ fluchtartig den Raum. Zu seiner Überraschung sah er niemanden auf den Fluren, und bevor der Fahrstuhl käme, wählte er lieber die Treppe und klopfte seinen Kollegen gedanklich mehrmals kräftig auf die Schulter. „Hier ist der Gebäudeplan vom Club.“ „Wozu brauch ich den?“ „Ich dachte du machst den Bruder klar? Der wohnt dort. Schadet nicht, wenn du dir schon einmal deinen Fluchtweg ansiehst“, zwinkerte man ihm entgegen. Dass dieser Fluchtweg gerade eher der Notfallweg war, war so sicherlich niemals gedacht, und wahrscheinlich auch der Grund dafür, warum hier niemand umhereilte. Der Gebäudekomplex in welchem er einbog war eigentlich leer, und eher als Alternative gedacht im Falle eines Brandes – also nicht genutzt. Doch kaum war er oben angekommen, musste er feststellen dass die Tür verschlossen war. Zurückrennen war keine Option, das dauerte zu lange. Das Schloss gekonnt öffnen, ohne Spuren zu hinterlassen war hier in dieser Situation unmöglich – so blöd war Yasu nicht, das hatte der Yakuza schon herausgefiltert, weswegen er sehr vorsichtig mit dieser Aufgabe umgehen musste – allerdings nicht mit der Tür, die kurzerhand ein paar gewaltige Tritte bekam, um anschließend aus dem Schloss gerissen, wackelig nach innen aufschnellte mit dem bekannten Geräusch von berstendem Holz und einen dumpfen Knall an die angrenzende Wand. Er hatte schlichtweg keine Zeit. „So. Wo ist das Zeug?“ Er setzte den Host auf dessen Bett ab, hielt die Hand flach gegen dessen Schulter dass er nicht umkippte. Auch wenn der vor bebendem Körper und Übelkeit nicht mehr wusste wo oben und wo unten war, deutete er entkräftet auf seinen Rucksack, welcher auf dem Schreibtisch lag. „Schwarze … Mappe …“, zitterte er hervor und beobachtete den Ölprinzen dabei, wie dieser nach dem Mäppchen suchte, es an sich nahm und noch beim zurückkommen den Reißverschluss öffnete, um das Blutzuckermessgerät, einen Messstreifen und die Stechhilfe hervorzuholen. Yasu streckte seine zittrige Hand danach aus, völlig verschwitzt und erkaltet, von blauen Adern übersäht. Doch er spürte im nächsten Moment warme Hände, welche sich um die seine schlossen, sie warm rieben im schnellen Tempo. Anschließend ein Stich seitlich an der Kuppe des Ringfingers, und schließlich ein bekanntes und kurzes Piepen, sobald der Blutzuckerwert ermittelt war. Masao kannte sich aus? „61mg/dl?“, entwich es diesem, zeigte das Display des Messgeräts mit dem darauf anzeigenden Wert und Yasu kniff die Augen zusammen, um es selbst noch einmal zu lesen. „Oh.“ Das war bedrohlich niedrig. „Cola. Im Kühlschrank ist … Cola. Und Obst … und … gib mir bitte … meinen Rucksack …“ Er brachte kaum mehr einen Satz hervor, doch Masao ließ alles stehen und liegen, warf Yasu seinen Rucksack entgegen, der gleich in die Seitentasche griff, um Traubenzucker hervorzukramen, wovon zwei Plättchen im Mund verschwanden und er tief ein und wieder aus atmete. Ganz ruhig bleiben. Zucker hochpuschen, und ruhig bleiben - nicht umfallen. „Eimer auch?“, wollte Masao wissen, doch dies verneinte Yasu. Nein – weder umfallen, noch spucken. Masao beobachtete den Jüngeren skeptisch bevor er in der kleinen Küche stand, die ganz schlicht und einfach eingerichtet war, allerdings überall Verblendungen vor sämtlichen Geräten aufwies. Es war nicht ersichtlich hinter welchem Griff sich der Kühlschrank versteckte, gab es zwei große, schmale Schränke in der hellen Küchenzeile. Natürlich war der erste Versuch ein Fehlgriff, doch schon der zweite eröffnete ihn einen wahrlich gut befüllten Kühlschrank. Ein Fach komplett mit Fruchtsäften und Cola ausgelegt, abgepacktes Obst in den unteren Fächern, wo er einfach blind zugriff, und irgendetwas herausholte, sowie eine Flasche Cola, um damit zurückzukehren in das Zimmer nebenan, wo Yasu mit wippenden Beinen auf dem Bett saß, sich die Decke fest um den nackten, zittrigen Körper schlang und schließlich voller Sehnsucht die Hände nach dem gereichten Obst und zuerst nach der Flasche Cola ausstreckte. Reichlich trank er einige Züge, wobei die Augen heftig tränten und die Speiseröhre brannte Dank der kühlen Kohlensäure, ehe er in die Banane biss, die Masao ihm währenddessen abschälte und reichte. Er war heute aber auch wieder überdurchschnittlich sozial veranlagt, das musste er schon zugeben. Yurika hatten Bananen immer über Wasser gehalten. Wahrscheinlich war es naheliegend dass es dem kleinen Bruder genauso ging. Doch der verzog nur angewidert das Gesicht während er das Obst kaute, weiterhin mit den Beinen wackelte und sich zittrig über die Augen strich. Bananen waren sehr effektiv, aber einfach nicht Yasus Geschmack, weswegen die Atmung einen Augenblick anhielt, um das aufkommende Ekelgefühl zu unterbinden. „Sicher, dass ich keinen Eimer holen soll?“, wollte Masao in Lauerhaltung wegen dieser offensichtlichen Handlung wissen, bekam als Antwort jedoch ein energisches Kopfschütteln. Ein kotzender Host war jetzt auch nicht das, was er unbedingt mal gesehen haben musste. Aber es schien ihm ohnehin erspart zu bleiben, denn man konnte regelrecht zusehen, wie die verräterische Blässe um Nase und Mund langsam zurückging, sich stattdessen wieder allmählich eine gesunde Gesichtsfarbe einstellte. Damit war das schlimmste durch und Masao ließ sich seufzend neben Yasu nieder, legte die Hand auf den schmalen Rücken, strich beruhigend darüber, und … Wieso tat er denn sowas? „Ich gehe nochmal runter ins Zimmer und hole unsere Klamotten hoch. Du kommst doch erstmal klar wieder, ja?“ Yasu nickte dankend, konnte das Widerwärtige in seinem Gesicht allerdings nicht verstecken während die Wangen voller Bananenbrei steckten, und Masao dadurch schlichtweg zum Auflachen brachte. „Und du willst wirklich keinen Eimer?“, lachte er hervor, als er das Gesicht so sah, wurde nun allerdings sogar schwach angedeutet in die Seite geboxt. „WAS GEHT HIER VOR?! WAS IST PASSIERT?!“ Watanabe-san stand in der Tür, darauf eingestellt gleich einen ungebetenen Gast die Leviten zu lesen, doch alles was er vorfand, war ein lachender, halbnackter Kunde, sowie einen angewidert bananenkauender Host, eingehüllt in der Decke aus dem Gästezimmer. Die Hand hebend zum Gruß. „Takahashi? Was ist hier los? Was war das für ein Knall?“, wollte der Wächter wissen, doch der Gefragte schmunzelte nur gequält, als Masao sich erhob und sich etwas verlegen wirkend am Hinterkopf kratzte. „Er ist unterzuckert“, erklärte er kurz und knapp. „Ich hatte keinen Schlüssel, aber seine Messsachen waren hier, deswegen … Ich bezahle das natürlich“, zeigte der Yakuza auf die kaputte Tür, nickend, als sei das logisch und käme öfter mal vor, ehe er dem großen und breit gewachsenen Watanabe-san kumpelhaft auf die Brust klopfte und den Raum zunächst verließ. Etwas irritiert strich sich der Wächter den Klopfer imaginär von der Brust, warf einen prüfenden Blick hinterher, ehe er Yasu eindringlich musterte. Auch er kannte schon einige Unterzuckerungen und ja – es sah ganz danach aus. „Dann werde ich mal Maiko anrufen und Sie bitten dich anzusehen“, seufzte er schwer, zog das Handy aus der Hosentasche und rief schließlich die Clubärztin an, welche sich um die Hosts kümmerte, und zu jeder Tages- und Nachtzeit für diese zu erreichen war. Wenn es um den hübschen Yasu ging war sie sogar doppelt so schnell im Club. … Nachdem Masao ihre Sachen aus dem Gästezimmer holte, musste er sich noch eine eindringliche Belehrung von Watanabe-san anhören, von wegen, wie Teuer das wäre, und der Aufwand … Doch es ging an Masao vorbei wie ein seichtes Sommerlüftchen, der die Ärztin angerannt kommen sah, dem Wächter einen Check ausstellte, welchen er einlösen sollte und Yasu letzten Endes zunickte als Abschiedsgeste, welcher ebenso nickte und nicht wirklich bei klarem Verstand schien. So hatte er sich diese Nacht nicht erträumt. *** „Liebes Tagebuch, es ist einige Zeit her, dass ich so stark im Unterzucker war. Hab viel zu viel getrunken. Wäre normalerweise gleich eingeschlafen in meinem Zustand. Bin ich aber nicht. Weil ein wildfremder Typ bei mir war. Weil … ein sehr hübscher Zyklop mir das Leben gerettet hat. Habe das Gefühl ihn nicht wiederzusehen. Wie alle, sobald sie das kranke Kind in mir gesehen haben … Yasu“ *** Kapitel 4 -------------------- „Ahhhh, Schätzchen!! Wie schön dich endlich auch mal wieder zu sehen! Lass dich drücken mein Junge!“ Mit ausgebreiteten Armen kam Dana um ihren Verkaufstresen des Starbucks Geschäfts gegenüber des Hostclubs hervor, und brachte Yasus Körper immer wieder zum Erschaudern, als er die größere, und viel kräftigere Frau mit ihren rot gefärbten Lockenkopf auf sich zukommen sah, um anschließend eine erdrückend herzliche Umarmung über sich ergehen zu lassen. Gleich war es wieder soweit. Gleich würde er keine Luft mehr bekommen, den typischen Geruch ihres Haarsprays, vermischt mit Starbucksdunst und süßlich schwerem Parfüm kräftig durch seine Lunge filtern, zusammen mit einem Hauch von Minze als Abgang. Yasu schloss die Augen, grinste gequält und wartete schlichtweg darauf das Prozedere über sich ergehen zu lassen. Stets einen Kaugummi kauend und strahlend wie ein übertrieben dargestellter Smiley, kam sie auf Yasu zu, drückte ihn fest an sich, schwenkte nach links und rechts, während sich ein warmes und weiches Dekolleté gegen den Musiker drückte. Oh, wie viele Männer würden ihn darum beneiden? Er konnte innerlich nur Sturzbäche weinen, bis sie wieder von ihm abließ, ihm euphorisch die Arme auf und ab strich, als müsse sie ihn aufwärmen und schob dabei den Kaugummi strahlend von links nach rechts um weiter zu kauen. „Du warst schon lange nicht mehr hier du Bengel. Aber gut siehst du aus, vielleicht etwas mager geworden. Komm, setz dich, ich bringe dir gleich etwas Ordentliches, ja?“ Yasu musste nicht antworten oder dagegen sprechen – es war Zwecklos – saß er ohnehin keine zwei Augenaufschläge später am Tresen und bekam einen heißen Kakao vor die Nase gestellt. Kakao. Er war 28 Jahre alt und bekam einen heißen Kakao, von der Frau, die stets gute Laune hatte, und so etwas wie eine zweite Mutter für ihn geworden ist. Selbst Samu benahm sich ihr gegenüber nahezu höflich für seine Verhältnisse, ließ kein schlechtes Wort über die Frau kommen und hatte im Suff sogar „Ich liebe Sie“ gesagt. So, wie es ein Sohn über seine Mutter sagen würde. Eine Szene-Mama war sie, war für jeden Host da, hatte immer ein offenes Ohr, baute so manch gebrochenes Herzchen wieder auf und: „Du bist unterzuckert habe ich gehört. Hast du wieder nur gesoffen und nichts gegessen, hm?“ Und sie wusste einfach ALLES! Yasu umschloss den warmen Becher mit seinen Händen, bekam drei Päckchen Zucker hinzugeschoben mit einem kaugummikauenden Zwinkern und einem Knuff in die Wange und wusste diese Frage nicht beantworten zu müssen, weswegen sie nur beseufzt und abgehakt wurde. Diese Straße war ein einziges Dorf. „Yurika hat sich gemeldet“, lenkte er stattdessen ein. „Ach?!“ Erstaunt blickte Dana auf. „Wo treibt sie sich denn rum?“ Yasu hob die Schultern nachdenklich. „Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Hab nicht gefragt, weil sie schon wieder anfing, ob ich nicht mal …“ Eine ausladende Geste ließ den Satz vollenden und Dana holte tief Luft mit einem Kopfschütteln. „Ja, ja, zum Abladen bist du wieder gut genug. Hast du ihr den Gefallen getan?“ Eindringlich sah sie den Jungen am Tresen an, welcher gerade seine drei Päckchen Zucker in das Getränk rieseln ließ und den Blickkontakt mied. Klares Schuldeingeständnis. „Mhh“, dehnte die Frau Augenrollend hervor, gab einen Gast ein Handzeichen gleich bei ihm zu sein und rief nach einem Kollegen, dass der den vorderen Tresen bediente derweil, als sie sich direkt neben dem Host niederließ, welcher einen niedergeschlagenen Eindruck machte. „Immerhin hat sie sich gemeldet, dann weißt du wenigstens dass nichts passiert ist.“ „Schon“, hob er die Schultern mit einem Seufzen. „Das ist es ja nicht mal. Klar ärgert es mich, aber sie war der Meinung ihre Familie sei total Ausländerfeindlich. Und deswegen melde sie sich nicht mehr. Hat sogar Masahito und Hikaru mal eben aus dem Familienstammbaum gestrichen“, strich er deprimiert über den Pappbecher, zeichnete mit der Fingerkuppe des Daumens den Schriftzug nach. „Ich fahre gleich zum Theater. Sie hat irgendwelche Kisten die sie unterbringen will. Deswegen hat sie auch angerufen. Ob ich Platz habe.“ „Diese Frau hat sie nicht mehr alle, da kannst du von mir denken was du willst. Schwester hin oder her, aber die hat den Knall auch verpasst. Du hilfst doch jetzt nicht etwa auch noch beim Schleppen? Was sind das denn für Kisten? Kontrolliere vorher ob da irgendetwas drin ist, was unnötig Ärger macht“, mahnte sie den Jungen, doch der winkte ab. „Nee. Ich lass meinen Garagenschlüssel in ihr Fach legen. Sind wohl nur leere Bananenkisten. Keine Ahnung was sie damit will, sollte nicht weiter nachfragen, die war schon wieder total drauf.“ Erneut winkte er ab, während Dana schwer seufzte und ihm in die Seite stieß. „Na los, und jetzt der eigentliche Grund, warum du so hier hängst. Ist im Club etwas vorgefallen? Wieder einen Mister Love getroffen, der ein Arschloch ist?“ Endlich entlockte sie dem Host ein Schmunzeln und auch der Blickkontakt wurde wieder aufgenommen. „Du bist scheiße, weißt du das?“ „Jetzt werde nicht frech“, klappste sie ihm auf den Hinterkopf und nickte auffordernd, als einer der Gäste nach ihr verlangte, sie sich zurücklehnte und nur rief: „Hey, ganz geschmeidig junger Mann, ich habe zu tun!“ Ihr Blick fiel auf eine Angestellte. „Kümmerst du dich drum?“ „Natürlich“, kam es lächelnd zurück und Dana widmete sich wieder einem ihrer Schützlinge, welcher schwer seufzte und erneut den Pappbecher vor sich musterte. „Im Gegenteil. Er scheint durch und durch perfekt zu sein, aber … er ist einfach nur stinkreich und ein Kunde der schlichtweg Spaß haben will.“ „Ach du Scheiße“, entglitt es der stämmigen Frau kauend, fast trocken und humorlos. „Und du dummer Junge hast dich wieder Hals über Kopf verschossen von Null auf Hundert, was?“ Wieder schwieg der Host, vermied es die Frau anzusehen. „Ach Schätzchen.“ Sanft strich sie ihm eine Strähne hinter das gepiercte Ohr. „Du redest doch nicht etwa von Harukaze?“ „Was? Woher …“, wusste sie das? Nein, Zwecklos, er winkte ab. Einer der anderen Hosts wird ihr davon erzählt haben, oder - „Kenta“, lächelte sie liebevoll und strich erneut die Strähne hinter das Ohr. „Er war heute Morgen, als der Club geschlossen hat hier und hat mir alles erzählt. Er macht sich Sorgen um dich, weil du seit einiger Zeit wieder mehr trinkst und gestern fast einen Zuckerschock hattest.“ „Oh.“ Das machte Yasu betroffen, denn Sorgen wollte er niemanden bereiten. Dass Kenta gestern Abend noch auf seinem Zimmer war, um nach ihn zu sehen hatte der Host zwar mitbekommen, aber jetzt, wo es Dana zur Ansprache brachte, fiel es ihm erst wieder bewusst ein. Er war zu schwach gewesen, um noch etwas zu sagen, zu betrunken, um wirklich zu reagieren, und die Anstrengung welche die Unterzuckerung mit sich brachte tat ihr Übriges und er war eingeschlafen. „War er sauer?“ „Sauer? Hörst du mir nicht zu? Sorgen macht er sich. Und er weiß auch ganz genau dass ich dir das sage, umsonst kam er nicht her, um mir das alles zu erzählen“, lachte sie, strich Yasu über den Rücken, was ihn plötzlich daran erinnerte, dass Harukaze dass auch getan hat letzte Nacht und seufzte abermals schwer. „Weißt du Dana … das, was da vor einigen Monaten passiert ist. Also … fast, passiert ist. Eigentlich hast du ja Recht. Eigentlich sollte ich mir doch etwas anderes suchen. Ich habe ständig Angst, dass das wieder passiert und dann … richtig passiert. Aber ich brauche das Geld. Wir stecken mitten in den Vorbereitungen für die Single. Neuer Merchkram muss her, die Prozente sind schon wieder gestiegen, weil wir wiederum höher gekommen sind. Wir wollten auch die Plattenfirma wechseln, aber so einfach ist das nicht, mir wächst das alles über den Kopf. Wenn ich etwas getrunken habe, bin ich lockerer und verdiene auch mehr Geld, weil dann mehr geht, verstehst du?“ „Natürlich verstehe ich deine Beweggründe. Mir musst du von dieser beschissenen Welt nichts erzählen. Aber du musst auch auf deinen Körper hören“, tippte sie gezielt mit ihren lackierten Fingernagel gegen Yasus Brustbein und fuhr etwas abwärts, um die aufgesuchte Stelle anzutippen. „Deine Bauchspeicheldrüse hat dir gestern Abend wieder einen großen Wink gegeben, Schatz.“ Und wenn sie ‚Schatz‘ sagte, dann wurde Dana ernst. Zwar war der Musiker nicht an Diabetes erkrankt, aber leider durfte er sich damit segnen eine nicht intakte und chronisch entzündete Bauchspeicheldrüse zu besitzen. Er musste also ohnehin schon von jeher auf ausgewogene Ernährung achten, scharfe Speisen meiden und hätte auch das Rauchen am besten sein lassen sollen. Doch Yasu konnte damit ganz gut leben. Ab und zu überholten ihn die Schmerzen im Magen, zwangen ihn zu Ruhe, Wasser und Zwieback – vielleicht auch mal einen Tee oder eben Kakao. Nur manchmal war die Bauchspeicheldrüse nicht in der Lage genügend Glucose aufzuspalten und weiterzuleiten. Eine Tatsache, mit welcher der Sänger wahrlich gut leben konnte – außer in solchen Momenten. „So. Und jetzt macht Miss Coco dir ein paar Pancakes. Vorher einen Burger oder lieber Salat?“ Dana lächelte ihr bestes, geschauspielertes Zuckerlächeln, welches sie besaß und Yasu hisste kläglich seufzend mit hängendem Kopf die weiße Flagge. „Dann Salat … Burger und Pancakes verursachen Überfressungssymptome.“ „Ich nehme den Burger“, warf eine arrogant wirkende Stimme hinter den beiden ein, was Yasu zum Schmunzeln brachte, ehe er einen kräftigen Schulterklopfer verspürte, sobald sich Samu neben ihm auf einem Barhocker setzte. „Der Hänfling würde uns daran ersticken Dana, ganz ehrlich. Und ich weiß dass du mir den Burger genauso gerne machst, hn? Ich hab auch schwer gearbeitet und musste zwei Stunden früher aufstehen, ich will auch bemuttert werden.“ Dana lachte nur kauend auf. „Du armer kleiner Wicht. Ich wundere mich schon, es ist noch nicht einmal 13 Uhr und du bist schon fähig zum aufrecht gehen und Sprache anwenden.“ „Wenn man etwas möchte, ist man zu vielem fähig, das ist unlaublich“, wippte er mit den Brauen und sah seinen Kollegen durchdringend an, wegen des gestrigen Abends. „Oder wie siehst du das?“ Arschloch – Samu war und blieb ein Arschloch. Aber nach wie vor ein liebevolles Arschloch, welches mit einem biestigem „Ach, fick dich“ sehr gut klar kam. … Zwei Wochen später *** „Liebes Tagebuch, muss wieder mehr auf meine Gesundheit achten. Schaffe es aber nicht … habe Masao seit zwei Wochen nicht gesehen. Glaube er kommt nicht mehr. Wer will auch einen kranken Typen haben. Selbst ein Zyklop würde kranke Wesen meiden. Außerdem hatte er ja was er wollte – mich. Sollte ich stolz darauf sein? Viele wollen mich haben. Aber bei ihm war es etwas Anderes. Ich habe mich wohl gefühlt. Ich glaube dieses Wort noch niemals benutzt zu haben in Verbindung mit meiner Zweitarbeit. Werde die Clubarbeit erst einmal sein lassen und mich intensiv der Musik widmen. Vielleicht vergesse ich Ihn dabei ja … Yasu“ *** Es war kalt an jenem Morgen, als der Musiker die schneebedeckten Straßen Osakas entlangschritt. Vier weitere Wochen waren nun vergangen, in welchem er das mystische Wesen nicht wiedersah. Nicht per Buchung, nicht per Zufall - da konnte er die Augen noch so offen halten und seine Umgebung absuchen, ob er den hübschen Zyklopen nicht doch noch ausfindig machte. Also stürzte er sich zu jeder Tages- und Nachtzeit in die Arbeit für die Band um sich abzulenken, mied den Club vorerst, kam nur nach Hause zum Schlafen oder um sich frisch zu machen bis der Herzschmerz vorrüberging und er sicher sein konnte, nicht die ganze Zeit wie ein ferngesteuerter Hormonteenie auf die Eingangstür zu starren, um vergebens auf Masao zu warten. Ob er ihn jemals wiedersehen würde? Diesen fremden Mann mit diesen dunklen Augen und der einzigartigen Stimme, welche ihn so fesselte? Er vermisste ihn. Er vermisste einen Menschen, welchen er doch nicht kannte, trank seither wieder mehr, hatte Danas Bedenken einfach hinfort gespült. Wieder einmal schien in seinem Leben nichts so zu laufen, wie er es gerne hätte. Das Einzige was einigermaßen gut lief, waren die Produktionen für die Single, welche nächste Woche beendet werden konnten. Ganz nach Plan, dafür unter sehr viel Stress und Nervenaufwand. Heute konnte er diesbezüglich endlich durchatmen. Dennoch lag ein großer Schatten über seiner Freude und drückte die Euphorie immer wieder. Er würde ihn nie wieder sehen. Er würde seinen reichen Zyklopen nie wieder sehen. … Völlig ausgemergelt ließ sich Yasu zwei Stunden später in seinem Lieblingscafé in der Innenstadt ein großes Stück Käsekuchen bringen, sowie eine heiße Schokolade, warf dabei immer wieder einen Blick aus dem Fenster, sah sich um. Seit Tagen fühlte er sich unwohl, war umnachtet und glaubte seit einiger Zeit unter ständiger Beobachtung zu stehen. Gestern dachte er sogar die alte Frau vom Kiosk sei der Grund allen Übels, würde ihm nachstellen, weil er sie dreimal per Zufall in der Innenstadt sah, und spät am Abend stand sie plötzlich hinter dem Verkaufstresen am Kiosk. Im nächsten Moment war er sich sicher, dass es der Nachbar war mit dem großen Köter, starrte am heutigen Morgen eine Katze misstrauisch an und erklärte sich anschließend für verrückt. Er war sich sicher dass die Katze ihm gerne einen Vogelzeig mit einem verächtlichen Laut zukommen lassen wollte, nachdem er sie allen Ernstes fragte, ob sie schon seit Tagen an seinem Arsch klebte, weil sie kein zu Hause habe. Es war frustrierend. Morgen würde er vorerst wieder im Club anfangen zu arbeiten und da sollte er wenigstens so tun können, als fühle er sich frisch und munter. Kaffee würde nicht dazu beitragen, als sein Magen ihm einen heftigen Hieb verpasste und er sich immer weniger konzentrieren konnte, was auf den Notenblättern geschrieben stand, welche Hiroyuki ihm mitgab schon vorbereitend auf die folgende Single. Keiner seiner Bandkollegen stellte weitere Fragen, nachdem die Trinkerei zum vierten mal zur Ansprache kam. Was mit ihm los sei wollten sie wissen. Ob es ihm gut ginge, es Probleme gab. Er war ausgerastet, was Antwort genug war. Selbst Kenta, welcher normalerweise offen heraus seine Meinung preisgab, sprach Yasu seit einer Woche nicht mehr auf sein Äußeres an. Fragte nicht danach, ob er genug Kohlenhydrate zu sich nahm und genügend schlief. Er brachte ihm Tee. Schob ihm Kuchen zu oder zwischendurch ein süßes Bonbon, mied lästige und besorgte Blicke, Reden und Gestiken. Kenta handelte. Er wusste wie sehr es an den Nerven zerrte, Musik, Club und Privatleben auf die Reihe zu bekommen. Seit einigen Wochen steckte sein Freund wieder Knietief in sämtlichen Problemen drin und wusste weder ein noch aus. Da half es nichts drauf los zu reden, ihm ins Gewissen zu reden, oder andauernd nachzufragen, ob er dies oder jenes - nein. Nein, Kenta wusste dass man da erst recht auf Granit stieß bei dem Musiker und begrüßte ihn stattdessen ganz normal mit einem breitem Lächeln, als jener am Tag darauf von seinem Zimmer kommend, die Treppen herunterstieg, und sich zu ihm an die Bar gesellte. „Na? Hast du noch etwas geschlafen am Nachmittag?“, startete der Keeper eine Konversation, da Yasu am Morgen noch recht müde war, und dies auch verkündete. Doch der schüttelte nur den Kopf und seufzte. „Konnt‘ nicht“, war die Antwort, die sich Kenta nicht wünschte, allerdings konnte diese ihm nicht das amüsierte Grinsen aus dem Gesicht zaubern, als er einen Korb mit Flaschen in das Regal sortierte und seinen Blick durch den Gastraum wandern ließ. „So viel ist heute nicht los“, schien er das Thema zu wechseln und nicht weiter darauf einzugehen. „Ich nehme an deine Schwester hat sich in der Zwischenzeit nicht gemeldet?“ Nein, das musste der Gefragte verneinen. „Na ja. Betrachte es mal positiv. Du hast sowieso kein Auto derzeit und brauchst die Garage nicht, also kann Sie den Schlüssel auch erst einmal behalten und ihren ganzen Krempel abladen. Kann dir egal sein. Übrigens“, lenkte Kenta erneut um mit strahlendem Gesicht. „Mein Martini kommt super an.“ Sollte Yasu ihm dankbar dafür sein oder enttäuscht darüber? Einen Moment lang starrte er einen unbestimmten Punkt auf dem Tresen an, sah dabei zu, wie eine Flasche Jack Danieles auf dem Glasregal ihren Platz fand, und sah Kenta anschließend abwesend an. „Hm. Schön“, beseufzte die Stimme die Aussage, wusste nichts Sinnvolles darauf zu antworten. „Nicht wahr?“, grinste der Keeper weiter vor sich her, ehe Yasu ein Räuspern ereilte. „Sag mal. Wie gesagt, viel Betrieb ist nicht heute, aber ich muss hier den ganzen Krempel noch einräumen, bevor die 20 Uhr Gäste alle kommen. Würdest du mir kurz helfen?“ Yasu blickte auf, hatte seine dunklen Augenränder versucht zu kaschieren mit Concealer und Make-up, die Wimpern schwarz mascariert, aber er sah dennoch mehr als erschlagen aus, als er dem Keeper zunickte, wenn auch überrascht. „Was soll ich machen?“ „Hier.“ Eine schale voller Erdnüssen schob sich zwischen Yasus Arme, welche auf dem Tresen lagen und den Oberkörper stützten, der sich nach vorn beugte. „Und die beiden Cuba Libre“, fügte Kenta hinzu, holte ein kleines, rundes Tischtablett hervor, stellte die drei Sachen darauf und schob dies dann zwischen Yasus Arme mit einem breitem Grinsen. „Tisch 7.“ „Sieben?“, wiederholte der Musiker überrascht, aber auch schmunzelnd, da Kenta ansteckte. Jener nickte. Tisch 7 war etwas extra gelegen im Gastraum. Dort konnte man einem Host ganz privat nur für sich haben. Zum reden, zusammen essen, etwas trinken. Mehr war es gar nicht, aber Tisch 7 war dennoch hochbegehrt und sehr teuer. Umso überraschter war Yasu also, denn lange hatte keiner mehr an Tisch sieben diniert. Sich kurz bessere Laune zuredend und das Wirrwarr zwecks neuem Album und aktueller Single aus dem Kopf befördernd, schritt der Host in den hinteren Teil des Gastraums. Eine kleine Erhöhung ließ ihn aufsteigen, die zwei Meter zu Tisch Nummer sieben erklimmen, als ihm beim Abstellen des Tabletts jegliche Gesichtsmuskeln entglitten und das Herz einen gewaltigen Aussetzer machte. Masao. Harukaze Masao. An Tisch Nummer sieben. Und er sah unverschämt gut aus, wie er da mit seinem Anzug und der Zigarette zwischen den Fingern geklemmt saß und einen ruhigen Abend genoss. Lodernde Eifersucht stieg binnen Sekunden empor. Der Neid, die Verzweiflung, die Wut - denn ihn hatte er eindeutig nicht gebucht! Kam womöglich schon in den letzten Wochen regelmäßig während seiner Abwesenheit her, um einen gesunden und fitten Host zu daten und zu vögeln. Und Himmel noch eins, er sollte das auch gefälligst akzeptieren und tolerieren! Wieso machten seine Hormone da einfach nicht mit?! Wieso nur war ausgerechnet er das schwule Spermium gewesen, welches sich einnistete? WIESO?! „Yasu“, sprach Harukaze ihn ruhig an, nicht überrascht, hatte ihn wohl kommen sehen, und lächelte sein schönstes Lächeln. „Lange nicht gesehen. Wie geht’s dir?“ „Hey“, riss dieser sich am Riemen und schluckte hart. „Gut. Alles super“, log er cool wirken wollend, als sich Masao zurücklehnte, den Rauch aus den Lungen entließ und den Host genauestens begutachtete, der nun schnaubend das Tablett leerte. „Das freut mich. Hatte schon bedenken.“ „Ja. Sonst noch was? Wasser, Tee – die Karte vielleicht?“ „Danke, das war alles. Setz dich.“ Setz dich? „Danke“, lehnte Yasu ab, doch da sah er den Schein zwischen Masaos Fingern schwanken womit er im ersten Moment gar nichts anzufangen wusste und wohl auch sein Gedankengut mit Hilfe seines Gesichtsausdruckes nach außen trug. Trinkgeld, oder was sollte er sich daraus nehmen? Masao konnte diese offensichtliche Verwirrung nur schmunzelnd beseufzen und legte den Geldschein in die Mitte des Tisches. „Yasu, bitte setz dich. Ich habe jetzt vier Wochen warten müssen bis du wieder arbeitest, und jetzt hast du keine Lust dich zu mir zu setzen? Das ist gelinde gesagt echt scheiße von dir.“ „…“ Wie bitte, was? „Guck nicht so doof. Glaubst du denn Kenta schickt dich umsonst an Tisch sieben? Hab während deiner Abwesenheit viel Zeit gehabt euer Konzept zu studieren, deinen Keeper auszufragen und das alles hier zu begreifen. Außerdem wird ein Cuba Libre doch genehm sein für deinen Zuckerhaushalt, oder nicht? Samu hast du ihn das letzte Mal regelrecht aus der Zunge gelutscht.“ War immerhin Cola drin. „Und die alternativen Beischlaf-Bespaßungen haben mir ehrlich gesagt nicht getaugt.“ „…“ Er wusste es! Trotzdem war der Geist verwirrter denn je. In vier Wochen konnte viel passieren, wie ihm bewusst wurde. Masao nannte Kenta eben beim Vornamen als spreche er von einem alten Freund. Kannte nun sogar Samu. Mal abgesehen davon dass dessen Sedcard neben der seiner hing – hatten die beiden es miteinander getrieben? War Samu in den Genuss einer mystischen Begegnung gekommen? WAR ER?! „Du bist ein komischer Kauz“, seufzte der Gast jedoch aus. „Erst verstehst du keinen Spaß. Nach dem Sex kollabierst du fast. Und jetzt verstehst du anscheinend nicht mal mehr meine Sprache“, zog er ihn locker auf, nahm einen kräftigen Zug von seinem Laster und nickte dem Host entgegen. „Du siehst scheiße aus.“ „Vier Wochen gewartet“, tippte sich Yasu stark verzögert gegen die Stirn, schien verärgert zu sein, wegen einer Sache, die nicht existierte und stemmte die Hände in die Hüfte, als habe er den Ehemann zur Rede stellen wollen, wer denn bitte die neue Nachbarin war, mit welcher er angeblich nur Joggen ging. „Was willst du wirklich? Ich brauche kein Trinkgeld, ich hole dir auch so noch das, was du haben möchtest.“ Wieso war er denn so patzig? Doch nicht etwa, weil er zwei Wochen auf Masao wartete, obwohl der ihm absolut keinerlei Verpflichtung nachkommen musste, und nun noch immer im Irrglauben war, diesen gleich mit einem anderen Host hier bedienen zu müssen? Masao schmunzelte, beugte sich etwas nach vorn und deutete Yasu erneut den Platz gegenüber an. „Ich würde mich gerne mit dir unterhalten, ist das in Ordnung? Immerhin klappst du mir beim Sex ja zusammen, deswegen habe ich diese Variante ausgesucht.“ „Das lag gewiss nicht an dir!“, versuchte sich Yasu sofort zu rechtfertigen, löste allerdings nur wieder ein seichtes Lachen bei seinem Gast aus, welcher den Glimmstängel im Ascher ausdrückte und sich von seinem Platz erhob. „Dich muss man anscheinend zu deinem Glück zwingen, was?“, seufzte er erneut theatralisch wirkend aus und gab Kenta nun einen Wink, welcher den Daumen hob und nickte. Eine abgemachte Konversation? Was ging hier bloß vor? Doch bevor Yasu sich darüber im Klaren wurde, dass Masao schlichtweg wegen ihm hier war und er seinen Zyklopen endlich wiedersah, wurde er im selbigen Moment an diesen herangezogen und in einen harten Kuss verwickelt. Dieser warf den jungen Musiker so aus der Bahn, dass die Wut und der Ärger verflogen und einzig und allein Platz schafften für reine Glücksgefühle, welche sofortiges verblöden auslösten. Und das Verlangen nach einer Zigarette. „Ich verstehe das ja nicht so ganz … aber … gebratener Fisch auf Reis, mit gedünstetem Gemüse? Käsekuchen zum Nachtisch.“ Yasus Lieblingsessen. „Und dann der Teil den ich wiederum sehr gut verstehe – Sex mit mir. Ich hielt die Reihenfolge diesmal für angebracht, weil ich mich ernsthaft mit dir unterhalten möchte. Dieses anonyme rumgevögel funktioniert auf Dauer sowieso nicht. Also? Nimmst du jetzt bitte Platz, oder soll ich jemand anderen für die Abendbespaßung buchen?“ „…“ Er war hin und weg, sah allerdings erschlagen aus. Masao seufzte. „Lass mich raten. Zu viel an der Musik gearbeitet, nicht geschlafen, und mit keiner Silbe damit gerechnet, dass ich heute hier bin, richtig?“ Definitiv! Aber woher wusste der das? Dass Yasu Musiker ist hatte er ihm bei ihrem ersten Treffen erzählt, aber wie konnte der denn jetzt solche Schlüsse ziehen? Hatte sich Yasu das Make-Up ausversehen in Schriftform auf die Stirn geschmiert? Stand es da geschrieben? „So. Das gewünschte Abendmahl meine Herren, ich hoffe es schmeckt“, stahl sich Kenta zwischen ihre Körper mit zwei Tellern, welche anschließend auf dem Tisch standen, und Yasu schien Masaos Wahrsagekünste vor sich stehen zu haben. Aber natürlich. „Kenta!“, zischte es durch die fest aufeinandergelegten Zähne, sah seinen Freund vorwurfsvoll an, welcher nur breiter grinste, als eben noch, und sich wieder davonstahl, nachdem Masao sich immerhin ordnungsgemäß bedankte. Mit beiden Händen drückte er den Musiker an den Schultern auf den freien Platz, welcher noch immer dem Barkeeper nachblickte und kratzte sich anschließend an der Schläfe. „Ich hoffe er hat keinen Blödsinn erzählt, aber das soll dein Lieblingsessen sein.“ Der Blick des Musikers wechselte von der Bar zu seinem Teller und anschließend zu Masao, blieb dem allerdings eine Antwort schuldig, weil er zu überfordert war in diesem Augenblick. Sein Zyklop setzte sich ihm gegenüber! An Tisch 7! „An deiner Wortfindungsstörung müssen wir dringend noch arbeiten Mäuschen. Dringend“, hoben sich die Brauen skeptisch bei der eigenen Wortwahl, die Aussichtslos schien. „Ich kann mich sehr gut ausdrücken, ich bin nur … ich meine ich hab-“ ‚gedacht, dich nie wieder zu sehen` - hätte er beinahe ausgesprochen, doch das konnte er unmöglich sagen. Das klang total naiv, dumm, blöd – als sei er verliebt! Masao amüsierte sich offensichtlich über Yasus Verhalten, räusperte sich und hob sein Glas, um seinem Gegenüber stumm aufzufordern es ihm gleich zu tun, als er Yasus plötzlich erstarrten Blick folgte. Als sehe er einen Geist oder Ähnliches. Doch als Masao den Kopf wendete und sich umblickte nach etwas Außergewöhnlichem, fragte er sich das erste Mal, ob Yasu nicht ganz dicht sei von Natur aus oder ob er seinem Alkoholproblem, vom welchem Kenta erzählte, längst mehr erlag, als allem bewusst war. „Was ist?“ fragte er belustigt nach. „Hast du einen Geist gesehen?“, wendete er sich dem Host wieder zu, welcher das Glas nahm, den Blick zur Bar aufrecht hielt und ihn erst löste, als er wiederum Masaos recht tiefgehenden und musternden Blick auf sich spürte, der ihm wie aus dem Nichts einen eiskalten Schauer durch den Körper jagte. Diese schönen dunklen Augen, dieser eigentlich doch so aussagekräftige Blick – er machte ihm angst. „N-nein, ich … schon gut“, wurde die Stimme immer leiser, fast kleinlaut und das Zusammentreffen der Gläser, ausgelöst von Masaos Handbewegung erhellte den Teil des Raumes mit einem schwingendem Klang, in welchem sie saßen. Doch Yasu trank nicht, ließ das Glas in seiner Hand sinken und beobachtete Masao wiederum, wie dieser sich einen Schluck genehmigte und es für gut befand. „Kenta hat wirklich was drauf, das muss ich neidlos anerkennen. Ist doch auch selbst zusammen gestellt von ihm, oder?“ „Mhm“, stimmte Yasu abwesend zu, schien wie ausgewechselt von einer auf die andere Sekunde, wollte seine Sorgen gerade abschütteln, als der Gast, welcher ihm den eigentlichen Schauer überkommen ließ, sich umdrehte und den Host scharfsinnig anschmunzelte. Als wisse er mehr. Als wisse er alles. Als sei er der Stalker, den er seit kurzer Zeit hatte, sodass binnen Sekunden sämtliche Farbe aus seinem Gesicht wich und Masao wiederum erneut begann ihn zu mustern und langsam skeptisch wurde. Immerhin sah der Musiker wirklich ziemlich scheiße aus. Und wenn er doch ganz ehrlich zu sich selbst war, wusste er auch ganz genau wo er in den letzten Wochen war und was er getrieben hat – sie hörten seine Telefonate ab. Lasen seine Nachrichten mit. Doch leider war bislang kein Kontakt zu Yurika zu verzeichnen, dafür allerdings ein Gesprächsversuch zu einem Therapiezentrum. Warum auch immer Masao dieses Gespräch weder belauschte, noch abspeicherte, war ihm selbst ein Rätsel. Yasu war sich seinem Alkoholproblem im Klaren und schien Hilfe zu suchen. Masao hatte davor Respekt, mochte man glauben oder nicht. Hätte er dieses Gespräch weiterhin verfolgt, dann wüsste er, dass Yasu bei den Anonymen Alkoholikern nachfragte, ob er in seinem Stadium vielleicht schon so etwas wie Psychosen aufweisen könnte, zwecks seines Glaubens verfolgt zu werden. Man hatte es verneint. Und genau deswegen hoffte der Musiker an jenem Morgen, dass ihm die Katze doch noch antworten würde … Erneut wandte sich Masao um, folgte Yasus Blick und bemerkte den Gast nun ebenso, der den Host angrinste. Wahrscheinlich war er ihm bekannt, sowie unangenehm. Seltsam war Yasus Reaktion aber dennoch, und als der Gast einige Schritte auf sie zukam, stellte er das Glas ab und sprang von seinem Stuhl auf, griff nach einem Messer und hielt es in die Richtung des Fremden, während er sich mit der anderen Hand am Stuhl festkrallte, welchen er schützend vor sich stellte. „Bleib wo du bist!“, schrie er diesem entgegen und auch Masao verging das Grinsen, welcher das Glas ebenso abstellte, langsam aufstand und seine Hand vorsichtig über den Tisch zu Yasu führte. „Hey. Yasu, was soll das denn? Leg das Messer weg.“ Der Yakuza blieb ruhig. „Er soll gehen!“, forderte der Jüngere zittrig, fixierte den Gast, der nicht minder erschrocken war, als der Rest im Raum und auch sofort abwehrend die Hände hob, sogar einige Schritte zurücksetzte. Er kannte Yasu nicht, wollte ihm nichts Böses, nur eventuell einen Triumph einheimsen und ihn von Tisch 7 weglocken, das war alles. Doch der Host fühlte sich bedroht und Masao erkannte dass dieser ernsthaft Angst hatte. Anscheinend vor dem Fremden. Trotzdem legte er ganz vorsichtig die Hand auf Yasus, übte leichten Druck aus, dass er sie sinken ließ. „Yasu“, sprach er ihn ruhig an. „Gib mir das Messer, dir tut keiner was.“ „Er soll verschwinden! Er soll gehen!“ Masao blickte zu den Typen, welcher längst den Rückzug antrat, tauschte Blickkontakt mit Kenta aus, der genauso überfragt schien und die anderen Gäste nun ablenkte zusammen einigen anderen Kollegen, während Masao ruhig um den Tisch herumkam und seine Hand dabei um die Klinge schloss. Auch wenn es sich hierbei um ein Fischmesser handelte. Nach allem was der Yakuza mittlerweile von seinem Auftrag wusste, würde dieser es mit Bravour hinbekommen sich damit ausversehen tödlich zu verletzen – ganz bestimmt. Der Gast verließ das Lokal, beteuerte dass er nicht wüsste wieso der Host so reagierte und Masao wendete erneut den Blick auf Yasu, welcher durch ihn hindurchstarrte mit seinen glasigen Augen. „Er ist gegangen“, sprach Masao weiterhin ruhig. „Gibst du mir jetzt bitte das Messer?“ „Er … soll ganz gehen!“ „Yasu, er ist gegangen. Er ist nicht mehr im Clu-“ „Nein! Nein, er kommt wieder! Er kommt jeden Tag wieder! Er ist immer da!“ Der Yakuza runzelte die Stirn, schaffte es nun aber Yasu das Messer aus dessen gelockerter, zittriger Faust zu entziehen, legte eine Hand behutsam an dessen Schulter und trat einen Schritt näher an diesen heran. Wenn das Yakuza Dasein einen Vorteil hatte, dann war es doch der, dass er eine wahnsinnig gute Menschenkenntnis entwickelte über die Jahre hinweg. Er konnte Menschen ansehen wenn sie wirklich Todesangst durchlitten, wenn sie ernsthaft um Gnade flehten. Er sah ihnen an, wenn er die Macht über Ihnen bewusst ausspielte oder wenn sie ein reines Schauspiel vollzogen, nur um aus ihrer verzweifelten Lage zu entfliehen. Yasu spielte allerdings nicht. Yasu hatte gerade offensichtlich eine ernstzunehmende Angst-, ja, vielleicht sogar Panikattacke – ob begründet oder nicht sei dahingestellt, aber sie störte die Abendplanung. „Ruhig jetzt“, forderte Masao mit wirklich sanfter, aber bestimmter Stimme ein, legte das Messer auf den Tisch und führte beide Hände seitlich in Yasus Halsbeugen, schob sie unter dem Kinn nach hinten, dass nur noch die Daumen an den Wangenknochen lagen, um beruhigend darüber zu streichen. „Sieh mich an. Hey, Yasu. Sieh mich an.“ Der Musiker beruhigte sich nur langsam, blickte zu Masao auf und schüttelte seicht den Kopf. „Ich … dreh durch … ich dreh durch Masao, ich … werde wahnsinnig.“ Eine Offenbarung, die schon viel früher hätte kommen müssen. Doch es war Yasu nicht bewusst. Es war ihm einfach nicht bewusst, dass seine Trinkerei die wieder zunahm, mit dem Stalking begann, welches er glaubte sich einzubilden. Doch seit letzter Woche war er sich sicher dass ihn jemand nachstellte. Und er hatte angst dass ihm keiner glaubte, eben weil er trank. Weil er einen kranken Eindruck erweckte. Vielleicht war es wirklich nur Einbildung? „Du drehst nicht durch. Du bist überarbeitet, das ist alles.“ „Nein. Nein, ich …“ Die Welt begann sich zu drehen, ihm schwindelte vor Aufregung und ehe er es realisierte, war es Masao der Yasu in seine Arme zog, ihn einfach nur festhielt und Kenta stumm mitteilte, dass es schon okay war, dass er sich darum kümmerte. Eine bessere Vertrauensbasis konnte er gar nicht aufbauen um seinem Ziel näher zu kommen. … „Und du bist dir ganz sicher?“, wollte Masao wenig später mit tiefer und forschender Stimme wissen, wollte dem Gesagten keinen Glauben schenken. „Ich mach das doch nicht zum ersten Mal. Außerdem hatten wir nie Blickkontakt, er hat mich niemals gesehen, sich nichmal annähernd so verhalten als fühle er sich kontrolliert, ich bitte dich!“ Masao sah aus dem Fenster im Flur, fuhr sich über das Kinn und schwieg einen Moment, dachte nach. Yasu hatte offensichtlich Verfolgungswahn. In Rücksprache mit Kenta hatte dieser den vermeintlichen Grund, den Gast, auch noch nie gesehen. Nie hatte Yasu etwas erwähnt, sollte sich erst seit Kurzem ziemlich seltsam verhalten, was wiederum nichts mit seinem Alkoholkonsum zu tun hatte. Kenta konnte Masao blind vertrauen, denn diesem war Yasu sehr wichtig, ein sehr guter und vor allem langjähriger Freund. Wenn jemand Yasu also sehr gut beschreiben und beobachten konnte, dann er. „Gestern Nachmittag“, warf Masao nachdenklich ein. „Du warst wo genau, als du meintest er sitzt im Café?“ „Auf der anderen Straßenseite im ‚tutuanna‘. Jetzt glaub mir doch, der Junge hat mich in keiner Weise erahnt, aber …“ Der Kollege verstummte, zog die Nase hoch und schien zu überlegen. „Aber was? Doch scheiße gebaut und jetzt fällt’s dir wieder ein? Ich warne dich, ich ka-“ „Na, na, na, ruhig bleiben Chefchen, alles im Lot was mich betrifft. Ich arbeite gewissenhaft, das weißt du. Hab ich dich jemals enttäuscht?“ „Noch nicht, aber es gibt für alles ein erstes Mal.“ Der Gesprächspartner lachte, räusperte sich und zündete sich hörbar eine Zigarette an. „Jetzt, wo wir so darüber reden wird mir schlichtweg ein Denkfehler klar. Mir ist aufgefallen dass er sich seit zwei Wochen andauernd umdreht und umsieht, so, als wolle er nicht gesehen werden. Ich dachte das ist wohl so, wenn man Musiker ist und er will es meiden Groupies zu begegnen, aber die Art wie er es tut, hat totsicher nichts mit mir zu tun. Ich bin niemals hinter ihm, du kennst meine Vorgehensweise, ich verfolge niemanden, ich-“ „Du gehst mit, ja schon klar“, fuhr Masao ihm ins Wort und verengte den Blick. „Ist dir noch mehr aufgefallen? Denk kurz nach, wegen Fans benimmt er sich so nicht.“ Eigenrecherchen. „Warte mal. Glaubst du denn jetzt wirklich der Typ wird von noch jemanden beschattet?“, lachte der Kollege auf, doch Masao fand das gar nicht witzig und knurrte nur in den Hörer. „WENN dem so sein sollte, dann könnte das ein richtiges Problem für uns werden, ja! Vielleicht hängt unsere ehemalige Lieblingskollegin da auch mit drin, wer weiß!“, zischte er wütend, pulte eine seiner Happy Pils hervor und nahm sie trocken, wie ein Bonbon, zu sich. Ohne wurde er neuerdings aggressiv. „Sieh zu dass du da was rausbekommst.“ Ohne auf Antwort zu warten legte er auf, schnaufte hörbar und lehnte sich mit einer Hand an den Rahmen des Fensters, drückte sich mit zwei Fingern an die Nasenwurzel, um den stechenden Kopfschmerz zu lindern, bevor er für einen kurzen Augenblick die Luft anhielt und sein durchscheinendes Spiegelbild durch die Fensterscheibe skeptisch beäugte. „Tutuanna?“, entwich es ihn total baff, zeitgleich unvorstellbar und der Kopfschmerz nahm zu. Die schienen zur Zeit allesamt auf diesen Planeten etwas am Rad zu drehen. Denn was machte bitte ein Headhunter in einem Dessouladen? Und das sollte nicht aufgefallen sein? „Der hat doch `ne Meise!“ Er war extra nach draußen auf den Flur gegangen um Yasu nicht zu wecken, welcher, nachdem er mit ihm auf sein Zimmer ging, einschlief. Zuvor schaffte er es noch Masao abgehackt und völlig wirr davon zu erzählen, wieso er glaubte durchzudrehen und erwähnte zum aller ersten Mal, dass er eine Schwester hatte und dass alles anfing, als sie sich vor einigen Wochen am Telefon stritten. Worum es dabei ging konnte Masao nicht in Erfahrung bringen, aber dafür dass sie unter der eingespeicherten Nummer seitdem nicht mehr zu erreichen war. Yasu war total fertig mit den Nerven, übernächtigt und fror bei angenehmer Zimmertemperatur. Auf die Frage, ob er einen Wein für den Kreislauf wollte, lehnte dieser mit großer Überraschung jedoch ab. Der Musiker hatte also weder einen naturellen Schaden, noch war er schon so weit im Alkohol abgesunken, dass er niemals nein sagen konnte. Der Junge war schlichtweg fertig mit den Nerven, und Masao konnte es ganz langsam sogar verstehen, warf sich eine weitere Pille ein, während er über die Dächer des Szeneviertels sah. Ihm selbst rannte die Zeit davon. Jetzt war es knapp drei Monate her, als er diesen Auftrag bekam. Seit zwei Monaten stand er mit Yasu in Kontakt, beziehungsweise mit dessen Leben und das einzige was er in Erfahrung brachte war vor zehn Minuten, dass der Host eine Schwester hatte! Sollte Yurika jemanden auf den eigenen Bruder angesetzt haben, um ihn aus der Schusslinie zu ziehen? War dieser jemand, wovon Yasu glaubte er sei ein Stalker, eine Art Leibwächter? Könnte das möglich sein? Würde Sie so weit gehen, überhaupt so weit denken? „Masao?“ Yasus Stimme riss den Yakuza aus seinen Gedanken, welcher mit allem rechnete, aber nicht mit dem Musiker, der plötzlich hinter ihm stand. Wo kam der denn her? Wieso spürte er dessen Aura nicht auf sich zukommen? „Wieso schläfst du nicht?“ „Wieso … bist du noch hier?“, stellte er verschlafen, fast verschüchtert eine Gegenfrage und wirkte mit seiner Tagesdecke, die er sich um die Schultern legte und seinen nackten Füßen sehr zerbrechlich, was Masao auf ganz seltsamer Ebene erreichte, mit der er nicht umzugehen wusste. Es war ein merkwürdiger Moment, in welchem sich beide Männer einfach nur stumm musterten und Stille einkehrte auf dem obersten Stockwerk. Nur ganz dumpf und leise drangen Musik und Stimmen bis zu ihnen hinauf. Wieso er noch hier war? Sie waren weder Freunde, noch konnte er mit einem schlafenden Host arbeiten. Er hätte längst gehen können, vielleicht auch sollen, aber er erwischte sich in genau jenem Augenblick, wie er unbewusst beschloss, im Flur zu telefonieren, um den anderen nicht zu wecken, und, um anschließend noch einmal nach ihm zu sehen. Was gab es dabei schon zu sehen? „Ich weiß dass das jetzt komisch klingt“, durchbrach Yasu die Stille. „Aber du hast … also du hast vorhin … oh Gott, das ist mir gerade wirklich peinlich, und es ist so abgrundtief bescheuert, ehrlich, aber … scheiße man, du hast mir den Nacken gekrault. Vielleicht unbewusst, warum ist auch egal, aber … könntest du das … nochmal machen? Bis ich schlafe meine ich, ich … ich kann zur Zeit irgendwie nicht schlafen und … alleine dich jetzt danach zu fragen ist echt entwürdigend genug, also wenn du das nicht willst, lass es einfach unkommentiert und lach bitte draußen darüber.“ Das überraschte Masao zusehend, der mit dieser Bitte absolut gar nicht rechnete und sah ihn diesbezüglich auch undefinierbar für den Host an, dem die Peinlichkeit gerade in zart Rosa über die Ohren kroch. Vielleicht war es genau das. Das Problem, wieso er keine Beziehung führen konnte. Wieso ihn keiner wollte. Weil er mit 28 Jahren ohne Schmusedeckchen nicht schlafen konnte, wobei das Schmusedeckchen in jenem Falle Nackengraulen war. Da war er anhänglich, wurde verschmust und wahrscheinlich nervte das die anderen auf Dauer einfach. Seine sonst so cool wirkende, aber total zickige Art, die sich abends dann in totkuscheln wandelte, sobald er sich sicher fühlte, ungestört etwas Privatleben zu haben. Er konnte es seinem Gegenüber aus dem Gesicht ablesen dass diesem seine Art sehr befremdlich schien, seine Bitte nahezu unvorstellbar, weswegen Yasu mild lächelnd die Hand Hob und seine Aussage verwarf. „Ach … ist schon gut, ich glaube ich geh nochmal runter und lass mir einen Tee machen. Das … war nämlich mein eigentlicher Plan, bevor ich dich hier stehen sehen habe.“ Immerhin war Masao nicht hier um ein Nervenbündel zu kraulen. Er wartete eventuell sogar auf einen anderen Host. „Stellst du mir das Essen bitte in Rechnung? Ich komme dafür natürlich auf. Und … es wäre ganz cool von dir wenn du bei einer Bewertung-“ „Geh ins Bett.“ „?“ Überrascht hob er die Brauen, sah den Ölprinzen mit großen Augen an. „Geh ins Bett, habe ich gesagt.“ Nun war es Yasu der seinen Gegenüber unverstanden darüber ansah, welcher das Handy in die Hosentasche steckte, beide Hände auf die Schultern des Jüngeren legte, diesen umdrehte und zurück in dessen Zimmer schob mit dieser Handlung, bis dieser auf seinem Bett saß. „Hinlegen.“ „Du musst wi-“ „Ich muss gar nichts, ich weiß“, schmunzelte Masao den Host entgegen, ließ den Moment wirken, ehe sich Yasu bereitwillig ins Bett zurückkuschelte und sein Glück kaum fassen konnte. Masao hatte davon nichts, könnte längst gehen, war nicht verpflichtet zu bleiben und konnte davon ausgehen, dass hier heute nichts mehr passierte bei Ihnen. Trotzdem spürte der Musiker die sanfte, aber starke Hand in seinen Nacken, wie sie einen Moment liegen blieb, ihn anwärmte und langsam begann mit den Fingerkuppen über die weiche Haut zu streichen. Masaos Gewicht drückte die Matratze etwas in die Tiefe als er sich an die Bettkante setzte, dabei zusah, wie der Host aus kleinen Äuglein heraus starr geradewegs an die Wand blickte, die Berührung genoss. „Ihr wart letzte Woche im Fernsehen“, stellte Masao ruhig fest, behielt den Musiker im Auge, welcher eine Braue hob und anschließend lächelte. „Hast du’s gesehen?“ „Zufällig ja“, schmunzelte er ungesehen. „Aber auch nur weil Kenta mir Bescheid gegeben hat.“ „…“ Es klang schon wieder so als spreche das mystische Wesen von einem guten Kumpel. „Wie gesagt, ich hätte mich gerne mit dir Unterhalten. Ihr scheint viele Fans zu haben. Und ihr geht bald wieder auf Tour. Ich würde gerne mehr über dich erfahren.“ Und das war noch nicht einmal gelogen. Nur bezog sich diese Aussauge schlichtweg auf die Schwester, die immerhin schon zur Ansprache kam. Er musste nur noch einen geeigneten Weg finden, um das Thema konkret auf den Punkt zu bringen. „Vor allem, wieso du trotz deiner Band hier arbeitest. Ehrlich gesagt wundert es mich da nicht dass dein Körper irgendwann mal eine Sperre reinknallt.“ „Hm…“ Er war zu müde um zu antworten, dabei hätte auch er sich gerne mit Masao unterhalten, ihm das alles gerne erklärt. „Du weißt … schon ziemlich viel. Kenta `secht ne Tratschkuh …“ Masao lachte sanft. „Vielleicht.“ „Gibsu mir noch `ne Chance … zum unterhalten?“ Immerhin hatte Yasu auch die ein oder andere Frage an Masao. Woher der sich zum Beispiel mit seinem Blutzuckermessgerät auskannte. Wo er gelernt hatte eine Tür einzutreten – Yasu würde sich allein beim Gedanken es zu versuchen alle Zehen brechen. Wieso er angeblich auf ihn gewartet haben soll. Yasu war nicht von der Bildfläche verschwunden, warum also fing Masao ihn nicht ab? Weil es nicht privat werden sollte? Warum war er dann jetzt aber hier? „Was glaubst du, warum bin ich noch hier?“, stellte dieser die Gegenfrage, als sich der Host auf die Seite drehte, um seinen Gast anzusehen. Wieder kehrte Stille ein, doch diesmal war sie angenehm. Genauso wie die Nähe, welche deutlich vom Älteren ausstrahlte, der nun das Kraulen einstellte, um sich über Yasu gebeugt mit der Hand abstützen zu können. „`Sfrag ich mich … wirklich …“ Erneut ein sanftes Lachen. „Manchmal ist es besser das Leben so zu nehmen wie es ist, ohne die Dinge zu hinterfragen.“ „Hm.“ Da hatte er Recht. „Meinsu denn … es sieht vor dass du die Nacht nicht nach Hause fährst?“ „Ist das eine Frage danach, ob ich bleibe?“ „Vielleicht.“ „So viel ich weiß, dürfte ich gar nicht in diesem Stockwerk sein“, schmunzelte der Ältere abermals amüsiert, doch der Gedanke hatte etwas sehr reizendes an sich. Yasu schien schon ein gewisses Vertrauen zu ihm geknüpft zu haben in der kurzen Zeit, was laut Kentas Informationsfluss aber wohl auch kein schwerer Akt schien. Ja, er wusste tatsächlich schon ziemlich viel von Yasu, und die Akte wurde mit unzähligen Daten und Fakten bestückt, wuchs und wuchs, wies allerdings noch eine große Lücke auf. Die Lücke, die es eigentlich galt zu füllen. Schon lange hatte er keinen solchen Auftrag mehr. Schon lange hatte er nicht so viel unnützes Wissen eingeholt. Einer der Gründe, weswegen er genau solche Akten anderen Mitarbeitern zuschob und sich lieber mit dem Drogengeschäften befasste. „‘Chweiß“, seufzte Yasu müde aus, ließ sich wieder auf die Seite sinken. „Mal davon abgesehen bist du ein wildfremder Kerl für mich. Steinreich, unglaublich schön anzusehen, aber fremd. Und ich bin für dich auch nur irgendein Betthupferl, ich weiß. Vielleicht bist du ja auch ein Massenmörder oder testest heimlich irgendwelche komische Mixturen an mir. Du könntest mich also maximal umbringen oder mich … missbrauchen. Oder Beides. Aber das könntest du auch indem du mich offiziell buchst … skönnte jeder … jeden Tag“, murmelte er von sich, deutete ein Schulternheben an, als Masao die Augen verengte und die Stirn runzelte. „Und du gehst davon aus, dass das nicht passiert?“ „Ziemlich naiv, hm? Aber ich könnte … morgen Früh aufstehen, rüber zu Starbucks gehen und auf den Weg dahin so blöd ausrutschen, dass ich mir das Genick breche.“ Es konnte jeden Tag zu jeder Zeit passieren. Als Mensch dachte man aber nicht an solche Dinge. Das Überqueren einer Straße war etwas Alltägliches, wurde nicht als gefährlich eingestuft. Keiner glaubte ernsthaft daran beim Wechsel einer Straßenseite eventuell zu sterben, obwohl es jederzeit passieren könnte. „Hast du keine angst davor, dass es nicht doch einmal passiert?“, wollte Masao ernsthaft wissen, was in diesem Milieu wahrlich nicht selten vorkam. Leichenfund. Mit Überdosierung ins Krankenhaus. Doch der Host seufzte nur und gab einen brummigen Laut von sich. „Nein“, seufzte er aus. „Ich habe eher angst davor … dass es weh tut“, stahl sich ein Lächeln auf die Lippen, bevor erneut die angenehme Stille einzog. Masao war regelrecht fasziniert von dieser Antwort, sah er es ganz ähnlich. Er fürchtete es nicht zu sterben, er hoffte einfach dass es schnell ginge, sobald es soweit war. *** „Liebes Tagebuch, bin zu müde um dir zu schreiben. gerade zu glücklich, um zu denken. Masao ist bei mir. Er ist zurückgekommen, obwohl er den kranken Jungen kennt. Er riecht so unglaublich gut. Hat so große Hände. Bitte lass ihn wiederkommen, wenn er jetzt geht. Yasu“ *** „Ich nehme den komischen Kauz zurück“, strich der Zyklop einige Haare aus Yasus Nacken und ließ die Stille erneut für sie sprechen, sah den Musiker ganz in Ruhe dabei an und konnte mit jedem Blinzeln zusehen, wie die Augen kleiner und kleiner wurden, bis sie gänzlich geschlossen blieben. Die Lippen mit einem zufriedenen Lächeln geziert, schlief der Jüngere erneut unter den liebevollen Berührungen ein und wurde dabei noch eine ganze Weile lang von den dunklen Argusaugen unter Beschlag genommen. Der kleine Bruder war sehr feminin geraten, wies viele Gleichnisse zu Yurika auf. Dennoch war er einzigartig schön anzusehen. Er musste wohl besser auf seinen Auftrag achten, als zunächst angenommen. ---------------- Next? ---------------- Kapitel 4: Soll ich dein Ego ein bisschen streicheln, ja? --------------------------------------------------------- Kapitel 5 – Soll ich dein Ego ein bisschen streicheln, ja? ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- 25.12.2015 - 31.03.2016 Auftragsnummer YT1985M - © Songtext, Avicii – The Nights Es wurde kälter von Tag zu Tag. Der gefallene Schnee blieb liegen, taute nicht weg, wie üblicherweise und schien eine unvorhersehbare Eiszeit anzukündigen. Zumindest glaubte der Musiker dies, als er zwei Tage nach seinem Panikanfall den Proberaum verließ und den Reißverschluss, sowie den Schal soweit nach oben zog, wie nur irgendwie möglich. Dabei gehörte er nicht zu der Sorte Mensch, die schnell fror oder gar kalte Hände bekam, doch diesmal zog er sich, nachdem die Tür ins Schloss fiel, Yurikas Kunstlederhandschuhe mit Braun-Schwarzem Fellbesatz am Saum zusätzlich über die schlanken Finger. Letztes Jahr, vielleicht sogar um genau diese Zeit, hatte die große Schwester sie im Elternhaus vergessen. Aus Jux zog Yasu sie an und meinte sie zu behalten. Dabei hatte er im Grunde vor, dies als Scherz stehen zu lassen. Doch er traf sie nicht mehr an – so wie jetzt. Seit einigen Wochen meldete sich die Garagenplatz-Brauchende nicht mehr und Dana sollte wohl Recht behalten mit ihrer Aussage. Dass sie sich nur meldete, um gut in einer Sache wegzukommen. Vielleicht war es so - vielleicht aber hatte Yurika auch mächtig Probleme, worüber sich der junge Musiker vermehrt den Kopf zerbrach und an der nächsten Ampelkreuzung zum ersten Mal nach verlassen des Proberaumes den Blick hob. Überall Menschen. Gestresst und in Hektik verfallen. Frierend und fluchend. Schnell noch telefonierend, um mitzuteilen dass es später wurde, schnell die nächste Bahn noch erwischen wollend … Auch wenn es in jenem Moment nicht schneite und ebenso kein eisiger Wind zu vernehmen war, begann der Host schaurig zu frösteln. Irgendwo in dieser Menschenmasse, welche ihn sowieso nicht wahrnahm, schien ein einziges Augenpaar zu sein, welches allein auf ihn gerichtet war. Er konnte den Blick spüren, diese penetrante Aura, welche sich auf seinem Rücken niederlegte, ihn ein Gefühl von Panik und Kälte erbrachte. Es hörte nicht auf. Dieses Gefühl. Alltäglich begleitete es ihn. Egal wohin er ging, es war anwesend, immer dabei, deutlich ausgeprägt. Als er gestern Morgen erwachte und Masao den Club längst verlassen hatte, schwor sich Yasu, nicht mehr so viel zu trinken - nicht mehr täglich und auch nicht mehr sooft. Doch allein nach einem Treffen mit den Bandkollegen, floss nicht mehr nur Blut durch seine Adern, sondern auch ein gutes Hopfen-Gebräu. Was war schon dabei? Ein kleines Feierabendbier … *** „Liebes Tagebuch, die Bandbesprechung lief super, gehen Ende März auf Tour. Freue mich schon sehr darauf. Arbeit im Club ist auch okay. Bin streng betrachtet nüchtern. Habe trotzdem das Gefühl die ganze Zeit beobachtet zu werden, dabei war das im Club immer weggewesen. Bis der Typ letztens aufkreuzte und ich diesen peinlichen Panikanfall erlebte. Konnte wieder nicht so gut schlafen. Bin so müde … Jetzt muss ich zum Chef. Weiß gar nicht was der will so früh am Morgen. Außerdem … bin ich tatsächlich total verknallt. So schlimm war’s noch nie. Will Masao wiedersehen. Am liebsten jetzt … ist das nicht lächerlich? Yasu.“ *** Mit wackeligen Beinen und flauem Gefühl in der Magengegend zog die schlanke Hand des Musikers die schwere Tür des Chefbüros hinter sich zu. Den Blick starr geradewegs auf die Treppe zum Untergeschoss gerichtet, rührte sich kein einziger Muskel, bis schließlich kaum ersichtlich ein Kopfschütteln zustande kam. Er konnte es einfach nicht fassen. Einfach nicht glauben. Träumte er? Saß er in einer seiner verrückten Traumwelten fest, die so real schienen, dass er gleich erwachte und maßlos enttäuscht darüber sein würde, dass es nicht der Realität entsprach? Würde er gleich die Augen öffnen, die Wand in seinem Zimmer anstarren und am liebsten alles kurz und kleinschlagen, weil sein Hirn ihn wieder derart an der Nase herumführte und glaubhafte Illusionen schuf? Ohne es zu bemerken schritt er langsam, wie in Trance, die Stufen hinab, blieb schließlich im zweiten Geschoss inmitten des Flures stehen, als Samu aus seinem Zimmer geschlichen kam und Yasu mit gewohnt mieser Morgenlaune grüßte. „Morg’n.“ „Sofort stehen bleiben!“, rief Yasu ihm entgegen, ohne sich zu bewegen, was für erheblich Irritation sorgte bei seinem ehemaligen Senpai, welcher abrupt stehen blieb und sich gähnend durch das noch zerzauste Haar kratzte. „Hast du`n Stich?“ „Komm her!“ „Hä? Soll`n der Scheiß? “, kam es brummig mit einem Kopfschütteln zurück. „Bist du bescheuert, oder was?“ „Du kommst jetzt sofort her!“ Unverstanden grummelte der Jüngere der Beiden vor sich her, warf ebenso unverstandene Gesten auf, ehe er schließlich auf Yasu zukam, welcher noch immer wie versteinert schien und blickte diesen geradewegs an. „Soll ich dir die Windeln wechseln?“ „Red` keinen Scheiß. Hau mir eine rein!“ „…“ Die Brauen hoben sich schlagartig, die Hände verschwanden wiederum gelassen in den Taschen der viel zu großen Jogginghose, als Samu sich nach vorn beugte, um nach Yasus Verstand zu suchen. Unauffindbar. „Jetzt mach schon! Hau mir eine rein!“ „Ey, sag mal …“ Die Augen verengten sich. „Was` los mit dir?“ „Ich will nicht aufwachen!“ „Alter, bist du stoned?“ „Keine Ahnung! Jetzt mach schon!“ Samu wusste nicht so Recht, ob er nun darüber in Gelächter oder doch in aufziehbarer Sorge verfallen sollte und musterte seinen Schützling erneut akribisch, während er eine Zigarette seitlich zwischen die Lippen klemmte und dem Wunsch des Hirnlosen schließlich nachkam. Eine Ohrfeige, welcher nicht besonders viel Feingefühl beiwohnte. Wieder beäugte Samu den Musiker, doch der rührte sich zunächst nicht, außer einem Augenzusammenkneifen, ehe er aufblinzelte und sich umsah. Er stand noch immer im Flur – lag nicht in seinem Bett. „Oh! My! God!“ Es war kein Traum? Der Geohrfeigte bewegte sich, tastete den eigenen Körper ab, während Samu sein Laster entzündete und daran zog, als ihm, wie aus dem Nichts, ein fester Kuss auf die Lippen ereilte. Sofort wich er zurück, verzog das Gesicht, begann zu motzen. „Hast du `n Arsch offen!? Ist ja abartig!“, zischte der Jüngere angewidert. „Oh Gott! Oh Gott! Ich bin wirklich wach! Ich bin wach! Tut mir Leid Samu! Aber Danke!“ Euphorisch hüpfend sprang der Musiker davon, tänzelte in sein Zimmer zurück, ohne Ziel und Verstand, sprang sinngemäß, wie ein Aufziehmännlein in seinen Vier Wänden umher und konnte sein Glück gar nicht fassen. Samu hingegen runzelte mehr als irritiert die Stirn, bevor ein prüfender Blick auf dem Nikotinlaster lag. P&S stand darauf gedruckt. Normale Zigaretten, kein Gras. Und dennoch … „Alter … bin ich selber noch stoned? Was war`n das jetzt?“ „Auf den Fluren wird nicht geraucht! Samuel Ishizuka! KIPPE AUS!“ Die Frau vom Chef wurde regelrecht zur Furie, wenn sie jemanden dabei erwischte und funkelte vom dritten Stock aus hinab zum Host, welcher zusammenzuckte und entwaffnend die Hände hob. „Is‘ ja gut!“ *** Vier Tage später „Schlittschuhlaufen?“ Kenta polierte gerade ganz penibel ein Sektglas, hielt es gegen das Licht, putzte erneut und runzelte die Stirn, als sich der Host über den Tresen lehnte und mit einer Hand vor dessen Gesicht herumwedelte. „Man, sei doch nicht so laut“, ließ er den Blick wandern, ehe er Kenta von unten herauf auf den Armen gestützt ansah, und flüsternd fortfuhr. „Ich gehe heute Nachmittag mit Masao Schlittschuhlaufen, ja. Privat.“ Das letzte Wort betont, sanken Kentas Arme hinab, welcher sich seinen Freund zuwendete und erneut die Stirn runzelte. „Du verarscht mich doch jetzt?“ Der Host schüttelte den Kopf, sah sich erneut um, ehe er sich noch etwas mehr nach vorn beugte, um ganz sicher zu gehen, dass sie niemand belauschte. „Nein, das ist mein Ernst. Er hat mich eingeladen.“ „Eingeladen? Zum Schlittschuh … Harukaze?“ Er hob die Brauen, allerdings die Stirn noch immer in Falten gelegt und ließ den Satz im Nichts verschwinden, so sehr überraschte es ihn. „Du bist schon einmal fast überfallen worden und erzählst mir jetzt, dass du-“ „Ja, ja, ich weiß.“ winkte Yasu seufzend ab, fand es selbst nicht besonders klug. „Aber … man, Kenta. Der Typ ist toll. Er ist wirklich toll. Ich habe das Gefühl er interessiert sich wirklich für mich. Selbst der Sex ist anders, ich habe die ganze Zeit das Gefühl dass ICH der Kunde bin der auf Händen getragen wird, und nicht umgedreht.“ Augenrollend wurde der Kopf geschüttelt. „So ähnlich klang dass bei Shin damals auch, und dann kam er irgendwann nicht mehr, weil er jemanden gefunden hat und der Reiz von dieser Welt hier dahinschmolz.“ Diesmal seufzte Yasu augenrollend, stützte den Kopf auf die Hände und fuhr sich mit einer verzweifelten Geste über das Gesicht. Was sollte er darauf sagen? Offensichtlich verrannte er sich mal wieder in einer Sache und alle anderen hatten Recht. Kenta hatte Recht. Und auch Dana würde Recht behalten, dass er, der dumme Junge, sich nur wieder Hals über Kopf verliebte in jemanden, der ihn vielleicht gut behandeln mochte, aber keinerlei die Absicht besaß etwas Ernstes daraus zu machen. Dennoch klammerte sich Yasu an diesen Strohhalm, während er schwieg und Bauch gegen Kopf kämpfte. Gefühle gegen Verstand – der Kampf war unfair, das Ende Vorhersehbar. Gefühle waren Arschlöcher! Verräter! „Harukaze ist wirklich ein netter Kerl, Yasu. Er weiß allerdings ganz genau was er tut und sagt und wird somit genau wissen, welche Wirkung er auf andere hat. Ich muss zugeben, wenn ich schwul wäre, würde ich seinem Charme wahrscheinlich auch verfallen. Aber das bin ich nicht, und deswegen sage ich dir ganz nüchtern, dass du dir daraus bitte keine Luftschlösser bauen sollst.“ Er meinte es nur gut, doch genau das wollte Yasu nicht hören, welcher aufbrummte und den Kopf schüttelte, als erzähle Kenta falsche Zusammenhänge worüber man ihn aufklären müsse. „Du verstehst das nicht. Ich meine … er tut mir gut. Er tut mir wirklich so richtig gut. Ich fühle mich wohl wenn er da ist, und auch wenn ich eigentlich weiß, dass ich mir daraus nichts nehmen sollte, dann will ich wenigstens dass er Zeit mit mir verbringt, weil er Spaß dabei hat. Hauptsache er ist da.“ Wie erbärmlich das klang! „Ach, Yasu“, seufzte Kenta abermals, lächelte mild und legte eine Hand auf die Schulter seines Gegenübers, welcher betreten zu ihm aufblickte. „Warum bucht er mich dann für die nächsten Wochen im Voraus täglich und will sich jetzt auch privat Treffen?“ Kenta hob die Schultern, nahm die Arbeit mit Glas und Tuch wieder auf und gab einen unwissenden Laut von sich. „Seltsam ist das schon, gebe ich zu. Vielleicht bist du ihm aber auch nur am liebsten für diesen Spaß und er will sichergehen, wenn er bock hat, dass du frei bist“, hob er erneut die Schultern und war wie immer geradewegs ehrlich. „Klärt aber nicht die Sache für heute Nachmittag“, schmollte der Host. „Ich meine, schau doch mal. Buchungen werden im Voraus bezahlt. Ich habe darüber nachgedacht, ob er das nur so drehen will, dass er sich in meiner Freizeit später für einen Rutscher treffen will, dass er nichts bezahlen muss, aber das ergibt so einfach keinen Sinn.“ „Hm.“ Kenta betrachtete das leere Sektglas skeptisch, stellte es ab und nahm das nächste, welches ebenso den skeptischen Blick auf sich zog, bevor das Tuch in Einsatz kam. „Ich glaube Geld wird keine Rolle spielen bei ihm. Sonst wäre er in den letzten Tagen dagewesen, um das einzufordern, wofür er bereits gezahlt hat, meinst du nicht? Vielleicht dreht er es ja wirklich so, wie du denkst, plant das aber schon lange genug.“ Zum wiederholten Male hob er die Schultern, drehte das Glas in seinen Händen und stellte es zu den anderen, bevor das Tuch Platz auf der Schulter fand und sich der Körper auf den Tresen lehnte, um seinen Freund direkt anzusehen. „Da können wir jetzt ehrlich gesagt noch Stunden und Tage darüber diskutieren, weil weder du, noch ich Teil der griechischen Mythologien sind“, schmunzelte er und stupste Yasus Nase mit dem Zeigefinger an, welche sich sofort rümpfte. „Ganz gleich was ich dir jetzt noch für Möglichkeiten aufzähle, du wirst ja doch fahren und dich privat treffen, und ja – ich werde die Klappe halten, solange du dich meldest, dass alles in Ordnung ist. Aber …“ Der Zeigefinger erhob sich vor Yasus Augen, welcher das Lippenpiercing zwischen die Zähne zog und darauf herumkaute. „Lass bitte deine rosa Einhornbrille zu Hause. Es ist schön zu hören, dass es dir gut geht bei ihm, wirklich, genieße das einfach, aber, wie schon gesagt, plane nicht für die Zukunft. Die große Liebe wirst du hier nicht finden, so sehr ich es dir wünschen würde.“ Es war immer ehrlich was Kenta sagte und sehr oft, wenn auch unbemerkt, ziemlich klug. „Wenn du bis um neun nicht hier bist und dich nicht gemeldet hast, gehe ich petzen.“ Ein stummes Nicken sollte als Dank genügen. . . . Die Tatsache, dass der reiche Schnösel ihn vollkommen in Anspruch nahm für die nächsten Wochen war noch immer ein positiver Schock für Yasu, als er nach dem Gespräch mit Kenta in sein Zimmer trat und das Handy hervorholte, um das Anrufprotokoll zu öffnen. Es war wirklich passiert. Masao hatte ihn nicht nur ausgebucht seit knapp einer Woche, sondern auch bei ihm angerufen, um ihn einzuladen. Dieses Gespräch fand tatsächlich statt. Sollte, konnte und würde er sich darauf etwas einbilden dürfen? War das ein Zeichen dass der schöne Zyklop ernsthaftes Interesse an seinem Wesen hatte? Warum sonst wollte er sich privat verabreden? Yasu begann zu grübeln, starrte noch immer das Handy in seiner Hand an und wusste nicht so Recht ob er sich darüber freuen oder davor fürchten sollte. Es wäre zu schön um wahr zu sein, dass da jemand in sein Leben trat, der nicht einfach nur seinen Körper haben wollte für einige Stunden. Es erschien so unwirklich in seinen Augen, dass im ersten Moment ein flaues Gefühl in der Magengegend aufstieg. Seine inneren Alarmglocken schrillten, mahnten ihn vorsichtig zu sein. Nicht allein aus dem Grund, dass private Treffen mit Kunden strengstens untersagt waren. Wenn der Chef das rausbekäme, dann war er am längsten die Clubprinzessin gewesen und würde von heute auf morgen Obdachlos sein – sollte Masao ihn heute Nachmittag nicht einfach umlegen. Vielleicht lockte er ihn in einen Hinterhalt? Aber ergab das denn Sinn? Die Gedanken kreisten unaufhörlich. Lange haderte der Host mit sich, ob er dem privaten Treffen zustimmen sollte, wie eigentlich längst beschlossen, doch letzten Endes gewannen wieder einmal die Hormone, die Masao unbedingt sehen wollten – egal wann, egal wo, egal wie. Also, ab zum Kleiderschrank! . . . „Hallo?“ „Ich bin’s.“ „…“ „Ich war so frei und habe mir deine Privatnummer versorgt.“ „…“ „Schon wieder Wortfindungsstörungen?“ „Du … du hast mich ausgebucht … für den kompletten Monat?“ Masao lachte liebevoll. „Weißt du, ich habe schon als Kind nicht gerne andere mit meinen Sachen spielen lassen. Auch nicht, wenn sie gut behandelt worden und ich sie zurückbekam.“ „…“ Yasus lächeln, welches erst entstand, wurde traurig für einen Moment. Um nichts Anderes ging es doch. Es ging um nichts, als ein Spiel. Aber der Trost war annehmbar. Denn Masao suchte ihn zum Spielen aus. „Was hältst du so von Eiskunstlaufen?“ „Hm?“ „Schlittschuhlaufen? Was hältst du davon?“ „Ahm … ich … “ War das eine Fangfrage? Aber würde Masao ihn anrufen, nur um ihn aufziehen zu wollen? Ganz bestimmt sogar! Doch, das würde er ihm zutrauen, und da seine Antwort mal wieder auf sich warten ließ, vernahm er am anderen Ende der Leitung erneut dieses warme Lachen, da Masao sich durchaus bewusst darüber war, dass dieses Gespräch in Etwa genauso laufen würde. „Pass auf, ich hab keinen Bock ständig in den Club zu kommen. Wenn wir also unter uns klären, unsere Treffen außerhalb des Clubs privat zu gestalten, geht das in Ordnung? Und soviel ich weiß, kannst du in deiner Freizeit tun und lassen was du willst, bis auf die Klausel. Muss also kein Schwein wissen, richtig?“ Yasu schwieg, konnte die ganzen Informationen gar nicht so schnell auffassen und verarbeiten. Konnte noch immer nicht glauben, dass er in jenem Augenblick mit Masao telefonierte, der sich wirklich reichlich Gedanken machte, wie es schien. Das tat man doch nicht einfach so? Samu würde ihn gleich noch eine reinhauen müssen. „Ich fasse dein Schweigen mal als ein ‚ja‘ auf. Also, 15:00 Uhr vorm Club, du wirst abgeholt.“ Abgeholt? „Und bring bitte Zettel und Stift mit.“ „Hm?“ Zettel und Stift? „Wofür brau- “ „Ach? Du bist ja doch fähig deine Stimmlippen zu gebrauchen.“ Masao lachte. Yasu schürzte die Lippen, fing sich wieder und murrte auf. „Du machst dich gerne über mich lustig, kann das sein?“ „Ich kann nichts dafür dass du mich stets amüsierst, Mausezahn.“ „Sehr witzig.“ „15:00 Uhr dann.“ „Wa-“ rte, doch da legte der Anrufer auf und das Augenpaar fixierte den sich verdunkelnden Display in seinen Händen, bis das Licht gänzlich erlosch. . . . Wie oft ging ihm dieses Telefonat durch den Kopf? Wie oft wechselte er die Kleidung, schminkte sich ab, um von vorn zu beginnen, und wie oft betrachtete er sein Spiegelbild, um sich selbst zu fragen, ob er eigentlich noch ganz bei Trost war? Doch dann, in einem ruhigen Moment, schob er die ganze Schuld seines gestörten Hormonhaushaltes, nicht mehr nur auf die Eltern, die sich nicht einigen konnten, ob sie noch ein Mädchen, oder einen Jungen wollten – nein. Er schob die Schuld eindeutig Walt Disney in die Schuhe. „Als gäbe es solche Traumszenen wirklich! Kein Wunder, dass ich ständig hoffe meinen Schuh zu verlieren, wie diese blöde Gans in ihrem drecks weißen Puffkleid!“, murmelte er zischend von sich, als er aus dem Gebäude trat und sich instinktiv nach Masao umblickte. Ob der wohl seinen Schuh aufheben und nach seinem Besitzer suchen würde? „Takahashi Yasu?” Ein Mann in edler Robe stand vor dem noblem, Metallic Schwarzen Audi A8, welcher direkt vor dem Eingang des Clubs parkte und nicht nur bei dem angesprochenen Aufsehen erweckte, welcher mit seinem Aufruf aus den Gedanken gerissen wurde. Wow! Da konnte Aschenputtel aber sowas von einpacken! Allein dass ein Fahrservice einen Host außerdienstlich abholte, war eine grotesk wirkende Situation, doch das edle und gehobene Erscheinungsbild dessen, setzten dem Sahnehäupchen die Kirsche obenauf. Für einen Moment stieg dem Musiker eine unangenehme Wärme in die Wangen, denn mit solch einem Aufgebot rechnete er nicht. Zugleich schmeichelte es ungemein mit dem Beigeschmack hoher Skepsis. Welch einen Anlass gäbe er diesem Geschehen Sinn? War es eine außerordentlich raffinierte Masche von Harukaze ihn um den Finger zu wickeln, nur um später sein kostenloses Flittchen zu werden, oder steckte doch mehr dahinter? Am liebsten hätte sich Yasu umgedreht, wäre Kenta holen gegangen, um ihm zu zeigen, welche Bemühungen Masao auffuhr, doch er nickte letzten Endes angedeutet, trat auf den Mann zu, welcher die hintere Tür öffnete und mit seinem schwarzen Lederhandschuh bekleideten Händen die Geste des Zustieges vollzog. „Wenn ich bitten darf?“ „Vielen Dank.” Das Schmunzeln wurde immer breiter auf seinem Gesicht, fühlte es sich zuletzt nicht doch sogar ein wenig vertraut an abgeholt zu werden, um von A nach B kutschiert zu werden. Nur niemals so höflich – schon gar nicht so nobel! Da könnten sich die Staffs etwas Etikette ruhig abholen gehen, wie er fand. . . . Die Fahrt dauerte nicht lange, weswegen die bedrückende Stille schnell ein Ende nahm. Angespannt saß Yasu auf der ledernen Rückbank, als die kleine Limousine auf dem großen Parkplatz fuhr. Er ertappte sich bei dem Gedankenspiel, ob er alleine aussteigen dürfte, oder warten sollte, bis der Fahrer ihm die Tür öffnete, als diese im selbigen Moment aufging. Erneut schwappte Nervosität in ihm hoch, als er sich abschnallte und zunächst nur auf pickfeine Lackschuhe sah, welche unter der dunklen Jeans knapp über dem Knöchel endeten. Ebenso ein schwarzer Mantel bedeckte das teuer wirkende, und sicherlich auch seiende, Beinkleid knapp über den Knien, als sich ihm eine Hand mit mehreren Ringen an den Fingern entgegenstreckte und er ein Gesicht mit einem verschmitzten Lächeln erblickte. „Monsieur?“ Die Nervosität schwand, wurde ersetzt mit Aufregung und Vorfreude auf die kommenden Stunden, als Yasu nach Masaos Hand griff und sich Promi-like aus dem Wagen helfen ließ. Masaos schwarzes Haar glänzte in der Wintersonne, hing fransig geschnitten und doch edel wirkend in das schöne Gesicht, welches in einem weißem Schal mit schwarzen Ornamentendruck bettete. Er sah, wie immer, umwerfend aus und sofort war Yasu gezwungen sich gedanklich selbst abzuscannen, ob er zu diesem Mann in seinem Outfit passte. Anders als Harukaze trug er seine Lieblingsboots, welche mit silbernen Schnallen wiederum über seiner dunkelgrauen Jeans saßen. Ebenso wies der Mantel mehrere Schnallen und D-Ring Verzierungen auf, welcher von den Fransen seines Weinroten Schals mit kleinen Totenköpfen umspielt wurde. Auch das Haar war gestylt, wie immer mit Volumenwirkung nach hinten gegelt und ein langer Ohrring mit Feder und Schmuckstein auf der linken Seite tänzelte im seichten Lüftchen über seine Schulter hinweg. Zudem trug er Make-Up, Mascara und untermalte seine Augen mit einem dezenten Lidstrich. Das komplette Gegenteil also. War es zu viel? Zu auffällig? Masao ließ seine Hand los, beugte sich nochmals leicht nach vorn, um in den Wagen zu sehen, bedankte sich kurz beim Fahrer, schloss die Tür und klopfte zweimal auf das Wagendach. Er konnte fahren. „Zettel und Stift dabei?“, fragte der Yakuza Brauen hebend, woraufhin ihn eine Schnute ereilte, sowie ein Puffer in die Seite. „Ha, ha.“ Noch immer herrschte eine gewisse Anspannung in ihm. „Was bist du? Papst oder sowas?“ Yasu war fasziniert jemanden in hoher Position zu kennen, doch bekam nur ein altbekanntes Lachen. „Besondere Anlässe erfordern besondere Maßnahmen“, zwinkerte Masao, zog sich eine Schachtel Zigaretten aus der Manteltasche und hielt sie Yasu geöffnet entgegen, welcher stumm nickend eine davon entnahm. Besondere Anlässe. Hatten sie etwa ein Date? „Ich will ja nicht unhöflich wirken, aber … wieso lädst du mich zum Eislaufen ein?“ Irgendwie kam die Frage schneller über die Lippen, als das Hirn die Auswirkungen davon erdachte und schon hoben sich die Hände abwehrend. „Verstehe mich nicht falsch, aber du hast mich für den kompletten Monat gebucht und da das hier privat ist und eigentlich nicht zur Buchung gehört …“ Er hoffte Masao verstand worauf er hinauswollte, doch der sah ihn mit gelassen amüsierter Art abwartend an, obwohl sie beide wussten, worauf die Frage baute. „Weißt du … wie ich das meine?“ Der Ältere verunsicherte ihn und plötzlich wollte Yasu nichts falsch machen, wollte dem anderen gefallen, ihn nicht verärgern, doch der schlug stumm den Weg zur Eisbahn ein mit einem verschmitzten Schmunzeln. „Bist du schon wieder nervös?“ „Was? Nein. Doch. Also, nein, ich bin nur … ach!“ Er stöhnte tief. „Es verwirrt mich ein wenig muss ich gestehen.“ Nervös zogen die Lippen am Laster und Masao zeigte erbarmen, klopfte ihn amüsiert auf die Schulter. „Du bist zu angespannt. Ich denke es tut dir gut mal etwas anderes zu sehen und abzuschalten. Ich bin der schlechteste Eisläufer den du je gesehen hast, also wirst du damit beschäftigt sein mal zur Abwechslung meinen kompletten Körper aufrecht zu halten und nicht nur einen Teil davon.“ Wieder schmunzelte Harukaze, nahm Yasu unbewusst die Nervosität, welcher nun ebenso schmunzelte. „Woher willst du wissen, dass ich das kann?“ „Ich sagte doch. Ich bin der Schlechteste.“ „Das glaube ich nicht!“, schüttelte der Jüngere den Kopf, während Masao einen Zug von seiner Zigarette nahm. „Deswegen zeige ich es dir gleich.“ . . . Es war unrealistisch hier zu sein. Auf einer Eisbahn umgeben von Familien, Pärchen und guten Freundesgruppen die gemeinsam dieses Ausflugsziel wählten um den Nachmittag miteinander zu verbringen und sich zu amüsieren. Lange war es her dass Yasu diese Art Freizeitgestaltung in Anspruch nahm, geschweige denn einen Gedanken danach hegte. Umso unfassbarer war es dass ein Mensch, wie Harukaze es war, ein solches Ziel wählte – überhaupt auf diese Idee kam. Und dann auch noch mit ihm! Mit einer kleinen Hure, die doch nichts Wert war und sich ein bisschen Taschengeld für die Band dazuverdiente … Wie eine Eins stand der Host auf den Kufen, fuhr nach wenigen Minuten eine kleine Runde und kam schließlich vor den Eingang halbwegs galant zum Stehen. Mit überlegenem Augenbrauenwippen und einem süffisantem Schmunzeln blickte er geradewegs zu seinem Zyklopen, welcher sich auf der anderen Seite der halbhohen Abgrenzungswand befand und sich gemächlich auf diese lehnte – feststellend, dass er sich bei diesem Auftrag extrem zum Clown machte. Was Ritt ihn nur, auf diese Art und Weise das Vertrauen dieses Typen zu ergattern? Und das alles nur wegen gestohlenem Koks und Hochverrat. „Wehe, ich sehe auch nur ein Zucken im Mundwinkel“, gab er resignierend mit tiefer Stimme von sich und entlockte Yasu ein räuspern, welcher sich damit zur Ernsthaftigkeit berief und den Kopf schüttelte. „Jetzt komm` schon“, streckte er beide Hände nach ihm aus, lächelte zum ersten Mal motivierend und gar verständnisvoll, als müsse er ein kleines Kind vom Beckenrand hochziehen. Diese nett gemeinte Geste begünstigte jedoch das Dorftrottel-Gefühl des Älteren, welcher mit den Augen rollte und grummelnd zur Seite sah. Er hatte genauso eine Vollmeise, wie der Rest der Menschheit! Es war passiert. Die Dummheit hatte auch ihn erreicht! Wann hatte er sich bei einem Auftrag jemals mit seinen Schwächen weitergeholfen? Und hätte es nicht wahrlich gereicht Yasu abends im Club anzutreffen, um an weitere Informationen zu gelangen? Er musste sich eingestehen mit zu viel Leichtigkeit an die Sache herangegangen zu sein, denn Yasu erwähnte bislang nichts weiter von seiner Familie und wollte dieses Thema auch gerne umgehen. Das Resultat eröffnete sich nun als riesige Eisfläche. Vielleicht sollte er umschulen? Zum Eisverkäufer? Ihm rannte die Zeit davon! „Masao?“ „Hm?“ Aus den Gedanken gerissen war er es diesmal, der vor sich hinträumte und nichts weiter sagte, was dem Auftrag ein Schmunzeln entlockte, welches jedoch sofort mit Ernsthaftigkeit weggeräuspert wurde. „Ich hätte wohl doch besser Zettel und Stift mitnehmen sollen, hm?“, zwinkerte Yasu frech, erhob Masaos Brauen skeptisch, nahezu überheblich wirkend, welcher nun ein abwertiges Brummen hervorbrachte. Eine Hand fand Halt an der Mauer, als er nach vorn trat und schließlich einen Fuß auf das Eis setzte. „Wehe …“, drohte die Stimme mit der anderen Hand und einem Fingerdeut auf den Mund seines Gegenübers zeigend, welcher immer wieder die Lippen schmal aufeinanderlegte, sich räusperte und von links nach rechts glitt auf den Kufen. Unschuldig hoben sich die Hände, bemüht, bloß keinen Funken Schadenfreude über die Gesichtsmuskeln zucken zu lassen, während er vor Masao hin und herglitt. Schließlich seufzte dieser auf, setzte den zweiten Fuß auf das Eis, sobald er Halt fand und führte sogleich die andere Hand ebenso an die Mauer, um sich festzuhalten – sich innerlich einen Totalschaden erklärend, weil er das ernsthaft tat, während Yasu vor ihn stoppte. „Du meinst das Ernst, oder?“ Noch immer verkniff er sich ein Schmunzeln und Masaos überheblich wirkender Blick machte dies nicht besonders leicht. „Was?“ „Dass du absolut nicht Eislaufen kannst.“ „Rede doch nicht gleich vom Laufen, ich bin froh auf den Dingern stehen zu können.“ Es klang fast schon entsetzt, doch sogleich folgte er irritiert den übertrieben aufgesetzten Blick zu seinen Händen, welche sich an der Mauer festhielten. „Mhm“, vernahm er den fachmännisch ausgedrückten Laut und sah Yasu auf direktem Wege an, welcher den Kopf tadelnd schüttelte. „Das gilt nicht.“ Demonstrativ hoben sich die Hände, welche er winkend aufzeigte und sich ein Schmunzeln nun nicht mehr verkneifen konnte. „DAS, mein Lieber, bedeutet auf den Dingern stehen zu können.“ Bei jedem Wort wuchs das Schmunzeln, ehe er sich zurückschob und ohne groß darüber nachzudenken nach Masaos Handgelenken griff, woraufhin sich der Körper des Älteren deutlich spürbar anspannte. „Komm jetzt nicht auf die Idee mich quer über die Eisfläche zu ziehen, ich warne dich!“ Kopfschüttelnd verneinte Yasu, zog Masao jedoch einige Zentimeter nach vorn, wobei dieser sich aus Reflex an den Unterarmen festhielt und einer Gruppe Kinder nachsah, welche direkt hinter ihnen vorbeifuhren, als täten sie nie etwas anderes. Das kratzte erheblich am Ego. Yasu gluckste auf in Anbetracht der Gesichtszüge seines Gegenübers. Die perfekte Schale des reichen Zyklopen bröckelte vor seinen Augen auseinander, enttarnte ihn als stinknormalen Typen mit keinerlei Hang zum Eiskunstlaufen. Es rief unglaublich viel Sympathie hervor und ließ ihn gerade deswegen noch perfekter werden für den Host, welcher die Handgelenke nun seinerseits losließ. „Also, wenn du mich jetzt loslässt, dann kannst du große Töne spucken und behaupten darauf stehen zu können.” Der Blick des Yakuza durchbohrte den Host regelrecht mit reichlich Skepsis, bevor diese mit Überheblichkeit tauschte. „Mir fällt‘s viel leichter zu behaupten auf dich zu stehen.“ Yasus Augen wurden groß. „Zu behaupten? Ich dachte du tust es?!“ Gespielt entsetzt entzog sich der Host dem Älteren, welcher ausnahmsweise nicht erahnte plötzlich alleine auf dem Eis zu stehen und sich daher kaum noch getraute zu atmen. Alles, bloß nicht die Würde gänzlich verlieren, das war nun wirklich keine Droge dieser Welt wert! Doch als er zum Antworten ansetzte, fuhr der Jüngere kommentarlos davon, schien eine Runde drehen zu wollen und ließ Masao schlichtweg stehen. Einfach so. Umringt von Hetenpärchen, die kicherten und gackerten, sich gegenseitig anschoben. Umringt von Familien, Mutter und Vater, die die Kleinen lobten, nur weil sie sich gut festhielten, und umringt von kichernden und kreischenden Bälgern, welche sich gegenseitig versuchten zu fangen und achtlos an ihm vorbei rasten. Scheußlich diese Welt! Sie war kindisch, kitschig, abartig - machte ihn sogar Angst! Dabei kannte er so etwas wie Angst nicht. Doch als er die nächste Kindergruppe auf sich zurasen sah, packte sie ihn doch hauchzart, weswegen sich der Körper ziemlich starr und ungalant in Richtung Fahrbahnrand und Mauer schob, welche er erleichtert ausatmend erreichte und Yasu, welcher fast zeitgleich neben ihm zum Stehen kam, mürrisch anblickte. „Kein Witz. Ich war noch nie Schlittschuhlaufen.“ „Echt nicht?“ „Wonach sieht es denn aus?“ Diesmal war es Yasu, welcher nahezu liebevoll auflachte und völlig entspannte, beim Anbetracht des Schlittschuhlaufenden – beziehungsweise stehenden Zyklopen. Dieser konnte doch unmöglich einen so ausgereiften Plan verfolgen, nur um ihn kostenfrei als Liebelei zu ergattern für die Zukunft. Es musste einfach etwas Ernstes dahinterstecken. Etwas Ehrliches zumindest. Nur die Tatsache, dass Masao schlichtweg Zeit mit ihm verbringen wollte reichte vollkommen aus, um alle Sorgen, welche derzeit um ihn kreisten kurzweilig zu vergessen. Stattdessen ergriff der Host erneut die Hände des Anderen, forderte ihn wortlos auf, sich an ihm festzuhalten, was beinahe ganz automatisch erfolgte seitens Masao. Behutsam zog Yasu ihn mit sich, immer bedacht darauf nahe genug am Rand entlangzulaufen, um Masao die Möglichkeit zu bieten, sich zu lösen und der Situation relativ entspannt zu entkommen. Doch es passierte nicht. Der Yakuza ließ sich führen, sagte nichts mehr, schien genug Vertrauen zu haben, dass man ihn nicht quer über die Eisfläche zerrte und wurde schon nach einer halben Runde ‚zum Volldepp machen‘ reichlich belohnt. Belohnt mit der Stimme des Musikers, die plötzlich wie von selbst anfing zu erzählen dass Yasu mit seiner Familie früher sehr oft solche Aktivitäten unternahm. Thema Familie! Das ging schneller als gedacht - Masao konnte sein Glück kaum fassen, welcher versuchte das Gespräch am Laufen zu halten. „Dass du schwul bist weiß also keiner?“, griff er Letzteres auf und bekam große Augen geschenkt. „Doch, doch, das wissen sie alle. Aber wenn ich meinen Eltern erzählen würde dass ich meine Wohnung nicht finanzieren konnte mit dem mickrigen Gehalt von meinem Musikerdasein wären nur wieder Diskussionen von Ufergondlern aufgekommen. Muss ich nicht haben“, lachte Yasu gequält, der durch Masaos offensichtliche Verwirrung nochmals ausholte. „Es ist einfacher wenn meine Familie glaubt dass ich allein von meiner Musik leben kann.“ „Ach so.“ Nun konnte er einigermaßen folgen. „Und was ist, wenn Sie dich besuchen wollen?“ Belustigt winkte Yasu ab. „Das wird nicht passieren. Ich fahre regelmäßig zu meinen Eltern und da Sie glauben ich wohne noch in der 1-Zimmer Wohnung, sind sie nicht besonders scharf darauf mich dort zu besuchen.“ Das Auflachen klang amüsierter, doch Masao musste dranbleiben und nutzte die Chance galant. „Und deine Schwester? Ich meine, wenn du sagst, sie lädt Kisten bei dir ab?“ „Mh“, hob der Jüngere abwinkend die Hand. „Ich habe mein Auto erst verkauft, die Garage ist aber noch angemietet, weil wir den Platz wegen der Band brauchen Zwecks Instrumenten und so’n Schnulli. Jedenfalls konnte sie die Kisten dort zwischenlagern. Und seitdem das passiert ist, meldet sie sich einfach nicht mehr. Ich würde gerne meinen Schlüssel wiederhaben, allein weil das Schlagzeug von Hiroyuki noch drinsteht, aber … tja.“ Masao lachte verhalten mit verstehender Mimik. „Dann rufe sie doch an und frag nach. Oder geh zu ihr und hole den Schlüssel, ist ja dein gutes Recht.“ „Hab ich versucht, aber die Rufnummer ist nicht mehr vergeben. Ich schätze mal sie wird’s wieder verloren und gleich alles neu beantragt haben. War zumindest die letzten Male so. Na ja … und hingehen ...“ Es war ihm schon etwas peinlich in jenem Moment, aber es war nun einmal Tatsache. „Ich habe keine Ahnung wo sie wohnt. Ich weiß, dass sie aus ihrer alten Wohnung raus musste, aber wo sie dann hingezogen ist …“ Verstohlen wirkend hob der Host beide Schultern, als müsse er sich dafür entschuldigen, da Masao reichlich irritiert schien über diese Aussage. Äußerlich wirkte er sogar verblüfft, doch innerlich schlug er den Planeten Erde gerade in Zwei. Der kleine Bruder war bislang die einzige Anlaufstelle um dessen ausgefuchste Schwester zu finden! Nun kamen sie binnen weniger Minuten auf DAS Thema zu sprechen, worauf hingearbeitet wurde - und jetzt wusste der Hosenscheißer nicht wo sich das Miststück aufhielt? „Na ja, blödes Thema“, seufzte der Host aus und stellte fest, dass sich Masao längst nicht mehr klammernd an ihm festhielt, dafür eine abwinkende Geste ausübte, um das Gesagte abzuwiegeln. „Ich finde es interessant.“ „Was ist daran denn interessant? Es ist einfach nur kompliziert und bescheuert.“ „Und wenn schon. Ich bin erstaunt wie viel du reden kannst“, zwinkerte Masao. „Hey!“ Der empörte Ausruf war von ernster Natur. Trotzdem musste Yasu schmunzeln. „Dann hast du den weiblichen Touch sicher von ihr“, deutete der Ältere auf das dezent geschminkte Gesicht des Hosts, welcher sofort verneinte, gar übertrieben beidhändig abwinkte. „Eher nicht. Sie hat auch absolut kein Feeling dafür, was ihr steht und was nicht, glaubt aber immer Trendy zu sein. Furchtbar!“ Das nahm ihn wirklich mit, worüber Masao herzlich lachte. Es war der Moment, in welchem beide Gesprächspartner wussten, dass das Thema nun damit ausklingen würde, weswegen der Yakuza beabsichtigt nicht weiter nachbohrte. Es hatte ohnehin keinen Zweck – Yasu wusste nicht wo Yurika wohnte. Aber immerhin konnte Masao in Erfahrung bringen, dass die Kisten in Yasus Garage lagerten und die Schwester tatsächlich wieder das Land bewohnte. Zudem mit blonden Haaren und einen europäischen Freund. Jetzt müsste er noch herausfinden wo die Garage war, doch als Yasu wieder eine kleine Runde drehte und das Thema auf sich beruhen ließ, beschloss der Yakuza zunächst nicht weiter nachzuhaken. Er würde das noch früh genug herausbekommen, eventuell im Laufe des Tages, dann wäre der Auftrag beinahe erledigt und der peinliche Einsatz war nicht umsonst. Doch als er seufzend von seinem Gedanken absprang, um Ausschau nach dem Musiker zu halten, verspürte er plötzlich keine Eile mehr, sobald er diesen auf sich zufahren sah, mit seinem fast schon kindlich wirkenden Charakter, welchen er eben an den Tag legte. Voller Energie und völlig Sorgenlos. „Na los, Opa! Wer zu erst an der Bar ist!“ Ein provokanter Stoß in die Seite stachelte Masao an, der Aufforderung Folge zu leisten. Erstaunt darüber, wie einfach es plötzlich war sich auf Kufen fortzubewegen, als sich Yasu im nächsten Moment drehte und Rückwärts über die Eisfläche fuhr, ihm die Hände entgegenstreckend mit einem breitem Grinsen, als der nächste Song einspielte. „Ich liebe diesen Song! Lass uns tanzen!“ „Was?“ Masao lachte auf, ergriff die Hände des Anderen rein aus Reflex, als mit Verstand, und ließ sich einen Moment mitziehen, ohne weiter darüber nachzudenken. „Hier?“ „Warum nicht? Ich halte dich doch fest!“, gab der Host strahlend zurück, begann sich erneut zu drehen, worüber der Yakuza nur schmunzelte. „Ein bisschen Tricky bist du ja schon.“ „So?“, zog sich der Körper an den anderen heran. „Ist Tricky gut oder schlecht?“ Die Hand währenddessen wechselnd und die andere an der Hüfte entlangstreifend, griff er abermals um, nahm Masaos Hand und zog ihn strahlend mit sich weiter in Richtung Bar. Nicht darüber nachdenkend was er tat und warum er es tat, während ihm nicht zum ersten Mal eine Antwort verwehrt blieb mit einem einzig kessen Schmunzeln. Das Lichterspiel auf der Eisbahn in Lila, Blau und Gelb untermalte zusammen mit den Lichterkettenbesetzten Bäumen am Fahrbahnrand die Stimmung auf der gesamten Eisfläche. Die Menschen um Sie herum steckten an mit guter Laune, ihrem Lachen und ebenso missglückten Fahrversuchen und der Beginn des leichten Schneefalls gab dem Ganzen eine besondere Perfektion in jenem Augenblick. Wieder leitete Yasu eine Drehung ein, strahlte über das ganze Gesicht und begann den Song mitzusingen, während er sich in der Drehung näher an Masao heranzog, und performte, als sei der Song von ihm selbst. „When you get older Your wild heart will live for younger days Think of me if ever you're afraid." Masao klemmte verschmitzt die Unterlippe mit dem linken Schneidezahn ein, löste eine Hand von Yasu, fuhr voraus und zog ihn mit. „One day you'll leave this world behind So live a life you will remember." Erneut zog er den Älteren während der Fahrt an sich, legte beide Hände an dessen Hüfte, schob ihn rücklings vor sich her, bewegte sich dazu im Takte der Musik, als Masao Sicherheitshalber nach dessen Händen griff, ihre Finger miteinander verschränkte und sich somit schlichtweg von Yasu über das Eisfeld führen ließ. Als seien sie Jahrelang gut befreundet, gab diese Szene für Außenstehende eine sehr vertraute Verbundenheit der jungen Männer preis. Dabei waren sie Fremde. Lernten sich gerade erst kennen - und doch fühlte es sich genauso an, wie es für andere wirkte. Vertraut. Verbunden. Erneut ein magischer Moment für Yasu. „These are the nights that never die.“ Keiner der beiden dachte an später. An Morgen. An nächste Woche. „Go venture far beyond the shores. Don't forsake this life of yours. I'll guide you home no matter where you are." Sie waren hier und jetzt. Drehten sich, zogen sich gegenseitig mit, umkreisten den jeweils anderen, ließen beiderseits keine Chance ungenutzt um den anderen nahe zu kommen, ihn berühren zu können, sodass es Masao war, welcher sich hinter Yasu schob, seine Hände an dessen Hüften legte, als dieser begann zum Takte der Musik eben jene kreisen zu lassen - die Hände erhoben, schwungvolle Bewegungen ausführend, während Masao ihn vor sich herschob. An der Bar vorbei, direkt unter die winterlich geschmückte Unterführung, auf welcher ein großer Wintergarten zu Kaffee und Kuchen einlud, um das Treiben auf der Eisbahn verfolgen zu können. Große Säulen, ebenso mit Lichterketten und bunten Sternchen verziert, lockten zum Slalomfahren, welches Yasu lenkte. Schnell griff er nach Masaos Händen, zog sie nach vorn, sodass dessen Körper direkt an dem seinem lag. Der erste Protest startete. Die Hände wollten sich entziehen, doch der Host hielt daran fest, presste die Arme an seinen Körper, um ein Entkommen zu verhindern. „Hast du etwa Angst?“, lachte Yasu über die Schulter hinweg, spürte im nächsten Augenblick jedoch, wie sich Finger fest in seine Seiten krallten, versuchten, ihn zu kitzeln, zum Loslassen zu bewegen, doch mehr als ein festeres Lachen erreichte der Yakuza dadurch nicht, welcher ebenso verhalten auflachte. Er gab nicht auf, kniff etwas fester in den Stoff mit dem Ziel genügend sensible Stellen zu traktieren, um Yasu zum Loslassen zu bewegen. Der blieb jedoch eisern, wenn auch nicht mehr geradeaus fahren könnend. „Das sind echt unfaire Mittel!“, lachte er beschwerend auf, versuchte durch fest- und fernhalten zugleich ein Entkommen des anderen zu verhindern, welcher Yasu im nächsten Augenblick fest an sich drückte und sich rücklings begann mit ihm gegen eine der Säulen zu drehen. Die Kufen schlugen dumpf gegen das Mauerwerk und mit einer weichen Bewegung bettete der Rücken des Yakuza kurz darauf an dem lichterbehangenem Beton, beugte sich mit seinem Opfer nach vorn, um die empfindlichen Stellen nun besser erreichen zu können, und löste einen tiefen Fiepser nach dem nächsten aus. Von loslassen keine Spur. Yasu blieb hartnäckig, wandte sich unter der Kitzelei, versuchte die glucksenden Laute nasal zu unterbinden. Zwecklos. Sie brachen gebündelt in einem Aufschrei, gefolgt mit einem Lachanfall aus ihm heraus, worüber sich Masao köstlich amüsierte. „Oh Gott, bitte! Bitte, hör doch auuhuuf!“, flehte der Host mit Lachtränen benetzten Augen, krümmte sich nach vorn, dann wieder zurück, hielt die Hände, welche ihn so quälten fest, schüttelte den Kopf und fiepste erneut dumpf auf, sobald es von vorn begann. Masao schüttelte ebenso den Kopf, schnaufte belustigt darüber auf, zitierte das lachende Flehen, ehe er sich noch etwas mehr vorbeugte, fester versuchte zu kneifen und dabei wenige Zentimeter von der Säule weg glitt. „Wie war das? Ich verstehe dich so furchtbar schlecht.“ „Ohooo! Aufhööören, aufhören, bitte, oh- ahhh! Masaooo!“ Die Worte quälten sich regelrecht zwischen lachen und weinen aus der Kehle, während der Übeltäter dessen herzlich auflachte. „Selbstgemachtes Elend, Mausezahn“, gluckste er auf. „Du musst ja nur loslassen.“ „Ich will aber nicht!“ „Und warum nicht? Hast du angst dass ich vor dir an der Bar bin?“ Fester kniff er in die Seite, brachte alle Kraft auf, um die Hände weiter hochschieben zu können in Richtung Achseln, woraufhin Yasus Stimme rauchig versagte mit dem nächsten Lachflash, welcher schlichtweg auf Masao übersprang. Der Körper vor ihm kämpfte um Luft, kämpfte um Halt, um Beherrschung, versagte jedoch kläglich und ließ nur noch pfeifende, vom Lachen überholte Laute in den Stimmlippen erzeugen. Es klang unbeschwert, völlig frei von jeglichen Sorgen und steckte den Yakuza mit sofortiger Wirkung an. „Holst du bitte Luft?“, feixte dieser, spürte die Lockerung des Griffs, welche es ihn ermöglichen würde sich endlich der Umklammerung zu entziehen – doch er tat es nicht. Quälte Yasu weiter, schob die Hände nun unter die Achseln, löste damit eine Welle voller sinnfreien Lauten aus, sowie eine einsetzende Schwäche wegen Lachmuskel-Überstrapazierens. „Uhhuuu … aahhhh … huuuuhuuu …“, jammerte Yasu lachtrunken von sich, und endlich zeigte Masao erbarmen, als die Beine seines Vordermanns wie von selbst mit den Schlittschuhen nach vorn glitten und der Körper in seinen Armen schwerer und schwerer wurde. Er hielt ihn fest, lief Gefahr jeden Moment selbst einen kleinen Lachflash zu bekommen wegen diverser Tonlagen und Ausdehnungen, während sich Yasu mit einer Hand die Tränen von den Wangen wischte, die bereits über das Gesicht liefen. Stoßweise sog die Lunge so viel Luft auf, wie sie nur kriegen konnte, und Masao nutzte die Chance um sich von Yasu zu lösen, fuhr vor ihn mit einer ruhenden Hand an dessen Hüfte, um sich das Schauspiel vis-à-vis anzusehen. „Du blöder … blöder Kerl, man! Willst du mich umbringen?“, japste der Jüngere noch immer von Lachern geplagt auf, holte erneut tief Luft und sah mit glänzend, strahlenden Augen zu Masao auf, hielt sich mit einer Hand an dessen Mantel an der Brust fest und rutschte ihm etwas entgegen. Dieser lachte ebenso erneut auf, fuhr mit den Fingern über die erhitzte Wange, um die letzte gelöste Träne wegzuwischen und schüttelte amüsiert den Kopf. „Wäre viel zu schade drum.“ „Alter … phuuuu ey!“ Abermals lachte der Ältere nasal auf, strich den verwischten Kajal unterhalb des Augenlides weg und kniff ein letztes Mal in Yasus Seite, woraufhin ein letzter gequälter Laut über dessen Lippen kam, bevor die Töne komplett in Jammern umschwenkten. „Oh, aufhören. Bitte, bitte“, maulte er luftholend, versuchte sich gerade aufzurichten und schnaufte erneut lachend durch die Nase. „Ist mein Make-Up jetzt verwischt?“ Masao verneinte die Frage mit einem lächelnden Kopfschütteln. „Wirklich nicht? Guckst du bitte mal?“, deutete er weinerlich klingend mit dem Zeigefinger auf sein Gesicht, woraufhin der Ältere beide Hände an die Wangen legte und Yasus Kopf etwas anhob, um übertrieben prüfend die Gesichtszüge zu mustern. „Ey, ich meine das Ernst.“ „Ich auch“, schmunzelte man ihm entgegen. „Du siehst gut aus, lachen steht dir.“ Dieser Satz schmeichelte, weswegen der Blick für einen kurzen Moment auswich und auf die Bar fiel, wo sie ursprünglich hinwollten. Ein tiefer und entspannter Atemzug folgte, dann schmunzelte er wiederum Masao frech entgegen, welcher die Hände sinken ließ und ihn skeptisch beäugte, als hecke er etwas aus. „Na dann …“ Kaum zu Ende gedacht, lagen Hände flach an seiner Brust, schubsten den Körper kräftig zurück, sodass dieser ins Rudern kam, und dabei zusah, wie Yasu in Richtung Bar davon eilte. „Wuhu! Gewinner!! Gewinner!!“, riss dieser die Hände nach oben, drehte sich um, sah zu Masao, der sich so schnell nicht geschlagen gab, und seine Fährte mit energischem Kopfschütteln aufnahm. „Du kleines Biest!“ Yasu lachte auf, drehte sich wieder und fuhr unter der Überbrückung hervor, schlängelte sich an einer Gruppe ältere Herrschaften vorbei, während Masao diese auf der anderen Seite umfuhr und im letzten Moment, bevor er die hölzerne Teke erreichte, seitlich von Yasu nahezu wortwörtlich umgefahren wurde. Erneuter Klammergriff, erneut drehten sie sich. Diesmal ungeplant und so fand Masaos Rücken unsanft Platz an der ebenso hölzernen Barwand. Unschuldig und überrascht zugleich blickten ihn zwei treudoofe Augen entgegen, mit einem Grinsen untermalt, welches für zwei Gesichter ausreichte, als der Jüngere einen Fuß offensichtlich ausstreckte und damit die Teke berührte. „Gewonnen“, grinste er über beide Wangen hinweg, entlockte dem Yakuza ein Augenrollen, welcher ohne große Umwege eine Hand hob und mit einem Finger direkt über das Augenlid des Hosts strich und somit den Kajal erweiterte mit einem ebenso breitem Schmunzeln. Yasu löste sich daraufhin und riss den Mund weit auf. „Alter! Das hast du nicht gemacht!“ Oh doch. Rache war bekanntlich süß, was diesmal wortwörtlich zutraf, wie der Yakuza lachend feststellte. „Wieso schminkst du dich überhaupt? Ohne Farbe sieht das Gesicht auch nicht schlecht aus.“ Mit diesen Worten schob er sich zur Bar hinüber, gefolgt von der Lachmaus, die wiederum damit beschäftigt war sich blind den verwischten Lidstrich zu beseitigen, und noch empörter schien, als eben zuvor. „Was heißt hier ‚auch nicht schlecht‘? Also, sag mal!“ Masao lehnte sich an die Bar, zückte sein Portemonnaie und besah sich die mit Kreide beschrifteten Tafeln. Seiner Begleitung blieb er eine schmunzelnde Antwort schuldig, als jener die Hand mit der Geldbörse nach unten drückte mit einem noch immer empörtem Gesichtsausdruck. „Ne, ne, warte. Ich bezahle das“, bestand Yasu. Doch kaum war dessen Geldbörse zum Vorschein gekommen, entwendete Masao sie mit einem schnellen Handgriff und zwinkerte ihm kess entgegen. „Ich habe dich eingeladen, schon vergessen?“ „Zum Schlittschuhlaufen, ja. Aber ich möchte bitte die Getränke bezahlen.“ „Steck das Geld lieber in die Bandkasse.“ „Aber-“ „Yasu.“ Ein befehlender, aber doch sehr liebevoller Ton, gefolgt von einem gleichendem Blick, ließen das Herz des Jüngeren wie aus dem nichts aufflattern und eine angenehme Wärme in ihm aufsteigen. Konnte das denn alles wahr sein? Passierte es wirklich? „Hier.“ Yasu blickte auf einen dampfenden Glühwein, sowie einen schokolierten Crêpes, nahm beides mit Verzögerung entgegen und folgte mit den Augen dem angedeuteten Nicken seines Gegenübers zu einer beheizten Sitzgruppe. Allerdings blieb der Host stehen. „Was ist das?“ „Wie bitte?“ Skeptisch hinterfragend blickte Masao ihn entgegen und blieb ebenso stehen. „Das hier“, hob jener die Süßigkeit an, und um Masao nicht gänzlich zu verwirren und in Glauben zu setzen er besitze hochgradige Bildungslücken, setzte er sogleich fort. „Von Getränken war die Rede, nicht von Essen. Was ist außerdem, wenn mir das nicht schmeckt?“ Es ging also um das Prinzip, worüber sich der Ältere nur erneut amüsierte und die Schultern hob. „Du bist doch ein Süßmaul. Wird deinem Zuckerhaushalt nicht schaden, ansonsten … gib her.“ „Aber- Nö!“, zog er, sich selbst unterbrechend, den Crepes sofort zurück, als Masao danach griff. „Trotzdem, ich wi-“ „Papperlapapp“, fuhr die Stimme des Schönlings ihm über die Lippen. „Los, beweg deinen Arsch“, nickte er erneut in Richtung Sitzecke mit einem diversen Unterton, welcher schier keine Wiederrede duldete. Das Gekaufte und Gesagte war anzunehmen. Basta und aus. Wie sollte er mit so einem Typen keine Zukunftspläne basteln? Er wurde mit jedem Mal perfekter und perfekter! Die Luftschlösser schossen wie Maulwurfshügel aus der Erde, er konnte nichts dagegen tun. Mittlerweile musste er sogar schon anbauen! Seufzend über diese Gedanken ließ sich der Körper schwer auf die Holzbank am Fahrbahnrand sinken – dabei das Augenmerk skeptisch auf den Crêpes gerichtet. „War das jetzt alte Schule, oder warum bestehst du darauf zu bezahlen?“ „Kannst du dir raussuchen.“ So, konnte er das also? Yasu murrte zunächst, als er von der süßen Teigware abbiss und nahezu verstohlen über den Tisch hinweg zu seinem Zyklopen sah. „Versteh` die Frage nicht falsch, aber … das hier. Also das Eislaufen, das gehört nicht zur Buchung dazu.“ Masao blickte auf, wartete offensichtlich auf eine Weitererzählung, weswegen Yasu fortfuhr. „Das hier ist privat. Du hast mich lediglich die kompletten Abende und Nächte gebucht. Das eine hat mit dem anderen irgendwie also … nichts zu tun …“ Vollkommen unbeeindruckt davon, als sprechen sie zweierlei Japanisch, hob Masao die Schultern, während er den dampfenden Becher abstellte und über den Tisch hinwegsah. „Mhm. Wo genau war jetzt die Frage?“ „Na, ob du das weißt?“ „Dass ich dich ausgebucht habe?“ Er stellte sich, offensichtlich für beide, dumm. „Nein“, murrte der Jüngere auf, bekam Ego-Probleme, wie er feststellte. „Dass das hier nicht zur Buchung gehört. Ich könnte jetzt auch einfach gehen und ins Studio fahren. Oder dich komplett links liegen lassen. Vielleicht mir auch selbst etwas kaufen oder mit dem Typen da drüben an der Bar flirten.“ Der Ältere nickte nach wie vor unbeeindruckt und pustete den Dampf über den Becherrand hinweg. „Könntest du.“ „…“ Ja, könnte er! Und es wäre Masao egal? „Hast du etwa ein Problem damit, weil ich das jetzt bezahlt habe?“ „Etwas“, entwich ein Geständnis. „Immerhin bin ich auch ein Mann und nicht völlig Mittellos, auch wenn offensichtlich ist, dass du von uns beiden mehr verdienst.“ „Du kannst das Geld gut gebrauchen, oder nicht?“ „Natürlich. Aber darum geht`s nicht.“ „Ich weiß“, zwinkerte Masao über den Becherrand hinweg. „Deswegen solltest du deinem Ego mal schöne Grüße ausrichten und nachfragen, ob es denn Sinn macht für mich etwas mit zu bezahlen, wo ich dir doch dein nächstes Monatseinkommen im Club finanziere.“ Das saß! Irgendwie beschämte es den Host, was dem Yakuza nicht entging, weswegen ein hörbares Seufzen über den Tisch glitt. „Yasu?“ Er fing seinen Blick ein. „Ich weiß, dass das nicht zur Buchung gehört, okay? Ich sagte bereits am Telefon, dass ich mir darüber im Klaren bin, dass das hier privat ist, schon vergessen? Ich weiß auch ganz genau dass es untersagt ist, sich privat mit Kunden zu treffen, deswegen wirst du nachher auch von meinem Fahrer zurückgebracht und ich werde später nachkommen – sofern du mich dann noch in Empfang nehmen möchtest.“ Ein kesses Zwinkern folgte, bevor der Yakuza ernster dreinblickte und sich zurücklehnte. „Pass mal auf. Sinn und Zweck der ganzen Sache war, dich einfach mal aus deinem Alltagstrott herauszuholen und dir eine finanzielle Absicherung zu bieten in den nächsten Wochen, dass du hier oben etwas Luft bekommst.“ Ein Zeigefinger deutete auf seinen Kopf. „Ich kenne dich zwar noch nicht lange, aber bei dir scheint ziemlich viel los zu sein. Und es wäre zur Abwechslung mal nice, wenn du mir weder umkippst, noch Panik schiebst, oder rotzen voll einfach einpennst irgendwann.“ Nice … Wie ein kleines Kind sank sein Gegenüber immer tiefer. Schämte sich in Grund und Boden, wollte am liebsten darunter verschwinden und nie wieder auftauchen, während ein Daumen eine Ecke des Crêpes mit kreisenden Bewegungen am Zeigefinger zermalte. Hitze kroch über die Ohren, in die Wangen, bis schließlich ein heiseres „Tut mir leid“ über die Lippen glitt. „Was tut dir leid?“, wurde jedoch die Gegenfrage gestellt, und stirnrunzelnd sah der Jüngere auf. Was ihm leid tat? Masao war unzufrieden mit seiner Leistung! Stand nicht auf Mimosen! Und außerdem wo- „Du bist doch normalerweise kein ‚es tut mir leid Typ‘, wenn ich dich richtig einschätze. Mal davon abgesehen, scheinst du meinen Wink nicht zu verstehen.“ Welcher Wink denn? „Hach Gottchen …“ Masao fuhr sich mit der Hand über die Stirn, schien ernsthaft verzweifelt, lächelte Yasu jedoch im nächsten Moment sanft entgegen. „Ich will dir doch nur sagen, dass du mir, egal was es ist und wie lächerlich es dir vorkommen mag, Bescheid geben kannst. Sag mir doch einfach wenn du merkst, dass du Unterzuckerst. Sag mir einfach dass du Schmerzen hast und sauf sie nicht hirnlos weg. Und wenn du dich unwohl fühlst, weil du meinst jemand stellt dir nach, dann sag’s doch einfach und dreh nicht am Rad. Was meinst du denn, wieso ich die Monatsbuchung erst heute nutze, und nicht schon von Tag eins an, und wieso glaubst du denn, sind wir hier?“ Der Blick hob sich abermals, doch Worte blieben ungeformt. „Dass du mal zur Ruhe kommst. Ich habe dir letztens gesagt, dass ich in den Wochen, als wir uns nicht gesehen haben Zeit hatte mich mit Kenta zu unterhalten. Ich wüsste also noch immer nicht, dass du eine chronische Entzündung hast, die deinen Unterzucker begünstigt, weil du wiederum wohl der Meinung bist, dass kein Schwein einen ‚kranken Jungen‘ haben möchte. Ich weiß ja nicht was genau dir schon wiederfahren ist dass du so denkst, aber ich verlange ab sofort von dir, dass du mir solche Sachen mitteilst. Das ist nicht nur für mich einfacher, um richtig zu reagieren, sondern auch viel entlastender für dich.“ Yasu konnte nach all den Worten nur schwer seufzen, wurde wehmütig und umklammerte seinen heißen Becher mit beiden Händen. Es ging im Grunde doch nur darum, was der Zyklop für sein Geld bekäme. Wie viel Freude ihm das Spielzeug bereitete. Ein kaputtes Spielzeug wurde repariert - ein kaputter Host bearbeitet. Trotzdem brannte die Frage nach dem ‚Warum‘ in ihm, welche schneller über die Lippen glitt, als gewollt. „Aber, warum? Ich mein … warum tust und willst du das alles?“ Masao lächelte. „Weil du mir gefällst?“ Beabsichtigt eine rhetorisch, gewitzte Frage und auch Yasu schmunzelte für einen Moment, schüttelte jedoch anschließend den Kopf, um das Thema ruhen zu lassen. Die Dinge so nehmen, wie sie waren, hatte Masao letztens zu ihm gesagt. Vielleicht sollte er sich daran festhalten und diese Zeit genießen, wie es wiederum auch Kenta sagte heute Mittag. Doch er stellte fest, dass das gar nicht so einfach war. Dinge einfach so hinzunehmen. Das Hirn plapperte einfach weiter und weiter, dachte sich Fragen aus und wollte Antworten darauf. Dabei war es sinnlos. Es war sinnlos sich über jede Kleinigkeit den Kopf zu zerbrechen! Wo hatte man nur den Standby Schalter eingebaut im menschlichen Körper? Wo? „Es ist mein Ernst, Yasu.“ Erneut sah der Angesprochene zu seinem Gegenüber, fuhr mit der Kuppe des Daumens über den Becher und seufzte mimend abwinkend. Das ließ der Yakuza allerdings nicht gelten und sprach weiter. Denn Dinge mussten an-, und ausgesprochen werden, wenn sie in irgendeiner Form belasteten. „Sieh es mal so. Ich habe die Mittel dich finanziell zu unterstützen, was mein Konto nicht einmal am kleinen Zeh kitzelt, bekomme Unterhaltung und Abwechslung - wieso sollte ich es dann nicht tun? Davon abgesehen bin ich ja wohl der Ältere von uns beiden, richtig?“ Ein Nicken folgte. „Dann liegt es sowieso auf der Hand, wer von uns in die Taschen greift.“ „…“ Worüber sprachen sie denn jetzt eigentlich? „Noch immer nicht genug?“ „Nein, nein. Es ist nur … Mich überrumpelt das alles etwas, weil das noch nie jemand getan hat und ich suche gerne plausible Erklärungen und Antworten auf alles und jeden.“ Er hob die Schultern. „Ich habe manchmal zu viel weibliche Hormone in mir, ich habe noch nicht rausgefunden, wie man die abstellt. Und wenn ich es wüsste, hätte ich Angst, dass mir ein Bart wächst.“ Ein kläglicher Versuch witzig zu sein. Masao lachte dennoch kopfschüttelnd, trank von seinem Glühwein und musterte den Host amüsiert, welcher abermals schwer seufzte. „Andere haben das bestimmt hingenommen und sich einfach darüber gefreut, hm?“ „Andere?“ Die Brauen hoben sich, die Lippen pusteten den Dampf über den Becherrand hinweg. „Ja.“ Verstohlen wich das Augenpaar dem Blick aus, als würden sie das Gesagte selbst nicht unterstützen, woraufhin der Ältere nur wiederholt auflachte. „Es gibt keine Anderen. Anscheinend habe ich mich am ersten Abend mit mir selbst unterhalten, kann das sein?“ Nach wie vor herrschte ein amüsierter Gesichtsausdruck auf seinen Zügen, während Yasu die Stirn runzelte und eine Aussage verweigerte, indem er demonstrativ von seinem Glühwein trank. „Ist nicht dein Ernst?“ Wieder lachte Masao. „Ich habe das noch nie gemacht. Weder in einem Hostclub, noch anderswo. Wenn du allerdings Beziehungen meinst, dann, ja, natürlich habe ich da finanziell mehr eingesetzt, als es vielleicht üblich ist.“ Wage erinnerte sich Yasu an ihren ersten Abend. Sie haben viel geredet – eigentlich hat Masao viel erzählt, und ja, er klärte ihn dabei auch auf, wie er überhaupt auf den Hostclub kam und dass er das einmal ausprobieren wollte. In der ganzen Aufregung gingen diese kleinen Details bei Yasu vollkommen unter, denn die Euphorie von ihrer ersten Begegnung durchflutete ihn heute noch schubweise, wenn er daran dachte. Es war magisch. Dieser ganze Mann war magisch! „Wenn’s dich beruhigt – im Gegensatz zu dir, bevorzuge ich Monogamie, wenn sich ein hübsches Lämmchen auf meiner Weide verirrt.“ „Unterstell‘ mir doch nichts!“, empörte sich Yasu gespielt mit einem Schmunzeln. „Wenn ich einen Hirten hätte, würde ich die Arbeit im Club sofort ruhen lassen.“ „Und stattdessen?“ Yasu hob die Schultern, dann die Hand und winkte ab. „Ach, weißt du, ehrlich gesagt, bis das passiert, hoffe ich eigentlich längst mit der Band einen Schritt weiter zu sein und allein davon leben zu können.“ Masao ließ dies unkommentiert, lehnte sich zurück, um seine Schachtel Zigaretten hervorzuholen, als diese einen Augenblick später unvorhergesehen in den schlanken Fingern des Hosts lag. Jener wippte herausfordernd mit den Brauen und fischte anschließend nach der eigenen Schachtel, um sie Masao entgegen zu halten, welcher sofort verstand und belustigt die Lippen aufeinanderpresste. „Soll ich dein Ego ein bisschen streicheln, ja?“ „Ich bitte sehr stark darum.“ Ein kräftiges Nicken unterstützte die Aussage deutlich und Masao konnte nicht anders, als wieder einmal zu lachen und sich eine Zigarette zu entnehmen. . . . Die Dämmerung brach herein. Nach endlos langen Reden und zahlreichen Runden stand der Host am Rande der Fahrbahn und beobachtete seinen Finanzminister dabei, wie er sich gemächlich auf den Weg zu ihn machte, während er telefonierte. Die Zeit nutzte der Host um Kenta eine Nachricht zu schreiben - dass alles in Ordnung sei und er in einer Stunde zurück im Club wäre. „Eine heiße Schokolade wäre dann super ;*“, tippte er als Abschluss mit einem zufriedenem Schmunzeln auf den Zügen und atmete befreit die kalte Abendluft ein. Der Ausflug erbrachte nicht nur die nötige Abwechslung, sondern öffnete dem Host auch ein wenig die Augen. Nicht zuletzt durch den Mann, welcher ihn hier her, und zum Reden brachte. Weil er ihm gefiel. In welcher Art und Weise diese Aussage zu verstehen war wollte nicht weiter bedacht werden. Es war egal. Vollkommen egal, denn ganz sicher war, dass dahinter kein ausgereifter Plan stecken könnte, weswegen der Musiker glaubte, der glücklichste Mensch auf diesen Planeten zu sein. Ja. Yasu war glücklich. Alles in ihm fühlte sich so leicht an. Sein Geist, seine Seele, sein Körper – einfach alles fühlte sich wohl, war im Einklang und wurde mit dem nächsten Wimpernschlag wie von einem plötzlichen Erdbeben erschüttert. Das Handy in die Manteltasche geschoben, hob er den Blick, um nach Masao zu sehen, welcher noch immer telefonierte – gar stehen blieb und verärgert schien. Das Blödeste was er tun konnte in jenem Moment. Schnell machte Yasu in Anbetracht dessen kehrt, versuchte den anderen zu warnen, als er vorhersah, was offensichtlich passieren würde. „VORSICHT! Passt doch auf!“, mahnte die Stimme zunächst die Fremden, die ihre Umwelt augenscheinlich ausblendeten. „Masao! Masao, pass auf! Geh weg! Hör auf zu telefonieren, verdammt! GEH DOCH WEG!“ Doch zu spät. In jenem Moment, als der Yakuza auf den Tumult um sich herum Aufmerksam wurde und den Blick hob, durchzog den Körper ein kräftiger Ruck und schlug mit einem schmerzlich dumpfen Laut auf der Eisfläche auf. Binnen Sekunden wandelte sich die Dämmerung dadurch in totale Finsternis. Für beide. *** „Tagebuch! Google bitte erste Hilfe, habe Blackout! Yasu” *** „IHR VOLLIDIOTEN!“ ---------------- Next? ---------------- Kapitel 5: Dein Weibchen hat sich hingelegt. Monatsblutungen, du verstehst? --------------------------------------------------------------------------- Kapitel 6 – Dein Weibchen hat sich hingelegt. Monatsblutungen, du verstehst? ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- 31.03.2016 – 18.10.2016 Auftragsnummer YT1985M Gedankenverloren starrte das Augenpaar des Hosts die dampfende Tasse in seinen Händen an, von welcher angenehm sanfter Kakaoduft emporstieg. Beobachtet von den Augen des Barkeepers, welcher die Theke putzte, Gläser sortierte und nun beschloss den sechzehnten und damit letzten Versuch zu starten, dem Häufchen Elend an der Bar alles aus der Nase herauszuziehen. Mit einem Räuspern wurde der Versuch eingeleitet, um auf sich Aufmerksam zu machen, doch schon allein ein wirklich übertriebenes Hüsteln erzielte nicht den gewünschten Effekt und ließ ihn entnervt aufschnauben. Mit einem lautem Scharren schob er das letzte polierte Glas über den Glasboden der Vitrine an Ort und Stelle, warf das Geschirrtuch über die linke Schulter und stützte sich beidhändig auf dem Tresen ab. „Okay, pass auf“, begann die Stimme ungeduldig. „Es gibt jetzt exakt zwei Möglichkeiten für dich. Die Erste wäre, du nimmst deine Tasse und verziehst dich auf dein Zimmer, weil ich dein '7-Tage-Regenwetter-mit-ausgereifter-Schweigestunde-Gesicht' hier nicht mehr sehen will, oder!“, drohte der erhobene Zeigefinger, zugleich mit weit vor lehnendem Oberkörper. „Du sagst mir jetzt endlich was los war, verdammt nochmal!“ Abwartend tippte die Kuppe des Fingers auf das Holz, wurde schneller im Takt, bis er an der Kante der Oberfläche ruhte und das Augenpaar das des Gegenüber so penetrant anstarrte, dass dieser gezwungen sein musste, gleich zu sprechen. Theoretisch. Praktisch hing der Jüngere auf seinem Barhocker und starrte stumpfsinnig vor sich her, weswegen Kenta sich überfordert das Haar raufte und anschließend händeringend gen Zimmerdecke sah. „Oh Herr!“, stieß die Kehle zu tiefst verzweifelt hervor. „Ich bitte dich inständig, gib ihm wieder Hirn und Sprache!“ Seit einer Stunde versuchte er den Host zum Reden zu bewegen, welcher wie ein Trauerkloß durch die Tür des Clubs hereinkam, sich niedergeschlagen an die Bar setzte und dort noch immer in der selben Verfassung saß, ohne auch nur ein vernünftiges Wort zustande gebracht zu haben. Stimmhaft seufzend ließ der Barkeeper die Hände über diese Erkenntnis resignierend sinken. „Ich verstehe es nicht. Deine Nachricht klang gut gelaunt, ich dachte du kommst hier an mit einem Strahlen, welches jeden Weltrekord schlägt, und jetzt sitzt du hier seit knapp einer Stunde und hast noch keinen Ton von dir gegeben, außer einem 'haaach' und 'hmm'“, äffte Kenta ihn nach, weil er langsam aber sicher die Geduld verlor. Der Bargast ließ jedoch exakt diesen Laut erneut von sich hören nach der Rede seines Freundes, der daraufhin murrend mit den Augen rollte. „Mein aller liebster schwuler Freund, wie alt bitte, denkst du, bist du gerade? Acht? Vier? Vielleicht auch bockige Vierzehn? Das ist doch jetzt nicht dein Ernst! Ich meine, wie lange kennen wir uns jetzt? Lange genug zumindest, dass ich sehr gut einschätzen kann, warum du schweigend hier sitzt, anstatt nach oben zu gehen, würdest du nicht reden wollen. Also? Hat er dich stehen lassen, und dir ist das jetzt peinlich, weil ich mal wieder Recht hatte damit dass du dich nicht schon wieder so festklammern sollst? Oder was ist passiert? Was hat er getan dass du jetzt Gesellschaft brauchst, aber nicht reden möchtest, hn?“ Wie eine Mutti stemmte der junge Mann beide Hände in die Hüfte und wartete solange auf Antwort, bis er sie bekäme, während das Augenpaar den Host fixierte. Es würde ihn irgendwann nerven. Es würde ihn irgendwann stören. Bald. Gleich. Ganz bestimmt! In den ersten Sekunden passierte allerdings rein gar nichts. Weder schien es Yasu zu stören, noch war er genervt von den unzähligen Versuchen seines Freundes, ihn aus der Reserve zu locken. Trotzdem schaffte es Kenta unbewusst dem Luftschloss-Baumeister ein niedergeschlagenes Kopfschütteln zu entlocken. „Hat er nicht.“ „Nh? Wie, was 'hat er nicht'?“ Kentas Augenbrauen hoben sich überrascht, als er es sogar schaffte des anderen Blick von der Tasse zu reißen, indem dieser zu ihm aufblickte. „Er hat mich nicht stehen lassen. Es war alles … es war alles ganz wunderbar“, nickte Yasu die eigenen Worte ab, um sich selbst nochmals gut zuzusprechen. Dem Keeper fielen bei diesen Worten jedoch sinngemäß die Augen aus den Höhlen, sodass ihm für kurze Zeit nicht einmal ein kleiner Laut entwich - so sehr überwog die überfahrene Situation das Gemüt. Ganz wunderbar. Es war also 'ganz wunderbar'? Einen Moment lang beobachtete der Barkeeper weiterhin das Elend an seinem Tresen, welches in seine mittlerweile dritte Tasse Kakao starrte und schnaufte darüber erneut auf. Jetzt war endgültig Schluss! Ohne auf das Gesagte einzugehen verließ Kenta die Bar, machte auf den Absatz kehrt und ließ den wieder vor sich hin starrenden Host eine Weile zurück, welcher sich nichts weiter dabei dachte. Vielmehr zerbrach er sich den Kopf darüber, was da eigentlich passiert war am Nachmittag. Es ließ ihm einfach keine Ruhe, sodass er nicht bewusst wahrnahm, wie lange er Mutterseelen allein in sein Getränk starrte, und schier darin versank. So tief, dass das Zurückkommen des Anderen unbemerkt blieb, welcher aus dem Hinterraum trat, die Brille altklug auf die Nasenspitze schob und seine schwersten Geschütze aufzog. „Wunderbar … wunderbar … wunderbar ...“, murmelte die Stimme konzentriert vor sich her und lenkte den Blick des Musikers damit auf sich, dessen Stirn sich beim Anbetracht des plötzlich intellektuellen Keepers in Falten legte. Dieser stand mit einem Duden auf der Handinnenfläche liegend hinter seinem Tresen und blätterte mit Finger anfeuchten solange altklug wirkend darin, bis er schließlich die gesuchte Definition des gemurmelten Wortes fand. „Ah!“ Der Fund entlockte einen tiefen, aber erfreuten Laut und die Brauen, sowie das Augenpaar, erhoben sich samt Zeigefinger, um Yasu zu verdeutlichen genau zuzuhören. „Ich hab's“, tippte er nickend den Begriff auf Seite 534 an und räusperte sich verhalten. „Wunderbar!“, stieß er von sich, trat dabei näher auf den Host zu, der immer noch die Stirn in Falten legte und räusperte sich erneut. „Ich zitiere: Wie ein Wunder erscheinend. Emotional gesehen, überaus schön, gut und deshalb Bewunderung, Entzücken oder Ähnliches hervorrufend. Umgangssprachlich betrachtet, in beeindruckender, Entzücken oder Ähnlich hervorrufender Weise!" Mit einem lauten Paff, klappte der intellektuell gewordene Barkeeper den Duden mit einer Hand zu, verweilte in seiner Position, bevor Grammatik und Co mit einem ebenso lauten Dämpfer auf dem Tresen landeten. Wenigstens begann das Elend darüber zu schmunzeln. „Du bist unglaublich bescheuert Kenta, weißt du das?“ „Und du bist weder entzückt, noch beeindruckt, oder Sonstiges was deine Beschreibung von 'ganz wunderbar' auch nur annähernd glaubwürdig erscheinen ließe.“ Er zog die Brille von der Nase, fuhr sich seufzend mit einem Kopfschütteln über das Gesicht. „Man, Yasu! Ganz ehrlich, erst drehst du dir vor Freude einen Eisprung raus, und dann hör ich nur kurz und knapp, dass es toll war und sonst … nichts? Einfach mal gar nichts? Warte, ich hole einen Spiegel, okay? Dann kannst du dich mal bitte ansehen und mi-“ „Masao musste ärztlich versorgt werden“, fuhr Yasu niedergeschlagen dazwischen, während die Daumenkuppe über das Porzellan strich unter Beobachtung des eigenen Blickes. „Uff, was? Ist also doch Etwas passiert? Warum sagst du das nicht gleich? Ist es sehr schlimm, ist er im Krankenhaus?“ Der Gefragte schüttelte den Kopf. „Er kommt später eigentlich noch her. Glaube ich ...“, murmelte er schulterzuckend, recht monoton klingend und umgriff die nur noch lauwarme Tasse fest, als er bei Kentas Faustschlag auf die Holzplatte zusammen zuckte und wieder aufsah. „Junge, ich zieh dir gleich was über den Schädel. Bilde ganze Sätze und lass dir jetzt nicht weiter alles aus der Nase ziehen! Man!“ „Ja, man!“, echote der Musiker giftig zurück. „Ich weiß nicht ob das richtig ist, okay?!“, fauchte Yasu seinem Gegenüber entgegen, der nur die Stirn runzelte und übertrieben unverstanden den Kopf schüttelte. Ganze Sätze! Subjekt, Objekt, Prädikat – aneinandergereihte Worte die Erläuterungen beinhalteten! War das denn zu viel verlangt? „Es war alles in Ordnung“, setzte Yasu in Anbetracht dessen mit gesenktem Blick fort, nachdem er der Musterung Kentas nicht standhielt. „Es war sogar … ich weiß nicht, es war einfach perfekt, es war tatsächlich wunderbar, verstehst du? Aber kurz bevor wir gehen wollten, sind zwei Hockeyspieler in Masao reingezogen und haben ihn umgenietet. Na ja … zumindest einer von den beiden. Ich dachte die haben sich alle Knochen gebrochen. Masao ist dann auch erst gar nicht aufgestanden und lag da wie … ja … überfahren eben.“ Er blickte auf, hob die Schultern unbeholfen und seufzte schwer. „Blutende Nase, total weggetreten“, hob er die Hand, um es mit Gestik zu untermalen, schüttelte angewidert wegen der Szene den Kopf, als er zurückdachte und lehnte sich nun minimal seufzend zurück. Bis dahin war alles … ganz wunderbar. * * * Rückblick Zu ulkig sah der Zusammenstoß aus, zu böse klang jedoch die dazugehörige Geräuschkulisse. Schaulustige Gäste blieben stehen, warfen verärgerte Kommentare in die Szene, schüttelten unverstanden den Kopf und hatten es Teilweise kommen sehen. So entstand binnen Sekunden eine große Menschentraube, in welcher das Gemurmel und Geplapper alles andere völlig übertönte – auch Yasus Gedanken, die lauter nicht sein konnten. Sie schienen im Sumpf der Meute unterzugehen und das logische Denken auszuschalten, sowie alle mechanischen Körperprozesse zu stoppen. „Das gibt es doch nicht!“ „Ihr Rüpel! Rauswerfen sollte man euch!“ „Ich habe vorhin schon gesagt, dass da noch etwas passiert!“ „Oh nein, er blutet!“ „Er bewegt sich nicht!“ Bei all den Worten stieg die Sorge, als der Host bemerkte dass sich Masao nicht bewegte, während sich der Hockeyspieler längst sammelte und fluchend aufrichtete. Doch Masao tat es ihm auch eine Minute später nicht gleich, was Yasus Körperprozesse binnen Sekunden zum Neustart veranlasste. Gedanken. Gefühle. Impulse. Reaktionen. „Scheiße!“, zischte er aufgebracht, setzte sich in Bewegung und drängte sich durch die Menschenmenge, die immer dichter beisammen rückte, um neugierig zu gucken und mit Vermutungen um sich zu werfen. Wütend darüber schüttelte der Musiker den Kopf, stieß einigen etwas unsanfter in die Seite und ließ sich auf den letzten Zentimetern auf die Knie sinken um zu seinen Finanz-Minister zu rutschte mit letztem Schwung. Hastig überblickte das Augenpaar Masaos Erscheinungsbild, doch außer einer augenscheinlichen Bewusstlosigkeit, sowie die offensichtlich blutende Nase, konnte er nichts feststellen. „Masao? Hey, Masao, hörst du mich?“ Keine Reaktion. Unkontrolliert hob Yasu den Kopf, blickte von links, nach rechts, legte eine Hand vorsichtig auf Masaos Schulter, um eine Art Verbindung herzustellen. „Hat jemand ein Taschentuch? Irgendetwas?“, fragte er in die Runde, als sich der Rowdy über sie beugte und fragte, was los sei. „Das siehst du doch!“, fauchte Yasu diesen an. „Seid ihr eigentlich noch ganz dicht, oder was?!“ „Reg dich ab, man, war keine Absicht, okay?“ „Was steht der auch mitten im Weg? Man soll nicht stehen bleiben auf der Bahn!“, beschwerte sich dessen Kumpel, der sogleich kräftig Widerpart zu spüren bekam von all den Menschen, welche sich mehr und mehr wie lästige Klofliegen um sie sammelten. „Lebt er noch?“ „Was hat er denn?“ „Was ist denn passiert?“ „Ihgitt, da ist ja überall Blut!“ Wie betäubt nahm der Host ein gereichtes Taschentuch entgegen, versuchte mit aller Vorsicht mit seinen plötzlich zitternden Händen das Blut abzutupfen, welches regelrecht floss wie zäh angerührtes Puddingpulver. Übelkeit mengte sich zu seiner Gefühlslage, während er mit jeder Sekunde hoffte, dass Masao endlich die Augen öffnen würde. Aber er tat es nicht. Er tat es einfach nicht, lag wortwörtlich erschlagen vor ihm auf der kalten Eisfläche. Blass, mit Blut benetzt und zeigte keinerlei Reaktion. Der sonst so anmutig wirkende Zyklop wirkte plötzlich so zerbrechlich und die aufkommende Hilflosigkeit, welche in Yasu empor kroch, schnürte ihn quälend langsam die Kehle zu. Die ganzen Leute heizten das Gemüt unnötigerweise auf, ließen ihn noch mehr erzittern, noch nervöser werden, keinen klaren Gedanken mehr fassen. Sie starrten, beobachteten, tratschten. Erwarteten wahrscheinlich eine sinnvolle Handlung, erreichten aber mit ihrer purer Anwesenheit genau das Gegenteil. Hart schluckend starrte Yasu einen Moment lang auf den leblosen Körper hinab und versuchte sich zu beruhigen - doch gelingen wollte es keineswegs. Gedanken über Gedanken bäumten sich übereinander lagernd auf, welche den Geist lähmten, sodass der Host nicht einmal bemerkte, wie sein Körper ganz automatisch handelte und ebenso die Umwelt ausblendete. So legte er Masao in die stabile Seitenlage, fragte nach einem weiteren Taschentuch und ob sich jemand darum kümmern konnte, dass sie professionelle Hilfe bekämen. Er handelte wie ein programmierter Roboter Schritt für Schritt einer ersten Hilfe Leistung ab und fühlte sich dabei dennoch wie ein totaler Versager. Er brachte die Laufnase nicht zum Stillstand, geschweige denn den Verletzten dazu, wenigstens die Augen zu öffnen. Diese wunderbar schön dunkle Augen … „Ist bestimmt der Kreislauf, wenn er eins auf die Nase bekommen hat, bleib ganz ruhig.“ Langsam hob der Host den Blick, um in das freundliche Gesicht einer Frau zu blicken, welche sich zu ihm kniete und sich seinen Zyklopen besah. „Wir bringen ihn gleich hier runter, und dann wird ihm geholfen. Mach dir keine Sorgen“, legte sie eine Hand beruhigend auf Yasus Schulter, welcher nicht merkte, wie sehr sein Leib vor Anspannung zitterte und mit welch großen Augen er sein Unfallopfer anstarrte. Ein seichtes Nicken kam zustande, während das Augenpaar die Hand verfolgte, welche nach Masaos Atmung fühlte und ihm anschließend das Haar aus der Stirn strich. „Das wird schon wieder.“ . . . Wie ein begossener Pudel saß Yasu eine halbe Stunde später in einem Vorzimmer, während man Masao in einem der Nebenzimmer behandelte und starrte ins Leere. Die Ohren blieben konzentriert lauschend auf Empfang, um immer wieder Geräusche oder Wortfetzen hinter der alten und abgenutzten Holztür entschlüsseln zu können, während sich die Finger, unruhig ablenkend für den Geist, durch den Stoff des Mantels drückten, kneteten und zwirbelten. Hauptsache etwas zu tun. Dumpf ließ er den Kopf nach hinten an die Wand sinken, holte tief Luft, schloss für einen Moment die Augen. Es roch nach altem Holz und abgenutztem Teppichboden. Die Wände waren rissig und mit längst überholten Gemälden geschmückt. Generell fühlte man sich an diesem Ort in eine andere, vergessene Zeit zurück versetzt - ganz anders, als auf der schön geschmückten Eiskunstanlage, welche nun von Hockeyspielern und Zyklopen bereinigt war. Sie hatten Glück dass es sich bei der jungen Frau um eine Arzthelferin handelte, die sich den Unglücksraben annahm. Doch der junge Mann machte schon nach wenigen Minuten einen mobilen Eindruck auf die Frau, sodass sie nichts weiter tat, außer ihn darum zu bitten noch 20 Minuten liegen zu bleiben und dennoch die Tage zur Sicherheit einen Arztbesuch vorzunehmen. „Wegen einer blutenden Nase schicken sie mich zum Arzt?“, meinte Masao überheblich, nachdem sie ihn erst versorgte und den erste Hilfe Kasten der Eiskunstanlage weitestgehend wieder einräumte, als ihr Blick skeptisch zu den jungen Mann hinüber fiel. „Nein, ich bitte Sie nur darum. Was sie daraus machen ist natürlich Ihnen überlassen“, antwortete sie kokett, aber höflich und schloss den Koffer ähnlichen Behälter schließlich. „Ihre Schleimhäute sind massiv gereizt und rissig. Zudem dauerte die Ohnmacht ungewöhnlich lange, wofür Sie jetzt wiederum viel zu schnell erholt wirken und ihre Pupillen sind auch vergrößert, reagieren aber normal. Und das beunruhigt Sie keineswegs?“ „Ist nichts Neues, nein“, beschwichtigte der Patient gähnend mit einem Abwinken. „Das ist schon seit ein paar Jahren so.“ Masao lachte verhalten überheblich wirkend auf, setzte sich mit Bedacht auf die Matratze und winkte gänzlich alles ab. „Entschuldigen Sie, aber ich denke ab hier haben Sie ihre Aufgabe hervorragend abgeschlossen. Mir geht es gut. Vielen Dank für Ihre Mühe.“ Stumm musterte die junge Frau den Mann, welcher aufstand und sich die Kleidung zurecht zupfte, woraufhin der Raum einzig und allein durch leise Nebengeräusche erfüllt wurde, bis ein tiefer Atemzug seitens der Assistentin die Stille durchbrach. „Nun, wie Sie meinen. Aber machen wir uns nichts vor, Sie sind sich der Sache bewusst und tun es dennoch. Trotzdem möchte ich Ihnen mit auf den Weg geben in Zukunft etwas achtsamer mit ihren Körper umzugehen. Es ist nicht alles in Ordnung nur weil man damit leben kann. Irgendwann kommt die Rechnung. Ich wollte es nur anmerken.“ „Natürlich“, dankte er angedeutet verbeugend und fing den vielsagend, wissenden Blick der Frau ein, welche den jungen Mann ohne Weiteres ziehen lassen würde. Auf der anderen Seite der Tür klebte allerdings ein immer größer werdendes Ohr, welches mit einem kräftigen Puls im Schädel die gesagten Worte kaum richtig entschlüsseln wollte. Angestrengt versuchte Yasu dem Geschehen Nebenan zu folgen und starrte die Blisterverpackung in seiner Hand an. Zwischen Zeige-, und mittelfinger geklemmt, drehte er sie angespannt von links nach rechts und wieder zurück, versuchte die minimalistische Prägung auf den rosafarbenen, rautenförmigen Pillen zu entziffern und bemerkte deutlich das aufkommende Zittern in sämtlichen Gliedmaßen. Es galt nicht einmal diesen bunten Pillen, die unter seinem Argusaugen weder Form noch Farbe wechselten – egal wie lange er darauf starrte. Es galt auch nicht der unterschwelligen Kälte, die sich bislang unbemerkt im Körper sammelte. Es galt einer anderen Fundsache, sowie den belauschten Worten. Yasu war nicht blöd – aber zu tiefst schockiert. Zeit zum nachdenken blieb jedoch nicht, als Schritte und Unruhe Nebenan bemerkbar wurden. Schnell steckte der Host alles in die eigene Manteltasche, dachte nicht darüber nach, welche Konsequenten daraus folgen könnten. Noch ein Kontrollblick an sich selbst vorgenommen und den Mantel seines Zyklopen ordentlich über dem Schoß gelegt, versuchte er sich zu lockern und so zu tun, als habe er die ganze Zeit entspannt einfach nur auf dem alten Holzstuhl gesessen und gewartet. „Ich will nichts hören“, war der erste Händezeig, den Yasu ausgesprochen zu sehen bekam, als sich die Tür des Nebenraums öffnete, und der verunglückte Zyklop hervortrat. Schnell überflog er dessen Erscheinungsbild, doch ebenso schnell stellte der Host angespannt fest, dass es diesem ganz gut zu gehen schien und hob beschwichtigend die Hände. „Ich sage doch gar nichts.“ „Gut.“ Die Tür fiel ins Schloss. „Lass uns gehen, wir sind ohnehin zu spät“, ordnete der Schwarzschopf sogleich organisiert an, woraufhin Yasu sich von seiner Sitzgelegenheit erhob und Masaos Mantel anhob, um ihn diesen stumm anzubieten. Nur teilte seine Körpersprache dem anderen auch mit, dass er nicht sofort folgen würde, woraufhin dieser stutzte und stehen blieb. Ein Moment des Schweigens trat zwischen sie, bis der Yakuza seinen Mantel an sich nahm und seinen Begleiter eindringlich ansah, woraufhin Yasu verunsichert zurückwich. Als habe er angst bekommen sich von Masao eine einzufangen. Zumindest erweckte es genau diesen Eindruck auf den Älteren der beiden, sodass jener in seinen Bewegungen inne hielt, allerdings nichts sagte und nur stumm zu mustern begann. Eine Musterung von oben nach unten, eine Musterung, welche dem Host unangenehme Hitze emporsteigen ließ, weil er sich schlichtweg ertappt fühlte. Hastig wich er Masaos stechenden Blick aus, der noch immer nichts sagte und getraute sich noch nicht einmal mehr in dessen Richtung zu sehen, was nahezu ein lautes Schuldeingeständnis war, für eine Sache, die noch keinen Namen trug. „Geht’s … dir gut?“, wollte Yasu vorsichtig wissen, sah dabei aus dem Augenwinkel zu, wie Masao nun seinen Mantel anzog, zurecht zupfte, den Kragen richtete und ihn keine Sekunde lang aus den Augen ließ. „Ich weiß nicht.“ Worte die ruhig gesprochen, aber sehr spitz klangen. „Hast du denn Blutkonserven dabei, für alle Fälle?“ „...“ Überrascht und entschuldigend zugleich hob Yasu die Brauen, presste die Lippen schmal aufeinander, bevor er den Kopf schüttelte. Natürlich hatte er so Etwas nicht dabei. Erneut versuchte Masao offensichtlich das Verhalten zu analysieren, wurde aber nicht schlau aus der plötzlichen Distanzhaltung, und haftete den Blick weiterhin kühl wirkend auf sein Gegenüber. „Warum bist du jetzt schon wieder so verunsichert?“ „Hn?“ Yasu hob den Blick, machte große Augen und winkte sofort kopfschüttelnd ab. „Quatsch. Bin ich nicht.“ Ein wissendes Schmunzeln huschte über die Züge des Yakuza, welcher auf den Jüngeren zukam und die Hände auf dessen Schultern legte. Wieder mit einem musternden Blick, beugte er sich nach vorn und schien zu ahnen, was Sache war. „Hast du gelauscht?“, wisperte er ihm ins Ohr, ließ das rhetorisch gefragte Wissen wirken. Das Blut geriet in Wallung, färbte die Wangen in einen verräterisch roten Ton und ließ den Körper aufgeregt erzittern. Yasu war noch nie sonderlich gut darin etwas zu verstecken oder zu verheimlichen. Allerdings war er besonders gut darin, immer an das Gute im Menschen zu glauben und zu hoffen, dass der Typ seiner Träume eines Tages bei ihm auftauchte. Der Typ, welcher vor ihm stand – sein Traumprinz schlechthin, sein mystisches Wesen – er verschob sein gesamtes Weltbild binnen Sekunden und brachte das erbaute Luftschloss teilweise zum Einstürzen. „...“ „Gib sie mir.“ Erneut war es nur ein Hauch der geliebten Stimmte, welche den Gehörgang streifte. Erneut war es ein Hauch von Kälte, welche den Körper erzittern ließ, bevor eine unangenehme Hitzewelle daraus resultierte. Verkrampft schluckte der Kehlkopf einen sich bildenden Kloß hinab, bevor Yasu resignierend in seine Manteltasche griff, um die Tabletten hervorzuholen, während sich die Hitze im gesamten Körper ausbreitete. Er fühlte sich nicht nur ertappt, er war es schlichtweg! Jeder Versuch sich dumm zu stellen oder das Thema geschickt abzuwehren, würde schlichtweg scheitern. Masao besaß eine verdammt gute Menschenkenntnis, wie ihm schon des Öfteren auffiel. Aber dieser Moment übertraf einfach alles! Im Sekundentakt überschlugen sich die Gefühlswelten, die Gedanken, was zur Folge hatte, das die Sprache vor dem Denken einsetzte und eine plötzlich konstruierte Ausrede ohne sein Zugeständnis, über die Lippen huschte. „Die … Ich hab … Dein Mantel. Du solltest ihn ausziehen, ich hab ihn an mich genommen und ... die sind dir runtergefallen, ich habe sie nur … aufgeho-“ „Ich weiß.“ Ohne Umwege spielte der Yakuza mit, ließ ihn nicht auffliegen und stellte ihn auch nicht an den Pranger. „Ich wollte eine nehmen, bevor mir dieser Dreckskerl reingefahren ist. Hab chronische Kopfschmerzen, weißt du?“ Wie nebenbei entzog die Hand der anderen die Pillen und schob diese zurück in die eigene Tasche, wobei sich beide Augenpaare für einen längeren Moment direkt ansahen, um das Thema damit unausgesprochen zu beenden. Es war gelogen. Beides war gelogen und beide wussten es. „Mhm“, nickte Yasu betreten, wusste nicht so Recht was er sagen sollte. Er wusste nicht einmal was er denken sollte und kaute nervös auf seiner Unterlippe herum, als Masao von ihm abließ mit einem letzten Schulterdrücken. „Komm jetzt. Ich lasse dich nach Hause bringen.“ * * * „WAS?!“ Kenta war entsetzt. „Alter, WAS erzählst du mir?“ „Schh! Nicht so laut, man!“, wedelte Yasu giftend mit den Händen, sprang von seinem Hocker auf und hielt Kenta den Mund zu, welcher die Hand seines Freundes abwehrte und nur abermals ein unfassbares „Was erzählst du mir da bitte?!“, hervorbrachte. Erneut händewedelnd versuchte der Host der Stimme Einhalt zu gebieten, während er sich hysterisch wirkend im Raum umblickte, ob auch wirklich keiner hier war. „Ich sagte doch, ich weiß nicht genau, ob ich überhaupt richtig vermute. Aber nachdem ich das Gespräch Teilweise mitbekommen habe und die Frau so komische spitze Bemerkungen machte und Masao auch … nun ja …“ Er stockte kurz. „Er wirkte ganz gelassen und meinte all das zu wissen. Dann … dann hab ich die Tabletten nochmal genauer angesehen, weil sie eine komische Form haben und ...“ Wieder stockte er, ließ sich tief Luft holend zurück auf seinen Hintern sinken und blickte sich erneut um. Erst als er sicher stellte dass keiner hier war, griff er in seine Hosentasche und legte Kenta die umschriebenen Pillen aus seiner Nacherzählung vor die Nase. Der bekam schlagartig große Augen. „Alter, dein Ernst?! Wo hast du die her?!“, zischte dieser, hob den Kopf und sah sich hastig um, als würden sie einen Deal durchziehen. „Ich dachte du hast sie ihm zurückgegeben, bist du denn wahnsinnig das Zeug mit hier her zu schleppen?!“ „Bleib doch mal ruhig jetzt!“ Yasu hob eine Hand, begann gänzlich zu tuscheln und sich Kenta entgegen zu beugen. „Ich hab sie ihm aus der Tasche geklaut, als wir uns verabschiedet haben. Er hat den Knopf an der Manteltasche nicht geschlossen, sie sind mir quasi von selbst in die Hand gehüpft.“ „Ja, sag mal! Ich hüpf dir auch gleich von selbst in die Hand! Du hast ja wohl 'ne Meise!“ Energisch tippte der Zeigefinger gegen die Stirn. „Was hast du jetzt vor damit? Meinst du der merkt das nicht?“ „Ich will wissen was das ist. Ich will wissen, ob das Drogen sind oder nicht, ich will wissen, ob ich Recht habe, weil immerhin ...“ Abermals stockte Yasu, diesmal sackte er allerdings eine Sekunde später in sich zusammen auf seinem Hocker und stieß die Luft aus den Lungen. „Scheiße, man … ich war plötzlich so neugierig und misstrauisch und … keine Ahnung. Ich habe seinen Mantel auf den Kopf gestellt. Eigentlich, um nach einer richtigen Packung zu gucken, oder einem Beipackzettel, auch wenn das jetzt im Nachhinein total idiotisch klingt. Wer schleppt sowas schon extra mit? Aber … oh fuck, raste jetzt bloß nicht aus“, griff er wiederholt in seine Tasche und warf Kenta ganz gelassen ein Pulverpäckchen auf den Tresen. Der traute seinen Augen kaum, zog die Hände zurück, als handle es sich um eine ätzende Substanz und sah sich zunächst hektisch im Raum um. Erst dann lehnte er sich Yasu entgegen und tippte diesmal sehr energisch an dessen Stirn. „Sag mal, Junge, merkst du's noch?! Sieh zu dass das Zeug hier aus dem Laden kommt, wenn das jemand mitbekommt, rasten die aus!“ „Kannst du fragen?“ „Hä?“ „Kannst du zu Mimi gehen und fragen, was das ist? Laut Rückseite sind das keine japanischen Tabletten. Klingt irgendwie Russisch, Tschechisch – keine Ahnung. Deswegen … bitte, bitte!“ Kenta stöhnte entnervt auf, klopfte mit den Fingerknöcheln auf den Tresen und schüttelte den Kopf. „Vergiss es. Ich habe mit Mimi nichts mehr zu tun, das Thema ist absolut durch!“ Beide Hände flach erhoben, um die Worte gesehen unterstützend wegzuwerfen, nur um zu verdeutlichen, wie durch das Thema für den Barkeeper mit seiner dealenden Exfreundin war. „Bitte Kenta. Bitte, ich muss wissen was das ist, ich muss wissen was er da nimmt.“ „Und dann?“, nickte er aufgebracht zu ihm. „Was hast du davon, wenn du weißt dass er sich Speed, Crystal, Backpulver, Natron oder weiß der Geier was auch immer reinpfeift? Drogen sind Drogen, so oder so scheiße.“ Er wusste wovon er sprach. „Vielleicht ist es ja nichts Schlimmes.“ Yasu war naiv. „Wie bitte, was?“ Und Kenta beinahe schon wieder fasziniert davon. „Frag sie bitte ...“ „Mein Gott, Yasu. Weißt du eigentlich was du da redest? Mach die Augen auf. Dein Märchenprinz ist ein Junkie, Punkt und Aus. Selbst wenn das hier nur Milchpulver ist was er sich ins Hirn zieht, hat er reichlich 'ne Klatsche in meinen Augen. Aber das ist sein Leben und sein Problem. Sei so schlau und halte dich fern davon. Zieh die Buchungen durch und mach dir eine schöne Zeit, sei glücklich, schwebe von Wolke 7 zu 14 und zurück – mach's! Aber bei aller Liebe, der Mann ist erwachsen und du hast keine Ahnung wie lange der das schon nimmt und aus welchen Gründen er es tut. So oder so wirst du mit der Zeit mehr drinhängen als dir lieb ist. Glaube mir, du weißt selbst was ich mit Mimi durch habe, weil ich genauso naiv in manchen Dingen bin, wie du. Gib's ihm zurück und vergiss einfach dass du es jemals gesehen hast.“ „Aber wenn das nicht wäre, wäre er einfach perfekt, man!“ Die Stimme überschlug sich, weil sie versuchte die Tränen zurückzuhalten. Doch sie waren stärker und brachen wie ein Gewitter im Spätsommer über Yasu herein. „Er ist einfach … er ist so unfassbar toll, Kenta, ich kann doch auch nichts dafür, dass ich mich schon wieder total in jemanden verschossen habe, aber es ist diesmal wirklich, wirklich, anders. Glaub mir das doch bitte einfach! Nur einmal! Nur dieses eine verschissene Mal!“, flehten traurige Worte verzweifelt über den Tresen hinweg. „Masao ist nicht wie die anderen. Und ich fühle mich gut bei ihm. Er ist Aufmerksam, er ist … meine Fresse, er ist eben perfekt, okay? Und ich will nicht dass er sich mit solchen Scheiß hier kaputt macht! Ich will nicht dass er das nimmt!“ Die Faust schlug nun seinerseits auf den Tresen und Kenta verstummte, während er sich seinen Freund genauer besah und nur abermals seufzen konnte. Er war dagegen, fand es unklug sich damit zu beschäftigen, wollte sich und auch den jüngeren Host davon fernhalten, aber … „Ach, man! Du gehst mir so auf die Eier! SO!“, zischte der Barkeeper resignierend beim Anblick des gebrochenen Herzens auf, was ihn butterweich werden ließ. Dieses scheiß Freundschaftsding! Ein letztes Mal schweifte der Blick im Gastraum umher, dann griff der Barkeeper nach beiden Substanzen, steckte sie in seine Hosentasche und stieß der Heulsuse eine Serviettenbox über den Tresen hinweg vor die Nase. „Lass die Finger davon und lass dich da keinen Millimeter drauf ein, haben wir uns verstanden?“ „Jaha“, fuhr sich die Heulsuse über das Gesicht, zupfte eine Serviette aus der Packung und wischte sich das Gesicht damit, als er aufschreckte, sobald Kenta ihm das Geschirrtuch in eben Jenes warf. „Hier“, deutete jener auf die linke Barseite. „Fertig putzen, bevor die ersten Gäste kommen und den Sektempfang für die Kellner vorbereiten. Heute mit goldenem Kristallzucker. Und sollte dein Junkie hier aufkreuzen, habt ihr zu warten, bis ich zurück bin, sollte ich länger brauchen, haben wir uns verstanden?“ „Nh, aber ...“ Überrumpelt sah der Host auf, beobachtete Kenta dabei, wie er die lederne Schürze auszog und über seinen Hocker hinter der Bar legte, sowie nach seiner Geldbörse unter dem Tresen griff und anschließend mit Zeige-, und Mittelfinger von seinen zu Yasus Augen wanderte. „Ist mir egal.“ „Was? Aber … Ich hab doch noch gar nichts ge-… hey, warte mal kurz, ich hab keine Ahnung wie das geht! Hey! Hey, wo steht denn außerdem alles, Kenta?!“ Zu spät. Kenta ließ ihn auflaufen, dafür bog im gleichen Moment King Samu um die Ecke und blickte dem Barkeeper etwas verstört nach, ehe er ebenso verstört zu seinem Arbeitskollegen sah, weil dessen Schminke überall im Gesicht verteilt haftete, nur nicht mehr da, wo sie hingehörte. „Alta, was' los hier? Habt ihr euch scheiden lassen? Etwa wegen mir? Ich wollte doch nur ein paar Bio Blunts von ihm haben, wo rennt der denn jetzt hin, wenn meine Chicksen dann kommen, hn?“ „Boah, Samu, halt doch einfach einmal deine Fresse, geht das?“ „Schwierig, falls du damit bezwecken willst dass Worte dadurch verstummen, mein kleines Königskind“, entgegnete er zuckersüß, während er gänzlich zu seinem ehemaligen Lehrling herantrat. „Jetzt mal ohne Scheiß, wo geht der hin und … sag mal, heulst du wirklich?“ Der Oberkörper beugte sich dem Clubprinzen aufdringlich entgegen, um diesen genauer zu begutachten, nur um anschließend den Kopf unverstanden darüber zu schütteln und mit der flachen Hand des anderen gegen die Brust gedrückt zurückgewiesen wurde. „Man, halt's Maul!“ „Aha.“ Eine trockene Feststellung war die Antwort. „Krasser Scheiß mit dir, wenn du deine Tage hast. Aber bleib cool, es ging wirklich nur um ein paar Blunts, hn?“ Er ging gelassen um den Tresen, sah sich gezielt um, ergriff ein Bierglas und befüllte dieses an der Zapfanlage. Auch eine Schachtel Zigaretten griff die Hand in gewohnter Manier aus einem Fach, als täte Samu nichts Anderes den lieben langen Tag und klemmte sich anschließend das Nikotinlaster in den Mundwinkel, welches keine zwei Sekunden später inhaliert wurde. „Wie lang geht'n das jetz noch?“ „...“ Yasu runzelte augenrollend die Stirn, wischte sich die restlichen Tränen mit einer Serviette aus dem Gesicht und zog die Brauen tief herein. Er verstand nicht. „Na, das mit dir und deinem Ölprinzen? Chefchen ist jetzt doch leicht besorgt dass da mehr draus wird und du uns abhanden kommst? Oder wo waren wir heute Nachmittag?“ „Bist du hier um mich auszuhorchen?“ Yasu blieb entspannt bei der Thematik. „Nö. Ich will nur wissen was mein Schützling so treibt und ob er auf die Schnauze fällt, was wiederum mir auf die Füße fällt. Also?“ „Aha … als ob.“ Er schnaubte den restlichen Schnodder aus, beobachtete den amüsierten Samu dabei, wie der sich selbst bediente, bevor er zur Zapfanlage nickte. „Kennst du dich damit aus? Ich mein … hier allgemein?“ Samu warf dem Älteren einen arroganten Blick zu und rollte mit den Augen. „Manchmal könnte man meinen, man unterhält sich mit dir zum ersten Mal. Schon vergessen? Ich hab selber mal hier gestanden und bedient. Und jetzt lenke nicht vom Thema ab, ich wi-“ „Goldener Kristallzucker und Sektempfang sind dir also ein Begriff?“ Irritiert beobachtete Samu seinen ehemaligen Schützling, konnte allerdings nur aufmurren.„Dir fehlen zur Zeit auch 'n paar Gehirnwindungen Kollege, kann das sein?“ „Ja, oder nein?“ Ohne dass Samu darum gebeten wurde, drehte er den Hahn zu, klemmte die Fluppe erneut in den Mundwinkel und stellte wenige Augenblicke darauf Sekt, sowie Zucker vor seinen Schützling auf die Bar. „Was haste jetzt davon?“ „Frei“, warf der Host nasal über den Tresen, rutschte von seinem Hocker, trank seine Tasse Kakao in einem Zug leer, die ohnehin kalt war und schob Samu seinen Spindschlüssel hinüber. „Hab noch fünf Blunts. Kenta kommt dann wieder. Das Beides“, kreiste der Zeigefinger um Zucker und Sekt. „Heute zum Empfang. Alles klar? Super, dann werfe ich mich mal ins Bett, du weißt ja, Regelschmerzen sind echt wahnsinnig unangenehm, und da ich irgendwie noch immer unter deiner Obhut stehe, oder liege – wie auch immer du das sehen willst – wirst du mir diesen Gefallen tun, richtig?“ „Ey, alta, bei dir hackt's wo-“ „Bist ein Schatz, ich liebe dich.“ Ohne auf eine Reaktion zu warten, die einen Moment brauchte um gefasst zu werden, steuerte der Musiker schließlich die Treppe an, um nach oben in seine Wohnung zu gehen. Immerhin fühlte er sich tatsächlich nicht sonderlich gut und wollte sich hinlegen. Die letzten Wochen waren auf ganz besondere Weise anstrengend, zerrten an den Nerven. Ihm war wirklich nicht gut. „Du Muschi, du glaubst doch nicht im Ernst dass ich … Yasu?!“ Masao käme unter Garantie nicht mehr an diesem Tag. Diese Hoffnung wollte er sich gar nicht erst erschaffen, indem er sehnsuchtsvoll die Eingangstür anstarrte, und Gast für Gast hereinkommen sah, nur seinen Zyklopen nicht. Der wahrscheinlich längst bemerkte bestohlen worden zu sein. „Bleib stehen, du gehst nicht diese Treppe rau- … Du kommst sofort wieder runter!“ Yasu bekam wahrlich Bauchschmerzen, wenn er sich die Auseinandersetzung mit dem Schönling vorstellte, der dann sicherlich nicht mehr so respektvoll ihm gegenüber sein würde. Vielleicht hatte er damit alles kaputt gemacht, was bislang zwischen ihnen entstand, aber irgendetwas in ihm, trieb ihm dazu, es doch zu tun. Den Mantel zu durchsuchen, zu lauschen, erneut zu klauen und … sich trotzdem in diesen Mann zu verlieben. Mit jeder Minute mehr und mehr - es war kaum noch auszuhalten. „DU PENNER!“ *** „Liebes Tagebuch, Mit mir passieren komische Dinge, seitdem ich Masao begegnet bin. Der Nachmittag war so unbeschreiblich schön … und jetzt habe ich Bauchschmerzen. Werde mich hinlegen … Yasu“ *** Zwei Stunden waren vergangen, nachdem Kenta den Club verließ und Samu dessen Stelle einnahm. Es war kälter geworden und leise tanzende Schneeflocken fielen vom Himmel. Einige wurden am Eingang des Clubs von der Kleidung geklopft, einige schafften es zusammen mit dem Barkeeper durch den Gastraum, bis hin zu dessen Theke, wo er verdutzt dabei zusah, wie ausgerechnet Samu mit guter Laune, schnieker Kleidung und einem Blunt zwischen den Lippen klemmend, den Sektempfang für den heutigen Abend den letzten Feinschliff verpasste. „Hey“, grüßte er irritiert, zog die Mütze vom Kopf und wickelte sich den Schal vom Hals, während er herumkam, um Samus Werk zu begutachten, welcher mit einem stummen, aber stolzen Händezeig sein Werk präsentierte. „Naaaa?“, dehnte er stolz hervor. „Ich hab's noch sowas von drauf, eigentlich könnten wir uns einen Mitarbeiter sparen, meinst du nicht?“ Kenta sah ihn weniger amüsiert darüber an, bekam allerdings ein kumpelhaftes Schulterklopfen von Samu, der einen tiefen Zug von der Dunstrolle inhalierte und nach oben nickte. „Dein Weibchen hat sich hingelegt. Monatsblutungen, du verstehst?“ „Hä?“ Nein, verstand er nicht. „Und du hast dich freiwillig hier her gestellt?“ „Alta, seh' ich so aus, oder was?“ Samu zog den Blunt zwischen seinen Lippen hervor und sah Kenta überheblich wirkend an. „Aber fünf ganze Blunts“, wog eines der besagten Errungenschaften vor Kentas Augen zwischen drei Fingern auf und ab. „Gegen das bisschen Sektempfang … Deal, alter, Deal.“ „Mh“, murrte Kenta kopfschüttelnd, zog den Mantel aus und brachte seine Klamotten in den Hinterraum. „Ich gehe trotzdem mal kurz hoch, um nach ihm zu sehen. Hast du die fünf Minuten noch?“ Samu drehte die Musik der Baranlage per Fernbedienung etwas lauter, hob eine Schulter zeitgleich mit einem Nicken und winkte Kenta hinfort. Nur zu. Der war zwar reichlich irritiert, doch als er beim Gehen den leichten Bluntduft mit sich zog, ging ihm sinnbildlich ein Lichtlein auf, worüber aufgelacht wurde. Ebenso, als er im dritten Stock ankam und an Yasus Tür klopfte. Es kam keine Reaktion, also würde er wohl schlafen, was er sich eigentlich hätte denken können. Trotzdem wollte er die beiden Mitbringsel von dessen Nachmittagsausflug zurückbringen, um ihn in Kenntnis zu setzen, dass die Vermutung richtig war und es sich dabei um Drogen handelte. Nur würde er gleich keine Zeit mehr haben, sobald der Club öffnete, und schlich sich deswegen ins Zimmer, so leise, wie nur irgendwie möglich. Sachte legte er die Hand auf die Klinke, drückte sie nach unten und schob die Tür einen Spalt weit auf. Zu seiner Überraschung ging dies schwerer, als erwartet, sodass etwas mehr Kraft von Nöten war, um sie gänzlich zu öffnen. In Anbetracht des offenen Fensters, wusste der Barkeeper nach Betreten des Zimmers auch gleich warum dem so war, wirbelte jedoch ebenso aus diesem Grund hastig herum, und konnte, die sich vom Luftzug selbst schließende Tür, im letzten Moment davon abhalten, mit einem lautem Knall ins Schloss zu fallen. „Phu ...“, stieß er leise aus und ließ die Tür ebenso leise einklinken. „Der spinnt doch. Bei dem Wetter das Fenster sperrangelweit offen lassen!“, schimpfte Kenta leise vor sich her, warf einen Blick auf das Bett, in welchem der Host in aller Seelenruhe zu schlafen schien, als er kurz stehen blieb und den Eimer nebenan auf dem Boden musterte. Als würde der sich gleich von selbst wegräumen, oder aufkommende Fragen plastisch mental beantworten. War ihm etwa schlecht? Vorsichtig, als könne ein Clown aus dem Behälter springen, spähte der Barkeeper von Weitem hinein, konnte allerdings nichts sehen und warf erneut einen prüfenden Blick auf den schlafenden Yasu, der zusammengerollt auf der Seite lag. Das Blutzuckermessgerät auf der Bettkante verriet die Lage schließlich, brachte den Barkeeper mitleidig dazu tief Luft zu holen. Stress bekam ihm nicht. Einen Augenblick verweilte Kenta stumm, leckte sich über die Lippen und schloss anschließend das Fenster, bevor er die Tabletten und das Kokain einfach direkt neben das Messgerät legte. Umblickend nach Zettel und Stift, notierte er kurz die jeweiligen Namen der Rauschmittel, schrieb bei den Tabletten hinzu, dass diese eigentlich verboten waren, laut Prägung aus Polen stammen, und beließ es dabei. Den Rest konnte er ihm bei Bedarf näher erklären, sobald er sich einigermaßen ausgeruht hatte, weswegen Kenta sich auch nicht weiter aufhielt und nach wenigen Minuten den Raum verließ, um Yasu zur Ruhe kommen zu lassen. . . . „Geht's ihm nicht gut?“, wollte Masao etwa eine halbe Stunde später vom Keeper wissen, als dieser ihn reinkommen sah und zu sich winkte. Dabei hatte der Yakuza nicht vorgehabt, sich erst an die Bar zu gesellen, sondern wollte direkt nach oben mit dem Host. Sie hatten einiges zu klären. Da dieser allerdings nicht, wie erwartet, bereit stand um ihn in Empfang zu nehmen, glaubte er Kentas Wink zu verstehen und Yasu gleich dort anzutreffen. Fehlanzeige. „Bisschen gestresst, schlägt ihm auf'n Magen“, erklärte Kenta sachlich, während er eine Bestellung entgegennahm, und anschließend eine große Sektflasche aus dem Regal hervorholte. Mit nur wenigen Handgriffen löste sich ein bekanntes Plopp-Geräusch, wobei der Barkeeper den beiden Mädels nett zulächelte, als diese immer wieder verstohlen tuschelnd zu Masao blickten. Der zeigte aber kein Interesse und schien dem Keeper schöne Augen zu machen. Dabei wartete Masao schlichtweg auf Fortsetzung. „Vielleicht kommst du einfach morgen wieder. Oder am besten gar nicht“, lächelte er ihn falsch entgegen, was Masaos Brauen überrascht über den plötzlichen Wandel heben ließ, während er Kenta beobachtete und abwartete, bis die Gäste mit ihren Bestellungen gingen. Open Floors. Hier konnte heute also jeder tun und lassen was er wollte. Keine feste Buchungen, keine festen Räumlichkeiten, und wie so oft, gemischtes Publikum. Privatgespräche an der Bar, weitab vom Schuss normalerweise, könnten heute publik werden, weswegen sich der Yakuza augenscheinlich entspannt streckte, auf einem Barhocker Platz nahm und gen Schnapsflasche nickte mit einem Fingerzeig. Die Umgebung dabei scannend, merkte auch Kenta recht schnell, dass das hier auf ein längeres Gespräch hinauslief, als er dem Zyklopen den Klaren über den Tresen hinweg vor die Nase schob und eindringlich beobachtete. Sollte er es für gut befinden? Immerhin bedeutete Diskutieren, etwas klarstellen, Meinungen äußern. Meinungen äußern und etwas Klarstellen wiederum bedeutete Interesse. Interesse die Yasu galt, welchem er den reichen Geldhahn soeben vorenthielt. Trotzdem saß der noch hier. Gut? Seltsam? „Was hat das Mausezähnchen denn erzählt von heute Nachmittag?“, fragte Masao schmunzelnd amüsiert, lehnte sich leicht auf den Tresen und wartete recht belustigt wirkend die Reaktion des Gegenübers ab, der ihn einen finsteren Blick schenkte. Nicht gut! „Du weißt inzwischen ziemlich viel über Yasu. Und dazu gehört auch, dass ich dich gewarnt habe, ihn zu verarschen oder ihn in irgendeiner Weise zu verletzen, weil er nun einmal ein Sensibelchen ist. Ein sehr liebenswertes, zickiges und oft auch naives Sensibelchen, aber … ein Sensibelchen.“ Das musste klargestellt werden mit einem Nicken. „Aber genau das ist exakt heute Nachmittag eingetroffen“, erklärte er ernst, zog vier Biergläser aus der Vitrine und befüllte sie nacheinander, da er aus dem Augenwinkel ein Handzeichen eines Kollegen wahrnahm, kurz zu diesem sah, um die Bestellung stumm aufzunehmen, während er Masao kaum aus den Augen ließ, dem immerhin das Schmunzeln verging. Amüsiert und in Lauerhaltung schien er trotzdem zu sein, da er nichts erwiderte bislang, weswegen Kentas Zunge angestrengt über die Lippen glitt. „Mein Gott, du kannst echt tun und lassen was du willst, aber schon allein deine Monatsbuchung lässt ihn glauben, dass da irgendetwas Besonderes zwischen euch sei.“ Er rollte genervt darüber mit den Augen. Dabei war es nicht Yasu der nervte, sondern die Situation an für sich. „Der dreht sich schon wieder Herzgirlanden on mass aus dem Kreuz, weil du ihn privat einlädst“, murmelte er vorsichtig sprechend, wechselte das volle mit einem leeren Glas und fuhr sich mit dem Unterarm über die Stirn. „Und dann muss er heute Nachmittag feststellen, dass sein Traumprinz diesmal vielleicht kein mega Arschloch ist, oder ein Vollidiot, der ihn fast umbringt vor Eifersucht, sondern zur Abwechslung mal ein verdammter Junkie ist!“, zischte er auf, was Masao trotzdem zum Schmunzeln veranlasste. So war das also. Yasu hatte Mutti bereits alles gepetzt. Wie süß. „Und wo genau ist jetzt dein Problem?“ Masao legte die Lippen abwartend schmal aufeinander, setzte sich gerade hin, und wartete ruhig wirkend die Antwort ab, was Kenta reichlich verstörte, sodass er sich energisch wirkend an die Stirn tippte. „Hast du nicht mitgeschnitten, worum es geht? Ich steck dir gerade dass der Kasper sich in dich verschossen hat, und das echt nicht zu knapp diesmal, und du sitzt hier und … oh man! Hat echt keine Schwuchtel in diesem Milieu irgendwie sowas wie Herz? Entweder ihr habt zu viel Herz, oder zu viel Hirn, so beides im Einklang verkaufen die da wahrscheinlich nicht, oder was?“ Die Worte klangen patzig zum Schluss. Masao konnte nicht anders, als darüber aufzulachen, ehe er sich räusperte und schließlich ernster wirkend abwinkte. „Ich nehme Drogen. Na und? Die nehme ich nicht erst seit heute Nachmittag, womit sich im Zusammensein hier absolut nichts ändert. Wo also, liegt jetzt dein Problem, Kenta? Willst du mich anschwärzen, dass ich Hausverbot bekomme, wenn ich jetzt trotzdem zu deinem Kind gehe? Vergiss nicht, der ist bezahlt.“ Ein Zwinkern folgte. „Du bist wie alle anderen!“, platzte es Kenta energisch hervor. „Du verletzt ihn, du machst ihn krank! Mag sein, dass er selbst einen Großteil dazu beiträgt, dass sowas immer wieder passiert, aber dann sei wenigstens du so vernünftig, und beende das! Ich kann mir das langsam nicht mehr mit ansehen, ich kann's einfach nicht! Du bist der erste der so viel von ihm weiß. Ich hab noch nicht kapiert, ob das einfach nur Neugier ist, oder ob du das schlichtweg ernsthaft wissen möchtest wegen seiner Person, aber gerade deswegen, macht es mich rasend dass du ihn so verletzt und er deswegen jetzt oben liegt, anstatt hier zu sein!“ Masao schwieg einen Moment, verengte den Blick und ließ das Gesagte auf sich wirken, bevor er sich abstützend mit den Unterarmen aufstreckte, und sich näher zu Kenta hinüber lehnte, um dessen Augenpaar mit dem Seinen einzufangen. „Vielleicht … dreht er sich diese Herzgirlanden ja nicht umsonst. Schonmal drüber nachgedacht?“ Diesmal hoben sich die Brauen recht kokett wirkend, fast arrogant, ehe die Zunge die Lippen befeuchtete und Kenta inne hielt. „Ich verstehe sehr gut dass du wütend bist. Niemand sieht einen Freund gerne leiden, aber was genau, glaubst du, habe ich persönlich davon, wenn ich wüsste Yasu in irgendeiner Art und Weise zu schaden oder zu quälen? Was glaubst du, würde mir das geben, wo ich noch nicht einmal die volle Buchung nutze, weil es mir darum gar nicht geht? Ich könnte jeden kack Abend hier sein, ihn abfüllen, das Hirn rausvögeln – whatever.“ Er ließ es wirken, gab dem anderen Zeit darüber nachzudenken, ehe er fortfuhr. „Wie gesagt, ich verstehe deine Lage aus deiner Sicht betrachtet wirklich sehr gut, aber wenn du schon solche Anschuldigungen stellst, dann solltest du diese auch zu 100% wissentlich bestätigen können. Und das kannst du nicht. Also lass das in Zukunft sein. Wenn du mich auffliegen lässt, bist du derjenige, der Yasu unglücklich machen wird. Nicht ich.“ „Man, darum geht’s nicht. Der krepiert vor Sorge um dich und wird dich überreden wollen, das sein zu lassen! Wie lange machst du das in Ruhe mit? Wie lange lässt sich … jemand beschwichtigen und bereden, bis er ausrastet und das ganze ausartet? Du wirst ihn vielleicht nicht jetzt wehtun, und ja, himmel nochmal, vielleicht meinst du es so, wie du sagst und bist der erste, der ehrlich gerne bei ihm ist, aber irgendwann reist deine Geduld einfach, weil Yasu partout nicht locker lassen wird, und da-“ „Ich auch nicht“, schmunzelte Masao wieder heiter amüsiert mit einem lässigen Schulterzucken und hob einen Zeigefinger, um einen weiteren Schnaps zu bekommen, worüber der Barkeeper erneut reichlich verdutzt dreinsah und alles Weitere in einem Seufzen verpuffen ließ. Zyklopen konterten einfach zu gut! „Hör mir zu“, verlangte Masao ernst, aber ruhig, drehte das gereichte Schnapsglas zwischen Daumen und Zeigefinger. „Ich mag Yasu. Ich mag ihn wirklich, okay? Er tut mir gut, ich mag sein Wesen. Vielleicht ist das nicht richtig, aber solange er mich nicht wegschickt, werde ich vorerst bleiben.“ Punkt. Kenta schwieg, schob Masao ungefragt einen dritten Schnaps zwischen die Arme und holte resignierend Luft. „Ich hab nur … ich weiß nicht. Ich fühle mich wie eine Art Ersatz großer Bruder, ich will einfach nicht … ach“, er winkte ab. Masao jedoch lächelte mit weichen Zügen, hielt Kenta den kleinen Finger angewinkelt entgegen und wartete einen Moment. „Lass uns das Kind gemeinsam schaukeln. Und ich verspreche dir vorerst weiterhin auf ihn aufzupassen. Der Nachmittag hat ihm gut getan, oder nicht?“ Den kleinen Finger anstarrend, konnte sich der Barkeeper nicht erklären, was genau es war, was ihn an Gefühlen durchflutete, aber mit Sicherheit war eine ganze Menge Offenheit und Vertrauen dabei, welche ihn dazu veranlassten, einem Junkie den Fingerschwur zu geben. Yasu hatte Recht. Masao war anders. . . . Trotzdem bereitete er dem Host Bauchschmerzen, welcher zum selben Zeitpunkt aufstand, um mit gebeugter Haltung ins Bedezimmer zu schleichen. Der Zettel von Kenta war überschaubar gewesen, doch damit fand die Google Suchfunktion keine ruhige Minute mehr. Von einem zum anderen Linkfund klickte sich der Host durch Foren und polnische Webseiten, bis er irgendwann auf eine Plattform stieß, wo auch in der Landessprache über die Pillen berichtet wurde. Laut Datum eines Diskussionsfaden fand die Unterhaltung bereits vor sieben Jahren statt. Dennoch erbrachte es Yasu das nötige Wissen, sowie einen schweren Stein im Magen. Er hatte das Gefühl sich übergeben zu müssen, schleppte sich an das Waschbecken und atmete zunächst tief durch. Viele der Foren-User haben neurologische Schäden vom jahrelangen Konsum der 'HappyPils' von sich getragen und berichteten von 68%, welche an schweren Organversagen starben. Nicht umsonst wurde die 'HappyPil' aus dem Verkehr gezogen, die ursprünglich in der Drogenszene als käufliche Sterbehilfe dienen sollte. Vor vielen Jahre reichte eine einzige Pille aus, um innerhalb der nächsten 24 Stunden den Planeten Erde glücklich zu verlassen. Erst Jahre später wurde das Konzept neu überarbeitet. Der Effekt blieb, jedoch um Stunden, Monate, gar Jahre verzögert – die Dosis machte gegenwärtig das Gift. Japan selbst stellte die tödliche Substanz nicht mehr her, Aufgrund der erheblichen und noch unerforschten Nebenwirkungen. Auch unter Dealern und Vertrieben kamen Abhängige nur sehr schwer an die bunten Pillen. Die einzige Möglichkeit war meist der Import aus Polen. Yasu starrte sein blasses und verschwitztes Spiegelbild an, kam gedanklich nicht von diesem Forum los. Kam nicht davon los, sich vorszustellen, dass Masao eines Tages einfach umfiel tot umfiel – wie oft scherzte man im Alltag über solche Dinge. Wie oft passierten sie allgegenwärtig, ohne dass die Menschheit davon erfuhr? Ein kalter Schauer ließ ihn frösteln, eine plötzlich fremde Aura nur den Bruchteil einer Sekunde hoffen, dass es Masao war, der zu ihm kam. Dessen Schritte er unbewusst wahrnahm. Dann könnte er ihn darauf ansprechen, mit ihm reden. Doch noch bevor Yasu zu ende dachte und den Blick vom Spiegel löste, sagte ihm etwas tief im Inneren, dass es nicht sein reicher Zyklop war, der unweit von ihm in der Wohnung stand. Es war auch nicht Kenta. Oder Samu. Völlig wirr im Kopf, löste sich der Host aus seinen Gedanken, ließ den Blick vom Spiegelbild instinktiv zur Tür schweifen und riss die Augen vor Schreck weit auf, ohne einen einzigen Ton verlauten zu lassen. Das Blut wandelte sich gefühlt in Zement, welches sofort aushärtete und Yasus Bewegungen lähmte. Einzig und Allein der Griff am Waschbecken festigte sich, doch zu mehr war er nicht in der Lage. Wie reagierte man auch spontan darauf, wenn plötzlich eine maskierte Person in der Wohnung stand. Den Lauf einer Pistole direkt auf einen richtete mit stechend scharfen Blick? Wie reagierte besonders ein Host darauf, der doch eigentlich besonderen Schutz durch einen Leibwächter im eigenen Stockwerk hatte? Wie reagierte so jemand, wie Yasu, darauf, wenn es doch zahlreiche Typen gab da draußen, die keinen sinnvollen Grund bräuchten, um ihn aufzusuchen und zu töten? Zu quälen? Zu misshandeln? In dieser Branche schließlich nicht unüblich und jederzeit möglich. Vor Panik erstarrt, sah das weit aufgerissene Augenpaar, in das, des Eindringlings, welches genauso fixierend an ihm haftete und einen stechend kalten Schauer über den Rücken jagte, wie er ihn bereits mehrmals schon erlebte in den letzten Wochen. War das etwa sein Stalker? Sollte es endlich vorbei sein damit, oder war dies nur der Anfang von einer nie enden wollenden Leidensphase? „Komm her.“ Yasu schluckte, trat einen steifen Schritt zurück gegen die Fließen und wurde Aschfahl, mit jeder Sekunde die er begriff. Er wäre nicht der erste Host, der entführt und ermordet werden würde. „Mach keine Mätzchen, dann passiert dir nichts.“ Die Männerstimme war tief, herrisch, ließ die Übelkeit stetig steigen, sodass Yasu bereits zu schlucken begann, aus Angst, sich sonst ohne Weiteres übergeben zu müssen. Das Herz pumpte bebend und viel zu schnell das Blut durch die Venen, sodass sich binnen weniger Zeit ein kalter Schweißfilm auf der Haut bildete und die Zunge die salzige Subtanz beim Lecken der Lippen deutlich schmeckte. Schutz suchend presste sich der Rücken noch mehr an die Wand hinter sich, während Yasus System erneut an diesem Tag abstürzte. Was tat er jetzt bloß? Was sollte er bloß tun? Wo kam der her, wie kam er hier rein? „Komm her“, forderte die bedrohliche Stimme abermals, doch der Körper klebte förmlich bebend an der Wand und war, selbst wenn Yasu gewollt hätte, schier unfähig sich zu bewegen. „Ich sagte, komm her, mach schon! Ich hab nicht ewig Zeit!“ Noch während der Vermummte seine Drohung aussprach, schritt er auf Yasu zu, der schlichtweg keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte, und daher unfähig war sich zu bewegen. Unfähig war, sich zu wehren, zu sprechen – er war körperlich und geistig völlig gelähmt, schien erst wach zu werden, als er den festen Griff an seinem Arm spürte, der ihn von der sicher geglaubten Wand zerrte, und lehnte sich gewichtig dagegen. „Lass … lass mich los! LASS MICH LOS! HILFE! HILFE, LOSLASSEN! HILFE!“ Hysterisch schlugen die Hände auf die viel größere Hand ein, welche den zierlichen Körper mit Leichtigkeit in die gewünschte Richtung zerrte. Der wehrte sich weiterhin hysterisch schreiend, versuchte Tritte und Schläge zu verteilen, als die Schreie hinter der aufgelegten Hand schließlich kläglich gedämmt erstickten. Yasu hatte längst verloren, absolut keine Chance. Er spürte es mit jeder Faser seines Körpers, spürte es an der Aura, die der Fremde ausstrahlte. Er würde den Kampf verlieren. Er würde ihn kläglich verlieren, sah sich schon vor seinem inneren Auge zerstückelt in einer Plastiktüte liegen, in irgendeinen See versenkt oder inmitten eines Waldes vergraben. Zumindest hatte man den kleinen Takeru damals so aufgefunden. Umgebracht aus purer Eifersucht, weil kein anderer ihn mehr haben sollte – nie wieder. War er ein ehemaliger Kunde? War er verärgert? Geistig nicht bei Sinnen? Dafür schien derjenige allerdings genau zu wissen was er tat, als er das hysterische Bündel geschickt mit festem Griff in den Nacken gen Waschbecken hinab drückte, das Wasser aufdrehte und diesen somit die Kraft zum Schreien nahm. „Ich sagte sei still!“ Yasu schlug erneut mit einem panischen Impuls um sich, spürte das kühle Nass über sein Gesicht laufen, welches durch die gehaltene Schräglage ungehindert in die Nase floss, und somit das Atmen erschwerte. Nach Luft japsend öffnete sich der Mund, welcher daraufhin mit Wasser gefüllt wurde, welches er sofort ausspuckte. Der körperliche Reflex versuchte zur gleichen Sekunde durch die Nase zu atmen, doch diese hatte kaum noch Chancen frischen Sauerstoff zu filtern, sodass das Spiel um Leben und Tod von vorn begann, bis ein heftiger Ruck den Schopf zurückzog und Yasu die Möglichkeit gebot nach Luft zu ringen. Die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt. „Du kleine Schlampe, wolltest ja nicht hören“, zischte die beängstigende Stimme in die Ohrmuschel, erlaubte sich den Spaß zu wiederholen und drückte den Host erneut unter das laufende Wasser – diesmal mit der anderen Gesichtshälfte nach oben geneigt. Zu denken getraute sich der Musiker nicht, was aus ihm wurde, aus angst das letzte Bisschen Konzentration zu verlieren, welche ihm erlaubte in immer weniger werdenden Abständen Luft zu bekommen, ohne viel Wasser dabei zu schlucken. Das harte Porzellan des Beckens drückte unsanft, gar schmerzlich auf die Rippen, nahm zusätzlich Platz zum Atmen, welchem die Lunge brauchte. Sie brannte bereits vor Anstrengung und Reiz. Ebenso die Nasenschleimhäute. Sie schwollen spürbar an, unterkühlten in kürzester Zeit. Wasser sammelte sich in einem der Ohren, drängte sich ebenso ungehindert durch den winzigen Spalt der Lider und vermischte sich mit dem restlichem Mascara der Wimpern. Einfach überall schien sich das schmerzlich, unterkühlte Brennen auszubreiten. Schneller und schneller pumpte das aufgeregte Herz Blut und Sauerstoff durch den Körper, klopfte dabei kräftig bebend gegen die eingeengte Brust und löste abermals einen panischen Impuls damit aus. Den Impuls zum Überleben. Der Instinkt, überleben zu wollen, zu kämpfen. Ein einziger, von Panik gelenkter Tritt nach hinten, brachte unvorhergesehen die Hoffnung zurück. Der Griff lockerte sich, der fremde Körper nahm Abstand und Yasu nutzte instinktiv die Flucht nach vorn. Die Flucht zur Tür, welche offen stand. Ungelenk, überstürzt und völlig orientierungslos riss sich der Körper aus seinem Gefängnis, weg vom Waschbecken und stürzte der Nässe wegen auf den kalten Fließenboden. Beidhändig wurde der Sturz abgefangen, doch das Gleichgewicht rutschte Yasu wortwörtlich unter den Füßen weg. Noch immer rang die Lunge nach Luft, versuchte unter hartem Hustenreiz die fremde Substanz loszuwerden, welche ebenso von der Nase unter stark brennenden Schmerz abgesondert wurde. Schwarzgefärbte Wassertropfen liefen aus den Augenwinkeln hinab über die Wangenknochen und das Kinn, als sich der Körper ächzend im Vierfüßlergang mit verklärtem Blick auf die Tür zu bewegte. Er musste hier weg! Er musste weg! Er musste raus, brauchte Hilfe, wollte schreien, doch er schaffte es nicht. Weder zur Tür. Noch einen lauten Schrei von sich zu geben, um auf sich Aufmerksam zu machen. Die fremde Aura des Mannes hinter ihm kam deutlich spürbar näher, beherbergte etwas Energisches, etwas Wütendes und mit dem nächsten Augenzwinkern wusste Yasu, dass er nach ihm greifen und ihn packen würde. Dass er den Kampf verlieren würde. Mit einem unsanften Ruck packte man ihn am Hinterkopf, zog den geschundenen Körper auf die Beine und hielt ihn im Würgegriff davon ab die Tür zu erreichen. Obwohl der Geist es ahnte, versuchte die Kehle dennoch einen erschrockenen Laut hervorzustoßen, wurde jedoch durch den Druck, welcher auf den Kehlkopf ausgeübt wurde, daran gehindert. Mit einem weiteren Ruck überstreckte die Wirbelsäule im Griff des Fremden, raubte Yasu die letzten Atemzüge und veranlasste diesen dazu panisch mit beiden Händen nach dem muskulösen Arm zu greifen. Zu zwicken. Zu kratzen. Zu schlagen. Zwecklos. Die Luft wurde immer enger, Worte blieben beiderseits aus. Einzig und Allein das Rauschen des Wassers war zu vernehmen, sowie die ächzenden Versuche Sauerstoff zu bekommen. Der Druck auf der Kehle wuchs so stark, dass er das schwere Pumpen seiner Halsschlagader deutlich spüren konnte, und ein leichter Unterdruck direkt im Schädel entstand, der ihn noch panischer werden ließ, als die tiefe Männerstimme amüsiert darüber auflachte. „Wer nicht hören will, muss fühlen. Hat Mama dir das nicht beigebracht?“ *** „Liebes Tagebuch, lass es endlich vorbei sein. Bitte. Yasu“ *** Die Hoffnung stirbt zum Schluss. Aber sie stirbt … ---------------- Next? ---------------- Kapitel 6: Bitte ... küss mich, bitte. -------------------------------------- Kapitel 7 – Bitte … küss mich, bitte. ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- 12.10.2016 – 30.05.2017 Auftragsnummer YT1985M Es war ein seltsames Gefühl, welches sich in Masao entfaltete, als er die Treppen zum dritten Stock emporstieg, und sich das eben Geschehene einberief. Er fühlte sich mittlerweile nicht einfach nur wohl im Beisein des Hosts, sondern kam tatsächlich gerne hier her. Hier her, in diesen Club. Unterhielt sich gerne mit Kenta, weil der ihm nach wie vor sympathisch war und hatte auch das Gefühl nicht gelogen zu haben, als er diesem sagte, Yasu zu mögen. Es schien sich also in kurzer Zeit etwas entwickelt zu haben, was sich gar nicht entwickeln sollte. Normalerweise hatte er immer alles Griff. Dachte rational, sachlich, aber niemals emotional. Das konnte er sich in seiner Welt einfach nicht erlauben. Die 'HappyPils' halfen mitunter nicht nur locker zu bleiben, sondern Vieles schlichtweg nicht auf emotionaler Ebene an sich herankommen zu lassen. Sein Auftrag schien diesbezüglich allerdings eine Nebenwirkung zu sein, die Gefühle weckte, Emotionen zuließ und einen kleinen Hauch von Sehnsüchten und Wünschen öffnete, welche längst ganz tief im Inneren verstaubten und verrosteten. Es war derzeit das Einzige in seinem Leben, was ihn ernsthaft Freude bereitete. Was ihn ablenkte vom Alltag, was ihn von ganz allein auf andere Gedanken brachte, ja, gar hin und wieder ehrlich zum Lächeln brachte – obwohl es genau das Gegenteil bewirken sollte. Immerhin kam er her, um die Schwester des schönen Clubprinzen ausfindig zu machen. Sollte Masao das nicht innerhalb der besagten sechs Monate schaffen, würde er dafür angemessen bestraft werden. Nur wusste er langsam nicht mehr so genau, welche Strafe schlimmer wäre. Eine Hinrichtung, wegen Nichterfüllen seiner Pflicht? Ein Haken an der Akte, und Yasu als abgeschlossenen Fall nie wieder sehen? Oder aber- Moment! Worüber dachte er da eigentlich nach? Überrascht über sich selbst schüttelte der Yakuza den Kopf und fuhr sich mit der Hand über den Nacken. Dieses komische Gefühlszeug und Nachgedenke musste ganz dringend aufhören – ganz, ganz, dringend! Reichte etwa die Dosis der Pillen nicht mehr aus, oder vertrugen sich Drogen und Hostclubs schlichtweg nicht miteinander? Wenn ja, dann sollte das in Zukunft zwingend im Beipackzettel unter Punkt Neun aufgeführt werden! *„Kurde … Nie mam pojęcia ...“, schlich sich ein Flüstern in der gelernten Muttersprache über die Lippen, um andeutungsweise in Worte zu fassen, wie durcheinander der Junge Mann seit einigen Wochen war. Hier passierten Dinge, die vollkommen im Selbstlauf arbeiteten. Gegensteuern Zwecklos! Im dritten Stock angekommen dehnte sich ein Seufzer hervor, welcher in ein Gähnen umschlug. Er musste wahrlich aufpassen nicht zu vermenschlichen. Jahrelang unterband er es, um einigermaßen gut schlafen zu können, und dann kam da irgendein Host dahergelaufen und sollte all das zu Nichte machen? Zudem war Masao gar nicht der Typ, der sich verliebte, oder Sehnsuchtsvoll nach einer Beziehu- Wow! Okay – Stopp! Der Schlag auf die Nase musste bis ins Kleinhirn durchgedrungen sein und einige Gehirnwindungen verdreht haben. Schluss jetzt! Der Blick schweifte über den Flur, aber Watanabe schien nicht hier zu sein, weswegen er niemanden eine Erklärung schuldete, allein hier hoch gekommen zu sein und steuerte schließlich Yasus Wohnung an - mit einem Tee in der linken Hand. Dabei meinte Kenta, Yasu würde schlafen, als Masao das Gespräch beendete, um diesen endlich aufzusuchen. Irgendwann würde er schließlich aufwachen – und wenn es mitten in der Nacht wäre. Dennoch hielt Kenta den Gast davon ab gleich nach oben zu gehen, um den schlafenden Dornröschen noch einen Tee zu kochen, der, sobald es erwachte, sicherlich eiskalt war. Verstehe einer die Logik von Herzensmenschen. Kurz hieß sich der Yakuza erneut als verblödet in dieser Welt, trat an die Tür heran, legte die Hand auf die Klinke und hielt inne, als dumpfes Gepolter und Gemurmel die empfindlichen Gehörgänge erreichten. Skeptisch glitt der Blick auf die Klinke hinab, bevor er den Kopf neigte und lauschte, als es erneut polterte. Rastete Yasu gerade aus? Abermals erklang ein dumpfer Schlag, was beinahe zu einem Schmunzeln führte, welches nicht ausreifte. Unruhe, sowie zweierlei Stimmfarben kristallisierten sich heraus, ließen höchstwahrscheinlich nur einen Gedanken aufkommen, welcher Vergnügen zu Zweit beinhaltete. Doch das Gepolter, die übertriebene Unruhe und diese dumpfen Laute verengten Masaos Augen angestrengt lauernd. Er hatte Yasu ausgebucht. Alle Hosts, sowie Kellner, einschließlich Kenta, befanden sich in den Gasträumen. Unwahrscheinlich also, dass der Host Besuch hatte - geschweige denn eine Liebelei auf seinem Privatzimmer. Noch einmal lauschte der Teebringer konzentriert, um nicht doch gleich in eine ungewöhnliche Situation zu geraten und riss anschließend, ohne weiteren Gedanken, die Tür auf. Hörbar zog ein eisiger Wind durch den Aufschwung um die Ohren, ließ selbst einen hartgesottenen Yakuza frösteln, welcher geradewegs auf die sich abspielende Szene vor dem geöffneten Fenster starrte. Noch ungesehen, fiel die Tür mit Hilfe des Windes lautstark ins Schloss und Masao schritt Zielgerade auf den Fremden zu, welcher von seinem Tun, den halb erstickten Yasu in einen Kleidersack zu stecken, inne hielt, und erschrocken aufblickte. „Lass ihn sofort los, oder ich vergesse mich! SOFORT!“, donnerte Masao tief und herrisch von sich, zögerte nicht und schüttete den dampfend heißen Tee direkt in das maskierte Gesicht des Unbekannten. Schockiert darüber zischte der Eindringling auf, stieß das Opfer dabei heftig von sich und legte beide Hände auf das glühende Gesicht. Auch die Waffe landete zusammen mit dem Clubprinzen, sowie einem schmerzlichen Geräusch auf den Boden, als die Stimme undeutliche, aber beklagende Laute formte. Tja – wenn Kenta sagte, er koche ordentlich Tee, dann kochte er ordentlich Tee. Die Lage ausnutzend, schritt Masao auf den Mistkerl zu, stieß diesen mit beiden Händen und sehr viel Energie rücklings gegen die Wand. „Was hast du hier zu suchen?!“ Kein Mensch dieser Welt vergriff sich am Hab und Gut eines Yakuza. Keiner! „Was du hier zu suchen hast?!“ Hart klang die sonst so weiche, angenehme Stimme. Herrisch war das sonst so umgängliche Handeln, als beide Hände nach dem Kragen des doch recht stämmigen Mannes packten, ihn zu sich zogen, nur um ihn erneut kräftig mit Nachdruck gegen die Wand zu stoßen. „Bist du taub, oder was?! Sprich!“ „Pendejo!“, beleidigte ein spanischer Ausdruck voller Hass und Groll den jungen Mann, welcher darüber kurz stutzte und natürlich nicht verstand – etwas Nettes wird es allerdings wohl kaum gewesen sein, weswegen Masao reagierte, als hätte er das Wort für „Wichser“ genauestens verstanden, um seine Sicherheit nicht zu verlieren. So griff er nach, schüttelte ihn am Kragen gepackt und drückte den Körper erneut mit Schwung zurück gegen die Wand, als sein Gegenüber versuchte den Griff mit gezieltem Handling zu lösen. Eindeutig kein Möchtegern Überfall. „Was du hier willst, hab ich dich gefragt! Mach's Maul auf und sag mir, was du vor hattest, na wird’s bald?!“ Kräftig begann er den anderen zu schütteln, winkelte ein Bein an und zog den Körper mit einem ebenso kräftigem Ruck gen Unterleib seinem Knie entgegen. Klägliche Laute lösten sich, doch wollte der Yakuza eine Antwort auf seine Frage, weswegen das Knie erneut mit Kraft und Schwung nachzog. Die Hände stießen anschließend gegenteilig den Oberkörper zurück an die Wand und entrissen dem Fremden die Maske unsanft vom Gesicht. Wer war das verdammt nochmal? Was wollte er von seinem Host? Was? Kurz musterte das Augenpaar das errötete Teegesicht, doch es blieb Unbekannt. Jedoch stach sofort ins Auge, dass es sich hierbei um keinen Japaner handelte, gar einen Asiaten. Die Züge waren zwar weicher, als man es von Europäern oder Amerikanern kannte, doch passte es haargenau zu dessen Akzent und benutzter Fremdsprache. Englisch oder Amerikanisch war es nicht. Vielleicht Französisch, Italienisch oder Spanisch? Das Spektrum ließ sich gut eingrenzen - die Antwort auf die Frage, was der Typ hier zu suchen hatte, blieb allerdings offen bislang. „Ich warte!“ Deutlich spürbar war die zu tiefst wütende Aura Masaos. Deutlich hörbar lag Zorn und Gewalt in der Stimme, während er mit schnellem Griff das Handgelenk des Einbrechers auf schmerzliche Weise nach links drehte, sodass dieser mit schmerzverzerrtem Gesicht einknickte. „Auftrag abholen, verfluchter Bastard!“ Die Stimme war nicht minder bedrohlicher, doch der ausländische Akzent wiegelte den Groll der Stimmfarbe deutlich ab. „Wohin?“ „Geht dich 'n feuchten Scheißdreck an.“ „...“ Aus engen, musternden Augen blickte Masao seinen Gegenüber an, konnte sich keinen Reim darauf bilden, was eine andere Organisation von seinem Host wollen könnte und stieß den Typen abermals unsanft mit sehr viel Kraft gegen die Wand. „Ich hasse es, wie die Pest, wenn man unangemeldet vorbeikommt, weißt du?“, näherte er sich einem Ohr, umklammerte mit einer Hand den Hals, drückte mit nötigem Enthusiasmus an der Halsschlagader zu und leckte sich die Lippen. „Du nennst mir einen gängigen Namen, oder es geht gleich six feed under du Miststück. Und zwar so, wie du bist, dass du elendig erstickst! Letzte Warnung! Ich bin nicht besonders geduldig, also sprich!“, zischte er ruhig, aber bestimmt, drückte sogleich den Daumen fester gegen den spürbaren Puls und empfing pure Kapitulation, welche der andere Körper ausstrahlte. „St.Marriott!“, stieß der Unbekannte hektisch hervor, ließ sich, trotz seiner stattlichen Figur, vollkommen von Masao beeindrucken, der gerade einmal halb so muskulös wirkte – es jedoch doppelt so viel zu sein schien. „Der Auftrag geht über St.Marriott, okay?! Mehr sag ich nicht!“ „...“ Masao stockte der Atem für den Bruchteil einer Sekunde und wurde in seiner Unachtsamkeit heftig zur Seite gestoßen. Der Hüftknochen begrüßte die Tischkante herzlich, zog dadurch sämtliche Muskulatur binnen Sekunden zusammen, sodass der Körper in sich zusammensackte. Halt fand eine Hand an der Tischkante, zog den schmerzenden Körper empor, während der Blick hastig zum Fenster glitt, wodurch eine Flucht über die angrenzenden Dächer gelungen schien. *„Skurwysyn!“, zischte der Groll durch den Raum, während sich der Yakuza ächzend auf die Beine zog, um wie ein Jagdhund zum Fenster zu hechten. Dem Ziel zum Greifen nahe, setzte er einen Fuß nach draußen in die eisige Kälte, als ein hyperventilierendes Röcheln und Würgen aus dem Raum seine Aufmerksamkeit direkt auf den Host lenkte. Der Host. Der schöne Clubprinz. Yasu! Der musste Todesängste durchstanden haben, und ja, dem war auch so. Jetzt musste jener sich allerdings anstrengen um richtig atmen zu können, glaubte sogar noch immer, jemand drücke ihm dem Kehlkopf zu, und war gefangen zwischen übergeben müssen, Heulkrampf und Ohnmacht, sodass er völlig Trunken vor Panik, geistesgegenwärtig versuchte aufzustehen, wie ein junges Rehkitz aber stetig gegen Schrank, Wand, oder andere Einrichtungsgegenstände taumelte. Masao hielt kurzweilig inne, bevor er den Blick losriss und nach draußen in die Dunkelheit sah, die Umrisse des Typen erkannte und- „Ach!“, stießen die Stimmbänder frustriert voller Inbrunst in den Abend. „Ach, Scheiße verfluchte! Scheiße!“, stieg er zornig zurück auf den Tisch, sah ein letztes Mal in die Nacht, beobachtete wie der Schatten verschwand, und knallte das Fenster schwungvoll zu. Er war so unglaublich bescheuert! Er war einfach so unfassbar dämlich dem Kerl nicht nachzujagen, aber wieso tat er es nicht einfach?Was zum Teufel hielt ihn davon ab? Was war es, was ihn daran hinderte, was war das bloß verflucht?! Und wo verdammt nochmal war dieser verdammte Watanabe!? Fluchend in den nicht vorhandenen Bart gemurmelt, sprang er vom Tisch, drehte sich mit beiden Händen in die Hüfte gestemmt um und sah dabei zu, wie Yasu den Eimer erreichte, sich daran festklammerte und sich schließlich übergab – wortwörtlich mit hängen und würgen drohte er in seiner halb knienden Position, samt Eimer, umzukippen. Es entlockte dem Älteren im Raum zunächst ein grummelndes Augenrollen. Ein Kopfschütteln. Ein Schnaufen. Ein Handeln – denn schließlich kniete sich Masao also in Anbetracht dessen zu seinem Host auf den Boden, der unter seinem Würgen krampfig versuchte Luft zu holen und zeitgleich einen Heulkrampf erlitt. Zumindest hörte es sich so an, dabei glaubte der Zyklop mittlerweile sämtliche Stimmlagen des anderen zu kennen. „Hey“, sprach er ruhig aus, drängte sich soweit gegen ihn, dass Yasu zwischen ihm und dem Bett Halt fand und mit einer Hand vorsichtshalber den Rand des Eimers festhielt - während die andere auf dem bebenden Rücken lag, diesen behutsam auf und ab streichelte. Schon wieder … „Atme durch die Nase ein. Immer durch die Nase, sobald du kannst Yasu, hörst du? Beruhige dich, ist gleich vorbei.“ . . . Während der bebende, aber wesentlich ruhiger gewordene Körper im Bett lag, nahm sich der Yakuza der Sauerei an und spülte den Eimer im Badezimmer aus. Dabei entging ihm das Chaos natürlich keineswegs und er ließ sich die ganze Szenerie nochmals durch den Kopf gehen. Stellte sich vor, wie die Wasserlache auf den Fließen entstand und entwarf sinnbildlich mehrere Varianten. Doch ganz gleich, wie diese aussahen, stellte sich all die Zeit die Frage, wie es der Kerl schaffte unbemerkt in dieses Gebäude einzudringen. Ebenso zogen sich die Brauen des Yakuza fragend zusammen, als er sich bewusst darüber wurde, dass trotz des Lärms, kein Watanabe auf der Matte stand. Es sei denn man ging davon aus, dass Yasu um diese Zeit ebenso in den Gasträumen arbeiten würde. Dennoch reichte diese Begründung nicht, um einen Leibwächter völlig abzusetzen. Ein Blick auf das Display des Handys zeigte keine außergewöhnlich viele Versuche auf, ihn in der letzten Stunde dringend erreichen zu müssen. Auch die Nachrichten waren weder Alarmierend, noch Besorgniserregend, weswegen er den Drang, sein rechte Hand anzurufen auf später verschob. Yasu war zwar bisweilen noch zwischen Nirwana und Realität, aber genau dies war ein unberechenbarer Zustand. Trotzdem musste er so schnell wie möglich Kontakt mit seinem Clan aufnehmen. Nur was sollte er sagen? Wie sollte er die Flucht eines Marriotts erklären, wo er ihn doch so gut wie im Sack hatte? Was hatte er bloß getan? Was hatte ihn da bloß gelenkt, ihm das Hirn vernebelt, ihn den womöglich größten Fehler seines Lebens begehen lassen? „Shit ...“, seufzte sich das innere Wohl leise über die Lippen, nachdem die Hand straff über die Stirn strich. Er musste nachdenken. Der Eimer wurde mit einen leicht plastischen Geräusch auf die nassen Fließen gestellt, bevor sich die Hände am Rande des Beckens abstützten, um das Augenpaar einen Blick in den Spiegel werfen zu lassen. Jener war ebenso benetzt mit Wasserspuren und der umgefallene Seifenspender ließ zusammen mit Yasus nassem Haar darauf schließen, dass man dessen Kopf hier unter Wasser drückte. Also musste er in unmittelbarer Nähe gestanden haben, als der Unbekannte ihn überraschte. Und weil er natürlich versuchte sich zu wehren, drückte man seinen Kopf hier unter Wasser. War nichts Ungewöhnliches, um ein Opfer schnell zum Schweigen zu bringen, wenn man keine anderen Mittel und Geschicklichkeiten besaß. Trotzdem konnte er sich keinen Reim darauf machen, was es mit dem Überfall auf seinen Spuck-Weiner auf sich hatte. Ging es tatsächlich gezielt um Yasus Person, oder war der Angriff auf einen Dritten bedacht? Auf Masao selbst? Stand er selbst im Fadenkreuz und das Zögern, sowie das Zurückbleiben in Yasus Wohnung waren gar nicht der größte Fehler, sondern sein größtes Glück? War es eine Falle, die er, wie durch ein Wunder, nicht betrat? Fragen über Fragen. Tief sog der Yakuza die Luft ein, füllte die Lungen mit Sauerstoff und bemerkte dabei sehr deutlich den stechenden Schmerz, an der geschlagenen Stelle, welcher ihn in die Beuge zwang und ebenso an den Zusammenstoß mit der Tischkante erinnerte. Ein zischender Laut huschte über die vollen Lippen, dann richtete sich der Körper wieder auf, während eine Hand nach dem Saum des Hemdes griff, um es anzuheben. Deutlich zeichnete sich eine geschwollene rote Spur vom Hüftknochen aufwärts auf der Haut ab, welche sich in den nächsten Stunden farbenfroh verfärben würde. Murrend über diese Entdeckung, verzog Masao genervt darüber das Gesicht, versuchte die Schwellung nach hinten abgehend zur Lendenwirbelsäule zu verfolgen und zog das Hemd schließlich aus. Der Stoff störte – das aufgezeigte Spiegelbild allerdings auch, als er mit einer halben Drehung und einem Schritt zurück sah, dass er sich die ganze Seite hervorragend geprellt haben musste. Scheiß Europäer! Ein Handtuch, welches an einem Haken neben dem Waschbecken hing, landete im Becken, während die rechte Hand mürrisch den Hahn aufdrehte. So ein verfluchter Drecksköter! Sein schöner Körper, total entstellt! Der konnte was erle- Sein Blick fiel auf die Badezimmertür, welche bislang nur einen Spaltweit geöffnet war. Nun stand mit dem nächsten Wimpernschlag Yasu im Türrahmen gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt um sich selbst zu wärmen und starrte teilnahmslos auf Masaos nackten Oberkörper. Starrte auf dessen Rücken. Starrte auf die großflächige Tätowierung. Noch nie hatte er sie gesehen – noch nie zeigte sich Masao mit nacktem Oberkörper von seiner Kehrseite, wie ihm in diesem Augenblick unbewusst auffiel. Etwa deswegen? Außer dem Wasserrauschen hüllte sich der Raum in Schweigen, bevor Masao den Blick abwendete, das Handtuch mit beiden Händen knetete, um es vollkommen zu tränken, und stellte anschließend den Hahn ab. Überschüssiges Nass wurde aus dem Textil gewrungen, dann warf der Yakuza Yasu durch den Spiegel hindurch einen Blick zu, welcher noch immer teilnahmslos auf dessen Rücken starrte. Er fand es anziehend. Nicht verstörend, nicht ungewöhnlich heutzutage. Sogar sexy – ganz gleich was auch immer dahinterstand. Es passte zum mystischem Wesen seines Zyklopen, welcher nun beobachtete, wie der Host gemächlich zum Waschbecken tapste mit nackten Füßen, um nach Zahnpasta und Zahnbürste zu greifen, welche im Eckregal des Spiegels beherbergt wurden. Starr richtete sich der Blick auf eine Stelle im Keramikbecken, während eine größere Menge Zahnpasta als nötig auf den Borsten landete. Wie in Trance schien das Hirn auf weitere Informationen zu warten um Bewegungen auszuführen, doch die Tube blieb mit dem Rand an die Bürste gelehnt, während sich das blasse Gesicht ein wenig verträumt nach links neigte. Er war so unbeschreiblich fertig. Masao beobachtete das Ganze aus dem Augenwinkel, überlegte einen Moment lang und erbarmte sich schließlich, den Musiker aus seiner Trance zu holen. Vorsichtig tastete eine Hand nach der Zahnpastatube, als könne eine zu schnelle Bewegung eine Explosion verursachen, und nahm diese an sich. Weiterhin durch den Spiegel hindurch musterte das Augenpaar die Gestalt neben sich, welche langsam den Blick hob, um direkt in Masaos Augen zu sehen. Doof war der Junge keineswegs. Trotzdem sollte er so wenig wie nur möglich von der Wahrheit erfahren. Die Wahrheit darüber, wer Masao wirklich war, welcher das Handtuch nahm, es auf die geschlagene Stelle an der Hüfte legte und wortlos das Badezimmer verließ - in der Hoffnung, dass er dem Host jetzt nicht noch die Zähne putzen musste. Eigentlich ein lachhafter Gedanke, doch zu dieser Stunde gar nicht so abwegig. Dabei hatte er ihn am Nachmittag endlich soweit, mal abzuschalten und zu entspannen. Masao seufzte schwer, erfreute sich kurze Zeit darauf jedoch über die Geräusche des Zähneputzens, als er sich das Fenster besah, durch welches seine Zielführung verschwand. Hatte er seine womöglich einzige Chance darauf, seinen Auftrag zu erledigen, in diesem Augenblick verspielt? Wäre er in einer Falle gelandet? Galt dieser Übergriff überhaupt ihn? Wenn nein, was hätte der Kerl mit Yasu angestellt? Wozu sollte er ihn holen? Der Yakuza seufzte in Folge, griff sich an die Stirn und schloss für einen Moment die Augen. Er hatte das Gefühl das Wesentliche aus den Augen zu verlieren. Er wurde unachtsam, geriet an neue Grenzen, welche er sich einst selbst setzte und überschritt sie mit banaler Leichtigkeit. Sollte er Kentas Forderung, die Sache mit Yasu zu beenden, doch beherzigen? Immerhin brauchte er den Host für Informationen, für wegweisende Hinweise – doch er konnte ihm all das nicht geben. Yasu war nicht nützlich, würde ihn nicht weiterhelfen, und dennoch. Dennoch stand Masao in genau diesem Moment in dessen Zimmer, anstatt seinen Auftrag auszuführen, welchen er in jener Nacht hätte lösen können, wäre er diesem Mistkerl gefolgt. Vielleicht – so hoffte Masao – war es genau richtig gewesen, dies nicht zu tun. Abgeschlagen fuhr er sich durch die Haare, blies die Wangen auf, entlies die Luft durch aufgepresste Lippen und schloss abermals für einen kleinen Moment die Augen. Unangenehm begann der Kopf zu pochen, die Hände zitterten und er steuerte instinktiv die Garderobe an, bis ihm einfiel, dass er seine Jacke unten bei Kenta liegen ließ. Innehaltend über diese Erkenntnis seufzte er abermals murrend auf, klemmte die Unterlippe zwischen die Zähne und warf einen Blick zurück auf den Host, welcher das Zähneputzen augenscheinlich bewältigte, und nun geradewegs, wenn auch langsam, den Nachtschrank ansteuerte. Das Augenpaar des Älteren verfolgte den steifen Körper, welcher die Schublade öffnete, um eine Blisterpackung hervorzuholen. Seine Blisterpackung! „Du brauchst die jetzt, oder?“ Dünn war die Stimme, mit Unsicherheit und Vorsicht besetzt. Der Ölprinz regte sich nicht, gab ihm keine Antwort und musterte ihn nur wieder mit dem gleichen Blick, wie er es am Nachmittag bereits getan hatte. Wissend. Durchbohrend. Drohend? Wieder verunsicherte es Yasu maßlos, doch so langsam glaubte er zu wissen, dass sein Märchenprinz ein Junkie, vielleicht auch ein Dealer war, und wollte sich diesbezüglich nicht noch mehr Ärger mit diesem Einhandeln. Glaubte in diesem Augenblick sogar, dass der Überfall garnicht ihm galt, sondern Masao, weil der irgendwelche Drogen noch nicht bezahlte oder bei ihm versteckte – wer wusste das schon? „Sind aus deiner Tasche gefallen … schon vergessen...?“ Eine 'Aha-Geste' schlich sich mitspielend auf Masaos Züge, der dennoch nicht verstand, wieso Yasu solch ein Spielchen begann und kam auf diesen zu, um seine Pillen an sich zu nehmen. Doch der Host wartete bis zum letzten Moment, zog die Pillen zurück und musterte seinen Zyklopen eindringlich mit großen Augen. „Das sind keine Schmerztabletten, richtig?“ „Und?“ Gereizt trat er einen weiteren Schritt auf Yasu zu, streckte die Hand flach aus und forderte stumm die Pillen ein. „Du nimmst Drogen. Und diese Arzthelferin wusste das, oder hat das vermutet, stimmt's? Deswegen solltest du zum Arzt gehen und besser aufpassen.“ „Gib mir einfach meine Tabletten und hör auf Detektiv zu spielen.“ „Und was ist das hier?“ Das Kokain kam zum Vorschein, ließ Masaos Augen böse aufblitzen und den Host erschaudern. „Durchwühlst du etwa meine Sachen? Gib das her!“ „Ist dir auch aus der Tasche gefallen ...“, log der Musiker diesmal offensichtlich. „Erzähl mir keine Märchen! Aus der Innentasche ist die Tüte sicherlich nicht einfach herausgefallen, Yasu!“ Ein kräftiger Schubs erreichte den Host, ließ den Körper unsanft auf die Matratze fallen und mit erschrocken großen Augen zu dem böse dreinblickenden Gast aufsehen. Sein ach so schöner Zyklop, sein ach so perfektes mystisches Wesen! Sollte sein Luftschloss in jenem Agenblick in sich zusammenbrechen? Sollte das, der wahre Masao sein? Er wirkte plötzlich so unsagbar fremd, so unbeschreiblich beängstigend und strahlte eine so übertrieben kühle Aura aus, dass das Blut in den Adern gefror. Wieder lähmte all dies den Körper, wieder überkam ihm die Angst, die Hilflosigkeit. „Du hast kein Recht meine Sachen zu durchwühlen, Yasu, hast du mich verstanden?“ Wütend drückten die Hände des Yakuzas den Körper unter sich erneut ins Laken, während zwei große, erschrockene Augen zu ihm aufblickten, welche verräterisch zu glitzern begannen. „Tut … tut mir leid, ich … es tut mir leid. Ich ... du machst mir angst, lass … lass mich bitte los,“ entwich es der Kehle jämmerlich, ängstlich, ja, fast schon vollkommen unterwürfig, was Masao wiederum sinngemäß die Augen öffnete, in Anbetracht der Situation. Yasu stand ihm bereits viel näher, als er es wahrhaben wollte. Er löste Gefühle und Emotionen in ihm aus, die er all die Jahre wegsperrte, und plötzlich wurde er wütend, wegen einer Sache, die er selbst verbockte? Weil er unachtsam wurde in Yasus Nähe? Der ihn noch immer mit großen Augen anstarrte, leicht zu zittern begann unter dem Griff, welcher sich nun lockerte, um schließlich von ihm abzulassen. Was war denn bloß los mit ihm? Was stellte dieser verschissene Host bloß mit ihm an, was passierte da zwischen ihnen, und vor allem mit Masao selbst? Er brachte nicht nur Yasu in Gefahr – seine Infoquelle, die keine weitere Nutzung aufwies – sondern auch sich selbst! „Masao?“ Das zögerliche Nachfragen löste die Starre des Angesprochenen, sowie den Griff. Eilig distanzierte sich der Ältere der beiden, löste sich, nahm Pillen und Pulver an sich und machte auf den Absatz kehrt. Die Sache war erledigt, er würde gehen. Als auch Yasu begriff, setzte er sich ruckartig auf, hielt sich den Kopf aufzischend und versuchte gar hektisch aufzustehen, schaffte es jedoch nicht. Einzig und allein ein kräftiges: „Nein!“ brachte er Zustande, welches ankommen sollte bei seinem Ölprinzen. Der hielt tatsächlich inne und wandte sich zu ihm mit fragendem Blick. Nein? „Geh bitte nicht“, bat Yasu kläglich, streckte sogar die Hand nach ihm aus, in der Hoffnung ihn vom Gehen abhalten zu können. Doch Masaos Blick war noch immer rau und befremdlich, ganz anders, als gewöhnlich. Es kam wie aus dem Nichts und verunsicherte den Jüngeren zu tiefst. Trotzdem wollte er ihn bei sich haben, wollte nicht alleine sein. Außerdem musste er sich entschuldigen. Masao hatte alles Recht der Welt wütend auf ihn zu sein. Man stöberte schließlich nicht in fremden Sachen herum. Er durfte wütend sein, das war okay. „Wir wissen beide was Sache ist, richtig?“, fragte jener überheblich wirkend nach, drückte eine Pille aus der Verpackung und schluckte diese ohne Weiteres – ganz offensichtlich provokativ. „Und du wirst nicht damit klarkommen, also-“ „Was?“, entwich es Yasu erschrocken, welcher wenig begeistert über die Handlung war. Trotzdem … „Nein. Nein, ich … ich will deiner Buchung nachkommen, wie es sich gehört. Es tut mir leid, du hast ja Recht. Die Tüte ist nicht raus gefallen ... keine Ahnung warum ich das gemacht habe, okay? Es wird nicht wieder vorkommen, und ja, es geht mich auch nichts an, aber bitte geh jetzt nicht. Du darfst von mir aus angefressen sein, du darfst dich auch gerne beschweren gehen über mich, aber … geh bitte nicht.“ Nervös zupften die Finger an der Bettdecke herum. Es fühlte sich wahrlich jämmerlich an, und wahrscheinlich war er das auch, aber die Panik im Inneren beherrschte das Handeln. Anders, als Masao, hatte er nichts getan, als der Kerl ihn überfiel. Masao hingegen war plötzlich da und handelte mit sicherem Auftreten. Ein Aspekt, welcher ihn in diesem Augenblick zusätzlich einschüchterte. Denn diese Seite des Zyklopen kannte er bislang noch nicht. Sie hatte etwas wahnsinnig sicheres, aber auch etwas sehr furchteinflößendes – je nachdem auf welcher Seite man stand. Der Yakuza hingegen hob erneut die Brauen und seufzte schwer, als er sich allmählich beruhigte und der Lage bewusst wurde. Er hatte Yasu angst gemacht, weil er selbst angst verspürte. Er war unvorsichtig. Es war sein Fehler und nicht der des schönen Hosts, der wie ein Häufchen Elend auf der Bettkante saß. „Hör zu, ich wollte dir keine angst machen. Entspann dich. Aber ich kann es nicht ausstehen, wenn man mich ausspioniert. Wenn ich dich darüber in Kenntnis setzen wollen würde, würde ich es tun, klar?“ Yasu knickte ein, entspannte ein wenig und ein reuevolles Nicken folgte. „Ich möchte … einfach nur gerne mehr von dir wissen, und als ich diese Pillen gesehen habe … ich bin ja nicht … gänzlich bescheuert ...“, murmelte er schultern hebend, während Masao ihn diesmal musterte und ein Moment der angespannten Stille entstand. Erst dann trat er langsam auf den Host zu, welcher mit gesenktem Haupt auf dem Bett an der Kante saß und erneut nickte. Er war zu weit gegangen. Die privaten Stunden waren vorbei, das hier war Buchungszeit und wahrlich unprofessionell von ihm. „Das ist nicht für mich“, wedelte Masao das Päckchen diesmal vor Yasus Augen herum, der den Blick hob und es sich besah, ehe er gänzlich aufblickte. Die gewohnte Aura war zurück. „Ab und zu zieh ich ne Line, das ist richtig, aber Großteils verticke ich das Zeug.“ Er ließ den Satz wirken, doch der Host verzog kaum eine Mine und schien in sich gekehrt. „Okay.“ Okay? Überrascht über diese Antwort, seufzte der Ältere zum unzähligen Male an diesem Abend und kniete sich anschließend auf den Boden, um Yasu, der den Blick wieder gesenkt hatte, ansehen zu können. Wesentlich entspannter und ruhiger. „Okay? Keine weiteren Fragen euer Ehren?“ Ein Lächeln deutet sich an, doch unehrlicher hätte es nicht sein können. Erneut löste diese Feststellung etwas im Inneren des Ölprinzen aus, was jener nicht zu deuten wusste, welcher sich seicht räusperte und am Hinterkopf kratzte. Wieso nur, fühlte sich das so komisch an? Wieso hatte er das Bedürfnis einen Witz zu reißen, um ein ehrliches Lächeln auf diesen schönen Zügen zu sehen? Wieso nur wurde sein Herz so schwer, je länger er den Jüngeren musterte? „Hör auf dich so zu beugen, Yasu, das bist du nicht.“ „...“ Die Schultern hoben sich nur angedeutet, dann sanken sie niedergeschlagen hinab. „Was meinst du, welche Art von Dienstleistung, außer Sex, lässt mich als steinreicher, alter Sack ausdienen, hm? Bauarbeiter sicherlich nicht“, versuchte er den Host auf ihren Anfang zu lenken, doch noch immer wollte Yasu den Kopf nicht heben, weswegen Masao dies für ihn übernahm, indem er mit dem Zeigefinger unter dessen Kinn griff, um den Blick des anderen geradewegs einfangen zu können. „Warum Interessiert es dich so sehr?“ „Sollte es nicht, ich weiß.“ Hart schluckte die Kehle die Traurigkeit hinab. „Beantwortet meine Frage nicht“, seufzte Masao gedehnt aus und holte tief Luft. „Aber gut … sei es drum, beantworte ich dir eben deine.“ „...“ Eine Frage? Es waren so viele! Es waren unbeschreiblich viele, wieso woll- „Ich verticke Drogen.“ Diese Worten schienen sich direkt ins Herz zu bohren, sodass Yasu die Augen länger als nötig schloss, während sein Gast fortfuhr. „Heute Nachmittag hätte dieses Päckchen den Besitzer wechseln müssen, aber wie du ja mitbekommen hast, kam mir etwas dazwischen“, scherzte dieser locker auf seine Nase zeigend, um die Stimmung wieder aufzuheitern, sowie Yasus Vertrauen zurück zu gewinnen. „Manches … kann man sich im Leben leider nicht aussuchen. Du machst das hier freiwillig. Ich hingegen ...“ Er ließ es im Raum stehen, warf das Tütchen auf den Nachttisch und setzte sich schließlich mit auf das Bett. „Um nicht völlig den Verstand zu verlieren, nehme ich 'HappyPils'. Stimmungsaufheller, wenn du so willst. Sie lassen dich weniger nachdenken, weißt du? Ohne die Dinger drehe ich durch“, lachte er verhalten auf und kreiste den Zeigefinger neben der Schläfe, wobei Yasu endlich den Kopf wieder hob und Masao ansah. Diesmal nicht nur traurig, sondern betroffen. Doch sagen konnte er im Moment nichts. „Ich kann nicht einfach kündigen und sagen dass ich das nicht mehr tun möchte. Das ist es doch, was du als nächstes wissen wollen würdest, richtig?“ „...“ Sein Finanz-Minister hatte seine Hellseherischen Fähigkeiten also nicht verloren. „Deswegen, Yasu, sei bitte nicht so naiv und finde auf eigene Faust irgendwelche Dinge über mich heraus. Das könnte Kreise nach sich ziehen, wo du am Ende in Dingen steckst, die du dir nicht einmal erträumst, okay? Ich will dich durch Unachtsamkeiten nicht in Schwierigkeiten bringen, das ist alles. Meine Klienten sind Stammkunden, die Orte der Übergabe weit Außerhalb deines Clubs. Mehr kann ich dir dazu auch nicht sagen und ich bitte dich, das für dich zu behalten. Das Getratsche ist groß, wie du weißt und ich mache das nicht erst seit ein paar Wochen, oder Monaten, wenn du verstehst.“ Zögerlich bekam der Ältere ein Nicken als Antwort, doch Yasu holte Luft und blickte ihn entschlossen an. „Was … was nimmst du noch?“ „...“ Masao schwieg, verengte den Blick, wirkte jedoch nicht gefährlich – vielmehr bockig, konnte man es so beschreiben? Es machte dem Host zumindest keine Angst mehr, welcher die vertraute Aura deutlich spürte, die ihm genug Sicherheit gab. „Du hast mich gebeten nichts weiter darüber zu fragen, aber … nimmst du 'nur' diese scheiß Pillen und ziehst ab und zu … das Zeug da, oder … ist da noch mehr?“ „Findest du das zu wenig?“, scherzte Masao locker, doch konnte der Host nicht Ansatzweise darüber lachen, weswegen erneut schweres Seufzen durch den Raum glitt. „Vielleicht zieh ich zu manchen Zeiten öfter Lines, aber im Grunde sind's nur die Pillen. So schlimm ist das nicht, sie machen locker und entspannen dich. So, wie du mich kennst, so bin ich wirklich, falls es das ist, was du dich fragst.“ „Nh, nein, das … darum geht’s gar nicht“, schüttelte der Jüngere den Kopf. „Aber du bist abhängig von ihnen, richtig?“ „Ja. Dem will ich gar nicht widersprechen.“ „Dann … dann ist das nicht einfach nichts, wie du meinst. Drogen sind Drogen und sie beeinflussen definitiv deinen geistigen Verstand und sind sicherlich alles andere als 'nicht so schlimm'“, griff er Masaos Worte neu auf, der Yasu still anblickte und sich über den Nacken fuhr. „Du rauchst und trinkst Alkohol, das sind genauso Drogen, wie diese beiden Dinge hier.“, deutete er auf besagte Utensilien und brachte Yasu diesmal zum Seufzen. „Schon. Aber ich werde nicht … bewusst daran zu Grunde gehen ...“ „So? Du hast ordentlich recherchiert, hn?“ Ein kesses Schmunzeln stahl sich auf die sündigen Lippen. „Du sagst es doch selbst! Das Zeug lässt dich entspannen und ohne würdest du durchdrehen. Jetzt sagst du, du kannst dir nicht aussuchen, wo du bist, was du tust … du … du siehst darin vielleicht einen Ausweg, oder?“ Masao lachte verhalten und schüttelte den Kopf darüber. „Die Dosis macht das Gift über kurz oder lang. Darum sagte ich eben, dass ich zu mancher Zeit mehr Lines ziehe – dafür fallen die Pillen dann weg, verstehst du? Ich habe nicht vor mich gezielt damit wegzuräumen, das wäre echt ein uncooler Abgang.“ „...“ Tröstete Yasu keineswegs. „Jetzt hör mir mal genau zu“, bat die vertraute Stimme ruhig. „Bevor ich die 'Happys' genommen habe, war ich ein Wrack, glaub mir. Jetzt denk ich nicht mehr so viel nach über das was ich tun muss, sondern mehr über das, was ich tun möchte. Zum Beispiel hier bei dir sein. Nicht, weil ich dich bezahlt habe, sondern weil ich deine Gesellschaft begrüße. Der Unfall heute Nachmittag hat dazu geführt, dass du Dingen auf die Schliche gekommen bist, die du normalerweise niemals von mir erfahren hättest. Du hast die Situation für dich genutzt, das ist menschlich, das kann ich dir nicht ankreiden. Dass du mir die Dinger aber ein zweites Mal entwendet hast, ist nicht nur dreist, sondern auch Risiko für dich. Mag sein, dass du mehr über mich wissen möchtest und dass unser Zusammentreffen irgendetwas hat, was Neugier weckt, und ich muss zugeben, irgendwie war das so nicht geplant, dass du … ich weiß gar nicht, wie ich es nennen soll, aber du machst seltsame Dinge mit mir, die sich seltsam bemerkbar machen, aber gut anfühlen, verstehst du? Aber Yasu. Ich bitte dich jetzt das erste und das letzte mal darum. Lass das. Lass es, mir nachzuschnüffeln, lass es, mir weiter Fragen zu stellen zu diesem Thema. Es ist nicht so, dass du kein Recht dazu hast, es jemals zu erfahren. Vielleicht wirst du es eines Tages erfahren – aber dann gezielt und ausführlich. Aber nicht jetzt, okay?“ „...“ War Masao in einer Gang? Einer Clique, einer Sekte – irgendeine Art Verein, wie diese tausenden Underground Gruppen, wo man nie wieder, oder nur sehr schwer austreten konnte? War dem so? Und was genau meinte er damit, dass er Dinge mit ihm tat und in ihm auslöste? War das eine Art Kompliment? Würde Masao vielleicht gerne Bauarbeiter sein, durfte aber nicht? Trug er noch mehr Lasten mit sich herum, musste es sein ganzes Leben schon ertragen? „Brauchen wir wieder Zettel und Stift?“ „Da ist noch mehr, oder?“, flüsterte Yasu traurig gen Boden, bevor er den Blick des anderen gezielt aufsuchte. „Was meinst du?“ „Du nimmst die Dinger nicht, weil du Drogen vertickst... du … da ist noch mehr, hab ich Recht? Sag einfach nur ja, oder nein, ich will keine genaue Erklärung, ich will nur wissen ob ich re-“ „Ja.“ „...“ Innehaltend kehrte erneut ein Moment der Stille ein. „Kanntest … kanntest du den Typen?“ „Nein.“ Masao sah Yasu ehrlich und ernst an. „Nie gesehen.“ Nickend, dennoch betreten sah der Host erneut gen Boden, während der Yakuza ihn von der Seite musterte. Er konnte regelrecht spüren, wie es in Yasu arbeitete, welche Gedanken dieser hegte und wie nervös und aufgebracht er noch immer war. Doch mehr konnte er ihm dazu beim besten Willen nicht erzählen. Es war bereits zu viel was er wusste. Noch mehr war schier unmöglich, wenn er ihn in Sicherheit wissen wollte. Und das wollte Masao. Er spürte es in jenem Augenblick zum ersten Mal in seinem Leben – die Sorge um einen anderen Menschen! Die Sorge, und die damit verbundene Fürsorge. „Und jetzt? Möchtest du dass ich gehe?“ „Nein.“ „Ich kann auch Samu oder Kenta holen, wenn es dir darum geht, nicht allei-“ „Nein.“ „Du willst mir allen Ernstes erzählen, dass du dich trotz Allem sicher fühlst bei mir?“ „Ja.“ Diese wortkarge Kommunikation seitens des Jünglings, raubte selbst einen Yakuza wie ihm den kompletten Wortschatz. Machte Liebe wirklich blind? War der Jüngere so sehr in ihn verknallt? Yasu seufzte schwer. „Ich … glaube einfach nicht, dass du mir … ich glaube einfach nicht, dass du mir jemals etwas tust. Du warst wütend vorhin. Das war in Ordnung, du hattest allen Grund dazu. Ich glaube dir, wenn du sagst, du hast den Typen nicht gekannt. Ich glaube … deine Reaktion, als du reingekommen bist, war nicht gespielt. Da warst du auch wütend, so wie jetzt auf mich. Und ... wozu all die Mühe, wenn du mich ums Eck bringen wollen würdest oder so? Vielleicht bin ich mal wieder naiv, aber das ist eben … meine Happy Pille, auch wenn … na ja ...“ Ein trauriges Lächeln erreichte Masao wie aus dem Nichts und ließ ihn kalt erschaudern. „Auch wenn das alles eben inszeniert war von dir … und du diesen Kerl angeheuert hast … oder weil er … wegen dir hier war, weil du … keine Ahnung, Drogen hier versteckst oder so? Ich weiß es nicht … aber … du wirst mir nichts tun … richtig?“ Was genau es war, was Masao tief in seinem Inneren spürte, wusste er nicht zu beschreiben, doch es nahm ihm kurzweilig die Luft zum Atmen und lies das Herz eine seltsame Schwere mit sich pumpen, die sich im gesamten Körper verteilte. Es fühlte sich nicht gut an. Räuspernd fuhr sich der Ölprinz durch das Haar, griff sich stöhnend in den Nacken und war für einen kleinen Moment etwas aus der Bahn geworfen, bevor er sich wieder fing. „Oh Gott, Yasu ...“, schmunzelten sich die Worte über die Lippen. „Dann sei weiterhin naiv und vertraue darauf und schnüffle nicht noch weiter in meinem Leben herum, okay? Es würde dir nicht gefallen. Versprich mir das bitte. Ich habe keine Lust den Kontakt abzubrechen, weil du zu viel weißt. Aber, um dich zu beruhigen – ich bringe keine Leute ums Eck. Ich glaube, wenn dem so wäre, würde ich mit meinen 'HappyPils' nicht weit kommen. Und was hätte ich davon, dir irgendetwas anzutun? Du hast kein Blattgold zwischen den Zähnen, es lohnt sich also nicht einmal, dich zu verkaufen. Ist das vorerst Erklärung genug?“ „Mhm ...“, nickte der Host etwas betreten, merkte aber dennoch, dass er langsam wieder entspannte, als er im nächsten Moment überrascht über die aufkommende Frage des Gastes aufsah. „Hm?“ „Ob es einigermaßen geht? So, in dir drin, meine ich, wegen vorhin? Kommst du langsam wieder runter?“ „Ich weiß nicht“, murmelte sich die Antwort in den Raum, während die Finger noch immer nervös an sämtlichen Dingen zuppelten, die sie zu fassen bekamen. „Aber ich glaube … ich glaube der Typ war das, der mich die ganze Zeit verfolgt. Ich habe die Aura gespürt, als er hinter mir war. Das war die gleiche, die ich seit Wochen auf der Straße spüre, aber immer wenn ich mich umdrehe, war da keiner. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, aber wieso steht auf einmal jemand in meiner Wohnung? Ich habe niemanden was getan. Ich wüsste nicht was! Ich hab aber keine Ahnung wer das sein soll. Vielleicht ein ehemaliger Kunde. Ein verrückter Fan, ein Stalker, wieder irgendein Irrer, der mich nur für sich haben will? Aber ich hab echt nichts getan, ich-“ „Yasu“, hob Masao die Hand, um anzudeuten, dass er runterkommen sollte. „Bleib ruhig, okay? Es ist nichts passiert und ich denke der wollte dich wirklich einfach nur mitnehmen.“ „Nur mitnehmen!“, schockierte sich Yasu über die Worte. „Der stand hier plötzlich i-“ „Ich weiß, ist ja gut, war doof ausgedrückt. Morgen sagen wir Bescheid, dass deine Fenster kontrolliert ...werden und … hn?“ Was tat der Andere denn da? „Tut`s sehr weh?“, flüsterte die Stimme Yasus, welcher seine kalte Hand an den sichtbar geschwollenen Hüftknochen legte, sanft mit den Fingerkuppen über die erhitzte Haut strich. Auch wenn er neben sich stand, so entging ihm das Geschehen nicht. Das Geschehen, die Wortlaute, das verlorene Handtuch auf dem Fußboden. Auch stand er bereits in der Tür, bevor Masao sein Shirt auszog und schmerzlich seinen Körper betrachtete. Sicherlich tat es weh, die Frage war unnötig, so wie sich der Andere vor den Spiegel krümmte, nun aber nach der eisigen Hand griff, um den Blick geradewegs in den Seinen zu führen. „Ist dir kalt?“, flüsterte eine Gegenfrage zurück, ohne wirklich eine Antwort darauf zu wollen. Denn da war es wieder. Dieses seltsame Gefühl, dieser seltsame Drang danach hier zu bleiben und das Telefonat hinten anzustellen. Es war unwichtig in jenem Augenblick. „Lass uns in ein Gästezimmer gehen heute Nacht, okay?“ „Oh.“ Leise kam der Ausdruck über die Lippen. Damit rechnete Yasu soeben am aller wenigsten, aber was bitte glaubte er auch, würde hier passieren? Masao schien solche Situationen zu kennen. Ihm schien es nichts auszumachen, weswegen es ein leichtes war zurück zur Normalität umzulenken und dem musste sich Yasu fügen. Er war schließlich Kunde. Sein Kunde. Sein aller schönster in all der Zeit, welchem er wahrscheinlich sein Leben verdankte. „Okay, aber … Ich … war noch nicht duschen, entschuldige bitte.“ „Eh?“ Masao zog die Augenbrauen tief ins Gesicht, schüttelte den Kopf und sah Yasu an, als habe er den Vorschlag gebracht ihn jetzt auf der Stelle physikalische Formeln beizubringen. „Sag mal spinnst du? Für wie unsensibel hältst du mich bitte?“ Lachend über die Fehlinterpretation schnippte der Zeigefinger an die fremde Stirn, die sich zu kräuseln begann. „Wir können auch hier bleiben, ich dachte nur du würdest dich in einem anderen Raum besser fühlen, bis du die Sache verdaut hast und alles weitere geklärt wird.“ Hoppla ... Yasu bekam augenblicklich wieder Farbe ins Gesicht und sah ohne weitere Worte beschämt zur Seite. Gott, was war das peinlich! Und noch viel peinlicher war die Tatsache, dass ihm die Antwort missfiel, weil sein Junkie anscheinend nicht vor hatte mit ihm zu schlafen – obwohl er eben noch enttäuscht darüber war, weil er dachte, er wollte genau das mit dem Zimmerwechsel bezwecken. Logik? Zumindest Belustigung für den Kunden, denn der lachte verhalten auf, legte Zeigefinger und Daumen an Yasus Kinn, und zwang ihn somit sanft, ihn erneut anzusehen. „Du kannst natürlich trotzdem gerne duschen gehen, nein werde ich dazu nicht sagen, mein Mausezähnchen.“ „Ach … sei still, ich steh noch unter Schock und bin traurig.“ Genuschelte Worte, und eine flache Hand erreichten den Yakuza, welcher nicht damit rechnete, dass sich der andere tatsächlich genierte über seine Aussage und lachte darüber erneut verhalten auf. „Ich werde hier bleiben zum entschocken und enttraurigen, hm?“, tippte der Zeigefinger die Nasenspitze an, während die andere Hand wiederum Yasus am Gelenk sanft von seinem Gesicht zog. „Also lass uns heute wo anders schlafen, dass du zur Ruhe kommst. Morgen meldest du den Vorfall und dann geht es dir bestimmt ein wenig besser.“ Dieser Zyklop! Wie konnte er mit solch einem Mann sein Luftschloss nicht wiederaufbauen? Es war schier unmöglich und der Host längst am Schachten und Schichten! Er war zu perfekt. Er war ein verfluchter Junkie, aber verdammt nochmal, er schien das nicht freiwillig zu tun! Was auch immer die ganze Wahrheit war, es machte den Älteren zu keinen anderen Menschen. Vor ihm saß sein reicher Zyklop, wie er ihn kennenlernte – mehr wollte er doch gar nicht, außer ... „Bitte … küss mich, bitte.“ In den darauffolgenden Sekunden, in welchen nichts geschah, klopfte das Herz nahezu ungehalten und ungestüm gegen den Brustkorb. Hände und Beine begannen zu kribbeln, der ganze Körper füllte sich mit bleierner Schwere und sobald die Lider geschlossen waren, rann eine Träne nach der Nächsten über die erhitzten Wangen. Sanft legten sich angenehm warme Hände auf sie und ebenso sanft legten sich weiche Lippen auf die zittrigen Schluchzer. Noch nie in seinem Leben sehnte sich der Musiker so sehr nach Nähe und Halt, wie in diesem Moment. In diesem Moment, in welchem er an einen ruhigen und warmen Körper herangezogen und überraschend zärtlich geküsst wurde. Ihm blieb gar keine Wahl, als sich fallen zu lassen und die Hände fest in Masaos nackten Rücken zu krallen. * * * „Liebes Tagebuch, es ist erneut passiert. Aber meine Bauchschmerzen sind weg. Weil er ♥ bei mir ist. Egal wer er wirklich ist, ich möchte ihn nie wieder loslassen. Nie wieder. Bitte lass mich ihn behalten dürfen ... Yasu“ * * * ---------------- Next? ---------------- Übersetzung: Kurde – verdammt; scheiße Nie mam pojęcia – Ich habe keine Ahnung (davon; wohin das führt; etc) Skurwysyn - Hurensohn Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)