Frania Chronicles von Traiko (Eine Reise beginnt) ================================================================================ Kapitel 1: Uri -------------- Die Abteilung für magische Anomalien und Drachenmagie in Berma hatte seit dem Ende der Drachenära in Sachen Mitarbeiter schwere Verluste hinnehmen müssen, denn heutzutage gab es keine hohen Drachen mehr. Im Gegensatz zu den vielen anderen Abteilungen hatte die Abteilung für Anomalie und Drachenmagie jedoch ihren Dienst längst erwiesen - in der Zeit der Drachenära florierte sie gerade zu. Jetzt jedoch hatte sie so stark an Bedeutung verloren, dass es nur noch drei Mitarbeiter gab. Und diese kamen sich oft vor als ob sie Archäologen wären, die nach einem untergegangenen Wissen suchten, das eigentlich schon längst bekannt war. Uri war einer von ihnen. Heute saßen er, die Abteilungsleiterin Marja und der Abteilungsälteste Yunus zusammen über einer Karte, die den Meeresboden rund um Berma zeigte. Yunus hatte nach dem letzten heftigen Sturm vor ein paar Tagen eine merkwürdige Strömung entdeckt, von der er dachte sie könne eines magischen Ursprungs sein. Aufgeregt stand Yunus vor der Karte. Uri kannte dessen Leier bereits auswendig, was ihn jedoch nicht davor schütze sie auch heute wieder zu hören. „Ihr wart noch zu jung um mitzuerleben wie die Drachen waren. Sie haben die Fähigkeit ihre Gestalt zu wandeln. So können sie unter Menschen, Elfen und weiß der Kuckuck was noch weilen, ohne, dass sie auffallen. Durch ihre magische Begabung tarnen sie sich oft als Magier oder Hexer, wobei ich unter denen nicht suchen würde. Dort würden sie früher oder später von ganz alleine auffallen. Drachen leben länger als jede andere Spezies. Es ist unmöglich, dass sie alle tot sein sollen!“ Darauf fragte ihn Marja wie immer: „Glaubst du wirklich, dass die beiden Phönixe ein paar Drachen leben ließen? Sie haben alle getötet, genauso wie sie alle Kämpfenden getötet haben, ganz egal von welcher Seite sie waren. Du hast doch selbst die drei Drachenhochstätten besucht. Sie waren alle tot. Und die Eier, die du mitgebracht hast, sind alle kalt geworden. Ganz egal was wir auch damit versucht haben. Das sind deine Worte, Yunus.“ Dieser Dialog war ein täglich zelebriertes Ritual. Uri fand, dass Marja durchaus einen Punkt hatte. Dennoch bleib eine Portion Restzweifel in ihm übrig. Was wenn zu dem Zeitpunkt des Eingreifens durch die Phönixe tatsächlich alle Drachen tot erschienen, es aber im Nachhinein gar nicht waren? Wenn die hohen Drachen wirklich so clever waren wie Yunus immer behauptete, war es vielleicht möglich, dass sie sogar die Phönixe täuschen konnten? Aber wie hoch war schon die Wahrscheinlichkeit erfolgreich zwei göttliche Wesen hinters Licht zu führen... „...Wenn mich nicht alles täuscht, ist diese Stelle hier auf der ehemaligen Insel von Berma. Es ist eine der Stellen, die zuerst untergegangen sind. Moment ich suche mal eben eine alte Karte der Insel heraus.“ Endlich beim eigentlichen Thema wieder angekommen, machte sich Marja schon daran in den Regalen des Raumes zu kramen. Während Marja nach der Karte suchte lehnte sich Yunus zu Uri vor: „Hör zu. Ich bin mir sicher, dass ein Drache dahinter steckt. Die können sehr lange mit wenig oder gar keiner Nahrung auskommen. Und mittlerweile ist das Drachengift in den Meeren sicher verschwunden, das damals von Berma in die Meere geleitet wurde um dem Geschlecht der Meeresdrachen zu schaden. Es wäre also durchaus möglich.“ In diesem Augenblick war ein heftiges Niesen zu hören und kurz darauf ein Fluchen („Verdammter Staub! Yunus, warum machst du nie deine Regale sauber? Ich bitte dich darum seitdem wir miteinander hier arbeiten!“). Dann legte Marja die gesuchte Karte auf den Tisch und warf Yunus ihren mahnenden Blick zu, so wie sie es immer tat, wenn Yunus sich wieder zu einer seiner Annahmen hinreißen lies. Der alte Mann hielt dann für gewöhnlich den Mund. Nachdem wieder Stille im Raum eingekehrt war, setzte sich die Abteilungsleiterin wieder auf ihren Platz. Wie nebenbei strich sie präzise mit den Fingern die Wellen aus dem Papier während sie sich leicht mit dem Oberkörper vorbeugte um einen besseren Blick auf die Dinge zu haben. Uri nahm jede ihrer Bewegungen in sich auf, auch wenn sie noch so klein und bedeutungslos erschienen. Er mochte Marja, mit ihrem kurzen kastanienbraunen Haaren und ihren lebendigen, grau grünen Augen. Sie waren etwa im gleichen Alter. Allerdings hatte er Angst, dass dieses Mögen nicht auf Gegenseitigkeit beruhte. Zwar unternahm er öfter nach der Arbeit was mit ihr und manchmal auch mit ihr und Yunus, aber sie machte nie Anstalten mehr als Freundschaft für ihn zu zeigen. Zumindest dachte Uri das. Und so behielt er diese Angelegenheit für sich. Jedenfalls so lange bis er sich dem einen oder dem anderen sicher sein konnte. Bis dahin genoss er einfach ihre Nähe und freute sich über die kleinen Gesten ihrerseits. „Also, wenn wir die Stellen auf den beiden Karten miteinander vergleichen...sollte es in etwa hier sein.“ fuhr Marja fort und deutete mit ihrem Finger auf die Stelle der altern bermischen Inselkarte. „Ach, das war eine alte Grabungsstätte. Dort wurden früher Edelmaterialien und andere Rohstoffe für Forschungszwecke abgebaut. Das Gebiet war voller Stollen, Höhlen und Gänge. Hmmm.“ kam es von Yunus, der sich nun nachdenklich zurück in seinen Stuhl lehnte. „Das hört sich gefährlich an. Da könnte schnell etwas einstürzen. Aber wir sollten es schleunigst untersuchen, damit wir was für unseren Report haben“ gab Marja zu. Einige Momente lang herrschte Stille. „Ich werde auf Tauchgang gehen und mich der Sache annehmen“, brachte Uri entschlossen vor und stand auf. Hoffentlich hatte er sich jetzt nicht zu viel damit aufgeladen. Aber irgendwer musste es ja tun; Yunus war zu alt und Marja wollte er nicht in Gefahr bringen indem er nicht ging. Yunus klatschte aufgeregt in die Hände „Sehr gut, Junge! Und halte Ausschau nach einem lebendigen Drachen, beziehungsweise nach einer Person, die sich dort in der Nähe aufhalten könnte!“ Marja sah Uri zunächst erstaunt an, dann wandelte sich ihr Gesichtsausdruck allerdings in ein wohlwollenes Lächeln. „Danke Uri. Ich werde alles in die Wege leiten. Bereite du dich am besten jetzt schon vor. Wir können vermutlich in einer Stunde mit der Operation beginnen.“ Mit diesen Worten stand die Braunhaarige auf und verlies den Raum um ihr kleines Projekt anzumelden. Pflichtbewusst machte sich Uri daran sein Ausrüstungssystem magitechnologischer Anwendungen, auch Asmata genannt, anzulegen und mit Yunus die letzten Vorbereitungen zu treffen. Uri konnte sich kaum satt sehen an dem tiefen Blau und den vielen Fischen die ihn neugierig umschwärmten zwischen dem zerklüfteten Gestein, das einmal ein Teil bermischer Behausung war. Leider hatte er kaum Zeit zum Verweilen, seine Magie würde ihn nicht ewig in der Luftblase halten können. Durch einen weiteren Schub näherte er sich nun der Felsspalte, die ihm Yunus beschrieben hatte. Und genau wie es der alte Herr befürchtet hatte stellte sich das Navigieren durch den engen Schacht als schwierig heraus. Etliche Abzweigungen und Hindernisse später stand Uri jedoch wirklich in einer Art Unterwasserhöhle, die mit Atemluft gefüllt war. Wie klar und kühl die Luft hier war! Bevor jedoch seine Gedanken sich daran machten dieses kleine Wunder zu analysieren setzte sich Uri erst einmal hin um zu verschnaufen; schließlich musste er ja auch noch unbeschadet den Weg zurück finden und dafür...! Was war das? Hatte er da tatsächlich eine Bewegung aus den Augenwinkeln heraus wahrgenommen? Langsam stand Uri auf und schritt so lautlos wie möglich weiter in die Höhle hinein. Die Stille verriet ihm nichts, daher ließ Uri ganz plötzlich die kleine magische Flamme über seiner Hand stark auflodern, woraufhin es in einer Ecke fiepste. Die Quelle dessen war...ein kleines Mädchen mit langen blauen Haaren, welches erschrocken an der Höhlenwand kauerte und sich die Arme schützend über ihren Kopf zusammengeschlungen hatte. Neben ihr lag ein Drachenschädel, der nur noch aus bloßem Knochen bestand. Uris Gedanken begannen zu rasen. Damit hatte er nicht gerechnet. Was machte ein kleines Mädchen ganz alleine in dieser Umgebung? Steckte einer der letzten schweren Stürme dahinter? „Drachen können menschliche Form annehmen“, hallten ihm Yunus Worte durch den Kopf. War es etwa möglich, dass dieses Mädchen in Wahrheit...? So ein Quatsch, als ob er hier in einen Drachen laufen würde. Der einzige anwesende Drache war bereits tot und der Beweis dafür lag zu seinen Füßen in der Gestalt eines großen Knochens. Wie lange war er schon tot? Er hatte von Yunus gehört, dass hohe Drachen außerordentlich schnell verrotten sollen. Hatte der Drache das Mädchen hierher gebracht? Hat er sie mit seiner letzten Kraft in diese Höhle vorm Ertrinken gerettet? Steckte der Drache hinter dem von Yunus aufgenommenen Signal? Also wenn diese Expedition die Abteilung für magische Anomalien und Drachenmagie nicht vor dem Schließen bewahrte, dann wusste er auch nicht weiter. „Tut mir Leid, ich wollte dich nicht so erschrecken“, naja eigentlich hatte er das schon gewollt. Aber das war bevor er wusste, dass es sich hier um ein menschliches Mädchen handelte. „Mein Name ist Uri Chiron und ich bin ein Magitechnologe, der im Auftrag der Abteilung für magische Anomalien und Drachenmagie von Berma hier Forschungen betreibt“, während er diese Worte so sanft wie möglich sprach näherte sich Uri behutsam dem kleinen Mädchen und ging vor ihm in die Hocke. „Der Sturm hat dir sicherlich Angst eingejagt.“ Das Mädchen nahm nun langsam die Arme vom Kopf und musterte mit ihren großen hellbraunen Augen ihr Gegenüber unsicher bevor sie ein kleines zögerndes Nicken als Antwort gab. „Du hast sicherlich Hunger und willst aus dieser Höhle raus, nicht wahr?“ Ein sofortiges, heftiges Nicken ihrerseits war Antwort genug. Nicht, dass Uri sie nicht auch so oder so mitgenommen hätte, aber ihr Zustimmen machte die Sache etwas leichter. „Und ich sage euch, sie IST ein Drache!“ Yunus aufgebrachte Feststellungen wurde nur durch das Schmatzen des kleinen Mädchens unterbrochen, das glücklich und völlig unbeeindruckt von Yunus wilden Thesen ihr Mahl aß, welches Marja ihr eigens zubereitet hatte. „Ach Yunus. Nur weil du dort eine Anomalie festgestellt hast, heißt das noch lange nicht, dass dieses Mädchen dahinter steckt! Du hast doch gehört was Uri berichtet hat. In dieser Unterwasserhöhle liegt ein toter Drache. Wir wissen nicht wann er gestorben ist. Vielleicht es es möglich, dass du den letzten Lebensfunken dieses Drachens aufgefangen hast. Du bist doch immer derjenige, der mir vorjammert, dass Drachen so schnell verrotten können und es unmöglich sei den genauen Todeszeitpunkt im Nachhinein zu bestimmen“, Marja stemmte verärgert die Arme in die Seite und pustete ungeduldig eine widerspenstige Strähne aus ihrem Gesicht. Uri beobachtete, wie seine Abteilungsleiterin sich zu dem Mädchen beugte und den erneuten Erklärungsversuch von Seiten Yunus gekonnt ignorierte. Statt auf Yunus einzugehen fragte sie das Mädchen „Sag mal, wie heißt du eigentlich?“ Das Mädchen schluckte grade den letzten Bissen ihres Essens herunter, doch anstatt Marja zu antworten schaute sie diese nur mit großen, fragenden Augen an und legte den Kopf schief. „Das habe ich auch schon probiert, Marja. Sie scheint kaum ein Wort zu verstehen. Die einzige Antwort, die ich aus ihr heraus kitzeln konnte war ein Nicken auf die Frage ob sie Hunger hat. Alle anderen Fragen hat sie völlig unbeantwortet gelassen. Ich frage mich auch woher sie wohl kommt und wie sie in der Höhle gelandet ist. Nach ihrem Appetit zu urteilen muss sie wohl schon ein Weilchen unter Wasser verbracht haben“, gab Uri von sich und erreichte damit, dass Marja ihn unsicher anschaute. Wie gerne er ihr jetzt Sicherheit geschenkt hätte! „Nun, sie braucht trotzdem einen Namen. Zumindest solange, bis wir wissen wie sie wirklich heißt“, flink wie sie war und mit einem freundlichen Lächeln drehte sich Marja zu dem Mädchen und ging in die Knie um mit der Kleinen auf Augenhöhe zu sein, „solange wir nicht wissen wie dein richtiger Name ist, werden wir dich Malu rufen. Meine Großmutter hieß so. Deine Augen erinnern mich an sie.“ Gerade wollte sie Malu noch mehr erzählen, als Yunus mit so einem heftigen Ruck aufstand, dass der Stuhl mit einem Knall nach hinten umkippte. Energisch klatschte er seine Hände auf den Tisch. „Marja! Bei allen verdammten Elementen! Deine Malu IST ein Drache! Da besteht absolut kein Zweifel dran! Du vergisst, dass ich von der alten Schule bin, genau wie einige andere Magitechnologen auch. Wir KENNEN die Aura, die ein Drache versprühen kann! Wir haben den Drachenkrieg miterlebt! Und dieser kleine Drache da ist nicht sonderlich gut darin, seine Identität zu verstecken! Die Abteilung für gesundheitliche Analysen hat sie doch untersucht als Uri mit ihr hier aufgekreuzt ist. Wie lange glaubst du brauchen die um ebenfalls festzustellen um wen es sich bei der kleinen Malu handelt? Es ist doch nur eine Frage der Zeit bis sie auffliegt! Bist du dir eigentlich bewusst, was das bedeutet? Was das für Konsequenzen haben könnte? Marja! Unsere Politik war selten so zerworfen wie heutzutage! Wenn sie hier in die falschen Hände gerät könnte sie sterben und oder einen Bürgerkrieg auslösen!“ Instinktiv wichen sowohl Uri als auch Marja ein paar Schritte zurück. So wütend und so bestimmt hatten sie beide ihren Kollegen noch nie gesehen. „Uri! Ich weiß, dass du ein sehr feinfühliger Magitechnologe bist! Sag, was war dein erster Gedanke, als du dieses Mädchen gesehen hast?“ Yunus Blick war eisern auf Uri gerichtet. Seine Reaktion machte Uri nervös und ein ungutes Gefühl stieg in seiner Magengegend auf. Uri schluckte seine Unsicherheit herunter und versuchte sich daran zu erinnern, was sein erster Gedanke war, als er Malu traf. Ihm schossen Yunus Worte durch den Kopf: „Drachen können menschliche Form annehmen.“ Nur einen Herzschlag bevor er zur Antwort ansetzen wollte, flog die Tür zum Flur auf. Entsetzt wirbelte die Belegschaft der Abteilung für magische Anomalien und Drachenmagie herum und erblickten keinen geringeren als den Leiter der militärischen Abteilung von Berma, Sibo Falon. Das konnte nicht wahr sein. Uris Herz setzt einen grauenvoll langen Schlag aus. Mit einem Augenblick war ihm klar, dass Yunus Recht haben musste und jetzt war alles zu spät. Marja würde alles verantworten müssen. Und was würde mit ihn allen geschehen? Nein! Das konnte nicht wahr sein! Das durfte nicht real sein! Ein eklig schlechtes Gefühl machte sich in Uris Magen breit. Malu, die bis eben noch unbeteiligt neben ihm saß, sprang auf und funkelte den militärischen Befehlshaber misstrauisch an. Sibo hatte einen stechenden Blick und beäugte mit eben diesem jeden der Forscher ganz genau. Als sein Blick auf Uri ruhte, dachte Uri, dass er geradewegs in seinen Kopf sehen müsste, so eindringlich und gnadenlos wie Sibos Erscheinungsbild war. Als Marja an der Reihe war von Sibo betrachtet zu werden, umspielte ein selbstgefälliges Lächeln seine Lippen und er begann zu reden: „Marja, du solltest öfter auf deinen Abteilungsältesten hören. Er hat absolut Recht mit dem was er sagt.“ Mit langsamen Schritten drang er weiter in den Raum ein. „Hm. Heh, lächerlich. Die Abteilung für magische Anomalien und Drachenmagie von Berma ist nicht einmal in der Lage einen hohen Drachen zu erkennen und zu melden während andere, völlig fachfremde Abteilungen dieser Aufgabe problemlos nachkommen können. Wozu existiert ihr eigentlich noch? Nun gut, immerhin habt ihr es geschafft den Drachen aufzuspüren.“ Sibo streckte seinen Arm Richtung Malu aus. Kurz blitze ein Funke aus seinem Asmata an seiner Hand auf. „Das Drachenmädchen ist ab sofort Eigentum der militärischen Forschungsabteilung.“ Mit diesem Urteil preschten sofort einige bermische Magisoldaten in den kleinen Raum und näherten sich Malu, welche sich nun erschrocken an Uris Bein klammerte. „Nein! Ich werde nicht zulassen, dass ihr auch noch den letzten hohen Drachen Franias aufschneidet!“, entschlossen schmiss sich Yunus auf Sibo. Die Magisoldaten richteten ihre Asmata auf Yunus und schossen eine magische Ladung auf ihn ab, woraufhin der Abteilungsälteste zu Boden ging, nachdem er gewaltvoll gegen eines der Bücherregale geschleudert wurde, sodass einige Bücher heraus fielen. Mit entsetzt aufgerissenen Augen wich Uri einige Schritte nach hinten. Marjas Schrei schien plötzlich ganz weit weg zu sein als er beobachtete, wie sich Yunus weiße Robe langsam Rot färbte. Die Welt drehte sich in Uris Kopf und seine Hände wurden kalt. Wie angewurzelt stand er da, den Kopf leer vor lauter Unverständnis über die Situation die sich gerade entfaltete. Er bekam gar nicht richtig mit was weiter passierte, bis Marja auf einmal mit einer Wunde am Kopf vor ihm stand und ihn mit einem kräftigen Schubs auf dem Fenster warf. „Uri! Beschütze Malu!“ rief sie noch, doch Uri fiel bereits mit Malu in die Tiefe. Die Meeresoberfläche kam rasant näher. Was auch immer gerade passiert war, es würde in einem Desaster enden, da war sich Uri sicher. Er kniff die Augen zusammen, während er sich an das kleine Mädchen klammerte. Sie würden beide sterben. Yunus musste Recht haben. Er musste! Es war die einzige Chance, dass er und Malu überleben konnten. Es gab keine andere Wahl zwischen Drache und Tod. „Malu! Flieg, wenn du wirklich ein Drache bist! FLIEG!“, schrie Uri und betete zu allen ihm bekannten Göttern und Mächten gleichzeitig, doch sie fielen immer noch. Gerade als Uri realisierte, dass sie nun wirklich sterben würden, fühlte er einen großen, geschuppten Körper in seinen Armen und hörte ein Flügelschlagen. Ein merkwürdiges Kribbeln machte sich in seinem Körper breit. Uri riss seine Augen auf. Er saß auf einem blauen Drachen. Und sie flogen. Ein unbeschreibliches Gefühl, das Uri einige Momente abverlangte. Sie waren nicht ins Meer gestürzt. „Malu..“ Der blaue Drache neigte den Kopf und schielte Uri kurz an. Yunus...Marja... Nein, nein, er musste sich darauf konzentrieren hier weg zu kommen. Undzwar lebendig. Uri riss seinen Kopf herum und sah hinauf zu den bermischen Türmen, die schnell kleiner wurden. Es würde nicht lange dauern, bis die Magisoldaten die Verfolgung aufnehmen würden. Uri brauchte einen Moment um sich zu orientieren. Wenn sie aufs offene Meer hinausflogen und dort dann von den Truppen überwältigt wurden war es das. Und selbst wenn nicht, würde es Tage dauern bis sie das nächste Festland erreichen würden. Der Weg, den Malu eingeschlagen hatte war nicht verkehrt. Sie steuerten geradewegs auf die Ruinen der einstigen Drachenstadt zu. In unmittelbarere Nähe sollte es ein Dorf namens Luun geben, wenn er sich richtig erinnerte. Es wären mit Sicherheit die ersten Orte an denen Sibo nach ihnen suchen würde, aber er bot auch viele Verstecke und Fluchtmöglichkeiten. Sie mussten es versuchen. „Flieg schneller Malu!“, rief Uri woraufhin sie ihm mit einem Grollen antwortete und tatsächlich ein wenig schneller wurde. Die Sekunden der Anspannung streckten sich endlos lange hin. Gerade bildete sich Uri ein die ersten Behausungen auf dem Festland am Horizont ausfindig zu machen, als er kurz über seinem Kopf eine magische Attacke vorbei rauschen fühlte. Uri sah zurück und erblickte einen Trupp von Magisoldaten, der ihnen schon auf den Fersen war und sie mit magischen Attacken bombardierte. So ein Mist, warum nur hatte er sein eigenes Asmata sofort nach Beendigung der Tauchexpedition abgelegt? „Versuch dich nicht treffen zu lassen, Malu“, dachte er laut und legte sich flach auf den Drachenkörper um ihren Verfolgern weniger Angriffsfläche zu bieten. In seinem Kopf rasten die Gedanken. Was sollten sie jetzt machen? Gab es nicht doch noch irgendeine Methode um die Magisoldaten abzuschütteln und zu fliehen? Ein weiterer Angriff sauste über Uri hinweg und verfehlte nur knapp den Drachenkopf. Malu erschrak darüber so sehr, dass sie ins Schlingern geriet, was Uri Schwierigkeiten machte sich an dem Drachenkörper festzuhalten. Ein weiterer Angriff sauste knapp an Malus rechtem Flügel vorbei. Die Feuerrate nahm jetzt deutlich zu und dass Malu nun wie ein aufgescheuchtes Tier in der Luft zappelte machte die Lage nicht gerade besser. „Malu!“, Uri wollte gerade eine Anweisung geben, doch in dem Herzschlag in dem er seinen Mund öffnete, krachte eine magische Attacke geradewegs gegen Malus Kopf. Entsetzliche Kälte ging von dem Aufprall aus und breitete sich explosionsartig aus. Uri kniff die Augen zusammen und schlotterte unweigerlich. Die Kälte ging bis in die Knochen. Sie fielen wieder Richtung Meer. Nur dieses mal mit einem enormen Flugtempo. In einer letzten, verzweifelten Hoffnung krallte sich Uri an den blauen Drachen, wohlwissend, dass ihn das nun auch nicht mehr vor einem harten Aufprall mit der Meeresoberfläche schützen würde. Noch einmal öffnete Uri seine Augen und suchte die bermischen Türme am Horizont. Wenn er schon sterben musste wollte er zumindest seine Heimat im Blick haben. 
Am Horizont, verblasst und klein, hoben sich die einzelnen Türme in den Himmel, doch der Anblick wurde von einigen Magisoldaten versperrt, die immer noch in ihre Richtung Attacken abfeuerten. Einige trafen auf den Drachenkörper, doch die meisten verfehlten. Vielleicht würde Uri ja Gnade widerfahren und eine der Attacken würde ihn treffen bevor er auf das Meer traf. Und tatsächlich, es kam wirklich eine Attacke auf ihn zu. Vielleicht hatten die höheren Mächte seinen Wunsch ja erhört. Gerade als Uri seine Augen schließen wollte um die Attacke seiner Landsleute auf seinen Körper willkommen zu heißen, dröhnten Drachenschreie an sein Ohr und konnte etwas Dunkles, Grünes (vielleicht war es auch Schwarz?) im oberen Rand seines Blickfeldes erkennen. Als er seinen Kopf drehen wollte um sich das genauer anzuschauen schlug die Attacke auf seinen Körper. Die plötzliche Eiseskälte presste alle Luft aus seinen Lungen. Seine Gedanken urplötzlich eingefroren. Taub lösten sich seine Arme von Malu und er fiel in ein graues, warmes Meer, das voller Bewegung war. Drachenschreie waren das letzte was er hörte bevor alles um ihn herum schwarz wurde. Ein Mädchen tauchte in der Dunkelheit auf. Das Mädchen weinte. Es weinte obwohl die Welt um es herum warm und sonnig und grün war. Das weinende Mädchen hielt sich beide Hände vor die Augen und schluchzte weiter. Ihr Schmerz vermischte sich mit dem Vogelgesang. Das graue, warme Meer war immer in ihrer Nähe und bewegte sich sanft. Bis es schließlich zum Stillstand kam und nur noch lau vor sich hin waberte. Das weinende Mädchen nahm eine Hand von ihrem Gesicht und schaute zum grauen Meer. Die andere Hand streckte es zum grauen Meer aus. Der warme Wind blies eine angenehme Brise durch das lange, blaue Haar des weinenden Mädchens. „Uri...Uri...ich bin nicht mehr ich!“ schluchzte Malu mit einer Stimme die sehr wohl zu ihrer kleinen, zierlichen Gestalt passte und berührte Uris Arm. Uri riss die Augen weit auf. Erst jetzt bemerkte er, dass diese Szene kein Traum, sondern Realität war! Erschrocken richtete sich Uri auf und fiel dabei ungelenk aus einem Meer grauer Schuppen zu Boden. Der graue Reisedrache, auf dem er bis eben noch gelegen hatte, schaute ihn mit aufmerksamen gelben Augen an. Uris Herz raste. Was war passiert? Und wo waren sie jetzt? Hastig sah er sich um. Doch es war nichts weiter zu erkennen als der Rand einer Waldeslichtung. Von ihren Verfolgern war weit und breit keine Spur. Langsam sah Uri an sich herunter. Er lebte. Malu lebte. Aber wie...? Uri erinnerte sich nur noch an Drachenschreie und etwas Großes, Dunkles.... „Uri!“ Malu schmiss sich auf ihn und riss Uri somit aus seinem Erinnerungsversuch. „Ich bin nicht mehr ich! Schau doch nur!“ Erst jetzt realisierte Uri, dass Malu sehr wohl sprechen konnte. War sie in den ersten Momenten bei ihnen einfach nur zu schüchtern gewesen? Verzweifelt ließ Malu die andere Hand von ihrem Gesicht gleiten. Zum Vorschein kamen dunkle, narbenähnliche Linien, die sich um ihr Auge schlungen und einen großen Teil ihrer Gesichtshälfte für sich beanspruchten. „Ich habe keine Magie mehr! Ich bin....ich bin kein Drache mehr!“, brachte Malu schlotternd hervor, krallte sich in Uris Robe und versteckte ihr heulend ihr Gesicht in den Stofffalten. Vorsichtig legte Uri einen Arm um die kleine Malu und versuchte seine rasenden Gedanken in Ordnung zu bringen. Was sollte das alles bedeuten? Was... Was war nur passiert? Auf der Suche nach einem Lösungsansatz fiel Uris Blick wieder auf den grauen Reisedrachen, der noch immer seelenruhig neben ihnen lag und sie beobachtete. Eines war sicher, dieser Reisedrache hatte ihn hierher gebracht. Er und Malu hatten es also geschafft lebend aus Berma heraus zu kommen. Und nun... Waren sie immer noch auf der Flucht. Vermutlich wurden sie bereits offiziell von Sibo Falon gesucht. „Du weißt sicher wo wir sind...“ begann Uri langsam mit dem grauen Reisedrachen zu reden, „...sicher weißt du auch wo es weitergeht.“ Uri war sch nicht sicher ob es was brachte mit einem Reisedrachen zu sprechen. Doch ein Versuch konnte nicht schaden. „Komm Malu, wir können nicht hier bleiben.“ beschloss Uri und stand auf. Malu tat es ihm schniefend gleich, krallte sich aber immer noch mit einer Hand in Uris Gewand. Zusammen bestiegen sie den Reisedrachen. „Bring uns bitte weg von hier... Wie auch immer du heißen magst...“ befahl Uri mit matter Stimme. „Er heißt Arzra“, murmelte Malu. Als sie Uris fragenden Blick auf sich spürte sah sie zu ihm auf und antwortete: „Das hat er mir erzählt als er uns vom Meer weggeflogen hat. Bevor ich... Bevor ich das hier bekommen habe.“ Zitternd strich sich Malu über das Mal in ihrem Gesicht. Das graue Meer, das auf den Namen Arzra hörte, erhob sich und schwang sich vorsichtig mit Uri und Malu auf seinem Rücken in die Lüfte auf. Die Reise ins Unbekannte hatte begonnen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)