Eurydike von Minato_March ================================================================================ Kapitel 1: Zermürbende Anreise ------------------------------ Erschrocken riss Yuki die Augen auf. Eben hatte sie noch einem blauen Schmetterling nachgejagt, was war plötzlich los? „Aufgrund einer technischen Störung hat sich der Fahrplan leider um einige Stunden verzögert. Wir entschuldigen uns vielmals bei allen Fahrgästen, die in Eile waren“ Beruhigt ließ sie sich wieder in ihren Sitz sinken. Sie befand sich nach wie vor im Passagierzug Anehazuru auf dem Weg nach Iwatodai und war lediglich eingeschlafen. Noch etwas schläfrig ließ sie den Blick aus dem Fenster schweifen und stellte fest, das es bereits Nacht war. Ihr müdes Spiegelbild blickte ihr entgegen, der rotbraune Pferdeschwanz völlig zerzaust und die ungewöhnlichen roten Augen noch schlaftrunken. Mit der rechten Hand versuchte sie das Haarchaos auf ihrem Kopf etwas zu bändigen, gab aber nach wenigen Minuten erfolglos auf. Sie würde damit wohl bis zu ihrer Ankunft im Wohnheim warten müssen. Stattdessen strich sie ihre neue Schuluniform glatt, die schwarze Jacke ebenso wie den schwarzen Rock. Wo schon ihre Haare sie im Stich ließen, musste wenigstens ihre Kleidung nicht zerknittert aussehen, der erste Eindruck war schließlich entscheidend. Im Abteil befanden sich außer ihr kaum noch Menschen, die meisten von ihnen sahen jedoch genauso müde aus wie sie. Hoffentlich war das Wohnheim nicht schon abgeschlossen wenn sie so spät ankam, abgemacht war, dass sie am späten Nachmittag eintreffen sollte. Sie kramte ihr Handy aus ihrer Reisetasche hervor um nach der Uhrzeit zu sehen. 23:43. Auweia. Mit einem Seufzen steckte sie es wieder zurück und holte stattdessen die Wegbeschreibung zum Heim heraus. Sie hatte sie in den letzten Tagen zwar praktisch auswendig gelernt, aber sicher war sicher. Je schneller sie dort ankam, desto höher war die Chance, dass sie noch jemanden erwischte, der ihr die Tür öffnete. Obwohl, um die Zeit machten ein paar Minuten mehr oder weniger wahrscheinlich auch keinen Unterschied mehr … In dem Moment sagte der Zugführer ihre Station an. Mit einem Ruck hob Yuki ihre Tasche hoch, stopfte die Beschreibung in ihre Rocktasche und stellte sich zur Tür. Mit ihrer freien Hand griff sie nach ihren geliebten roten Kopfhörern, die sie auch heute wie immer um den Hals trug, legte sie sich an die Ohren und drückte auf ihrem MP3 Player auf Play. Als die Musik begann, fühlte sie, wie sie sich entspannte. Der Zug hielt an und sie betrat den Bahnsteig. Etwas nervös machte sie ein paar Schritte nach vorn und unter der großen Uhr hindurch, die in der Mitte der Station hing. Laut ihr war es nun genau 24 Uhr. Plötzlich gingen sämtliche Lichter um sie herum aus, die Musik aus ihren Kopfhörern verebbte und alles wurde schwarz. Ein Stromausfall? Was für ein Zufall, dass genau im selben Moment die Batterien ihres MP3 Players den Geist aufgaben … Oder? Ein unangenehmes Gefühl beschlich sie, begleitet von der üblichen Paranoia, die sie immer überkam, wenn sie sich nach Sonnenuntergang noch draußen aufhielt. Gänsehaut breitete sich auf ihren Armen aus, während sie sich einredete, dass alles in Ordnung war, nur ein Stromausfall, nichts weiter. Trotzdem drehte sie langsam den Kopf um sich zu vergewissern, dass niemand hinter ihr war, es war wie ein innerer Zwang, der des nachts mit ihrem Verfolgungswahn einher ging. Im nächsten Moment wünschte sie sich, sie hätte es nicht getan. Auf den ersten Blick bemerkte sie nichts Auffälliges, keine Menschenseele war zu sehen. Doch als sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung über sich wahrnahm, lief ihr ein eisiger Schauer über den Rücken. Aus dem Rahmen der großen Uhr floss Blut. In einem langsamen Fluss bewegte er sich nach unten, über das Ziffernblatt zum unteren Rand hin. Das war genug. Sie umfasste den Gurt ihrer Tasche fester und eilte schnellen Schrittes zum Ausgang, dabei sah sie immer wieder nach hinten, als könnte jeden Moment ein Monster aus den Schatten springen und sie angreifen. Endlich konnte sie vor sich Licht erkennen und sie beschleunigte ihre Schritte, bis sie fast rannte. Als sie glaubte, hinter sich ein Geräusch zu hören, sah sie sich noch einmal hektisch um. Den Kopf immer noch nach hinten verdreht, verließ sie endlich die Station. Sie wollte schon aufatmen, als unter ihren Füßen ein komisches platschendes Geräusch ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Eine düstere Vorahnung machte sich in ihrer Magengegend breit, als sie stehen blieb und wie in Zeitlupe den Kopf nach unten wandte. Geistesgegenwärtig schlug sie beide Hände vor den Mund. Der gellende Schrei, der sich seinen Weg nach oben gebahnt hatte, blieb ihr im Halse stecken und zu hören war nur ein leises Gurgeln. Ihre weit aufgerissenen Augen starrten auf die Pfütze unter ihr, unfähig, auch nur zu blinzeln. Sie stand in einer riesigen Blutlache. Eine Mischung aus Panik, Hysterie und nackter Angst machte es ihr für einen Moment unmöglich, sich zu rühren. Ihr ganzer Körper zitterte, ihre Tasche rutschte herunter und blieb in der Kuhle ihres Ellenbogens hängen. Das war nicht einfach nur eine Pfütze, das war ein kompletter See! Bilder von abgeschlachteten Menschen blitzen vor ihrem inneren Auge auf, Mörder, die ihre Opfer mit Messern und Äxten malträtierten, geschützt durch die Dunkelheit, die auf magische Weise alles verschlungen hatte. Ihr wurde übel bei dem Gedanken und sie schloss die Augen, um ihn zu verdrängen. Tief ein und aus atmen, nur nicht die Beherrschung verlieren, sonst würde es ihr genauso ergehen wie den armen Kerlen, die .. Nein, nein, nur nicht zu Ende denken! Während sie so dastand, die Hände immer noch auf ihre Lippen gepresst und vertieft in ihre Atemübungen, bemerkte sie diesen schrecklichen Geruch: die Luft war erfüllt von Blutgestank, als hätte eben erst jemand eine Kuh vor ihren Augen geschlachtet und vergessen, hinter sich aufzuräumen. Ihr Magen rebellierte und zum ersten Mal an diesem Tag war sie froh, seit dem Frühstück nichts mehr gegessen zu haben. Trotzdem musste sie hier weg, sonst würde ihr Körper doch noch etwas finden, was er wieder hoch würgen konnte. Nicht ganz so angewidert, wie sie es in einer Situation wie dieser eigentlich hätte sein sollen, zog sie ihren Fuß aus dem Blut und bewegte sich hopsend, die Hände immer noch im Gesicht, um die Pfütze herum. Dabei schwang ihre Tasche fröhlich hin und her und drohte sie ein ums andere Mal aus dem Gleichgewicht zu bringen. Als sie endlich sicher auf der anderen Seite angekommen war, nahm sie die Hände runter, schob den Gurt wieder auf ihre Schulter und marschierte, nun etwas selbstsicherer, gen Heim davon. Ihre Augen wanderten dabei ständig von einer Häuserfront zur Nächsten, immer wachsam obgleich der Gefahren, die sich hier verstecken mochten. Zugegeben, sie war schon lange nicht mehr hier gewesen, aber so obskur hatte sie die Stadt nicht in Erinnerung. Blut an den Wänden und auf allen Straßen, grünes Licht und .. Moment, grün? Wieso fiel ihr das erst jetzt auf? Sie sah hoch zum Mond, der einzigen Lichtquelle, die ihrer Meinung nach in der Lage war, hier zu scheinen. Schließlich funktionierten hier weder MP3 Player, noch Handys oder Straßenlaternen. Tatsache, der Mond verbreitete grünes Licht. Aber nicht nur das, er war auch irgendwie viel größer als sonst. Als hätte ihn jemand mit einem Seil näher an die Erde heran gezogen ... „Autsch!“ Auch das noch, sie war im gehen gegen etwas gestoßen. Sie rieb sich die schmerzende Stirn und öffnete die Augen, um zu sehen, gegen was genau sie da gelaufen war. Vor ihr stand ein gewaltiger Sarg, mindestens Zwei Kopf größer als sie selbst. Ihr klappte die Kinnlade runter, aber diesmal hatte sie sich soweit unter Kontrolle, dass sie nicht versucht war, laut aufzuschreien wie ein verschreckter Teenager aus einem dieser low Budget Horrorfilme. Stattdessen schluckte sie die Furcht runter und machte einen vorsichtigen Schritt zurück, dann noch einen, und noch ein paar, bis sie gut eineinhalb Meter zwischen sich und das Ungetüm gebracht hatte. Jetzt fiel ihr auf, dass hinter dem ersten noch gut ein halbes Dutzend weitere Särge standen. Plötzlicher Verlust von Elektrizität und Licht, Blut überall und jetzt auch noch Särge? Yuki sog noch ein letztes Mal die stinkende Luft ein, dann begann sie sich vorsichtig an den Särgen vorbei zu schieben, bedacht darauf, bloß keinen von ihnen zu berühren. Als sie den letzten Sarg passiert hatte, sprintete sie los, als wäre der Teufel höchst selbst mit all seinen Dienern hinter ihr her. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)