Unter dem Mistelzweig von abranka (RWxSM) ================================================================================ Kapitel 1: I. ------------- Rose Weasley konnte es kaum fassen. Ihr Eltern hatten nach äußerst langen und sehr zähen Verhandlungen zugestimmt, dass dieses Weihnachten in Hogwarts bleiben durfte! Sie hatte nahezu ihre gesamten Sommerferien damit verbracht, ihre Eltern ständig zu bearbeiten und zu löchern. Mit demnächst nunmehr sechzehn Jahren, fand sie, war sie alt genug, um endlich das erste Mal die Weihnachtsferien ohne die Familie zu verbringen. Immerhin sah sie ihren Bruder sowie ihre Cousins und Cousinen das ganze Schuljahr lang. Jeden einzelnen Tag. Sie fand, dass es auch hier auch einfach Grenzen gab. Insbesondere, was die ständige Anwesenheit ihren kleinen Bruders Hugo anging. Vielleicht hatten ihre Eltern deswegen ein Einsehen gehabt. Rose vermutete aber auch, dass ihre Mutter an ihre eigene Schulzeit hatte denken müssen. Vielleicht hatte sie dann Roses Vater überzeugt. Unwillkürlich musste Rose grinsen. Ihr Dad brauchte manchmal wirklich etwas länger, um irgendetwas zu verstehen. Sie fuhr sich durch die dicken roten Haare und griff dann nach ihrem Lieblingsfederkiel. Sie musste jetzt unbedingt ihrer besten Freundin Izzie schreiben. Sie hoffte sehr, dass es Izzie auch gelungen war, ihren Vater von der absoluten Notwendigkeit zu überzeugen, Weihnachten in Hogwarts bleiben zu dürfen. Endlich war der 1. September gekommen und Rose freute sich auf die Zugfahrt nach Hogwarts. Natürlich hatten Izzie und sie sich die Ferien über immer mal wieder besucht. Aber es war doch etwas anderes, die beste Freundin den ganzen Tag um sich zu haben. „Izzie!“, rief sie jubelnd und rannte über den Bahnsteig, als sie die Freundin erspähte. Mit halben Ohr hörte sie noch, wie ihr Vater zu ihrer Mutter sagte: „Und du bist dir wegen Weihnachten sicher? Denk an Oma Molly...“ Rose und Izzie fielen sich um den Hals, während Rose noch kurz überlegte, wie ihre Mum wohl Oma Molly die Abwesenheit einer Enkelin erklären würde. Aber dann dachte sie nur, dass ihre Mutter die vermutlich klügste Hexe ganz Britanniens war und ließ den Gedanken fallen. Sie hatte die Erlaubnis. Das war das einzige, was zählte. „Oh, Rose!“ Izzie quietschte vor Begeisterung. Rose grinste breit. „Du siehst toll aus.“ Sie musterte die Freundin, die ihre kaffeebraune Haut und das fabelhafte Aussehen von ihrem Vater geerbt hatte. Die sonst gekräuselten schwarzen Haare hatte sie dieses Mal geglättet, aber Rose wusste jetzt schon, dass Izzie das während des Schuljahres nicht jeden Tag durchhalten würde. „Ah, Weedy ist auch wieder an Bord.“ Die spöttisch klingende Stimme ließ Rose herumfahren. Nur ein Mensch auf dieser Welt besaß die Anmaßung sie seit ihrem ersten Schuljahr genussvoll als Unkraut zu bezeichnen. „Moskitus, wie sehr habe ich dich nicht vermisst“, stichelte sie zurück und funkelte ihre Erzfeind Scorpius Hyperion Malfoy an. Sein Gesicht war wie immer zu blass und zu spitz, seine grauen Augen zu unfreundlich und sein ganzes Auftreten viel zu farblos. Scorpius warf ihr einen herablassend Blick zu und gesellte sich dann zu seinen Freunden, Henry Parkinson und Terry Nott. Rose presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Unwillkürlich musste sie daran denken, wie sie das erste Mal auf diesem Bahnsteig gestanden hatte und ihr Dad zu ihr gesagt hatte, dass sie zu Scorpius bloß nicht nett sein und ihn immer in allen Tests schlagen sollte. Genau das hatte sie die letzten fünf Jahre getan und sie gedachte nicht, irgendetwas daran in ihrem sechsten Jahr zu ändern. Auch wenn sie wusste, dass sie sich anstrengen musste, denn Scorpius war immer nach ihr der Zweitbeste in allen Fächern. „Vergiss ihn“, sagte Izzie und knuffte Rose liebevoll in die Seite. „Es geht gleich los und wir müssen noch Tschüss sagen.“ Rose nickte und ließ sich von ihr mit zu ihren Eltern ziehen. Hermione und Ron Weasley standen dort gemeinsam mit Harry und Ginny Potter, George und Angelina Weasley trieben sich wohl irgendwo anders herum. Percy und Audrey verabschiedeten sich gerade von einer ungeduldigen Lucy Weasley, die nur darauf wartete, zu ihren Freunden zu stürmen. Auch Izzies Dad hatte sich zu Roses Eltern gesellt. „Hi, Mr. Zabini“, begrüßte Rose diesen artig. „Hallo Rose.“ Er lächelte sie freundlich an und nahm dann seine Tochter in den Arm. Rose zögerte einen Moment, dann umarmte sie erst ihre Mutter, dann ihren Vater. Eigentlich fühlte sie sich für solche Zuneigungsbekundungen in der Öffentlichkeit etwas zu alt, aber sie hatte die beiden eben doch lieb. „Hugo ist schon im Zug. Er konnte es wieder nicht abwarten.“ Hermione lächelte nachsichtig, während Rose unwillkürlich die Augen verdrehte. „Das erinnert mich an mich“, sagte Ron wiederum stolz, was Hermione zu einem lachenden Augenrollen veranlasste. „Er hat wenigstens keinen Dreck auf der Nase.“ „Hey, da war nur auf der ersten Fahrt!“, protestierte Ron. Während ihre Eltern sich neckten, warf Rose Izzie einen Hilfe suchenden Blick zu. Sie musste hier weg,bevor das hier noch unendlich peinlich wurde! Merlin sei Dank, fasste Izzie sie am Arm. „Wir müssen los. Der Zug fährt gleich! Bye, bye und bis im Sommer!“ „Bis im Sommer!“, rief auch Rose erleichtert und wirbelte dann gemeinsam mit Izzie herum, um zum Zug zu rennen. Kapitel 2: II. -------------- Rose mochte Kräuterkunde. Eigentlich mochte sie alle Schulfächer. Nur manchmal fand sie es recht unpraktisch, von einem solch engen Freund der Familie wie Professor Neville Longbottom unterrichtet zu werden. Von klein auf war er für sie immer Onkel Neville gewesen. Das war anfangs für die vielen Kinder des Weasley-Clans eine nicht zu unterschätzende Umstellung gewesen. Professor Longbottom war auch der neue Hauslehrer von Gryffindor. Allerdings bedeutete das nicht, dass die lebhaften Weasley-Kinder daraus irgendeinen Vorteil hatten ziehen können. Im Gegenteil. Er erinnerte sie immer wieder daran, dass Übermut selten gut tat. Rose betrachtete die Snargaluffbäume, mit denen sie es heute zu tun hatten. Diese Bäume waren äußerst gefährlich, auch wenn sie auf den ersten Blick wie harmlose knorrige Baumstümpfe aussahen. Natürlich hatte sie diesen Abschnitt in ihrem Schulbuch bereits gelesen und wusste, dass diese Pflanzen bei Berührung aggressiv reagierten und mit zuvor versteckten stacheligen Ranken um sich schlugen. Ohne Handschuhe, Schutzbrille und Mundschutz war es absolut nicht empfehlenswert, sich ihnen zu nähern. „Ich find die Dinger unheimlich...“, murmelte Izzie leise und lehnte sich näher zu Rose hinüber. Professor Longbottom hatte seine Schutzausrüstung angezogen und hielt nun seinen Zauberstab in der Hand. Er benutzte einen simplen Schmetterlingszauber, um einen magischen Falter zu beschwören, der sich auf dem Snargaluffbaum in der Mitte niederließ. Was danach geschah, ließ sich nur als Explosion gemeiner Stachelranken bezeichnen. Die Schülerinnen und Schüler sprangen unwillkürlich zurück und Unbehagen machte sich breit. Rose verspürte das erste Mal in diesem Unterricht so etwas wie leise Sorge. In dem Buch hatte gestanden, dass man ruhig und besonnen, an den Snargaluffbaum herangehen musste, um überhaupt eine Chance zu haben, sich so zu positionieren, dass die Ranken ihren Angriff an einem vorbeiführten, damit man dann in den Stamm hineingreifen und eine Frucht ernten konnte. Die zweite Hürde dabei war, dass der Baum dazu neigte, den eindringenden Arm einzuklemmen. „Am besten macht ihr das als Team“, sagte Professor Longbottom fröhlich, als sich der erste Baum wieder beruhigt hatte. „Madam Pomfrey benötigt zwei Früchte für eine Heilsalbe gegen den Aknezaubertrank, der heute Morgen in einer ersten Klasse in die Luft geflogen ist. Professor Jones war nicht besonders begeistert.“ Professor Cassandra Jones war für ihr überschäumendes Temperament bekannt. Sein Blick wanderte über die Reihen der blassgesichtigen Schüler. Er wusste offenbar ganz genau, wie abschreckend seine Demonstration gewirkt hatte. „Rose Weasley, komm du einmal her.“ Rose schluckte und folgte der Aufforderung mit dem Gefühl von weichen Knien. Bei ihrem Glück würde es vermutlich kein anderer Gryffindor sein, den er ihr zuordnen würde. Und so wie sie Onkel Neville einschätzte, dachte er, dass die zwei Klassenbesten dieser Aufgabe am ehesten gewachsen waren. Und das bedeutete... „Scorpius Malfoy. Es schadet euch sicher nicht, euer Genie bei dieser Aufgabe zu ergänzen.“ Professor Longbottom lächelte fröhlich, während ein Scorpius nach vorne schritt, der noch blasser war als sonst. Rose und Scorpius warfen sich einen langen, sehr abschätzigen Blick zu. Sie überlegten beide, ob ein Waffenstillstand für die Zeit dieser Herausforderung nicht die klügste Entscheidung war. Professor Longbottom reichte ihnen die Schutzausrüstung und klopfte ihnen aufmunternd auf die Schultern. „Lasst euch Zeit. Es läuft keine Stoppuhr mit. Das beste Ergebnis ist, wenn ihr beide möglichst unverletzt bleibt und am Ende eine Frucht in den Händen haltet.“ Rose schnitt unwillkürlich eine Grimasse, die zu ihrem Widerwillen Scorpius zum Lächeln brachte. Sie warf einen verzweifelten Blick zu Izzie, die ihr demonstrativ die gedrückten Daumen hochhielt. Das half ihr nur gerade wenig weiter. „Waffenstillstand für dieses Abenteuer, Weedy?“, flüsterte Scorpius leise und Rose kam nicht umhin zu bemerken, dass er wohl aufrichtig besorgt war. „Geht klar.“ Sie presste die Lippen zusammen und überlegte angestrengt. „Wie schnell bist du?“ „Was?“ Sie schnippte ihm gegen die Nasenspitze. „Hey!“ „Ich bin schneller. Ich lenke ihn mit einer Berührung ab, du greifst hinein und lässt dich nicht festhalten. Verstanden?“ Sie funkelte Scorpius an. „Eigentlich sollte ich...“ „Nein. Wir wollen Erfolg haben“, sagte sie knapp. Rose bedeutete ihm, an die rechte Seite des Stammes zu treten. Sie hatte gerade gesehen, dass die Ranken zuerst nach links ausgeschlagen hatten. Sie musste gleich nur sehr schnell und sehr vorsichtig sein. Vorsichtig bezogen sie Stellung. „Fertig?“, fragte Rose. „Fertig“, gab Scorpius zurück und wappnete sich. Rose benutzte ihren Zauberstab, um den Stamm anzutippen, die Ranken rauschten auf sie zu. Sie sprang zurück und wirbelte um ihre eigene Achse. Die Dornen kratzten über die Polsterung an ihrem Armen und allein der Druck davon riss ihr die Haut auf. Scorpius griff in den Stamm und spürte die erste Frucht unter seinen Fingern. Der Stamm klemmte seinen Arm ein. „Weedy!“, brüllte er auf. Rose schaute über die Schulter zu ihm und eine Ranke wischte über ihr Gesicht. „Berühr den Stamm, du Idiot!“ Gehorsam nahm er die freie Hand und strich über den Stamm. Sofort löste sich die Umklammerung seiner Hand. Dafür richteten die Ranken jetzt ihre Aufmerksamkeit auf ihn. Panisch kratzte er über die Frucht und versuchte, sie aus dem Holz zu lösen. Dann war Rose vor ihm, blockte eine Ranke mit einem Schutzzauber ab und zog die Aufmerksamkeit wieder auf sich. Mühsam zerrte Scorpius die Frucht aus dem Stamm und rannte schnell bei Seite. Professor Longbottom griff in diesem Moment ein, sprach einen Beruhigungszauber über den Snargaluff und befreite Rose dann von den Ranken, die sich um ihren rechten Arm und ihr linkes Bein geschlungen hatten. Sie blutete aus Dutzenden kleiner Wunden, die teilweise unter der Schutzkleidung lagen. Diese Pflanze besaß aber auch eine erbärmliche Kraft! „Diesen Zauber vorher zu kennen, wäre nicht schlecht gewesen“, sagte Rose trocken, während ihr Lehrer einen Heilzauber über ihre Verletzungen sprach. „Und wenn du das Buch aufmerksamer gelesen hättest, dann hättest du gewusst, dass es sinnvoll gewesen wäre, den Snargaluff mit dem Schmetterlingszauber abzulenken. Du wärst sicher gewesen und dein Partner ebenso. Ich dachte mein Hinweis vorhin war deutlich genug.“ Rose lief rot an, sodass ihr Haar und ihr Gesicht nahezu um die Wette leuchteten. Sie hatte das Gefühl, versagt zu haben, obwohl es ihnen gelungen war, eine Frucht zu erobern. Scorpius stand mit zusammengepressten Lippen daneben und Rose wettete beinahe darum, dass er es genoss, sie so verlegen zu sehen. Vermutlich fand er das verdammt befriedigend. „Ich zeige euch jetzt, wie man richtig mit einem Snargaluff umgeht“, wandte sich Professor Longbottom nun an die Klasse. „Eure Mitschüler haben eine gute Leistung abgeliefert, aber es geht auch weitaus weniger dramatisch.“ Er zwinkerte kurz in die Runde. Rose sah ihm mit steinerner Miene zu. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Scorpius mit weißen Fingern die Frucht noch immer regelrecht umklammert hielt. Für einen flüchtigen Moment fragte sie sich, was er wohl gerade denken mochte. Kapitel 3: III. --------------- Mitte Oktober war endlich das erste Hogsmeade-Wochenende. Rose und Izzie hatten sich schon drei Wochen zuvor darauf gefreut. Der Besuch in dem kleinen Dorf in der Nähe der Schule stellte immer eines der größeren Highlights dar. Die letzten Wochen über war es immer wieder zu kleineren Reibereien zwischen Rose und Scorpius gekommen. So war es eigentlich immer. Izzie verdrehte darüber oft genug die Augen, doch Rose konnte einfach nicht anders. Umso schlimmer wurde es nur dadurch, dass sich ihr Cousin Albus Severus, zweitgeborener Sohn des berühmten Harry Potter, mittlerweile erstaunlich gut mit Scorpius verstand. Rose behauptete immer, dass Albus dadurch, dass er kein Gryffindor, sondern ein Ravenclaw war, keine Ahnung von der traditionellen Feindschaft gegenüber den Slytherins hatte. Albus dagegen sagte immer, dass sie den berühmten Weasley-Dickschädel besaß. „Oh, da sind die Jungs“, sagte Izzie, während sie den Weg in Richtung Hogsmeade entlang gingen. In der Tat – da waren die Jungs. Albus schritt neben Scorpius, dahinter die zwei Slytherins Henry und Terry. Außerdem gehörten zu der Gruppe Casey McCollum und David Thomas, beide Gryffindors, außerdem der Hufflepuff Colin Goyle sowie die beiden Ravenclaws William Wood und Tim Davies. Wenn Rose ehrlich war, dann vereinte diese Gruppe vermutlich die coolsten Jungs ihres Jahrgangs. Sicher, sie konnten ja auch zu den Älteren schielen und mit Dean Finnigan gab es im siebten Jahr der Gryffindors noch den ganz großen Schulschwarm, aber da gab es ja auch noch die älteren Mädchen... „Wenn du ganz ehrlich bist, dann musst du zugeben, dass Scorpius eigentlich ziemlich heiß ist“, flüsterte ihr Izzie in diesem Augenblick zu. Rose starrte sie mit offenem Mund an und schaute dann noch einmal zu den neun Jungen hinüber. Was sollte an diesem Kerl denn bitte schön heiß sein? Er war bleich, hochnäsig,trug dieses grässliche Silber-Grün und... Rose schüttelte den Kopf. „Nein, eindeutig nicht.“ „Wer denn dann?“, fragte Izzie nach. „William vielleicht“, antwortete Rose nach kurzem Zögern. Sie mochte seine Ruhe. Ihre Familie neigte immer zu Dramatik und Hektik. Dagegen war Ruhe ein guter Gegenpol. Außerdem sah er ziemlich gut aus mit den hellbraunen Haaren und den dunklen Augen. „Okay... Dann sollten wir heute mal was dafür tun.“ Izzie grinste breit und hakte sich bei Rose unter. „Hey, hey, hey. Was soll das heißen?“ „Dass wir uns heute ein wenig mit den Jungs befassen. Wir beide sind schon lange genug Single.“ „So, und wen hast du bitte im Auge? Denn du bist darauf ja so scharf.“ Izzies Lächeln wurde verlegen. „Nun ja...“ „Schieß los.“ „Deinen Cousin Albus.“ Rose wollte schon etwas sagen, biss sich dann aber auf die Lippe – und lächelte. „Das gefällt mir. Ihr zwei wärt süß zusammen.“ „Aber sowas von.“ Izzie lachte. „Die Konkurrenz ist nur groß.“ Sie nickte mit dem Kopf zu einer Gruppe Mädchen ihres Jahrgangs, die sich den Jungen langsam näherte und ganz offenkundig auf der Jagd war. Rose stöhnte auf. „Du hast nicht wirklich vor, das jetzt auf einen Wettkampf hinauslaufen zu lassen, oder?“ Izzies Grinsen wurde nur noch breiter. Nachdem sie eine Weile durch Hogsmeade geschlendert waren, taten sie es ihren Schulkameraden gleich und suchten die Drei Besen auf. Das Wirtshaus war brechend voll. „Komm, wir setzen uns einfach dazu“, sagte Izzie und steuerte den Tisch um Albus und Scorpius an. Mittlerweile hatten sich auch James Potter, Albus' älterer Bruder, sowie einige seiner Freunde zu der Gruppe gesellt. Der Tisch war groß, eh schon ziemlich voll besetzt, und Rose hatte keine Ahnung, wie sie dort noch Platz finden sollten. „Hi, rutscht mal“, sagte Izzie forsch und drängelte sich auch schon zwischen Albus und Scorpius auf eine Bank. Die beiden sahen sie perplex an, machten aber gehorsam Platz. Rose fühlte sich etwas verlegen, als sie sich neben Izzie und – wie sie viel zu spät sah – Scorpius quetschte. Dafür würde Izzie später zahlen müssen. Freundschaft hin oder her. Insbesondere, weil sich Izzie sofort in ein Gespräch mit Albus, Casey und Colin stürzte. Rose warf den dreien einen kurzen Blick zu. Na gut, ihr Cousin sah seinem Vater sehr ähnlich und besaß sogar dessen grüne Augen. Er war das, was viel ihrer Klassenkameradinnen immer wieder als gutaussehend bezeichneten. Casey dagegen war stämmig, hatte plattes, blondes Haar und eine dicke Nase. Colin war vielschrötig, besaß aber einen treuen Hundeblick, der so einige Mädchen schon schwach gemacht hatte. „Sieh an, Weedy. Dass du hier neben mir hockst, ist unerwartet“, sagte Scorpius trocken. „Nicht nur für dich, Moskitus“, erwiderte Rose trocken. „Manchmal ist das Schicksal aber auch einfach grausam zu einem.“ William, der ihr direkt gegenüber saß, musste lachen. Sie schaute ihn an und erwiderte sein Lächeln. Ihr Herz klopfte auf einmal etwas schneller, als seine warmen brauen Augen ihre trafen. Man sah ihm an, dass er viel Sport machte. In seiner Quidditchbegeisterung kam er ganz nach seinem Vater, dem berühmten Hüter von Puddlemere United. Gleichzeitig war er aber auch einer der besten Schüler. Meistens lag er direkt nach Rose und Scorpius auf Platz drei. „Ich würde sagen, in unserer Ecke versammeln sich gerade die Genies der sechsten Klasse.“ „Könnte man so sagen.“ Rose legte den Kopf schräg und blickte ihn unverwandt an. Sie zwang sich dazu, Scorpius komplett zu ignorieren, auch wenn ihr wenigstens ein Dutzend spitzer Bemerkungen auf der Zunge lagen. „Wie waren die Thestrale diese Woche für dich?“, fragte sie neugierig. „Hagrid hat sie uns vorgestern gezeigt, wenn man das so sagen kann. Wir haben fast alle nichts gesehen.“ „Das war toll. Ich konnte auch nichts sehen. Aber allein zu spüren, wie sie einem die Leckerchen aus der Hand gefressen habe und ihre eigenartige Haut zu fühlen – das war eindrucksvoll.“ Will beugte sich Rose entgegen und lächelte sie an. „Fast wünschte man sich, sie sehen zu können, oder?“ „Ja, wenn das nicht so traurig wäre...“, antwortete Rose, denn Thestrale konnte man bekanntlich nur sehen, wenn man zuvor den Tod beziehungsweise jemanden hatte sterben sehen. Aus dem Augenwinkel sah Rose, wie Scorpius die Augen verdrehte und sich dann zu Henry hinüber beugte. „Da hinten ist Magnolia“, sagte er leise. Aber nicht leise genug, denn Rose konnte es hören. Henry verdrehte sich sofort den Hals. Das war ja auch klar, war Magnolia Hewes aus dem sechsten Jahrgang von Ravenclaw doch dafür berüchtigt, in der schuluniformfreien Zeit die kürzesten Röcke der gesamten Schule zu tragen. So auch heute trotz des kalten Wetters. Ein pinker Schottenrock war es dieses Mal, dazu ein knallenges Oberteil und ihre blonden Locken wallten dramatisch über ihre Schultern. Rose hatte unwillkürlich zu ihr hinüberspähen müssen. Sie verspürte den Anflug eines Würgereizes. „Stimmt es, dass deine Eltern schon mal auf einem Thestral geflogen sind?“, fragte Will gerade und Rose widmete ihm schnell wieder ihre Aufmerksamkeit. „Oh ja. Sie haben mir davon erzählt. Zumindest Dad. Als Mum mal nicht aufgepasst hat, was er mir so über seine Schulzeit eigentlich erzählt.“ Sie grinste und berichtete dann, in einer Kurzfassung des vermutlich dramatisierten und ausgeschmückten Berichtes ihres Vaters, wie damals Harry Potter, Ron Weasley, Hermione Granger, Ginny Weasley, Luna Lovegood und Neville Longbottom in die Mysteriumsabteilung des Zaubereiministeriums eingedrungen waren und gegen Todesser gekämpft hatten. Mit einer gewissen Genugtuung merkte sie, dass Scorpius in seinem Gespräch mit Henry immer wieder den Faden verlor und stattdessen mehr ihr zuhörte. „Schon krass. Die waren fünfzehn damals, jünger als wir heute.“ Will blickte sie staunend an. Rose nickte. „Würdest du mit ihnen tauschen wollen?“ „Ich weiß nicht.“ Will hob die Schultern. „Du?“ „Es klingt abenteuerlich... Aber ich denke, wir haben es besser, hier so behütet aufwachsen und unsere Träume hegen zu dürfen, anstatt mit siebzehn in einer Zaubererschlacht kämpfen zu müssen“, meinte sie leise. „Da dürftest du Recht haben.“ Will nickte. Sie alle wussten aus Erfahrung und aus den ersten Unterrichtsstunden in jüngerer Geschichte der Zauberei, was geschehen war. Und sie wussten auch, dass man ohne Vorurteile und Vorwürfe leben musste, damit die Zaubereigesellschaft Bestand haben konnte. „Und manche Familien standen auf der Seite des Dunklen Lords...“, fügte sie mit einem knappen Seitenblick auf Scorpius hinzu. Dieser presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen und schaute sie nun direkt an. Ungerührt erwiderte sie seinen Blick. „Soweit ich mich entsinne, waren wir beide damals noch nicht geboren“, antwortete er kalt auf ihre Herausforderung. Brüsk stand er auf. „Und ich werde meine Zeit jetzt mit etwas Erfreulicherem verbringen.“ Er setzte ein strahlendes Lächeln auf und ging hinüber zu Magnolia Hewes und ihren Freundinnen. Angewidert verzog Rose das Gesicht, als sie sah, wie Magnolia ihre Hand auf Scorpius' Arm legte und mit einem übertriebenen Lachen den Kopf so in den Nacken warf, dass ihre blonden Locken eindrucksvoll wippten. „Das war nicht besonders nett“, stellte Will fest. „Vielleicht.“ Rose hob betont gleichmütig die Schultern, verspürte aber gleichzeitig einen Hauch von schlechtem Gewissen. „Aber im Endeffekt ist das etwas, war wir alle unterschwellig über verschiedene Leute denken, oder nicht?“ Will lächelte schwach. „Und es ist etwas, wofür sich vermutlich erst in Jahrzehnten eine Lösung finden lässt. Auch wenn wir hier etwas leben, was ein gutes Zeichen ist: Schüler von allen Häusern sitzen hier an einem Tisch und sie verstehen sich. Ich denke, das war in anderen Zeiten schwieriger. Wir sind zusammengerückt. Und das dürfte neben unserer Freiheit und der neuen Zeit ohne Angst mit das Beste sein, was wir in diesem Krieg gewonnen haben.“ Rose lächelte. „Wenn ich einen Becher hätte, würde ich darauf mit dir anstoßen.“ „Dann sollten wir daran etwas ändern.“ Will grinste sie an, stand auf und streckte ihr die Hand entgegen, damit sie sich auf dem Weg zur Theke in diesem Gedränge nicht verlieren konnten. Kapitel 4: IV. -------------- Seit nunmehr vier Wochen trafen sich Rose und Will regelmäßig außerhalb des Unterrichts. Sie genoss die Zeit mit ihm. Einige Male hatten sie sich sogar geküsst. Rose hatte sich nie groß an dem Gefühls- und Beziehungskarussell beteiligt, das ihren Jahrgang regelmäßig komplett durcheinander wirbelte. Doch dieses Mal fühlte sie sich mittendrin. Das war ungewohnt, aber eindeutig nicht schlecht. Allerdings fand sie es vollkommen abstoßend, dass Scorpius und Magnolia seit neustem ständig zusammenklebten. Und die beiden hielten sich in Sachen Rumknutschen wirklich nicht zurück. Total widerlich. Rose schüttelte den Kopf und konzentrierte sich wieder auf ihre Buch über die Pflege magischer Geschöpfe. Sie würden es diese Woche das erste Mal mit einem Crup zu tun haben, einem zweischwänzigen terrierähnlichem Geschöpf, das Muggel hasste. Rose wollte natürlich darauf vorbereitet sein und lernte daher in der Bibliothek. „Weedy, du lebst noch, wie ich sehe“, sagte in diesem Moment eine wenig willkommene Stimme direkt neben dir. „Was willst du, Scorpius?“, fragte Rose entnervt und hob den Kopf. Seit diesem kleinen Zwischenfall in den Drei Besen hatten Scorpius und sie kein Wort mehr miteinander gewechselt. Sogar ihre üblichen Wortgefechte zwischen den Unterrichtsstunden waren komplett weggefallen. „Oh, oh, kein fieser Kosename mehr für mich?“ Er grinste sie breit an und Rose musste an sich halten, um ihm keinen kräftigen Schlag auf die blasse Nase zu geben. „Ich bin anderweitig beschäftigt.“ „Ja... Will Wood, hm?“ Rose zog stumm eine Augenbraue hoch und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte, um ihm zu signalisieren, dass er ihre Zeit verschwendete. „Hat er jetzt schon keine Lust mehr mit dir zu lernen? Bist du so langweilig?“ „Er hat Quidditchtraining, wie du sehr gut weißt.“ Rose seufzte demonstrativ. „Was willst du?“ „Nur einige Worte mit meiner Lieblingsfeindin wechseln.“ „Meinst du, Magnolia gefällt das?“ Scorpius' Miene wurde starr. „Was geht dich das an?“ „Oh, du darfst mich also mit blöden Fragen über meinen Freund nerven und ich darf das nicht zurückgeben? Sonst bist du schlagfertiger, mein Lieber.“ Ihr fiel auf, dass er müde wirkte. Beinahe schon fast erschöpft. Und wenn sie sich recht erinnerte, waren seine Leistungen in der letzten Zeit auch abgesackt. „Fordert Magnolia etwa deine ganze Kreativität?“, ergänzte sie spöttisch. Er verschränkte die Arme vor der Brust und blickte auf sie hinab. „Mit dir nehme ich es immer und jederzeit auf.“ „So?“ Rose stand auf. „Was schwebt dir vor?“ „Wettfliegen auf dem Quidditchfeld. Heute Nacht. Treffpunkt ist Mitternacht im Stadion. Sei pünktlich.“ „Ich werde da sein.“ Rose lächelte und sah, wie ein schmales Lächeln auf seinem blassen Gesicht erschien. Das wirkte schon normaler als sein bisheriges Benehmen. „Du solltest nur nicht wagen, mich hereinzulegen. Ansonsten wirst du herausfinden, was geschehen kann, wenn du den Weasley-Clan gegen dich aufbringst.“ „Ist klar, Weedy. Bis heute Nacht. Denk an einen Besen.“ Er nickte knapp, drehte sich abrupt um und rauschte aus der Bibliothek. Rose ließ sich wieder auf den Stuhl sinken und fragte sich gleichzeitig, was zum Merlin das eigentlich gerade gewesen war. Und warum hatte sie noch mal die Impulsivität ihres Vaters geerbt? Es hatte gedauert, bis sie ihrem Bruder Hugo seinen Besen abgeschwatzt hatte. Rose war zwar eine gute Fliegerin, hatte aber ihre Prioritäten immer auf den Unterricht gelegt und sich daher nie für das Quidditchteam beworben. Hugo dagegen kam ganz nach Tante Ginny und war ein herausragender Jäger. Merlin sei Dank war auch Scorpius nicht im Quidditch-Team. Zumindest nicht mehr. Vom zweiten bis zum fünften Jahr hatte er gespielt. Warum er das Team verlassen hatte, wusste Rose gar nicht. Aber angeblich hatte es damals mit dem Kapitän der Slytherins – Eleanora Warrington, einer Schülerin des aktuellen siebten Jahrgangs – einen Zwischenfall gegeben. Was auch immer es war, es sorgte jedenfalls dafür, dass Scorpius auch länger kein richtiges Quidditchtraining mehr genossen hatte und Rose die Hoffnung hegte, dass sie sich mit ihren Fähigkeiten einigermaßen auf Augenhöhe befanden. „Wie willst du runterkommen? Filch patrouilliert doch immer durch die Gänge. Und Jones auch. Und du weißt, wie fies die beiden mit ihren Strafen sind“, flüsterte Izzie leise. Rose würde natürlich nicht ohne sie zu dieser Herausforderung gehen. „Wir fliegen.“ Rose deutete auf das Fenster. „Oh.“ Izzie wurde blass. Sie war schon bei ihrer ersten Flugstunde vom Besen gefallen und hatte sich als die fluguntalentierteste Hexe aller Zeiten erwiesen, wie Madam Hooch wenig freundlich gesagt hatte. Leise öffnete Rose das Fenster des Mädchenschlafsaals und stieg auf die Fensterbank. Sie schwang sich aus dem Besen und ließ sich langsam aus dem Fenster gleiten. Dort wartete sie, bis Izzie endlich hier ihr auf den Besen geklettert war. „Bitte langsam...“, wimmerte Izzie leise und klammerte sich verzweifelt an Rose fest. „Ich schulde dir dafür was“, sagte Rose leise und lenkte den behutsam so schnell es bei diesem langsamen Tempo möglich war Richtung Boden. Sie waren als erste da. Scorpius und sein mutmaßlicher Sekundant – Rose vermutete, dass er Terry oder Henry gewählt hatte – mussten bald kommen. Die beiden Mädchen hielten sich gut versteckt auf und beobachteten das Quidditchfeld sowie den Weg dorthin sehr aufmerksam. Natürlich bestand immer noch die Möglichkeit, dass er Rose reingelegt hatte, aber eigentlich glaubten sie beide nicht daran. Erst um kurz vor Mitternacht sausten zwei Besen dicht nebeneinander auf das Quidditchfeld. Auf dem einen saß Scorpius, auf dem anderen zur Überraschung der Mädchen Albus Severus Potter. „Al?“, entfuhr es Rose verblüfft, ehe sie Scorpius überhaupt Beachtung schenkte. Albus grinste breit und auch einen Tick verlegen. „Hi, Cousinchen.“ „Warum du?“ Sie blickte Scorpius an. „Ich hatte mit Terry oder Henry gerechnet.“ „Dein Sekundant ist doch auch deine beste Freundin.“ Scorpius hob die Schultern, während Rose mit Mühe verhinderte, dass ihr die Kinnlade runterkrachte. „Und ehe du fragst: Nein, Mum und Dad haben keine Ahnung und der Rest von der Sippe auch nicht. Die sehen uns immer nur im Pulk und das reicht auch. Auf den Stress hab ich keinen Bock“, ergänzte Albus. „Den meisten wär's egal, aber James ist dahingehend ätzend und Hugo auch. Das müssen die beiden von Onkel Ron haben.“ Rose verdrehte verständnisvoll die Augen. „Genug gequatscht. Wir wollen uns ja nicht deswegen erwischen lassen, oder?“ Izzie klatschte energisch in die Hände. Sie musterte die drei kurz. „Netter Ablenkungsversuch, Scorpius, aber das wird nicht funktionieren. Was hast du dir als Wettkampf vorgestellt?“ „Ganz simpel einmal ums Schloss und zurück.“ Scorpius lächelte. „Das solltest du doch schaffen, oder, Weedy?“ Rose stemmte die Fäuste in die Hüfte und blitzte Scorpius an. „Willst du reden oder fliegen?“ „Fliegen natürlich.“ Ein breites Grinsen glitt über sein Gesicht. „Gut.“ Rose schaute zu Izzie und Albus hinüber. „Einer von euch beiden gibt das Startsignal. Mir egal, wer.“ Sie schnappte sich ihren Besen und brachte sich in Position. „Ich mache das“, sagte Izzie sofort. Auch Scorpius schwang das Bein über den Besen und spannte die Muskeln an. „Rote Funken sind das Startsignal.“ „Auf die Plätze, fertig...“, skandierte Albus und Izzie ließ dann die Funken steigen. Rose und Scorpius stießen sich ab und jagten in den Nachthimmel empor. Sie hatten heute Glück – es war relativ klar, aber dadurch auch ziemlich kalt. Immerhin war es ja bereits Mitte November. Der kalte Wind pfiff Rose ins Gesicht und sie war froh, ein warmes Stirnband schützend über die Ohren gezogen zu haben. Das Gefühl, durch die Nacht zu jagen, war unbeschreiblich. Unwillkürlich breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Sie liebte das Fliegen und sie liebte den Nervenkitzel, sich hier und jetzt mit jemandem zu messen, der ihr ebenbürtig war. Rose lehnte sich nach vorne und duckte sich so weit wie möglich über den Besenstiel. Jubeln darüber, dass dieser Flug toll war, konnte sie später – jetzt galt es, diese Herausforderung voll und ganz anzunehmen. Scorpius war einen halben Meter vor ihr und legte sich in die Kurve. Rose zog nach und warf sich noch enger in die Kurve. Sie konzentrierte sich jetzt nur noch darauf, auf dem Besen zu bleiben und so schnell wie möglich zu sein. Seite an Seite schossen sie durch die Nacht. Schließlich erreichten sie die letzte Kurve, bogen ab und richteten die Besen auf das Quidditchfeld aus. „Immobilus!“ Der Fluch traf beide aus dem Nichts. Hilflose trudelten sie zu der Erde und nur ein energischer Schwebezauber verhinderte, dass sie auf den Boden knallten. Professor Cassandra Jones, die hagere Zaubertränkelehrerin mit dem stechenden Blick, stand vor ihnen. „Sie beide folgen mir auf der Stelle.“ Die Lehrerin wirbelte auf dem Absatz herum. Rose und Scorpius sahen sich kurz an, dann schulterten sie ihre Besen und folgten Jones in ihr Strafarbeitenschicksal. Kapitel 5: V. ------------- „Miss Weasley, Mr. Malfoy, Sie kommen in den äußerst seltenen Genuss einer Wahl: Möchten Sie Ihre Strafarbeiten ab sofort ableisten oder in den Weihnachtsferien?“, sagte die Schulleiterin Professor Minerva McGonagall. Sie trug einen Bademantel mit Schottenkaro über ihrem dunklen Nachthemd und war offenbar sehr wenig begeistert darüber, dass sie mitten in der Nacht geweckt worden war, um sich um zwei umtriebige Schüler zu kümmern. Rose hatte mit einer gewissen Erleichterung festgestellt, dass Izzie und Albus offenbar nicht erwischt worden waren, sonst wären sie sicherlich schon auf die beiden getroffen. „Weihnachten“, entfuhr es Scorpius sofort. Rose schaute ihn mit großen Augen an. Ihr hatte ein „ab sofort“ auf den Lippen gelegen, doch als sie jetzt Scorpius' beinahe verzweifelten Blick sah, nickte sie nur und murmelte: „Weihnachten.“ „Also gut, dann in den Weihnachtsferien.“ Professor McGonagall nickte knapp. „Und falls irgendein Wort über diese Wahlmöglichkeit nach draußen dringen sollte, können Sie gewiss sein, dass sich Ihre Strafarbeiten bis Ostern verlängern werden. Und nun ab in Ihre Betten.“ Sie scheuchte die beiden hinaus. Auf der Schwelle meinte sie noch kurz zu den beiden: „Glückwunsch zu Ihren geschickten Begleitern. Sowohl Professor Jones als auch Mr. Filch hatten keinerlei Erfolg damit, sie aufzustöbern.“ Schweigend verließen Rose und Scorpius das Büro der Schulleiterin. Genauso stumm trennten sich ihre Wege, als Rose zum Gryffindorturm hinauf steigen und Scorpius die Treppen zum Kerker hinunter gehen musste. Sie wechselten nur einen knappen Blick. Mehr blieb nach diesem Abend nicht mehr. Und auf dem Weg in ihr Bett grübelte Rose darüber nach, ob sie wirklich ein stummes und sehr flüchtiges „Danke“ auf Scorpius' Lippen gesehen hatte, als sie mit ihm gemeinsam ihre Weihnachtsferien geopfert hatte. Sie fragte sich außerdem, was zum Merlin sie geritten hatte, das zu tun – und warum da eine latente Panik in seinen grauen Augen gewesen war. Am nächsten Morgen fühlte sich Rose wie gerädert. Izzie war bereits im Schlafsaal gewesen und hatte ihr natürlich sofort erzählt, wie Albus und sie sich erfolgreich vor Professor Jones und Mr. Filch versteckt hatten und schließlich in ihre Schlafsäle geschlichen waren. Dann hatte sie Rose über ihre Strafe ausgefragt und Rose hatte nur „Strafarbeiten in den Weihnachtsferien“ geantwortet. Izzies Empörung über die zerstörten hart erkämpften familienfreien Weihnachtsferien bekam sie schon kaum noch richtig mit, so schnell war sie eingeschlafen. Die Posteulen kamen herein und zum Slytherintisch flog ein großer Uhu, der sonst eher Geschenke brachte. Dieses Mal war es jedoch der gefürchtete rote Brief – ein Heuler. Rose schaute ebenso wie die anderen zu den Slytherins hinüber und sah, wie der Vogel den Heuler vor Scorpius abwarf. Ganz kurz trafen sich ihre Blicke. Die Wangen noch bleicher als sonst und die Ohren leuchtend rot öffnete Scorpius den Heuler und ließ die Schimpftirade über sich ergehen. „Scorpius Hyperion Malfoy, wie kannst du es wagen, Strafarbeiten über die Weihnachtsferien erteilt zu bekommen? Die ganze Familie kommt zusammen und nur du fehlst, weil dein Benehmen wieder einmal mehr als zu wünschen übrig lässt.“ Die Stimme eines Mannes – aller Wahrscheinlichkeit Draco Malfoy – schallte durch die große Halle. In diesem Ton ging es noch eine ganze Weile weiter und Rose sah betreten auf den Tisch. Es war nicht richtig, dass solch eine Zurechtweisung vor der ganzen Schule stattfand. Sie war unendlich dankbar dafür, dass ihre Eltern niemals auf die Idee kommen würden, ihr oder ihrem Bruder einen Heuler zu schicken. Ihr Vater war von seinem eigenen ersten – und einzigen – Heuler seiner Schulzeit beinahe so etwas wie traumatisiert. „Und wehe, ich höre noch einmal davon, dass du dich mit irgendjemandem von dem Weasley-Clan in irgendeiner Hinsicht eingelassen hast!“, donnerte die Stimme zum Abschluss, dann zerfetzte sich der Heuler selbst. „Wow...“, murmelte Izzie leise. „Ich muss Dad sagen, dass er sowas bloß nie mit mir machen soll.“ Rose nickte stumm. Sie verspürte einen äußerst ungewohnten Anflug von Mitgefühl für Scorpius, der mit mittlerweile hochroten Wangen seinen Klassenkameraden wohl eine geschönte Version dessen erzählte, womit er sich die Strafarbeiten verdient hatte. Natürlich hatte Will Wood auch mitbekommen, weshalb Scorpius einen Heuler bekommen hatte. In der Jungenrunde war das wohl recht bald rum gewesen und so war es kein großes Wunder, als er Rose bei einem nachmittäglichen Spaziergang am See darauf ansprach. „Was habt ihr euch bloß dabei gedacht?“, fragte er kopfschüttelnd. Rose hob die Schultern. „Er hat mich herausgefordert und ich konnte nicht nein sagen. Ich kann ihn nicht ausstehen und er mich nicht.“ Sie machte eine kurze Pause. „Wir ärgern uns halt immer. Unsere ganze Hogwartszeit schon.“ Will zog eine Augenbraue hoch. „So, so.“ „Was denn? Da ist doch nichts dabei. Er ist mein Erzfeind.“ Rose blieb stehen und funkelte ihn empört an. „Natürlich.“ Will seufzte und griff nach ihrer Hand. „Es ist nur... ihr habt eine ziemlich enge Beziehung.“ „Wir haben gar keine Beziehung, Will.“ Sie verdrehte die Augen. „Ich kann ihn nicht leiden, er mich nicht und fertig.“ „Und deswegen machst du nachts ein Wettfliegen mit ihm?“ „Nun, mit dir hätte es mehr Spaß gemacht.“ Unwillkürlich musste Rose an diese gewaltige Begeisterung denken, die sich durchströmt hatte, als sie auf dem Besen durch die kalte Luft gerast war. „Lass uns doch heute Nacht...“ „Was? Einmal romantisch über den See fliegen und uns eine Runde Strafarbeiten abholen?“ Will schüttelte den Kopf. „Jones und McGonagall rechnen doch garantiert mit so etwas.“ „Die rechnen immer mit allem.“ Erneut verdrehte Rose die Augen. „Deswegen ist es ja auch aufregend. Es wäre doch komisch, wenn es kein Problem wäre, sich nachts aus dem Schloss zu schleichen, oder?“ „Nun...“ Will schüttelte den Kopf. „Du würdest nicht nachts einen kleinen Besenausflug mit mir machen?“, fragte Rose und spürte, wie sie Enttäuschung überrollte. Sie verstand es nicht. Sicher, sie waren größtenteils brave, gute Schüler, aber warum sollten sie denn nicht auch mal über die Stränge schlagen? Sie waren nur einmal sechzehn. Es wäre eine tolle Geschichte irgendwann sagen zu können: „Und dann sind wir nachts über den See geflogen und als sie uns erwischt haben...“ Sah Will das denn nicht? „Nein, Rose, das würde ich nicht.“ Schon wieder schüttelte Will den Kopf und Rose hatte das Gefühl, dass er das bei jedem Vorschlag machen würde, der die Regeln auch nur ein winziges bisschen verletzte. Er war langweilig. Absolut und total langweilig. Es war verblüffend, wie diese Erkenntnis Rose regelrecht überrollte. Wie betäubt ließ sie sich von Will in Richtung Schloss zurückziehen. Sie wusste, dass sie aus dieser Erkenntnis eine nicht besonders einfache Konsequenz ziehen musste. Kapitel 6: VI. -------------- Es war ein komisches Gefühl an diesem Samstag, den 18. Dezember, ihrem Bruder und ihren Cousins und Cousinen zuzusehen, wie diese fröhlich lachend in den Hogwarts-Express stiegen, um nach Hause zu fahren. Rose stand gemeinsam mit Izzie am Bahnsteig in Hogsmeade und winkte ihren Freunden und ihren Familienmitgliedern zu. Für einen Augenblick überkam sie Wehmut. Dieses Weihnachten würde anders sein als all die Jahre zuvor. Kein Weihnachtsbaum, den ihr Vater schief aufgestellt hatte, obwohl er mit Magie alles Mögliche versucht hatte, und den ihre Mutter dann am Ende richtete und auf ihre eigene Art perfekt schmückte. Kein aufgeregtes Auspacken der Geschenke am Weihnachtsmorgen unter dem Baum. Kein Festessen in ihrem kleinen Kreis. Keine Fahrt zu Oma Molly und Opa Arthur, um sich dort dann in das weihnachtliche Großfamilienchaos des Weasley-Clans zu stürzen, bei dem es immer viel zu streiten, viel zu lachen, viel zu feiern und zuviel Unsinn gab. Kein Besuch bei den Eltern ihrer Mutter, deren Muggelweihnachtsfeier so ähnlich und doch so anders war. Rose seufzte leise. „Freiheit“, flüsterte Izzie ihr zu. „Für dich wenigstens halbtags und für mich den ganzen Tag.“ Rose knuffte sie kräftig mit dem Ellbogen in die Seite. Izzie lachte nur und legte ihr den Arm um die Schultern. „Komm, wir müssen wieder zurück. Du musst in einer Stunde mit Scorpius bei Professor Jones zur ersten Runde Strafarbeiten antreten. Und ich werde in der Zwischenzeit mit Evangelina aus Hufflepuff eine Runde um den See spazieren.“ Es waren insgesamt gerade einmal zehn Schülerinnen und Schüler über die Ferien in Hogwarts geblieben. Außer Rose, Izzie und Scorpius noch besagte Evangelina aus Hufflepuff, eine Siebtklässlerin, ein weiterer Slytherin aus dem dritten Jahr – Jack Irgendwas, seinen Nachnamen hatte Rose bereits vergessen –, die Geschwister Dandelion und Daisy Shaklebolt, die beiden Töchter des Zaubereiministers aus dem Haus Ravenclaw, zwei weitere Hufflepuffs, die Rose nicht kannte – Jimmy und Chloe – sowie aus Gryffindor der Siebtklässler Ephraim Scamander, der Urenkel des berühmten Newt Scamander. Professer Jones war – gelinde gesagt – schlecht drauf. Bei der ohnehin stets launischen Lehrerin war die Tagesstimmung eh immer eine Glückssache, aber heute hatten sie offenbar einen Volltreffer im Abgrund gelandet. Mürrisch starrte die Hexe die beiden verurteilten Sünder an. Ihr hageres Gesicht und ihr stechender Blick sorgten nicht gerade dafür, dass sie überhaupt das Potenzial dazu hatte, freundlich dreinzuschauen. „So... Miss Weasley, Mr. Malfoy, Professor McGonagall hat mir zugesichert, dass Sie die Hälfte der Weihnachtsferien ganz zu meiner Verfügung stehen. Heute dürfen Sie damit beginnen, die Decke des Klassenzimmers zu reinigen. Selbstverständlich werden Sie dafür keinerlei Magie verwenden.“ Ein kühles Lächeln glitt über ihre schmalen Lippen. „Eimer und Putzmittel finden Sie dort vorne im Schrank. Ich werde in vier Stunden nach dem Rechten sehen und erwarte angemessene Fortschritte.“ Damit machte die Lehrerin auf dem Absatz kehrt und ließ Rose und Scorpius in dem Klassenzimmer zurück. Rose spähte zur Decke empor. Ihr entfuhr ein leises Aufstöhnen. „Na, hoffentlich haben wir wenigstens eine Leiter zur Verfügung...“, murmelte Scorpius und ging zum Schrank hinüber. Filch musste den Schrank für sie vorbereitet haben – es gab sogar zwei Leitern, mehr als genug Eimer und eine sehr große Flasche Reinigungsmittel. Dazu mehrere Schrubber, Besen und Lappen. „Beweg dich, Weedy. Das hier macht sich nur von alleine.“ „Ja, ja, Moskitus.“ Rose verdrehte die Augen und ließ sich von Scorpius zwei Eimer in die Hände drücken. Am Wasserhahn hinter dem Lehrerpult füllte sie diese, gab Reiniger dazu und ging zu der ersten Leiter hinüber, die er bereits aufgestellt hatte. Sie stand neben dem Pult auf der rechten Seite des Raumes, die andere stellte er links auf. „Wir arbeiten uns am besten von beiden Seiten auf die Mitte vor. Dann kommen wir uns wenig in die Quere, aber es bleibt klar, bis wohin wir gekommen sind. Einwände, Weedy?“ „Nein, das klingt für eine von deinen Ideen äußerst durchdacht.“ „Gut.“ Scorpius nahm ihr den anderen Eimer ab, holte sich einen Schrubber und klettere auf die Leiter. Die erste Zeit über arbeiteten sie schweigend. Rose lernte schnell, dass es wahnsinnig anstrengend war, den Schrubber die ganze Zeit hochzuhalten. Stattdessen tat sie es Scorpius gleich, der auf der Spitze der Leiter stand, breitbeinig die Füße zu beiden Seiten auf die Sprossen gesetzt, den Eimer oben festgeklemmt und somit hoch genug war, um den Schrubber nicht über den Kopf halten müssen. Stattdessen konnte er seine Kraft schräg einsetzen, was leichter aussah. Das war es auch – aber trotzdem war es immer noch höllisch anstrengend. „Ich frage mich, was sie sich noch für den Rest der Woche überlegt hat“, murmelte Rose leise. „Etwas Gemeines“, kam es von Scorpius trocken zurück. „Ach, darauf wäre ich nie gekommen.“ Der Schweiß lief Rose in Strömen den Rücken hinunter und immer wieder spritzte sie sich mit dem Putzwasser und irgendwelchen ekligen Dingen voll, die sich von der Decke gelöst hatten. Sie war hochgradig gereizt. Langsam erreichten sie von beiden Seiten die Mitte des Raumes und ein erster Erfolg wurde allmählich sichtbar: die steinerne Decke schimmerte an einigen Stellen sauber unter dem festgebackenen Dreck von misslungenen Tränken hervor. Gleichzeitig kam das Wasser jetzt nicht nur von ihr, sondern auch von Scorpius. „Hey, patsch dich selbst voll!“ „Selber“, knurrte Scorpius ebenso genervt zurück. Auch ihm liefen Schweiß und Dreckwasser über das Gesicht. Ein Schwall Wasser landete auf Rose' Kopf und sie sah rot. Wütend stopfte sie einen Putzlappen in ihren Eimer, tränkte ihn und schleuderte ihn Scorpius ins Gesicht. Mit versteinerter Miene sah er sie an, während der Lappen auf seine Schulter fiel und von da zu Boden. Rose musste kichern. Scorpius verzog noch immer keinen Muskel. Rose brach in schallendes Gelächter aus. Schnell sprang sie von der Leiter, ehe sie vor Lachen noch herunter fiel. Scorpius ließ langsam den Schrubber sinken und griff nach seinem Eimer. Er zielte in aller Ruhe, holte aus – und der gesamte Inhalt seines Putzeimers landete auf Rose. Empört schnappte sie nach Luft, starrte ihn an – und musste erneut loslachen. Er schmunzelte, seine Lippen zuckten und endlich gab er nach und lachte ebenso los wie sie. Klatschnass und dreckig saßen sie nebeneinander auf dem Fußboden. Beiden tat der Bauch vor Lachen weh. Das war vermutlich der erste relativ friedliche Moment, den sie in den beinahe sechs Jahren, die sie sich nun kannten, je erlebt hatten. „Jones wird uns umbringen“, murmelte Rose leise, als ihr Blick auf das Chaos um sie herum fiel. Sie hatten gerade einmal einen gut drei Meter breiten Streifen der Decke gereinigt. Und der Klassenraum war locker 18 Meter lang. Sie hatten quasi gar nichts geschafft. Nur sich selbst. Scorpius spähte zur Uhr hinüber. „Wir haben noch zweieinhalb Stunden, bis sie hier auftaucht.“ „Wieder an die Arbeit.“ Rose stand langsam auf. Ihr Pulli klebte ihr am Leib. Sie war versucht, ihn auszuziehen, aber dem T-Shirt darunter ging es nicht besser und sie wollte nicht gerade, dass Scorpius sie so sah. Dieser sah wenig besser aus – nur, dass er jetzt seinen nassen Pulli auszog und in Hemd und mit hochgerollten Ärmeln weiter machte. Rose versuchte, seinen Anblick einfach zu ignorieren. Das war allerdings nicht ganz so einfach, da in diesem Fall ihre übliche Ansicht, dass er doch viel zu blass war, nicht wirklich greifen wollte. Vor Anstrengung waren seine Wangen gerötet und offenbar war er doch kräftiger, als sie bislang geglaubt hatte. Rose schüttelte den Kopf und bereute diesen Moment der Unachtsamkeit schnell, als sie sich selbst mit einer besonderen Scheußlichkeit bekleckerte. Immerhin hatten sie beinahe die Hälfte des Klassenraumes geschafft und sogar den Dreck auf dem Fußboden weggemacht, als Professor Jones zurückkam. Die Lehrerin knurrte so etwas wie eine Anerkennung für die gute Arbeit und entließ sie dann für den Rest des Tages. Rose konnte es kaum erwarten, aus den nassen Sachen rauszukommen. Sie eilten zusammen aus dem Raum. „Na ja, bis später dann“, sagte Rose schließlich, als sie Richtung Turm abbiegen und Scorpius gen Slytherin-Kerker gehen musste. „Bis dann, Weedy.“ Scorpius schenkte ihr sogar beinahe den Hauch eines Lächelns. Kapitel 7: VII. --------------- Immerhin hatte Professor Jones ihnen einen freien Sonntag gelassen. Sie mussten erst am Montag mit den Strafarbeiten weitermachen. Zuerst schrubbten sie die Decke weiter. Als nächstes mussten sie sämtliche Schulkessel – und die Kessel der Schüler, die neben dem Klassenzimmer aufbewahrt wurden – schrubben. Selbstverständlich galt auch in diesem Fall die Regel, dass sie keinerlei Magie verwenden durften. Es waren allein 280 Schülerkessel plus noch einmal 100 Ersatzkessel, die der Schule gehörten. Damit waren sie drei Tage beschäftigt. Am 24. Dezember, Heiligabend, bekamen sie schließlich die wenig beneidenswerte Aufgabe, die Staubnesseln im Gewächshaus abzustauben, um den Staub als Zaubertrankzutat zu gewinnen. Rose hatte in den letzten Tagen festgestellt, dass es vollkommen unmöglich war, Scorpius außerhalb der Strafarbeiten irgendwie aus dem Weg zu gehen. Das Schloss war leer, sie aßen in der großen Halle alle gemeinsam mit den wenigen verbliebenen Lehrern an einem Tisch. Was sie jedoch am meisten irritierte, war, dass es ihm gelang, äußerst wenige Worte mit ihr zu wechseln. Bei den Strafarbeiten schwieg er die meiste Zeit und nur selten gab es einige der sarkastischen Wortgefechte, die sie eigentlich seit Beginn ihrer Schulzeit pflegten. Und Rose stellte fest, dass sie sie vermisste. Während sie nun also Seite an Seite vor einem großen Beet sehr staubiger Staubnesseln standen, entschied sie, dass sie ansprechen musste, was sie störte. „Was ist mit dir los, Moskitus?“, fragte sie ihn entschlossen. Sein Gesicht zeigte Verwirrung, als er sie ansah und fragte: „Was meinst du?“ Rose seufzte leise. „Du sprichst nicht mit mir. Sonst hast du keine Gelegenheit verstreichen lassen, mir irgendeine Beleidigung an den Kopf zu schmeißen oder mich zu irgendetwas herauszufordern. Aber nun verbringen wir offenbar die Hälfte unserer Weihnachtsferien zusammen und dir fällt nichts dazu ein?“ Genauer gesagt tat er das schon seit einer ganzen Weile. Er hatte eigentlich quasi seit ihrer mitternächtlichen Flugveranstaltung kaum ein Wort mit ihr gewechselt. Und ihr war aufgefallen, dass er auch schon lange vor den Weihnachtsferien nicht mehr mit Magnolia rumgeknutscht hatte. Das Strohfeuer war also auch sehr schnell wieder erloschen. Scorpius schwieg eine Weile, ehe er schließlich sagte: „Warum sollte ich Zeit damit verschwenden, wenn wir unsere Strafaufgaben hinter uns bringen müssen? Außerdem hältst du meine Familie und mich doch eh für Verbrecher.“ Er griff nach dem Staubwedel, mit dem sie die Nesseln abstauben sollten. „Ich...“ Rose wollte etwas sagen, aber sie brachte keinen weiteren Ton über die Lippen. Er hielt ihr immer noch diesen einen Moment in den Drei Besen vor? „Und weißt du was: Du hast ja Recht. Nicht, was meinen Vater angeht. Oder meine Mutter. Beide haben nie etwas verbrochen, außer Slytherins zu sein und die Kinder überzeugter Todesser. Ihre Eltern haben die Sünden begangen. Nicht sie oder wir. Und es ist ätzend, diesen gleichen Unsinn immer wieder zu hören.“ Scorpius funkelte sie an. „Ich dachte eigentlich, wir hätten diese sinnlosen Vorurteile hinter uns. In unserer Generation sind die Freundschaften hausübergreifend. Und dennoch hasst du mich seit unserer ersten Begegnung. Warum eigentlich? Weil dein Vater dir das so eingetrichtert hat?“ Scorpius hatte ruhig, aber mit einem deutlichen Nachhall von unterdrücktem Zorn gesprochen. Es war eine kalte Wut, die tief in seiner Stimme lauerte und die Rose erschreckte. „Ich...“, setzte sie an und schüttelte den Kopf. Warum hasste sie ihn eigentlich? Warum hielt sie daran so fest? Weil ihr Dad ihr mal gesagt hatte, dass sie besser als Scorpius sein und ihn überall schlagen sollte? Weil er ein Slytherin war? Weil er ein Malfoy war? Hasste sie ihn überhaupt? Verabscheute sie ihn überhaupt? „Schon gut. Mein Vater ist kein bisschen besser. Der einzige Unterschied zwischen uns ist nur, dass es mir vollkommen egal ist, was er sagt. Mein bester Freund bleibt Albus, obwohl er zu eurem Weasley-Clan gehört und auch noch der Sohn des berühmten Harry Potters ist. Den mein Vater übrigens am meisten dafür verabscheut, weil Harry Potter ihm mehrfach das Leben gerettet hat.“ Ein bitteres Lachen kam aus seiner Kehle. „Ich frage mich nur, was das alles immer mit mir zu tun haben soll.“ Er bedachte Rose mit einem Blick, der ihr durch und durch ging. „Und jetzt an die Arbeit, Weedy. Das hier wird schon ätzend genug, also sollten wir es schleunigst hinter uns bringen.“ Schweigend staubten sie die Nesseln ab und verwandelten sich dabei nach und nach in zwei menschliche Staubmonster. Rose war ganz in Gedanken versunken und bewegte sich wie aufgezogen. Ihr Gedanken kreisten um sie und Scorpius und die letzten sechs Jahre. Sicher, ihr Dad hatte sie immer aufgefordert, dass sie ihr Bestes geben und Scorpius immer und überall schlagen sollte. Sie hatte Spaß daran. Sie liebte es, sich mit allen anderen zu messen und ganz besonders mit jemandem, der mit ihr mithalten konnte. Bei dem es wirklich Arbeit war, ihn immer wieder auf den zweiten Platz zu verweisen. Sie konnte es sich nicht anders vorstellen. Sie konnte es sich auch nicht vorstellen, jemals eine Herausforderung von Scorpius abzulehnen. Wie das nächtliche Wettfliegen zum Beispiel. Sie hatte gewusst, dass das Risiko hoch war. Sie hatte gewusst, dass es eigentlich eine verdammt dumme Idee gewesen war. Und dennoch hatte sie nicht Nein sagen können. Sie ließ den Staubwedel sinken und fegte vorsichtig den auf den Tisch gefallenen Staub in einen der Eimer, die sie bereitstehen hatten. Sie blickte Scorpius an, der mit zusammengepressten Lippen und zusammengekniffenen Augen stoisch weiterarbeitete. Bei Merlin, sie vermisste diese Herausforderungen zwischen ihnen. Sie vermisste es, sich mit ihm zu messen. Stattdessen standen sie jetzt hier, schwiegen sich an und alles war... kaputt. Es war nichts mehr wie vorher. Rose begriff nur nicht, warum das eigentlich der Fall war. Was Scorpius ihr vorhin an den Kopf geknallt hatte, war etwas, das er ihr schon vor Jahren hätte sagen können. Er lag damit ja auch nicht falsch. Im Gegenteil – er hatte vollkommen Recht, was es ja so schwer machte, ihm irgendetwas dazu zu entgegnen. Rose war froh, als sie aus dem Waschraum kam und Izzie im Schlafsaal auf sie wartet. „Schieß los“, sagte Izzie nur, als sie Roses Gesicht sah. Und diese berichtete ihr den heutigen Zwischenfall und ihre hochgradige Verwirrung. Danach schwiegen die beiden Mädchen eine ganze Weile, ehe Izzie schließlich meinte: „Rose, ich weiß, du willst das absolut nicht hören, aber eigentlich hast du längst angefangen, Scorpius zu mögen.“ Rose wollte sofort reagieren, doch Izzie hob die Hand und bedeutete ihr still zu sein, da sie noch längst nicht fertig war. „Überleg doch mal: Du hast letztlich nie mehr Spaß, als wenn du dich mit Scorpius gefetzt oder ihn in irgendetwas besiegt hast. Bei Merlin, wahrscheinlich war das aufregendste, was du in den letzten Monaten gemacht hast, mit Scorpius nachts ums Schloss zu fliegen, oder nicht? Und so übel ist er gar nicht. Eigentlich ist er doch ein netter Kerl. Oder meinst du, Albus wäre sonst mit ihm befreundet? Und all die anderen?“ Izzie schüttelte den Kopf. Rose verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. „Und? Warum sollte ich ihn auf einmal mögen? Nur, weil es Spaß macht, besser zu sein als er?“ „Ich sehe schon, bei dir sind Kürbis und Kelch verloren... Aber du solltest zumindest einmal darüber nachdenken. Wenn schon nicht um deinetwillen, dann zumindest mir zuliebe.“ Doch Rose entwich nur ein zorniges Schnauben. Beim Abendessen war Rose gezwungen, sich wieder Scorpius gegenüber zu sehen. Ihr Tisch stand in Mitte der großen Halle und wirkte trotz des festlichen Schmucks sehr einsam. Sie waren mit gerade einmal fünfzehn Personen einfach verdammt wenig Leute in diesem riesigen Raum. Neben den zehn Schülern war noch die Schulleiterin Professor McGonagall in Hogwarts geblieben, außerdem Professor Jones, Professor Sybill Trelawney, die Lehrerin für Wahrsagen, Professor Rubeus Hagrid, Lehrer für die Pflege magischer Geschöpfe, und Filch. Rose wechselte einen kurzen Blick mit Izzie, ehe sie sich auf ihren Teller konzentrierte und sich bemühe, Scorpius, der ihr schräg gegenüber saß, keine große Aufmerksamkeit zu schenken. Sie hielt genau fünf Minuten durch, dann ertappte sie sich dabei, wie sie ihn aus dem Augenwinkel beobachtete. Sie schaute zu, wie er seinen Tee trank, ein Stück von seinem Schnitzel abschnitt, etwas Kartoffelpüree auf seine Gabel beförderte und sich den Mund mit der Serviette abtupfte. Izzies Ellbogen traf sie in die Seite. Rose schaute zur Seite, sah den Blick ihrer Freundin und spürte, wie sie errötete. Stumm starrte sie auf ihren Teller und legte schließlich nach der Hälfte ihrer Portion das Besteck bei Seite. Sie hob den Kopf und bemerkte, dass Scorpius sie fragend ansah, blickte aber selbst schnell wieder bei Seite. Dort flachste Evangelina gerade mit Izzie und Daisy Shaklebolt und Rose beteiligte sich nur zu gerne an dem Gespräch. Endlich war das Essen vorbei. „Denken Sie daran, heute Nacht ihre Weihnachtsstrümpfe aufzuhängen“, ermahnte Professor McGonagall sie mit einem schelmischen Augenzwinkern. Dann waren sie entlassen. Rose schlenderte neben Izzie, Evangelina, Daisy und Dandelion zur Tür. Sie ließ die anderen vorgehen und wollte ihnen gerade folgen, als sie mit Scorpius zusammenprallte, der offenbar nicht bemerkt hatte, dass sie kurz stehen geblieben war. Sie starrte ihm erschrocken in die Augen und er sah nicht weniger überrascht aus. Dann glitt ihr Blick nach oben. Sie hatte vorhin doch gesehen, dass... Oh ja, da hing er. Ein wunderschöner, großer und nicht zu übersehender Mistelzweig. Scorpius war ihrem Blick gefolgt und ein freches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Reflexartig schob sie ihn von sich und ergriff die Flucht. Dennoch meinte sie zu hören, wie er murmelte: „Du schuldest mir etwas, Weedy.“ Kapitel 8: VIII. ---------------- Rose hatte die Nacht kaum geschlafen und das fröhliche Quietschen aus dem Gemeinschaftsraum, als Izzie und der andere verbliebene Gryffindor, Ephraim, ihre Geschenke auspackten. Müde schlug sie die Bettdecke bei Seite, fuhr sich kurz durch die buschigen roten Haaren und lief dann im Schlafanzug die Treppe herunter. Für einen Jungen, den sie nicht besonders gut kannte und der sie noch weniger interessierte, würde sie sich jedenfalls nicht extra hübsch machen. Wie sie sah, waren die beiden anderen auch noch im Schlafanzug, sodass sie sich gleich noch eine Runde wohler fühlte. „Al hat mir eine Kette geschenkt!“ Izzie sprang ihr mit einem goldenen Kettchen mit einem Flügeanhänger entgegen. „Sieh nur!“ „Wunderschön.“ Rose lächelte und drückte die Freundin liebevoll an sich. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass diese aufkeimende Sympathie zwischen Izzie und Albus schon so weit gediehen war. Izzie hielt sich in Sachen Albus aber auch immer eher etwas bedeckt, als wenn sie seiner Cousine nicht zuviel erzählen durfte oder sollte. Auch Rose verspürte jetzt eine gewisse Aufregung, was ihre Geschenke anging. Schnell hatte sie ihren Stapel ausgemacht und machte sich an das Auspacken. Zuerst öffnete sie das Paket von Oma Molly. Sie wusste, was darin war: Ein Weasley-Pulli. Dieses Jahr war er dunkelgrün mit einem großen goldenen Löwen auf der Brust. Er sah schick aus. Besser als der letztes Jahr, dessen Neonpink sich grauenhaft mit ihrer Haarfarbe gebissen hatte. Spontan vermutete sie, dass ihre Mutter oder Tante Ginny Oma Molly wohl einen Tipp gegeben hatten, was bei den Enkeln besser ankam. Von ihrem Bruder bekam sie einen Plüschteddy. Rose musste grinsen, als sie das violette Tier auspackte. Sie hatte ihn im Sommer bei einem gemeinsamen Besuch einer Muggel-Shopping Mall entdeckt und war sofort begeistert gewesen. Dass Hugo das noch wusste, war bemerkenswert. Von ihrem Vater bekam sie ein Abo für die Zeitschrift Quidditch Live und von ihrer Mutter drei Muggelromane. Rose strahlte über das ganze Gesicht. Genau das hatte sie sich gewünscht. Sie packte auch die kleinen Geschenke von dem Rest ihrer Familie aus und freute sich über jedes einzelne. Hier ein Schal, dort ein hübsches T-Shirt, hier ein Lippenstift und neue Wimperntusche. Im letzten Päckchen, auf dem ein Anhänger verriet, das es von Albus war, versteckte sich ein kleiner Skorpion-Schlüsselanhänger. Rose presste die Lippen zusammen, als sie das silberne Tier betrachtete. Izzie sah sie an und brach in schallendes Gelächter aus. Ephraim begriff den Grund dafür glücklicherweise nicht und vergrub sich nach einem kurzen Kopfschütteln und in einem Buch, das er geschenkt bekommen hatte. Ein leiser Seufzer kam Rose über die Lippen. Irgendwie schienen alle um sie herum verrückt geworden zu sein. Die Slytherins kamen spät zum Frühstück, sodass Rose und Izzie längst fertig waren, als Scorpius schließlich in der großen Halle auftauchte. Rose wich seinem Blick aus und flüchtete schnell nach draußen. Izzie kam ihr grinsend nach. „Behaupte du noch mal, dass da nichts zwischen euch ist.“ „Da ist nichts, Izzie. Absolut und total gar nichts. Vielleicht hasse ich ihn wirklich nicht mehr. Aber das ist auch alles“, explodierte Rose. „Ja, ja, ja...“ Izzie grinste nur breit. „Erzähl du mir mal lieber, wie es zwischen dir und Albus aussieht. Da scheint ja mehr zu sein, als du mir bislang verraten hast.“ Jetzt war es Izzie, die knallrot anlief und schließlich nach etwas gutem Zureden bereit war, Rose endlich ins Vertrauen zu ziehen. Mittags war das große Weihnachtsessen. Der Tisch bog sich beinahe unter der Menge an Essen. Es gab Würstchen im Speckmantel, Mince Pie, Bratkartoffeln, Truthahn, Gans und eine Menge an Gemüse. Zum Nachtisch erwartete sie dann der traditionelle Christmas Pudding, den auch Zauberer sehr zu schätzen wussten. Wenig überraschend war, dass jeder am Tisch eine Glücksmünze in seinem Stück fand. Die Hauselfen legten wohl wert auf Ausgewogenheit. Sie hatten beim Essen alle viel gelacht und erzählt, was sie an Geschenken bekommen hatten und berichtet, wie in welcher Familie das Weihnachtsfest gefeiert wurde. Rose war aufgefallen, dass Scorpius an diesem Punkt sehr sorgfältig dafür gesorgt hatte, dass sein Mund immer voll war, wenn er angesprochen wurde, sodass er dieses Thema wunderbar hatte umschiffen können. Niemand am Tisch hatte von ihm erfahren, wie die Malfoys eigentlich Weihnachten feierten. „Und jetzt, meine Damen und Herren, ist es Zeit für Knallbonbons!“, verkündete Professor McGonagall feierlich, als sie das Essen beendet hatte. Auf einen Wink ihres Zauberstabs hin war der Tisch abgeräumt und einen Moment später lagen Dutzend Knallbonbons über den Tisch verteilt. Sie selbst ergriff eines und forderte Professor Trelawney auf, daran zuziehen. Bald war der Tisch mit Bonbons, eingewickelten Pralinen, Konfetti, Luftschlangen und noch viel mehr Chaos übersät. Schließlich war es Zeit, für eine Weile Pause zu machen und die Feierlichkeiten erst am Abend wieder aufzunehmen. „Bei Merlin, ich brauche frische Luft...“, murmelte Rose und rieb sich den Bauch. Sie fühlte sich hoffnungslos überfressen. „Ich leg mich hin.“ Izzie zog es lieber in Richtung Bett. Und so trennten sich die Freundinnen vor der großen Halle. Draußen war es kalt. Rose war froh, ihren Umhang direkt mit genommen zu haben. Sie hatte eh vorgehabt, ein paar Schritte vor die Tür zu machen. Der Himmel war grau und die Wolken hingen tief. Es roch bereits nach Schnee. Sie ging langsam vom Schloss Richtung See hinunter. „Weedy?“ Die Stimme hatte sie am wenigstens hören wollen, aber dennoch blieb sie stehen und drehte sich langsam um. Scorpius holte mit großen Schritten zu ihr auf. „Hi.“ „Hi“, gab sie genauso zurück. „Ich...“, setzte er an, brach ab und begann erneut: „Glaubst du an Weihnachtswunder?“ „Weihnachtswunder?“ Rose zog die Stirn kraus. „Eigentlich nicht. Ich mein... Ich habe noch nie eines erlebt. Es wäre ja nett und so, aber...“ „Du bist zu vernünftig dafür.“ „Ganz genau, Moskitus. Sag bloß, dass du an welche glaubst?“ „Nun... Seit dem hier, habe ich meine Hoffnung nicht ganz verloren.“ Er zog einen kleinen Schlüsselanhänger aus seiner Hosentasche. „Der ist von Albus.“ Es war eine silberne Rose. Unwillkürlich schnappte Rose nach Luft. Sie hatte ihren Schlüsselanhänger vorhin auch eingesteckt und hielt jetzt stirnrunzelnd den kleinen Skorpion hoch. „Ich werde ihn umbringen...“, murmelte sie. „Warum?“ Scorpius zog eine Augenbraue hoch. Rose wurde rot. „Diese... diese... Andeutung... das ist doch...“ „Absurd?“ „Genau!“ Sie nickte heftig. „Mir hat sie eher Hoffnung gegeben.“ Rose klappte den Mund auf. „Was soll das heißen?“ „Och, komm schon, Rose Weasley. Soll das heißen, dass du wirklich nichts bemerkt hast? Niemals auch nur ein winzig kleines bisschen? Dass die Sticheleien zwischen mehr geworden sind als die Abscheu von zwei Kindern und eine nette Gewohnheit?“ „Scorpius, du...“ „Ich mag dich, Rose. Seit einer halben Ewigkeit schon.“ Scorpius umschloss den Rosen-Schlüsselanhänger fest mit der Hand. Panik machte sich in Rose breit. Sie war versucht, einfach wegzulaufen, aber das würde diese Situation nicht lösen. Stattdessen würde wieder alle einfach verschoben. Bis sie das nächste Mal allein waren und sie würde die ganze Zeit wieder damit beschäftigt sein, ihm auszuweichen. Wollte sie das überhaupt? Aber... er war doch immer noch ihr Erzfeind. Oder? Kapitel 9: IX. -------------- „Warum wolltest du Weihnachten unbedingt hier verbringen?“, platzte Rose heraus. Scorpius blinzelte sie verwirrt an. „Bitte?“ „In McGongalls Büro. Als sie uns die Wahl gelassen hat, wann wir die Strafarbeiten leisten müssen. Du hast mich quasi angefleht, ebenfalls die Weihnachtsferien zu nehmen. Warum?“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schaute ihn abwartend an. Der Wind griff in ihr langes Haar und zerrte es aus dem Pferdeschwanz, zu dem sie es heute Morgen nachlässig zusammengebunden hatte. „Das ist nicht so einfach zu erklären...“ „Sag es einfach gerade raus. Du hast mir schließlich genauso gerade erklärt, dass du mich magst.“ In ihre vorher feste Stimme, schlich sich ein weicher Unterton, der sie selbst verunsicherte. „Weißt du, dass ich eine kleine Schwester habe?“ Scorpius blickte sie direkt an. Sie hätte erwartet, dass er in die Ferne schauen würde oder etwas in der Art, aber er fixierte sie die gesamte Zeit, als wenn er keine einzige ihrer Regungen verpassen wollte. Sie hatte nicht gewusst, dass graue Augen so einen intensiven Ausdruck haben konnten. „Nein...“ „Sie heißt Virginia und ist jetzt zwei Jahre alt. Meine Eltern und mein Großvater haben den Verdacht, dass sie eine Squib ist.“ Rose spürte, wie ihr die Kinnlade wieder nach unten klappen wollte, schaffte es aber gerade noch, den Mund dieses Mal geschlossen zu lassen. „Es gib da so einen Zauber, um das sehr früh zu testen und das Ergebnis könnte eben bedeuten, dass sie eine Squib ist. Mit Betonung auf 'könnte'. Es ist noch gar nichts sicher. Außerdem ist sie doch eh noch viel zu klein, um irgendetwas Genaues sagen zu können. Das sagen meine Eltern auch ständig. Sie ist die tollste kleine Schwester, die man sich wünschen kann. Meine Eltern lieben sie beide abgöttisch. Ich liebe sie abgöttisch. Und dabei ist es vollkommen egal, ob sie zaubern kann oder nicht.“ Scorpius holte tief Luft und fügte trocken hinzu: „Wirklich, auch wenn ich dir gerade ansehen kann, dass du das kaum glauben kannst. Aber ja, meine reinblütigen Eltern lieben ihre Möglicherweise-Squib-Tochter. Großvater Lucius macht aber ständig Stunk. Er betont, dass das die ganze Linie versauen könnte und und und. Großmutter Narcissa kann ihn selten bremsen. Opa Theodosius unterstützt sie immer, aber Oma Deidre ist sich wohl noch nicht sicher, auf wessen Seite sie steht und was sie glauben soll. Am liebsten würde sie natürlich meiner Mutter glauben, aber Opa Lucius kann ziemlich überzeugend sein, wenn er will. Und jetzt sollen dieses Weihnachten wieder alle zu uns kommen. Plus Tante Daphne und ihre Familie und... mir ist es zu viel. Ich liebe Virginia und ich hasse es, sie im Stich zu lassen. Aber ich kann das dieses Jahr nicht. Dieses ganze blöde Gerede war mir schon letztes Jahr zuviel, als sie diesen Zauber das erste Mal durchgeführt haben, und nachdem sich das zwölf Monate lang aufgeschaukelt hat, wäre ich vermutlich Opa Lucius gegenüber ausgerastet. Und so habe ich beschlossen, dass es ein guter Plan wäre, einfach nicht dort zu sein. Ihnen allen zuliebe.“ „Mos... Scorpius, das ist...“ „Kompliziert, ich weiß.“ Scorpius seufzte und senkte für einen Moment den Blick. Einen Wimpernschlag später schaute er jedoch überrascht auf, als er Roses Hand auf seinem Arm spürte. „Und es ist auch keine Lösung auf Dauer. Ich werde Großvater Lucius früher oder später die Meinung sagen müssen. Es bleibt ja kein anderer. Dad ist nicht... durchsetzungsstark genug, was ihn angeht. Und Mum duckt sich immer eher weg. Sie lässt sich von dem ganzen Malfoy-Kram immer noch einschüchtern. Der Rest auch... Aber dieses Jahr wollte ich einfach meine Ruhe davor haben.“ Er atmete tief durch. „Und ja, ich habe das Gefühl, Virginia im Stich zu lassen. Ich habe nur die Hoffnung, dass sie von all dem noch nicht allzu viel mitbekommt, insbesondere da zu ihr immer alle wunderbar lieb und nett sind.“ Sie schwiegen eine Weile. Rose musste sich sammeln und das Gehörte erst einmal verarbeiten. „Das klingt nach einer schwierigen Entscheidung. Aber erfahrungsgemäß ist es immer gut, keinen Eklat an Weihnachten loszutreten. Wir haben mit Oma Molly genau das Gegenteil – sie betüddelt alle und will uns alle Weihnachten bei sich haben. Sie nervt und macht uns wahnsinnig und doch sagt es ihr lieber keiner. Denn das Donnerwetter danach ist es einfach nicht wert. Aber...“, fügte sie hastig hinzu, „...das ist natürlich absolut nicht mit deiner Situation zu vergleichen. Deine Familie ist noch verdrehter als meine. Aber so sind Familien eben.“ Scorpius musste wider Willen lächeln. „Ja, so sind sie wohl.“ Rose zuckte zusammen, als er ihr auf einmal den Arm um die Schultern legte. „Danke. Ich habe das alles noch nie jemandem erzählt und du bist ganz gut im Zuhören.“ „Das fasse ich mal als Kompliment auf.“ Bemüht locker grinste Rose, während sie zu ignorieren versuchte, dass sich Scorpius' Nähe doch gar nicht so schlecht anfühlte. „Und du scheinst doch gar nicht so übel zu sein, wie ich immer dachte.“ Spielerisch knuffte sie ihn in die Seite. Dann machte sie einen Schritt von ihm weg und sein Arm sank von ihrer Schulter. „Ich denke, wir müssen langsam zurück.“ Kapitel 10: X. -------------- Rose und Izzie verbrachten viel Zeit damit, sich für den Abend fertig zu machen. Professor McGonagall hatte betont, dass sie festliche Kleidung für das weihnachtliche Abendessen erwartete, auch wenn es natürlich deutlich kleiner ausfiel als das üppige Mittagessen. Izzie kämmte ihre Haare so aus, dass ihr Afro heute richtig zur Geltung kam. Vor dem Spiegel steckte sie rote Weihnachtskugeln in die drahtigen Haare und bewunderte schließlich ihr Spiegelbild. Sie hatte sich dazu für ein rotes Kleid und schwarze Strumpfhosen entschieden. „Schick. Soll ich die Kugeln zum Leuchten bringen?“, fragte Rose grinsend. „Nee... Sonst verwechselt man mich noch mit dem Weihnachtsbaum.“ Izzie zwinkerte ihr fröhlich zu. „Was ist mir dir?“ „Hilfst du mir, die Haare hochzustecken?“ „Klar.“ Izzie bedeutete der Freundin, vor dem Spiegel Platz zu nehmen. Während sie Rose die Haare ausbürstete, platzte diese auf einmal heraus: „Scorpius hat gesagt, dass er mich mag!“ „Das ist doch wunderbar!“ „Aber...“ „Was aber?“ „Er ist ein Malfoy!“ Roses Gesicht spiegelte beinahe Entsetzen. „Und?“ Izzie zuckte mit den Schultern. „Ich bin eine Zabini und du bist dennoch mit mir befreundet. Und soweit ich mich erinnere, sind außerdem noch mein Vater und Scorpius' Vater seit der Schulzeit miteinander befreundet. Insofern bin ich quasi eine Tochter des Bösen.“ Noch überspitzter konnte Izzie das gar nicht mehr formulieren. „Ich bin...“ „Etwas blöd, ja.“ Izzie lachte und strich Rose liebevoll über das Haar. „Und vermutlich gerade hochgradig verwirrt, da du ja bislang immer dachtest, dass du ihn hassen würdest, was du ganz offensichtlich ja absolut nicht mehr tust.“ Rose schaute im Spiegel zu, wie Izzie ihr das buschige Haar Strähne für Strähne glättet und dann langsam zu einer wunderbaren Frisur hochsteckte. „Und vielleicht schwebst du wegen Albus ja einfach nur dermaßen auf Wolke sieben, dass du gerne die ganze Welt verkuppeln würdest“, brummte Rose. Ein unterdrücktes Kichern war darauf Izzies einzige Antwort. Sie hätte wahrscheinlich noch mehr gesagt, aber in ihrem Mund steckten gerade mehrere Haarnadeln, die sie nicht unbedingt fallen lassen wollte. Schließlich finalisierte sie die Frisur mit einer großen hölzernen Spange, die Rose sehr gerne trug. „Fertig, Süße. Du siehst bezaubernd aus.“ „Das sind nur deine magischen Hände.“ Dankbar umarmte Rose ihre beste Freundin. „Du meinst eher, das ist jahrelange Übung mit absolutem Problemhaar.“ Izzie zwinkerte vergnügt. „Und zieh das grüne Kleid an. Das steht dir am besten.“ Die beiden Mädchen waren die letzten, die schließlich die große Halle betraten. Während Rose voranging, zog Izzie ihren Zauberstab hervor und murmelte leise einen Zaubern. Roses hölzerne Haarspange verwandelte sich in einen Mistelzweig. Izzie grinste zufrieden. Als sie am Tisch Platz nahmen, suchte sie kurz Augenkontakt mit Scorpius und brachte ihn mit einigen Grimassen dazu, die verwandelte Haarspange zu bemerken. Fragend schaute er sie an und bekam von Izzie ein aufmunterndes Lächeln als Antwort. Sie hoffte nur, dass er verstanden hatte. Das gesellige Beisammensein fand diesmal mit deutlich weniger großen Essensmengen statt. Die Hauselfen hatten ein Einsehen und so standen an diesem Abend auch Salat und Brot zur Auswahl, was am Ende den größten Zuspruch fand. Im Anschluss daran hatte Professor McGonagall, die zur Feier des Tages ein festliches schwarzes Kleid und einen Umhang mit Schottenkaros trug, eine Hauselfen-Band eingeladen, die mit ihnen gemeinsam Weihnachtslieder sang. Der Abend verlief ruhig, aber er hatte seinen eigenen Charme. Kurz dachte Rose daran, dass Zuhause jetzt normalerweise das große Chaos ausbrach, wenn der eine Teil der Familie irgendein Spiel hervorkramte, der andere sich unterhielt und alle durcheinanderwuselten. Sie vermisste dieses Chaos, auch wenn es ihr in Hogwarts sehr gefiel. Über den von den Kerzenlicht erhellten Tisch schaute sie hinüber zu Scorpius und ihre Blicke trafen sich. Unwillkürlich glitt ein Lächeln auf ihre Lippen. Vielleicht hatte Izzie ja doch Recht? Es war spät, als sie schließlich die große Halle verließen. „Kommst du noch mit an die frische Luft? Zwei Minuten nur?“, fragte Rose Izzie, denn ihr war nach der warmen Luft in der großen Halle ganz schwummerig. „Nee, mich ruft das Bett. Aber da ist jemand, der dich nur zu gerne begleiten würde.“ Rose warf einen Blick über die Schulter und sah dort Scorpius stehen, der sie aufmerksam ansah. Sofort war sie versucht, einen Rückzieher zu machen, doch Izzie schubste sie entschieden vorwärts. Daher stolperte Rose Scorpius entgegen und trat mit ihm gemeinsam schließlich vor das Tor. Sie durften nicht weit gehen, aber Professor McGonagall hatte nichts dagegen, wenn sie zehn Minuten draußen blieben. „Hast du dir das Weihnachtsfest hier so vorgestellt?“, fragte sie. „Ich habe mich überraschen lassen. Und es ist bislang erstaunlich gut. Ich bin neugierig, was der Ausflug noch Hogsmeade morgen bringt. So wie ich unsere Schulleiterin kennengelernt habe, hat sie auch da wieder eine Überraschung für uns parat.“ Er schmunzelte ein wenig. „Oh, ja, die Hauselfen heute.“ Rose grinste breit. „Auch wenn das wirklich süß war.“ „Nicht nur das...“ Scorpius hielt sie sanft am Arm fest. Rose schaute ihn an und wusste, wenn sie hier unter einem Mistelzweig gestanden hätten, wäre sie sofort wieder davongelaufen. Aber Merlin sei Dank war hier ja kein Mistelzweig weit und breit zu sehen. „Was denn?“, fragte sie so keck. „Das hier.“ Er zog den Mistelzweig aus ihrer Frisur, die daraufhin auseinanderfiel und hielt ihn über ihre Köpfe. Rose blickte erst nach oben und dann ihn mit geweiteten Augen an. „Woher...“ Bevor sie den Satz zu Ende hatte sprechen können, spürte sie Scorpius weiche Lippen auf ihren und seine Arme um sich. Für einen kurzen Augenblick wollte sie sich zurückziehen, doch dann ließ sie sich vorsichtig auf den Kuss ein. „War's schlimm?“, fragte Scorpius leise, als sie sich von einander gelöst hatten. „Nein... Es war schön“, murmelte Rose und drückte den Kopf an seine Schulter. Irgendwie fühlte es sich gerade so an, als wenn etwas in ihrem Leben gerade an die richtige Stelle rückte. Als wenn alles, was noch gefehlt hatte, jetzt endlich da war. Das war überraschend. Und garantiert nicht unkompliziert, wenn sie an ihren Bruder und ihren Vater dachte – und an den Rest des Weasley- und des Malfoy-Clans. Aber bei Merlin: Was scherte sie das alles denn? Impulsiv gab sie Scorpius einen zweiten Kuss. „Wofür war der denn?“ „Ein Weihnachtskuss. Und ein Gute-Nacht-Kuss. Weil wir wirklich dringend wieder rein müssen, denn ansonsten bekommen wir noch mehr Strafarbeiten auf.“ Rose lächelte. „Und außerdem möchte ich morgen an einem zweiten Weihnachtstag wach werden, an dem die Dinge so anders sind als noch einen Tag vorher.“ „Schlechter?“, fragte Scorpius. „Oh nein, viel besser. Aber auch verdammt aufregend.“ Rose grinste breit. „Miss Weasley, Mr. Malfoy, wenn Sie nicht augenblicklich reinkommen, putzen Sie die Kerker bis Ostern!“, ertönte in diesem Augenblick die Stimme von Professor Jones hinter ihnen. Und da diese Lehrerin bekanntlich keinerlei Romantik verstand, gaben sie nach und kehrten ins Schloss zurück. Aber sie beide freuten sich auf den nächsten Tag – und auf alle Herausforderungen, denen sie gemeinsam gegenüberstehen und die sie sich auch in Zukunft gegenseitig stellen würden. ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)