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Die Schatten werden länger

von

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Ich liebe dich

Langsam neigte sich auch dieser Tag dem Ende zu. Die Menschen zogen sich in ihre Häuser zurück und somit verebbte das geschäftige Treiben des Tages nach und nach. Die Dämmerung brach über Mittelerde herein und je tiefer die Sonne sank, desto dunkler färbte sich der Himmel. Die ersten Sterne funkelten bereits am Firmament, das durch seine Unendlichkeit und Unermesslichkeit den Menschen zumindest ein klein wenig Trost und Zuversicht schenkte.

Bereits seit mehreren Stunden suchte Aragorn nun schon nach Legolas. Dazwischen war er mehrmals abgelenkt und aufgehalten worden; als zukünftiger König von Gondor war ein sehr gefragter Mann.

Schließlich fand er den Elben, allein in einer abgeschiedenen Ecke sitzend, den Himmel anstarrend, ganz in Gedanken versunken. Aragorn ließ sich neben ihm nieder.

„Ich habe nach dir gesucht.“ Selbst in seinen Ohren klang das allzu sehr nach einem Vorwurf. „Du...du warst heute so schweigsam...Was bedrückt dich, mein Freund?“

„Es ist nichts“, antwortete Legolas. Einen Moment lang war er wütend auf sich selbst, das er es offenbar nicht geschafft hatte, seine Gefühle vor dem anderen zu verbergen. Doch dann nahm wieder diese leise Traurigkeit Oberhand, die ihn bereits seit mehreren Tagen nicht losließ.

Aus den Augenwinkeln konnte er beobachten, wie Aragorn gedankenverloren mit der silbernen Kette spielte, die er um den Hals trug, dem Abendstern. Und das stimmte Legolas noch trauriger. Und erneut musste er die aufsteigende Wut unterdrücken, um sich im Zaum zu halten.

Etwa zwei Wochen waren seit jenem Abend vergangen. Jener Abend, an dem Aragorn geträumt hatte, dass der Abendstern zu Boden falle und in unzählige Bruchstücke zerspringe. Jener Abend, als Elrond ins Lager gekommen war, um Aragorn an seine Bestimmung, sein Schicksal zu erinnern, indem er ihm Anduril, die Flamme des Westens, geschmiedet aus den Bruchstücken von Narsil überreicht hatte. Jener Abend, an dem für Aragorn eine Welt zusammenbrach, da Elrond ihm eröffnete, Arwen habe Mittelerde für immer verlassen und sei zu den Unsterblichen Landen gesegelt. Jener Abend, an dem sich Legolas endgültig eingestehen musste, dass er sich in seinen besten Freund verliebt hatte.

Und hier saß er nun, neben Aragorn, der ihm so nahe war und doch so fern. Einerseits war Aragorn „frei“, andererseits aber würde seine Trauer um die gemeinsame Zukunft mit Arwen, die für immer dahin war, wohl noch Jahre anhalten. Und dass er bald zum König von Gondor gekrönt werden sollte, machte die Sache auch nicht wirklich einfacher.

Eine Weile lang schwiegen sich die beiden an, jeder seinen Gedanken nachhängend.

„Weißt du, wir waren bis jetzt immer ehrlich miteinander...“, durchbrach Aragorn schließlich die Stille. Dann schwieg er wieder, da er nicht wusste, wie er seine Gedanken aussprechen sollte.

Bei diesem Kommentar wurde Legolas hellhörig; in den letzten Wochen hatten die beiden so gut wie keine Zeit gehabt, sich über ihre Freundschaft zu unterhalten. Er wandte sich Aragorn zu und wartete geduldig darauf, dass er weitersprach.

Aragorn machte den Mund auf, um etwas zu sagen, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Auch er ärgerte sich über sich selbst; wieso war er nicht dazu in der Lage, einfach zu sagen, was er dachte? Er sah Legolas an, der ihm aufmunternd zulächelte. Doch damit konnte er Aragorn nicht täuschen, er hatte sehr wohl die Traurigkeit bemerkt, die sich letztlich auf Legolas' Zügen abzeichnete.

„Ich werde das Gefühl einfach nicht los, dass du mir in letzter Zeit aus dem Weg gehst...“, gestand Aragorn. Na toll, schon wieder so ein Vorwurf! „Ich mache mir nur Sorgen um dich...“, versuchte Aragorn zu erklären.

„Das musst du nicht“, entgegnete Legolas erstaunt. „Es geht mir gut.“ Selbst in seinen Ohren klang das nicht halb so überzeugend wie beabsichtigt. Aus Aragorn Gesichtsausdruck konnte Legolas lesen, dass auch er ihm nicht glaubte.

„Es...es hat nichts mit dir zu tun...“ Legolas hätte sich ohrfeigen können; jetzt war er schon so weit, seinen besten Freund anzulügen. „Ich komme nur mit mir selbst momentan nicht zurecht...“

Auf Aragorns fragenden Blick hin erklärte er: „Ich stehe sozusagen an einer Kreuzung und weiß nicht, welche Richtung ich einschlagen soll. Natürlich hängt das auch davon ab, ob die Ablenkung funktioniert und Frodo es tatsächlich schafft, den Ring zu vernichten, aber ich würde das gerne vorher klären. Wenn ich in der Schlacht fallen sollte...“

„Das wirst du nicht“, entgegnete Aragorn überzeugt. „Du bist der beste Bogenschütze, den ich je gesehen habe.“

„Danke“, meinte Legolas leicht verlegen. „Aber wir wissen beide, dass das in der Schlacht nichts heißt...“

Und beide dachten sie an die selbe Person, doch keiner sprach den Namen laut aus: Haldir. Er war ihrer beider Freund gewesen und sowohl Legolas als auch Aragorn plagten Schuldgefühle, weil er in der Schlacht um Helms Klamm gefallen war.

„Ich weiß“, versuchte Aragorn die Situation zu entschärfen. „Doch ich darf es mir nicht erlauben, die Hoffnung aufzugeben.“

Legolas nickte. „Du hast Recht. Ich hätte nicht damit anfangen sollen...“

Erneut schwiegen sie.

Wieder war es Aragorn, der das Schweigen löste: „Was muss ich tun, damit du mir sagst, was los ist?“

„Du...ich...nein, ich kann nicht“, wehrte Legolas entschieden ab.

„Was? Wieso nicht?“, fragte Aragorn nach.

Doch der Elb zog sich nur noch weiter von ihm zurück: „Bitte lass das; ich möchte nicht darüber reden.“

„Aber ich verstehe nicht...Habe ich etwas falsch gemacht?“

„Nein!“ Das letzte Wort schrie Legolas schon beinahe; Aragorn hatte ihn noch nie so wütend gesehen.

„Dann erkläre mir bitte, was los ist“, bat Aragorn. „Ich möchte dir doch nur helfen....“

„Na schön“, meinte Legolas, der jetzt richtig in Rage war, „du willst wissen was los ist?“

Aragorn nickte langsam.

„Na schön, du hast es ja nicht anders gewollt... Ich liebe dich, das ist los.“

Perplex starrte Aragorn seinen Freund an. Er brauchte einen Moment, um zu realisieren, was soeben passiert war. Dann wollte er etwas sagen, doch noch bevor er den Mund öffnen konnte, war Legolas mit einem Satz auf den Beinen und stürmte davon.

Schöner als der Abendstern

Erneut vergingen Stunden bis Aragorn seinen Freund ausfindig machen konnte. Der Elb hatte seine übliche Kleidung abgelegt und trug nun das helle Gewand, das er schon am ersten Abend, den die Gefährten damals in Lothlorien verbracht hatten, angehabt hatte. Das Mondlicht, durch das sein blondes Haar und die helle Kleidung silbern zu leuchten schienen, ließ Aragorn erstaunt feststellen, wie schön der Elb eigentlich war; er wirkte wie ein Wesen einer anderen Welt. Leise trat Aragorn näher heran; er wünschte sich, diese traumähnliche Erscheinung zu berühren und doch wagte er es nicht, aus Furcht, diesen Augenblick zu zerstören.

In diesem Moment drehte sich Legolas zu ihm um. Seine feinen, elbischen Züge wurden durch die Traurigkeit, die sich in seinen Augen abzeichnete, nur noch schöner und Aragorn starrte ihn wie gebannt an.

Legolas schien so in Gedanken versunken zu sein, dass er Aragorn nicht wahrzunehmen schien, doch Letzterer wusste, dass der Elb seine Anwesenheit bereit vor geraumer Zeit zur Kenntnis genommen hatte.

„Es...es tut mir Leid“, gestand Legolas beschämt. „Ich wollte nicht, dass es so kommt.“

„Das muss dir nicht Leid tun“, entgegnete Aragorn, froh darüber, dass sein Freund wieder mit ihm sprach.

„Ich wollte dich nicht verletzen.“

„Das hast du nicht.“

Beide schwiegen.

„Hast du...hast du das vorhin ernst gemeint?“, fragte Aragorn neugierig.

Legolas sah ihn an. „Dass ich dich liebe? Ja, das habe ich ernst gemeint.“

„Aber warum hast du denn nichts gesagt?“, war das erste, das Aragorn dazu einfiel.

„Ich....ich wollte dich nicht damit belasten. Du hattest doch sonst schon genug um die Ohren...“

Erneut dachten beide an die selbe Person, doch wiederum sprach keiner der beiden den Namen laut aus: Arwen. Aragorn hatte bis vor kurzem geglaubt, mit Elronds Tochter seine wahre Liebe gefunden zu haben; sie hatte ihm sogar den Abendstern als Beweis ihrer Liebe geschenkt und ihm versichert, sie würde lieber ein Menschenleben mit ihm verbringen, als alle Zeitalter dieser Erde alleine zu durchleben. Legolas hingegen hatte Arwen zwar gekannt, mit ihr aber so gut wie nie zu tun gehabt. Obwohl er schon längere Zeit in seinen besten Freund verleibt war, hatte er Arwen stets respektiert, da sie Aragorn glücklich zu machen schien. Einst hatte Legolas gehofft, froh sein zu können, wenn Arwen Aragorn verlassen würde. Damals allerdings war er so über seine eigenen Gedanken erschrocken, dass er sich selbst in Frage gestellt hatte. Außerdem hatte er festgestellt, dass mit Arwens Entscheidung, Mittelerde für immer zu verlassen, alles nur noch komplizierter geworden war.

„Das ist sehr aufmerksam von dir“, meinte Aragorn. „Ich weiß, dass ich letztlich nicht viel Zeit für unsere Freundschaft übrig hatte und das tut mir Leid....Doch ich hätte sicherlich irgendwo eine freie Minute gefunden, in der du mit mir hättest reden können.“

Was war heute nur los mit ihm? Andauernd machte er seinem Freund Vorwürfe. Dieser aber bemerkte das entweder nicht oder tat so, als überhöre er sie. Aragorn tippte eher auf Letzteres, was er dem Elben hoch anrechnete. „Tut mir Leid, das wollte ich nicht...“

Legolas winkte ab. „Ist schon gut, du bist müde und erschöpft. Als zukünftiger König von Gondor hat man wohl nie Feierabend... Wie dem auch sein, vergiss einfach, dass ich etwas gesagt habe. Tun wir einfach so, als hätte es diese Gespräche nie gegeben.“

Jetzt verstand Aragorn überhaupt nichts mehr: „Was? Aber... Moment... wieso denn das jetzt?“

„Ich kann meine Gefühle nicht so einfach abschalten“, erklärte Legolas, „doch soweit wollte ich es nie kommen lassen.“

„Dann bereust du also, etwas gesagt zu haben?“

„Ja“, antwortete Legolas zu Aragorns Erstaunen, „ja, das tue ich. Dadurch ist alles nur noch komplizierter geworden. Ich wollte und will es weder mir noch dir unnötig schwer machen...Und vor allem wollte ich nie unsere Freundschaft aufs Spiel setzen.“

„Was...? Wovon redest du da?“

„Sind wir doch mal ehrlich, Aragorn: Selbst wenn du meine Gefühle erwidern würdest, wäre das alles einfach viel zu kompliziert...“

„Und was wäre daran so kompliziert?“, fragte Aragorn. Auf Legolas fragenden Blick hin meinte er: „Na, gehen wir mal rein hypothetisch davon aus, dass ich deine Gefühle erwidern würde.“

„Rein hypothetisch“, wiederholte Legolas sarkastisch, „natürlich.“

Und dann trug er seinem Freund vor, was er sich selbst schon so oft in Gedanken vorgesagt hatte: „Erstens, bis vor kurzem war da natürlich – verzeih mir bitte, wenn ich den Namen ausspreche, aber du wolltest es ja wissen – Arwen. Nun ist sie zwar fort, aber um eine solche Trennung vollständig zu überwinden, bedarf es oft Wochen oder Monate, wenn nicht Jahre. Zweitens, du bist der zukünftige König von Gondor; ich werde irgendwann die Krone meines Vaters Thranduil übernehmen. Wir werden in verschiedenen Ländern leben, wo unsere Verantwortungen unsere gesamte Zeit in Anspruch nehmen werden. Und drittens, selbst wenn wir das vorhin genannte auf wundersame Weise hinkriegen könnten, gibt es da noch immer die kleine, unbedeutende Tatsache, dass ich ein Elb bin und du ein Mensch. Bei dir und Arwen war das kein Problem, denn sie ist eine Halbelbin. Das heißt, sie kann sich zwischen menschlichem-sterblichem und elbischem-unsterblichem Dasein entscheiden. Da ich aber kein Halbelb bin, werde ich alle Zeitalter durchleben, während du als normaler Mensch dein halbes Leben schon beinahe hinter dir hast.“

Legolas holte tief Luft und wandte sich von Aragorn ab; er wollte nicht, dass er sah, wie nahe der Elb den Tränen war.

Aragorn schwieg. Legolas' Argumente klangen alle sehr logisch; besonders über das letzte machte sich Aragorn Gedanken, da er selbst vorher noch nie wirklich darüber nachgedacht hatte.

„Verstehst du jetzt, warum ich mir wünsche, nichts gesagt zu haben?“, fragte Legolas. „Für mich ist es so schon schwer genug; deine Nähe macht mich ganz kribbelig und nervös. Und als ich endlich akzeptiert hatte, dass du ohne mich glücklich bist, kommt alles ganz anders und ich fange an, mir Hoffnungen zu machen. Ich Narr...“

Mittlerweile schien der Elb mehr mit sich selbst zu reden, als mit Aragorn. „...Wie konnte ich nur so dumm sein? Und dich wollte ich sowieso nie da mit hineinziehen.“

Jetzt wandte er sich wieder Aragorn zu. „Ich wünschte, ich könnte es rückgängig machen... Wenn all das hier mit dem Ring vorbei ist, werde ich dich in Ruhe lassen; ich werde mich so lange zurückziehen bis sich meine Gefühle geändert haben. Und wenn du mir dann immer noch verzeihen kannst, kann unsere Freundschaft vielleicht überleben... Wahrscheinlich sollte ich mich auch in den nächsten Tagen so wenig wie möglich in deiner Nähe aufhalten. Bitte nimm es nicht persönlich, aber nur so kann ich meine Gefühle besser unter Kontrolle halten...“

Als Legolas geendet hatte, trat Aragorn einen Schritt auf ihn zu. Der Elb wich zurück, stieß dabei allerdings an der Brüstung an und merkte, dass er nicht weiter zurück konnte. Abwehrend hob er die Hände. „Bitte du das nicht, Aragorn. Ich erklärte dir doch soeben, wie schmerzhaft das für mich ist...“

Aragorn aber hörte nicht auf ihn. Langsam kam er näher, erneut durch die Schönheit des Elben im Mondlicht gefangen.

„Weißt du eigentlich, dass du wunderschön bist?“, flüsterte er.

„Aragorn, was tust du da?“, fragte Legolas entsetzt.

„Du bist viel schöner als der Abendstern“, hauchte Aragorn und trat noch einen Schritt auf Legolas zu, sodass die beiden nur noch wenige Zentimeter voneinander trennten.

Legolas hielt den Atem an; er wagte es weder, sich zu bewegen, noch irgendetwas zu denken.

Aragorn erging es ähnlich. Noch nie war er dem Elben so nahe gewesen.

„Aragorn...was?“, brachte Legolas hervor.

Doch Aragorn legte ihm den Zeigefinger auf die Lippen, um ihm zu deuten: Sch! Still jetzt!

Und schließlich überbrückte er den letzten Abstand zwischen ihren Lippen und küsste ihn.

Schuldgefühle und Zukunftsvisionen

Aragorn stand an einem weißen, verlassenen Sandstrand, weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Doch plötzlich stand Arwen vor ihm, schöner als er sie jemals in Erinnerung gehabt hatte. Wortlos nahm sie ihm den Abendstern vom Hals, gab ihm einen Kuss auf die Wange und wandte sich dann von ihm ab. Zielstrebig und ohne sich umzudrehen ging die Elbin auf ein Boot zu, das im seichten Gewässer nur auf sie zu warten schien. Aragorn wollte sie aufhalten, doch sobald Arwen das Boot bestiegen hatte, fuhr es aufs offene Meer hinaus. Dann wechselte die Szenerie: Aragorn sah wie die Jahre vergingen, während Legolas an seiner Seite unzählige Schlachten schlug. Aragorn wusste zwar, dass der Elb mehr als nur Freundschaft für ihn empfand, doch sein Kummer über Arwens Abschied war einfach zu groß, um nach vorne zu sehen. Erneut wechselte die Szenerie: Aragorn und seine Freunde standen vor den Toren Mordors, um Saurons Streitkräfte herauszufordern und seinen Blick von Frodo und dem Ring abzulenken. Die Schlacht war bereits in vollem Gange, als Legolas von einem Troll von hinten überrascht wurde. Die Wucht des Trollhiebes schleuderte den Elb zu Boden, wobei ihm sein Bogen aus der Hand fiel. Er versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, doch der Troll hinderte ihn daran, indem er Legolas einen seiner gigantischen Füße auf die Brust stellte. Der Elb zog seine gebogenen Elbenklinge und hieb auf den Trollfuß ein, doch vergeblich. Da holte der Troll auch schon zum vernichtenden Schlag aus....

Schweißgebadet erwachte Aragorn aus dem Traum; das Herz schlug ihm bis zum Hals und er atmete schwer. Er versuchte sich einzureden, dass es nur ein Traum gewesen war, doch das gelang ihm nicht wirklich, dafür war es viel zu real gewesen. Und das allerschlimmste daran war, dass er, der er sich genau in dieser Situation befand, keinen blassen Schimmer hatte, was er jetzt tun sollte. Legolas hatte Recht, die Trennung von Arwen schmerzte noch zu sehr, doch andererseits hatte Aragorn am Vorabend seinen besten Freund geküsst, einfach so, aus heiterem Himmel. Aragorn wusste selbst nicht mehr, wie er auf diese Idee gekommen war. Und dennoch hatte es sich richtig angefühlt. Wäre da nicht diese klein, leise Stimme, die Aragorn immer einzureden versuchte, dass er sich falsch entscheide. Daher war der zukünftige König von Gondor auch ein klein wenig erleichtert gewesen, als man ihn holen lassen hatte, um ihm die königliche Rüstung anzuprobieren. Ohne ein weiteres Wort hatte Aragorn einen verwirrt aussehenden Legolas zurückgelassen, wobei er sich allerdings sicher gewesen war, dass er später beim Zubettgehen noch viel verwirrter gewesen war.
 

Den ganzen Morgen lang suchte Aragorn einen Augenblick, in dem er sich alleine mit Legolas unterhalten konnte; er wusste zwar nicht, was er ihm sagen wolle, aber jetzt im Nachhinein missbilligte er seine eigene Tat, den Elb einfach so stehen zu lassen. Aragorn wollte seinem Freund zumindest klar machen, dass er noch etwas Zeit brauche, um sich über seine Gefühle klar zu werden. Doch dann fiel ihm der Traum wieder ein und selbst wenn er nicht an derartige Zukunftsvisionen glaubte, wurde ihm doch bewusst, wie wenig Zeit sie unter Umständen übrig hatten. Leise Zweifel, die Aragorn bisher erfolgreich unterdrückt hatte, begannen an ihm zu nagen: Was, wenn Frodo es nicht schaffte, den Ring zu zerstören? Was, wenn Sauron nicht auf die Ablenkung hereinfiel? Was, wenn sich der Traum doch bewahrheiten und Legolas in der Schlacht fallen würde? Mit aller Anstrengung versuchte Aragorn, diese Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen, doch immer wieder tauchte vor seinem inneren Auge das Bild des Trolls auf, der die tödliche Keule über Legolas schwang.

Gott sei Dank war er den Großteil des Morgens über abgelenkt, da man ihn um Rat in allen möglichen Angelegenheiten fragte. Einerseits war Aragorn froh darüber, aber andererseits wollte er gewisse Dinge nicht ungesagt lassen; es könnte das letzte sein, das er seinem besten Freund jemals sagen würde. Hin- und hergerissen kämpfte sich Aragorn durch den Morgen.
 

Legolas erging es ähnlich. Er hatte zwar nicht solche Träume erdulden müssen, war stattdessen aber stundenlang wach im Bett gelegen und hatte sich den Kopf zermartert. Er verstand einfach die Welt nicht mehr. Das Desaster war immerhin schon schlimm genug gewesen, da hatte ihn Aragorn auch noch geküsst! Einfach so, aus heiterem Himmel. Das war die allerletzte Reaktion gewesen, die der Elb erwartet hatte. Er selbst war so überrascht gewesen, dass er es einfach geschehen lassen hatte. Und dann war Aragorn weg gerufen worden. Ohne ein Wort war er gegangen. Doch in seinen Augen hatte Legolas ebenfalls Überraschung und Erstaunen gesehen. Ob Aragorn den Kuss wohl bereute?

Diese und ähnliche Gedanken waren in Legolas' Kopf umhergeschwirrt, während er vergeblich versucht hatte, zur Ruhe zu kommen. Denn jedes Mal, wenn er die Augen geschlossen hatte, war vor seinem inneren Auge das Bild seines besten Freundes aufgetaucht, der ihm sagte, er sein schöner als der Abendstern.

Weit nach Mitternacht war Legolas dann doch in einen tiefen, traumlosen Schlaf gefallen. Auch er wollte am nächsten Morgen mit Aragorn sprechen. Irgendwie fühlte er sich schuldig für dieses Schlamassel. War er ja auch. Und dennoch war er auch ein klein wenig froh darüber, seinem besten Freund seine Gefühle gestanden zu haben.
 

Die Vorbereitungen für die bevorstehende Schlacht, die über die endgültige Freiheit der Völker Mittelerdes entscheiden sollte, liefen auf Hochtouren. Daher war es auch nicht verwunderlich, dass Aragorn und Legolas keine Sekunde alleine waren. Beide versuchten, sich so normal zu verhalten wie nur möglich. Das klappte auch recht gut, jedenfalls bis zum gemeinsamen Frühstück.
 

Dankbar sah Aragorn in die Runde; sah die vertrauten Gesichter, mit denen er schon so Vieles erlebt hatte. Dies war möglicherweise das letzte Mal, dass sie alle zusammen an einem Tisch saßen und gemeinsam aßen. Wobei sie sowieso schon lange nicht mehr vollzählig waren. Boromir war von den Uruk-Hai feige getötet worden. Und Frodo und Sam waren irgendwo da draußen, im Wettlauf gegen die Zeit, möglicherweise um ihre Leben kämpfend.

Diesen Gedanken nachhängend griff Aragorn zum Brot, das in der Mitte des Tisches lag. Und in diesem Moment geschah das Unerwartete: Seine Finger streifte jene von Legolas. Erschrocken sahen die beiden auf. Die Zeit schien auf einmal still zu stehen und die Welt um sie herum verblasste. Einen scheinbar ewigen Augenblick lang sahen sich die beiden Männer an. Jeder versuchte im Gesicht des anderen zu lesen, was er fühlte und dachte.

Und plötzlich sah Aragorn seinen Freund wieder so vor sich, wie er ihn am Vorabend gesehen hatte. Im Mondlicht. Oben auf dem Turm. Alleine.

In diesem Augenblick zog Legolas hastig seine Hand zurück. Er hatte die Veränderung in Aragorns Augen gesehen. Und es machte ihm Angst. Und das verwirrte ihn noch mehr. Er versuchte, es zu überspielen. Niemand schien etwas gemerkt zu haben. Daher wandte er sich Gimli zu und begann mit ihm ein Gespräch über Bergwerke. Während er sich bemühte, dem Zwerg mit einem Ohr zuzuhören, atmete er innerlich erleichtert auf. Das war ja noch mal gut gegangen.
 

Aragorn schreckte auf, als Legolas seine Finger zurückzog. Beinahe hätte er alles verraten! Was war er nur für ein Dummkopf. Er ärgerte sich über sich selbst, obwohl er wusste, dass das keinen Sinn hatte. Was war nur los mit ihm? Er hatte sich doch sonst so gut unter Kontrolle. Und jetzt hätte er den Elb um ein Haar erneut geküsst. Und das auch noch vor allen anderen. Apropos, hatten sie etwa etwas gemerkt? Erneut sah Aragorn in die Runde. Zu seiner Erleichterung konnte er feststellen, dass alle in Gespräche vertieft waren. Nur Gandalf war in einen alten, staubigen Wälzer vertieft. Als ob er Aragorns Blick gespürt hätte, hob er den Kopf und sah ihn an. Dann zwinkerte er seinem Freund zu und brach das Brot, das auf seinem Teller lag. Und an einem Teil kauend widmete er seine Aufmerksamkeit wieder dem Schriftstück vor ihm und tat so, als sei nichts geschehen.

Aragorn war beunruhigt. Ob Gandalf wohl etwas wusste? Doch noch bevor er sich darüber weiter Gedanken machen konnte, erklang der dunkle Ton eines Horns...

Die Schatten werden länger

Das Geräusch des Instruments ließ die Gefährten von ihrem Essen aufblicken und die Gespräche verstummen. Aragorn eilte sofort in die große Thronhalle, in der vor gar nicht so langer Zeit noch Denethor, Vater von Faramir und Boromir, Truchsess von Gondor, sein Amt ausgeübt hatte. Dort traf er auf Eomer, bereits in voller Kriegsmontur, der ihm berichtete, dass die verbliebenen Männer, die sich Saurons Zorn stellen sollten, zum Aufbruch bereit seien. Nach Absprache mit Gandalf und den übrigen Gefährten vereinbarte Aragorn mit Eomer, dass sie sich in einer Stunde auf den Weg machen würden. Außerdem erkundigte er sich nach dem Befinden Eowyns, Eomers Schwester. Sie war vor wenigen Tagen in der Schlacht um Minas Tirith dem Hexenmeister von Angmar im Kampf gegenübergetreten und dabei schwer verletzt worden. Aragorn wusste, dass Eomer am liebsten keinen Moment von ihrer Seite gewichen wäre, obwohl sie sich dank der elbischen Heilkünste bereits auf dem Weg der Besserung befand. Aragorn konnte Eomers Hin- und Hergerissensein nur allzu gut nachempfinden, schließlich hatte auch er einst vom drohenden Tod seiner Geliebten, Arwen, erfahren müssen, hatte aber aufgrund seiner Verpflichtungen nicht an ihre Seite eilen können.

Er erinnerte sich noch immer an jedes noch so kleinste Detail seiner letzten Begegnung mit Arwen: Er hatte sich frühmorgens aus Bruchtal fortstehlen wollen, um sich nicht vor Arwen rechtfertigen zu müssen und um ihnen beiden den Abschied zu erleichtern. Sie aber hatte ihn abgefangen und da hatte er ihr zu ihrem eigenen Wohl – das hatte er jedenfalls damals geglaubt – zum ersten und letzten Mal eine Lüge aufgetischt. Ihr gesagt, dass ihre Liebe ein Traum gewesen sei. Ihr den Abendstern zurückgeben wollen. Sie aber hatte ihm versichert, dass die Halskette ein Geschenk gewesen sei und er sie behalten solle. Er hatte Arwen damals wirklich ziehen lassen wollen; er hatte ihre Beziehung beenden wollen, um sie in die Unsterblichen Lande segeln zu lassen und ihr dort ein besseres Leben zu ermöglichen. Wenn er doch nur damals schon geahnt hätte, wie schwer der Abschied für ihn werden würde... Schließlich hatte er erreicht, was er wollte, und trotzdem war er nicht glücklich...

„Aragorn?“ Eine Stimme holte ihn in das Hier und Jetzt zurück. Erstaunt bemerkte der Angesprochene, dass der große Saal auf einmal so gut wie menschenleer war; nur noch Gandalf war da. Und der blickte ihn besorgt an; zumindest schien es Aragorn so.

„Lass die Vergangenheit ruhen, mein Freund“, sprach Gandalf. „Du kannst sie nicht mehr ungeschehen machen....“

„...und ich auch nicht“, murmelte er, mehr an sich selbst gewandt.

„Es ist die Gegenwart, auf die wir unsere Blicke richten müssen“, fuhr Gandalf fort, wieder zu Aragorn sprechend. „Vieles ist geschehen, doch wie ich schon einst zu Frodo sagte: Es liegt nicht in unserer Macht, zu entscheiden, welche Karten uns das Schicksal zuspielt. Wir können nur bestimmen, was wir mit der Zeit machen, die uns gegeben ist. Und denke immer daran, dass das Licht der Freundschaft selbst in der dunkelsten Stunde noch leuchtet...“

Abwesend blickte Gandalf in die Ferne, als ob er etwas sehen würde, das für andere Augen unsichtbar war. Dann war der tranceartige Moment auch schon wieder vorbei und Gandalf sah Aragorn mit seinen von Weisheit sprechenden Augen an. „So manches Pferd hat seinem Reiter schon einen Wink in die richtige Richtung gegeben...“

Und dann war der Zauberer auch schon zur Tür hinaus, noch bevor Aragorn eine Erklärung zu dieser rätselhaften Aussage einholen konnte. Und obwohl er nicht den blassesten Schimmer hatte, was ihm sein Freund damit sagen wollte, machte er sich auf zu den Ställen; sein Gefühl sagte ihm, dass Gandalf – wie üblicherweise – auch diesmal Recht behalten sollte.
 

Auf dem Weg zu den Ställen konnte Aragorn beobachten, wie die letzten Vorbereitungen abgeschlossen wurden. Männer verabschiedeten sich von ihren Frauen und Kinder, im Wissen, vielleicht nie mehr zurückzukehren. Doch trotz all dieser Abschiede sah Aragorn in den Gesichtern dieser Menschen Mut und Hoffnung. Er wusste, dass jeder von ihnen alles gab und geben würde, um ihren Familien eine bessere Zukunft ermöglichen zu können.

Eowyn hatte ihm einst gesagt, dass dies sein Verdienst sei; dass die Männer ihm sogar in den sicheren Tod folgen würden. Ob diese Schlacht tatsächlich den sicheren Tod oder aber den Sieg bringen würde, konnte Aragorn nicht sagen. Es erschien ihm auf einmal alles so ungewiss; wie er schon einst zu Elrond, Arwens Vater, gesagt hatte, behielt er keine Hoffnung für sich. Und dennoch konnte er es sich nicht erlauben, Zweifel oder Unsicherheiten offen an den Tag zu legen. Er war der zukünftige König; die Menschen zählten auf ihn und vertrauten seinen Entscheidungen.
 

Als Aragorn die Ställe betrat, erblickte er keine Menschenseele und er atmete erleichtert auf. Was für ein Tag! Gemächlich ging er zur Box seines Pferdes Brego, mit dem ihn eine besondere Geschichte verband: Das Tier war in einer Schlacht verwundet worden und ließ nach diesem Schock keinen Menschen mehr an sich heran. Aragorn aber gelang es, Brego mit Hilfe elbischer Methoden zu beruhigen und seit diesem Zeitpunkt waren die beiden unzertrennlich.

Nachdem er das Tier begrüßt hatte, setzte er sich ins Stroh, um einen Moment inne zu halten. Er schloss die Augen und lauschte dem Geräusch der scharrenden Hufen und der wiehernden Pferde. Doch plötzlich horchte er auf. Zuerst glaubte er zu träumen, doch nachdem er sich in den Arm gekniffen hatte, stellte er fest, dass da tatsächlich jemand sang. Leise und wohlklingend. Aragorn konnte die Worte nicht verstehen, daher erhob er sich und folgte neugierig der Stimme.

Als er näher kam, merkte er, dass es ein elbisches Lied war. Und das konnte eigentlich nur eines bedeuten...

Und tatsächlich stieß Aragorn auf Legolas, der seinem Pferd ein elbisches Lied vorsang. Anderen Menschen wäre das vielleicht seltsam erschienen, doch da Aragorn selbst in Bruchtal unter Elben aufgewachsen war, wusste er, dass die Elben eine ganz andere Verbindung zu Tieren hatten als Menschen.
 

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Legolas war aus der Thronhalle geflüchtet, als er diesen Ausdruck auf Aragorns Gesicht gesehen hatte. Diese unverkennbare Miene, die der Elb nur allzu gut kannte. Er hatte Arwen beinahe selbst vor sich sehen können, so sehnsüchtig hatte Aragorn an sie gedacht. Normalerweise ertrug Legolas diese Gemütszustände seines Freundes geduldig, doch an diesem Tag hatte er es einfach nicht ausgehalten. Daher hatte er beschlossen, in die Ställe zu gehen; Arod, sein treues Pferd, hatte ihm schon so manches Mal tröstend zur Seite gestanden.
 

Natürlich hatte Legolas die Anwesenheit der anderen Person in den Ställen sofort gespürt, hatte aber nicht weiter darauf geachtet und damit begonnen, Arod ein Lied vorzusingen.

Er hatte wahrgenommen, wie sich ihm jemand genähert hatte und als die Person schon beinahe hinter ihm gestanden war, hatte er auch intuitiv gewusst, dass es Aragorn war.

Dennoch drehte sich Legolas nicht sofort zu ihm um, sondern wartete damit, bis der letzte Ton des Liedes verklungen war. Als er seinen Freund dann anblickte, wurde er von den Zweifeln und der Angst, die aus dessen Blick sprachen, beinahe überwältigt. Manchmal vergaß er beinahe, dass Aragorn kein Elb war, kannte er doch die elbische Lebensweise und beherrschte er doch mühelos die elbische Sprache. Und doch machten ihn vor allem seine Gefühle so menschlich; diese Verletzbarkeit, die die Elben unter einer Maske aus Kühlheit verbargen, war es, das Legolas so sehr bewunderte. Auch er selbst war einst ein scheinbar „kaltes, gefühlsloses“ Geschöpf gewesen, hatte aber dank der Freundschaft zu Aragorn gelernt, wie erlösend dieses offene Zur-Schau-Tragen von Gefühlen sein konnte. Er hatte gelernt, die Maske abzulegen und mehr auf sein Herz zu hören; wenn auch nur in der Gesellschaft seiner engsten Freunde.

Außerdem verstand Legolas dadurch auch das menschliche Verhalten viel besser und wusste einfühlsamer darauf zu reagieren. Daher trat er ohne zu zögern auf Aragorn zu und umarmte ihn. Dieser versteifte sich im ersten Moment, erwiderte die Umarmung dann aber dankbar.

„Die Schatten werden länger, mein Freund“, sagte Legolas, „und auf unser aller Schultern liegen Pflichten und Verantwortung. Alle Blicke sind heute auf dich gerichtet und Vieles mag von dir erwartet werden. Doch sollst du wissen, dass du nicht alleine in diese Schlacht ziehst, denn deine Freunde werden mit dir sein und dir helfen, diese Bürde zu tragen.“

Er wartete einen Augenblick, um dann fortzufahren: „Was auch immer zwischen uns geschehen ist, Aragorn, ist geschehen. Doch jetzt ist die Gegenwart, mein Freund, und hier und jetzt entscheidet sich unser aller Schicksal. Doch wie das Licht Earendils die Dunkelheit durchdringt, wirst du Saurons Macht brechen.Und ich werde mit dir gehen, in den Sieg oder in den Tod. Du hast meinen Bogen.“
 

Aragorn standen nach dieser Ansprache beinahe die Tränen in den Augen. Er fühlte, wie sein Mut und seine Entschlossenheit zurückkehrten. Legolas überraschte ihn immer wieder aufs Neue. Es gab so vieles, das er seinem Freund noch sagen wollte.... Doch der Elb hatte Recht; das Hier und Jetzt war entscheidend. Und auch Gandalf wurde nicht umsonst „Der Weis(s)e“ genannt.

„Hannon le, mein Freund“, meinte Aragorn. „Danke!“

Die Adler kommen

Wie vereinbart machte sich die buntgemischte Truppe aus Menschen, Elben, Zwergen und einem Zauberer eine Stunde später auf den Weg nach Mordor: ein letztes Mal hatten sie sich in diesem Sinne zusammengeschlossen, um Sauron ein für alle mal vernichtend zu schlagen.

Allen voran ritt Aragorn. Auf seinem Wams prangte der weiße Baum von Minas Tirith, das Symbol des Königs von Gondor. Aragorns Miene sprach von Mut und Entschlossenheit: er hatte – unter anderem mit Legolas' Hilfe – alle Zweifel beiseite geräumt und all seine Konzentration und Anstrengung auf die bevorliegende Schlacht gerichtet.

Als die Gruppe vor dem Schwarzen Tor, das einen der wenigen Eingänge nach Mordor war, ankam, empfing sie dort Totenstille und weit und breit war kein einziges Lebewesen zu sehen. In einigem Abstand vor dem Tor blieben die paar hundert Männer, die noch übrig geblieben waren, stehen und warteten. Da sich aber nichts tat, ritt eine kleine Gesandtschaft, Aragorn, Eomer und Merry, Legolas und Gimli, Gandalf und Pippin, nach vorne zum Tor, wo Ersterer mit lauter Stimme kundtat: „Lasst den Herrn des Schwarzen Landes herauskommen! Er soll seine gerechte Strafe erhalten!“

Einen Augenblick lang geschah nichts, dann aber begann sich das Tor mit einem lauten Knarren zu öffnen; Sauron hatte die Herausforderung angenommen. Dies veranlasste Eomer und die Gefährten zurückzukehren zu den übrigen Männern, unter denen manche beim Anblick des Feindes nun unruhig zu werden begannen. Aragorn aber, der nun endgültig dazu bereit war, das Amt des Anführers und Königs zu übernehmen, sprach ihnen Mut zu: „Haltet eure Stellung! Söhne Gondors und Rohans, meine Brüder, in euren Augen sehe ich die selbe Furcht, die auch mich verzagen ließe. Der Tag mag kommen, da der Mut der Menschen erlischt, da wir unsere Gefährten im Stich lassen und aller Freundschaft Bande bricht... doch dieser Tag ist noch fern.... Die Stunde der Wölfe und zerschmetterter Schilde, da das Zeitalter der Menschen tosend untergeht... Doch dieser Tag ist noch fern. Denn heute kämpfen wir! Bei allem, was euch teuer ist auf dieser Erde, haltet stand, Menschen des Westens!“

Bei den letzten Worten reckte er sein Schwert Anduril, das aus den Bruchstücken des sagenhaften Schwertes Narsil neu geschmiedet worden war, herausfordernd und zugleich triumphierend in die Höhe.

Das Schwarze Tor war nun vollständig geöffnet und bot nun Ausblick auf ein bis auf die Zähne bewaffnetes, unerschrockenes Heer, das neben Orks auch aus allen möglichen anderen abschreckenden Kreaturen bestand. Außerdem konnte man jetzt dahinter Saurons Turm sehen, auf dessen Spitze er höchstpersönlich, das Ausmaß alles Bösen, in der Gestalt eines riesigen, lidlosen Auges, umrahmt von Feuer, thronte. Von dort oben ließ er seinen feurigen Blick über Mordor schweifen und machte es dadurch Frodo und Sam unmöglich, ungesehen zum Schicksalsberg zu gelangen, wo sie den Einen Ring vernichten könnten. Doch nun richtete sich sein Blick auf die Herausforderer; genau das hatte Aragorn erreichen wollen, den so konnten sie Frodo und Sam Zeit verschaffen, um Mittelerde endgültig von diesem Übel zu befreien.
 

Sauron war sich sehr wohl bewusst, dass seine Feinde vermutlich versuchen würden, seinen Ring, seinen Schatz zu zerstören. Dennoch richtete er seine Aufmerksamkeit auf das Schwarze Tor. Erst einmal zuvor hatte man es gewagt, ihn in seinem eigenen Reich anzugreifen; damals, vor Tausenden von Jahren, war er beinahe vernichtet worden. Diesmal würde er besser aufpassen müssen. Und obgleich er die Kühnheit seiner Widersacher bewunderte, blickte er so siegessicher und herablassend wie noch nie von seinem Turm herab. Was konnten diese paar Menschen denn schon gegen sein Heer ausrichten, das ihnen nicht nur in der Anzahl, sondern auch in der Ausrüstung weit überlegen war? Er, Sauron, der Schöpfer des machtvollsten Ringes aller Zeiten, würde diese kleinen Würmer zerquetschen, sie unter seinen Schuhsohlen zerdrücken wie Ameisen. Und dann würde es niemanden mehr geben, der es wagen würde, sich gegen ihn zu erheben. Ganz Mittelerde würde unter seinem Befehl stehen und er würde es über und über mit Orks besiedeln. Und sein Namen würde in aller Munde sein und alle Lande würden vor ihm erzittern!
 

Wie gebannt blickte die Männer das Auge an. Aragorn ließ sein Schwert sinken, als er Sauron zu sich sprechen hörte: „Aragorn! Elessar!“
 

Legolas nahm wahr, dass irgendetwas in Aragorn vorging, doch er konnte nicht sagen, was es war. Dennoch beunruhigte es ihn, als er sein Schwert sinken ließ als ob er aufgeben würde. Und dann drehte sich Aragorn mit gelöstem Gesichtsausdruck zu ihnen um . Legolas bereitete sich innerlich schon auf das Schlimmste vor, doch Aragorn sah Gandalf an und meinte leise, aber bestimmt: „Für Frodo!“ Und mit einem Schrei stürzte er sich auf die Orks, gefolgt von den Halblingen Merry und Pippin. Erst dann kam auch Bewegung in die anderen und sie rannte auf ihre Feinde zu, die sich ihnen von allen Seiten näherten.
 

Die Schlacht war – wie auch jede andere – ein furchtbares Chaos. Man befand sich in einem Haufen von Orks, durch den man sich alleine kämpfen musste. Die Unterzahl der Menschen war – gelinde gesagt – entmutigend. Doch zum Glück hatte niemand wirklich Zeit, darüber nachzudenken; es gab eigentlich überhaupt keine Zeit um an irgendetwas zu denken. Man musste sich ganz auf seine Instinkte verlassen: Da einen Schwerthieb abwehren, dort eine Verteidigungslücke des Gegners blitzschnell erkennen und ausnutzen. Nicht mehr die Hand führte das Schwert, sondern umgekehrt.
 

Wie ein Wirbelwind fegte Gandalf durch die Orks. Er schien alles bestens unter Kontrolle zu haben, doch plötzlich nahm er wahr, dass etwas nicht stimmte. Und tatsächlich sah er einen Nazgul im Sturzflug auf sich zukommen. Doch noch bevor ihn die fliegende Bestie erreichen konnte, fuhr ein Adler dazwischen. Gandalf hörte Pippin rufen: „Adler! Die Adler kommen!“ Seine alten Freunde hatten sich also dafür entschieden, ihm in dieser letzten Schlacht beizustehen.
 

Aragorn rammte gerade einem Ork seine Klinge in den Leib, als er hinter sich das Brüllen hörte. Dieses unverkennbare Geräusch, das er schon so oft gehört hatte, und doch hatte er noch nie solche Angst davor gehabt. Ein Troll! Er drehte sich um und sah den Gigant direkt auf sich zukommen. Und da war sie wieder, die Szene aus seinem Traum. Das war der Troll, den er gesehen hatte. Panik stieg in Aragorn auf. Dennoch stürzte er sich mit erhobenem Schwert auf den Troll.
 

Auch Legolas hörte das Brüllen des gewaltigen Monstrums, obwohl er einige Meter von Aragorn entfernt in einen Kampf verwickelt war. Blitzschnell schlug er dem Ork vor ihm den Kopf ab und wandte sich dem Troll zu. Er sah, wie sich Aragorn auf ihn stürzte. Legolas beschloss, ihm zur Hilfe zu eilen, da er aus eigener Erfahrung wusste, wie widerstandsfähig und zäh Trolle waren.

In diesem Moment holte der Troll aus und schleuderte Aragorn nach hinten, wobei dieser sein Schwert verlor und zu Boden fiel. Verbissen versuchte Legolas, sich durch die Massen zu kämpfen, doch immer wieder stellte sich ihm jemand in den Weg.
 

Aragorn drehte sich – auf dem Boden liegend – um und sah den Troll auf sich zukommen. Wo war nur sein Schwert? Er versuchte sich aufzurappeln, doch da hatte ihn der Gigant auch schon erreicht.
 

Nein! So konnte es nicht enden! Legolas' Schwert sauste nur so durch die Luft, doch er kam einfach nicht voran. Panisch metzelte er Ork um Ork nieder, doch sie schienen einfach nicht weniger zu werden. In seiner Verzweiflung schrie er: „Aragorn!“
 

Gandalf hörte Legolas' Schrei und wusste, dass etwas nicht in Ordnung war. Und da erblickte er auch schon Aragorn, der am Boden liegend auf den Troll einhieb. Doch es schien aussichtslos. Und Gandalf konnte nichts dagegen machen.
 

Aragorn rammte dem Troll seinen Dolch in den Fuß, doch der Gigant schien den Kratzer nicht einmal zu spüren. Das war es also, dies war sein Ende. Aragorn sah, wie der Troll die gewaltige Keule erhob und er hörte Legolas' Schrei. „Es tut mir Leid, mein Freund“, dachte er. „Es tut mir Leid.“ Der Traum hatte sich also doch nicht bewahrheitet. Aragorn hatte nie gedacht, dass es so kommen würde, doch war er erleichtert darüber, dass dem Elben dieses Schicksal erspart geblieben war. Und mit diesem Gedanken erwartete der den vernichtenden Schlag.
 

Doch in diesem Moment passierte etwas noch nie zuvor Gewesenes: Das Auge, Sauron, bäumte sich auf, seinen Blick auf den Schicksalsberg gerichtet, und stieß einen markerschütternden Schrei aus. Die Kämpfenden hielten inne und Aragorn nutzte diese Gelegenheit, um sich aufzurappeln.

Und das Unglaubliche wurde wahr: Während die Orks erschrocken das Weite suchte, beobachteten Aragorn und seine Freunde, wie ihr Traum wahr wurde und Saurons Turm einstürzte.
 

Aragorn hatte Tränen in den Augen. All das, wofür er gekämpft hatte, all das, was er aufgegeben hatte, es hatte sich gelohnt. Soeben war er dem Tod entkommen und Sauron, sein schlimmster Feind, war besiegt. Aber was war mit Legolas? Erschrocken blickte sich Aragorn um, erblickte den Elben aber einige Meter weiter entfernt unversehrt. Und auch Gandalf, Gimli, Merry und Pippin konnte Aragorn lebend ausfindig machen. Und während Sauron mit einem Knall explodierte und all das Böse mit ihm in den Abgrund zog, fühlte sich Aragorn zum ersten Mal seit langem wieder frei und glücklich. Sie hatten es geschafft.

Namárie. Lebe wohl.

Wenige Tage später fanden sich die Gefährten in Bruchtal wieder, an dem Ort, an dem ihre gemeinsame Reise damals begonnen hatte. Und obgleich sich das Tal noch immer in der selben Pracht vor ihnen erstreckte, hatte sich doch alles verändert. Nichts war mehr so wie früher und es würde auch nie mehr so werden.
 

Seit sie an den Bruinen gelangt waren und nun seinem Lauf Richtung Imladris folgten, war Aragorn von Minute zu Minute schweigsamer geworden. Es gab nichts, das in hier nicht an die Vergangenheit erinnert hätte. Dabei dachte er allerdings nicht so sehr an seine Kindheit und Erziehung unter Elrond, sondern vielmehr an die gemeinsamen Stunden mit Arwen. Er hörte ihr Lachen und sah, wie sie einander auf der Brücke unter dem Vollmond ewige Liebe und Treue schwörten. Tiefer und tiefer versank Aragorn in der bittersüßen Melancholie der Erinnerung; sein Herz allerdings wurde dabei schwerer und schwerer.

Als Elrond sie in seiner Heimat willkommen hieß, konnte ihm Aragorn beinahe nicht in die Augen sehen; er fühlte zum ersten Mal unendlich tiefen Zorn gegen den Mann, der ihm doch eigentlich wie ein Vater war. Dieses Gefühlschaos verwirrte ihn noch mehr, sodass Aragorn nach der allgemeinen Begrüßung bat, man möge ihn entschuldigen, er müsse sich ein wenig ausruhen. In seinen Ohren klang das zwar mehr als lächerlich, doch da sich niemand etwas anmerken ließ – nicht einmal Legolas – suchte Aragorn das Weite.

Seine Füße trugen ihn zum Grab seiner Mutter, das sich etwas abseits der elbischen Häuser befand. Es waren zwar nur einige Monate vergangen, seitdem er das letzte Mal an diesem Ort gewesen war, doch Aragorn kam es vor wie ein anderes Leben. Entmutigt und von Gefühlen überwältigt ließ er sich vor dem Grab auf die Knie sinken. „Aman.“ Es war kaum mehr als ein Flüstern, das seiner Kehle entfuhr. Und doch sprach tiefe Verwirrung daraus. Was sollte er jetzt tun? An wen sollte er sich wenden? Es gab niemanden, dem sich Aragorn in dieser Sache anvertrauen konnte. So redete er selbst sich das jedenfalls ein. Niemanden außer seine Mutter. Doch sie war tot, sie war fort, und Aragorn war so müde. Und er fühlte sich alt und erschöpft, obwohl er jetzt doch glücklich und zufrieden sein müsste. Und diese Tatsache machte das Ganze auch nicht wirklich besser. Im Gegenteil, die Gedanken schienen in seinem Kopf immer lauter und heftiger durcheinander zu schreien; sie fochten regelrechte Kämpfe aus. Alles schien sich zu drehen und zu drehen bis Aragorn irgendwann vor Erschöpfung neben dem Grab seiner Mutter einschlief.
 

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Gandalf saß an Frodos Bett und wartete darauf, dass dieser erwachte. Genau die selbe Szene hatte sich schon einmal ereignet; damals, am Beginn ihrer Reise, als Frodo von den Nazguls auf der Wetterspitze verwundet worden war. Damals wie heute verdankte der Hobbit sein Leben Elrond, dessen Heilkünste beinahe in ganz Mittelerde legendär waren.

Doch vieles hatte sich verändert. Nicht nur Gandalf, der als Gandalf der Graue gestorben und als Gandalf der Weiße ins Leben zurückgerufen worden war, sondern auch Frodo, der vieles hatte ertragen müssen. Bis heute verstand der Zauberer nicht, wie er Frodo hatte zum Ringträger werden können lassen und er schalt sich selbst einen Narren, dem Jungen ein derartiges Schicksal aufgebürdet zu haben.

Doch in diesem Augenblick begann sich Frodo zu regen. Seine Augenlider zuckten und dann sah er Gandalf an. Und beide fingen an zu lachen. Und nach und nach kamen auch die anderen Gefährten hinzu und stimmten in dieses erlösende, befreiende Lachen ein.

Zu Gandalfs Freude konnte sich sogar Aragorn ein Lächeln abgewinnen. Der Zauberer war in den letzten Tagen äußerst besorgt über dessen Zustand gewesen. Doch nun schien es so, als habe Aragorn die Sache zumindest wieder einigermaßen im Griff. Dennoch beschloss Gandalf, ein Auge auf seinen Freund zu haben. Wahrscheinlich machte er sich zwar nur zu viele Sorgen, doch man konnte schließlich nie wissen...
 

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Am darauffolgenden Abend wurde in Bruchtal ein großes Fest veranstaltet. Man feierte den Sieg über Sauron und die dunklen Mächte und die endgültige Zerstörung des Einen Ringes. Obwohl die meisten Elben Bruchtal bereits verlassen hatten, um in den Westen zu segeln, waren Freunde aus nah und fern angereist, um gemeinsam auf diese Errungenschaft anzustoßen.

Legolas sah sich um; alle schienen glücklich zu sein. Er sah die vielen lachenden Gesichter um sich herum. Zufriedenheit und Erlösung sprachen aus ihnen. Das war auch kein Wunder, schließlich hatten sie aller Freiheit und Frieden zurückerlangt und mussten nicht mehr in ständiger Angst vor Mordor leben.

Doch warum war er nicht glücklich? Er war froh, dass der Ring und Sauron vernichtet waren. Sie hatten ihr Ziel erreicht; die Gemeinschaft war erfolgreich gewesen. Und er konnte nun siegreich zu seinem Vater heimkehren. Vielleicht würde er sogar einmal dessen Thron besteigen. Und dennoch hatte Legolas das Gefühl, das etwas fehlte. Und er wusste genau, was dieses Etwas war. Doch wie er es erreichen sollte, wusste er nicht.

Auf leisen Sohlen verließ er den Festsaal; er wollte einen Moment alleine sein. Daher ließ er sich von seinen Füßen durch die Straßen Bruchtals tragen, die an diesem Abend wie ausgestorben waren. Doch das merkte Legolas nicht einmal. Sehnsüchtig dachte er an Thranduil, seinen geliebten Vater, und an die Idylle in Düsterwald, seiner Heimat. Irgendwann ließ er sich dann auf einer schmalen Brücke nieder und dachte zurück an die Tage bevor all dies hier passiert war: An seine Zeit als Prinz des Düsterwaldes, der von allen wegen seiner Hilfsbereitschaft geliebt und wegen seiner Fertigkeiten mit dem Bogen bewundert worden war. An seine Familie und seine Freunde, mit denen er so viel erlebt hatte. An Haldir, der ihm schon beinahe so etwas wie ein Bruder gewesen war. Und voller Bitterkeit musste er feststellen, dass all dies fort war und nie mehr so werden könnte.
 

Aragorn bemerkte, dass sich Legolas klammheimlich fortstahl und beschloss spontan, ihm zu folgen. Er sah, wie Gandalf ihm einen besorgten Blick zuwarf, doch Aragorn winkte ab und lächelte den Zauberer an. Und dann war er auch schon zur Tür hinaus.

In einigem Abstand folgte er dem Elben, konnte sich aber nicht dazu überwinden, ihn anzusprechen. Als Legolas sich auf der Brücke niederließ, verbarg sich Aragorn im Schatten und beobachtete ihn. Irgendetwas schien seinen Freund zu beschäftigen; sein Gesichtsausdruck wechselte von Glückseligkeit über Bedauern bis hin zu tiefer Trauer. Aragorn war sich sicher, wäre Legolas kein Elb, wären jetzt bittere Tränen über seine Wangen gelaufen. Ohne es zu merken hielt Aragorn die Luft an. Und zum ersten Mal wurde ihm wirklich klar, dass Legolas ihn tatsächlich im Innersten seiner Seele bewegte.

Diese Erkenntnis veranlasste Aragorn dazu, aus seinem Versteck hervorzutreten und auf den Elben zuzugehen. Dieser schaute auf, als er Aragorn wahrnahm, und erhob sich. Aragorn glaubte zu sehen, dass sich Legolas' Gesicht aufhellte, als er ihn erkannte. Zielstrebig ging Aragorn auf seinen Freund zu; er wollte ihn hier und jetzt auf der Stelle küssen. Alles andere war ihm egal und nicht und niemand würde ihn jetzt noch davon abhalten.

Doch dann der ernüchternde Schlag in die Magengrube: Eine Erinnerung flammte so intensiv vor Aragorns innerem Auge auf, dass er abrupt innehielt. Arwen. Nachts. Der Abendstern. Und mit einem Mal wurde Aragorn klar, dass es die Brücke war. Es war die selbe Brücke, auf der er sich am Abend vor dem Bündnis der Gefährten mit Arwen getroffen hatte. Und die Gefühle, die er schon beinahe vergessen hatte, drohten, ihn zu überwältigen. Doch nein! Mit einem energischen Wisch unterdrückte er die Erinnerung; er durfte und wollte nicht dauernd in Legolas' Anwesenheit an Arwen denken. Er wusste, dass den Elben das sehr verletzte, auch wenn der versucht hatte, sich nichts anmerken zu lassen.

Doch Legolas war fort; die Stelle, an der er soeben noch gestanden war, war leer. Verdammt! Aragorn hatte es wieder einmal vermasselt. Und vor Wut stieß er einen lauten Schrei aus.
 

Legolas rannte. Er rannte davon. Er wollte nur noch eins, nämlich fort von hier, fort von Aragorn und seinen dämlichen Erinnerungen...Er hatte genug davon.

Innerhalb von Sekunden packte er seine Sachen und zäumte Arod auf. Er hörte Aragorn nach ihm rufen und dann war er auch schon da und er flehte Legolas an, ihm zu verzeihen und hier zu bleiben, bei ihm zu bleiben.

Legolas merkte, wie ernst es Aragorn war. Am liebsten hätte er seinen Bitten nachgegeben. Doch er wusste, dass damit das Problem nicht aus der Welt geschafft werden würde.

„Ich glaube dir, Aragorn. Ich glaube dir, dass du es ernst meinst. Doch so sehr ich mir auch wünsche, für immer an deiner Seite zu bleiben, kann ich es nicht. Nicht so. Nicht mit der Vergangenheit, die hinter jeder Ecke lauert und nur darauf wartete, ohne Vorwarnung hervorzuspringen. Ich kann das nicht.“

Aragorn schien der Verzweiflung nahe zu sein und Legolas wollte ihn nicht so leiden sehen. „Hör zu, mein Freund. Ich kehre jetzt für einige Zeit in meine Heimat zurück. Doch bei deiner Krönung werde ich zurück sein. Und dann hängt es von dir ab, was geschieht...Bis dahin, namárie. Lebe wohl.“

Mit diesen Worten wandte sich Legolas von Aragorn ab, denn er ertrug es nicht, ihn anzusehen. Er ging auf sein Pferd zu, doch plötzlich drehte er sich um, rannte zu Aragorn zurück, küsste ihn, stürmte dann zu Arod und in wildem Galopp jagte er davon.

Hannon le. Danke.

Es war schon später Abend, als Aragorn endlich Feierabend machen konnte. Die Vorbereitungen für die morgige Krönung hatten all seine Zeit der letzten zwei Tagte intensivst in Anspruch genommen und nun war er froh, sich zurücklehnen zu können und einfach nichts zu tun.

Nachdem er etwas gegessen hatte, stieg er auf einen der Türme, von wo aus man einen fantastischen Ausblick über das Land hatte. Gondor. Ein wunderschönes Land, das in letzter Zeit viel hatte erdulden müssen. Und nun war es an ihm, dessen Aufbau wieder voranzutreiben, in einer Zeit des Friedens.

Der Mond lugte neugierig hinter einer Wolke hervor. Und unwillkürlich dachte Aragorn – wie so oft in den letzten Tagen – an …. Legolas. Seit ihrem Abschied in Bruchtal waren zwar nur wenige Tage vergangen, doch immer öfter ertappte sich Aragorn dabei, gen Norden zu schauen, in der Hoffnung, der Elb würde vielleicht doch früher als geplant kommen. Aragorn wusste, dass Legolas Recht hatte; es musste sich etwas ändern. Er musste etwas ändern. Schließlich konnte man nicht zwei Menschen gleichzeitig lieben, oder? Doch so sehr er es auch versuchte, es gelang Aragorn einfach nicht, seine Erinnerungen und Gedanken an Arwen im Zaum zu halten....

„Wenn ich dir einen Rat geben darf, mein Freund...“, sagte Gandalf, der unbemerkt neben Aragorn getreten war, „du musst verzeihen.“

Und er erklärte: „Verzeihen heißt nicht, das für richtig zu befinden, was geschehen ist. Verzeihen heißt zu akzeptieren, dass Geschehenes vergangen und nicht mehr rückgängig zu machen ist. Man muss loslassen, um weiter gehen zu können. Lass sie gehen.“

„Ich weiß aber nicht, ob ich dazu bereit bin zu vergessen“, gestand Aragorn, der sich mittlerweile schon längst nicht mehr fragte, woher der Zauberer all dies wusste.

„Du musst nicht vergessen“, entgegnete Gandalf. „Aber verliere nie den gegenwärtigen Moment aus den Augen. Lass dich nicht von alten Zeiten einholen; denke mit einem Lächeln auf den Lippen daran zurück, doch beherrschen lasse dich nicht davon.“

Aragorn erschien all das sehr einleuchtend und erstrebenswert, doch verstand er eines noch nicht: „Wie mache ich das, Gandalf? Wie kann ich das kontrollieren?“

„Übergib deine Trauer und deine Wut dem Wind und lass ihn sie davontragen. Er nimmt sie mit zu den Sternen, die ihre Energie daraus schöpfen und deshalb auch in tausend Jahren noch vom Firmament leuchten werden... Nun beginnt eine neue Ära in der Geschichte von Mittelerde.“
 

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am darauffolgenden Tag
 

„Nun kommen die Tage des Königs“, verkündete Gandalf laut und setzte Aragorn feierlich die Krone auf.

„Mögen Sie glückselig sein“, fügte er leise hinzu, sodass nur Aragorn es hörte.

Dieser lächelte den Zauberer an und erhob sich. Er tat einen tiefen Atemzug; jetzt gab es kein Zurück mehr...Und dann drehte er sich um.

Applaus empfing ihn. Er war der erste König, der in Gondor seit langer Zeit gekrönt wurde. Aragorn wusste, dass man Großes von ihm erwartete, doch er war sich auch dessen bewusst, was er schon erreicht hatte. Zuversichtlich hielt er seine erste Ansprache als König von Gondor: „Dieser Tag gehört nicht einem einzigen Manne, sondern uns allen. Lasst uns zusammen diese Welt wieder aufbauen, damit wir sie uns teilen können in Zeiten des Friedens.“

Erneut folgte Applaus. Dann schritt Aragorn durch den Gang, den die Menschen gebildet hatten, wobei sie sich links und rechts vor ihm verneigten und auch er ihnen seinen Respekt erwies.

Und dann kamen die Elben. Eine Gruppe hellhäutiger Waldelben in silberner Kleidung, die die Banner König Thranduils trugen. Und an ihrer Spitze Legolas, der Prinz des Düsterwaldes.

Er ging auf Aragorn zu und blieb vor ihm stehen. Aragorn legte seinem Freund dankbar die Hand auf die Schulter; dieser erwiderte die Geste.

„Hannon le“, meinte Ersterer. „Danke.“

Der Elb lächelte und deutete bestätigend eine Verbeugung an.

Dann gesellte er sich zu Gandalf, während Aragorn seinen Weg durch die Menschen fortsetzte.

„Gib ihm noch etwas Zeit; er ist auf dem richtigen Weg“, merkte Gandalf im Flüsterton an.

Fragend wandte sich Legolas dem Zauberer zu. Dieser lächelte geheimnisvoll und meinte nur: „Die Sterne beginnen sich zu ändern...“

Da verstand Legolas, was er gemeint hatte. „Danke, mein Freund.“

„Gern geschehen.“
 

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am späten Abend
 

Vor der Tür hielt Aragorn einen Moment inne. War er tatsächlich bereit, das zu tun? Oder sollte er nicht lieber doch noch ein wenig damit warten? Und was, wenn er es wieder vermasseln würde? Doch mit einem tiefen Atemzug schob Aragorn diese Gedanken beiseite und im nächsten Moment klopfte er auch schon an.

Er vernahm leise Schritte und dann einen Schlüssel, der im Schloss umgedreht wurde. Die Tür schwang auf und da stand... niemand!? Aragorn war verblüfft; das hatte er nicht erwartet.

„Hallo!?“ Suchend betrat Aragorn den Raum.

Doch niemand antwortete.

Aragorn grinste und verkündete in den scheinbar leeren Raum hinein: „Na gut, dann gehe ich eben wieder....“

Doch noch bevor er sich umdrehen konnte, wurden ihm von hinten zwei Hände aufs Gesicht gelegt, sodass er nur noch schwarz sah. Und eine Stimme flüsterte ihm ins Ohr: „Na, was haben wir denn da? Einen Waldläufer, der nicht auf der Hut ist?“

Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte eine Erinnerung an Arwen vor Aragorns innerem Auge auf, doch so schnell wie sie gekommen war, verschwand sie auch wieder.

Aragorn erhob die Hände: „Ich ergebe mich!“

Die Gestalt hinter ihm entgegnete: „Das ist nicht sonderlich schlau, Euer Majestät, denn dann gehört Euer Königreich mir...“

„Das kannst du haben, wenn du nur bei mir bleibst.“

In diesem Moment ließ die andere Person von Aragorn ab. Dieser nutzte die Gelegenheit dazu sich umzudrehen.

Legolas' Miene war unentschlüsselbar, doch glaubte Aragorn, einen Funken Erstaunen darin zu erkennen.

„Ich meine es ernst“, wisperte er. „Ich gebe dir alles, wenn du mir nur eine zweite Chance gibst....“
 

Legolas hätte am liebsten auf der Stelle vor Freude einen Luftsprung gemacht, doch ermahnte er sich selbst, sich nicht zu früh zu freuen. Er beschloss, Aragorn auf die Probe zu stellen, um sich darüber klar zu werden, wie die Chancen wirklich standen.

Daher riss er sich von Aragorns haselnussbraunen Augen los und entfernte sich einige Schritte von ihm. „Hast du dir das auch wirklich gut überlegt? Ich meine, du bist der König von Gondor... Wenn jemals jemand etwas herausfinden würde....“

„Das überlege ich mir dann, wenn es eintritt. Falls es überhaupt eintritt“, entgegnete Aragorn bestimmt und ging auf Legolas zu.

Dieser aber entfernte sich wieder einige Schritte von ihm und fragte: „Einem König erliegt unter anderem die Verpflichtung auf, seinem Volk einen Erben für seinen Thron zu garantieren... Was ist damit?“

„Dafür werden wir schon eine Lösung finden“, antwortete Aragorn überzeugt.

Erneut näherte er sich dem Elben. Mittlerweile wusste er, was dieser hiermit erreichen wollte, doch Aragorn beschloss, ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen. Mit einem Funkeln in den Augen steuerte er auf Legolas zu. Dieser wich zurück, stieß aber mit dem Rücken auf die Wand und merkte, dass er sich hatte in die Enge drängen lassen. Abwehrend erhob er die Hände, doch so langsam gingen ihm die Ausreden aus.

„Gut, noch eine letzte Frage: Was ist mit Arwen?“

„Sie ist fort, Vergangenheit“, antwortete Aragorn. Er wurde ernst. „Das habe ich nun begriffen.“

Nun hatte er Legolas erreicht. Er spielte mit einer Haarsträhne des Elben. „Ich hoffe nur, dass es noch nicht zu spät ist...“

„Das ist es nicht“, entgegnete Legolas. „Und dein Königreich kannst du auch behalten... Wenigstens solange du mich bei Laune hältst....“, neckte er Aragorn.

„Das dürfte nicht allzu schwierig sein“, entgegnete der schelmisch lächelnd. „Und ich weiß auch schon, wie ich damit anfange...“

Erwartest du, dass ich dir beim Sterben zusehe?

Einige Monate später
 

Seufzend blickte Legolas aus dem Fenster Richtung Osten. Er hatte sich nicht vorgestellt, dass es so schwer werden würde...

Da betrat Aragorn schwungvoll das Zimmer. Er hatte eine Überraschung für seinen Freund und konnte es kaum erwarten, ihm davon zu erzählen. Doch beim Anblick des Elben fror sein Lächeln ein und sein Elan war mit einem Mal verflogen...

Als Legolas Aragorn so plötzlich hereinkommen hörte, drehte er sich erschrocken zu ihm um. Er sah die Besorgnis in dessen Augen und hätte sich selbst ohrfeigen können. Er hatte sich doch so fest vorgenommen, wenigstens in Aragorns Nähe vorsichtig zu sein. Wenn er es sonst schon nicht unter Kontrolle hatte, konnte er doch zumindest die anderen damit verschonen.

Aragorn versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Doch die Lust auf Überraschungen war ihm eindeutig vergangen.

„Kommst du? Das Essen ist fertig“, ließ er Legolas so liebevoll wie möglich wissen.

„Ja, ich komme“, meinte der.

Gemeinsam gingen sie ins Esszimmer, wo sie sich an den runden Tisch setzten. Wenig später wurden ihnen auch schon das Essen serviert.

Es wurde eine relativ schweigsame Mahlzeit. Beide hingen ihren eigenen Gedanken nach, wobei sie sich ab und zu verstohlene Blicke zuwarfen. Es war ein trostloses Beisammensein. Aragorn musste sich zu jedem Bissen zwingen; das Essen schien in seinem Mund fahl zu werden und er begann, darin herumzustochern bis es kalt war.

Immer wieder wollte Aragorn etwas sagen, ließ es dann aber doch sein. Er versuchte sich einzureden, dass alles in Ordnung sei, doch mit jeder Minute, die verstrich, wurde er angespannter und nervöser; er hielt das hier nicht länger aus.

„Lass uns reden“, bat er Legolas schließlich. Der Elb nickte zustimmend.

„Was ist los?“, fragte Aragorn, nachdem er sich den Kopf darüber zerbrochen hatte, wie er anfangen sollte. „Wo bist du in letzter Zeit?“

„Ich bin hier, bei dir“, antwortete Legolas langsam.

„Nein, das bist du nicht. Und das wissen wir beide....“, entgegnete Aragorn enttäuscht.

„Es...es liegt nicht an dir.“ Legolas wusste, dass er Aragorn die Wahrheit schuldig war. Doch er wusste auch, dass sie ihn verletzen würde.

„Woran liegt es dann? Sag mir doch was los ist“, flehte Aragorn.

Legolas spielte kurz mit dem Gedanken, irgendeinen Grund zu erfinden, verwarf ihn aber gleich wieder. „Ich....ich kann es dir nicht sagen....“

Am liebsten wäre Aragorn wutentbrannt aus dem Raum gestürmt und hätte die Tür mit einem lauten Knall hinter sich zugeschlagen. Doch stattdessen versuchte er ruhig zu bleiben. Niemand hatte gesagt, dass es einfach werden würde, mit einem Elben zusammen zu leben....

Aragorn versuchte sich daran zu erinnern, wann dieses Sehnsüchtig-in-die-Ferne-Schauen angefangen hatte.... Das war doch damals gewesen, als all die Elben und auch Frodo und Gandalf Mittelerde verlassen hatten, um zu den Unsterblichen Landen zu segeln.... Wie hatte Elrond damals gesagt? Ach ja, „Das Meer ruft uns nach Hause“...Und plötzlich fiel es Aragorn wie Schuppen von den Augen: „Es ist das Meer, nicht wahr? Es ruft nach dir...“

Legolas nickte. „Ja, so ist es.“

Aragorn fiel ein Stein vom Herzen; wenigstens wusste er jetzt, was los war. Legolas hingegen starrte noch immer mit leerem Blick in die Ferne; es schien für ihn keinen Unterschied zu machen, ob sein Freund Bescheid wusste oder nicht.

„Es ist wie eine Stimme, die mir leise ins Ohr flüstert „Komm! Komm zu mir“ Und in meinem Herzen höre ich die Wellen rauschen, während der salzige Meereswind durch meinen Geist fährt“, versuchte der Elb zu erklären. „Es ist das höchste Ziel und der innigste Wunsch jedes Elben, die Unsterblichen Lande zu betreten; wie eine Art Bestimmung.“

„Aber das lässt mit der Zeit doch nach, oder?“, fragte Aragorn, der langsam zu begreifen begann, wie kompliziert eine derartige Beziehung eigentlich war.

„Ich weiß es nicht“, antwortete Legolas. „Ich kenne dieses Gefühl schon mein ganzes Leben lang. Es ist wie ein Fluss, dessen Strömung dich immer weiter Richtung Wasserfall mit sich zieht und du schwimmst dagegen an. In letzter Zeit ist es immer stärker geworden. Ich höre das Brüllen des sich nähernden Abgrunds, doch so sehr ich auch schwimme, das Ufer erreiche ich einfach nicht...“

„Und wenn ich dir den Arm hinstrecke? Reicht unsere Liebe etwa nicht?“ Aragorn wusste zwar selbst nicht warum, doch Legolas' Aussage verletzte ihn. Hatte er sich in den letzten Monaten etwa etwas vorgemacht?“

„Unsere Liebe tut hier nichts zur Sache“, entgegnete Legolas. „Man kann seiner Bestimmung nicht entkommen...“

Aragorn unterbrach ihn: „Dann gibt es also nichts, das dich hier hält!?“ Bittere Enttäuschung sprach aus dieser Frage. Und Legolas' folgendes Schweigen machte die Sache nicht wirklich besser.

Wütend tigerte Aragorn im Raum auf und ab. „Hast du mich jemals wirklich geliebt? Oder war das alles nur ein Spiel für dich?“

„Das ist nicht fair, Aragorn. Du weißt, dass ich dich liebe“, versuchte Legolas seinen Freund zu beruhigen.

Doch der steigerte sich nur noch weiter hinein: „Weiß ich das? Deshalb verlässt du mich jetzt auch. Genau wie Arwen. Warte...steckt ihr etwa unter einer Decke?“

Legolas glaubte im ersten Moment falsch gehört zu haben. Er spürte, wie ihm diese Bemerkung einen Stich versetzte, doch versuchte er ruhig und freundlich zu bleiben. „Hör auf“, bat er Aragorn. „Du sprichst im Zorn. Sag nicht etwas, das du später bereust... Du glaubst doch nicht wirklich, was du gerade eben gesagt hast, oder?“

„Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll“, entgegnete Aragorn verbittert. Die Kälte, die er ausstrahlte, schien den ganzen Raum einzufrieren. Legolas unterdrückte ein Zittern. Er griff nach Aragorns Hand, doch der entzog sie ihm. „Lass mich!“

„Lass uns doch vernünftig miteinander reden“, bat Legolas.

„Warum sollte ich das tun? Es ist alles gesagt.“ Aragorn blieb stur.

„Weil ich dich liebe“, antwortete Legolas, der noch immer zu schlichten versuchte.

„Das glaube ich dir nicht!“ Jetzt schrie Aragorn schon beinahe. „Warum solltest du dann gehen wollen?“

„Genau deshalb!“ Langsam hatte Legolas es satt. „Weil ich dich liebe!“

Jetzt verstand Aragorn gar nichts mehr. Augenblicklich hatte er sich wieder beruhigt und er suchte nach einem versteckten Sinn in Legolas' Aussage. „Was...was meinst du damit?“, fragte er verwirrt nach.

„Erwartest du etwa, dass ich dir beim Sterben zusehe?“

Aragorn hatte den Elben noch nie so laut erlebt. Und plötzlich begriff er, dass er einen großen Fehler gemacht hatte, doch es war zu spät; Legolas war schon zur Tür hinaus.
 

Erschöpft ließ sich Aragorn auf einen Stuhl sinken und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Natürlich! Warum hatte er nicht daran gedacht? Vermutlich, weil er sich auf der anderen Seite befand; er würde nicht mit dem Tod des anderen klarkommen müssen...

Da legte ihm jemand eine Hand auf die Schulter. Aragorn blickte auf und sah in Eldarions Gesicht.

Eldarion war sein Adoptivsohn. Seine Eltern waren unter Sauron umgekommen und so war das Kind eine Zeit lang bei den Elben in Bruchtal aufgewachsen. Doch als Elrond Mittelerde verlassen hatte, hatte er das Kind auf Gandalfs Rat hin in Aragorns Obhut gegeben. Schließlich gehörten sowohl Aragorn als auch Eldarion zum langsam aussterbenden Geschlecht der Dunedain...

„Sei nicht traurig Vater“, tröstete ihn der Neunjährige. Er schmiegte sich an Aragorn, wobei seine wilden, braunen Locken den Älteren im Gesicht kitzelten. „Alles wird gut...“

Eure Majestät, der König, er ist tot

Zehn Jahre später
 

„Okay, lass mich nachdenken....Was heißt »Aragorn von Dunedain, du bist uns bekannt« ?“ Legolas sah Eldarion herausfordernd an.

Dieser überlegte einen Moment. „Aragorn in Dunedain.... Moment, ich hab's gleich!“

„Lass dir ruhig Zeit“, meinte der Elb grinsend.

Eldarion ging ein paar Schritte auf und ab, wobei er so angestrengt nachdachte, dass Legolas zu lachen anfing.

„Jetzt hab ich's“, rief Eldarion. „Aragorn in Dunedain, istannen le ammen.“ Und vor Freude klatschte er in die Hände.

„Sehr gut“, lobte ihn Legolas. „Du wirst noch zu einem richtigen Elben...“

„Au ja!“, freute sich Eldarion. „Das muss ich Vater erzählen, wenn er zurückkommt!“

Doch in diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und ein aufgebrachter Mann stürmte herein. Als er die zwei Männer erblickte, blieb er keuchend stehen. „Gott sei Dank, dass ich Sie gefunden habe....!“ Er schnappte nach Luft.

Legolas erhob sich und auch Eldarion hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. „Was ist geschehen?“

„Eure Majestät, der König, er ist tot.“

Für den Bruchteil einer Sekunde lang herrschte absolute Totenstille im Raum, dann folgte ein Klirren. Legolas hatte sein Glas fallen lassen. Er taumelte kurz und griff Halt suchend nach Eldarions Schulter. Dessen Gesicht hatte jegliche Farbe verloren. Und obwohl er bereits seit geraumer Zeit wusste, dass Legolas und sein Vater mehr als nur Freunde waren, hatte ihn die Reaktion des Elben, die doch so menschlich war, erschreckt.

Legolas hatte gewusst, dass dieser Augenblick eines Tages kommen würde. Doch irgendwie hatte er es in den letzten Jahren geschafft, den Gedanken daran in die hinterste Ecke seines Kopfes zu verbannen. Er hatte sich selbst geschworen, sich darauf vorzubereiten, doch hatte er dies stets aufgeschoben, da nur mehr jeder einzelne Tag zu zählen schien und das Morgen keine Bedeutung mehr hatte. Daher traf es ihn jetzt unvorbereitet, aus dem Nichts, wie ein tödlicher Pfeil aus der Dunkelheit. Er versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, doch sein Geist blieb leer und stumm.

Auch Eldarion stand unter Schock. Das hier konnte unmöglich passieren. Der Mann, den er nun schon seit vierzehn Jahren Vater nannte, konnte unmöglich tot sein. Noch nicht. Es musste ein Traum sein.... Doch tief in seinem Herzen wusste Eldarion, dass es real war. „Wo... wo ist er?“, brachte er mühsam hervor. „Ich...ich will ihn sehen...“

In diesem Moment wurde die Tür erneut geöffnet und Faramir stürmte herein. „Er lebt“, schrie er. „Zumindest jetzt noch“, fügte er leiser hinzu.

„Wo ist er? Was ist passiert?“ Legolas hatte sich wieder einigermaßen gefasst. Er hatte die elbische Maske der scheinbaren Kühlheit aus seiner Erinnerung heraufbeschworen; er musste jetzt einen klaren Kopf bewahren.

„Die Männer bringen ihn nach oben in sein Gemach“, antwortete Faramir.

„Was ist mit Ithroniëll?“

„Sie hält sich zur Zeit in Nord-Ithilien auf. Ich habe schon einen Reiter zu ihr geschickt...“

Ithroniëll war eine der wenigen Elbinnen, die sich dafür entschieden hatten, in Mittelerde zu bleiben. Sie lebte schon seit langem in Bruchtal und war eine der wenigen Schülerinnen Elronds gewesen, der sie in seinen medizinischen Kenntnissen unterwiesen hatte. Jetzt, nachdem er Mittelerde verlassen hatte, war sie einer der besten Heilkundigen des Kontinents.

Legolas nickte. „Gut. Was ist passiert?“

„Aragorn war mit einigen Männern in den Bergen, weil es das Gerücht gab, dass dort einzelne, aufständische Orks eine Revolte planten. Doch sie wurden in eine Falle gelockt: Mehrere Bergtrolle stürzten sich aus dem Hinterhalt auf sie, noch bevor Aragorn mit ihnen verhandeln konnte....“

„Dafür bringe ich sei um“, meinte Eldarion hitzköpfig und zog sein Schwert.

„Das erledigen meine Männer gerade“, entgegnete Faramir. „Ich war zufällig mit einigen meiner Männern in der Gegend und als wir auf den Kampf aufmerksam wurden, sind wir sofort hingeeilt... Zu diesem Zeitpunkt waren die meisten Männer schon nicht mehr am Leben. Auch Aragorn hielten wir zuerst für tot, doch konnten wir einen schwachen Puls ausmachen und brachten ihn sofort her. „

„Ich danke dir, Faramir“, sagte Legolas.

Der Angesprochene nickte knapp und eilte hinaus, um nach seinen Männern zu sehen.

„Ich werde mit ihm gehen“, entschied Eldarion. „Ich werde Vater rächen!“ Und schon war er auf den Füßen und steuert zielstrebig Richtung Tür.

„Havo dad!“, erwiderte Legolas bestimmt. „Setz dich!“

„Amman?“, protestierte Eldarion. „Warum?“

„Andelu i ven“, beschwor ihn der Elb. „Die Straße ist gefährlich. Hast du denn vergessen, dass du der Thronfolger bist?“

Das hatte Eldarion tatsächlich nicht bedacht. „Dann glaubst du also, dass Vater stirbt?“, fragte er leise.

„Ich weiß es nicht“, antwortete Legolas. „Doch auf jeden Fall braucht er uns jetzt...“

Eldarion nickte einsichtig. „Lass uns gehen.“

Der Prinz und der Waldläufer

Aragorn blickte hinter sich. Er konnte erkennen, dass sie direkt auf die Klippen zusteuerten, doch schaffte er es nicht, seine Hand aus den Gurten und Riemen am Warg zu befreien. Unaufhaltsam jagte das Tier auf den Abgrund zu und schleifte Aragorn mit. Und dann fiel er auch schon....
 

Als Legolas und Eldarion Aragorns Gemächer betraten, herrschte dort reges Treiben: Frauen mit Tüchern und Schüsseln eilten von einem Ort zum anderen, während studiert aussehende Männer in Grüppchen beieinander standen und von irgendwelchen Phänomenen faselten.

Eldarion wusste nicht warum, doch dieser Anblick entfachte in ihm einen unbeschreiblichen Zorn; es war einfach viel zu laut hier. Sein Vater war schließlich der König; warum achtete man seine Privatsphäre nicht?

„Raus hier!“, befahl Eldarion wütend. „Alle. Sofort.“

Eingeschüchtert verließen alle den Raum; Eldarion war nicht dafür bekannt, dass er die Stimme erhob und schon gar nicht, dass er Befehle gab. Auch Legolas hatte ihn noch nie so angsteinflößend erlebt; er schien ihm auf einmal größer und älter zu sein, irgendwie königlicher.

Dankbar nickte der Elb Eldarion zu. Dann taten beide einen tiefen Atemzug und betraten Aragorns Schlafgemach.
 

„Aragorn, nad no ennas. Da draußen ist etwas“, warnte Legolas, dessen Elbenaugen auch all die Feinheiten wahrnahmen, die anderen verborgen blieben, seinen Freund.

„Man cenich? Was siehst du?“, fragte Aragorn den Elben leise.

„Der weiße Zauberer, er nähert sich“, kam die Antwort von Legolas.

Und tatsächlich trafen sie auf eine weiß gekleidete Gestalt, die in weißes Licht gehüllt war.

„Wer bist du? Zeige dich!“, verlangte Aragorn.

Und in diesem Moment wurden Aragorn, Gimli und Legolas Zeugen eines Wunders: Es war nicht wie erwartet Saruman, der aus dem Licht heraustrat, sondern Gandalf.

Aragorn traute seinen Augen kaum. „Das ist nicht möglich; du bist gefallen...“, meinte er ungläubig.

„Gandalf, der Graue, so hat man mich genannt... Ich bin Gandalf, der Weiße. Und ich kehre zu euch zurück, am Wendepunkt der Gezeiten.“
 

In Aragorns Schlafgemach ging es schon etwas ruhiger zu. Nur Eowyn, Faramirs Frau, und des Königs Leibarzt waren im Zimmer. Als sie die beiden Männer erblickten, traten sie augenblicklich auf sie zu. Ihre Mienen verrieten nichts allzu Gutes....

„Er lebt noch?“, fragte Legolas, sich auf das Schlimmste gefasst machend.

Der Arzt nickte. „Ja, aber das ist auch schon das einzig Positive, das ich Euch berichten kann, Herr...“

„Wieso? Was fehlt ihm?“, mischte sich Eldarion ein.

„Das kann ich leider nicht genau sagen, Herr“, entschuldigte sich der Arzt. „Seine Majestät hat sich aufgrund eines Sturzes schwere Kopfverletzungen zugezogen. Außerdem gibt es mehrere Prellungen und einige Rippen sind gebrochen...“

„Wird er es schaffen?“, wollte Eldarion ungeduldig wissen.

„Ich weiß es nicht, Herr“, antwortete der Arzt bedauernd. „Es tut mir Leid...“

„Schon gut.“ Legolas versuchte angestrengt, irgendwie optimistisch zu bleiben. „Ithroniëll wird bald hier sein... Kann ich zu ihm? Ist er wach?“

„Nein, er ist noch immer bewusstlos“, bedauerte der Arzt. „Aber Ihr könnt natürlich zu ihm, Herr.“
 

Nur mühsam konnte sich Aragorn im Sattel halten. Hätte Brego ihn nicht gefunden, läge er jetzt wahrscheinlich immer noch halbtot am Ufer dieses Flusses... Hatte er sich das vorhin nur eingebildet, oder hatte ihn Arwen tatsächlich geküsst und mit ihm gesprochen? Na ja, jedenfalls lebte er noch. Und das war die Hauptsache...

Als er in Helms Klamm ankam, traf er dort vor des Königs Festung auf Legolas. Der schien nicht sonderlich überrascht zu sein, Aragorn lebendig vor sich zu sehen und meinte nur: „Le abdollen. Du kommst spät.“

Aragorn sah ihn verwirrt an; so einen Empfang hatte er sich nach seiner Rückkehr von den Toten nicht erwartet.

Legolas musterte seinen Freund genauer und sah, dass er verletzt war. „Du siehst furchtbar aus...“

Beide lachten.

Da streckte der Elb Aragorn seine Hand hin. Darin war... der Abendstern! Aragorn hatte ihn bei seinem Sturz über die Klippen verloren und schon geglaubt, ihn nie wiederzusehen. Dankbar sah er seinen Freund an. „Hannon le. Danke.“
 

Als Legolas die Vorhänge des Bettes zur Seite zog und seinen Freund erblickte, erschrak er sehr. Aragorns Haut war schneeweiß, seine Augen waren geschlossen und er atmete kaum. Hätte Legolas es nicht besser gewusst, er hätte ihn für tot gehalten.

Als er sah, dass Eldarion den Tränen nahe war, legte er ihm eine Hand auf die Schulter und meinte dann an Eowyn gewandt: „Könntest du dich bitte um Eldarion kümmern? Wir kommen hier schon zurecht...“

Eowyn bejahte. Sie nahm Eldarion liebevoll an der Hand und er ließ sich ohne Wenn und Aber aus dem Raum führen. Besorgt blickte Legolas den beiden nach. Manchmal vergaß er fast, dass Eldarion beinahe noch ein halbes Kind war...

Dann setzte sich Legolas an Aragorns Bett, während der Arzt draußen auf Ithroniëll wartete. Er konnte nichts mehr für den König tun; alle Hoffnung ruhte jetzt auf der elbischen Heilkundigen.

Legolas strich Aragorn eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ú-eglan anim. Verlass mich nicht.“ Jetzt galt es nur noch zu warten....
 

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Als Ithroniëll einige Stunden später in Minas Tirith ankam, war Aragorn zwar noch am Leben, doch noch immer bewusstlos und Legolas und der Arzt hatten sich mehrmals versichern müssen, dass er überhaupt noch atmete.

„Ich bin so schnell gekommen wie ich konnte“, sagte die Elbin entschuldigend, als sie Aragorns Gemächer betrat.

Viele, viele Jahre waren vergangen, seit Legolas sie das letzte Mal gesehen hatte. Damals war er noch beinahe ein Kind gewesen. Ithroniëll, die einige Jahre älter als er war, hatte zu dieser Zeit einige Wochen im Düsterwald verbracht. König Thranduil, Legolas' Vater, zählte sie zu seinen engsten Freundinnen und hatte sie eingeladen, die Bräuche und Sitten der Waldelben kennen zu lernen. Legolas hatte die Elbin damals schon sehr bewundert; er hatte sich sogar ein wenig in sie verliebt... Letzteres hatte mit der Zeit wieder nachgelassen, doch auch wenn er seitdem nur mehr ab und zu von ihr gehört hatte, hatte er sich doch des Öfteren an Ithroniëll erinnert.

„Legolas Thranduilion! Legolas, Thranduils Sohn!“ Auch sie schien sich an ihn zu erinnern. Sie kam auf ihn zu und umarmte ihn herzlich, eine für Elben ungewöhnliche Begrüßung.

„Ithroniëll!“ Legolas erwiderte die Umarmung freundschaftlich. „Mae govannen! Sei willkommen! Boe ammen i dulu lîn. Wir brauchen deine Hilfe. Es geht um Leben und Tod...“

Ithroniëll nickte ernsthaft. „Ich weiß; ich habe gehört, was passiert ist... Ich mache mich unverzüglich an die Arbeit.“

Mit diesen Worten wandte sie sich dem Patienten zu. „Aragorn in Dunedain.... Telin le thaed. Ich komme, um dir zu helfen. Lasto beth nîn. Hör auf meine Stimme.“

Darauf folgte ein elbischer Singsang, während Ithroniëll sich Aragorns Wunden genauer ansah.

Nach ungefähr einer Viertelstunde unterbrach die Elbin ihre Tätigkeit und wandte sich an Legolas: „Dies hier könnte etwas länger dauern...Vielleicht solltest du dich etwas hinlegen....“

„Nein, nein!“, wehrte Legolas ab. „Ich würde lieber hier bleiben, wenn es dir nichts ausmacht...“

Ithroniëll hatte nichts dagegen einzuwenden. „An die Arbeit!“
 

In den nächsten Stunden kämpften die beiden um das Leben des Königs, wobei sie sich elbischer Magie in Kombination mit Heilkräutern aller Art bedienten. Die Minuten schienen nur so vorbei zu fliegen, während sich die Elben im stetigen Wettlauf mit der Zeit befanden.

Und mit jeder Minute, die verstrich, schien Aragorn blasser und blasser zu werden. Vermutlich bildete Legolas sich das nur ein, doch musste er sich mehrmals zusammennehmen, um die Hoffnung nicht zu verlieren.

Dann, eine Ewigkeit später, tat Ithroniëll kund: „So, geschafft. Das Schlimmste müsste überstanden sein....“

Erst jetzt merkten die beiden Elben, wie müde und erschöpft sie eigentlich waren.

„Ich werde im Vorraum schlafen“, verkündete Ithroniëll. „Für den Fall, dass ich hier gebraucht werde....“

Legolas nickte. „Ich bleibe noch eine Weile bei ihm. Ich kriege jetzt sowieso kein Auge zu...“
 

Als Ithroniëll eine halbe Stunde später noch einmal in das Zimmer lugte, um nach ihrem Patienten zu sehen, huschte ein Lächeln über ihre Lippen: Legolas war, an Aragorns Bett sitzend, eingeschlafen, wobei sein Kopf auf dem Oberkörper des Königs ruhte.

Auf leisen Sohlen schlich Ithroniëll in das Zimmer und deckte den Elben behutsam zu. „Ni ernil ar ni tauristar.... Der Prinz und der Waldläufer...“

Tollen i lû. Es ist soweit.

Aragorns Genesung ging nur langsam voran. Obwohl er bereits am nächsten Tag das Bewusstsein wieder erlangte, dauerte es noch mehrere Wochen bis er wieder aufstehen konnte.

Auch hatte er am Anfang Schwierigkeiten beim Sprechen: Als er am Tag nach Ithroniiëlls Ankunft in Minas Tirith erwacht war und den schlafenden Legolas erblickt hatte, hatte er etwas sagen wollen, doch keinen Ton herausgebracht. Er hatte es erneut versucht,doch vergeblich. Panik war in ihm aufgestiegen. Davon war Legolas erwacht. Er hatte sich sehr gefreut, Aragorn wach zu sehen, doch auch ihm machte Aragorns Sprachlosigkeit große Angst. Dennoch hatte er sein Bestes gegeben, um Aragorn zu beruhigen: „Stille nú....Sch!Sei ruhig... Ich bin hier...“

Als Legolas Ithroniëll später darauf angesprochen hatte, hatte auch sie im ersten Moment besorgt reagiert, ihm dann aber versichert, dass Aragorns Stimme zurückkommen werde.
 

Eldarion veränderte sich in diesen Wochen sehr: Er war immer öfter ernst und still; er wirkte verantwortungsbewusster und respekteinflößender. Er war erwachsen geworden. Er hatte sich – mit Legolas' und Faramirs Hilfe – während seines Vaters Genesung mit den Aufgaben und Pflichten eines Königs mehr und mehr vertraut gemacht, da er ahnte, dass er dieses Amt vielleicht schneller übernehmen musst, als eigentlich geplant gewesen war.

Aragorn bemerkte dies sehr wohl und es tat ihm im Herzen weh, den Jungen, der ihm so sehr ans Herz gewachsen war, so zu sehen. Er selbst konnte zwar nach mehreren Wochen Bettruhe seinen Thron wieder besteigen, doch nach einigen Stunden war er immer so müde, dass er sich ausruhen musste.
 

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Eines Nachmittags betrat Legolas Aragorns Schlafgemach; er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, regelmäßig nach seinem Freund zu sehen. Doch zu seiner Verwunderung fand er das Zimmer leer vor; daher machte er sich auf die Suche nach Aragorn.

Er fand ihn auf einem der Türme, in den Hof hinunter starrend, wo sich Eldarion soeben mit Faramir im Schwertkampf übte.

Seine Verletzungen hatten den König sehr verändert. Legolas schien es so, als sei er um Jahre gealtert; seine Bewegungen waren langsamer geworden und er war oft müde. Auch in diesem Moment wirkte er bedrückt und sorgenvoll.

„Man le trasta? Was bedrückt dich?“, fragte Legolas liebevoll.

„Ionn nîn.... Mein Sohn...“, antwortete Aragorn.

„Eldarion schafft das schon“, meinte Legolas. „Ich glaube, dass er mehr in sich hat, als wir denken...“

„Meinst du?“ Aragorn war sich da nicht so sicher.

„Ich bin davon überzeugt. Außerdem ist er nicht allein.“

Aragorn blickte den Elben voller Liebe an. „Hannon le, mellon nîn. Danke, mein Freund.“

Legolas deutete eine Verbeugung an.

Eine Weile lang schwiegen die beiden. Dann meinte der Elb träumerisch: „Erinnerst du dich noch an unsere Begegnung hier? Damals, als die Welt noch dunkel war...“

Aragorns Augen leuchteten auf, als er daran zurückdachte. „Wie könnte ich das jemals vergessen? Es war wie ein Traum für mich. Und du warst der Mond darin, der mir meine Nacht erhellte...“ Lächelnd erinnerte er sich an jenen Augenblick. „....schöner als der Abendstern...“, flüsterte er und fuhr mit einem Finger sanft über Legolas' Handrücken, sodass dieser bei der Berührung erschauert.

„Ja, das hast du damals gesagt....“ Auch der Elb lächelte

„Und daran halte ich fest“, entgegnete Aragorn und nahm Legolas' Hände in die seinen. „...Le melin...Ich liebe dich.“

„Ar gerich veleth nîn, Aragorn in Dunedain“, erwiderte Legolas. „Und ich liebe dich.“
 

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Wenige Tage später betrat Eldarion seines Vaters Gemächer, um ihm etwas zu erzählen.

„Vater! Vater, bist du da?“

Keine Antwort.

Eldarion öffnete die Tür zum Schlafzimmer. Vielleicht ruhte sich Aragorn nur ein wenig aus...

Doch bot sich sich ihm ein gänzlich unerwarteter Anblick: Aragorn lag scheinbar leblos am Boden, um ihn herum waren Glasscherben verstreut.

„Vater!“

Eldarion eilte zu ihm und tastete nach dem Puls. Zu seiner Erleichterung stellte er fest, dass des Königs Herz noch schlug.

„Eldarion?“, kam von draußen die fragende Stimme Legolas'.

„Ich bin hier“, antwortete der Neunzehnjährige.

„Ich bin soeben draußen vorbeigegangen und habe dich rufen hören. Was ist pass....“ Legolas' Lächeln erstarb, als er die beiden Männer erblickte, und er wurde leichenblass im Gesicht.

„Er lebt, er lebt“, beruhigte ihn Eldarion. „Soll ich Ithroniëll holen?“

Legolas nickte und ließ sich neben Aragorn zu Boden sinken. Hörte das denn nie auf? Er fühlte wie sein Herz raste und seine Hände feucht waren. So konnte es nicht weitergehen. Er war sich nicht sicher, wie viele dieser „Überraschungen“ er noch überstehen konnte. Jedes Mal bekam er einen Heidenschreck und glaubte, sein Herz müsse gleich in tausend Stücke zerspringen. Auf die Dauer konnte das nicht gut gehen....
 

Auch für Ithroniëll war Aragorns plötzliche Ohnmacht ein Schock; sie hatte fest daran geglaubt, dass der König auf dem Weg der Besserung sei. Sein Rückfall ließ die Elbin natürlich auch ein wenig an ihren Fähigkeiten zweifeln, wobei das jetzt ihr kleinstes Problem war.

„Wenn doch nur Elrond hier wäre“, wünschte sie sich. „Er wüsste sicher, was jetzt zu tun ist...“
 

Selbst Aragorn sah ein, dass sich etwas ändern musste. Doch wusste er nicht, wie oder was.

„Lass uns zu den Unsterblichen Landen segeln“, schlug Legolas eines Abends vor. „Elronds Heilkünste und die elbische Magie der Insel werden dich heilen...“

„Ich würde ja“, erwiderte Aragorn, „wenn ich könnt.... Doch ich werde hier gebraucht...“

„Vater!“, mischte sich Eldarion ein und hockte sich vor dem sitzenden König nieder. „Vater, du hast viel für mich und dein Land getan. Und unter anderen Umständen hätten wir noch die nächsten hundert Jahre miteinander verbringen können... Doch dich so leiden zu sehen... Lieber denke ich mit einem Lächeln auf den Lippen an unsere fünfzehn gemeinsamen Jahre zurück, als jeden Tag mit der Angst aufwachen zu müssen, dass ich dich erneut am Boden finde....“

Aragorn standen Tränen in den Augen, doch Eldarion wusste, dass dies der Zeitpunkt war, alles zu sagen. „Ich weiß, dass du dir Sorgen machst, adar, doch das brauchst du nicht. Ich habe Vieles gelernt und bin nun dazu bereit, die Verantwortung zu übernehmen. Außerdem sind da noch viele Leute, die mich dabei unterstützen: Faramir und Eowyn, Eomer, Ithroniëll,... Du hast den Menschen hier in der dunkelsten Stunde das Licht zurückgegeben, damals, als du Sauron besiegt hast; nun hast du dir deinen Frieden verdient...“

Aragorn schien noch nicht ganz überzeugt zu sein, doch Eldarion wusste, wie er ihn dazu bringen konnte. Nun würde sich zeigen, ob die heimlichen Elbisch-Stunden mit Legolas etwas gebracht hatten. „Aragorn in Dunedain...“

Bei diesen Worten wurde der Angesprochene hellhörig; erstaunt sah er seinen Sohn an. Dieser holte tief Luft und blickte Hilfe suchend Legolas an, der ihm bestätigend zunickte.

„Aragorn in Dunedain, tollen i lû. Es ist soweit. Boe bedich go Legolas. Du musst mit Legolas gehen. Han bâd lîn. Dies ist dein Weg. Si boe ú-dhannathach. Du darfst jetzt nicht zögern. Ae ú-esteliach nad, estelio ammen. Wenn du auf nichts anderes vertraust, vertraue uns. Si bado, no círar. Gehe jetzt, ehe es zu spät ist...“

Verblüfft stellte er fest, wie leicht ihm diese Worte gefallen waren.

Aragorn und Legolas waren verblüfft und sprachlos dagesessen und hatten Eldarions Worten gelauscht. Als er geendet hatte, ließ sich Aragorn auf die Knie sinken und umarmte seinen Sohn unter Tränen. Jetzt würde sich alles ändern.
 

Eine Woche später stachen Aragorn und Legolas in See. Vor allem Ersterem war der Abschied nicht leicht gefallen, doch vielleicht würde er seinen Sohn ja eines Tages wiedersehen.

Eine frische Brise fuhr ihnen durchs Haar und blähte die Segel auf, während sich eine Möwe kreischend auf einen Fisch stürzte.

„I Aear can van namar...“, stellte Aragorn fest und lehnte sich zurück, sodass sein Kopf auf Legolas' Oberkörper ruhte.

„Ja“, bestätigte der Prinz lächelnd und strich dem Waldläufer eine Haarsträhne aus der Stirn. „Das Meer ruft uns nach Hause....“



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Kommentare zu dieser Fanfic (6)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Onlyknow3
2015-08-12T17:46:31+00:00 12.08.2015 19:46
Also wird es wohl auch ein Wiedersehen mit Arven, Bilbo und vielleicht Frodo geben. Dann hoffe ich mal das die Begegnungen alle gut verlaufen. Mach weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Antwort von:  Memories_of_the_Moon
14.08.2015 20:10
Das war's (leider) schon... Wie's weitergeht, überlasse ich jedem selbst :)
liebe Grüße, Ithilarinia
Von:  Onlyknow3
2015-08-10T18:47:47+00:00 10.08.2015 20:47
Ob sich die beiden wieder annähern nach diesem schrecken, oder hat Legolas sich an das Leben an Aragorns seite gewöhnt. Was ist passiert in den Jahren anch dem Streit, das nächste kapitel könnten somit die Erinnerungen von Legolas sein. Mach weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Von:  Onlyknow3
2015-08-08T09:00:10+00:00 08.08.2015 11:00
Das kannst du Legolas doch nicht antun, das wäre dann doch zu früh. Hoffe das er es schafft und Überlebt.
Mach weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Von:  Onlyknow3
2015-08-07T19:56:29+00:00 07.08.2015 21:56
Sehr gute Geschichte, un ich wünschte mir das sich Legolas hier noch mal überlegt was er wirklich will. Denn so verliert er nicht nur Aragorn, sondern auch dessen Vertrauen. Bin gespannt was noch alles kommt.
Weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Antwort von:  Memories_of_the_Moon
08.08.2015 10:05
Ich danke dir vielmals für deine Reviews! Ich freue mich immer sehr, wenn ich eine Rückmeldung bekomme.
Viel Spaß beim Lesen des nächsten Kapitels!

Liebe Grüße, Ithilarinia
Von:  Onlyknow3
2015-08-07T18:23:55+00:00 07.08.2015 20:23
Schon wieder keine Chance zum reden, ob es den beiden noch gelingen wird sich Aussprechen zu können.
Weiter so, freu mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Von:  Onlyknow3
2015-08-07T17:26:34+00:00 07.08.2015 19:26
Mit diesem Geständnis hat Leglas alles auf ein Karte gesetzt, und sein Gefühle offenbart. Wie wird Aragorn mit diesem wissen umgehen. Kann er sich gegen Legolas und dessen Gefühle öffnen, wird er sie erwidern können.
Mach weiter so, sehr gut geschrieben gefällt mir. Freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3


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