Die Schatten werden länger von Memories_of_the_Moon ================================================================================ Kapitel 3: Schuldgefühle und Zukunftsvisionen --------------------------------------------- Aragorn stand an einem weißen, verlassenen Sandstrand, weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Doch plötzlich stand Arwen vor ihm, schöner als er sie jemals in Erinnerung gehabt hatte. Wortlos nahm sie ihm den Abendstern vom Hals, gab ihm einen Kuss auf die Wange und wandte sich dann von ihm ab. Zielstrebig und ohne sich umzudrehen ging die Elbin auf ein Boot zu, das im seichten Gewässer nur auf sie zu warten schien. Aragorn wollte sie aufhalten, doch sobald Arwen das Boot bestiegen hatte, fuhr es aufs offene Meer hinaus. Dann wechselte die Szenerie: Aragorn sah wie die Jahre vergingen, während Legolas an seiner Seite unzählige Schlachten schlug. Aragorn wusste zwar, dass der Elb mehr als nur Freundschaft für ihn empfand, doch sein Kummer über Arwens Abschied war einfach zu groß, um nach vorne zu sehen. Erneut wechselte die Szenerie: Aragorn und seine Freunde standen vor den Toren Mordors, um Saurons Streitkräfte herauszufordern und seinen Blick von Frodo und dem Ring abzulenken. Die Schlacht war bereits in vollem Gange, als Legolas von einem Troll von hinten überrascht wurde. Die Wucht des Trollhiebes schleuderte den Elb zu Boden, wobei ihm sein Bogen aus der Hand fiel. Er versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, doch der Troll hinderte ihn daran, indem er Legolas einen seiner gigantischen Füße auf die Brust stellte. Der Elb zog seine gebogenen Elbenklinge und hieb auf den Trollfuß ein, doch vergeblich. Da holte der Troll auch schon zum vernichtenden Schlag aus.... Schweißgebadet erwachte Aragorn aus dem Traum; das Herz schlug ihm bis zum Hals und er atmete schwer. Er versuchte sich einzureden, dass es nur ein Traum gewesen war, doch das gelang ihm nicht wirklich, dafür war es viel zu real gewesen. Und das allerschlimmste daran war, dass er, der er sich genau in dieser Situation befand, keinen blassen Schimmer hatte, was er jetzt tun sollte. Legolas hatte Recht, die Trennung von Arwen schmerzte noch zu sehr, doch andererseits hatte Aragorn am Vorabend seinen besten Freund geküsst, einfach so, aus heiterem Himmel. Aragorn wusste selbst nicht mehr, wie er auf diese Idee gekommen war. Und dennoch hatte es sich richtig angefühlt. Wäre da nicht diese klein, leise Stimme, die Aragorn immer einzureden versuchte, dass er sich falsch entscheide. Daher war der zukünftige König von Gondor auch ein klein wenig erleichtert gewesen, als man ihn holen lassen hatte, um ihm die königliche Rüstung anzuprobieren. Ohne ein weiteres Wort hatte Aragorn einen verwirrt aussehenden Legolas zurückgelassen, wobei er sich allerdings sicher gewesen war, dass er später beim Zubettgehen noch viel verwirrter gewesen war. Den ganzen Morgen lang suchte Aragorn einen Augenblick, in dem er sich alleine mit Legolas unterhalten konnte; er wusste zwar nicht, was er ihm sagen wolle, aber jetzt im Nachhinein missbilligte er seine eigene Tat, den Elb einfach so stehen zu lassen. Aragorn wollte seinem Freund zumindest klar machen, dass er noch etwas Zeit brauche, um sich über seine Gefühle klar zu werden. Doch dann fiel ihm der Traum wieder ein und selbst wenn er nicht an derartige Zukunftsvisionen glaubte, wurde ihm doch bewusst, wie wenig Zeit sie unter Umständen übrig hatten. Leise Zweifel, die Aragorn bisher erfolgreich unterdrückt hatte, begannen an ihm zu nagen: Was, wenn Frodo es nicht schaffte, den Ring zu zerstören? Was, wenn Sauron nicht auf die Ablenkung hereinfiel? Was, wenn sich der Traum doch bewahrheiten und Legolas in der Schlacht fallen würde? Mit aller Anstrengung versuchte Aragorn, diese Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen, doch immer wieder tauchte vor seinem inneren Auge das Bild des Trolls auf, der die tödliche Keule über Legolas schwang. Gott sei Dank war er den Großteil des Morgens über abgelenkt, da man ihn um Rat in allen möglichen Angelegenheiten fragte. Einerseits war Aragorn froh darüber, aber andererseits wollte er gewisse Dinge nicht ungesagt lassen; es könnte das letzte sein, das er seinem besten Freund jemals sagen würde. Hin- und hergerissen kämpfte sich Aragorn durch den Morgen. Legolas erging es ähnlich. Er hatte zwar nicht solche Träume erdulden müssen, war stattdessen aber stundenlang wach im Bett gelegen und hatte sich den Kopf zermartert. Er verstand einfach die Welt nicht mehr. Das Desaster war immerhin schon schlimm genug gewesen, da hatte ihn Aragorn auch noch geküsst! Einfach so, aus heiterem Himmel. Das war die allerletzte Reaktion gewesen, die der Elb erwartet hatte. Er selbst war so überrascht gewesen, dass er es einfach geschehen lassen hatte. Und dann war Aragorn weg gerufen worden. Ohne ein Wort war er gegangen. Doch in seinen Augen hatte Legolas ebenfalls Überraschung und Erstaunen gesehen. Ob Aragorn den Kuss wohl bereute? Diese und ähnliche Gedanken waren in Legolas' Kopf umhergeschwirrt, während er vergeblich versucht hatte, zur Ruhe zu kommen. Denn jedes Mal, wenn er die Augen geschlossen hatte, war vor seinem inneren Auge das Bild seines besten Freundes aufgetaucht, der ihm sagte, er sein schöner als der Abendstern. Weit nach Mitternacht war Legolas dann doch in einen tiefen, traumlosen Schlaf gefallen. Auch er wollte am nächsten Morgen mit Aragorn sprechen. Irgendwie fühlte er sich schuldig für dieses Schlamassel. War er ja auch. Und dennoch war er auch ein klein wenig froh darüber, seinem besten Freund seine Gefühle gestanden zu haben. Die Vorbereitungen für die bevorstehende Schlacht, die über die endgültige Freiheit der Völker Mittelerdes entscheiden sollte, liefen auf Hochtouren. Daher war es auch nicht verwunderlich, dass Aragorn und Legolas keine Sekunde alleine waren. Beide versuchten, sich so normal zu verhalten wie nur möglich. Das klappte auch recht gut, jedenfalls bis zum gemeinsamen Frühstück. Dankbar sah Aragorn in die Runde; sah die vertrauten Gesichter, mit denen er schon so Vieles erlebt hatte. Dies war möglicherweise das letzte Mal, dass sie alle zusammen an einem Tisch saßen und gemeinsam aßen. Wobei sie sowieso schon lange nicht mehr vollzählig waren. Boromir war von den Uruk-Hai feige getötet worden. Und Frodo und Sam waren irgendwo da draußen, im Wettlauf gegen die Zeit, möglicherweise um ihre Leben kämpfend. Diesen Gedanken nachhängend griff Aragorn zum Brot, das in der Mitte des Tisches lag. Und in diesem Moment geschah das Unerwartete: Seine Finger streifte jene von Legolas. Erschrocken sahen die beiden auf. Die Zeit schien auf einmal still zu stehen und die Welt um sie herum verblasste. Einen scheinbar ewigen Augenblick lang sahen sich die beiden Männer an. Jeder versuchte im Gesicht des anderen zu lesen, was er fühlte und dachte. Und plötzlich sah Aragorn seinen Freund wieder so vor sich, wie er ihn am Vorabend gesehen hatte. Im Mondlicht. Oben auf dem Turm. Alleine. In diesem Augenblick zog Legolas hastig seine Hand zurück. Er hatte die Veränderung in Aragorns Augen gesehen. Und es machte ihm Angst. Und das verwirrte ihn noch mehr. Er versuchte, es zu überspielen. Niemand schien etwas gemerkt zu haben. Daher wandte er sich Gimli zu und begann mit ihm ein Gespräch über Bergwerke. Während er sich bemühte, dem Zwerg mit einem Ohr zuzuhören, atmete er innerlich erleichtert auf. Das war ja noch mal gut gegangen. Aragorn schreckte auf, als Legolas seine Finger zurückzog. Beinahe hätte er alles verraten! Was war er nur für ein Dummkopf. Er ärgerte sich über sich selbst, obwohl er wusste, dass das keinen Sinn hatte. Was war nur los mit ihm? Er hatte sich doch sonst so gut unter Kontrolle. Und jetzt hätte er den Elb um ein Haar erneut geküsst. Und das auch noch vor allen anderen. Apropos, hatten sie etwa etwas gemerkt? Erneut sah Aragorn in die Runde. Zu seiner Erleichterung konnte er feststellen, dass alle in Gespräche vertieft waren. Nur Gandalf war in einen alten, staubigen Wälzer vertieft. Als ob er Aragorns Blick gespürt hätte, hob er den Kopf und sah ihn an. Dann zwinkerte er seinem Freund zu und brach das Brot, das auf seinem Teller lag. Und an einem Teil kauend widmete er seine Aufmerksamkeit wieder dem Schriftstück vor ihm und tat so, als sei nichts geschehen. Aragorn war beunruhigt. Ob Gandalf wohl etwas wusste? Doch noch bevor er sich darüber weiter Gedanken machen konnte, erklang der dunkle Ton eines Horns... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)