Wie Frühling und Herbst von Memories_of_the_Moon ================================================================================ Kapitel 19: ------------ Im Grunde war Thranduil vollkommen überfordert mit der Situation: Schon allein die Sache mit Kalera und Gornarbelethas wäre mehr als genug für ihn gewesen und nun sollte er auch noch vorübergehend den Platz seines Vaters in den königlichen Hallen einnehmen. Nein, es war ihm nicht entgangen, dass es auch für Oropher keine einfache Entscheidung gewesen war. Und genau das, nämlich, dass sein Vater bereit war, sein Wohl über alles andere zu stellen, hatte Thranduil so berührt, dass er wusste, was zu tun war: Sein Pflichtgefühl, das er von klein auf erworben hatte und das bei ihm besonders ausgeprägt zu sein schien, erinnerte ihn an seine Rolle als Thronfolger. Immerhin hatte er sich all die Jahre auf Situationen wie diese vorbereitet, in denen er Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen sollte. Seine eigenen Angelegenheiten, sein Herz, mussten warten. Thranduil war sich dieser Pflicht nun schon lange bewusst und hatte sie schon so manches Mal ertragen müssen – etwa wenn er seinen Vater den ganzen Tag lang nicht zu Gesicht bekam oder wenn er trotz Streitigkeiten mit Gornarbelethas bei repräsentativen Anlässen auch mit ihm freundlich und höflich sein musste. Doch all das erschien dem Kronprinzen jetzt, im Vergleich zur aktuellen Situation, wie ein Kinderspiel, auch, da er nicht einmal wusste, was denn wirklich zwischen Kalera, Gornarbelethas und ihm vorging. Sollte er versuchen, es herauszufinden? Sollte er die beiden zur Rede stellen? Doch was würde passieren, wenn er etwas Unerfreuliches, etwas die vorige Situation Bestätigendes hören würde? Könnte er dann noch diese Entschlossenheit, Orophers Platz bis zu dessen Rückkehr einzunehmen, hervorbringen? Angesichts dessen, dass es ihm jetzt schon so schwer fiel, an etwas anderes als sein leidendes Herz zu denken, beschloss der Elb, dass die Konfrontation warten sollte. Es war zu riskant, z viel stand auf dem Spiel. Doch leider sah Gornarbelethas die Situation etwas anders.... ******************************************************************************** Als Thranduil die Große Halle betrat, um seinen Platz neben des Königs Thron einzunehmen, wartete dort eine unangenehme Überraschung auf ihn: Sein Bruder Gornarbelethas saß dort, auf Orophers Thron, jedoch nicht respektvoll und aufrecht, sondern quer darüber, die Füße über die Armlehne geschwungen, mehr liegend als sitzend. Dies genügte, um Thranduils so mühsam aufgebaute Selbstbeherrschung und seinen recht kontrollierten Umgang mit der Situation durcheinander zu bringen, wenn auch nur kurzzeitig. „Was machst du da auf Vaters Thron?“ Der Ältere konnte nicht verhindern, dass die Worte mehr von seinen Gefühlen preisgaben, als ihm lieb war. Gornarbelethas jedoch besaß nicht genug Feingefühl, um einfach darüber hinwegzusehen oder sich der Ursache bewusst zu sein. Stattdessen ließ er seinen Worten ungehindert freien Lauf. „Na na, Bruder“, spottete er. „Ist dir die Verantwortung schon zu viel?“ Nur mit äußerster Anstrengung konnte Thranduil sich selbst davon abhalten, dem Jüngeren nicht nur ordentlich die Meinung zu sagen, sondern auch noch sein Schwert zu ziehen. Er spürt die Wut, die in ihm aufkochte, die Wut auf diese Situation, die Wut auf Gornarbelethas. Dieser konnte nicht umhin, zu bemerken, dass sich die Hand seines Bruders dem Schwert an seinem Gürtel genähert hatte – für ihn nur ein Grund, Thranduil noch weiter aufzuziehen. „Aber, aber, mein lieber Bruder, du greifst zu Waffen? Wo ist denn deine Vernunft geblieben?“ Thranduil versuchte, ruhig zu bleiben, er versuchte, sich auf das Atmen zu konzentrieren und an ihren Vater zu denken. Er merkte, wie ihm bei Gornarbelethas' Worten immer wärmer und wärmer wurde und wie das Blut nur so durch seinen Körper schoss, doch diesen Triumph wollte er dem Jüngeren nicht auch noch gönnen. Thranduil wandte sich also ab, die Flucht als einzige Rettung vor Gornarbelethas und vor seinen eigenen Gefühlen ansehend. Doch wieder kam es anders. Gornarbelethas meinte halb zu sich, halb zu seinem Bruder: „Kein Wunder, dass Kalera nichts von dir wollte...“ Da war es aus bei Thranduil, aus und vorbei mit Vernunft und Kontrolle, und er reagierte so schnell, dass Gornarbelethas gar nicht dazu kam, sich zu wehren. Thranduil zog sein Schwert und wirbelte herum, um seinen Bruder zum Duell zu fordern, ohne jedoch zu bemerken, dass dieser aufgestanden und hinter ihn getreten war, sodass Thranduils Schwert nun einen Schnitt in Gornarbelethas' Wange hinterließ. Beide erschraken. Gornarbelethas hielt sich verdutzt die blutende Wange, Thranduil hingegen ließ sein Schwert augenblicklich fallen. Was hatte er getan? Er hatte jemanden verletzt. Er hatte die Wut die Oberhand über ihn gewinnen lassen und er war auf seinen Bruder losgegangen. Was hatte er getan? Auf jeden Fall etwas Unverzeihliches. Und Gornarbelethas hatte ihn dazu gebracht. Er hatte ihn kontrolliert, er hatte ihn manipuliert. Doch er selbst hätte es besser wissen müssen. Er war der Ältere, er war der Kronprinz. Und als solcher, vor allem aber als derzeitiger Stellvertreter seines Vaters, hätte er „königlicher“ handeln müssen. Thranduil drehte sich um und suchte das Weite. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)