Der leere Hof meines Herzens von Tamanna ================================================================================ Kapitel 5: Heiligabend: Das Glück an meiner Seite ------------------------------------------------- Das Glück an meiner Seite Gilgamesh rückte den Kragen der Jacke zurecht. Er hätte es nie für möglich gehalten, dass er sich jemals wie ein Priester kleiden würde, aber irgendjemand musste ja die Weihnachtsansprache in der Kirche abhalten. Und seid der kleine Tenshi wieder bei seiner leiblichen Mutter war, lag Kirei nur im Bett. Er aß nichts mehr, schlief nicht und hatte kein einziges Wort mehr gesagt. In diesem Zustand konnte er den Menschen in Fuyuki keinen Weihnachtssegen schenken. Der König von Babylon warf einen letzten, prüfenden Blick in den Spiegel und seufzte. Er hatte einen Plan, wie er Kirei endlich aufmuntern könnte – hoffentlich würde es funktionieren. Entschlossen nickte der König und machte sich dann ans Werk. Die Weihnachtsmesse war mehr oder weniger geglückt. Der ein oder andere hatte sicher gemerkt, dass er kein echter Priester war. Zum Glück hatte Kirei im Vorfeld die Stellen in der Bibel markiert, die er während der Messe vortragen wollte. Nun marschierte Gilgamesh in die Küche, um zu sehen, ob dort alles nach Plan verlief. In der Küche werkelten mehrere Köche und Köchinnen herum, um ein prächtiges Festmahl zuzubereiten. Die Zutaten dafür hatte Gilgamesh extra aus seiner Schatzkammer hervorgeholt. Manchmal war er selbst überrascht darüber, was sich alles darin befand. Eine Köchin kam mit einer Soßiere in der Hand auf ihn zu. „Mein Herr, ich wollte Ihnen nur Bescheid sagen, dass das Essen jetzt aufgetischt werden kann.“ Der König nickte. Sofort machte er auf den Absatz kehrt, um Kirei zu holen. Wenn er sah, wie viel Mühe er sich gegeben hatte, um ihn ein leckeres Festtagsessen zuzubereiten, würde es ihm sicher besser gehen. Der Ärmste musste doch schon am Verhungern sein. Ohne anzuklopfen betrat Gilgamesh das Schlafzimmer – und das war auch gut so. Kaum hatte er die Tür geöffnet, ließ ihn der Anblick erstarren: Kirei saß auf den Boden vor dem Bett und hielt ein Messer in der einen Hand. Sein Blick war völlig ausdruckslos und auf die blitzende Klinge gerichtet, dessen Spitze drohend auf seinem Handgelenk ruhte. Nach einer kurzen Erstarrung vor Entsetzen, eilte Gilgamesh sofort zu seinem Partner und riss ihm das Messer aus der Hand. „Bist du von allen guten Geistern verlassen?!“, polterte er und warf das Messer in die Ecke. „Ich kann ja verstehen, dass du traurig bist. Aber das Leben geht weiter!“ „Und darüber soll ich mich freuen, nehme ich an“, murrte Kirei leise und starrte auf den Boden. „Was willst du hier?“ „Ich will dich trösten, was denn sonst? Seit drei Tagen lässt du dich gehen. Es wird Zeit, dass du dich wieder aufrichtest! Denk doch an all die Dinge, die du noch hast!“ „Du verstehst das nicht, oder? Ich habe dieses Kind geliebt! Ich hatte endlich das Glück gefunden, nachdem ich immer gesucht habe! Und jetzt, wo Tenshi wieder aus meinem Leben verschwunden ist, spüre ich, wie leer mein Leben ist. Es ist unerträglich, besonders nachdem ich gespürt habe, wie sich das Gegenteil anfühlt! In meinem Leben gibt es nichts, wofür es sich noch zu leben lohnt, gar nichts mehr!“ Gilgamesh zuckte bei diesen Worten zusammen. Mit starrem Blick beobachtete er Kirei, als warte er darauf, dass dieser seine Worte zurücknahm. Als dies nicht geschah, schnappte er wütend nach Luft und stürmte hinaus. Kirei saß noch eine Weile teilnahmslos auf dem Boden und starrte in die Leere. Dann erhob er sich beinahe mechanisch und tapste hinaus. Ziellos irrte Kirei durch die verschneite Stadt. Sein Wunsch zu sterben war seltsamerweise verschwunden – warum, konnte er sich nicht erklären. Es gab für ihn doch nichts mehr, wofür es sich zu leben lohnte! Dennoch fühlte er sich nicht mehr ganz so unglücklich, wie vorhin. Woran lag das nur? „Kirei!“, rief plötzlich jemand. Der Angesprochene hob den Kopf und sah sich suchend um. Vor einem Café entdeckte er schließlich die dazugehörige Person – und dessen Anblick erfreute ihn gar nicht. „Emiya Kiritsugu“, knurrte er. Sein Kummer wich nun Wut. Er wusste nicht genau, warum er wütend war. Schließlich hatte Kiritsugu ja nichts Falsches getan, als er Mutter und Kind wieder vereinte. Aber seit er diesem Mann begegnet war, kam es ihm so vor, als würde ihm gar nichts mehr richtig gelingen. Kiritsugu schlenderte zu ihm herüber. „Wie… fühlst du dich?“, fragte er vorsichtig, kam sich aber in der gleiche Sekunde dumm vor, diese Frage zu stellen. „Wie soll es mir schon gehen? Das Glück, dass ich gefunden habe, ist verschwunden“, flüsterte Kirei leise. Nachdenklich legte der ehemalige Magierkiller den Kopf schief. „Als Kind habe ich mich gefragt, was Glück überhaupt ist“, begann er dann zu erklären. „Ich hatte eine Freundin, Shirley hieß sie. Wir haben uns darüber unterhalten. Und ich denke, es ist genauso, wie sie es damals definiert hatte: Glück ist wie Glas. Genauso zerbrechlich. Auf den ersten Blick lässt sich das Glück nicht klar erkennen. Um es sehen zu können, muss man erst seinen Blickwinkel verändern.“ Kirei war überrascht. Diese Definition von Glück hatte er noch nie gehört. Das machte ihn nachdenklich. Er verabschiedete sich oberflächlich von Kiritsugu und machte sich auf den Heimweg. Er nahm einen anderen Weg, der ihn schließlich an einem altbekannten Ort vorbei führte. Zu seiner Verwunderung stand er vor dem Spielzeugladen, vor dem sie vor über einer Woche eingekauft hatten. Was war das doch für ein schöner Abend gewesen… Doch etwas ließ den Priester stutzen. Dieser gemeinsame Einkauf war sehr schön gewesen. Aber ihm fiel nun auf, dass dies nicht an Tenshi lag. Wäre er allein mit dem Baby dort gewesen, hätte es ihm nicht annährend so viel Freude bereitet. Aber woran lag das bloß? Auf den ersten Blick lässt sich das Glück nicht klar erkennen. Um es sehen zu können, muss man erst seinen Blickwinkel verändern. Langsam weiteten sich Kirei’s Augen. Könnte das sein? War dieser Augenblick so schön… wegen IHM? Gilgamesh war immer noch wütend. Der Schnee vermochte sein erhitztes Gemüt einfach nicht abzukühlen. Was dachte sich dieser Kirei bloß? Einfach zu sagen, dass es nichts mehr in seinem Leben gab, wofür es sich zu leben lohnte. War der König denn kein Grund, weiterleben zu wollen? Sie hatten doch eine schöne, gemeinsame Zeit, oder nicht? Er hatte für diesen Mann so viele Opfer gebracht. Babys hüten gelernt, gekocht, alberne Zeremonien abgehalten, ihn eine ganze Nacht lang tröstend im Arm gehalten. Solche Dinge hatte er noch nie für einen anderen Mann getan. Und wie wurde es ihm gedankt? Und warum zum Teufel kümmerte ihn das überhaupt? Er war doch nur irgendein Köter, wie jeder andere Mensch ebenso… Unwillkürlich blieb Gilgamesh stehen. Er war im Park, in dem noch vor drei Tagen Kirei weinend auf einer Bank saß und sein geliebtes Baby hergeben musste. Heute saßen dort zwei Männer, die im Schutze der Bäume heimlich Zärtlichkeiten austauschten. Aus der Ferne beobachtete der König die beiden. Nein, Kirei war kein Köter wie die anderen Normalsterblichen. Das hatte Gilgamesh schnell bemerkt. Sonst hätte er wohl kaum sein Interesse geweckt. Bei der Erinnerung daran musste er lächeln. Diese hässliche Welt hatte ihn fast schon gelangweilt, als dieser Mann seine Aufmerksamkeit erregte. Bei ihrer ersten Begegnung gewann der König noch den Eindruck, dass der junge Priester ein steifer, langweiliger Mensch war, der stets nur die Befehle von anderen befolgte und nicht selbstständig denken konnte. Doch nach einigen Tagen stellte er fest, dass Kirei durchaus interessant war. Allerdings schien es so, als wäre er nicht imstande, seine eigenen Gefühle zu verstehen. Also beschloss der König, diesen Mann unter seine Fittiche zu nehmen und ihm dabei zu helfen, sein Leben in neue Bahnen zu lenken und dadurch vielleicht glücklicher zu werden. Der Gralskrieg hatte nicht die erhofften Antworten gebracht und so entschied sich Gilgamesh dazu, auch weiterhin bei ihm zu bleiben, bis dieser am Ende seiner Suche angekommen war. Im Nachhinein verstand Gilgamesh nicht mehr so richtig, warum er so gehandelt hatte. Er hatte angenommen, dass er sich nur deshalb um Kirei gekümmert hatte, weil dessen Sichtweise auf die Welt und die Menschen ihn unglaublich amüsiert hatten und er sehen wollte, was als Nächstes geschah. Doch mittlerweile war er sich seiner Motivation nicht mehr so sicher. Es würde nicht erklären, warum er Babymilch zubereitete, Babykram kaufte und Priesterklamotten anzog. Er musste sich wohl oder übel eingestehen, dass er Kirei ganz einfach gern hatte. Er, der einzig wahre König! Tat unsinnige Dinge, weil er einen einfachen Mann mochte! Das war nicht zu glauben! Und das Schlimmste daran war, dass dieser Köter noch nicht einmal ebenso empfand! Hatte so getan, als sei er nicht einmal vorhanden! Und das war nun der Dank dafür, dass er sich so für ihn angestrengt hatte! Wütend stapfte Gilgamesh weiter durch den Schnee. Sollte dieser dämliche Priester doch bleiben, wo der Pfeffer wächst! Wenn er seinen Trost nicht wollte, dann bekam er ihn eben nicht! Er würde sich gewiss nicht um einen Mann bemühen, der ihn so vor den Kopf stieß! So weit kam es noch! Auf keinen Fall würde er noch tiefer sinken! Gilgamesh hatte fast den Ausgang des Parks erreicht, als plötzlich Kirei vor seiner Nase auftauchte. Als dieser ihn erkannte, rannte er auf ihn zu und – zu Gilgamesh’s Entsetzen – umarmte er ihn fest. „Ein Glück habe ich dich gefunden!“, murmelte Kirei erleichtert. Erst jetzt fiel Gilgamesh auf, dass er ganz verschwitzt und atemlos war. „Was willst du denn von mir?“ „Na was schon? Ich habe dich gesucht, um mich zu entschuldigen und damit wir zusammen nach Hause gehen“, antwortete Kirei verwundert, ohne die Umarmung zu lösen. Empört versuchte der König, sich aus der Umarmung zu befreien. „Nein! Ich will deine Entschuldigung nicht hören, du Bastard! Es interessiert mich nicht mehr, was du für Sorgen hast, verstanden? Und jetzt lass mich los und hau ab! Geh zurück in dein blödes, dich so deprimierendes Leben und suhl dich allein in deinem Selbstmitleid weiter!“ Kirei sah ihm kühl ins Gesicht. „Gut. Dann umarme ich dich jetzt solange, bis du es dir anders überlegst!“, erwiderte er entschieden und drückte den König fest an sich. Dem war das ungeheuer peinlich, immerhin weckten sie die Aufmerksamkeit der anderen Leute und wurden angestarrt. Vergeblich versuchte er, den Priester von sich wegzudrücken, doch dieser war einfach viel stärker als er. Schließlich gab er nach. „Na schön! Dann gehen wir eben zurück!“ Zufrieden lächelnd löste Kirei die Umarmung und machte sich auf den Heimweg. In der Kirche angekommen betrat Gilgamesh als erstes die Küche. Die Angestellten hatte er vorhin wieder weggeschickt. Das Essen war inzwischen kalt. All die Mühe umsonst. Kirei sah zum ersten Mal, was Gilgamesh vorbereitet hatte und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. „Hast du das für mich gemacht?“, fragte er beeindruckt. Gilgamesh verschränkte die Arme vor der Brust und zog einen Schmollmund. „Ja, das habe ich. Aber jetzt ist alles kalt!“ Kirei überlegte kurz, dann meinte er entschieden: „Überlass das nur mir. Ich kriege das schon hin.“ Wenig später saßen die beiden am Tisch und aßen ein verspätetes Weihnachtsmahl. Nun war es Gilgamesh, der beeindruckt war. Kirei hatte es tatsächlich geschafft, aus dem kalten Essen etwas Neues zu zaubern, das auch noch unglaublich gut schmeckte! Warum kochte er bloß so selten? „Du bist so schweigsam“, wunderte sich Kirei und musterte sein Gesicht. Gilgamesh wandte sich ab. Es war ihm immer noch peinlich, von dem Priester so fest umarmt worden zu sein. Bei Gott, offenbar mochte er ihn tatsächlich. Der Brünette legte sein Besteck beiseite und räusperte sich vernehmlich. „Ich wollte dir noch etwas sagen. Wegen vorhin… was da passiert ist… Ich habe dich nicht kränken wollen und das habe ich offenbar getan. Dafür möchte ich mich entschuldigen. Tatsächlich ist es so… dass mir etwas klar geworden ist. Es stimmt eigentlich gar nicht, dass es in meinem Leben nichts gibt, wofür es sich zu leben lohnt. Mir ist bewusst geworden, dass ich dich habe.“ Gilgamesh verschluckte sich prompt an einem Stück Ente und hustete wie verrückt. Kirei reichte ihm sein Glas Wein und wartete geduldig, bis dieser sich wieder beruhigt hatte. „Wie habe ich das denn zu verstehen?“, hustete der Blonde verlegen. „Bevor ich dich traf, war ich zutiefst unglücklich und habe nur so vor mich hin gelebt, ohne ein Ziel zu haben. Du hast dich meiner angenommen und mir geholfen, mich selbst besser zu verstehen. Du hast mir die Hoffnung zurückgegeben. Und als Tenshi zu uns kam, da hast du mir schon wieder geholfen. Du tust immer so viel für mich. Dafür bin ich dir unglaublich dankbar.“ Kirei legte eine kurze Pause ein und dachte nach. Dann fuhr er fort: „Ich hatte vorhin viel Zeit, über alles nachzudenken… und ich liebe Tenshi wirklich sehr. Aber es war auch schön, wie wir uns gemeinsam um ihn gekümmert haben. Und als er wieder verschwand… war ich nicht nur seinetwegen traurig, sondern auch, weil ich die ganze Zeit daran denken müsste, wie es wäre, wenn du auch wieder aus meinem Leben verschwindest. Und ich… kann mir irgendwie gar nicht mehr vorstellen, ohne dich leben zu können.“ Gilgamesh’s Gesicht färbte sich puderrot. Schnell schnappte er sich sein Weinglas und leerte es in einem Zug. „Unsinn. Ich sagte doch schon, dass ich bei dir bleibe“, sagte er schließlich, ohne Kirei anzusehen. „Warum sollte ich fortgehen? Diese Welt ist ohnehin viel zu langweilig, als dass sie irgendetwas Interessantes zu bieten hätte, das ich unbedingt sehen will. Und selbst wenn doch… dann will ich es mit dir zusammen sehen…“ Kirei schmunzelte leicht. „Ja. Das machen wir.“ Der Priester erhob sich. „Machen wir uns fertig für das Bett? Es ist schon spät.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, stand er vom Tisch auf, ging zu Gilgamesh rüber, nahm seine Hand und zog ihn auf die Füße. Dann führte er ihn ins Badezimmer. Dort nahmen die beiden doch tatsächlich ein gemeinsames Bad! Gilgamesh war das alles sehr peinlich. Hier in der Badewanne zu liegen, mit einem nackten Mann. Dabei machte ihn das doch sonst nicht so nervös. Und dass Kirei so tat, als wäre das völlig normal, machte es nicht unbedingt besser. Nach dem Bad führte Kirei den König in sein Schlafzimmer. Gilgamesh schluckte. Sonst dürfte er doch nie da rein. Was hatte Kirei nur vor? Zu seiner Überraschung nichts Unanständiges. Er legte sich mit ihm ins Bett und nahm ihn in den Arm. Sanft strich er ihm über das Gesicht. „Dich werde ich nicht so einfach gehen lassen“, sagte Kirei mit fester Stimme. Es klang wie ein Versprechen. Dann schmiegte er sein Gesicht an das blonde Haupt und schlief ein. Gilgamesh betrachtete eine Weile das schlafende Gesicht des Mannes, dann schloss er ebenfalls die Augen. In derselben Nacht bekam Kiritsugu noch seltsamen Besuch. Ein fremder Mann klingelte zu später Stunde an seiner Haustür. „Ähm… kann ich Ihnen irgendwie helfen?“, fragte er irritiert. Der Mann nickte. „Ich möchte mich kurz vorstellen. Mein Name ist Yugo Asagi. Vor Kurzem haben Sie meine Frau kennen gelernt, Haruka.“ Kiritsugu riss erstaunt die Augen auf. Der sogenannte Rabenvater fuhr sich etwas ratlos durch die Haare. „Ich glaube… ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig.“ ~ to be continued ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)