Ein einfaches Ende von GotoAyumu (Yamato Ishida x Taichi Yagami) ================================================================================ Kapitel 18: ------------ Reglos sitze ich auf dem Toilettendeckel des kleines Bades der Konzertörtlichkeiten. Ich starre auf das kleine Fläschchen, welches sich fest umklammert in meiner Hand befindet. Obwohl die Wirkung des gerade eingenommenen GHBs noch nicht spürbar ist, bin ich kaum in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Von draußen höre ich gedämpft den Lärm der After-Show-Party. Um ehrlich zu sein, hätte ich mir lieber einen Schuss gesetzt, damit ich die Gegenwart der vielen Menschen ertrage, aber das wäre nur die halbe Wahrheit. Eigentlich möchte ich nicht mehr an Taichi denken müssen, an sein Verhalten und was es zu bedeuten haben könnte. Warum ging er vorzeitig? Hielt er meine Anwesenheit selbst auf die Distanz nicht mehr aus? Will er jetzt die endgültige Trennung? Übelkeit kriecht meine Kehle empor. Krampfhaft versuche ich den Brechreiz zu unterdrücken. Ich erschrecke, als plötzlich jemand an der Tür klopft. „Yamato? Ist alles in Ordnung?“, höre ich Masao fragen. „Du bist schon ziemlich lange weg und wirst allmählich vermisst.“ „Ja, ich... brauche nur einen Moment. Sag den anderen, dass ich gleich zurück sein werde“, entgegne ich schwach. „Öffnest du bitte die Tür?“, lässt unser Keyboarder nicht locker. „Oder verletzt du dich gerade selbst?“ Sein Tonfall klingt eher besorgt und weniger vorwurfsvoll. Rasch verstaue ich das kleine Fläschchen in meiner Hosentasche, bevor ich widerwillig die Tür öffne. „Nein, ich schneide mir nicht den Arm auf.“ Als ich an ihm vorbeigehen möchte, taumle ich leicht, sodass Masao seinen Arm stützend um mich legt, mich in die Umkleide von ‚So easy’ führt und dort auf einen der Stühle setzt. „Dein Blick ist ziemlich verklärt und du siehst nicht gut aus. Was ist los, Yamato?“ Ich senke meinen Kopf und schaue zu Boden. „Wenn ich ehrlich bin, denke ich tatsächlich darüber nach, mir etwas anzutun“, antworte ich überraschend offen, was am GHB liegen könnte. „Gibt es dafür einen Grund?“ „Taichi.“ „Dein Freund?“ Ich nicke lediglich. „Habt ihr euch getrennt?“ „Keine Ahnung.“ Gleichgültig zucke ich mit den Schultern. „Spielt auch keine Rolle mehr. Wenn ich mich gleich zu den vielen Menschen da draußen gesellen soll, musst du mir zuvor ein Glas Whiskey holen, sonst ertrage ich die Nähe nicht.“ „Ich denke, es ist keine gute Idee, in deiner Verfassung derart hochprozentigen Alkohol zu dir zu nehmen“, gibt unser Keyboarder zu bedenken. „Anders schaffe ich das nicht, Masao.“ Meine Worte kommen nur leise über meine Lippen. Ich blicke ihn nicht an, sondern schaue weiterhin zu Boden. „Also gut. Du wartest hier und machst keine Dummheiten. Hast du verstanden, Yamato?“ Nun fixiere ich meinen Gegenüber. „Verstanden“, antworte ich mit einem Lächeln. Sichtlich beunruhigt verlässt Masao den Raum. Seufzend lehne ich mich zurück, lege meinen Kopf in den Nacken und warte wie befohlen. Allmählich spüre ich die wohlbekannte Leichtigkeit des GHB. Mir ist bewusst, dass der Konsum von Alkohol dieses Gefühl durchaus zerstören kann, aber eine mögliche Atemdepression durch gegenseitige Verstärkung der Substanzen kann ich als Ersatz durchaus akzeptieren. Ohne Taichi kann und will ich sowieso nicht leben. Masao unterbricht meine Gedanken, als er mit einem Glas in jeder Hand das Zimmer betritt. Ich lächle ihn an. „Hör auf, Yamato. Mir musst du nichts mehr vormachen.“ Er reicht mir das Getränk und nimmt auf einem Stuhl neben mir Platz. „Dein Freund war vorhin im Publikum, nicht wahr?“ „Ja.“ Um mich zu betäuben, nehme ich einen großen Schluck des Whiskeys, was ich jedoch sofort bereue, da es sich so anfühlt, als würde meine Speiseröhre verätzt werden. Einmal mehr frage ich mich, wie Tai dieses Zeug flaschenweise hinunterbekam. Stellte sich bei ihm kein Würgereflex ein? Ich kämpfe jedes Mal dagegen an. Vielleicht muss ich ihn ignorieren und einfach weitertrinken, um den Ekel unterdrücken zu können. Widerwillig zwinge ich mich, einen weiteren Schluck zu trinken. Kaum gelingt es mir, die brennende Flüssigkeit hinunterzuschlucken. Sogleich springe ich auf, stolpere zur Toilette und übergebe mich krampfhaft. Völlig erschöpft sacke ich in mich zusammen. „Was wolltest du mit dieser Aktion bezwecken?“, höre ich Masao fragen, der sich neben mich hockt und sanft über meinen Arm streichelt. „Nichts“, keuche ich. „Ich hasse Alkohol“, füge ich im Flüsterton an. „Manchmal verstehe ich dich wirklich nicht. Aber ich kenne auch nicht alle Hintergründe.“ „Kann sein. Aber die würden vermutlich nicht viel ändern. Oft fehlt selbst mir das Verständnis für mein Handeln.“ „Mir gefällt die Doppeldeutigkeit in deiner Aussage.“ Masao lächelt, welches ich gequält erwidere. „Geht es dir etwas besser?“ Ich nicke. Behutsam hilft mir unser Keyboarder aufzustehen. „Masao“, flüstere ich, ziehe ihn dabei dicht an mich und umarme ihn. Ein leichtes Schwindelgefühl bringt mich dazu, mich stärker an ihm festzuhalten. „Danke.“ „Wofür“, will er verwundert wissen. „Für deine Hilfe... und deine Geduld.“ „Ich sagte dir bereits, dass du ein Freund für mich bist und ich selbstverständlich für dich da sein möchte. Vor allem, wenn es dir nicht gut geht. Vielleicht wirst du irgendwann in der Lage sein, es nachzuempfinden. Das wünsche ich mir zumindest.“ Der traurige Unterton in Masaos Stimme entgeht mir nicht. „Ich glaube, allmählich verstehe ich deine Empfindungen“, gebe ich schüchtern zu. Ein tiefes Gefühl der Zuneigung hindert mich daran, unseren Keyboarder loszulassen. Zudem fühle ich mich nach wie vor schwach auf den Beinen, was er vermutlich bemerkt und weshalb er sich ebenfalls nicht von mir löst, sondern seine Arme sogar fester um meinen Körper legt. „Entschuldigt, dass ich euer Liebesgeflüster störe“, dringt plötzlich Kozues Stimme an mein Ohr. „Warum habt ihr Naoki und mir eure Beziehung verheimlicht? Dachtet ihr, wir hätten damit ein Problem?“ Es ist mir nicht möglich zu erkennen, ob Kozue scherzt oder ihre Bemerkung ernst meint. Masao scheint es genauso zu gehen. Verlegen löst er sich von mir. „Nein... also...“, beginnt unser Keyboarder unbeholfen seine Rechtfertigung. „Masao ist nicht schwul“, stelle ich ungeniert klar. „Und du?“, hakt Kozue nach. Meine Antwort ist lediglich ein leichtes Nicken. „Ja!“ Sie macht eine Siegesgeste. „Dann habe ich gewonnen.“ Irritiert schaue ich zu Masao, doch als dieser mich genauso verwirrt ansieht, wende ich mich erneut unserer Schlagzeugerin zu. „Naja...“, beginnt sie etwas beschämt. „Naoki und ich haben gewettet, ob du schwul bist oder nicht. Soeben hast du meine Vermutung bestätigt und Naoki ist mir nun einen Drink schuldig.“ Sie grinst. „Eigentlich kann er uns allen einen Drink spendieren. Schließlich lief der Auftritt wirklich gut.“ Offenbar hatte Taichis Verschwinden keine Auswirkungen auf meine Leistung oder meine Stimme, obwohl ich nur noch wie in Trance sang. Meine Erleichterung bezüglich dieser Tatsache könnte ich als Antwort werten, dass die Musik mir doch noch etwas zu bedeuten scheint. Ein Hochgefühl kommt in mir auf, von dem ich nicht sagen kann, ob es meiner scheinbar erlangten Erkenntnis oder dem GHB zuzuschreiben ist. „Wie geht es dir?“, erkundigt sich Masao noch immer besorgt. „Gut“, entgegne ich vermeintlich wahrheitsgemäß. „Kommt ihr dann mit? Die Anderen warten sicher schon“, meint Kozue fröhlich. Offenbar hat sie bereits ein, zwei Gläser Alkohol zu sich genommen. „Oder wollt ihr lieber eure Zweisamkeit ein wenig genießen?“ Bevor Masao oder ich reagieren können, verlässt unsere Schlagzeugerin rasch den Raum. „Damit wird sie uns wohl noch eine Weile aufziehen“, seufzt Masao mit gespielt ernster Miene. „Wahrscheinlich.“ Wir schauen uns an und beginnen zu lachen. Dann zeigt sein Gesichtsausdruck erneut Besorgnis. „Ich habe Bedenken, was eine Konfrontation mit vielen, überwiegend fremden Menschen im Augenblick bei dir bewirken könnte.“ „Es ist okay. Wirklich. Außerdem sollte ich vor unangenehmen Situationen nicht nur weglaufen, oder?“, meine ich überschwänglicher als beabsichtigt. „Aber...“ Mein Gegenüber zeigt auf die Whiskeygläser. „Das trinkst du nicht mehr.“ „Einverstanden“, lenke ich ungewohnt vernünftig ein. Masao jedoch bleibt skeptisch. In einem Zug leert er erst mein und dann sein eigenes Glas. „Sicher ist sicher.“ „Wie bekommst du das Zeug so einfach runter, ohne deine Miene zu verziehen?“, will ich mit einer Mischung aus Ekel und Bewunderung wissen. „Du magst keinen Alkohol. Das ist alles.“ „Vielleicht“, stimme ich nachdenklich zu. Taichi ergreift wieder Besitz von meinen Gedanken. „Deiner Reaktion entnehme ich, dass mehr dahintersteckt.“ „Taichi ist Alkoholiker und zur Zeit wieder in stationärer Behandlung.“ Ich weiß selbst nicht, warum ich Masao so leichtfertig davon erzähle. Die Worte kamen über meine Lippen, bevor ich darüber nachdenken konnte. „Verstehe. Wenn ich mich recht erinnere, erwähnte Akito eine Entzugsklinik, als er mir von eurer Beziehung erzählte.“ „Akito...“, wiederhole ich mit einem merkwürdigen Gefühl. „Entschuldige, ich...“ „Nein, es ist alles in Ordnung. Weißt du, die Schuld an Taichis Absturz und seiner Sucht trage allein ich.“ Meine Hände beginnen zu zittern, als ich eine Zigarette entzünde. „Ich kann dich weder freisprechen noch verurteilen, da ich, wie gesagt, keine genaueren Hintergründe kenne. Allerdings solltest du dir eines immer vor Augen halten. Die Entscheidung, zum Alkohol zu greifen, lag und liegt allein bei deinem Freund.“ Ich erinnere mich, dass Shinya mir vor einigen Jahren dasselbe sagte. „Es klingt vielleicht makaber, aber in gewisser Weise entschied er sich dadurch ebenso für dich. Ich kann nur mutmaßen, dass er die Trennung nicht wollte, weil er dich liebt. Eure Beziehung scheint nicht gerade einfach zu sein. Ihn kenne ich nicht, deine Probleme hingegen kenne ich. Zumindest teilweise. Um ehrlich zu sein, ist der Umgang mit dir nicht gerade einfach, besonders im Bezug auf deine Selbstzerstörung. Wahrscheinlich betäubte sich dein Freund mit dem Alkohol, weil er sich hilflos fühlte und dir nicht beim langsamen Sterben zusehen wollte. Aber diese Tatsachen wirst du bereits selbst erkannt haben. Bitte beantworte meine folgende Frage ehrlich. Wäre es dir lieber gewesen, wenn dein Freund nicht zum Alkohol gegriffen, dich aber dafür verlassen hätte? Vorgeheuchelte Selbstlosigkeit, indem du sagst, du willst nur, dass es ihm gut geht, kannst du dir sparen. Wäre das der Fall, hättest du ihn verlassen müssen. Aber du willst mit ihm zusammen sein, egal um welchen Preis. Hab ich recht?“ Einen Moment schweige ich, dann suche ich den Blickkontakt. „Ja“, antworte ich schließlich und nehme einen tiefen Zug von meiner Zigarette. „Um jeden Preis.“ „Er traf also eine Entscheidung, die auch in deinem Sinne war. Damit dürfte die Schuldfrage, zumindest zwischen euch beiden, irrelevant sein. Deine Gedanken müssten sich eigentlich darum drehen, wie du deinem Freund helfen kannst.“ „Er will mich derzeit nicht sehen.“ Fahrig drücke ich den Rest der Zigarette im Aschenbecher aus. „Du verstehst meine Aussage falsch. Mit Helfen meine ich nicht, dass du ihm die Flasche wegnehmen sollst, wenn er trinken will. Vielmehr solltest du die Gelegenheit der vorübergehenden Trennung nutzen, um deine eigenen Probleme in den Griff zu bekommen. Davon hast du, meiner Meinung nach, nämlich mehr als genug. Gleichzeitig entziehst du deinem Freund wahrscheinlich die Hauptursache für seine Abstürze, was ihm helfen könnte, nach erfolgreichem Entzug trocken zu bleiben. Wenn du jedoch nicht in der Lage bist, dir selbst zu helfen, kannst du ihm nicht helfen. Zudem zwingst du ihn auf emotionaler Ebene, sich um dich zu kümmern, woraufhin er sich selbst mit großer Wahrscheinlichkeit vernachlässigt und aufgrund von Überforderung, sowohl emotional als auch psychisch, zum Alkohol greift, um der Realität für den Moment zu entfliehen.“ „Möglicherweise stellt die Alkoholabhängigkeit eine Flucht vor mir dar, dann wäre es im Prinzip ebenfalls eine Trennung. Somit ist egal, wie die Entscheidung ausfällt. Das Ergebnis bleibt gleich. Ich verliere Tai.“ „Nicht, wenn es dir gelingt, dein selbstzerstörerisches Verhalten aufzugeben.“ Ich lächle verzerrt. „Das versuchte ich bereits mehrfach. Aber jedes Mal scheitere ich an mir selbst. Den Kampf gegen mich kann ich einfach nicht gewinnen.“ „Wenn du dich aufgibst, gibst du gleichzeitig deinen Freund auf. Yamato, über Jahre ausgeübte Verhaltensmuster kannst du nicht einfach ablegen und gegen andere austauschen. Vor allem wirst du es wahrscheinlich nicht allein schaffen. Das musst du auch nicht. Abgesehen von mir gibt es mit Sicherheit noch andere Menschen, denen du viel bedeutest und die immer für dich da sein werden. Eines jedoch ist unabdingbar. Ehrlichkeit. Du musst dir bewusst machen, dass dein Handeln immer Konsequenzen nach sich zieht. Im Idealfall wägst du vor deinem Handeln ab, welche Konsequenzen folgen könnten und ob diese für dich akzeptabel sind. In deinem Fall weiß ich, dass du aufgrund deiner... mmh... sagen wir Persönlichkeit, nicht immer in der Lage bist, diese eigentlich logische Reihenfolge einzuhalten. Das ist in Ordnung, wenn du, sobald du wieder klar denken kannst, deinen Mitmenschen dein Fehlverhalten beichtest. Sie brauchen die Chance, darauf reagieren zu können, und das Gefühl, dich nicht an etwas für sie Unbegreifliches und auch Ungreifbares zu verlieren. Zudem sind die Konsequenzen, die dir von ihnen aufgezeigt werden, wichtig für deinen Lernprozess. Dafür musst du dich ihnen allerdings stellen, egal wie schmerzhaft es ist, du musst jede einzelne Konsequenz ertragen, da du sie zuvor durch dein Handeln selbst provoziert hast. Läufst du weg, indem du dein Fehlverhalten verschweigst, weil du Angst vor den Konsequenzen hast, wirst du dem Kreislauf der Selbstzerstörung nicht entkommen und daran, meiner Meinung nach in absehbarer Zeit, zugrunde gehen.“ Ich zünde mir eine weitere Zigarette an. Schweigend versuche ich über die Worte meines Bandkollegen nachzudenken, was allerdings durch das GHB erschwert wird. Die Erkenntnisse sind zwar nicht neu, aber derartige Worte von einer eher außenstehenden Person zu hören, hat definitiv eine andere Wirkung auf mich. Einem Impuls folgend greife ich in meine Hosentasche, hole das kleine Fläschchen hervor und stelle es wortlos auf den Tisch. „Lass mich raten. Drogen?“, fragt mein Gegenüber ruhig und wenig überrascht. Ich nicke, wende meinen Blick aber von ihm ab. „Du hast sie konsumiert, bevor ich kam, oder?“ „Ich spüre die Wirkung, ja. Aber die Dosis war sehr gering.“ „Oh, nimm ruhig noch etwas, damit es sich lohnt. Ich schau dir gern dabei zu“, bekomme ich eine sarkastische Antwort. „Masao, ich konnte dem Gespräch folgen und bin mir dessen Ernsthaftigkeit durchaus bewusst“, versuche ich ihn zu besänftigen. „Trotzdem sollten wir es an dieser Stelle beenden. Ich hoffe, du bist im nüchternen Zustand noch in der Lage, meine Worte zu reflektieren.“ „Es tut mir leid“, bekunde ich aufrichtig. „Schon gut. Gehen wir zu den Anderen.“ Masao erhebt sich. „Yamato“, richtet er sich noch einmal an mich. „Schaffst du es, das Zeug zu entsorgen? Jetzt? In meinem Beisein?“ „Ich...“ Zögernd betrachte ich die Droge. „Genau das meine ich. Wolltest du wirklich etwas ändern, dürftest du nicht unentschlossen sein.“ Er verlässt den Raum. Ich schaue ihm nach, dann richte ich meinen Blick wieder auf das Fläschchen. Eigentlich sollte ich Schuldgefühle haben, doch diese Art von Empfindung wird momentan anscheinend durch das GHB unterdrückt. Die Euphorie spüre ich ebenfalls kaum, lediglich eine leicht stimmungsaufhellende Wirkung. Ich dosierte zu vorsichtig, weil ich verhindern wollte, dass mein Drogenkonsum bemerkt wird. Einen kräftigen Zug von meiner Zigarette nehmend, drücke ich sie anschließend im Aschenbecher an. Etwas unsicher greife ich nach dem Fläschchen, schraube es auf und tropfe eine geringe Menge des GHB auf meine Zunge. Danach lasse ich es wieder in meine Hosentasche gleiten. Das Gespräch mit Masao verursachte ein unterschwelliges, sehr unangenehmes Gefühl, welches ich im Moment einfach nur loswerden möchte. Ebenso wie die Gedanken an Taichi. Eine Weile bleibe ich reglos auf dem Stuhl sitzen und starre ins Nichts, bis ich eine leichte Verstärkung der Wirkung spüre, gerade so viel, dass ich mich gut fühle, mein Denken einer Art Leichtigkeit weicht, aber ohne einen rauschähnlichen Zustand zu erreichen. In dieser Stimmung dürfte ich die After-Show-Party überstehen. Zuversichtlich mache ich mich auf die Suche nach meinen Bandkollegen. Bereits von Weitem erkenne ich Itaru an seinem Kleidungsstil. Dieses Mal trägt er eine braune Hose mit Leopardenmuster, ein schwarzes Shirt, welches scheinbar nur von Sicherheitsnadeln zusammengehalten wird, sowie eine schwarze Lederjacke. Glücklicherweise verzichtete er für den Auftritt auf seinen bunten Animestil, da er sich sonst optisch zu sehr vom Rest der Band, die dunkle Kleidung bevorzugt, abgehoben hätte. Kozue, Naoki und Masao stehen bei ihm. Die vier befinden sich in einem regen Gespräch, lachen und trinken Alkohol. Ich steuere auf sie zu. „Hey.“ Reiji steht vor mir und grinst mich an. „Was machst du denn hier?“, frage ich überrascht. „Warst du beim Konzert?“ „Ja, ich wollte deinen Auftritt sehen. Seishiro begleitet mich.“ „Unser Chef? Seit wann nennst du ihn beim Vornamen?“ „Nur privat. Es ergab sich, als ich noch bei ihm wohnte und wir... na ja...“ Verlegen schaut er zu Boden. „So kenne ich dich gar nicht“, ziehe ich ihn auf. „Wenn es um ihn geht, bist du nicht mehr so locker wie sonst. Normalerweise würdest du eine solche Party nutzen, um dein Objekt der Begierde ins Bett zu bekommen.“ Lächelnd zwinkere ich ihm zu. „Und wenn du mein Objekt der Begierde bist?“ Ich trete dicht an meinen Gegenüber heran, streiche ihm liebevoll über die Wange. „Dann versuche es.“ Reijis Gesicht nimmt einen Ausdruck an, welchen ich nicht zu deuten vermag. „Yamato, begleitest du mich nach draußen?“ Ohne auf meine Antwort zu warten, ergreift er mein Handgelenk und zieht mich mit sich durch die Menge. Vor dem Gebäude presst er meinen Körper gegen die Hauswand und betrachtet mich eingehend. „Bist du gerade drauf?“ Ich lache. „Und wenn schon.“ „Was ist passiert?“ „Nichts“, meine ich unbekümmert. „Du gehörst nicht zu den Menschen, die Drogen konsumieren, um Spaß zu haben. Konzentriere dich bitte und sag mir den Grund für deinen neuerlichen Rückfall.“ „Mir ist etwas kalt“, flüstere ich. Reiji reagiert, indem er mich in den Arm nimmt. Gleichmütig schmiege ich mich an ihn. „Taichi. Ich werde akzeptieren, dass er die Beziehung zu mir aufgeben möchte“, erkläre ich ruhig, als würde es nicht mich betreffen. „In diesem Fall muss ich mich nicht mehr zurückhalten, oder?“ Reiji küsst mich, was ich ohne Gegenwehr geschehen lasse. „Offenbar meinst du es wirklich ernst“, stellt er überrascht fest, seine Lippen dicht an meinem Ohr. „Hier in der Nähe gibt es ein Stundenhotel, da könnte ich dich etwas ablenken und verwöhnen.“ „Herr Sakai“, wende ich schwach ein. „Seishiro kennt mich. Er wird vermuten, dass ich mich für eine Weile mit einem Typen vergnüge.“ „Willst du ihn mit deinem Verhalten provozieren?“ Reiji seufzt. „Es wäre schön, wenn das funktionieren würde, aber Seishiro ist viel zu schuldbewusst, um sich ernsthaft mit mir einzulassen. Trösten wir uns gegenseitig?“ „Einverstanden“, flüstere ich. Liebevoll legt mein Arbeitskollege seinen Arm um meine Taille und führt mich zu dem Hotel. In der Empfangshalle warte ich mit gesenktem Kopf, interessiert dem Musterverlauf des Teppichs folgend, bis Reiji die Bezahlung abgewickelt hat. Anschließend gehen wir auf das Zimmer. Von meiner Umgebung nehme ich kaum etwas wahr. Nachdem Reiji hinter uns die Tür verschlossen hat, drängt er mich behutsam auf das Bett, küsst mich erneut und gleitet mit seiner Hand unter mein Hemd. „Lass mich erst duschen“, sage ich leise, mit leicht zitternder Stimme. „Ich bin noch ganz verschwitzt vom Auftritt.“ „Das stört mich nicht. Außerdem werden wir ohnehin gleich wieder ins Schwitzen kommen.“ Ich lächle, doch obwohl ich durch das GHB kaum klar denken kann, spüre ich, dass ich mich irgendwie verloren fühle. Vorsichtig, als wäre ich etwas Wertvolles, dass leicht zerbrechen könnte, entkleidet Reiji meinen Körper, dann entledigt er sich seiner eigenen Kleidung. Sanft streicht er über einige Narben auf meinem Brustkorb, meinen Arm hinab, über den Verband. Er sagt nichts und seine Augen drücken lediglich Zuneigung aus. Einem Impuls folgend ziehe ich meine Arbeitskollegen zu mir hinab und verwickle ihn in einen leidenschaftlichen Kuss. Leicht drückt er meine Beine auseinander, woraufhin ich mein linkes Bein anwinkle. Mein Körper bebt leicht vor Erregung und ich schließe meine Augen. Doch als ich seine Finger spüre, die er in mich einführen möchte, gebiete ich Reiji Einhalt, indem ich seine Hand zurückziehe. „Ich kann nicht mit dir schlafen.“ Ausweichend drehe ich meinen Kopf zur Seite. Ohne es zu wollen oder wirklich zu fühlen, laufen Tränen mein Gesicht hinab. Liebevoll küsst mein Gegenüber diese von meiner Haut. „Ich weiß. Du könntest Taichi nie aufgeben, das habe selbst ich inzwischen begriffen. Aber du scheinst noch immer unsicher zu sein, sonst hätte ich nicht so weit gehen können. Allerdings solltest du dir bewusst machen, dass andere Männer an diesem Punkt nicht unbedingt aufhören würden. Ich hasse die Vorstellung, du könntest noch einmal von jemandem gegen deinen Willen zum Sex gezwungen werden. Dabei bin ich mir sicher, dass du mit keinem, außer Taichi, wirklich freiwillig schläfst. Du lässt es über dich ergehen, weil du nicht weißt, wie du mit verschiedenen Problemen anders umgehen sollst. Selbsthass, Angst, vielleicht auch Trotz... ich kann nur Vermutungen anstellen. Aber glaube mir, dass es deiner Beziehung zu Taichi definitiv nicht zuträglich ist. Ich kann ihn nicht leiden, aber er bedeutet dir alles und ich will, dass es dir gut geht.“ Reiji streicht sanft über meine Wange. „Versteh mich bitte nicht falsch, ich würde mich nicht einmischen, wenn ich wüsste, dass du Spaß am Sex mit Anderen hättest. Ginge es um einfaches Fremdgehen, wäre dein Handeln lediglich eine Frage der Moral. Deine Motive sind aber selbstzerstörerischer Natur. Zwischen uns wäre es nicht anders, du verletzt dich an mir. In diesem Fall würdest du für die Auslebung deines Selbsthasses zusätzlich Taichi und mir sehr wehtun. Ziemlich egoistisch, findest du nicht?“ „Warum?“ Ich schaue meinen Arbeitskollegen an. „Das muss ich dir jetzt nicht wirklich erklären. Die Drogen vernebeln deinen Verstand ein wenig, oder?“ „Kann sein. Dennoch habe ich verstanden, was du mir sagen möchtest“, versichere ich Reiji ebenso wie ich es Masao vorhin versicherte. „Aber... die Beziehung zu Taichi... ich denke, ich habe ihn verloren.“ „Klingt, als würdest du mutmaßen. Hat er dir direkt gesagt, dass er sich von dir trennen möchte?“ „Das nicht, aber...“ „Sprich mit ihm und gib nicht schon vorher auf. Und vor allem flüchte dich nicht in die Arme anderer Männer, denn so vergrößerst du nur die Wahrscheinlichkeit, dass er tatsächlich die Beziehung zu dir aufgibt. Und somit auch dich.“ „Was ist mit dir? Warum kämpfst du nicht um Herr Sakai? Stattdessen gehst du auch mit anderen ins Bett. Zwar behauptest du, Spaß dabei zu haben, aber ist es nicht auch eine Art Flucht? Vor Ablehnung, aus Einsamkeit oder weil du vielleicht doch hoffst, ihn eifersüchtig machen zu können?“ Ein trauriges Lächeln legt sich auf die Lippen meines Gegenübers. „Yamato, es geht gerade nicht um mich. Letztlich willst du nur von dir ablenken, aber es interessiert dich nicht wirklich.“ „Das stimmt nicht“, protestiere ich. „Immerhin bist du... ein sehr wichtiger... Freund für mich.“ „Ich glaube, es ist das erste Mal, dass du mich als solchen bezeichnest. Erkennst du derartige Gefühle inzwischen?“ „Zumindest ist es ein besonderes Gefühl der Zuneigung und ich brauche dich.“ „Verstehe.“ Reiji zieht mich in eine innige Umarmung. „Ich erzähle dir bei Gelegenheit von Seishiro und mir, wenn du möchtest.“ „Ja. Es wäre wirklich schön, wenn Herr Sakai über seinen Schatten springen könnte. Er liebt dich, Reiji, aber das weißt du selbst, oder?“ „Ich wünsche es mir zumindest. Wir sollten auch langsam zurückgehen. Vermutlich wirst du bereits vermisst.“ Er löst sich von mir und hüllt meinen nackten Körper in die Decke. „Dir ist kalt, nicht wahr? Nimm noch eine heiße Dusche, bevor wir uns auf den Weg machen.“ „Hm... ich habe noch eine Bitte an dich, das heißt, ich benötige deine Hilfe, da ich momentan allein noch nicht stark genug bin.“ „Worum geht es?“, fragt mein Gegenüber vorsichtig. „Ich möchte endgültig von den Drogen loskommen. In meiner Hosentasche befindet sich ein Fläschchen GHB. Das ist alles, was ich an derartigen Substanzen noch besitze.“ Sofort geht mein Arbeitskollege zu dem besagten Kleidungsstück und holt das GHB hervor. Mit ernstem Blick drückt er es mir in die Hand. „Diese Aktion ist nur sinnvoll, wenn du es selbst machst.“ Masao wollte mir diese Tatsache auf ähnliche Weise vermitteln. Vorhin war ich nicht in der Lage, diesen Schritt zu tun. Fest entschlossen erhebe ich mich, streife mein Hemd über und gehe ins Bad. Reiji folgt mir. Vor der Toilette bleibe ich stehen und schraube die Flasche auf. Mein Arbeitskollege lehnt sich schweigend gegen das Waschbecken und beobachtet, wie ich die Droge langsam und mit zitternder Hand wegschütte. „Gut. Ich bin stolz auf dich“, haucht er in mein Ohr, während er mich von hinten mit seinen Armen umfängt. „Stolz“, wiederhole ich nachdenklich. „Zu Hause hast du wirklich keine Drogen mehr?“, hakt Reiji nach. „Nein.“ „Hast du anderweitig leicht Zugang zu Drogen?“ Ich muss an Katsuro denken. „Leicht nicht gerade.“ „Okay, ich vertraue dir. Solltest du das Verlangen haben, dir irgendwelche Substanzen neu zu beschaffen, kommst du vorher zu mir. Egal ob es Tag oder Nacht ist.“ Ich nicke. „Versprich es.“ „Ich verspreche es.“ Reiji dreht mich zu sich und gibt mir einen Kuss auf die Wange. Dann mustert er mich. „Irgendwie ist es schon schade, dass ich nie deinen verschwitzten, vor Leidenschaft bebenden Körper unter mir spüren werde. Auch hätte ich gern dein nach mehr verlangendes Gesicht gesehen, während ich dich liebevoll verwöhne. Schon allein die Vorstellung erregt mich.“ „Wird das jetzt Dirty Talk?“ Mein Gegenüber grinst. „Lass mir doch wenigstens dieses Vergnügen“, scherzt er mit einem Zwinkern. Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen, welches jedoch sofort wieder Ernsthaftigkeit weicht. „Um ehrlich zu sein, würde ich gern mit dir schlafen. Nicht um mich an dir zu verletzen, sondern weil ich dich sexuell anziehend finde und weil ich dich sehr lieb habe. Letzteres war jedoch bisher immer der Grund, weshalb ich mich nicht auf dich einlassen konnte, weil ich mich bis zu einem gewissen Punkt tatsächlich nur an dir verletzt hätte und genau das nicht wollte. Und jetzt will ich für Taichi nicht mehr mit anderen Männern ins Bett gehen.“ „Ich möchte keine Rechtfertigungen oder Entschuldigungen von dir hören. Es ist gut, so wie es ist. Ich hoffe nur, dass du durchhältst. Auch die Drogen betreffend“, meint mein Arbeitskollege hörbar besorgt. Zärtlich streicht er mir eine Haarsträhne hinter das Ohr. „Tust du mir noch eine Gefallen?“, frage ich, einem spontanen Einfall folgend. „Schneidest du mir die Haare?“ „Was?“ Irritiert schaut Reiji mich an. „Naja, es soll mich an dieses Gespräch mit dir erinnern. Meine Vorhaben und Versprechen.“ „Du bist ja wie ein Mädchen“, zieht er mich lachend auf. Vorgeblich schmollend drehe ich meinen Kopf von ihm weg. „Na und.“ „Willst du das nicht lieber entscheiden, wenn du ganz nüchtern bist?“ „Ich bin klar genug im Kopf. Wenn du es nicht machst, mache ich es selbst.“ „Schon gut.“ Beschwichtigend hebt mein Gegenüber die Hände. „Ich tue es, wer weiß, wie du sonst aussehen würdest.“ Dann beginnt er plötzlich zu lachen. „Wenn ich an der Rezeption nach einer Schere frage, denken die, wir machen hier irgendwelche perversen Sexspiele.“ Nun muss auch ich lachen. „Du bist süß“, äußert Reiji unvermittelt. „Ich hoffe, ich sehe dieses Lachen in Zukunft häufiger.“ „Idiot. Hol die Schere“, entgegne ich verlegen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)