Ein einfaches Ende von GotoAyumu (Yamato Ishida x Taichi Yagami) ================================================================================ Kapitel 12: ------------ „Das meinst du nicht ernst, Yamato!“ „Doch“, bestätige ich meine vorherige Aussage noch einmal, ohne meine Arbeit, die Tische mit einem nassen Lappen abzuwischen, zu unterbrechen. „Warum so plötzlich?“ Ich halte inne und schaue Reiji an. „Akzeptiere es einfach, okay? Ich bin dir keinerlei Rechenschaft schuldig“, entgegne ich schroff und widme mich wieder meiner Arbeit. Entschlossen tritt Reiji an mich heran, packt mich an den Schultern und dreht mich zu sich. „Lass mich los“, reagiere ich mit drohendem Tonfall. „Nein. Es ist nicht deine Entscheidung, hab ich recht? Dein Freund verlangt das von dir.“ Wütend funkle ich meinen Arbeitskollegen an. „Kümmere dich um deine Angelegenheiten.“ Ich wende meinen Blick von ihm ab, versuche aber nicht, ihn von mir zu stoßen. „Ich kümmere mich gerade um meine Angelegenheiten. Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du mir wichtig bist und ich will, dass es dir gut geht?“ „Es geht mir gut“, versichere ich tonlos. „Du bist ein schlechter Lügner, Yamato“, meint mein Gegenüber ebenso liebevoll wie beunruhigt. „Wenn der Chef aus dem Urlaub zurück ist, teile ich ihm meine Kündigung mit“, übergehe ich Reijis Aussage in einer Weise, welche die Endgültigkeit meiner Entscheidung verdeutlicht. Dessen Griff an meinen Schultern verstärkt sich. „Hast du dich schon immer so sehr von ihm kontrollieren lassen? Bisher beschränkte ich mich darauf, dir meine Meinung über diesen Typen mitzuteilen und an deine Vernunft zu appellieren. Ab jetzt werde ich nicht mehr zusehen, wie du an der Beziehung und vor allem an ihm zerbrichst.“ „Dann schau weg“, antworte ich unberührt kühl. „Yamato, ich hasse es, wenn du so gleichgültig bist, insbesondere dir selbst gegenüber.“ Warum Reiji so verzweifelt klingt, verstehe ich nicht und vermeide es weiterhin, ihn anzusehen. „Würdest du mich bitte loslassen?“, frage ich leise, zurückhaltend. Statt darauf einzugehen, nimmt er mich behutsam in den Arm. Mein Körper verkrampft. „Wieso darf dein sogenannter Freund fast schon uneingeschränkte Macht über dich ausüben?“, flüstert Reiji verärgert und traurig zugleich. „Ich liebe ihn.“ „Ich weiß.“ Seufzend streicht er durch meine Haare. Dann löst er sich etwas, ohne mich ganz freizugeben, dreht meinen Kopf zu sich und betrachtet mein Gesicht. „Aber irgendwann wird es eskalieren und das möchte ich verhindern. Merkst du nicht selbst, wie nah du bereits am Abgrund stehst?“ Sanft küsst er eine Träne von meiner Wange. „Ich beschütze dich“, haucht er, dann küsst er meine Lippen. Ich weise ihn nicht zurück, lasse mich sogar, zunächst verhalten, schnell aber fordernder auf ihn ein. Der Kuss schmeckt salzig. Und nicht nach Taichi. Ebenso ist das Gefühl anders. Reiji küsst weniger leidenschaftlich als Tai, dafür wesentlich liebevoller. Es dauert lange, bis wir uns schwer atmend voneinander lösen. „Du zitterst“, bemerkt mein Gegenüber, wobei er über meine, noch immer von Tränen benetzten, Wangen streicht. „Setz dich kurz hin, überlass mir die restlichen Tische.“ Mit sanfter Gewalt drückt er mich auf eines der Sofas, anschließend fährt er mit meiner Arbeit fort. Ich schaue bewegungslos zu, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Eigentlich hätte ich mich gegen die Zärtlichkeiten meines Arbeitskollegen wehren müssen. Ich tat es nicht. Ich kann und will ihm nicht wehtun. Und letztlich handelt es sich lediglich um einen Kuss, oder? „Du bist abwesend“, stellt Reiji mit besorgter Miene fest und nimmt neben mir auf dem Sofa Platz. „So labil, wie du momentan bist, möchte ich nicht, dass du nach Hause, zu ihm, gehst.“ Unerwartet beugt er sich zu mir herüber und küsst mich erneut. Bestimmt, aber dennoch behutsam drängt er mich auf dem Sofa in eine liegende Position. Sofort drehe ich meinen Kopf zur Seite. „Geh bitte von mir runter.“ „Bleib heute Nacht bei mir“, fordert Reiji ernst. „Das ist keine Bitte“, fügt er unmissverständlich an. Laut beginne ich zu lachen. „Verstehe. Du willst mich auch nur ficken“, werfe ich ihm in bitterem Tonfall vor. „Ich fasse dich nicht an, wenn du es nicht möchtest. Nie werde ich etwas gegen deinen Willen tun, dich zu etwas zwingen... auf das Sexuelle bezogen. Momentan allerdings handelst nicht einmal du selbst nach deinem Willen.“ „Wenn es nicht um Sex geht, worum geht es dann?“, frage ich irritiert. „Ich habe Angst um dich. Viel zu lange sah ich zu, wie dieser Idiot seine Macht über dich austestet.“ „Ursprünglich wolltest du mich aber nur ins Bett bekommen. Wieso hast du mit der Zeit diesen Beschützerinstinkt entwickelt? Was empfindest du inzwischen für mich?“ Seine braunen Augen, die Tais ähnlich sind und doch oft einen anderen Ausdruck haben, mustern mich, meine Haare, mein Gesicht, meine Augen. Ich spüre, dass unsere Position ihn erregt, ebenso wie mich. „Du bedeutest mir sehr viel. Mehr als die meisten anderen Menschen in meinem Leben. Zwar besteht nach wie vor eine starke körperliche Anziehung, auf die ich dich anfangs reduzierte, aber mittlerweile empfinde ich wesentlich mehr für dich. Ich bin an dir als Person interessiert.“ Reiji lächelt leicht. „Bitte versteh mich nicht falsch, ich will nach wie vor keine Beziehung und ich liebe dich auch nicht.“ Er lässt von mir ab und setzt sich wieder aufrecht neben mich. Da mein Kopf schmerzhaft pulsiert, bleibe ich liegen, behalte meinen Arbeitskollegen jedoch im Auge. „Sex und Liebe sind einfach zu trennen und auch den Unterschied lernte ich mit der Zeit. Das Dazwischen werde ich wohl nie begreifen.“ „Bedeute ich dir etwas?“, will Reiji zu meiner Verwunderung wissen. Fragend ruht mein Blick auf ihm. „Wie meinst du das?“ „Wäre es dir egal, wenn ich aus deinem Leben verschwinden würde?“ „Nein“, antworte ich, ohne überlegen zu müssen. „Warum nicht? Wir haben weder eine Liebesbeziehung noch eine sexuelle. Letztere lehne nicht ich, sondern du ab. Müsstest du mich nach deiner Theorie nicht gänzlich ablehnen? Ich bin dein Arbeitskollege, somit also zwangsläufig gelegentlich in deiner Nähe. Aber darüber hinaus müsste ich dir egal sein. Fällt dir nicht auf, dass ich nicht in deine Kategorisierung passe?“ „Ich weiß nicht, was für ein Verhältnis wir zueinander haben“, entgegne ich nach einem Moment des Schweigens ehrlich. „Das Dazwischen. Freundschaft. Du empfindest es, benennst es nur nicht, weil du Grautöne nicht besonders gut erkennen kannst. Vermutlich lehnst du mich deshalb genauso oft ab, wie du mich gewähren lässt. Für dich existieren meist nur Schwarz und Weiß. Extreme. Das Grau mit seiner Vielfältigkeit überfordert dich. So wie ich.“ „Wird das eine Therapiestunde?“, reagiere ich bissiger als beabsichtigt. „Entschuldige, so sollte es nicht wirken.“ Er streicht eine Haarsträhne hinter mein Ohr. „Ich mache noch schnell die Abrechung, dann gehen wir zu mir. Es ist fast vier Uhr. Du bist sicher müde. Allerdings müssen wir unterwegs noch im Konbini ein paar Kleinigkeiten kaufen. Mein Kühlschrank ist nahezu leer.“ Reiji zwinkert mir zu, dann steht er auf. Ich greife nach seinem Arm, hindere ihn am Gehen. „Tut mir leid, aber ich möchte zu Taichi.“ Verständnislos schüttelt mein Arbeitskollege den Kopf. „Damit er weiter seine Machtspielchen mit dir treiben kann, dich womöglich in den Tod treibt? Verdammt, Yamato, hör auf so selbstzerstörerisch zu sein!“, schreit er mich an. Derart aufgebracht habe ich Reiji noch nie gesehen. „Erlaube dir kein Urteil, wenn du keine Ahnung hast! Es ist meine eigene Entscheidung, diesen Job aufzugeben. Außerdem machst du gerade nichts anderes als mir deinen Willen aufzuzwingen, also genau das, wovor du mich beschützen willst und was du an Tai kritisierst.“ Die Wut in Reijis Augen verschwindet und weicht einem schmerzlichen Ausdruck. „Du hast recht.“ Vorsichtig zieht er mich an sich, umfängt mich mit seinen Armen. Eine Reaktion, die sich ungewohnt anfühlt. Keine Eskalation, keine Gewalt. Im Allgemeinen bin ich bei Taichi emotionaler, empfinde andere widersprüchliche Gefühle, provoziere mehr und Tai kennt im Gegensatz zu Reiji weder Reue noch Einsicht. „Vielleicht beurteile ich deinen Freund falsch“, räumt mein Gegenüber unerwartet ein. Ich schaue ihn irritiert an, woraufhin er mir ein verzerrtes, fast schon verzweifeltes Lächeln schenkt. „Er muss mehr als ein kontrollsüchtiger Dummkopf sein, wenn du ihn so hingebungsvoll liebst.“ Führsorglich berührt er mein Kinn. „Bitte pass auf dich auf.“ Erneut küsst er mich. Wieder lasse ich ihn gewähren, wieder gebe ich mich ihm hin. Als der Kuss an Dynamik gewinnt, zieht Reiji mein Hemd aus der Hose und gleitet mit seinen Fingern darunter. Verlangend streichelt er über meine Haut. Erregung und Hitze erfassen mich, steigern meinen Wunsch, mit ihm zu schlafen. Ein Wunsch, gegen den ich schon in der Vergangenheit oft ankämpfen musste. Fremde Menschen, die mich anwidern, ficken mich uneingeschränkt. Reiji, den ich anziehend finde, weise ich ab. Meines Erachtens logisch. Bisher. Warum bringen mich Reijis Worte derart durcheinander? Oder versucht er mich auf diese Weise ins Bett zu bekommen? Indem er mich verunsichert? Andererseits empfinde ich für Shinya ähnlich wie für Reiji. Nur lernte ich ihn als Freier kennen, wir hatten Sex, lange bevor er mir etwas bedeutete. Ich merke, dass mein Arbeitskollege meine Hose öffnet, und gebiete ihm Einhalt, indem ich meine Hand auf seinen Arm lege. „Nicht“, flüstere ich heiser. „Nicht hier oder überhaupt nicht?“ Ich schließe meine Augen und atme tief durch. „Überhaupt nicht.“ „Du bist extrem erregt.“ Reiji greift zwischen meine Beine. Ein leises Stöhnen entweicht meiner Kehle. „So hart, wie du bist, willst du jetzt aufhören?“ „Ich mache es mir selbst“, antworte ich mit Mühe. „Darf ich dir einen blasen? Immerhin bin ich schuld an deinem Zustand.“ „Wenn, dann müsste eher ich dich oral befriedigen. Immerhin verschaffe ich dir auf anderem Weg keine Erleichterung.“ Es ist lange her, dass ich verlegen war und so etwas wie Scham empfand. Ich fühle mich wie ein kleiner Junge, der noch keinerlei sexuelle Erfahrungen gesammelt hat und nun zum ersten Mal damit konfrontiert wird. Eine Frage drängt sich mir auf. Warum sollte ich Reiji nicht wenigstens dieses eine Mal nachgeben und mit ihm schlafen? Immerhin wird er bald aus meinem Leben verschwinden. Mit einer Zigarette in der Hand sitze ich im Wohnzimmer auf dem Boden. Die Balkontür ist trotz der kalten Außentemperaturen weit geöffnet. Eigentlich trafen Tai und ich beim Einzug die Abmachung, dass nur in der Küche geraucht wird, so verlangte es auch mein Vater, als ich noch zu Hause wohnte. Obwohl selbst er von Zeit zu Zeit seine eigene Regel brach. Meist, wenn er meinetwegen aufgewühlt und besorgt war. Ich empfinde es ebenfalls als angenehmer und beruhigender, nicht an einen Ort gebunden zu sein. Aufgrund der vorherrschenden Kälte zittere ich, sehe jedoch davon ab, etwas Wärmendes überzuziehen. In den letzten Tagen sind die Missempfindungen, die ich früher häufiger hatte, wieder schlimmer geworden. Kleidung auf der Haut zu spüren ist in solchen Phasen nahezu unerträglich, weshalb ich nur das Nötigste anziehe, Shorts und ein großes, nicht auf der Haut anliegendes Shirt. Zum wiederholten Mal führe ich die Zigarette an meine bebenden Lippen. Langsam auszukühlen fühlt sich für mich im Augenblick sogar angenehm an. Gedankenversunken richte ich meinen Blick aus dem Fenster. Der Himmel ist wolkenverhangen und es riecht nach Regen. Ich schließe meine Augen, während ich den Rauch in die Luft entweichen lasse. Der Geschmack von Tabak erinnert mich an Reiji. Besonders, wenn Reiji mich küsst und ich selbst nicht geraucht habe. Hätte ich ihn nicht als Arbeitskollegen kennen gelernt, sondern, wie Shinya, auf der Straße in einem der gewissen Stadtviertel, hätte ich mich wahrscheinlich auf ihn eingelassen. Es ist selten, dass ich Sex mit Freiern in meinem Alter habe, aber Reiji übt eine starke sexuelle Anziehung auf mich aus, derer ich mich nur schwer erwehren kann. Dabei entspricht er nicht der Art von Freiern, die ich normalerweise suche. Nie würde Reiji mich erniedrigen, perverse Praktiken von mir verlangen und einen Ständer bekommen, während er diverse Gegenstände in mich einführt. Zudem hätte ich tatsächlich das Gefühl, Taichi zu betrügen, wenn ich mit Reiji schlafen würde. Nach unserer letzten gemeinsamen Schicht wollte ich ihm allerdings nachgeben. Seine Berührungen erregten mich viel zu sehr, ich sehnte mich danach, ihn in mir zu spüren. Am Ende wies ich Reiji ein weiteres Mal zurück. Wir hatten weder Sex noch geschahen sonstige sexuelle Handlungen zwischen uns. Unerwartet respektierte er meinen Willen, lächelte sogar, als er mir versicherte, dass es für ihn in Ordnung sei. Dann verwickelte er mich in einen letzten, intensiven Zungenkuss. Weil ich nicht bei ihm übernachten wollte, um diese Zeit aber noch keine Bahn fuhr, bot er mir an, da er in der Nähe des Koki wohnt, mich mit dem Auto nach Hause zu fahren. Ich lehnte ab und rief stattdessen Taichi an, damit er mich abholt. Nur mit Mühe gelang es mir, Reiji davon abzuhalten, die Gelegenheit zu nutzen, um meinem Freund gegenüberzutreten. Im Auto reagierte Taichi, wie ich es erwartete. Er fragte mich lediglich, ob ich es mir von Reiji ordentlich habe besorgen lassen, mehr Beachtung brachte er mir nicht entgegen. Bis jetzt blieb sein Verhalten distanziert. Gern würde ich den Sachverhalt aufklären, Tai einfach nur umarmen, aber er wird mir nicht glauben. Wie immer. Ich nehme einen weiteren, tiefen Zug von der Zigarette. Mein Hals und meine Lungen schmerzen bereits, die Schachtel ist inzwischen fast leer, trotzdem ist mein Verlangen nach GHB oder Heroin unverändert. Dabei weiß ich, dass Nikotin als Substitut zu schwach ist, viel zu oft versuchte ich es. Vergebens. Kokain konsumiere ich zwar noch nicht lange, verspüre aber bereits nach dieser kurzen Zeit leichte Entzugserschienungen, die ich jedoch glaube aushalten zu können. Das Ertönen der Türklingel beendet meine Gedanken abrupt. Flüchtig drücke ich die Zigarette im Aschenbecher, der neben mir steht, aus, erhebe mich und gehe zur Tür. „Masao, komm rein.“ Es dauert einen Moment, bis er reagiert. Seine Blicke haften an meinem Körper. „Ich weiß, dass du dich selbst verletzt. Aber das Resultat neutral zu betrachten, ist nicht unbedingt einfach“, gibt er ernüchtert zu. Ich sage nichts. Nachdem mein Bandkollege sich seiner Jacke und Schuhe entledigte, folgt er mir ins Wohnzimmer. „Setz dich“, fordere ich ihn freundlich auf. „Möchtest du etwas trinken?“ „Dein Anruf mit der Bitte, zu dir zu kommen, überraschte mich. Ich nahm an, dass du Fremden keinen Zugang zu deiner Wohnung und somit in dein Privatleben gewährst.“ „Du bist kein Fremder. Kaffee?“ „Ja. Danke.“ Ich gehe in die Küche, um das koffeinhaltige Getränk zuzubereiten, und kehre mit zwei gefüllten Tassen zurück. Masao schiebt meine Notenblätter und Notizen beiseite, damit ich die Gefäße auf dem kleinen Tisch abstellen kann. Anschließend setze ich mich wieder an die Balkontür und entzünde eine Zigarette. Nachdenklich schaue ich nach draußen. „Was ist los, Yamato?“, höre ich meinen Bandkollegen fragen. „Du siehst krank aus. Ist das der Grund für dein Fehlen bei der letzten Probe? Es wäre schön, wenn du in diesem Fall einen von uns informierst.“ Er atmet hörbar aus. „Wir machen uns Sorgen um dich.“ „Bezüglich der Band wollte ich mit dir sprechen.“ „Sollten Kozue und Naoki dann nicht auch anwesend sein?“ „Vielleicht, aber das Zwiegespräch mit dir fällt mir schon schwer genug.“ Ich bringe es nicht fertig, ihn anzusehen. „Du willst aussteigen“, mutmaßt Masao unerwartet. „Ja.“ „Warum?“ Fahrig ziehe ich an der Zigarette. „Die Musik ist mir einfach nicht mehr wichtig.“ „Yamato, deine Gitarre steht hier und auf dem Tisch sehe ich Arbeitsmaterialien, die darauf hindeuten, dass du an einem neuen Song schreibst. Lass dir bitte eine glaubwürdigere Begründung einfallen, wenn du meinst, mich anlügen zu müssen.“ Eine unangenehme Stille entsteht zwischen uns. „Weißt du, ob Akitos Mutter noch in Odaiba wohnt?“, breche ich nach einer Weile das Schweigen. „Ich möchte mich noch einmal mit ihr über Akito unterhalten.“ „Und vom eigentlichen Thema ablenken“, bemerkt mein Bandkollege tadelnd. „Vor einigen Jahren wollte ich aus demselben Grund Kontakt zu ihr aufnehmen. Nach Akitos Tod war sie lange Zeit in der Psychiatrie. Als sie entlassen wurde, nahm sie sich das Leben. Auf die gleiche Art wie ihr Sohn, sie schnitt sich die Pulsadern auf.“ „Verstehe.“ Schwermütig betrachte ich die glimmende Zigarette zwischen meinen Fingern, beobachte den kreiselnd aufsteigenden Rauch. „Du vermisst ihn, oder?“, fragt mein Bandkollege einfühlsam. Ich nicke lediglich, unfähig meine Gefühle in Wort zu fassen. Erneut schweigen wir. „Als ich erfuhr, dass du auf derselben Universität bist wie ich, wollte ich dich unbedingt kennen lernen. Mich interessierte der Mensch, in den Akito sich verlieben konnte. Von ihm wusste ich, dass du Sänger der Band ‚Teen-Age Wolves’ warst und Musik dir sehr wichtig ist. Akito mochte deine Stimme und deinen Gesang sehr. Auch aus diesem Grund sprach ich dich an. Zu der Zeit waren ‚Sannin’ im Begriff sich aufzulösen, es mangelte sowohl an Motivation als auch an Inspiration. Ich hoffte, dass du im Laufe der Zeit nicht Mitglied einer anderen Band geworden bist, denn in meiner Vorstellung, die allerdings lediglich auf Akitos Beschreibung beruhte, passtest du musikalisch wie charakterlich sehr gut zu uns.“ „Allmählich begreife ich die Zusammenhänge.“ Beiläufig nehme ich einen tiefen Zug von der fast abgebrannten Zigarette, dann drücke ich sie im Aschenbecher aus und entzünde eine weitere Zigarette. „Darf ich den Liedtext lesen, an dem du gerade arbeitest?“ „Meinetwegen. Der Song ist jedoch weder fertig noch gut.“ Mein Bandkollege nimmt zielgerichtet eines der Blätter in die Hand und konzentriert sich auf das Geschriebene. Derweil richte ich meinen Blick nach draußen. Erste Regentropfen fallen zu Boden, gleich darauf setzt starker Regen ein, der binnen kurzer Zeit in Rinnsalen über den Asphalt läuft. Kalt spüre ich den Wind auf meiner inzwischen feucht benetzten Haut. „Yamato, bist du mit der Melodie so weit, dass du mir das Lied vorsingen kannst?“, fragt Masao unvermittelt. „Ja. Aber warum?“, will ich verwundert wissen. „Damit ich einen Gesamteindruck bekomme.“ „Den brauchst du nicht. Das Ganze landet ohnehin im Müll.“ „Trotzdem. Bitte.“ Ich drücke die Zigarette im Aschenbecher aus und setze mich mit der Gitarre neben meinen Bandkollegen auf das Sofa. Leichte Nervosität stellt sich ein, als ich die ersten Saiten anschlage. Wie könnte ich dich spüren, wenn du kalt bist wie Stein Du brachtest mich auf meine Knie Ich spiele dein Spiel, denn es ist alles, was ich habe Und verstecke mich in Träumen Ich denke, es ist Zeit Ich werde die Ketten zerbrechen Ich werde davonfliegen und lasse das 'Happy End' zurück Schon gut Lass uns verloren gehen Denn ich musste lernen zu sehen Dass es 'Happy Endings' hier für mich nicht gibt Ich möchte dich verlassen, aber ich kann den Weg nicht finden Den Weg aus deinen Worten Ich glaube noch immer an alles, was du sagst Hänge an deinen Lippen, bis es schmerzt Ich denke, es ist Zeit Ich werde die Ketten zerbrechen Ich werde davonfliegen und lasse das 'Happy End' zurück Schon gut Lass uns verloren gehen Denn ich musste lernen zu sehen Dass es 'Happy Endings' hier für mich nicht gibt Ich fühlte dich Ich verehrte dich Ich glaubte dir Ich folgte dir (Ich fühlte dich) Jetzt ist es Zeit für mich, zu gehen (Ich verehrte dich) Ich hoffe, ich werde meinen Weg nach Hause finden (Ich glaubte dir) Und ich frage mich, ob dort etwas ist (Ich fühlte dich) Jetzt ist es Zeit für mich, zu gehen Ich hoffe, ich werde ein neues Zuhause finden Ich denke, es ist Zeit Ich werde die Ketten zerbrechen Ich werde davonfliegen und lasse das 'Happy End' zurück Schon gut Lass uns verloren gehen Denn ich musste lernen zu sehen Dass es 'Happy Endings' hier für mich nicht gibt Für mich, für mich Dass es 'Happy Endings' hier für mich nicht gibt Für mich Dass es 'Happy Endings' hier für mich nicht gibt „Deine Stimme war sehr unbeständig“, bemerkt Masao, als ich die Gitarre wieder beiseite stelle. „Darf ich dich etwas Persönliches fragen?“ „Ja“, antworte ich zögerlich, dabei verhake ich meine Finger ineinander, um sie halbwegs ruhig zu halten. Das Singen fiel mir unerwartet schwer. Zittrig stehe ich auf und setze mich auf meinen vorherigen Platz an der Balkontür. Vielleicht löst Nikotin meine Anspannung ein wenig. „Falls der Text autobiografische Züge besitzt, scheint es zwischen deinem Freund und dir ziemliche Probleme zu geben. Hat er etwas mit deinem Vorhaben, die Musik aufzugeben, zu tun?“ „Nein, hat er nicht.“ Erschreckt drehe ich mich zur Tür. Taichi lehnt am Türrahmen, seine Augen sind mit ernstem Ausdruck auf mich gerichtet. „Tai, seit wann...“ „Ich kam während deiner musikalischen Vorführung. Vermutlich hast du mich deshalb nicht gehört.“ Er betritt das Wohnzimmer und geht zielgerichtet auf meinen Bandkollegen zu. „Hallo, ich bin Taichi Yagami. Yamatos Freund“, stellt er sich unerwartet höflich und direkt vor. „Das dachte ich mir. Ich sehe dich oft bei unseren Konzerten und deine Aufmerksamkeit gilt fast ausschließlich unserem Sänger.“ Masao lächelt. „Ich bin Masao Koyama. Es freut mich, dich persönlich kennen zu lernen.“ „Du bist am Keyboard, oder?“, vergewissert sich mein Freund, wobei er nach der Decke greift, die auf der Sofalehne liegt und die ich oft beim Fernsehen nutze. „Das stimmt.“ „Ich würde nie von Yamato verlangen, mit der Musik aufzuhören“, erklärt Tai bestimmt. Gerade als ich die Zigarette zum wiederholten Mal an meine Lippen führen möchte, nimmt er sie mir aus der Hand und drückt sie im Aschenbecher aus. „Die Abmachung war, nur in der Küche zu rauchen.“ Fürsorglich hüllt er meinen vor Kälte bebenden Körper in die Decke, dann küsst er mich. Ich sehe, wie mein Bandkollege verlegen zur Seite schaut. „Masao, ich weiß nicht, wie gut du Yamato kennst. Er verfällt schnell in Extreme. Es ist richtig, dass ich einige seiner Kontakte unterbinden will, weil ich der Meinung bin, dass sie ihm schaden. Die Band spielte dabei jedoch nie eine Rolle. Trotzdem bezieht Yamato meine Forderung auf sämtliche Kontakte.“ Ich richte meinen Blick aus dem Fenster. Es regnet unverändert stark. Das dabei entstehende Rauschen hat eine friedliche und beruhigende Wirkung. Plötzliche Müdigkeit überkommt mich und ich schließe schläfrig meine Augen. Die Unterhaltung zwischen Taichi und Masao klingt weit entfernt und unverständlich. Erst als ich merke, dass ich hochgehoben werde, öffne ich meine Augen wieder. „Du bist erschreckend leicht, Yamato“, stellt mein Freund voller Sorge fest. „Tai, was...“, murmle ich undeutlich. „Ich bringe dich ins Bett“, antwortet er, ohne dass ich meine Frage beenden konnte. „Hast du wieder Drogen konsumiert?“ „Nein.“ Ich schaue zu Masao, der noch immer auf dem Sofa sitzt und die Szene schweigend beobachtet. Die Situation ist mir unangenehm, doch ich bin zu schwach, um mich von Taichi zu lösen und auf eigenen Beinen zu stehen. Beschämt wende ich meinen Blick ab, schmiege mich schutzsuchend enger an meinen Freund. „Wir sehen uns morgen bei der Bandprobe“, höre ich Masao noch wie selbstverständlich sagen, als Tai mich aus dem Wohnzimmer in das Schlafzimmer trägt. Tränen brennen in meinen Augen und ein schmerzhaftes Gefühl der Verzweiflung überkommt mich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)