Ein einfaches Ende von GotoAyumu (Yamato Ishida x Taichi Yagami) ================================================================================ Kapitel 8: ----------- Ich öffne meine Augen und lasse zum wiederholten Mal meinen Blick über das Publikum schweifen. Er ist nicht da. Normalerweise steht er in der Nähe des Ausgangs, etwas abseits von der Menge. Nicht heute. Und auch unter den anderen Zuschauern kann ich ihn nicht ausfindig machen. Eigentlich weiß Taichi von dem Konzert, der Termin ist ihm ebenfalls bekannt. Ich glaube nicht, dass er es vergessen hat. Er ist absichtlich nicht gekommen. Um mich zu verletzen, weil er weiß, wie wichtig mir seine Anwesenheit ist? Denn mit Hilfe der Musik fällt es mir leichter, ihm meine Gefühle zu übermitteln. Oder bin ich ihm inzwischen einfach nur egal? Ich hoffe, ihn aufgrund des Scheinwerferlichtes nur übersehen zu haben. Kozue und Masao leiten das nächste Lied mit dem Schlagzeug und dem Keyboard ein, gleich darauf folgen Naoki und ich mit der E- und Bassgitarre. Ich schließe meine Augen und lasse mich von der Musik tragen. Begrabe mich in Schweigen, töte mich mit deinem Lächeln Sing die Traurigkeit hinfort und bedecke mich mit Lügen Begrabe mich in Schweigen, weil du weißt, dass ich einfach nicht zu kämpfen vermag Einen weiteren Krieg, der nicht gewonnen werden kann Also bitte, bette mich nieder und verlass mich für immer Genau auf diesem Boden, wo dies alles begann Ich will nicht alles verlieren Ich will nicht die Zeiten und Geschichten versäumen Die wir hätten haben können Ich will nicht alles verlieren Ich möchte nicht eine Erinnerung sein, allein gelassen in deinem Kopf Also würdest du mich niederbetten, mich noch einmal niederbetten Begrabe mich in Schweigen, zerbrich mich mit deinen Augen Komm ein wenig näher, damit du meine Gedanken lesen kannst Begrabe mich in Schweigen, weil ich einfach nicht glauben kann An eine andere Hoffnung, die niemals kommt Also bitte, bette mich nieder und verlass mich für immer Genau auf diesem Boden, wo dies alles begann Ich will nicht alles verlieren Ich will nicht die Zeiten und Geschichten versäumen Die wir hätten haben können Ich will nicht alles verlieren Ich möchte nicht eine Erinnerung sein, allein gelassen in deinem Kopf Also würdest du mich niederbetten, mich noch einmal niederbetten Langsam öffne ich meine Augen. Taichi bestimmt nun jeden meiner Gedanken, meine Emotionen lasten schwer auf mir und drohen mich zu erdrücken. Ich möchte die Bühne verlassen. Ich möchte zu Tai, ihn in den Arm nehmen und sagen, dass alles gut ist. Auch wenn wir beide wissen, dass es eine Lüge ist. Es gelingt mir nicht, das Zittern meiner Hände zu unterbinden. Ich fühle mich wie auf Entzug. Das nächste Lied beginnt. Ich muss mich zusammenreißen. Gedankenversunken lasse ich den Rauch zwischen meinen Lippen entweichen. Die Kälte kriecht durch meine Kleidung bis in meine Knochen, doch es ist mir egal. Ich bemerke das Beben meines Körpers kaum. Nach dem Auftritt musste ich raus, brauchte frische Luft, wollte allein sein. Ich hatte das Gefühl, sonst zu ersticken. Allerdings rangen mir meine Bandkollegen zuvor das Versprechen ab, spätestens zur After-Show-Party zurück zu sein. Einige Zeit lief ich ziellos durch die von Neonreklame taghell erleuchteten Straßen, dann kam mir der kleine Park in den Sinn, der sich in der Nähe des Klubs befindet. Wie lange ich inzwischen hier auf dieser Bank sitze, weiß ich nicht. Möglicherweise ist das Konzert bereits beendet und ich sollte mich auf den Weg machen, aber ich bringe es nicht fertig, mich zu erheben. Ich frage mich, wie es Shinya geht. Seitdem ich ihn in der Nacht, in der ich mit meinem Vater Sex hatte, allein ließ, verbrachte ich die meiste Zeit bei ihm. Im Nachhinein gestand er mir, mein Fortbleiben überhaupt nicht bemerkt zu haben, da er mit Heroin zugedröhnt war. Eine Erkenntnis, die mich nicht wirklich beruhigt. Aber trotz der Versuchung gelang es mir bis jetzt, clean zu bleiben. Zumindest das Heroin betreffend. Nur, wenn ich mit Shinya schlafe, konsumiere ich zuvor GHB oder Kokain, hin und wieder kombiniert mit Alkohol. An den abstoßenden Geschmack dieser Droge werde ich mich jedoch nie gewöhnen, weshalb ich mich jedes Mal zwingen muss beziehungsweise Shinya bitte, mir die Flüssigkeit gewaltsam einzuflößen. Der Grund, mich von meinem einstigen Freier auf Drogen ficken zu lassen, ist nicht mehr derselbe wie bei den Freiern, die ich noch gelegentlich bediene. Ich verspüre keinen Ekel mehr, wenn Shinya mich berührt. Im Gegenteil, ich genieße seine Zuwendungen, sehne mich sogar danach. Allerdings ertrage ich es nicht, an Taichi denken zu müssen, während ich mich einem anderen hingebe. Wenn ich drauf bin, gelingt es mir leichter, ihn aus meinen Gedanken zu verbannen. Ich will ihn wenigstens in diesen Momenten vergessen können. Ich möchte mich einfach nur fallen lassen. Seltsamerweise war es mir möglich, mich bei meinem Vater fallen zu lassen, obwohl ich meinen Freund nicht vergessen konnte, zeitweise sogar das Gefühl hatte, mit ihm zu schlafen. Bei Tai jedoch war ich zuletzt lediglich verkrampft, wenn er mich nahm. Ich hoffte nicht, dass es schnell vorbei ist, auch wenn ich seine brutale Art, mich zu ficken, nur noch über mich ergehen ließ, aber seine Kälte und Verachtung mir gegenüber zu spüren, die er immer tiefer in mich hineinstieß, tat so sehr weh, dass ich dachte, mit jeder Sekunde, die der Sex andauerte, innerlich ein Stück weit zu sterben. Tief inhaliere ich den Rauch der Zigarette. Meine Lungen schmerzen ein wenig. Als ich den Klub verließ, war meine Schachtel noch fast voll, nun verrät mir ein Blick, dass ich gleich die letzte Zigarette entzünden werde. Glücklicherweise kam ich auf dem Weg an einem Automaten vorbei. Zwar war es unglaublich schön, mit meinem Vater zu schlafen, seine Berührungen auf meiner Haut, ihn in mir zu spüren, seine beschleunigte Atmung und sein leises Keuchen zu hören, in sein verschwitztes Gesicht zu sehen, aber mir ist klar geworden, dass ich eigentlich Taichi will. Ich liebe meinen Vater, mehr als ein Sohn es sollte, doch um meinen Freund wiederzubekommen, würde ich auf ihn verzichten. Bezüglich Shinya muss es auch eine Lösung geben. Sicher ist, dass ich ihn nicht allein lassen werde. Ich weiß nur nicht, wie ich Tai das begreiflich machen kann. Selbst wenn ich nicht mit Shinya ins Bett gehe, wird er mir nicht glauben. Ebenso, wie er mir nicht glaubt, dass zwischen Reiji und mir nie etwas lief. Zugegebenermaßen finde ich meinen Arbeitskollegen unglaublich attraktiv und würde mich auch gern von ihm vögeln lassen, weshalb ich mich absichtlich abweisend ihm gegenüber verhalte. Dabei wäre es egal, wenn Tai ohnehin davon ausgeht, dass ich jeden ranlasse. Ich nehme einen letzten Zug von der Zigarette, bevor ich sie auf den Boden werfe und die letzte entzünde. Mein Vater hat recht. Wir befinden uns in einem verdammten Teufelskreis. Das Problem ist nur, dass ich mir nicht an Taichi wehtun möchte. Und eigentlich funktioniert das auch nicht. Mit Freiern schlafe ich, weil ich den Ekel, eine Art Bestrafung brauche, um meinen Selbsthass zu nähren und mich dadurch besser zu fühlen. Tai ruft diese Gefühle jedoch nicht in mir hervor. Ich bin nicht so stark, um auf ein dysfunktionales Verhalten zu verzichten, ohne es durch ein anderes zu ersetzen. In diesem Fall wären es wahrscheinlich wieder Drogen. Speziell Heroin, von welchem ich jetzt bereits seit Jahren abstinent bin. Aber sowohl meinem Vater als auch meinem Freund ist egal, was ich bereits geschafft habe. Es ist nie genug. Das zumindest zeigte die Vergangenheit. Doch es bringt nichts, mir den Kopf über Dinge zu zerbrechen, die ich im Augenblick nicht ändern kann. Zudem sollte ich wirklich langsam zurückgehen, bevor meine Bandmitglieder sauer werden. Dabei habe ich nicht die geringste Lust auf diese After-Show-Party. Ich hasse solche Veranstaltungen. Genervt trete ich den Rest der Zigarette auf dem Boden aus. Dann krame ich aus meiner Jackentasche ein Taschentuch, mit dem ich mir die Nase putze und ein kleines Päckchen weißen Pulvers, welches ich nach langem Überreden von Shinya bekam, wovon ich ein wenig auf die Seitenfläche meiner Hand streue und schließlich durch eines meiner Nasenlöcher einziehe. Das Ganze wiederhole ich mit der anderen Seite. Diese Methode ist zwar nicht ganz so effektiv, da weniger von der Droge die oberen Nasenschleimhäute erreicht, aber immerhin besser als gar nichts. Mit dem Kokain und eventuell etwas Alkohol auf der Party lässt sich der Abend mit Sicherheit besser aushalten. Mit einem Glas Whiskey in der Hand trete ich in die kalte Nachtluft hinaus. Die After-Show-Party ist gut besucht, weshalb es laut und stickig in den Räumlichkeiten ist. Ich brauche eine kurze Auszeit und setze mich tief durchatmend an den Straßenrand. Kurz stelle ich das Getränk neben mich auf den Asphalt, um mir eine Zigarette anzuzünden. Das Nikotin beruhigt mich ein wenig. Doch es reicht nicht, ich sollte anschließend noch etwas Kokain nachlegen. Ob Shinya sich auch gerade zudröhnt? Wenn ich bei ihm bin, schafft er es für längere Zeit, clean zu bleiben, doch sobald er allein ist, holt ihn die Realität ein, welche er nicht erträgt und der er mit Hilfe von Drogen zu entfliehen versucht. Mir geht es ähnlich, ich ertrage es ebenfalls nicht, allein zu Hause zu sein. Zu viele Dinge erinnern mich an Taichi. Deshalb bin ich mittlerweile fast schon bei Shinya eingezogen. Ich betrete die gemeinsame Wohnung von meinem Freund und mir nur noch, um frische Kleidung zu holen. Ich habe Angst, was mit Shinya passiert, falls ich die Beziehung zu Taichi noch retten kann. Sollte er sich töten, könnte ich mir das nie verzeihen. Wie ich meinem Vater bereits sagte, ist er für mich inzwischen zu einem guten Freund geworden. Ich betrachte ihn nicht mehr als Freier. Für ihn bin ich ohnehin schon viel länger kein Stricher mehr. Dass er mich liebt, spüre ich in seinem ganze Verhalten mir gegenüber. Manchmal schmerzt es mich, dass ich die Liebe nicht in gleichem Maße erwidern kann. Was die Vergewaltigung anbelangt, bin ich zwar auf Shotas Seite, da ich weiß, wie es sich anfühlt, aber ich weiß auch, was für ein lieber Mensch Shinya ist. Er bedeutet mir inzwischen unglaublich viel, was ich anfangs nie für möglich gehalten hätte. Shota ist, wie ich erwartete, tatsächlich ein hübscher junger Mann geworden. Ich würde mich gern noch einmal mit ihm unterhalten, von seinen Gefühlen und Gedanken erfahren. Mit Sicherheit hasst er seinen Vater für das, was er ihm antat, aber bei unserer letzten Begegnung hatte ich eher das Gefühl, als würde er in erster Linie mich dafür verantwortlich machen und nicht seinen Vater. Wenn ich ehrlich sein soll, fände ich es sogar gut, wenn dies der Fall wäre. Mich würde interessieren, wie genau es damals so weit kommen konnte, doch Shinya schweigt sich darüber aus und ich traue mich nicht ihn zu fragen. Ich möchte ihn nicht einfach mit dem Thema konfrontieren. Er ist derzeit ohnehin sehr labil. „Hey.“ Erschreckt zucke ich zusammen und drehe mich in die Richtung, aus der die Stimme kam. „Tut mir leid. Du warst in Gedanken, oder?“ Masao lächelt mich an, dann setzt er sich neben mich auf den Bordstein. „Ja“, antworte ich noch immer leicht abwesend. „Unser Auftritt kam doch ganz gut an, wenn man bedenkt, dass wir nur die Vorgruppe waren. Was meinst du?“ „Ich denke schon.“ „Die Menschen da drin werden dir zu viel, hab ich recht?“, mutmaßt unser Keyboarder und trinkt einen Schluck aus seiner Bierflasche. „Ja“, entgegne ich zurückhaltend, anschließend ziehe ich an meiner Zigarette. „Warum so schüchtern, Yamato?“ „Tut mir leid. Irgendwie schaffe ich es nicht, mich von meinen Gedanken zu lösen. Dabei drehen sie sich ohnehin nur im Kreis.“ „Soll ich versuchen, dich ein wenig abzulenken, oder ist dir meine Gesellschaft gerade eher unangenehm?“ Ich richte meinen Blick nach vorn, auf einen unbestimmten Punkt. „Es wäre schön, wenn du bleiben würdest.“ Masao hebt die Bierflasche erneut an seine Lippen, setzt sie jedoch, ohne etwas zu trinken, wieder ab. „Was war heute während des Konzertes mit dir los?“, will er hörbar besorgt wissen. „Wie kommst du darauf, dass...“ „Für eine kurze Zeit schien dich etwas aus dem Konzept gebracht zu haben. Du wirktest unkonzentriert, deine Stimme zitterte und du trafst einige Töne nicht ganz.“ „War das wirklich so auffällig?“ „Nein, keine Sorge. Nicht einmal Kozue oder Naoki haben ein Wort darüber verloren. Entweder sie bekamen es nicht mit oder sie erachten es als unwichtig.“ Er sieht mich nicht an, trinkt nur einige Schlucke seines Bieres. „Ich frage, weil ich das Gefühl habe, dass es dir in letzter Zeit schlechter geht.“ Wieder eine dieser Aussagen. Vielleicht ist jetzt eine gute Gelegenheit ihn auf das Thema anzusprechen. Ich zwinge mich, mein Whiskeyglas in einem Zug zu leeren. Der Alkohol und das Kokain geben mir hoffentlich den nötigen Mut und wirken sich nicht nachteilig auf die Unterhaltung aus. „Masao?“ „Hm?“ „Bevor ich lange nach passenden Worten suche und sie letztlich doch nicht finde, frage ich lieber direkt. Was genau weißt du über mich und mein Leben?“ Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass sich ein leichtes Lächeln auf seine Lippen legt. Dann betrachtet er mich ernst. „Wahrscheinlich mehr, als ich wissen sollte. Wo fange ich am besten an... deine Eltern ließen sich scheiden, als du noch klein warst. Du hast versucht, dich selbst zu töten, musstest Klinikaufenthalte und Therapien über dich ergehen lassen. Dein Selbsthass trieb dich zu selbstverletztendem Verhalten, in die Drogenabhängigkeit und die Prostitution. Zudem verspürtest du das Verlangen...“ Masao wendet seinen Blick von mir ab und schaut verlegen zu Boden. „... mit deinem Vater zu schlafen.“ Mir gleitet die Zigarette aus den Fingern. Ich bin wie versteinert, meine Gedanken vermag ich kaum zu ordnen. „Es tut mir leid, Yamato. Eigentlich wollte ich schon viel eher mit dir reden... allerdings fand ich nie einen geeigneten Zeitpunkt. Immerhin handelt es sich um extrem intime Details aus deinem Leben.“ „War es das oder kommt noch mehr?“, frage ich schroffer als beabsichtigt. „Du warst mit einem Taichi zusammen, wobei ich glaube, dass du noch einmal eine Beziehung mit ihm eingingst, die bis heute besteht. Alle anderen Punkte betreffend weiß ich nicht, inwieweit sie der Vergangenheit angehören. Bei manchen fürchte ich nur, dass sie noch immer aktuell sind.“ Masao sieht mich noch immer nicht an. Er hat seinen Kopf gesenkt und schaut auf die Bierflasche, die er leicht in seinen Händen wiegt. „Woher...“ „Von Akito.“ Meine Augen weiten sich, als der Name in mein Bewusstsein dringt. „Was?“ Meine Stimme ist kaum mehr als ein ersticktes Flüstern. „Wir wohnten früher im selben Haus, gingen in dieselbe Grund- und Mittelschule. Und irgendwie waren wir auch Freunde, denke ich. Zumindest zeitweise... wenn er sich auf mich einließ, Gefühle und Nähe akzeptierte. Ich bekam einiges von seinen Familienverhältnissen mit, nur als Kind war ich noch nicht in der Lage, manche Sachverhalte zu begreifen. Wenn ich Akito mit zu mir nach Hause nahm, verhielten sich meine Eltern merkwürdig. Ich verstand nicht, warum, hasste es aber, dass sie ihn immer so mitleidig ansahen. Später erkannte ich, dass sie einfach nicht wussten, wie sie mit ihm umgehen sollten. Zu ihm nach Hause durfte ich nur, wenn er wieder einmal auf seine Mutter aufpassen musste. So nannte er den Umstand ihrer Unzurechnungsfähigkeit. Meist war sie dann mit Drogen zugedröhnt oder schnitt sich mit Rasierklingen die Arme auf. Eigentlich war die Last dieser Verantwortung viel zu schwer, um von den schmalen Schultern eines kleinen Jungen getragen zu werden. Den Hass, den er seiner Mutter hätte entgegenbringen müssen, richtete er auf seine Umwelt. Akito war als Kind sehr aggressiv, seine Hilflosigkeit war dadurch deutlich spürbar. Gelegentlich schien seine Mutter bei klarem Verstand zu sein. Dann machte sie sich Vorwürfe, weil sie ihren Sohn ja liebte, und dachte vermutlich, dass sie ihm hilft, indem sie ihn in Psychiatrien einsperrte und mit Therapien folterte. Er ließ es über sich ergehen, doch am Ende brachte es rein gar nichts. Sein Verhalten blieb unberechenbar, konnte von einer Sekunde auf die andere umschlagen. Trotz seines Misstrauens und seiner Verachtung andere betreffend vertraute er mir offenbar. Dabei war unsere Freundschaft eher sporadisch. Was er erzählte, war zum Teil wirklich heftig, aber über eine Sache sprach er nie. Die Freier seiner Mutter. Ich traute mich nie, ihn zu fragen, aber ich bin mir sehr sicher, dass einige von denen sich auch an Akito vergingen. Gelegentlich sah ich die Männer und bei manchen hatte ich das Gefühl, sie sind nicht wegen ihr, sondern wegen ihres Sohns da. Möglicherweise verkaufte sie ihn im Drogenrausch. Mit der Zeit lernte Akito, sich in Gesellschaft zu verstellen. Die Maske der Angepasstheit aufzusetzen. Nach der Mittelschule zog er aus mir unbekannten Gründen mit seiner Mutter nach Odaida. Dennoch blieben wir in Kontakt. Nicht regelmäßig. Eigentlich änderte sich, abgesehen von der Entfernung, nichts zwischen uns. Als er dich kennen lernte, zeigte er das erste Mal ehrliches Interesse an einem anderen Menschen. Er meinte, er hätte einen Menschen gefunden, bei dem er sich nicht verstellen müsste. Jemand, der ähnliche Erfahrungen und Gedanken hat. Es überraschte mich, wie intensiv seine Gefühle für dich waren. Allerdings hattest du einen Freund, der einzige Mensch, dem du an der Schule Beachtung schenken würdest. Wie Akito letztlich den Kontakt zu dir suchte oder wie die Beziehung zustande kam, weiß ich nicht. Er meinte nur, er wollte dich nicht wieder an Taichi verlieren, wusste jedoch, dass es ein aussichtsloser Kampf ist. Irgendwann muss es ein Gespräch zwischen ihm und Taichi gegeben haben. Akito erzählte etwas von einer Entzugsklinik und drei Monaten, danach wäre es vorbei. Er wirkte zwar gefasst, doch seine Stimme zitterte und die Verzweiflung war ihm deutlich anzumerken. Ich bin mir sicher, wäre sein Stolz nicht gewesen, hätte er geweint. Die Nachricht von seinem Selbstmord stimmte mich traurig, kam aber nicht unerwartet. Er wollte sterben, seit er als Kind einen Versuch unternahm, der möglicherweise nach der ersten Vergewaltigung durch einen Freier seiner Mutter stattfand. Dass er letztlich so lange überlebte, ist eigentlich erstaunlich.“ Masao seufzt und trinkt ein paar Schlucke aus seiner Flasche. „Entschuldige, ich...“ Er unterbricht sich, als er mich ansieht. Tränen laufen über meine Wangen und tropfen auf den Asphalt. Der Druck auf meinem Brustkorb lässt mich kaum atmen. Mein Kopf ist vollkommen leer, dabei gibt es noch so viele Fragen, so vieles, was ich sagen möchte... ich bringe kein einziges Wort hervor. „Soll ich dich erst einmal allein lassen? Oder dir noch etwas zu trinken holen?“ Es dauert eine Weile, bis ich reagiere, dann halte ich unserem Keyboarder mein Glas hin. „Noch einen Whiskey?“ Ich nicke. „Yamato“, beginnt er vorsichtig. „Bitte verschwinde nicht einfach, während ich kurz weg bin.“ Ich nicke erneut. „Okay, ich vertraue dir.“ Mit schmerzenden Augen und verschwommener Sicht blicke ich zurück, um zu beobachten, wie er im Gebäude verschwindet. Dann schaue ich mich um. Es befindet sich niemand in meiner unmittelbaren Nähe. Vermutlich liegt es an der Kälte, die Gäste halten sich lieber in den warmen, stickigen und überfüllten Räumlichkeiten auf. Vom Weinen läuft meine Nase. Zum Glück habe ich ausnahmsweise Taschentücher bei mir. Während ich meine Nase putze, lasse ich meinen Blick noch einmal schweifen. Alles ist unverändert. Ohne zu zögern, hole ich das kleine Päckchen aus meiner Jackentasche, schnupfe etwas von dem Kokain und verstaue es wieder sorgfältig. Erneut benetzen Tränen mein ausgekühltes Gesicht. Hätte Akito meinen Drogenkonsum gerade mitbekommen, wäre er mit Sicherheit unglaublich wütend. Er fehlt mir so sehr. Aber eine Sache an Masaos Ausführungen irritierte mich. Ich muss unbedingt... „Entschuldige, Kozue hielt mich auf. Sie wollte wissen, wo du bist. Ich sagte ihr, dass du eine kurze Auszeit brauchst. Hier, dein Whiskey. Geht es wieder einigermaßen?“ Mit einem gezwungenen Lächeln nehme ich ihm das Glas aus der Hand. Masao erwidert es traurig. Er streckt seine Hand nach mir aus, hält jedoch inne und lässt sie schließlich sinken. Schwermütig nimmt er wieder neben mir Platz, die neue Flasche Bier stellt er vor sich ab. Es herrscht eine merkwürdige Atmospäre, ein erdrückendes, ungewisses Schweigen, weshalb jeder von uns seinen eigenen Gedanken nachhängt. Langsam laufe ich die beleuchtete Straße entlang. Mein Atem kondensiert aufgrund der Kälte und bildet kleine Wölkchen. Masao bot mir an, mich nach Hause zu begleiten, doch ich lehnte dankend ab. Wir kennen beide den Grund, keiner von uns sprach ihn aus. In Anbetracht der vorherrschenden Situation ist mir seine Anwesenheit mehr als unangenehm. Dabei scheint er keinerlei Ekel oder Abneigung mir gegenüber zu empfinden. Während er sprach, klang seine Stimme zu keiner Zeit urteilend, geschweige denn anklagend. Sie war eher sanft, melancholisch, nicht mitleidig, aber bedauernd, vermutlich bezogen auf seine Machtlosigkeit. Er wollte Akito helfen, war jedoch selbst nur ein Kind. Zumindest war deutlich herauszuhören, dass ihm Akito sehr viel bedeutet. Sonst hätte er all die Jahre nicht so viel Verständnis und Geduld für ihn aufgebracht. Trotz seiner scheinbaren Toleranz fühle ich mich mit meinem Wissen bezüglich seines Wissen unwohl. Irgendwie macht es mich wütend, dass er nie etwas sagte, obwohl ich die Begründung für seine Verschwiegenheit verstehe. Ohne auf mögliche Autos zu achten, überquere ich die Straße. Aus meiner Tasche krame ich eine Zigarette, die ich sogleich entzünde. Hoffentlich ist Shinya nicht wieder vollkommen zugedröhnt, wenn ich nach Hause komme. Ich wünschte, ich könnte die Vergangenheit ungeschehen machen. Ich wünschte, ich hätte mich damals nicht von ihm losgesagt, dann wäre die Vergewaltigung mit Sicherheit nie passiert. Er hätte meinen Körper benutzen können, um seine Gelüste zu befriedigen. Vielleicht wäre es ausreichend gewesen, damit er bei seinem Sohn nicht die Beherrschung verliert. Genau genommen ist Shinyas derzeitiger Zustand meine Schuld, aber Schuldgefühle sind nicht vorrangig der Grund, weshalb ich mich um ihn kümmere. Meine Motive sind weitaus egoistischer. Er bedeutet mir zu viel. Er darf sich nicht einfach zugrunde richten und sterben. Ich will ihn nicht verlieren. Ich brauche ihn. Auch, um mich von Taichi abzulenken. Meine Einsamkeit bleibt zwar bestehen, doch mit Shinya bin ich wenigstens nicht allein, obwohl es tagtäglich eine harte Probe für mich darstellt, nicht wieder in die Heroinabhängigkeit zurückzufallen. Insbesondere, wenn er in meiner Gegenwart fixt. Nicht absichtlich. Er denkt einfach nicht darüber nach, zu sehr ist er in seiner eigenen Sucht gefangen. Der Schmerz in meinem Kopf verstärkt sich, als ich die Treppe Stufe für Stufe hinaufsteige. Den Rest meiner Zigarette lasse ich achtlos fallen. Aus meiner Tasche hole ich den Wohnungsschlüssel, beim Aufschließen zeichnen sich einige Schwierigkeiten ab. Noch immer spüre ich ein wenig das Kokain und den Alkohol, die mein Bewusstsein weiterhin leicht vernebeln. Nach ein paar Fehlversuchen gelingt mir das Öffnen der Tür und ich betrete den Flur. Shinya schaut aus der Küche. An seinen Augen erkenne ich sofort, dass er nicht nüchtern ist. „Du bist zurück“, bemerkt er mit einem seltsamen Lächeln. „Wie du sieht“, entgegne ich tonlos, wobei ich meine Schuhe und Jacke ausziehe. „Was hast du dieses Mal konsumiert?“ „Ist etwas passiert? Du wirkst angespannt.“ Er kommt auf mich zu. „Ich weiß, was dagegen hilft.“ „Nicht jetzt, Shinya“, weise ich ihn bestimmt ab und will mich an ihm vorbeizwängen, doch er hält mich an der Schulter fest und drückt mich derb gegen die Wand. Obwohl ich selbst Alkohol getrunken habe, rieche ich, dass auch er welchen zu sich nahm. „Lass mich los, du stinkst wie ein ganzes Weinfass!“ Von meiner Aufforderung unbeeindruckt, streicht er mit seiner Hand meinen Oberkörper hinab und gleitet zwischen meine Beine. „Hör auf, Shinya!“, versuche ich es diesmal energischer. „Sonst zierst du dich auch nicht so. Bedenke deine Position. Mund halten und Beine breit machen. Und jetzt sei ein lieber Junge.“ Sein Alkoholgeruch benebelt meine Sinne zusätzlich, weshalb ich meine Gegenwehr kurzzeitig aufgebe und Shinya die Knöpfe meines Hemdes öffnen lasse. Er schiebt es von meinen Schultern, beinahe lautlos gleitet das Stück Stoff zu Boden. Als er Anstalten macht, meine Hose herunterzuziehen, gebiete ich ihm Einhalt. „Ich sagte nein!“ „Warum? Du lässt dich doch gern von Alkoholikern ficken.“ Seine Bemerkung trifft mich wie ein Schlag ins Gesicht. Fassungslos starre ich meinen Gegenüber an. „Hast du überhaupt noch einen Funken Feingefühl? Oder wurde dieses Areal deines Gehirns bereits durch die Drogen zerstört?“ „Deine Aufmüpfigkeit gefällt mir nicht. Anscheinend hast du vergessen, wo du hingehörst. Du bist nur eine billige Hure. Ersetzbar. Wertlos, wenn du nicht gerade einen Schwanz lutscht oder deinen Arsch zur Lustbefriedigung zur Verfügung stellst.“ Shinyas Worte sollten verletzend sein, mich berühren sie allerdings nicht. Viel schmerzhafter finde ich sein Verhalten an sich. Mit Tränen in den Augen schaue ich ihn an. „Wer bist du?“, hauche ich mit brüchiger Stimme. „Merkst du nicht, was die Drogen mit dir machen?“ Bei diesen Sätzen muss ich kurz an Taichi denken. „Verdammt, Shinya!“ „Sei still!“, schreit er mich plötzlich an und bringt mich zu Fall. Hart schlage ich auf dem Boden auf und bleibe benommen liegen. Ich spüre, wie mein einstiger Freier mich meiner Hose entledigt und meine Beine weit auseinanderdrückt. „Hast du deinen Sohn auf dieselbe Weise genommen?“, frage ich weinend. Sichtlich verstört hält Shinya inne. Ich hasse mich selbst dafür, zu diesem Mittel gegriffen zu haben. Es ist erbärmlich, ihn derart zu verletzen, aber anders wusste ich mir im Augenblick nicht zu helfen. Beinahe apathisch sinkt Shinya mit seiner Stirn auf meinen Brustkorb. Schmerzlich spüre ich seine Tränen auf meiner Haut. Wie gelähmt liege ich unter ihm, unfähig in irgendeiner Weise zu reagieren. Mein Blick fällt abwesend zur Decke. Unerwartet richtet Shinya sich auf, zieht meinen Körper in eine Umarmung, wobei er mich so stark an sich presst, dass ich kaum atmen kann. „Du tust mir weh“, flüstere ich kaum hörbar. „Geh nach Hause“, fordert er mich plötzlich auf, hält mich jedoch unverändert fest. Ich schließe meine Augen, wärme mich an ihm. Erst jetzt bemerke ich mein Zittern. Sinnlich gleitet Shinya mit seinen Fingerspitzen über meine Wirbelsäule, hinab zu meinem Steiß. Leicht verkrampfe ich bei dem Gedanken, ihn gleich in mir zu spüren. Er allerdings hebt seine Hand und umfasst meinen Nacken. „Zieh dich an. Du frierst.“ Ohne mich eines Blickes zu würdigen, lässt er von mir ab und geht wortlos ins Wohnzimmer. Ratlos und allein bleibe ich im Flur zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)