Ein einfaches Ende von GotoAyumu (Yamato Ishida x Taichi Yagami) ================================================================================ Kapitel 4: ----------- Ein penetrantes Klingeln dringt an mein Ohr und holt mein Bewusstsein zurück in die Realität. Orientierungslos blicke ich mich um. Neben mir liegt eine Packung Schlaftabletten sowie deren Blister, aus denen mehr als die Hälfte des Inhalts fehlt. Inmitten auf dem von Blut verschmierten Boden liegt eine Rasierklinge. Ich betrachte meinen Arm. Quer darüber verlaufen zwei leicht auseinanderklaffende Wunden, die allerdings bereits vom Blut verkrustet und somit geschlossen sind. Langsam erinnere ich mich. Taichi. Wie viel Zeit ist seitdem vergangen? Vielleicht ist er inzwischen zurückgekommen. Ich erhebe mich schwerfällig, taumle allerdings, noch immer etwas benommen von der leichten Überdosis. Das Telefon, welches ich erst jetzt bewusst registriere, verstummt. Geschwächt, aufgrund meiner augenblicklichen Verfassung, versuche ich die Spuren meines Selbsthasses zu beseitigen, doch mein Körper schmerzt bei jeder Bewegung und mein Kopf dröhnt, als wollte er zerbersten, weshalb es eine gefühlte Ewigkeit dauert, den Boden zu säubern und meine Wunden zu versorgen. Anschließend schlucke ich einige Schmerzmittel, in der naiven Hoffnung, wenigstens eine geringe Wirkung zu verspüren. Als ich das Bad verlasse, ist aus der Wohnung kein Geräusch zu vernehmen. Dennoch schaue ich in jedes Zimmer. Ich bin allein. Die Helligkeit draußen und ein Blick auf die Uhr verraten mir, dass es bereits Mittag ist. Ich setze in der Küche Kaffee auf und entzünde eine Zigarette, deren Rauch ich begierig in mich aufnehme, um ihn kurz darauf sanft entweichen zu lassen. Angst kriecht plötzlich meine Kehle empor, erschwert mir das Schlucken, als der Gedanke, dass Taichi etwas passiert ist, Besitz von mir ergreift. Zitternd drücke ich den Rest der Zigarette im Aschenbecher aus. Wahrscheinlich liegt mein Freund bei irgendeiner Frau im Bett. Zumindest versuche ich mir das einzureden. Vergeblich. In der Hoffnung, mich etwas zu beruhigen, zünde ich mir eine weitere Zigarette an. Doch meine Angst wandelt sich in Panik. Bevor ich von Tais Tod erfahre, töte ich mich lieber. Nervös fällt mein Blick auf meinen linken Arm. Die Wunden pulsieren leicht unter dem straff angelegten Verband. Dieses Mal ist es kein halbherziger Versuch. Als ich mir damals die Pulsadern aufschnitt, war ich dissoziativ, zudem befand sich mein Vater ebenfalls in der Wohnung. Jetzt ist es eine relativ bewusste Entscheidung und ich bin allein. Ein trauriges Lächeln legt sich auf meine Lippen. Akito starb auf dieselbe Weise. Einmal mehr frage ich mich, was er dachte und fühlte, bevor er sich mit der Rasierklinge tief in die Arme schnitt und verblutete. Akitos Tod habe ich nie richtig verarbeitet. Bis heute erscheint mir sein Selbstmord unwirklich und er fehlt mir sehr. Wie sollte ich erst den Verlust von Taichi verkraften? Ein starker Schmerz reißt mich unsanft aus meinen Gedanken und ich lasse erschreckt die bis zum Filter abgebrannte Zigarette fallen. Ich betrachte die stark gerötete Haut an meinen Fingern. Sie weist geringfügige Verbrennungen auf, die unangenehm schmerzen, mich jedoch ruhiger werden lassen und meinen Entschluss zum Suizid ins Wanken bringen. Es besteht immerhin die Möglichkeit, dass Taichi lebt. Ein egoistischer Gedanke. Sollte ich ihn nicht endlich von mir befreien? Verzweifelt schlage ich mit der Faust auf den Tisch. Ich bin so lächerlich. Suche ich gerade nach einem Grund zum Sterben? Brauche ich dafür überhaupt einen Grund? Oder suche ich nach einem Grund zum Leben? Weil ich leben und nicht sterben möchte? Nein. Ich möchte weder das eine noch das andere. Aber ein Dazwischen gibt es nicht. Also existiere ich bloß, wobei ich in Gedanken und vom Gefühl her häufiger zum Sterben als zum Leben tendiere, gesellschaftlich jedoch eher lebe als sterbe. Das Telefon klingelt erneut. Ich bleibe unbewegt sitzen. Telefone hasste ich schon immer und ignorierte sie deshalb in den meisten Fällen erfolgreich. Allerdings könnte auch Taichi versuchen mich zu erreichen. Mit dieser Hoffnung springe ich auf und stolpere in den Flur zum Telefon. Es verstummt. Hastig nehme ich es zur Hand und schaue auf das Display. Siebenunddreißig Anrufe in Abwesenheit. Von meinem Vater. Gerade, als ich seine Nummer wählen möchte, um ihn zurückzurufen, klingelt es ein weiteres Mal. Wieder mein Vater. Ich drücke die Annahmetaste. Völlig außer Atem stolpere ich die Treppe nach oben in den vierten Stock. Meine Lunge schmerzt, das Pulsieren in meinem Kopf ist unerträglich. Trotzdem bleibe ich nicht stehen und kämpfe gegen die aufkommende Übelkeit an. Mein Körper erwehrt sich der ungewohnten Anstrengung, denn ich habe das Gefühl, jeden Augenblick zu kollabieren. So schnell ich konnte, rannte ich das letzte Stück vom Bahnhof. Die Sorge in der Stimme meines Vaters war nicht zu überhören, als er mich bat, zu ihm zu kommen. Warum wollte er mir nicht am Telefon sagen, was passiert ist? Plötzlich verliere ich mein Gleichgewicht und falle unsanft auf die Stufen. Mir ist schwindelig und schwarze Punkte engen allmählich mein Sichtfeld ein. Offenbar versagt mein Kreislauf. Reglos bleibe ich liegen, versuche bei Bewusstsein zu bleiben und meine Atmung zu normalisieren. Bitter gestehe ich mir ein, dass meine momentane Verfassung zu einem großen Teil auf die Nachwirkungen des Medikamentenmissbrauchs zurückzuführen ist. Ich muss mich zusammenreißen. Unter Anstrengung gelingt es mir, aufzustehen. Meine Beine zittern, als ich langsam, Stufe für Stufe, die Treppe weiter hinaufsteige. Vor der Tür zur Wohnung meines Vaters bleibe ich stehen. Mit einem unguten Gefühl betätige ich den Klingelknopf. Kurz darauf öffnet mein Vater. „Komm rein“, bittet er mit ernstem Unterton. Hinter mir lässt er die Tür leise ins Schloss fallen. „Du siehst furchtbar aus.“ „Was ist los?“, frage ich atemlos und übergehe somit seine unnötige Bemerkung. „Ist Takeru oder Mama etwas passiert?“ „Nein, keine Sorge. Aber was ist zwischen Taichi und dir vorgefallen?“ Ich halte im Ausziehen meiner Schuhe inne und blicke irritiert zu meinem Vater. „Wie...“ „Er ist hier.“ Für einen Moment setzt meine Atmung aus. Als mir jedoch die Bedeutung der eben vernommenen Worte bewusst wird, merke ich, wie die Anspannung von mir abfällt und ich mich ein wenig beruhige. Eigentlich hätte ich mir denken können, dass er hier Zuflucht sucht. Auch wenn mir die Beziehung der beiden nach wie vor zu innig ist, versuche ich meine Eifersucht hinunterzuschlucken. Vergeblich. „Sicher habt ihr euch die Zeit gut miteinander vertrieben“, bemerke ich, obwohl ich schweigen wollte. Doch bevor ich meine Aussage bereuen kann, verpasst mir mein Gegenüber eine kräftige Ohrfeige. „Taichi kam heute Morgen völlig betrunken hier an.“ „Was?“ Ich habe das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. „Nein, das...“, hauche ich, doch meine Stimme versagt. „Seiner undeutlichen Artikulation entnahm ich, dass er mit dem Auto gefahren ist. Wenn dem wirklich so sein sollte, frage ich mich ernsthaft, wie er es in seinem Zustand schaffte, den Weg hierher anscheinend unfallfrei zu finden. Den Wagen konnte ich mir allerdings nicht ansehen. Zumindest in der näheren Umgebung parkt er nicht, meine Suche war erfolglos.“ „Wo ist Taichi?“, will ich besorgt wissen. „In meinem Bett. Vermutlich schläft er noch.“ Ohne weiter auf meinen Vater zu achten, laufe ich schnellen Schrittes an ihm vorbei zu seinem Zimmer. Leise betrete ich den Raum. Mit einer Mischung aus Wut, Angst und Erleichterung betrachte ich meinen Freund, der reglos vor mir liegt. Ich setze mich zu ihm auf das Bett und streiche liebevoll über seine Wange. Tränen füllen meine Augen. „Was machst du nur, du blöder Idiot!“ Meine Stimme zittert hörbar. „Ich weiß wirklich nicht, ob ich dich, wenn du wieder wach bist, umarmen oder dir eine reinhauen soll.“ Behutsam küsse ich seine Stirn. Der schwache Geruch von Alkohol steigt in meine Nase. „Tai... wir bekommen das wieder hin, okay? Ich liebe dich, hörst du? Ich liebe dich. Es tut so weh! Die Angst... dich zu verlieren...“ Stumm weinend lege ich mich mit dem Kopf auf seinen Brustkorb, lausche seinem gleichmäßigen Herzschlag. Ein Zeichen dafür, dass er lebt. Allmählich werde ich ruhiger. „Yamato“, flüstert mein Vater, der am Türrahmen lehnt und mich traurig beobachtet. Ich weiß nicht, wie lange er bereits dort steht und was er eventuell hörte, es ist mir aber auch egal. „Komm erst einmal mit ins Wohnzimmer. Ich habe dir einen Tee gekocht. Jetzt kannst du ohnehin nichts tun. Taichi muss zunächst seinen Rausch ausschlafen.“ Schweigend komme ich der Aufforderung meines Vaters nach. Im Wohnzimmer setze ich mich auf das Sofa und nehme die Tasse dampfenden Tees zwischen meine Hände, dabei spüre ich die Hitze auf meiner Haut kaum. Reglos starre ich vor mich auf den Boden. Mein Vater nimmt neben mir Platz und legt seine Hand auf meine Schulter. „Was ist passiert, Yamato?“, fragt er ohne jeden Vorwurf, aber bestimmt. „Ich weiß es nicht“, antworte ich abwesend. „Yamato, dein Freund griff bestimmt nicht aus einer Laune heraus zum Alkohol, nachdem er es schaffte, so lange trocken zu bleiben. Durch diesen Rückfall riskiert er, alles bisher Erreichte zunichte zu machen. Also, was ist vorgefallen?“ „Ich weiß es nicht“, entgegne ich in nach wie vor monotonem Tonfall. „Tai ist der Meinung, ich gehe mit jedem Typen ins Bett, sobald ich auch nur ein Wort mit ihm wechsle.“ „Hat er recht?“ „Nein. Die letzte Auseinandersetzung entstand, weil ich eine Schicht von meinen Arbeitskollegen Reiji übernahm. Ohnehin denkt Tai, dass ich mich von Reiji vögeln lasse.“ „Ehrlich gesagt kann ich Taichi verstehen. Außerdem weißt du genau, dass es ihm widerstrebt, dass du in diesem Laden arbeitest. Und auch ich bin wenig begeistert davon.“ „Ich weiß.“ Seufzend trinke ich einen Schluck Tee. „Dennoch werde ich diesen Job nicht kündigen. Oder soll ich wieder meinen Körper verkaufen? Als Stricher verdiente ich früher in kürzerer Zeit mehr Geld.“ Dass ich nie wirklich damit aufhörte, muss mein Vater nicht wissen, doch wahrscheinlich kann er es sich ohnehin denken. „Ist der Unterschied denn so groß?“ Mein Vater bedenkt mich mit einem traurigen Lächeln. Ich atme hörbar aus. „Weder mit Gästen noch mit Kollegen hatte ich jemals Sex und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Euer Misstrauen und eure haltlosen Anschuldigungen gehen mir extrem auf die Nerven. Ich habe keine Lust mehr, mich vor dir oder Taichi zu rechtfertigen, wenn ihr sowieso keine Wahrheit akzeptiert, die nicht zu eurer vorgefertigten Meinung passt. Denkt meinetwegen, was ihr wollt.“ Wütend umklammere ich die Tasse fester. Meinen Vater schaue ich nicht an. „Du weißt genau, warum wir dir kaum Vertrauen entgegenbringen.“ „Oft kommt es mir so vor, als wolltet ihr überhaupt keine Änderung. Egal, was ich tue oder wie ich mich verhalte, für euch werde ich immer ein frivoles Flittchen bleiben.“ Ich stelle meine Tasse auf den Tisch und wende mich meinem Vater zu. „Ein billiger Stricher, der für jeden die Beine breit macht.“ Mit gespreizten Beinen setze ich mich auf seinen Schoß. „Der selbst seinen eigenen Vater verführt, mit ihm schläft...“ Meine Stimme ist lüstern und nur noch ein Flüstern dicht an seinem Ohr. Schmerzhaft gebietet mein Gegenüber mir Einhalt, als ich mit meiner Hand zwischen seine Beine gleite, indem er mein Handgelenk fest umklammert. „Was ist, Hiroaki? Bin ich gerade nicht genau so, wie du mich willst? Nimm mich. Dring tief in mich ein. Lass mich dich schmerzhaft in mir spüren. Ich liebe dich, daran änderte auch die Zeit der Abstinenz nichts.“ Bestimmt drücke ich meinen Vater gegen die Sofalehne und zwinge ihm einen Kuss auf, den er jedoch sofort unterbricht, indem er mich mit sanfter Gewalt von sich schiebt. „Hör auf, Yamato!“, befiehlt er mit Nachdruck. „Glaubst du tatsächlich, Taichi und ich wollen, dass du derart selbstzerstörerisch handelst, indem du jedem deinen Körper zur Verfügung stellst?“ „Momentan stelle ich nur dir meinen Körper zur Verfügung. Schlaf mit mir, Hiroaki. Oder soll ich dir erst einen blasen?“ „Steh auf, Yamato! Ich dachte, diese Phase hätten wir hinter uns.“ „Phase?“ Ich lache laut auf. „Nein. Dir war bewusst, dass es mehr als das ist. Du hast mit mir geschlafen. Nicht nur einmal. Wärst du wirklich von einer Phase ausgegangen, hättest du abgewartet. Aber du gingst auf mein Begehren ein. Weil du mich davon überzeugen wolltest, dass Sex mit dem eigenen Vater nicht das ist, wonach ich suche? Du hofftest, mir zu helfen, nicht wahr? Aber es funktionierte nicht, weil du meine Gefühle für dich unterschätzt hast. Mit dir zu schlafen schreckte mich nicht ab. Im Gegenteil, ich sehne mich danach, dich wieder in mir zu spüren. Bei dir fühle ich mich sicher, ich empfinde keine Angst mehr. Nur du kannst mir diese Geborgenheit geben. Wenn du mich berührst und ich dich in mir spüre, komme ich wenigstens für diesen Moment zur Ruhe.“ „Yamato...“ „Shh.“ Mit einem Kuss bringe ich meinen Vater zum Schweigen. Er lässt es geschehen, ohne jedoch darauf einzugehen. „Du schläfst nach wie vor mit meinem Freund, nicht wahr?“, wechsle ich plötzlich das Thema. Unpassenderweise lächle ich. Das Gesicht meines Gegenübers zeigt Verwirrung. „Was?“ „Er trägt deine Schlafsachen. Willst du abstreiten, ihn gevögelt zu haben, obwohl es offensichtlicher nicht sein könnte?“ Derb schiebt mein Vater mich von seinem Schoß und schlägt mir derart kräftig ins Gesicht, dass mir kurz schwarz vor Augen wird, ich das Gleichgewicht verliere und zu Boden falle. „Am liebsten würde ich so lange auf dich einschlagen, bis du endlich einmal zur Vernunft kommst! Deine Selbstgefälligkeit ist nicht zum Aushalten! Verdammt Yamato, ist dir der Ernst der Lage überhaupt bewusst? Taichi hatte eine fast geleerte Flasche Whiskey bei sich und seinem Zustand nach zu urteilen, war das nicht der einzige Alkohol, den er zu sich genommen hatte. Nur mit Gewalt gelang es mir, ihm die Flasche zu entreißen. Anschließend schleifte ich ihn ins Bad und unterzog ihn einer kalten Dusche. Eigentlich hoffte ich, mit ihm reden zu können, aber während ich ihn abtrocknete, schlief er ein. Deshalb zog ich ihm Schlafsachen von mir an und trug ihn in mein Bett. Normalerweise müsste ich mich vor dir überhaupt nicht rechtfertigen. Immerhin ist Taichis Rückfall dein Verschulden.“ „Tai ist für sein Handeln selbst verantwortlich.“ Mühsam komme ich wieder auf die Beine. Meine Wange schmerzt noch immer und fühlt sich leicht geschwollen an. „Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?“ Ich schweige und fixiere mit geballten Fäusten den Boden. „Wenn das so ist, dann geh jetzt bitte.“ „Was?“ Entsetzt suche ich Blickkontakt. Der Ausdruck seiner Augen verrät mir, dass mein Vater es ernst meint. „Es tut mir leid, Yamato. Aber deinen Egoismus kann Taichi jetzt nicht gebrauchen. Er wird eine Weile hier bleiben, denn deine Gegenwart treibt ihn derzeit vermutlich nur weiter in die Sucht.“ „Nein! Ich lasse Taichi nicht allein. Und hör auf mich zu bevormunden und wie ein Kind zu behandeln.“ Ein bitteres Lächeln legt sich auf die Lippen meines Vaters. „Dann verhalte dich nicht wie ein bockiges Kind, das versucht seinen Willen durchzusetzen.“ Er seufzt. „Yamato, bitte sei wenigstens jetzt vernünftig. Deinem Freund zuliebe. Sieh ein, dass du ihm momentan lediglich schadest.“ „Du willst ihn doch nur vögeln. Einzig aus diesem Grund soll er bei dir bleib...“ „Es reicht!“, unterbricht mein Vater mich ungehalten. „Merkst du überhaupt noch, was du von dir gibst? Dich interessiert weder Taichis Rückfall noch sein Zustand oder die Tatsache, dass er bewusstlos im Nebenzimmer liegt. Stattdessen versuchst du mich ins Bett zu bekommen. Dich eine billige Hure zu nennen wäre noch geschmeichelt.“ Trotz der harten Worte meines Vaters empfinde ich nichts. Gleichgültig betrachte ich ihn. „Warum hast du mich in der Vergangenheit immer wieder davon abgehalten, mich zu töten?“, frage ich meinen Gegenüber monoton. „Yamato...“ Tränen laufen über die Wangen meines Vaters. Sein Anblick schnürt mir die Kehle zu und ich glaube, zu ersticken. „So nicht, Hiroaki“, hauche ich, vergeblich darum bemüht, emotionslos zu klingen. Ich wende mich ab, um den Raum zu verlassen, werde jedoch am Handgelenk zurückgehalten. „Lass mich los!“, verlange ich in drohendem Ton, meinem Vater den Rücken weiterhin zugewandt. „Was wirst du jetzt tun?“ „Zunächst deiner Aufforderung nachkommen, Taichi in deine Obhut zu geben und zu verschwinden.“ Wortlos tritt mein Vater an mich heran, legt von hinten seine Arme um mich und presst meinen Körper eng an sich. „Ich habe Angst um dich, Yamato. Und auch wenn es für dich momentan wahrscheinlich anders aussieht, liebe ich dich über alles. Du bist das Wichtigste in meinem Leben. Dich zu verlieren würde ich nicht verkraften. Deshalb möchte ich schützen, was dir am wichtigsten ist.“ „Papa...“ Krampfhaft versuche ich das Zittern meines Körpers zu unterbinden. „Bitte lass mich los.“ Ohne Widerstand gibt er mich frei. Ich drehe mich mit gesenktem Kopf zu ihm und spüre seine Hand, die zärtlich über meine Wange streicht. Nur mit Mühe gelingt es mir, meine Tränen zurückzuhalten. Unsicher trete ich ein paar Schritte zurück. „Pass gut auf Taichi auf. Er braucht jetzt Hilfe.“ Ich wende mich von meinem Vater ab und gehe in den Flur. Rasch ziehe ich Schuhe und Jacke an. „Yamato, warte...“ „Keine Sorge, ich werde mich nicht umbringen.“ Meine Hand zittert, als ich die Zigarette zum wiederholten Mal an meine ebenfalls bebenden Lippen führe. Die Kälte kriecht inzwischen unter meine Haut, bis in die Knochen und lässt meine Glieder allmählich taub werden. Trotzdem bleibe ich unbewegt in der kleinen Seitengasse, an die Wand gelehnt, sitzen. Noch immer hallen die Worte meines Vaters in meinem Kopf wider. Es ist meine Schuld, dass Taichi rückfällig wurde. Durch meine selbstzerstörerischen Handlungen ziehe ich ihn mit in den Abgrund, treibe ihn erneut in den Alkoholismus und in die Arme meines Vaters. Doch trotz meiner Sorge und der quälenden Eifersucht zog es mich ein weiteres Mal nach Shinjuku. Ich ertrage es nicht, meinen Freund in die Obhut meines Vaters zu geben. Zwar ist mir bewusst, dass es keine bessere Alternative gibt, um ihm zu helfen, aber der Preis ist hoch. Die beiden schlafen noch immer miteinander, dessen bin ich mir sicher. Vielleicht versucht mein Vater, Tai mit Sex vom Alkohol abzulenken. Angespannt nehme ich einen tiefen Zug von meiner Zigarette und lasse den Rauch sanft entweichen, wobei ich meinen Kopf in den Nacken lege und meine Augen schließe. Eigentlich sollte ich für meinen Freund da sein, ich sollte es sein, der bei ihm ist. Stattdessen folge ich, wie so oft, meinem Selbsthass, indem ich fremden Männern meinen Körper zur Verfügung stelle. An den Ekel, ausgelöst durch deren Berührungen und Bewegungen in mir, kann ich mich nicht gewöhnen, was für mein dysfunktionales Verhalten allerdings positiv zu werten ist. Einzig aus diesem Grund wurde ich zum Stricher, wodurch ich letztlich auch mit Drogen in Berührung kam. Ironischerweise halfen mir diese wiederum, den abartigen Sex mit den Freiern zu ertragen. Ein Kreislauf, den ich nie ganz zu durchbrechen in der Lage bin. Aber wäre die Beziehung mit Taichi wirklich einfacher, wenn es mir gelänge? Wenn ich nur noch ihn ranlassen würde? Ich bezweifle es. Problematisch war es zwischen uns von Anfang an. Zudem warf Taichi mir bereits Untreue vor, als ich noch mit niemandem außer ihm ins Bett ging. Es war Akito, der absichtlich dafür sorgte, weil er mir schaden wollte. Erst jetzt wird mir bewusst, wie weitreichend die Folgen von Akitos Existenz bezüglich meines Lebens sind. Sogar nach seinem Tod. Er gab indirekt den Anstoß für meine Prostitution, den dadurch bedingten Drogenkonsum sowie Taichis Alkoholabhängigkeit. Trotzdem bereue ich keinesfalls, mich auf ihn eingelassen zu haben. Auch wenn ich nicht weiß, ob ich mit meinem jetzigen Wissen noch einmal genauso handeln würde. Ich könnte Tai schützen... nein, er musste nie vor Akito geschützt werden. Mein Verhalten macht ihn kaputt. Vor mir muss er geschützt werden. Ein letztes Mal ziehe ich an der Zigarette, dann lasse ich sie achtlos auf den Asphalt fallen und beobachte, wie die Glut in der Dunkelheit verglimmt. Wenn ich Taichi wirklich liebe, darf ich nicht so egoistisch sein und an dieser Beziehung festhalten. Ein Gedanke, der sich mittlerweile tief in mein Gehirn eingebrannt hat. Vielleicht sollte ich endlich danach handeln. Weglaufen. Aufgeben. Ich will nicht mehr denken müssen, nichts entscheiden, nichts fühlen, der Realität entkommen. Mit etwas Glück gerate ich an einen Freier, der seine Stricher mit GHB oder anderen bewusstseinsverändernden Substanzen uneingeschränkt gefügig macht. Andernfalls bleibt die Möglichkeit, mir von dem verdienten Geld etwas Stoff zu besorgen. Den Kreislauf durchbrechen... dysfunktionales Verhalten... Selbstzerstörung... die Worte kreisen aufdringlich in meinem Kopf. Ich handle wie immer ohne den geringsten Widerstand gegen mich selbst. Endlich scheine ich zu begreifen. Ich muss zu Taichi. „Warum überrascht es mich nicht, dich an solch einem Ort wiederzutreffen?“ Beim Klang der Stimme, die sich mit großer Wahrscheinlichkeit an mich richtete, zucke ich heftig zusammen. Zögernd schaue ich auf. Meine Augen weiten sich und meine Finger verkrampfen im Stoff meiner Hose, als ich in das Gesicht meines ehemaligen Sportlehrers blicke. Wie erstarrt bleibe ich sitzen, unfähig die geringste Reaktion zu zeigen. „Es ist lange her, nicht wahr, Yamato? Drei Jahre davon durfte ich deinetwegen im Gefängnis verbringen.“ Er kommt auf mich zu, hockt sich zu mir herunter und presst mich schmerzhaft, mit der Hand an meiner Kehle, gegen die Wand. „Ich dachte eigentlich, ich hätte dir damals verständlich gemacht, dass du deinen dreckigen Mund zu halten hast. Offenbar war es nicht deutlich genug.“ Der Mann spricht im Flüsterton, so dicht an meinem Ohr, dass ich seinen Atem spüren kann. Angst erfasst meinen Körper und kalter Schweiß verursacht ein leichtes, aber nicht kontrollierbares Zittern. Die eisige Nachtluft verwandelt meine flache, stoßweise Atmung in kleine weiße Wölkchen. „Du frivoles Miststück behauptest, von mir vergewaltigt worden zu sein, dabei bist du nichts weiter als ein billiger Stricher, der es sich von jedem besorgen lässt. Leider glaubte das Gericht deine dreisten Lügen. Du benutzt dein hübsches Mädchengesicht, um unschuldig zu wirken.“ Lüstern leckt er über meine Wange. Übelkeit kommt in mir auf. Ich möchte ihn von mir stoßen, bin jedoch unfähig mich zu bewegen. Erinnerungen an die Situation in der Turnhalle werden wieder präsent und wecken das Gefühl der Hilflosigkeit in mir. „Wo ist denn deine vorlaute Arroganz von damals? Hast du Angst?“ „Nicht vor einem notgeilen Kinderficker wie Ihnen.“ Die Kraftlosigkeit und Unbeständigkeit in meiner Stimme straft meine Worte Lügen. Mein Gegenüber verstärkt den Druck auf meine Kehle. „Für deinen Ungehorsam wirst du bezahlen.“ Mit seiner freien Hand öffnet er meine Hose und gleitet hinein. „Als erstes lasse ich dich spüren, wie sich eine Vergewaltigung tatsächlich anfühlt. Je mehr du dich wehrst, desto mehr wird es wehtun. Ebenso, wenn du nicht still bist.“ „Fassen Sie mich nicht an, Sie widerlicher Dreckskerl!“, zische ich drohend. Ich muss mich zusammenreißen und darf mich nicht in meiner Angst verlieren. „Wenn Sie mich ficken, reiße ich Ihnen Ihren kleinen, hässlichen Schwanz ab.“ „Eine mutige Aussage, in deiner Lage“, entgegnet er überlegen, anschließend schlägt er mir mit der Faust so kräftig ins Gesicht, dass ich benommen zu Boden falle. Blut läuft aus meiner Nase, benetzt meine Haut sowie meine Lippen. Ich bemerke, dass meine Hose stückweise heruntergezogen wird und versuche meinen ehemaligen Sportlehrer von mir zu stoßen, als er über mich kommt, meine Beine auseinanderdrängend. Vergebens. Er ist stärker als ich. Mit einem weiteren Faustschlag setzt er mich endgültig außer Gefecht. Wie damals gebe ich auf und lasse ihn gewähren. „Du kleines, schamloses Flittchen bietest mir schon wieder deinen Körper an. Aber dieses Mal wirst du danach nicht das Opfer spielen.“ Hastig öffnet er seine Hose und kramt aus der Tasche ein Kondom. „Das kannst du wieder wegstecken. Du wirst nicht zum Schuss kommen.“ Mein Gegenüber hält inne und schaut zu der störenden Person. „Hier gibt es genug Stricher. Such dir einen anderen“, befiehlt er genervt. „Dieser junge Mann macht auf mich nicht den Eindruck, als wollte er von dir gefickt werden. Ich rate dir, dich zu verpissen, sonst bist du derjenige, dem etwas in den Arsch geschoben wird. Und zwar etwas wesentlich größeres als ein Schwanz.“ Unerwartet lässt mein ehemaliger Sportlehrer von mir ab. „Du hast Glück, Yamato“, zischt er wütend und voller Verachtung. Ohne den Blick von mir abzuwenden, steht er auf und spuckt mir hasserfüllt ins Gesicht. Dann verschwindet er aus der Gasse, in die Dunkelheit der Nacht. Ich bleibe liegen, wische mir nicht einmal den fremden Speichel von der Haut. „Yamato.“ Reiji beugt sich zu mir hinab und nimmt mich behutsam in den Arm. Mich aus meiner Starre lösend beginne ich hemmungslos zu weinen. Die Angst hat mich noch fest im Griff, mein Körper zittert stark und ich klammere mich haltsuchend an meinem Arbeitskollegen fest. „Shh. Es ist vorbei.“ Schützend legt er seine Arme um mich und zieht mich enger an sich. „Taichi...“, schluchze ich abwesend. „Ich will zu Taichi.“ „Ist er dein Freund?“ „Tai...“ „Zu meiner Wohnung ist es nicht ganz so weit. Du kommst erst einmal mit zu mir.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)